unsere jugend
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2013.art24d
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Sozialarbeit an Grundschulen
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Karlheinz Thimm
Schulsozialarbeit an Gesamt-, Mittel-, Sekundar-, Ober-, Hauptschulen als ein integratives, sozialpädagogisches, lebensweltorientiertes Angebot für alle SchülerInnen der jeweiligen Schule hat inzwischen eine mehr als 30-jährige Tradition. Seit wenigen Jahren rückt nun die Grundschule in den Fokus. In Berlin blickt man immerhin auf 15 Jahre Sozialarbeit an Grundschulen zurück; im gesamten Bundesgebiet beginnen Großstädte wie Dortmund, Düsseldorf, Köln mit dem Ausbau. Dieser Beitrag stellt die Frage: Gibt es Besonderheiten für Sozialarbeit an Grundschulen? Vor der Beantwortung gilt es, über drei Themen zu sprechen: über Kinder - bei vierjähriger Grundschulzeit sind sie fünf bis zehn und in der sechsjährigen Primarstufe in Berlin und Brandenburg sind sie fünf bis dreizehn Jahre alt; über den Ort Grundschule; über das, was die an Schule stationierte Soziale Arbeit leisten kann. Dabei werden einige generelle Bestimmungen für Schulsozialarbeit vorgenommen, um dann Grundschulspezifika zu fokussieren.
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260 unsere jugend, 65. Jg., S. 260 - 270 (2013) DOI 10.2378/ uj2013.art24d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Sozialarbeit an Grundschulen Leistungsprofil und Besonderheiten Schulsozialarbeit an Gesamt-, Mittel-, Sekundar-, Ober-, Hauptschulen als ein integratives, sozialpädagogisches, lebensweltorientiertes Angebot für alle SchülerInnen der jeweiligen Schule hat inzwischen eine mehr als 30-jährige Tradition. Seit wenigen Jahren rückt nun die Grundschule in den Fokus. In Berlin blickt man immerhin auf 15 Jahre Sozialarbeit an Grundschulen zurück; im gesamten Bundesgebiet beginnen Großstädte wie Dortmund, Düsseldorf, Köln mit dem Ausbau. Dieser Beitrag stellt die Frage: Gibt es Besonderheiten für Sozialarbeit an Grundschulen? Vor der Beantwortung gilt es, über drei Themen zu sprechen: über Kinder - bei vierjähriger Grundschulzeit sind sie fünf bis zehn und in der sechsjährigen Primarstufe in Berlin und Brandenburg sind sie fünf bis dreizehn Jahre alt; über den Ort Grundschule; über das, was die an Schule stationierte Soziale Arbeit leisten kann. Dabei werden einige generelle Bestimmungen für Schulsozialarbeit vorgenommen, um dann Grundschulspezifika zu fokussieren. von Prof. Dr. Karlheinz Thimm Jg. 1954; Diplom-Pädagoge, Professor für Soziale Arbeit an der Evangelischen Hochschule Berlin mit den Schwerpunkten Kinder- und Jugendhilfe und Methodisches Handeln Zielgruppe Kinder Die SchülerInnen in der Primarstufe verbindet, dass sie Kinder sind, die Grundbedürfnisse mitbringen und die in ihrer Schulzeit typische Entwicklungen durchlaufen. Sie sind allerdings nicht nur mit Blick auf die Altersbreite sehr verschieden. Sie trennen auch außerschulische Erfahrungen. Viele Kinder sind gewollt, manche geduldet; es gibt arme und reiche unter ihnen; viele wurden in ihren Rechten geachtet, andere erlebten sich als rechtlos; viele können flüssig sprechen, anderen gelingt dies weniger; manche sind stolz auf sich und fühlen sich in der Gruppe wohl, andere leiden unter Ängsten und sozialer Unsicherheit, und ihre emotionale Grundausstattung ist im Bereich„Selbstwert“ nicht sehr üppig. Spaltungen in der Gesellschaft führen nicht selten zu Rissen in den Lerngruppen. Einige Zahlen: ➤ Materielle Armut: Die Einkommensarmut zwischen 2000 und 2006 ist bundesweit von 11,8 % auf 18,3 % gestiegen; circa 30 % der SchülerInnen in Berlin sind von der Zuzahlung zu Lernmitteln befreit. ➤ Wann nun ist ein Kind „arm dran“? Kinder selbst nennen in einer Studie des Deutschen Jugendinstituts folgende Indikatoren: „keine/ wenige Freunde“; „ich kann niemanden zu mir nach Hause einladen“; „bei uns sind teure Freizeitaktivitäten nicht 261 uj 6 | 2013 Soziale Arbeit an Grundschulen möglich“; „Stress in der Schule (z. B. werde nicht gemocht, abgelehnt)“; „meine Eltern können mir nicht richtig helfen“. ➤ 41 % des sozial benachteiligten Viertels sehen täglich mehr als zwei Stunden TV (Referenzwert 8,5 %); es gibt große Unterschiede zwischen den Schichten bei den Werten für Sport, Musizieren, Lesen … Kinder aus benachteiligten Milieus sind diesbezüglich inaktiver. ➤ Eine Zentralvariable für eine Risikokindheit ist statistisch gesehen - nicht in jedem Einzelfall - der Bildungshintergrund der Eltern, wobei das Zusammentreffen von Finanz-, Bildungs-, Integrationsarmut besonders gefährdend wirkt. Am Ort Schule erfahren diese Kinder häufiger Ablehnung durch Lehrkräfte und MitschülerInnen. Sie erleben sich überlastet, kommen mit dem Stoff schlechter mit und haben deutlich mehr Konflikte. Das Altersspektrum zwischen Fünfjährigen und Zwölfjährigen ist so groß, dass verbindende Aussagen schwer möglich sind. Gleichwohl, es gibt Gemeinsamkeiten bei Grundschulkindern. Die Psychologin Oggi Enderlein (2008) nennt im Aufgriff entwicklungs- und lernpsychologischer Wissensbestände sowie von Alltagserfahrungen folgende: Geselligkeit und Rückzug; selbstbestimmte Bewegung; Begegnung und Auseinandersetzung mit Gleichaltrigen; eigenständiges Erkunden und Erobern der Welt; neues Wissen und Können erwerben; Erwachsene, die helfen, die Dinge gut und richtig zu machen; Verlässlichkeit und Überschaubarkeit: Räume, Personen, Regeln … Der Ort Grundschule An den Grundschulen in Deutschland hat sich in den vergangenen 15 Jahren Aufregendes vollzogen. Die Grundschule ist die Schule für alle. Pädagogik der Vielfalt ist Gebot. Die Grundschulreformen in den vergangenen Jahren sind bekannt. Ich nenne nur Stichworte: Flexible Schuleingangsphase; Jahrgangsübergreifendes Lernen; Übergangsgestaltung mit Kitas; Neue Lernkultur - Lernende als aktive Aneignungssubjekte mit individuellen Lernwegen; Ganztag; Erweitertes Bildungsverständnis; Soziales Lernen; Öffnung von Schule; Profilbildung; Qualitätsentwicklung … In der Tendenz wurden damit sowohl gewachsene Grundanlagen dieser Schulstufe und Schulform gestärkt als auch mit Blick auf neue Verständnisse von Lernen und guter Bildung Gewichte verschoben. Zudem müssen Grundschulreformen schlicht als Antworten auf die Überwältigung durch Realitäten verstanden werden. Die Heterogenität der Kinder, die gesellschaftlichen Anforderungen, veränderte Kindheiten, andere Familienrealitäten und -konzepte, prekäre Bedingungen in manchen Sozialräumen - diese Mixturen führen zum aktuellen kindzentrierten Profil des Typus Grundschule. So gelten für Grundschulen mehr und mehr diese Bestimmungsmerkmale: ➤ Pädagogische Schule: Hier steht vergleichsweise das Kind deutlich stärker im Mittelpunkt des beruflichen Selbstverständnisses der Lehrkräfte als später. Individualisierung, Förderung und Stärkung sind Maximen, die zählen. Eine Lehrkraft, die m. E. durchaus als typisch für die aktuelle Grundschulpädagogik stehen kann, äußert: 1 „Man muss Kinder mögen, auch schwierige Kinder. Mein eigentlicher Auftrag ist der, den Kindern eine Lernzeit zu bereiten, mit der sie gute Erinnerungen verknüpfen. Die sollen das Gefühl haben, dass dies hier ihre Lernheimat ist. Sie sollen erfahren, dass Lernen Spaß macht und sich für einen selber lohnt. Weil man dann mehr weiß, mehr erfährt, mehr kann. Wir tun etwas, damit das Kind Lernwillen erhält und Stärke, Zufriedenheit, Ausgeglichenheit.“ 1 Alle nicht gekennzeichneten, kursiv gestellten Zitate stammen aus Interviews mit Lehrkräften und SchulsozialarbeiterInnen, die von StudentInnen für Diplomarbeiten an der Evangelischen Hochschule Berlin geführt wurden. 262 uj 6 | 2013 Soziale Arbeit an Grundschulen Aus dieser Stellungnahme wird deutlich: Kinder an Grundschulen werden überwiegend als ganzer Mensch und nicht als Stoffverarbeiter „mit 50 % schriftlich und 50 % mündlich“ wahrgenommen. ➤ Soziale Schule: Das Zurechtkommen mit Anderen in einer Welt der Verschiedenen, das Zusammenleben und Zusammenarbeiten in der Gruppe - diese Grundlegungen finden hier in Fortführung elementarer Erziehung in den Kitas unter ernsteren und verpflichtenden Bedingungen statt. ➤ Inklusive Schule: Dieses Merkmal bedeutet, dass Aussonderung zur Ausnahme und integrative Besonderung zum selbstverständlichen Prinzip werden soll. Auch hier ist die Grundschule schon bisher führend; denn sie tut sich mit Aussonderung tendenziell schwer. ➤ Geöffnete Schule: Die Papier- und Sitzschule mit Stundentakt in alleiniger Lehrerhand wird flankiert - durch andere Methoden, Räume und Zeitstrukturen, neue Medien, Lernen im Stadtteil, Einbindung von Eltern, ErzieherInnen der ergänzenden Betreuung und anderen BildungspartnerInnen. Die Chance in Grundschulen ist vergleichsweise sehr groß, dort Menschen zu treffen, die nicht Lehrkräfte oder SchulsozialarbeiterInnen sind. Manchen gerät diese Skizze vielleicht zu positiv und damit wirklichkeitsfern. Kinder werden auch in Grundschulen zum Störfall. Jede Schule ist anders - und trotzdem gibt es Systembesonderheiten und professionsspezifische Eigenarten, gegen die sich pädagogisches Handeln und individuelles Lehrerengagement zu behaupten haben: ➤ Lehreridentität als kompetente Curriculumerfüller. PädagogInnen an Grundschulen bleiben Lehrkräfte. Ihr beruflicher Auftrag ist, Lernen und Leistungserfolge zu organisieren und zu ermöglichen. Und auch am Ort Grundschule sehen sie ihr Fach als bedeutsam an, wollen keine wertvolle Unterrichtszeit mit Blick auf Lehrplanerfüllung, Klassen- und Vergleichsarbeiten, Übergangsraten in hoch chancenreiche Schulformen verlieren. ➤ Definition von Schule als Zentralgestirn. Auch GrundschullehrerInnen, so sehr sie sich mit den vorfindbaren Verhältnissen arrangieren, möchten, dass sich die Mitwelten, vor allem Familie und auch die Jugendhilfe, auf sie einstellen. Die heimlich oder offen bestimmende Direktive lautet: „Tut alles, damit wir unsere Arbeit möglichst reibungslos und wirkungsvoll machen können. Denn Schule ist das Wichtigste.“ Das führt nicht selten zu Erwartungen und Forderungen, die von Partnern wie Eltern und Jugendhilfe nicht umstandslos erfüllt werden. ➤ Die Person als Teil der Lerngruppe. Schule ist darauf angelegt, Gruppen zu versorgen. Schon arbeitsökonomisch kann der einzelne junge Mensch nicht im Primärfokus von Schulpädagogik stehen. In den Rollenbeziehungen von LehrerIn und SchülerIn liegt die Tendenz zur Gleichbehandlung näher als dauernde Ausnahmen und „Einzelfallregelungen“. ➤ Schwierige SchülerInnen als Ablaufstörung. Die Unterrichtszeit und die Arbeitszeit von Lehrkräften sollen effektiv und effizient genutzt werden. Jede/ r SchülerIn aus der großen Menge, die oder der sich nicht komplikationslos in die erwarteten Abläufe einfügt, produziert besonderen Aufwand. Zeit im Unterricht geht verloren, Zeit für Kooperationsgespräche ist zu erübrigen, negative Gefühle und Gedanken müssen bewältigt werden, Energien werden absorbiert. Lehrkräfte sehen sich zwar als PädagogInnen und wollen diesen Rollenanteil in der Regel gerade nicht loswerden. Wenn ihr Engagement aber in überschaubaren Zeiträumen nicht fruchtet, sehen sie sich angesichts fehlender Zeitkontingente, nicht passender Qualifikation und qua Zuständigkeitskonstruktion 263 uj 6 | 2013 Soziale Arbeit an Grundschulen nicht mehr in der Primärverantwortung. Sie wollen abgeben. Ist dies nicht möglich, droht nicht selten Nicht-Wahrnehmung, bis ggf. eskalierte Konflikte Interventionen zur Störungsunterbindung notwendig machen. • Imagedruck „Gute Schule“ (Anwahl in der Marktkonkurrenz). Eine Schule, die ihre Unterrichtszeit nicht optimal verwendet und die eine Häufung von Vorfällen zu verzeichnen hat, kann schnell eine ungünstige Schülermischung erhalten, was bekanntlich oft in eine Abwärtsbewegung hineinführt. Kurz, für Schule systemlogisch sind diese Tendenzen: Ausscheidungsversuche von Problemen und Aufgaben, die Unterrichtserteilung erschweren; Individualisierung von Störungen („Menschenstatt Systemkonstruktionsfehler“); Hineinmanövrierung von Komplementärsystemen in die Erfüllungsgehilfen- und Zuarbeitsrolle. Organisationslogiken sind allerdings von Menschen gemacht und werden von Menschen aufrechterhalten; sie sind damit nicht unverrückbar. Gerade mit der systemischen Brille kann oft die negative Note von persönlichem Vorwurf und Schuldzuweisung in den Hintergrund treten, sodass eingeschliffene, auch organisationsbedingte Affinitäten zwischen PädagogInnen besprechbar werden. Brauchen wir angesichts dieses Bildes Soziale Arbeit an Grundschulen? Wofür soll diese Ergänzung stehen? Mit welchen Inhalten und Leistungen sollen sich sozialpädagogische Angebote profilieren? Generelle Kennzeichen und Bestimmungen zu Sozialer Arbeit an allen Schulformen Die Bezeichnungen für das, worüber hier gesprochen wird, sind vielfältig. Man findet aktuell vor allem diese Titulierungen: Schulbezogene Jugendhilfe; Schulsozialarbeit; Soziale Arbeit an Schule; Sozialarbeit an Schule; Jugendsozialarbeit an Schule. Die terminologische und konzeptionelle Pluralität verweist darauf, dass wir es noch immer mit einem nicht eindeutigen Praxisbereich zu tun haben. Nach wie vor gilt „Schulsozialarbeit“ als Oberbegriff für vereinbarte, intensive, kontinuierliche sozialpädagogische Angebote an der Schule mit den Hauptzielen der Schulalltags- und der Lebensbewältigung (vgl. Speck 2006). Für SchülerInnen stellt diese Ergänzung zur Schulpädagogik eine zusätzliche Ressource dar; denn sie bringt sozialpädagogische Ziele, Tätigkeitsformen und Methoden in die Schule ein, die auch bei erweiterten Aufträgen an Lehrkräfte und gedehnten Lehrerrollen nicht durch Schule allein abzudecken wären. Ich nähere mich dem Feld beschreibend an. Was tun SchulsozialarbeiterInnen? Sie unterbreiten Beziehungsangebote, thematische, räumliche Angebote. Sie wenden sich an Einzelne, Gruppen, Klassen, Schule, mit Bezügen zum Gemeinwesen. Sie beraten, motivieren, entlasten, trainieren, fördern, vermitteln, moderieren Räume, bieten Schutz, schaffen Gelegenheiten. Sie planen, konzipieren, koordinieren, vernetzen, erschließen Ressourcen. Sie sprechen SchülerInnen, Eltern, Lehrkräfte an. Sie wirken präventiv durch offene Angebote und Projekte; sie arbeiten reaktiv (interventiv) in schwierigen, belasteten Situationen und mit jungen Menschen, die Unterstützungsbedarf aufweisen. Nun läuft mit dem Hineintreten einer neuen Berufsgruppe an Schule manches nicht gleich glatt. Was macht Schulsozialarbeit grundsätzlich strukturell störanfällig, ohne dass Fachlichkeitsdefizite und Kompetenzmängel unterstellt werden müssen? Als potenzielle Stolpersteine, die wahrzunehmen und zu bearbeiten sind, gelten häufig: ➤ Zwei Berufsstände, zwei administrative Zuständigkeiten, zwei Sichtweisen, unterschiedliche Prinzipien. Gegenübergestellt werden meist: Freiwilligkeit - Pflicht, Vertrauen - Kontrolle, Aushandlung - An- 264 uj 6 | 2013 Soziale Arbeit an Grundschulen ordnung, Ressourcenblick - Defizitperspektive … Unterschiedliche Zwecke und Fachlichkeiten von Schule und Jugendhilfe, die sich etwa in nicht unbedingt zusammenklingenden Problem- und Erfolgsverständnissen, im Blick auf die Beziehungsseite oder bei den eingesetzten pädagogischen Mitteln äußern, sind zu übersetzen und zu verschränken. ➤ Kein klar umrissenes Aufgabenfeld. Das Profil der Leistung steht nicht im Vorhinein fest. Das erhöht die Gefahr, potenziell „Libero für alles Schwierige“ zu werden. Womöglich steigt die Diffusität mit der Breite der wahrgenommenen Aufgaben. Die Falle der Allzuständigkeit für Übrigbleibendes und Unbearbeitetes muss umgangen werden. ➤ Starke Abwehr- und Delegationskräfte von Schule. Wie alle Systeme versucht auch Schule, Ablaufstörungen mit einer ausgelagerten Feuerwehr-Erwartung an andere zu begegnen. ➤ Überhöhte und gar widersprüchliche Erwartungen verschiedener Anspruchsgruppen. Viele Wünsche, hohe Ziele und nicht immer gleiche Interessen von SchülerInnen, Eltern, Lehrkräften, Jugendamt, Träger usw. erschweren es, ein eindeutiges und gesichertes Wirksamkeitserleben zu entwickeln. Sozialarbeit an Schule muss das mühselige und schwierige Spiel mit mehreren Bällen jeden Tag aufs Neue geben. ➤ Arbeit „in der Fremde“. Der Gaststatus an der Schule mit der Lehrer-„Übermacht“ kann womöglich im Zuge der „Integration in das Kollegium“ nur um den Preis überwunden werden, das eigene Profil einzubüßen. Allzu schulfern darf sich die Sozialarbeit andererseits auch nicht definieren, sonst bleibt sie isoliert und jeder, so ein Lehrer frustriert, „kocht weiter sein eigenes Süppchen“. ➤ Angewiesenheit bei Zielerreichung auf Ko-Produktion (u. a. durch Lehrkräfte). Die Sozialarbeit an Schule kann die meisten ihrer Ziele nur erreichen, wenn die LehrerInnen in offene Aushandlung und kooperative Aufgabendurchführungen eintreten. Das gilt verstärkt für die gemeinsame Bearbeitung gemeinsamer Themen (Eltern, Soziales Lernen, Förderung, Schulklima, Konflikte …). ➤ Oft ungünstige Strukturqualität. Selbst wenn die räumlichen und sächlichen Voraussetzungen günstig sind, fehlt es nicht selten an einem quantitativ hinreichenden und verlässlichen Rahmen für die kleinen und größeren Kooperationen zwischen Sozial- und Schulpädagogik (Orte, Zeiten, Verfahrensabläufe …). Nicht alle Lehrkräfte nutzen die Gelegenheit der anderen Profession an ihrem Ort. Eine Lehrkraft meint: „Mir wäre es lieber, er würde nicht mit den Schülern über mich sprechen. …Ich finde es auch nicht richtig, dass er in jeder Konferenz dabei sitzt, ich habe es allmählich dick“ (vgl. Schmidtchen 2005, S. 343). Nicht wenige LehrerInnen bezweifeln auch die Kompetenz der sozialpädagogischen Fachkräfte im Feld der schulbezogenen Beratung. Ob Beratungsoffenheit entsteht, scheint u. a. stark von der „menschlichen Art“ des Gegenübers abzuhängen. Die Persondimension ist, dies scheint mir bis dato unterthematisiert, auch unter dem Aspekt des Alters aufzuschließen. Ältere Lehrkräfte sehen sich ggf. SozialpädagogInnen gegenüber, die ihre Kinder sein könnten. Das Eingestehen von Schwächen und die Bereitschaft, Rat anzunehmen, könnten dadurch gemindert werden. Zwei Stimmen aus der Lehrerschaft: „Es ist ein gewisser Altersunterschied zwischen uns, und da habe ich wenig Vertrauen.“ Und: „Ich glaube nicht, dass ich mir von anderen was sagen lasse, das macht das Alter auch. Ich habe zwei große Kinder - und der hat keine Ahnung“ (vgl. Schmidtchen 2005, S. 334). Mit Blick auf die Praxis sind weitere wirkmächtige Einbettungsfaktoren, so T. Pudelko in einem Vortrag an der Hochschule Osnabrück (2011), zu berücksichtigen: Nicht selten treffen BerufsanfängerInnen oder zumindest junge Fachkräfte der Sozialen Arbeit mit geringem Gehalt, wenig Standesbewusst- 265 uj 6 | 2013 Soziale Arbeit an Grundschulen sein und noch nicht konturierter beruflicher Identität in befristeten Anstellungsverhältnissen auf ältere Lehrkräfte in unkündbarer Stellung, mit gutem Gehalt, ausgeprägtem Status und Standesbewusstsein sowie mit einer „mächtigen Institution“ im Rücken. Häufige hausgemachte Mängel, denen man zum Teil mit eigenen Mitteln begegnen kann, sind: ➤ Strukturelle Grundgefahren: Einmal-Aktivitäten; ständige Abwicklungsdrohung ➤ Verzicht auf Bestimmung weniger Kernaufgaben (Verzettelung durch Nachgeben gegenüber akuten Anfragen - Rollenanlage zwischen „Bollwerk“ und Flexibilität nötig) ➤ Kaum Entwicklung transparenter Leistungsbeschreibungen (Unberechenbarkeit) Eine Lehrkraft sagt dazu: „Mir geht also ganz wirklich dieses Gesamtkonzept ab. Im Moment habe ich so das Gefühl, unser Sozialpädagoge schwebt durch unser Haus und sucht sich da mal was raus und da mal was raus“ (vgl. Schmidtchen 2005, S. 349). ➤ Fehlende überprüfbare Zieldefinitionen (Diffusität; „Märchenstunde“, d. h. konzeptionelle Begründung für Einsatz wird zum in Aussicht gestellten Ergebnis) ➤ Geringschätzung von Wirkungsüberprüfung (Dimensionen: Nutzermenge, Akzeptanz/ Zufriedenheit, qualitative Zielerreichung) ➤ Nicht hinreichend besprochene Aufgabenverteilung und Koordinationsschwächen an Schnittstellen zu Schule (unzureichende Abstimmungen mit Lehrkräften und GanztagserzieherInnen) - es fehlt ganz einfach Kooperationszeit Worüber besteht kein fachlicher Konsens in den eigenen Zirkeln der Schulsozialarbeit? Anlage der Sozialarbeit an der Schule: eigenständig versus integriert/ offensiv versus defensiv gegenüber Schule; Feuerwehr-Funktion versus nachhaltige Schulentwicklung; Binnen- und Schulbezug mit Schwerpunkt Einzelfall und Beratung versus Außen-, Jugendhilfesowie Sozialraumbezug - hier sehe ich nach unseren Untersuchungen die größte Kluft zwischen Basiskräften und Ratgebern; Mitwirken in unterrichtlichen Bezügen versus keine eigenständige Tätigkeit in der Unterrichtszeit; Aufgabentrennung versus gemeinsame Aufgabendurchführung (bei unscharfen Professionsgrenzen LehrerInnen, ErzieherInnen, SozialarbeiterInnen); Bildungs- und Präventionsangebote für alle versus Benachteiligten- und „Problemfall“-Fokus; Finanzierung: Jugendhilfe versus Schule. Leistungsprofil Sozialer Arbeit an Grundschulen Was macht Sozialarbeit an Grundschule zu einem Muss? Was kann nur durch Sozialarbeit gewährleistet werden? Unmittelbare Hilfen bei Problemen, Konflikten, Krisen von Einzelnen. Generell werden SozialarbeiterInnen durchaus als Vertrauenspersonen und verfügbare Unterstützer geschätzt - von jungen Menschen, Eltern, Lehrkräften. Folgende Stimmen geben aber auch zu denken. Eine Lehrkraft: „Ich meine, dass man viel allgemein postulieren kann, was nicht das ist, was den Schulsozialarbeiter in Wirklichkeit ausmacht. In Wirklichkeit ist es schon so, dass der Sozialarbeiter nichts anderes macht, als die Hilfen zu organisieren und die Hilfen zu liefern, die diese Kinder brauchen.“ Eine andere Lehrkraft erklärt zur Rolle der Sozialarbeit: „Die ist eine latente Bedrohung für Eltern. Schulsozialarbeit kommt ja eigentlich erst dann in Bewegung, wenn irgendetwas nicht rund läuft. Dafür haben Eltern ein Gefühl. Und das wollen viele nicht.“ Ich meine, dass die unmittelbare Hilfe für Einzelne unbedingt in das Leistungsprofil der Sozialarbeit an der Schule gehört. Und damit einher gehen dann auch Feuerwehr-Einsätze. Die 266 uj 6 | 2013 Soziale Arbeit an Grundschulen Kunst liegt darin, sich zeitlich und energetisch nicht in den Fällen zu verlieren und trotz momentaner Abnahme LehrerInnen als MitarbeiterInnen im Stand-by-Modus zu halten und bei Bedarf zu aktivieren. Kann und soll man Zeitkontingente definieren? Können Quantifizierungen, die von den Fachkräften selbst auf Einhaltung kontrolliert werden, Profile absichern? Ich denke, dass Richtwerte Sinn machen, zum Beispiel 25 % der Zeit für Prävention, 20 % für Vernetzung und Vermittlung nach außen, 10 % für Schulentwicklung in Gremien und Teams, 15 % für Sonstiges. Dann bleiben 30 % für Einzelhilfen und Gruppenarbeit mit Kindern, die Schwierigkeiten haben und machen. Initiierung und Begleitung sozialer Prozesse. Ein Sozialarbeiter: „Das Thema Klima unter den Schülern, das Thema Selbstwert, das Thema Sozialkompetenz, Gewaltkonflikte und Mobbing, Partizipation - das sind alles Sachen, für die wir auch die Lehrer brauchen. Aber diese sozialen Themen sind erstmal bei uns in guten Händen, und wir holen uns dann die Lehrer ran, die ansprechbar sind.“ Moderation zwischen Personen und Interessen. Eine Schulsozialarbeiterin liefert ein Beispiel: „Es gibt die Möglichkeit, dass mich Lehrer dazu holen, wenn es … Schwierigkeiten gibt, also bei Helfer-, also der Schulhilfekonferenz oder … Klassenkonferenzen, wo es auch um Sanktionen geht. Dass ich vorher mit den Eltern in Kontakt trete oder Eltern teilweise auch begleite, mit denen ich vorher schon gearbeitet habe.“ Moderation geht nicht, wenn eine enge Parteilichkeit herrscht oder wenn sich Menschen nicht gesehen fühlen. Eine Lehrkraft akzentuiert: „Vertrauen ist nicht mehr so. Es sind einige Situationen gewesen, wo ich mich geärgert habe, weil er meine Seite nicht gesehen hat.“ Prinzipiell ist die intermediäre, manchmal fast supervisionsähnliche Position mit der Außenperspektive auf häufig verzwicktes Geschehen ein Segen für das Finden von Lösungen. Öffnung nach außen zu Eltern, Gemeinwesen und Hilfesystem: Drehscheibe, Brücke, Weitervermittlung. Ein Lehrer meint: „Vor allem findet er die Schnittstellen. Er findet den Draht zum Jugendamt, zu außerschulischen Hilfen. Die findet der Lehrer gar nicht. Da ist er auch von den Kompetenzen her überfordert. Und zur Familie. Da muss es auch eine Brücke geben. Und die Brücke ist, wenn es schwierig wird, die Sozialarbeit.“ Ein Schulsozialarbeiter äußert: „Teilweise finden Eltern, dass die Schule ein bisschen verschlossen ist, weil normalerweise Eltern nicht ins Schulgebäude kommen. An dieser Stelle treten wir in Aktion und machen Türen auf.“ Querschnittsfunktion: Der andere Blick … Dazu einige Stimmen aus der Schulsozialarbeit an Grundschule. „Schule ist eigentlich in der Blickrichtung defizitär, d. h. es geht häufig im Alltag um Probleme und Schwierigkeiten, es geht um nicht geleistete Sachen, es geht um schlechte Noten oder mangelnde Unterstützung zu Hause oder dass sie die Hausaufgaben nicht machen. … Vieles ist im Defizitbereich angesiedelt. … Es geht bei uns um die Kinder, und es geht um das Entwickeln einer gemeinsamen Zielrichtung. Was soll sich für das Kind verändern? Was soll geschafft werden? Dabei schauen wir auf die Kompetenzen der Eltern und der Lehrer. … Wir versuchen, die Kommunikation im Grundsatz umzugestalten.“ „Es gibt bei uns auch den offenen, freiwilligen, ganz niedrigschwelligen Bereich. Ich leite ein Elterncafé an und begleite das, wo Eltern einfach zum Frühstück kommen. Wo es nicht darum geht, zu gucken, das kann mein Kind nicht, sondern um Austausch, dass die Eltern sich kennenlernen, dass man Anknüpfpunkte im Kiez findet, dass man einfach zusammensitzt.“ „Ich frage Eltern: Was denken Sie, was Ihr Kind gerade beschäftigt? Was beschäftigt Sie, was Ihr Kind angeht, und so. Das sind Sachen, die Lehrer so nicht erfragen würden.“ „Ich sage dann: Fällt dir irgendwas auf, wie sich das Kind gerade verhält? …(Das) ist bei denen zu Hause gerade ein bisschen schwierig. Vielleicht kannst du mal darauf gucken und ein bisschen 267 uj 6 | 2013 Soziale Arbeit an Grundschulen Druck rausnehmen. … Wenn sie ein bisschen Hintergrundwissen haben, dann wirkt sich das auch positiv auf die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler aus.“ Welche Akzente verschieben sich im Ganztag? Dort, wo ein konzeptionell gestalteter, personell quantitativ hinreichend und mit qualifizierten Kräften ausgestatteter Betreuungsbereich im gebundenen Ganztag anzutreffen ist, werden andere Kompetenz- und Aufgabenprofile möglich sein als dort, wo diese Voraussetzungen nicht gegeben sind. Insbesondere offene und präventive Angebote für alle Kinder können von ErzieherInnen in der Regel günstig erbracht werden. Dann kann die Sozialarbeit an Grundschule sich stärker auf die Zielgruppe nach § 13 SGB VIII konzentrieren und mit Blick auf „Kinder mit sozial-emotionalen Belastungen präventiv, integrativ und stabilisierend“ tätig werden - sofern eben Beziehungs-, Bildungs-, Freizeitangebote durch ErzieherInnen (und LehrerInnen) hinreichend entwickelt sind. Prioritäten liegen dann in: Schulstationen als Orte, die überlasteten Kindern Schutz, Entlastung, Ruhe bieten; Stützung durch Einzelhilfen; Zusammenarbeit mit Eltern von „Risikokindern“, die zeitintensiv bzw. labil ist; Kinderschutz-Aufgaben; Clearing in nicht gleich durchschaubaren Zusammenhängen; Durchführung von Gruppenarbeit für desintegrationsgefährdete Kinder; Beratung mit allen Anspruchsgruppen; Entwicklung einer Konfliktkultur; Brückenfunktion in den Sozialraum, Vernetzungen; Schulentwicklung (vgl. Nachbarschaftsheim Schöneberg e. V./ Nachbarschafts- und Familienzentrum Kiezoase 2011). Hier sehen wir die Soziale Arbeit auf ihren klassischen Kern der „Randgruppenverhaftung“ sowie auf Öffnung und Vernetzung reduziert bzw. fokussiert. Dies werden viele nicht mögen, fallen doch Prävention und Freizeitsowie Bildungsangebote für alle Kinder weg. Politisch ist die Begründungslinie der Risikokinder tendenziell günstig, fachlich gibt es dazu durchaus kontroverse Auseinandersetzungen. Wir müssen aus der Praxis im Ganztag Erfahrungen sammeln, welche Akzentverschiebungen sich mit drei festen Berufsgruppen und externen Kooperationspartnern entwickeln. Noch wissen wir dazu wenig. Strukturelle Bedingungen Der Satz gilt auch für Sozialarbeit an Schule: Ohne Strukturqualität keine Prozessqualität. Was sind strukturelle Gestaltungsaufgaben für Träger und MitarbeiterIn? Zu nennen sind folgende: Sicherung von personellen, sächlichen, räumlichen Standards (in Kooperation mit Schule); Konzeptentwicklung (Philosophie, Leistungen …); Trägerbegleitung, Teameinbindung, Fortbildung, Supervision; Gremienteilnahme im Sozialraum-Kontext; Qualitätsentwicklung (Schlüsselprozesse, z. B. Kooperation, Auszeit-Gestaltung, Eltern, Beratung, Konflikt…); Auswertung und Jahresplanung (Soll - Ist, Akzeptanz, Schwerpunktsetzung). Im guten Fall trifft Schule auf ein Sozialarbeitsangebot, das strukturell und konzeptionell günstige Voraussetzungen bietet. Auch die Schule hat Aufgaben zu übernehmen und zu erfüllen: Erstellung einer Situations- und Bedarfsanalyse (mit dem Träger); Abschluss einer Kooperationsvereinbarung mit dem freien und/ oder öffentlichen Träger der Jugendhilfe und/ oder Schulträger; Vorhandensein eines Schulprogramms mit Schulsozialarbeitsbezug; Kenntnisse und Akzeptanz der Positionen der Schulsozialarbeit; Bereitstellung von zentralen, eigenen Gruppen- und Beratungsräumen mit eigenem Telefon; Schlüsselrecht für SozialarbeiterInnen; Unterstützung der SchulsozialarbeiterInnen bei Wünschen zur Verbesserung der Arbeit; Ermöglichung der Teilnahme von Schulsozialarbeit in Schulgremien; regelmäßige Treffen zwischen SchulsozialarbeiterInnen, Schulleitung, LehrerInnen; schulische Teilnahme an einer schulinternen Projektgruppe Schulsozialarbeit; jährliche Auswertungs- und Planungsdialoge im Rahmen einer Konferenz (vgl. Speck 2006). 268 uj 6 | 2013 Soziale Arbeit an Grundschulen Fazit Welche Besonderheiten machen Sozialarbeit an Grundschule aus? 1. Präventives Tätigwerden, bevor sich problematische Entwicklungen verfestigen. Selbstverständlich sind auch im Jugendalter Problemlösungen noch möglich. Allerdings sind die Chancen schlechter, wenn die Desintegration und die Ausbildung ungünstiger Bewältigungsstrategien schon in Kita und Grundschule begannen. Werterleben durch Erfolge, die anerkannt werden, Zugehörigkeit zu fairen und respektvollen Gemeinschaften sowie Einordnung in ein produktives Arbeitsgefüge - dies wirkt präventiv. Befunde verweisen auf das Eintreten präventiver Effekte an Good-Practice- Standorten: Sozialarbeit ermöglicht neue Diskursqualitäten über Kinder. Schulsozialarbeit befördert den Kontakt zwischen Schule und Umwelten. Sie verringert Schule-Eltern-Distanz, verbessert das Schulklima und stellt für die Schulentwicklung relevante Fragen. Sozialarbeit an Grundschule entwickelt eine Konfliktkultur (mit). 2. Hoher Stellenwert von Erlebnis, Spiel und Bewegung. Kinder wollen tun, sie lernen spielerisch, sie drücken sich im Spiel aus, erfreuen sich am Dasein, möchten sich ausprobieren. Dafür stellt die Schulsozialarbeit eigene Räume zur Verfügung. Sie thematisiert aber auch in der Kooperation mit Lehrkräften neue Selbstwertfelder und Würdechancen, um Anerkennung auch jenseits von Schulleistung, verbaler Kompetenz, eloquenter Rollengabe als gewissenhafte/ r LernerIn zu ermöglichen. Im gebundenen Ganztag bestellen dieses Feld auch ErzieherInnen und externe KooperationspartnerInnen. 3. Bedeutung von Schutz und Ruhe gerade für „verwundbare Kinder“. Die soziale Arena Schule ist strapaziös. Die Menschenmenge, die Reizflut, der Lärm, die ständigen sozialen Anforderungen, die Status- und Hierarchiekämpfe, die Ein- und Unterordnungsanforderungen, das Sich-zeigen-Müssen - all das kostet Kindern Kraft. Unseren Schulen fehlen nicht selten Räume für Aktion genauso wie für Besinnung und Erholung. Schulsozialarbeit bietet einen Ort und sporadisch auch die Beziehungsebene, um auszuruhen und zu sich zu kommen. 4. Relevanz von Atmosphäre und Raumqualitäten. Viele Schulstationen, die ich besucht habe, konterkarieren das graue, monofunktionale Schulhaus. Räume und Ambiente sind gekennzeichnet durch Multifunktionalität, Farbe, Arbeitsspuren der Kinder, Gemütlichkeit, Bedürfnisgerechtigkeit. Mitunter sind die „Oase“ oder die„Insel“ geradezu Gegenwelt für die Sinne. Auch hier ist der Freizeitbereich an Ganztagsstandorten oft ebenfalls ein kindgerechtes Milieu. 5. Notwendigkeit von Freundlichkeit, emotionaler Zuwendung, Herzlichkeit. Beziehungselemente wie Empathie, Entlastung, Vertrauen, Sich-Zeit-Nehmen, Sich-Interessieren und Sich-Kümmern stehen (hoffentlich) für Soziale Arbeit an all ihren Wirkungsstätten. An Grundschulen geht es nun um Kinder und auch um ihre Sorgen. SchulsozialarbeiterInnen brauchen einen Draht zu Kümmernissen, die sich im Moment für die Mädchen und Jungen als Katastrophe anfühlen. Sensibilität für Irritierbarkeit, Nahbarkeit, Frische, eine tröstende Ader, menschliche Wärme - dies ist noch stärker als an weiterführenden Schulen von Nöten. 6. Ergänzung der sprachlichen Ebene durch nonverbale Mittel und kindgerechte Kommunikation. Verständlich, aktivierend, beteiligend und respektvoll mit Kindern reden kann nicht jede/ r. 7. Wächteramt für Kinderschutz. Es gibt keine bessere Möglichkeit, den Schutz für Fünfbis Zwölfjährige zu gewährleisten, als die Sensibilisierung von Lehrkräften und die Installierung von Sozialarbeit an Grundschule. Schon zwei nicht erfolgte Fremdunterbringungen, die ein- 269 uj 6 | 2013 Soziale Arbeit an Grundschulen gespart werden, weil frühe Hilfen greifen, entsprechen den Kosten für eine Vollzeitstelle Schulsozialarbeit inklusive Sachkosten. Entscheidend aber ist, dass mit Sozialarbeit an Grundschule Kinder in höchster Not eher auffallen und Unterstützung erhalten. Das könnten allerdings Eltern weniger positiv sehen, wenn sie hier Einmischung und negative Kontrolle erleben. 8. Zusammenarbeit mit Lehrkräften, die ein pädagogische Selbstverständnis haben und kindzentriert arbeiten können/ sollen/ wollen, sowie mit ErzieherInnen. Einerseits ist es leichter, Schul- und Sozialpädagogik zu bündeln, wenn beide Partner sich der pädagogischen Professionalität verpflichtet sehen statt sich als Lehrkraft, als Lateiner oder Mathematiker zu definieren. Allerdings drohen vielleicht eher Konkurrenz und Neid. Entscheidend aber ist, als SozialarbeiterIn zu respektieren, dass gerade KlassenlehrerInnen sich manches nicht aus der Hand nehmen lassen wollen. Andererseits können GrundschullehrerInnen bei allzu ausgeprägter Abgabementalität leichter auf ein pädagogisches Berufsethos angesprochen werden. Mit ErzieherInnen in Betreuungsfunktion tritt im Ganztag eine weitere Akteursgruppe in das Feld, die Nähe zu den Sozialarbeitsaufgaben und -themen hat. Hier zu sinnvollen und tragenden Aufgabenteilungen zu kommen, ist spannend und herausfordernd. 9. Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit Eltern, die i. d. R. interessiert bzw. interessierbar sind und deren Mitwirkung von Kindern gewünscht wird. Diese günstigen Voraussetzungen können dazu führen, Eltern breiter zu aktivieren - wenn Schule Eltern denn in ihren Alltag hineinlassen und willkommen heißen will. Sozialarbeit weiß jedenfalls qua Fachlichkeit, wie dies versucht werden könnte. 10. Beachtung des Übergangs von der Kita in die Schule. Hier sind neben den SozialarbeiterInnen sehr stark die Lehrkräfte gefordert. Übergangsbegleitung brauchen vor allem Kinder in erschwerten Lebenslagen. Auch bei der Schnittstelle zur Kita sind ggf. die ErzieherInnen im Ganztag die erste Adresse. 11. Beachtung des Übergangs von der Grundschule in die weiterführende Schule mit Blick auf „Risikokinder“. 12. Grundschule als kommunales Zentrum und Nahraum-Faktor (Kiez-, Stadtteil-, Nachbarschaftsschule). In diese Besonderheit spielen verschiedene Facetten hinein. Grundschulen haben für Regionen oft eine symbolische Bedeutung. „Wenn die Grundschule stirbt, gehen bei uns die Lichter aus“, hört man oft z. B. in Brandenburg mit Blick auf sinkende Bevölkerungszahlen in der Peripherie des Landes und damit drohende Standortschließung. Die Grundschule ist auch in Städten die Schule um die Ecke, an der man öfter vorbeigeht, die man kennt, die alle aus der Nachbarschaft besuchen. Gerade in ethnisch geprägten Communities gehen Kinder von Verwandten und Bekannten dort hin, alle Geschwister, Mütter haben dort ihr Elterncafé, Väter und Mütter kommen zur Mal- und Putzaktion. In einwohnerschwächeren Kommunen wird in der Turnhalle abends oder am Wochenende Kultur angeboten, es wird gefeiert, getanzt, Erwachsenenbildung hat dort ihren Platz. Die Schulsozialarbeit wird auch zu beachten haben, dass lokale Entscheidungsträger aus Verwaltung und Politik, die womöglich die Stelle finanzieren, mitreden. So wird das Interessen- und Erwartungsgeflecht noch komplexer. Insgesamt könnte man sagen: Grundschule wird mit Vertrautheit assoziiert; und so kann hier eher Vertrauen entstehen. Überlastung in der Familie ist einfacher mitteilbar, Hilfewünsche können leichter geäußert werden. Gleichwohl muss auch bedacht werden, dass sich ggf. schlechte Erfahrungen mit Schulsozialarbeit schnell herumsprechen. Ein misslungener Arbeitskontakt führt dazu, dass eine Familie, eine Lehrkraft, ein/ e SozialarbeiterIn einen„Stempel“ hat bzw. eine belastende Vorgeschichte in die Arbeit mit Geschwisterkindern hineinspielen kann. So 270 uj 6 | 2013 Soziale Arbeit an Grundschulen bleibt auch die Grundschule als Ort Sozialer Arbeit mit allen Ambivalenzen behaftet, die der nahe Raum bereithält. 13. Sozialraum-Konzept der Jugendhilfe. Wird die Sozialraumorientierung über die Einzelfall-Kooperation hinaus wirklich ernst genommen, wird das Jugendamt als Planungs- und Steuerungsinstanz (hoffentlich) interessiert sein, was die Sozialarbeit an der Schule wahrnimmt, anbietet, denkt und braucht. Hier sind die Kontakte und die Synergiepotenziale häufig noch ausbaufähig. Allemal würde so ein weiterer Akteur in das Erwartungsgeflecht geraten und die Netzwerk-Ansprüche an die Schulsozialarbeit würden noch weiter steigen. Ein Fazit: Die Soziale Arbeit an der Grundschule ist die Adresse für die soziale Seite des Schüler-Seins. Damit gemeint sind womöglich bedrohliche außerschulische Lebensumstände, das Klima in Schule und Klasse, Konflikte, soziale, emotionale und kommunikative Kompetenzen, Integration in Gemeinschaften trotz womöglich erwartungswidriger, unverständlicher Verhaltensweisen. Hier sind wir Seismographen, hier sind wir SpezialistInnen, hier haben wir thematische Patenschaften und wollen etwas anstoßen. Das ist für die Gegenwart der jungen Menschen nützlich, weil sie sich dann dort wohler und zufriedener fühlen, wo sie einen beträchtlichen Teil ihrer Lebenszeit verbringen. Die Gestaltung der sozialen Seite des schulischen Lebens wird sich aber auch positiv auf das Gelingen der Schülerrolle und die schulischen Erfolge auswirken. Prof. Dr. Karlheinz Thimm Evangelische Hochschule Berlin Teltower Damm 118 - 122 14167 Berlin thimm@eh-berlin.de Literatur Baier, F., 2007: Zu Gast in einem fremden Haus. Bern Enderlein, O., 2008: Ganztagsschule aus Sicht der Kinder. Weniger oder mehr Lebensqualität? Berlin Nachbarschaftsheim Schöneberg e. V./ Nachbarschafts- und Familienzentrum Kiezoase (Hrsg.), 2001: Schulstationen an Ganztagsgrundschulen in gebundener Form als Angebot schulbezogener Jugendhilfe. Unveröffentlichtes Papier. Berlin Schmidtchen, S., 2005: Integrierte Schulsozialarbeit als Subsystem von Schulentwicklung. Göttingen Speck, K., 2006: Qualität und Evaluation in der Schulsozialarbeit. Wiesbaden Thimm, K. (Hrsg.), 2012: Werkbuch Sozialarbeit an Grundschule. Aachen
