unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Zwischen Bewahrung und Veränderung
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Friedrich Busch
Im Folgenden werden die Ergebnisse eines an der Universität Oldenburg angesiedelten international-vergleichenden Forschungsprojektes über die Vorstellungen junger Menschen zu Partnerschaft, Ehe und Familie vorgestellt.
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290 unsere jugend, 65. Jg., S. 290 - 300 (2013) DOI 10.2378/ uj2013.art26d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Zwischen Bewahrung und Veränderung Vorstellungen von Jugendlichen über Ehe, Familie, Partnerschaft Im Folgenden werden die Ergebnisse eines an der Universität Oldenburg angesiedelten international-vergleichenden Forschungsprojektes über die Vorstellungen junger Menschen zu Partnerschaft, Ehe und Familie vorgestellt. von Prof. (em.) Dr. Friedrich W. Busch Jg. 1938; Hochschullehrer für Erziehungswissenschaft mit den Schwerpunkten historische und vergleichende Bildungsforschung sowie Familienwissenschaft, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Hintergründe des Forschungsprojektes Sozialisation, Erziehung und Bildung werden in den modernen Gesellschaften durch ein miteinander verknüpftes System von Institutionen erreicht (Familie, Kindergarten, Kinderhort, Heime, Schule, Beruf, Freunde, Medien etc.). Der Familie kommt eine herausgehobene Bedeutung zu, wenn der junge Mensch soziale und personale Identität erwerben soll, wenn er grundlegende Wertorientierungen und Handlungskompetenzen aufbauen muss, die die Basis für eine gute und erfolgreiche Lebensführung bilden. Alle anderen Institutionen sind ihr bei diesen Aufgaben in ihrer grundlegenden Bedeutung nur ergänzend zugeordnet. Sie können die familialen Erziehungsleistungen nicht wirklich ersetzen. Das hat seine besondere Bedeutung auch in dem Umstand, dass nach wie vor fast alle Menschen in unserer Gesellschaft in einer Familie leben bzw. gelebt haben. Diese Aufgabe scheint allerdings schwieriger zu werden, weil die gesellschaftlichen Verhältnisse komplizierter wurden. Zunehmend fehlen verbindliche Vorgaben über den „richtigen Weg” in der Erziehung der Kinder. Was sich in vielen anderen Bereichen unserer Gesellschaft findet, lässt auch die Erziehung in der Familie nicht unberührt: Es ist dies die Pluralisierung der Lebensentwürfe sowie die Vielfalt zum Teil miteinander konkurrierender normativer Vorstellungen. Diese Pluralisierung führt dazu, dass auch die Familien in den modernen Gesellschaften an Kraft verlieren, den Lebenszusammenhang verbindlich zu organisieren und in der Erziehung so etwas wie festen Boden unter den Füßen zu fühlen. Für die Gesellschaft stellen sich angesichts dieser Veränderungen Fragen, wie diese Familienleistungen von außen unterstützt werden kön- 291 uj 7+8 | 2013 Familien heute nen, unter welchen Bedingungen und in welcher Verfassung die Familie diese Leistungen für den jungen Menschen und für die Gesellschaft erbringen muss und welche Zukunftsaussichten sie dabei hat. Die gegenwärtigen familienwissenschaftlichen Diskussionen sind sich zwar einig darüber, welche historischen Vorläufer die heutige Familie in unserem Kulturraum hatte, wie diese systematisch und funktional entstanden sind und sich verändert haben. Uneinheitlich dagegen ist die Deutung der heutigen Veränderungsindikatoren, die die Rolle, die Strukturen und die Funktionen der Familie in unserer gegenwärtigen Situation betreffen. Diese Interpretationen reichen von der Feststellung, dass sich die „bürgerliche Kernfamilie“ sukzessive auflöst und zur „postmodernen Familie“ verändert (vgl. Nave-Herz 2001) bis hin zur Interpretation derselben Sachverhalte, nach denen es zwar Veränderungsprozesse gibt, das Grundmuster der modernen Kernfamilie aber weitgehend unverändert geblieben ist. Anliegen und Ziele des Projektes Vor dem Hintergrund dieser wissenschaftlichen Kontroversen haben wir in einem an der Universität Oldenburg initiierten Forschungsprojekt untersucht, welche Vorstellungen von Partnerschaft, Ehe und Familie junge Menschen haben bzw. haben könnten. Die Untersuchung wurde bewusst auf eine Altersgruppe - die der 16bis 25-Jährigen - beschränkt. Bei dieser Altersgruppe steht in der überwiegenden Mehrzahl die endgültige Entscheidung noch aus, welcher Entwurf des Zusammenlebens und welches Konzept von Familie praktisch realisiert werden sollen. Fast alle aus dieser Altersgruppe werden über Eigenerfahrungen in der Herkunftsfamilie verfügen. Es kann auch davon ausgegangen werden, dass es in dieser Altersgruppe bereits diffuse oder deutliche Vorstellungen darüber gibt, wie das eigene familiäre Leben gestaltet werden soll, wie bzw. ob Ehe und/ oder Familie überhaupt erstrebenswerte Ziele sind, ob es den Wunsch und die Absicht nach eigenen Kindern gibt, welche Formen der innerfamiliären Interaktion und Arbeitsteilung gewünscht werden und welche Bedeutung und innere Bindung die Herkunftsfamilie hat. Mit unserer Untersuchung verfolgten wir drei Ziele. Das erste bestand darin, nach der Zukunftsfähigkeit der Familie sowie nach den Formen und Modalitäten, die sich junge Menschen für ein gemeinsames Leben wünschen bzw. für sich planen, zu fragen. Damit sollte ein empirischer Beitrag zur Frage geleistet werden, welche Familienvorstellungen sich bei der jungen Generation nachweisen lassen. Über ausgewählte Indikatoren sollte geprüft werden, ob sich in den formalen Strukturvorstellungen von Familie ebenso wie in den internen interaktiven Aspekten dessen, was mit Familie, mit Ehe, mit Kindern und PartnerInnen verbunden wird, etwas Neues finden lässt; neu insofern, als es die noch geltenden normativen Familienorientierungen über die moderne bürgerliche Kernfamilie überschreitet in Richtung postmoderner Lebensentwürfe. Auch wenn mit einer Befragung nur die normative Seite von Familienvorstellungen aufgedeckt werden kann und diese nicht zwingend schon auf ein verändertes Verhalten in den Partnerbeziehungen oder in der Kindererziehung verweisen muss, kann davon ausgegangen werden, dass die heute erhobenen normativen Vorstellungen junger Menschen auf Tendenzen ihres späteren Familienverhaltens verweisen, weil sie bzw. wenn sie die Funktionen von Leitbildern haben. Damit ist ein zweites - eher theoretisches - Ziel angesprochen. Es bestand darin, den Begriff des Familienleitbildes auf seine theoretische und empirische Evidenz zu untersuchen. Dabei sollte geprüft werden, ob das Konstrukt des 292 uj 7+8 | 2013 Familien heute Familienleitbildes geeignet ist, mögliche Veränderungen in den Orientierungen und den Vorstellungen über die inhaltliche Ausgestaltung von Partnerschaften und Ehe bei jungen Menschen zutreffend zu beschreiben und Veränderungsprozesse aufzuweisen. Dieses scheint insbesondere im Kontext der aktuellen gesellschaftlichen Diskussionen um die Auflösung von Familienbeziehungen und verbindlichen Beziehungen im Leben und dem Wissen über den bei jungen Menschen vorhandenen Wunsch nach einer gelungenen dauerhaften Beziehung wichtig zu sein. Methodisch ging es darum, die festgestellten Einstellungen der Jugendlichen zu Ehe, Familie und Kindern gleichsam als familiale Deutungsmuster zu Familienleitbildern zusammenzufassen. Die Zielgruppe der 16bis 25-Jährigen ist als Träger der zukünftigen Familiengenerationen besonders geeignet, sie nach dem Familienleitbild oder den Familienleitbildern der Zukunft zu befragen. Drittes Ziel war, die Familienleitbilder junger Menschen im interkulturellen Vergleich zu untersuchen. Aufgrund der seitens der Universität Oldenburg entwickelten und gepflegten internationalen Beziehungen konnten wir für unser Projekt geeignete KollegInnen aus folgenden Universitäten zur Mitarbeit gewinnen: ➤ aus Polen die Universitäten Thorn und Lublin, ➤ aus Litauen die Universität Klaipeda, ➤ aus Spanien die Universität Madrid und diese in Kooperation mit der Universität Santiago de Chile, in Chile, ➤ aus Südkorea die Universität Seoul. Mit Litauen und Polen konnten zwei postsozialistische Länder gewonnen werden, deren Elterngeneration noch stark unter dem real existierenden Sozialismus als sowjetische Teilrepublik (Litauen) bzw. als Teil des Ostblocks (Republik Polen) sozialisiert worden ist. Hinzu kommt, dass Polen auch als Volksrepublik immer eine stark einwirkende katholische Kirche gehabt hat, während Litauen im Verband der UdSSR ein postsozialistisches Land mit einem deutlich schwächeren Einfluss der Kirche gewesen ist. Mit Spanien wurde ein Land einbezogen, das nach einer langen Phase des Franco- Faschismus demokratisiert worden und rein katholisch ist. (Die Partnerschaft zwischen der Universität Madrid und der Universität Santiago de Chile führte im Verlaufe der Projektrealisierung zur Einbeziehung Chiles in das Projekt.) Südkorea wurde mit seiner starken Orientierung am Konfuzianismus in dieser Untersuchung als Land einbezogen, zu dem aufgrund der konfuzianistischen Tradition vermutlich die stärkste kulturelle Differenz im Vergleich mit den anderen Ländern besteht. Die Beteiligung der fünf (einschließlich Deutschland) bzw. sechs genannten Länder bot die Möglichkeit, den internationalen Vergleich unter drei Aspekten zu differenzieren und nach drei komplexen unabhängigen Variablen zu analysieren: ➤ der Einfluss unterschiedlicher gesellschaftlicher Entwicklungen und Erfahrungen in postsozialistischen und nichtsozialistischen Ländern auf die Familien- und Ehevorstellungen (Familienleitbilder) der jungen Menschen, ➤ der Einfluss des religiös-kirchlichen Kontextes der beteiligten Länder über die Ehe- und Familienvorstellungen (Familienleitbilder) - Spanien, Chile und Polen als katholische Länder, Litauen als protestantisches Land, Deutschland als konfessionell gemischtes und Korea als konfuzianistisches Land, ➤ der Einfluss der Einbindung in den europäischen und in den asiatischen Zusammenhang (Europa versus Südkorea). Ausgangspunkte des Projektes Ausgangspunkt für unser Forschungsprojekt war letztlich die von mir schon Anfang der 1990er Jahre in einem - später veröffentlich- 293 uj 7+8 | 2013 Familien heute ten - Vortrag (vgl. Busch 1999) vertretene These, dass die derzeit heranwachsende Generation - zumindest in Deutschland - ohne orientierende Vorstellungen über das Zusammenleben der Geschlechter in verantworteter Partnerschaft aufwächst; es fehle ihr an Leitbildern für das Zusammenleben. Um den Heranwachsenden eine Orientierung anzubieten, habe ich - unter Auswertung lehramtlicher und kirchenpolitischer Verlautbarungen der beiden großen christlichen Konfessionen - ein Familienleitbild zur Diskussion gestellt, das ich „Familie in christlicher Verantwortung“ nenne. Ich habe es Leitbild und nicht Modell genannt, weil ich ausdrücklich den orientierenden Charakter betonen und herausstellen will, denn Modelle verlangen eigentlich nach einer uneingeschränkten Umsetzung, Leitbilder tragen Angebotscharakter, die einer individuellen Prüfung zugänglich sind. In dem eben erwähnten Vortrag habe ich detaillierter ausgeführt, dass ein für unseren gesellschaftlichen Kontext anerkanntes und im deutschen Sprach- und Kulturraum identifizierbares und konsensfähiges Verständnis von Familie verloren zu gehen scheint. Überspitzt formuliert hatte ich gemeint: Jede Sozialform, die sich Familie nennt, ist Familie oder kann sich als Familie bezeichnen. Im familiensoziologischen Diskurs ist es üblich geworden, eine möglichst weite Definition von Familie zu verwenden. So schlug etwa Nave- Herz vor, mit Familie „das Eltern- oder Mutterbzw. Vater-Kind-System” zu bezeichnen, „gleichgültig ob dieses ein formales oder informales oder überhaupt kein Ehesystem - z. B. im Falle des Alleinerziehens - aufweist” (Nave- Herz 1994, 64) Unter soziologischen Gesichtspunkten mag dieser weite Familienbegriff gerechtfertigt sein, vor allem wenn es das Ziel entsprechender Studien und Untersuchungen ist, den (familialen) Wandel und die Pluralität von (familialen) Lebensformen zu erfassen - unter Verzicht auf Bewertungen. Unter familienpädagogischer, auch aus theologischer und ethischer Perspektive kann m. E. jedoch auf Bewertung(en) nicht verzichtet werden. Wenn es richtig ist, dass menschliches Zusammenleben - wie Luhman es formuliert - nur möglich ist„in einer Lebenswelt, die gemeinsam ausgelegt und verstanden wird, eine erwartbare Ordnung aufweist und hinreichende Anknüpfungspunkte für übereinstimmende Erfahrungen bietet” (zit. n. Busch 1999, 348), dann gehört in den Kontext familienwissenschaftlicher Diskussionen und Forschungen auch die Frage, ob das Gelingen menschlichen Zusammenlebens nicht wesentlich abhängig ist vom Vorhandensein zumindest von Angeboten von Orientierungsgrößen für dieses Zusammenleben. Da ich diese Frage bejahe, habe ich - weiterführend - angeregt, darüber nachzudenken, ob nicht die Gesellschaft, ob nicht unsere Gesellschaft (wieder) Leitbilder für die Familie benötigt, damit sich das Zusammenleben der Menschen daran orientiert. An zwei Fragen sollte sich dieses Nachdenken orientieren: „Braucht die Familie Leitbilder? “ und/ oder „Braucht die Gesellschaft Familienleitbilder? “ (vgl. Busch/ Scholz 2000). Meinen Beitrag zu diesem Nachdenken habe ich mit einem Plädoyer zunächst für die „Beibehaltung eines Leitbildes“ begonnen und ihn dann unter der Überschrift„Familie in christlicher Verantwortung“ entfaltet. Ich kann im Rahmen dieses Beitrages nicht näher auf die Kennzeichnung des Leitbildes „Familie in christlicher Verantwortung“ eingehen (vgl. dazu Busch 1999), zumal Einzelheiten für das im Zentrum meiner Ausführungen stehende Forschungsprojekt nicht von Bedeutung sind. Von Bedeutung ist vielmehr die sich in den Diskussionen zu diesem Leitbild stellende Frage: Wie denken junge Menschen, Heranwachsende im Alter von 16 bis etwa 25 Jahren, deren Lebensentscheidung zum Zusammenleben der Geschlechter noch nicht abschließend getroffen ist, über Ehe, Familie, Partnerschaft? 294 uj 7+8 | 2013 Familien heute Diese und weitere sich im Kontext dieser Frage stellende Sachverhalte haben wir, d. h. mein Kollege und Fachmann für empirische Bildungsforschung Wolf-Dieter Scholz und ich, im Rahmen eines mit Studierenden in mehreren Lehrveranstaltungen entwickelten Fragebogens zu beantworten versucht. Anhand also einer schriftlichen Befragung haben wir sowohl die normativen Orientierungen junger Menschen als auch die eigenen Lebenspläne und Lebenswünsche zum Gegenstand einer empirischen Untersuchung gemacht (vgl. Scholz/ Busch/ Briedis 2006). Diese Untersuchung wurde dann - wie schon erwähnt - zu einem in einem internationalen und interkulturellen Kontext stehenden Vorhaben, da die Familienvorstellungen von Jugendlichen auch in Spanien, Polen, Litauen, Südkorea und Chile - unter Nutzung des von uns entwickelten Fragebogens - untersucht und miteinander verglichen wurden (vgl. dazu Busch/ Scholz 2006). Ausgewählte Forschungsergebnisse Mein nun folgender Auswertungsbericht, der auch auf Textpassagen zurückgreift, die in Kooperation mit Wolf-Dieter Scholz entstanden sind (vgl. Busch/ Scholz 2006, 16ff, sowie Scholz/ Busch 2006, 25ff ), basiert auf einer Befragung von insgesamt fast 9.000 befragten Frauen und Männern (zwischen 16 und 25 Jahren), die sich in unterschiedlicher Weise in einer schulischen Ausbildung befinden bzw. an einer Universität oder Fachhochschule studieren und in den eben genannten Ländern leben. Die 2.080 in Deutschland Befragten besuchten zu 20 % ein Gymnasium (N = 406), 11 % befanden sich in einer beruflichen Ausbildung mit Besuch einer Berufsbildenden Schule (N = 218) oder studierten zu 41 % an einer Universität (N = 874) bzw. zu 28 % an einer Fachhochschule (N = 582). Für die Auswahl unseres Befragtensamples mussten wir uns aus forschungsökonomischen Gründen auf die Regionen konzentrieren, in denen wir und unsere internationalen Projektpartner derzeit leben und arbeiten; in Deutschland war das die Region Weser-Ems. Auch wenn wegen der fehlenden finanziellen Mittel eine im statistischen Sinne repräsentative Auswahl nicht möglich war, gehen wir davon aus, dass die von uns erzielten Befragungsergebnisse typisch sind für die Situation der von allen Projektpartnern erfassten Gruppe von jungen Menschen, die in vergleichbaren Bildungs- und Ausbildungsverhältnissen leben. Die Befragung an den Hochschulstandorten Oldenburg, Osnabrück und Wilhelmshaven wurde übrigens als Online-Befragung durchgeführt; ein erfolgreicher Versuch, der auch anregend sein könnte für vergleichbare empirische Vorhaben - vor allem dann, wenn finanzielle Mittel für herkömmliche Befragungen nicht zur Verfügung stehen. An den beteiligten Schulen wurden die Fragebögen im Rahmen von Class- Room-Interviews ausgefüllt. Beide Verfahren haben sich bewährt, das zeigt sich in der Qualität der ausgefüllten Fragebögen wie auch im großen Interesse der beteiligten Personen und Institutionen an den Ergebnissen der Befragung. In fünf Punkten und einer kurzen Zusammenfassung werde ich die von mir ausgewählten Ergebnisse der Untersuchung aufführen. Es ist nicht überraschend, dass sich die Bandbreite unserer Ergebnisse zwischen Erwartung und Überraschung bewegen. Die Korrelationen unserer Fragen mit dem Geschlecht, dem Alter, der Religiosität und der sozialen Herkunft hat gezeigt, dass vor allem das Geschlecht oberhalb eines hohen Niveaus an allgemeiner Gemeinsamkeit zwischen allen Teilgruppen zu starken Differenzierungen führt. Die Erfahrungen, die normativen Orientierungen und die Lebensentwürfe von Männern und Frauen sind ganz offensichtlich zu abstrahieren von ihrer Geschlechtsrolle. 295 uj 7+8 | 2013 Familien heute Die Bedeutung von Familie und partnerschaftlichen Lebensformen Zu den wichtigsten Ergebnissen des internationalen Vergleichs gehört die Feststellung, dass aus der Perspektive der jungen Menschen Partnerschaftsbindungen und der Wunsch nach einer eigenen Familie einen hohen bis überragenden Wert für die Planung der eigenen Biografie haben. Diese hohe normative Bedeutung von Partnerschaft und Familie findet sich im gesellschaftlichen Kontext einer scheinbaren Krisensituation: In fast allen untersuchten Ländern zeigen sich familienstatistische Trendverläufe mit steigenden Scheidungszahlen, einer Abnahme der Eheschließungszahlen, ein zum Teil gravierender Rückgang der Geburten, bei dem vor allem die wachsende Kinderlosigkeit von akademisch ausgebildeten Frauen und Männern auffällt. Unsere Ergebnisse machen aber sehr deutlich, dass es sich bei diesen Veränderungsprozessen um keine wirkliche Krise der Familie oder der seriösen und sinnstiftenden Partnerschaft handelt. Es zeigt sich vielmehr, dass sich als durchgehender Trend in allen Ländern die traditionellen und vertrauten Formen familialen Lebens als stabil und attraktiv erweisen. Auch in der nächsten Generation scheint es so zu sein, dass die „Zwei-Eltern-Familie“ ebenso wie die „Heirat“ ein hohes Ziel ist. Sie werden durch alternative Familien- und Partnerschaftsformen ergänzt, die allerdings normativ und faktisch eine eindeutige Minderheit bilden. Ähnlich verhält es sich mit dem Verhältnis von ehelichen und nichtehelichen Lebensgemeinschaften. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft findet zwar eine hohe Akzeptanz, aus der Sicht der meisten Jugendlichen ist es durchaus normal, unverheiratet zusammenzuleben. Allerdings planen sie für sich selbst die nichteheliche Partnerschaft nur als transitorischen Lebensabschnitt, der für fast alle in eine Ehe einmündet - in der Regel dann, wenn Kinder da sind. Bei dieser generellen Einstellung über Partnerschaft und Familie gibt es aber auch länderspezifische Unterschiede. So wird in Spanien die Privatheit der Entscheidung über die Lebensform noch ausgeprägter als in den anderen Ländern betont. Verlangt wird der Grundsatz der Nichteinmischung in das Leben anderer; das gilt für die Öffentlichkeit ebenso wie für die Politik. Bei der Entscheidung für ein Zusammenleben als Paar spielt für die spanischen Jugendlichen neben dem romantischen Aspekt der Liebe auch die eher instrumentelle Seite der Sicherheit durch bzw. in der Partnerschaft eine wichtige Rolle. Auch in Polen akzeptiert die große Mehrheit der Jugendlichen Familienformen, die vom Modell der bürgerlichen Kernfamilie abweichen. Allerdings werden sie eher als Notlösungen, als Ergebnis sozioökonomischer Zwänge gesehen und nicht als erstrebenswerte Lebensziele. Es dominiert hier eindeutig der Wunsch nach einer Familienform, deren Grundlage die Ehe zwischen zwei Personen unterschiedlichen Geschlechts und Kinder sind. Insgesamt zeigen die polnischen Jugendlichen eine traditionsbewusste Einstellung zu Ehe und Familie, wenngleich dieser Traditionalismus eingebettet ist in eine relativ große Toleranz gegenüber anderen Familienformen. Wie in Polen zählt auch in Litauen der Wunsch nach einer eigenen Familie zu den Lebenszielen mit sehr hoher Priorität. Dabei dominiert ebenfalls das Modell der „vollständigen“ Kern- oder Kleinfamilie - mit verheirateten Eltern (Mann und Frau) und mit Kindern. Trotz dieser hohen Wertschätzung der Ehe zwischen Mann und Frau erweisen sich die litauischen Jugendlichen als offen und tolerant für nichteheliche Lebensformen. Diese werden aber vor allem als „Probe-Ehen“ gesehen, die vor allem wenn Kinder da sind, in eine Heirat einmünden sollen. Die Ehe wird vor allem emotional mit Liebe, Zuneigung, Respekt, Toleranz und Treue verbunden. Tragendes Fundament für die Beständigkeit der Beziehungen ist dabei die Liebe der PartnerInnen zueinander. Trotz der hohen 296 uj 7+8 | 2013 Familien heute Wertschätzung der Ehe wird von der Mehrheit der Befragten die Scheidung akzeptiert. Sie wird aber nur als ultima ratio gesehen, wenn es um schwerwiegende Konflikte geht, die von den betroffenen Partnern nicht zu lösen sind. Das gleiche Grundmuster zeigt sich auch außerhalb der untersuchten europäischen Länder in Südkorea und Chile. In Chile haben die befragten Jugendlichen eindeutige Präferenzen für das klassische Familienmodell mit verheirateten Eltern mit Kindern. Gleichwohl werden auch andere Formen des Zusammenlebens akzeptiert. Das gilt z. B. für nichteheliche Lebensgemeinschaften, die allerdings in erster Linie als Probephase gesehen werden und in eine Ehe einmünden sollten. Scheidung wird ebenfalls als ultima ratio akzeptiert. Wichtigste Voraussetzung für eine gute Ehe ist die Liebe beider PartnerInnen zueinander. Die Familienorientierungen der südkoreanischen Jugendlichen bewegen sich zwischen Traditionsbewahrung und Pluralität. Einerseits hat die traditionelle Familienkonstellation eine hohe normative Bedeutung, andererseits zeigen sich deutliche Tendenzen einer toleranten und pluralen Haltung gegenüber anderen Formen des Zusammenlebens. So wird das unverheiratete Zusammenleben ebenso von zahlreichen jungen Menschen anerkannt wie die Scheidung im Falle unlösbarer Konflikte in der Beziehung. Die Bedeutung von Kindern Kinder haben bei den befragten Jugendlichen aller beteiligten Länder eine hohe Wertschätzung, sie sind ein sehr erstrebenswertes Ziel in der eigenen Lebensplanung. Kinder bereichern das Leben und geben ihm einen tieferen Sinn, wenngleich sie für die Mehrheit nicht die Bedingung für ein glückliches Leben sind. Die Anforderungen, die aus der Sicht der Befragten an die Eltern gestellt werden, sind hoch: Kinder brauchen eine harmonische Beziehung, und die Eltern sind auf gesicherte materielle Lebensbedingungen mehr oder weniger angewiesen. Die hohen Ansprüche an die Elternrolle ebenso wie an die Erziehungsziele werden von vielen als ambivalent empfunden. Sie führen auch zur Angst vor Überforderung und können sich in Verbindung mit allgemeinen pessimistischen Zukunftserwartungen und der vor allem von den Frauen erwarteten Schwierigkeit, den Kinderwunsch mit den beruflichen Ambitionen zu verbinden, restriktiv auf die konkrete Entscheidung für bzw. gegen Kinder auswirken. Es scheint so zu sein, dass sich in den beteiligten Ländern der demografische Trend der letzten Jahre in den Zukunftsprojektionen der jungen Menschen fortsetzt und stabilisiert. Durchschnittlich werden zwei Kinder angestrebt. In allen an unserer Untersuchung beteiligten Ländern würde damit langfristig die Reproduktion der Bevölkerung nicht erreicht werden. Rollenerwartungen der Geschlechter in Partnerschaften Die Mehrheit der befragten jugendlichen Männer und Frauen zeigt ein deutliches Interesse an partnerschaftlich-egalitären Beziehungen. In den beiden außereuropäischen Ländern Südkorea und Chile ist das allerdings deutlich schwächer ausgeprägt. Es scheint so, dass die traditionelle patriarchalische Vorstellung von der Rolle des Mannes und der Frau in Partnerschaften in diesen beiden Ländern deutlich ausgeprägter ist als in den europäischen Ländern. So scheint die Vorstellung, dass in erster Linie die Frauen für den Haushalt, die Männer dagegen für die Sicherstellung des Familieneinkommens zuständig sind, weitgehend Normalitätscharakter zu haben. Es ist allerdings zu erwarten, dass sich im Zuge einer weiteren Annäherung der normativen Familien- und Ge- 297 uj 7+8 | 2013 Familien heute schlechtsrollenorientierungen hier Veränderungen ergeben werden bzw. dass im Prozess einer weiteren Liberalisierung und Pluralisierung in den jungen Familien bzw. Partnerschaften in den Ländern Chile und Südkorea Konfliktpotenzial steckt, weil bzw. wenn sich die jungen, gut ausgebildeten Frauen der Tradierung der traditionellen Geschlechterrollenerwartung widersetzen. Diese Vermutung liegt nahe, weil in unserer international vergleichenden Betrachtung die Gemeinsamkeiten der jungen Menschen aus Südkorea und Chile mit denen ihrer Altersgruppe aus den anderen beteiligten Ländern sehr viel größer sind als die Differenzen. Offenkundig ist aber, dass in diesen beiden Ländern die kulturelle Tradition in den klassischen Familienkonstellationen und den Familienorientierungen stärker ausgeprägt ist als in den europäischen Ländern. Es darf aber nicht übersehen werden, dass auch in Polen und Deutschland sowie in Spanien und Litauen die insgesamt stark ausgebildete Präferenz für egalitäre Partnerschaftsformen vor allem auf der Ebene grundsätzlicher Haltungen gilt. Immer dann, wenn es um Konkretisierung sowohl der Arbeitsteilung in der Familie wie auch des Verhältnisses von beruflichen Ansprüchen und familiären Verpflichtungen geht, gibt es Verschiebungen in Richtung traditioneller Vorstellungen, findet sich ein gewisser Rückfall in geschlechtsstereotype Rolleninterpretationen vor allem bei den Männern; dieses alles allerdings auf einem auch dann noch relativ hohen Sockel partnerschaftlich-gleichberechtigter Einstellungen bei Frauen und Männern. Die Herkunftsfamilie als Vorbild für die eigene Lebensplanung Die familiensoziologischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte haben in allen untersuchten Ländern die hohe soziale und emotionale Bedeutung der Herkunftsfamilie nicht eingeschränkt. Ihre insgesamt sehr positive Bewertung drückt sich auch darin aus, dass sie den meisten jungen Männern und Frauen als Vorbild für die eigene Lebensplanung dient. Die hohe Wertschätzung der Herkunftsfamilie scheint weniger ein Ausdruck starker normativer Steuerung und Kontrolle durch gesellschaftliche Vorgaben und Verpflichtungen zu sein - das könnte am ehesten noch von Südkorea erwartet werden -, sie scheint vielmehr den überwiegend positiven Erfahrungen der jungen Menschen zu entspringen. Angesichts des Durchschnittsalters der Befragten kann bei den meisten von einer relativen zeitlichen Nähe dieser Erfahrungen ausgegangen werden. Damit ist auch die Wahrscheinlichkeit eher gering, dass es sich bei diesen Einschätzungen um rückwärts gerichtete Verklärungen zurückliegender eigener Lebenserfahrungen handelt. Es zeigt sich aber auch, dass die positive Einschätzung des Elternhauses sehr stark mit der positiven Einschätzung der Beziehungen der Eltern zueinander zusammenhängt: Wenn diese Beziehung als harmonisch und geglückt gesehen wird, werden auch die Beziehungen zu den Eltern positiv gesehen, wächst deren Bedeutung als Referenzmodell für die eigene Familiengestaltung. Und noch etwas ist bemerkenswert. Es ist vor allem die Mutter, zu denen die befragten Jugendlichen ein sehr positives und vertrauensvolles Verhältnis haben. Das gilt für die Mehrheit der männlichen Befragten ebenso wie für die weiblichen. Für alle Länder unserer Befragung ist - von Unterschieden im Detail und in der Stärke der einzelnen Ausprägungen abgesehen - ein bemerkenswertes übergreifendes Muster festzustellen: Die jungen Männer und Frauen zeigen in ihrer Mehrheit ein hohes Maß an eher traditioneller prospektiver und retrospektiver Familienorientierung. Für das zukünftige Leben ist die Gründung einer Familie unter der Konstel- 298 uj 7+8 | 2013 Familien heute lation verheirateter Eltern mit Kind(ern) ein hohes Lebensziel; zurückblickend wird die Herkunftsfamilie so positiv gesehen, dass sie als Modell, besser wohl - mit Blick auf meine Ausgangsthese - als Leitbild für die eigene Lebensplanung als geeignet erscheint. Lösung von Konfliktsituationen in der Partnerschaft/ Familie Es gehört zu den interessanten Ergebnissen unserer Untersuchung, dass in allen Ländern die jungen Menschen zwar einerseits ein hohes Maß an Traditionsorientierung in ihren eigenen Partnerschafts- und Familienvorstellungen zeigen, andererseits aber gelassen und offen mit gesellschaftlichen Problemfeldern umgehen. Dazu gehören die Frage nach der Pluralität der Familienformen, die Frage nach dem Verhältnis von ehelichen und nichtehelichen Lebensgemeinschaften, Fragen der Scheidung von Ehen, zur Abtreibung im Falle einer ungewollten Schwangerschaft und der Gleichstellung von heterosexuellen und homosexuellen Paaren in Partnerschaften bzw. bei der Gründung einer Familie durch die Adoption von Kindern. Ich bin bereits darauf eingegangen, dass es bei der Mehrheit der Befragten in allen Ländern eine klare Präferenz für die Ehe gibt, die nichteheliche Lebensgemeinschaft aber eine große Akzeptanz hat, als Vorphase zur Heirat gesehen wird - vor allem, wenn Kinder da sind. Der Wunsch nach einer partnerschaftlichen Bindung ist ungleich größer als die Bedeutung einer bestimmten Form der Partnerschaft. Allerdings gibt es bei aller Toleranz und Akzeptanz gegenüber den nichtehelichen Partnerschaften auch gewisse Vorbehalte bzw. Einschränkungen. Ihre rechtliche Gleichstellung mit der Ehe wird von vielen abgelehnt. Für sie ist die Ehe letztlich doch das schützenswertere Gut. Die zumindest graduelle Abstufung in der Wertschätzung zeigt sich auch bei der Frage nach der Zulässigkeit und normativen Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Lebensformen. Mit Ausnahme von Polen akzeptiert die Mehrheit der befragten Jugendlichen in allen Ländern sie als eine familiale Lebensform unter anderen, sie sprechen sich auch dafür aus, dass gleichgeschlechtliche Paare Kinder adoptieren und aufziehen dürfen. Sie sind aber sehr viel zurückhaltender, wenn es um die rechtliche Gleichstellung mit den heterosexuellen Familien bzw. Partnerschaften/ Ehen geht. Dies ist angesichts der aktuellen Diskussionen in Deutschland um nichteheliche und gleichgeschlechtliche Partnerschaften durchaus bemerkenswert. Unsere Ergebnisse sind ein deutlicher Indikator dafür, dass es auf der Ebene grundsätzlicher normativer Orientierungen zu Familie und Partnerschaften in den von uns untersuchten Ländern keine eindeutige Dominanz von Vorstellungen über die Familie oder die legitime Partnerschaft mehr gibt. Was die Pluralität der Familienvorstellungen betrifft, könnte auch kritisch gesagt werden, dass die jungen Menschen explizit überhaupt keinen Familienbegriff haben, (fast) jede Form des Zusammenlebens von mindestens zwei Menschen fällt unter ihren Familienbegriff, während implizit das klassische Modell der bürgerlichen Kern- oder Kleinfamilie auch in diesen Altersgruppen stark nachwirkt. Wie sehr die von uns befragten jungen Menschen zwischen Bewahrung und Veränderung denken, zeigt sich auch bei den beiden gesellschaftlich umstrittenen Themen der Scheidung und der Abtreibung im Falle einer ungewollten Schwangerschaft. Bei aller hohen Wertschätzung fester und ernsthafter Bindungen und der großen Bedeutung, die Kinder als sinnstiftender Lebensinhalt haben, gibt es eine durchweg pragmatische und realistische Haltung, wenn es um die Auflösung der Ehe bzw. den Abbruch einer Schwangerschaft geht. 299 uj 7+8 | 2013 Familien heute Die große Mehrheit in allen Ländern - das gilt auch für die katholischen Länder Polen, Spanien und Chile - sieht in der Ehescheidung einen legitimen Ausweg aus einer Konfliktsituation, die mit anderen Mitteln nicht zu lösen ist. Die Ehe wird von fast allen als eine lösbare Verbindung zwischen zwei Menschen gesehen. Dabei geht es aber nicht um eine Beliebigkeit des Anlasses für eine Scheidung. Es müssen schwerwiegende Gründe dafür vorliegen, zu denen Gewalt ebenso zählt wie das Verlöschen der Liebe. Das alles verweist darauf, dass sich die Ansprüche an die Ehe insgesamt verstärkt haben. Hohe Erwartungen vor allem im emotional-seelischen Bereich können angesichts der Lebensrealität im Ehealltag leicht enttäuscht werden. Eine Folge davon kann sein, dass konfliktbetonte Partnerbeziehungen in der Ehe „heute wegen des hohen emotionalen Wertes der Ehe schlechter ‚ertragen’ (werden) als früher; man löst sie deshalb leichter“ (Nave- Herz 2002, 380). Nur für die kleine Gruppe derer, die sich selbst als stark religiös einordnen, gilt das so nicht; die meisten von ihnen sind grundsätzlich gegen eine Scheidung. Ähnlich wird auch die Abtreibung eingeschätzt. Mit Ausnahme der stark Religiösen wird sie von der Mehrheit der Befragten im Falle einer besonderen Notsituation als ultima ratio akzeptiert. Zusammenfassung 1. Seit Jahren ist die Familie ins Gerede gekommen. In der Politik, der Wissenschaft und in der Öffentlichkeit wird kontrovers darüber diskutiert, ob sie als Lebensform in unserer Gesellschaft eine Zukunft hat, ob sie seit den 1960er Jahren - dem „Golden Age of Marriage“ (Nave- Herz) - durch strukturelle und gravierende Veränderungen und einem wachsenden Akzeptanzverlust gar schrittweise zum Auslaufmodell wird oder trotz aller feststellbaren Veränderungen in einer postmodernen Gesellschaft gleichsam den Charakter eines normativen Ankers behält, der zumindest als wünschbarer Lebensentwurf Halt und Orientierung vermittelt. 2. Der internationale Vergleich zeigt bei den meisten Fragen bzw. ihren Antworten darauf sehr viel mehr Gemeinsamkeiten als Differenzen: Es dominieren eher liberal-offene als konservativ-geschlossene Muster. Das ist angesichts der breiten Streuung der in die Untersuchung einbezogenen Länder nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Es ist aber ein empirisch gehaltvoller Indikator für unsere Vermutung, dass sich im Zuge der ökonomischen und technischen Globalisierung auch auf der Ebene normativer Orientierungen Globalisierungseffekte nachweisen lassen. Auch wenn wir in den postsozialistischen Ländern Polen und Litauen eine stärkere Orientierung der jungen Menschen an eher konservativen Familienwerten finden, sind auch hier moderne liberale und tolerante Vorstellungen über die Freiheit der Individuen bei der Wahl ihrer Lebensformen mehrheitsfähig, zeigen sich die Jugendlichen in Polen und Litauen nicht verschlossen gegenüber anderen Formen des partnerschaftlichen oder familiären Lebens. Am Beispiel Polens wird zudem deutlich, dass der im Vergleich stärkere familiale Traditionalismus nicht primär auf den Einfluss der katholischen Kirche zurückzuführen ist, sondern wie in Litauen wohl eher als ein Nachwirken des sozialistischen Konservatismus bis zur Auflösung dieser Gesellschafts- und Staatsverfassung zu interpretieren ist. Sonst wäre es nicht zu erklären, dass im ebenfalls katholischen Spanien (und mit Einschränkungen im katholischen Chile) das Ausmaß an Individualisierung der Lebensplanung bei den jungen Menschen ebenso wie bei ihren Eltern besonders stark ausgeprägt ist und die Partnerschafts- und Familienorientierungen liberaler und toleranter sind als in den anderen Ländern. Südkorea nimmt in unserer Untersuchung durch seine gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen eine besondere Rolle 300 uj 7+8 | 2013 Familien heute ein. Hier bekommt die insgesamt moderne Familien- und Partnerschaftsorientierung der jungen KoreanerInnen ein besonderes Gewicht dadurch, dass in der asiatischen Kultur kollektivistische Werthaltungen ausgeprägter sind als in den westlichen europäischen Ländern und in der Vergangenheit die normative Integration der Gesellschaft wesentlich über Tradition und familiale Bindungen verlaufen ist. 3. Ob nun die empirisch ermittelten länder- und kulturübergreifenden globalen normativen Familien- und Partnervorstellungen insgesamt auf die Altersgruppe der befragten jungen Menschen generalisiert werden können, muss wegen der Auswahlkriterien für die Stichproben und Samples offen bleiben. Ich gehe aber davon aus, dass die Untersuchung zu empirisch gehaltvollen Aussagen gekommen ist, die zumindest typisch sind für junge Menschen aus hochentwickelten Ländern, die sich in akademischen und nicht-akademischen Ausbildungsverhältnissen befinden. Die Ergebnisse der Untersuchung können in ihrer Tendenz als ein eindeutiges Bekenntnis zur Familie interpretiert werden. Sie bestätigen damit auch Ergebnisse anderer Untersuchungen, die die normative Verankerung und hohe Wertschätzung dieser Lebensform feststellen. Prof. Dr. Friedrich W. Busch Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Institut für Pädagogik Postfach 2503 26111 Oldenburg friedrich.busch@uni-oldenburg.de Literatur Busch, F. W., 1999: Plädoyer für die Beibehaltung eines Leitbildes. Familie in christlicher Verantwortung. In: Busch, F. W./ Nauck, B./ Nave-Herz, R. (Hrsg.): Aktuelle Forschungsfelder der Familienwissenschaft. Schriftenreihe Familie und Gesellschaft Bd. 1. Würzburg, S. 231 - 259 Busch, F. W./ Scholz. W.-D., 2000: Brauchen Familien Leitbilder? Oldenburger Universitätsreden 125. Oldenburg Busch, F. W./ Scholz, W.-D. (Hrsg.), 2006: Familienvorstellungen zwischen Fortschrittlichkeit und Beharrung. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung von Ehe- und Familienvorstellungen Jugendlicher im internationalen Vergleich. Schriftenreihe Familie und Gesellschaft Bd. 19. Würzburg Busch, F. W./ Scholz, W.-D., 2006: Einleitung. In: Busch, F. W./ Scholz, W.-D. (Hrsg.), a. a. O., S. 13 - 24 Nave-Herz, R., 1994: Familie heute. Wandel der Familienstrukturen und Folgen für die Erziehung. Darmstadt Nave-Herz, R., 2001: Gibt es die postmoderne Familie? In: Hoeltje, B./ Jansen-Schulz, B./ Liebsch, K. (Hrsg.): Stationen des Wandels: Rückblicke und Fragestellungen zu dreißig Jahren Bildungs- und Geschlechterforschung. Hamburg, S. 169 - 180 Nave-Herz, R., 2002: Von einem Bedeutungsverlust von Ehe und Familie kann nicht die Rede sein. In: Krüsselberg, H. G./ Reichmann, H. (Hrsg.): Vom Wert der Familie für Wirtschaft, Staat und Gesellschaft. Grafschaft, S. 379 - 381 Scholz, W.-D./ Busch, F. W., 2006: Familienvorstellungen Jugendlicher in Deutschland. In: Busch, F. W./ Scholz, W.-D. (Hrsg.), a. a. 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