unsere jugend
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2013.art34d
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Auf die (Kita-)Plätze - fertig - los!
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Eva Strunz
Eineinhalb Jahre vor Inkrafttreten des Rechtsanspruches auf einen Betreuungsplatz (ab dem 1. 8. 2013) für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr wurden 27,6 % der unter 3-Jährigen außerfamilial betreut. Der anhand von Elternbefragungen ermittelte Betreuungsbedarf lag 2012 jedoch bundesweit bei 39,4 %.
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360 unsere jugend, 65. Jg., S. 360 - 371 (2013) DOI 10.2378/ uj2013.art34d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Auf die (Kita-)Plätze - fertig - los! Betreuungsplätze und Betreuungsbedarfe für unter 3-jährige Kinder in Deutschland Eineinhalb Jahre vor Inkrafttreten des Rechtsanspruches auf einen Betreuungsplatz (ab dem 1. 8. 2013) für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr wurden 27,6 % der unter 3-Jährigen außerfamilial betreut. Der anhand von Elternbefragungen ermittelte Betreuungsbedarf lag 2012 jedoch bundesweit bei 39,4 %. von Eva Strunz Jg. 1985; Soziologin; wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik im Forschungsverbund Deutsches Jugendinstitut/ TU Dortmund; Schwerpunkt: Kindertagesbetreuung Diese Differenz ergibt eine noch zu schaffende Anzahl an Betreuungsplätzen von knapp 220.000 von März 2012 bis August 2013. Die Betreuungssituation und der -bedarf stellen sich allerdings regional sehr heterogen dar und bedürfen einer differenzierten Betrachtung. Ferner gibt es von vereinzelten Ländern erste Hinweise darauf, dass nach dem 1. 3. 2012 noch eine Vielzahl an Betreuungsplätzen geschaffen werden konnte. Für 3bis unter 6-jährige Kinder gehört der Besuch einer Tageseinrichtung oder einer Tagespflege spätestens seit der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab drei Jahren im Jahr 1996 zur Normalbiografie. 1994, also vor der Einführung des Rechtsanspruches, lag die Inanspruchnahmequote von Kindertageseinrichtungen von Kindern im Alter von drei Jahren bis zum Schuleintritt in Westdeutschland noch bei 72,6 % und in Ostdeutschland (inklusive Berlin-Ost) sogar bei 91,7 % (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 230). Zum 1. 3. 2012 wurden bundesweit 92,8 % dieser Altersgruppe in einer Kindertageseinrichtung betreut (Westdeutschland: 92,3 %, Ostdeutschland [inklusive Berlin]: 94,9 %). Für 3bis unter 6-jährige Kinder existiert somit derweil eine breite Akzeptanz der außerfamilialen elementaren Betreuung. Demgegenüber haben Bedeutung und Nachfrage nach institutioneller Betreuung von unter 3-jährigen Kindern erst in den vergangenen Jahren aufgrund bestimmter gesellschaftlicher Entwicklungen beachtlich zugenommen - insbesondere in den alten Bundesländern. Zu diesen Entwicklungen zählen unter anderem der Wandel der Arbeitswelt hin zu mehr Flexibilität und Mobilität, Veränderungen in den Erwerbsvorstellungen von Frauen und in den Familienkonstellationen, die Entdeckung der Relevanz des Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsauftrags von Betreuungseinrichtungen für Kleinkinder oder neue Befunde über frühkindliche Lernprozesse. 361 uj 9 | 2013 Der Bedarf an Betreuungsplätzen Mit dem Ende 2008 in Kraft getretenen Kinderförderungsgesetz (KiföG) wurde seitens der Familienpolitik auf die genannten Veränderungen reagiert. Dies war das Ergebnis des von Bund, Ländern und Kommunen veranstalteten „Krippengipfels“ im Jahr 2007, mit dem vereinbarten Ziel, zum 1. 8. 2013 bundesweit einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr einzuführen. Als Handlungsorientierung diente dabei der im Rahmen der DJI-Kinderbetreuungsstudie aus dem Jahr 2005 durch Elternbefragungen ermittelte bundesweite Betreuungsbedarf von 35,7 % (Bien/ Riedel 2006, 273): Demnach sollte für mindestens jedes dritte Kind unter drei Jahren ein bedarfsgerechtes Betreuungsangebot zur Verfügung stehen. Dies entsprach einer benötigten Anzahl an Plätzen von 750.000 zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der SGB VIII-Änderung. Seit dem Krippengipfel hat sich viel in der Angebots- und Nachfragestruktur der Tagesbetreuung getan. So ergaben aktuelle Befragungen unter Eltern seitens des Deutschen Jugendinstitutes, dass der bundesweite Betreuungsbedarf auf 39,4 % gestiegen ist (DJI-Länderstudie 2012) und demnach mehr Betreuungsplätze als ursprünglich geplant zur Verfügung stehen müssen: Die Anzahl der benötigten Plätze stieg um 30.000 auf 780.000 Plätze. Da zum 1. 3. 2012 bundesweit 558.208 unter 3-jährige Kinder in einer Kindertageseinrichtung oder von einer Tagespflegeperson betreut wurden, fehlen von dem Zeitpunkt der amtlichen Erhebung bis zum 1. 8. 2013 noch rund 220.000 Plätze. Im Fokus der öffentlichen und politischen Debatte steht stets die Frage, ob die von den Eltern unter 3-jähriger Kinder geäußerten Betreuungswünsche und die Anzahl der zur Verfügung stehenden Betreuungsplätze vor Ort übereinstimmen. Eine Annäherung an die Beantwortung dieser Frage erfolgt in diesem Beitrag. Dazu werden zunächst die aktuelle Betreuungssituation und der Stand des Ausbaus, vorrangig differenziert nach Bundesländern, dargestellt, bevor anschließend auf die Betreuungsbedarfe und die daraus resultierende noch zu schaffende Anzahl an Betreuungsplätzen eingegangen wird. Es werden ebenso der Personalbedarf und die Personaldeckung für den verbleibenden U3-Ausbau thematisiert. Die Datengrundlage bilden die zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses aktuellsten amtlichen Erhebungen des Statistischen Bundesamtes zur Kindertagesbetreuung zum 1. 3. 2012 und die vom Deutschen Jugendinstitut durchgeführte Elternbefragung zu deren Betreuungswünschen auf Länderebene (DJI-Länderstudie 2012). Dabei ist stets zu beachten, dass die Ist-Zahlen vom März 2012 stammen. Die nach diesem Zeitpunkt in dem laufenden Kita-Jahr 2012/ 2013 zusätzlich geschaffenen Kapazitäten sind in diesen Daten noch nicht enthalten. Stand und Dynamik des bundesweiten Ausbaus am 1. März 2012 Von den insgesamt 558.208 betreuten unter 3-Jährigen wurden 472.176 Kinder in einer Tageseinrichtung und 86.032 Kinder von einer Tagespflegeperson betreut. Dies entspricht bezogen auf die altersgleiche Bevölkerung einer Inanspruchnahmequote von insgesamt 27,6 %, also 23,4 % in Tageseinrichtungen und 4,3 % in Tagespflege (Abweichungen zur Gesamtquote ergeben sich rundungsbedingt). In den vorgenommenen Auswertungen werden Kinder, die beide Betreuungsformen besuchen, nicht doppelt gezählt. Verglichen mit 2011 ist die Inanspruchnahmequote um 2,4 Prozentpunkte gestiegen (vgl. Abb. 1). 2006 betrug die Inanspruchnahmequote noch 13,6 %. Von allen betreuten Kindern unter drei Jahren nahmen 2012 15,4 % das Angebot der Tagespflege in Anspruch, 2006 waren es hingegen nur 8,0 %. Wird der Blick auf die Entwicklung der betreuten Kinder in absoluten Zahlen von 2006 bis 2012 gerichtet, so zeigt sich, dass zwischen 2006 und 2010 die Anzahl an betreuten Kindern jährlich gestiegen ist, von 2006 zu 2007 362 uj 9 | 2013 Der Bedarf an Betreuungsplätzen um 34.200 Kinder (+12,0 %) und von 2009 zu 2010 um 57.000 Kinder (+13,7 %). Nach diesen Jahren belief sich der Zuwachs von 2010 zu 2011 (+9,4 %) sowie von 2011 zu 2012 (+8,5 %) auf jeweils ca. 44.000 Kinder und fiel somit etwas geringer aus als in den Vorjahren. Ein Grund für diese Entwicklung könnte darin gesehen werden, dass nach der Einführung des KiföGs zunächst Zuwächse durch die Umwandlung von Plätzen für Kinder im Alter ab drei Jahren erfolgten und in der jüngsten Zeit neue Plätze eher aufgrund von Neu- und Umbauten von Tageseinrichtungen geschaffen wurden (BMFSFJ 2013 a, 6). Differenzierung nach Altersjahren Eine altersspezifische Betrachtung der Inanspruchnahmequoten ist notwendig, da die Bedarfe je nach Alter des Kindes unterschiedlich sind. Zudem besteht in einigen Ländern derzeit schon bereits ab den früheren Kindesjahren ein Rechtsanspruch (Sachsen-Anhalt ab der Geburt, Thüringen ab einem Altersjahr, Rheinland- Pfalz seit 08/ 2010 und Hamburg seit 08/ 2012 ab zwei Altersjahren). 2012 wurden bundesweit nur 2,8 % der unter 1-Jährigen außerfamilial betreut, wohingegen sich dieser Anteil bei den 1-Jährigen auf 28,4 % und bei den 2-Jährigen auf 51,1 % belief. Seit 2006 ist insbesondere ein Anstieg der Inanspruchnahmequote der 2-Jährigen zu verzeichnen (+24,6 Prozentpunkte), bei den 1-Jährigen besteht ein Zuwachs um 16,9 Prozentpunkte. Auf einem konstant niedrigen Niveau hingegen befindet sich die Inanspruchnahmequote der unter 1-Jährigen Abb. 1: Veränderung der Inanspruchnahmequoten unter 3-Jähriger zwischen 2006 und 2012 auf Ebene der Bundesländer (Inanspruchnahmequote bezogen auf 100 gleichaltrige Kinder in der Bevölkerung; Zuwächse in Prozentpunkten). Quelle: Statistisches Bundesamt: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe - Kinder und tätige Personen in Tageseinrichtungen und öffentlich geförderter Tagespflege; versch. Jahrgänge; eigene Berechnungen 363 uj 9 | 2013 Der Bedarf an Betreuungsplätzen (2006: 2,3 %). Diese niedrige Nachfrage mag damit zusammenhängen, dass die meisten Eltern nach der Geburt eine intensive Zeit mit dem Kind verbringen möchten, und dies noch durch die Auszahlung des Elterngeldes unterstützt wird. Differenzen zwischen Ost- und Westdeutschland Hinlänglich ist bekannt, dass aufgrund von unterschiedlichen historischen Entwicklungen und landesspezifischen gesetzlichen Rahmenbedingungen Differenzen zwischen Ost- und Westdeutschland bezüglich der Betreuungssituation von Kindern existieren, dies trotz der Ausbaubemühungen in Westdeutschland in den vergangenen Jahren. In Ostdeutschland (stets mit Berlin) wurden 2012 49,0 % der unter 3-Jährigen in einer Kindertageseinrichtung oder in der Kindertagespflege betreut, in Westdeutschland hingegen waren es nur 22,3 % und somit nur ungefähr halb so viele Kleinkinder. Seit 2006 haben sich jedoch die west- und ostdeutschen Verhältnisse angenähert: 2006 wurden in Ostdeutschland 39,3 % der Kleinkinder außerfamilial betreut, in Westdeutschland waren es 7,9 %. Im Unterschied zu Ostdeutschland spielt die Tagespflege in Westdeutschland bei den unter 3-Jährigen eine bedeutendere Rolle: 2012 waren 18,1 % aller betreuten westdeutschen Kleinkinder bei einer Tagespflegeperson (2006: 15,2 %), in Ostdeutschland waren es 10,4 % (2006: 8,1 %). Auch bei einer Differenzierung nach Altersjahren ergeben sich markante Unterschiede zwischen den zwei Bundesgebieten: In Ostdeutschland besuchten 59,4 % der 1-Jährigen und 82,5 % der 2-Jährigen eine Betreuungsinstitution, in Westdeutschland waren es 20,7 % bzw. 43,3 %. Demnach ist bereits die Inanspruchnahmequote der 1-Jährigen in Ostdeutschland höher als die Quote der 2-Jährigen in Westdeutschland. Bei den unter 1-Jährigen gibt es kaum eine Differenz (Ost: 4,7 % und West: 2,3 %). Bezogen auf die Entwicklung der Anzahl betreuter Kinder von 2006 bis 2012 ergab sich in Westdeutschland eine Steigerung um 164 %, also von ca. 137.000 auf 361.000 Kinder. Insbesondere die Anzahl der Kinder in der Tagespflege konnte erweitert werden (+224 %). In Ostdeutschland erfolgte ein Anstieg von ca. 149.000 auf 197.000 insgesamt betreuter Kinder (+32 %). Differenzen zwischen den Bundesländern Selbst innerhalb von Ost- und Westdeutschland, also zwischen den einzelnen Ländern, bleibt eine breite Spannweite bei den Inanspruchnahmequoten bestehen (vgl. Abb. 1): So streuten die Quoten in Ostdeutschland von 46,4 % (Sachsen) bis zu 57,5 % (Sachsen-Anhalt), in Westdeutschland hingegen wurden Quoten von 18,1 % (Nordrhein-Westfalen) bis zu 27,0 % (Rheinland-Pfalz) erreicht. In den Stadtstaaten wurden 42,6 % (Berlin), 35,8 % (Hamburg) und 21,2 % (Bremen) der unter 3-Jährigen institutionell betreut. Allerdings war die Differenz zwischen der höchsten und der geringsten Inanspruchnahmequote in den ostdeutschen Flächenländern (Differenz von 11,1 Prozentpunkten) größer als in den westdeutschen Flächenländern (Differenz von 8,9 Prozentpunkten). Nicht unwichtig bei der Analyse dieser Ausbaudynamiken ist die Betrachtung der landesspezifischen demografischen Entwicklung der unter 3-Jährigen: So wurden beispielsweise in Berlin 2011 ca. 3 % mehr Kinder geboren als 2008, wohingegen in Niedersachsen ein Geburtenrückgang um ca. 5 % stattgefunden hat (BMFSFJ 2013 a, 7). In den westdeutschen Ländern wurden die Angebote seit 2006 erheblich ausgeweitet. Die Zuwächse der Anzahl betreuter Kinder reichen von 50 % bis zu 292 %. Sehr hohe Zunahmen sind insbesondere in den Ländern zu verzeichnen, die 2006 noch einen geringen Ausbaustand aufwiesen (vgl. Abb. 1). 364 uj 9 | 2013 Der Bedarf an Betreuungsplätzen Die stärksten Ausbaubemühungen auf der gesamten Länderebene seit 2006 fanden in Niedersachsen statt: Hier konnte die Anzahl der betreuten Kinder um 292 % gesteigert werden, ausgehend jedoch von der damals geringsten Inanspruchnahmequote aller Bundesländer von 5,1 % (2012: 22,1 %). Der geringste Zuwachs von 2006 zu 2012 ist in Sachsen-Anhalt vorzufinden (+15 %). In diesem Land wurden allerdings sowohl schon damals (50,2 %) als auch heute (57,5 %) die meisten Kleinkinder im Vergleich zu den anderen Ländern betreut. Differenzen zwischen den Jugendamtsbezirken Neben den Unterschieden zwischen den ost- und westdeutschen Ländern bestehen selbst innerhalb der einzelnen Länder heterogene Betreuungssituationen zwischen den Jugendamtsbezirken (Strunz 2013). Die bundesweit geringste Inanspruchnahmequote wies zum 1. 3. 2012 ein nordrhein-westfälischer Jugendamtsbezirk mit 5,3 % auf, in einem Bezirk in Sachsen-Anhalt hingegen wurde die höchste Quote von 63,3 % erreicht. Die Inanspruchnahmequoten aller westdeutschen Jugendamtsbezirke befanden sich auf einem niedrigeren Niveau als die Quoten aller ostdeutschen Bezirke - und dies trotz der stärkeren Ausbaubemühungen der meisten westdeutschen Jugendamtsbezirke seit 2007 im Vergleich zu den ostdeutschen Bezirken: So erreichten die Anstiege der Inanspruchnahmequoten von 2007 bis 2012 in den ostdeutschen Bezirken Werte von 1,6 bis 19,3 Prozentpunkte, in Westdeutschland hingegen von 2,6 bis 26,2 Prozentpunkte. Daten zum genutzten Betreuungsumfang 2012 wurden 50,9 % der unter 3-Jährigen mehr als 35 Stunden pro Woche betreut. 27,1 % nahmen eine Betreuungszeit von mehr als 25 bis zu 35 Stunden pro Woche und 22,0 % eine Betreuungszeit von bis zu 25 Stunden pro Woche in Anspruch. In Ostdeutschland war der vereinbarte durchschnittliche Betreuungsumfang (41,3 Stunden pro Woche bzw. 8,3 Stunden pro Tag) höher als in Westdeutschland (32,8 Stunden pro Woche bzw. 7,1 Stunden pro Tag). Ferner hat im Zeitverlauf die Bedeutung der Ganztagsbetreuung weiter zugenommen: Befanden sich 2006 bundesweit 47,7 % aller betreuten Kinder mehr als 7 Stunden pro Tag in Tageseinrichtungen und in der Tagespflege, so ist dieser Anteil in 2012 auf 50,9 % gestiegen. Eine Annäherung der ost- und westdeutschen Verhältnisse ist nicht erfolgt, da in Westdeutschland die Ganztagsquote um 6,3 Prozentpunkte (2006: 32,5 % und 2012: 38,8 %) und in Ostdeutschland um 11,5 Prozentpunkte (2006: 61,7 % und 2012: 73,2 %) gestiegen ist. Auf Landesebene variierten die durchschnittlichen Betreuungszeiten von 29,5 Stunden pro Woche bzw. 6,3 Stunden pro Tag (Niedersachsen) bis 43,5 Stunden pro Woche bzw. 8,7 Stunden pro Tag (Mecklenburg-Vorpommern). In der Tagespflege wurde ein deutlich geringerer durchschnittlicher Betreuungsumfang (29,1 Stunden pro Woche bzw. 7,0 Stunden pro Tag) in Anspruch genommen als in Tageseinrichtungen (37,1 Stunden pro Woche bzw. 7,6 Stunden pro Tag). 93,5 % der betreuten Kinder in Tageseinrichtungen nutzten 5 Betreuungstage pro Woche, in der Tagespflege waren es 58,3 %. Bedarfsabschätzung: Wie viele Betreuungsplätze fehlen noch? Wie bereits erwähnt, steht neben den genannten Daten zum aktuellen Ausbaustand ebenso im Fokus der politischen und öffentlichen Debatte die Frage, ob es die einzelnen Länder bis zum 1. 8. 2013 schaffen werden, ein bedarfsgerechtes Betreuungsangebot für unter 3-Jährige zur Verfügung zu stellen. Eine Annäherung an diese Frage kann anhand der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik 2012 sowie anhand der erstmalig auf Länderebene vom 365 uj 9 | 2013 Der Bedarf an Betreuungsplätzen Deutschen Jugendinstitut Anfang 2012 durchgeführten Elternbefragung zu ihren Betreuungswünschen erfolgen (DJI-Länderstudie 2012). Indem die von den Eltern geäußerten landesspezifischen Bedarfsquoten auf die Ergebnisse der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung bezogen werden und die Differenz zwischen gewünschten Betreuungsplätzen und der 2012 tatsächlich realisierten Inanspruchnahme in absoluten Zahlen gebildet wird, lässt sich die bis zum August 2013 noch fehlende Anzahl an Betreuungsplätzen berechnen. Auch bei dieser Auswertung muss beachtet werden, dass die amtlichen Daten gut eineinhalb Jahre vor dem 1. 8. 2013 erhoben wurden und mittlerweile eine Vielzahl an Plätzen geschaffen wurde. Die DJI-Länderstudie hat ergeben, dass der Betreuungsbedarf für unter 3-Jährige im August 2013 bundesweit im Durchschnitt voraussichtlich bei 39,4 % liegen wird (vgl. Abb. 2). Um diesen Bedarf zu erfüllen, müssen in Deutschland noch knapp 220.000 Betreuungsplätze bis August 2013 geschaffen werden (Westdeutschland: 205.000 Plätze und Ostdeutschland: 12.000 Plätze) - und somit ungefähr so viele Plätze wie in den vergangenen vier Jahren zusammen. Zur Deckung des Betreuungsbedarfes der Eltern für ihren Nachwuchs wäre eine Steigerung der Ausbaudynamik nötig gewesen: Im Jahr 2006 lag die Inanspruchnahmequote bei 13,6 % und um den bundesweiten Bedarf von 39,4 % im Jahr 2013 zu erreichen, hätten die jährlichen Zuwächse der bundesweiten Inanspruchnahmequote bei einem gleichmäßigen Ausbau bei ca. 4 Prozentpunkten liegen müssen. Die Zuwächse lagen jedoch in dem Zeitraum von 2006 bis 2012 von Jahr zu Jahr stets bei ca. 2 bis 3 Prozentpunkten. Abb. 2: Diskrepanz zwischen Betreuungsbedarf und tatsächlicher Inanspruchnahme bei unter Dreijährigen nach Ländern 2012 (Quote bezogen auf 100 gleichaltrige Kinder in der Bevölkerung).Quelle: DJI-Länderstudie 2012; Statistisches Bundesamt: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe - Kinder und tätige Personen in Tageseinrichtungen und öffentlich geförderter Tagespflege; 2012; eigene Berechnungen 366 uj 9 | 2013 Der Bedarf an Betreuungsplätzen Die ermittelte noch fehlende Anzahl an Plätzen im Umfang von knapp 220.000 kann wiederum unterteilt werden nach den Bedarfen in den einzelnen Ländern, nach Altersjahren, gewünschtem Betreuungsumfang und Art der Betreuung. Betreuungsbedarfe nach Ländern In den Ländern variieren die Betreuungsbedarfe zwischen 31,6 % (Bayern) und 60,8 % (Sachsen-Anhalt) (vgl. Abb. 2). In diesen beiden eher ländlich geprägten Regionen gibt es verglichen mit den anderen westbzw. ostdeutschen Ländern die geringste Abweichung zwischen realisierter Inanspruchnahme und dem Betreuungsbedarf. Die größten Diskrepanzen in Westbzw. in Ostdeutschland bestehen in zwei Stadtstaaten: In Berlin (Quote: 42,6 % vs. Bedarf: 55,9 %) und in Bremen (Quote: 21,2 % vs. Bedarf: 40,7 %). Aus diesen Differenzen ergeben sich Ausbaubedarfe in Westdeutschland von 2.600 Plätzen (Saarland) bis 68.000 (Nordrhein-Westfalen). In Ostdeutschland ist in Berlin der größte Ausbaubedarf von rund 9.200 Pläzen zu verzeichnen. Wohingegen in Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Thüringen der Bedarf mit der zum 1. 3. 2012 zur Verfügung gestellten Anzahl an Betreuungsplätzen bereits gedeckt ist. Wie einleitend bereits erwähnt, muss berücksichtigt werden, dass die zur Berechnung der noch fehlenden Plätze verwendeten Daten vom 1. 3. 2012 stammen, also 17 Monate vor dem 1. 8. 2013. Viele Neu- und Umbaumaßnahmen sind auf die Einführung des Rechtsanspruches terminiert, sodass damit zu rechnen ist, dass in der Zwischenzeit bereits ein erheblicher Zuwachs an Plätzen stattgefunden hat bzw. noch stattfinden wird. Dies soll beispielhaft anhand der Entwicklungen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz im späteren Verlauf dieses Beitrages noch ausführlicher erläutert werden. Ebenfalls muss bedacht werden, dass für die konkrete Bedarfsplanung vor Ort die errechnete landesspezifische Anzahl an Plätzen nicht allein als Orientierungsgröße ausreicht. So verdeutlichen kommunale Elternbefragungen, dass die Bedarfe innerhalb eines Landes bzw. selbst innerhalb einer Stadt oder eines Kreises sehr unterschiedlich sind (Begemann/ Kaufhold 2012). Betreuungsbedarfe nach Altersjahren Differenziert nach Altersjahren wünschen sich 8,3 % der befragten Eltern für ihr unter 1-jähriges Kind einen Betreuungsplatz, bei den 1-Jährigen sind es 46,9 % und bei den 2-Jährigen 62,5 %. Somit werden für die unter 1-Jährigen bundesweit noch rund 36.000 Plätze, für die 1-Jährigen noch 113.000 Plätze und für die 2-Jährigen noch 66.000 Plätze benötigt. Hierbei darf nicht vergessen werden, dass sich für die unter 1-Jährigen die Rechtslage zum 1. 8. 2013 nicht ändern wird, es besteht lediglich eine objektiv rechtliche Planungsverpflichtung der Jugendämter. Die vorrangig größere Herausforderung des U3-Ausbaus stellt somit eher die Schaffung einer bedarfsdeckenden Anzahl an Plätzen für 1-jährige Kinder dar. Dies gilt sowohl für Westals auch für Ostdeutschland. Betreuungsbedarfe nach Betreuungsumfang Ein weiteres Differenzierungsmerkmal, das insbesondere innerhalb der Debatte über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bedeutsam ist, ist der gewünschte und der tatsächlich in Anspruch genommene Betreuungsumfang. Nach den Ergebnissen der DJI-Länderstudie wünschen sich die meisten der befragten Eltern einen Betreuungsplatz mit kürzeren Betreuungszeiten, also unterhalb eines Ganztagsplatzes. So bevorzugen 37,3 % der Eltern von unter 3-jährigen Kindern einen 367 uj 9 | 2013 Der Bedarf an Betreuungsplätzen wöchentlichen Betreuungsumfang von bis zu 25 Stunden. Laut der amtlichen Statistik wurden 2012 aber tatsächlich nur 22,0 % der unter 3-Jährigen bis zu 25 Stunden pro Woche betreut. Ein weiterer Teil der Eltern (23,7 %) wünscht sich, dass ihre Kinder 26 bis 35 Stunden pro Woche institutionell betreut werden, was faktisch bei 27,1 % der betreuten Kinder der Fall war. Den längsten Betreuungsumfang von mehr als 35 Stunden pro Woche wünschen sich 39,1 % der Eltern, dies wurde aber von 50,9 % der Eltern für ihren Nachwuchs in Anspruch genommen. Die Mehrzahl der von den knapp 220.000 noch zu schaffenden Plätzen sollte folglich eher in Form eines flexiblen, kurzen Umfanges von bis zu 25 Stunden angeboten werden. Dies gilt ebenso für die einzelnen Länder und für die einzelnen Altersjahre (vgl. BMFSFJ 2013 a: 12). Betreuungsbedarfe nach Art der Betreuung Bei der Aufteilung der noch benötigten Plätze nach Betreuungsform werden derzeit zwei Szenarien berücksichtigt: Erstens, dass wie geplant der Ausbau ab 2009 zu 30 % in der Tagespflege erfolgt. Zweitens, dass es bei dem mittlerweile in Westdeutschland bestehenden Anteil der Tagespflege an allen Betreuungsverhältnissen von 18 % bleibt (Schilling 2013). Nach dem ersten Szenario ergibt sich bundesweit ein noch zu leistender Ausbau von März 2012 bis August 2013 von rund 140.000 Plätzen in Tageseinrichtungen und von rund 80.000 Plätzen in der Tagespflege. Nach dem zweiten Szenario ergibt sich ein Verhältnis von rund 180.000 zu knapp 40.000 Plätzen. Ob die geschätzte Anzahl an Plätzen, die auf dem generellen Betreuungswunsch der Eltern basiert, bis zum Inkrafttreten des Rechtsanspruches zur Verfügung stehen wird, wird sich bald zeigen. Vorrangig wichtiger ist es jedoch, dass die Betreuungswünsche der Eltern für ihre unter 3-jährigen Kinder vor Ort erfüllt werden können. Wie der aktuelle Ausbaustand kurz vor dem 1. 8. 2013 aussieht und welche Entwicklungen somit seit dem 1. 3. 2012 bereits erfolgt sind, ist bei Redaktionsschluss nur aus einzelnen Ländern, wie beispielsweise Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, bekannt. Ausbaudynamik in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz In dem bevölkerungsreichen Land Nordrhein- Westfalen, das 2012 die im Vergleich zu den anderen Ländern die niedrigste Inanspruchnahmequote von 18,1 % aufwies, wird bereits im März für das folgende Kita-Jahr die Landesförderung beantragt und bewilligt. Auf diese Weise sind Informationen über die zukünftigen Entwicklungen verfügbar. In Nordrhein-Westfalen ist gemäß der DJI-Länderstudie damit zu rechnen, dass ab August 2013 voraussichtlich 147.500 Plätze für ein bedarfsgerechtes Angebot für unter 3-Jährige vorhanden sein müssen. Laut der Statistik über die beantragten Landesfördermittel stehen nach vorläufigen Ergebnissen für das Kita-Jahr 2013/ 2014 rund 145.000 Plätze zur Verfügung, sodass der Bedarf rechnerisch im Landesdurchschnitt fast gedeckt werden kann (MFKJKS NRW 2013, www.mfkjks. nrw.de/ kinder-und-jugend/ betreuung-fuerunter-dreijaehrige/ #Fortschritte). Damit konnte die Anzahl der bewilligten Plätze innerhalb eines Kita-Jahres um knapp 28.000 Plätze gesteigert werden. In der Tagespflege entstanden davon rund 6.000, in den Tageseinrichtungen rund 22.000 Plätze. Von dem Kita-Jahr 2008/ 2009 bis zum Kita-Jahr 2012/ 2013 lagen die Zuwächse zwischen 12.000 bis 16.000 Plätze pro Jahr und somit auf einem geringeren Niveau als der letzte aktuelle Zuwachs. Diese Ergebnisse verweisen insbesondere darauf, dass für das Kita-Jahr 2013/ 2014 - quasi im letzten Moment - noch einmal viele Plätze geschaffen wurden. 368 uj 9 | 2013 Der Bedarf an Betreuungsplätzen Ein weiteres Beispiel für einen bereits fortgeschritteneren Ausbau als es die Daten zum März 2012 verlauten ließen, liefert Rheinland- Pfalz (MIFKJF RLP 2013, http: / / kita.rlp.de/ Kinder-bis-3-Jahre.565.0.html). Hier waren 27,0 % der unter 3-Jährigen zum März 2012 in institutioneller Betreuung, also rund 25.600 Kinder, und der Bedarf an Plätzen für ein bedarfsgerechtes Angebot zum August 2013 wurde auf rund 38.000 Plätze geschätzt. Im Februar 2013 standen laut der aktuellsten Daten des Landesjugendamtes Rheinland-Pfalz zur Anzahl genehmigter Plätze in Kindertagesstätten rund 33.200 genehmigte Plätze zur Verfügung. Hier ist ein bedarfsgerechtes Angebot kurz vor dem 1. 8. 2013 fast erreicht. Die beispielhaften Entwicklungen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz können als Hinweis dafür gewertet werden, dass in der verbleibenden Zeit bis zum August 2013 noch einmal überproportionale Anstiege erreicht werden könnten. Im Endspurt des Ausbaus werden offensichtlich noch viele Plätze zur Verfügung gestellt, die in der amtlichen Statistik von 2012 noch nicht enthalten sind. Personalbedarf und Personaldeckung für den verbleibenden U3-Ausbau Ein weiteres relevantes Thema im Rahmen der Debatte über den U3-Ausbau ist die Qualifizierung und der Bedarf nach pädagogischen Fachkräften. Zwischen 2006 und 2012 ist die Anzahl der Beschäftigten in Kindertageseinrichtungen von ca. 352.800 auf 464.300, also um ca. 32 %, gestiegen. Dabei ist es bis 2012, wie häufig vermutet, nicht zu einer De-Qualifizierung des Personals gekommen (BMFSFJ 2013 a, 23f ). Dennoch verdeutlichen bisherige Analysen angesichts der dargestellten steigenden Inanspruchnahmen von Betreuungsangeboten und steigenden -bedarfen, dass bis zum 1. 8. 2013 bei einer vollständigen Realisierung des aktuellen Betreuungsbedarfes durch das Ausbildungssystem nicht genügend Personal zur Verfügung stehen wird (Schilling 2013). Auf der Basis verschiedener Annahmen, wie zum Beispiel zum gewünschten Betreuungsumfang, zum realisierten Beschäftigungsumfang des Personals oder zum vorzeitigen oder altersbedingten Ausstieg aus dem Arbeitsfeld Kita, variiert je nach dem Anteil der Kindertagespflege an allen Betreuungsverhältnissen die Anzahl der noch zusätzlich fehlenden Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen vom März 2012 bis zum August 2013 zwischen 12.000 und 20.000 Personen in Westdeutschland. In Ostdeutschland ergibt sich ein sehr geringerer Fachkräftefehlbedarf, da hier der Bedarf fast vollständig über die Ausbildungskapazitäten (ErzieherInnen, KinderpflegerInnen und SozialassistentInnen sowie AbsolventInnen relevanter Studiengänge) gedeckt werden kann. Im Bereich der Kindertagespflege müssen je nach angenommener Anzahl der betreuten Kinder pro Tagespflegeperson in Westdeutschland zwischen weiteren 19.000 Personen (durchschnittlich 4 Kinder pro Person) und weiteren 25.300 Personen (durchschnittlich 3 Kinder pro Person) gewonnen werden, um ein bedarfsgerechtes Angebot zu stellen. Demgegenüber ist der Bedarf an Tagespflegepersonen in Ostdeutschland weitestgehend gedeckt. Fazit Die Darstellung der amtlichen Daten zur Betreuungssituation am 1. 3. 2012 sowie der vom DJI ermittelten Bedarfsquoten sollte verdeutlicht haben, dass die Betreuungssituation vor Ort trotz der Ausbaubemühungen der - insbesondere westdeutschen - Länder und Kommunen immer noch sehr heterogen ist und Diskrepanzen zwischen gewünschter und tatsächlich realisierter Betreuung bestehen. Jedoch werden gerade im Endspurt des Ausbaus, also in den Monaten vor dem 1. 8. 2013, wahrscheinlich noch viele Neu- und Umbaumaßnahmen abgeschlossen sein, sodass die Anzahl von 369 uj 9 | 2013 Der Bedarf an Betreuungsplätzen knapp 220.000 zusätzlich benötigten Plätzen, die mit den aktuell verfügbaren Daten eineinhalb Jahre vor dem Rechtsanspruch berechnet wurden, dann wahrscheinlich deutlich geringer ausfallen wird. Ob diese Differenz teilweise oder eventuell noch vollständig bestehen wird, bleibt abzuwarten. Offene Fragen bezüglich künftiger Entwicklungen Abschließend sollen noch einige ausgewählte offene bzw. relevante Aspekte und Fragen, die sich im Bereich der Kindertagesbetreuung zukünftig für Personen aus Wissenschaft, Praxis und Politik ergeben, kurz thematisiert werden: ➤ Es sollte nicht vergessen werden, dass der 1. 8. 2013 zwar einen bedeutsamen Tag für die Kindertagesbetreuung darstellt, dieser Zeitpunkt aber dennoch als Startpunkt für den weiteren Ausbau angesehen werden muss (Rauschenbach/ Schilling/ Strunz 2012, 5f ). So ist zu bedenken, dass Kinder, die nach dem 1. 8. 2013 ein Jahr alt werden, ebenfalls einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz besitzen. Im Laufe des Kita-Jahres 2013/ 2014 werden also kontinuierlich weitere Kinder einen Platz in Anspruch nehmen wollen. Damit muss aber nicht unbedingt die Anzahl der betreuten Kinder pro Jahrgang ansteigen, da zeitgleich alle betreuten Kinder ebenso nach und nach älter werden. Diese fortdauernden Wechsel in die nächst höheren Altersjahrgänge führen letztendlich nur zu einem kontinuierlichen Wachstum der Gruppe der 6-Jährigen, weil diese erst zu Beginn des Schuljahres die Kita verlassen. Eigentlich müssten nur hierfür Kapazitäten im Laufe eines Kita- Jahres vorgehalten oder geschaffen werden. Die Ausweitung der Platzanzahl für unter 3-Jährige als auch für die Kinder, die im Laufe des Kita-Jahres drei Jahre alt werden, wird somit auch nach dem 1. 8. 2013 eine komplexe Herausforderung für alle Beteiligten in der Kindertagesbetreuung sein. ➤ Ferner ist davon auszugehen, dass auch nach Inkrafttreten des Rechtsanspruches ein weiterer Anstieg der Nachfrage nach Betreuungsplätzen erfolgen wird, also sich Angebot und Nachfrage weiterhin bedingen werden. Ähnlich wie bei der Einführung des Rechtsanspruches auf einen Kindergartenplatz im Jahr 1996 und der damit einhergehenden nach und nach erreichten Vollversorgung der 3bis unter 6-jährigen Kinder in Tagesbetreuung kann in den nächsten Jahren von einem weiteren Anstieg der Inanspruchnahmequote von unter 3-Jährigen ausgegangen werden. Eltern von nicht außerfamilial betreuten unter 3-jährigen Kindern, die beispielsweise nach dem 1. 8. 2013 bemerken, dass andere Eltern in ihrer Umgebung durch eine flexible externe Betreuung ihres Kindes unterstützt werden und diese Art der Betreuung als „normalen“ Bestandteil ihres alltäglichen Handelns ansehen, können daraufhin ebenfalls den Wunsch nach einer Betreuung für ihr Kind entwickeln und diesen in die Tat umsetzen wollen. Auf diese Weise würde nach und nach die Akzeptanz institutioneller Betreuung von Kleinkindern steigen. Diese sich wandelnden Familien- und Betreuungsleitbilder auf der Individualebene sind wiederum geprägt von kulturellen, wohlfahrtsstaatlichen bzw. gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Aus dieser Perspektive heraus sieht die Soziologin Pfau-Effinger (2009, 237) die Zukunft der Kindertagesbetreuung so, dass „ein kulturelles Leitbild der Familie an Bedeutung gewinnen wird, das auf der Idee der umfassenden Erwerbstätigkeit aller Erwachsenen und des Einbezugs der Kinder vom Kleinkindalter an in das Bildungssystem … beruht“. Ob sich diese Annahme bestätigen wird und inwiefern sich Angebot und Nachfrage bedingen werden, sollte zukünftig aufmerksam verfolgt werden. ➤ Eine weitere relevante Frage ist, ob mit der Einführung des Rechtsanspruches auf einen Betreuungsplatz für 1- und 2-jährige Kinder eine Chancengleichheit für Kinder aus allen sozialen Gruppen erreicht werden kann. 2012 370 uj 9 | 2013 Der Bedarf an Betreuungsplätzen wurden beispielsweise 16 % der unter 3-jährigen Kinder mit Migrationshintergrund institutionell betreut, unter den Kindern ohne Migrationshintergrund waren es hingegen doppelt so viele (33 %) (Statistisches Bundesamt 2013). Durch die Einführung des Rechtsanspruches könnten diese Diskrepanz sowie durch Studien belegte sozioökonomische Selektivitäten in der Nutzung öffentlicher Kindertagesbetreuung (Spieß 2013) geringfügiger werden. In diesem Zusammenhang spielt ebenso die ab dem 1. 8. 2013 geplante Auszahlung des Betreuungsgeldes für Eltern, die ihre Kinder nicht in einer öffentlich geförderten Betreuungsinstitution betreuen lassen, eine Rolle. In der öffentlichen Debatte wird die Vermutung geäußert, dass diese familienpolitische Maßnahme insbesondere die Kinder von dem Besuch einer Kindertageseinrichtung oder Tagespflege fern hält, die von einer Förderung in einer außerfamilialen Betreuungsinstitution profitieren könnten. Ob sich diese Annahmen bewahrheiten werden, bleibt zu beobachten. ➤ Von Bedeutung wird es zukünftig ebenfalls sein, bei der Berechnung der Inanspruchnahmequoten anhand der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik und der amtlichen Daten zum Bevölkerungsstand in Deutschland die jüngst vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Ergebnisse des Zensus 2011 zu berücksichtigen. So wurde stets als Referenzgröße zu den insgesamt betreuten Kindern der Stand der Bevölkerung auf der Basis der westdeutschen Volkszählung von 1987 sowie aus dem zentralen Einwohnerregister der DDR vom 3. 10. 1990 verwendet. Erste Auswertungen der vorläufigen Zensus-Daten verdeutlichen, dass die anhand des Zensus 2011 ermittelte Anzahl der unter 3-Jährigen in der Bevölkerung am 9. 5. 2011 von dem bisher angenommenen Bevölkerungsstand zum 31. 12. 2010 um ca. 3 % nach unten abweicht. Es wurde also bisher von einer höheren Anzahl an unter 3-Jährigen (ca. 56.000 Kindern) ausgegangen. Dies hat insofern Konsequenzen für die Berechnung der Inanspruchnahmequote, dass diese aufgrund der geringeren Referenzgröße geringfügig höher ausfallen wird als bisher angenommen. Endgültige Bevölkerungsergebnisse auf der Basis des Zensus für die Zeitpunkte 31. 12. 2011 und 31. 12. 2012 stehen jedoch voraussichtlich erst zu Beginn des Jahres 2014 zur Verfügung. ➤ Bei der hier vorgenommenen Darstellung der Betreuungssituation und des Betreuungsbedarfs in Deutschland wurde der Fokus auf den quantitativen Stand bzw. auf die quantitative Dynamik des Ausbaus gerichtet. Neben der bedeutenden Frage, ob bis zum 1. 8. 2013 ein bedarfsgerechtes Betreuungsangebot vorliegen wird, darf darüber hinaus nicht die Qualität der Betreuungssettings vergessen werden. Dazu gehören insbesondere die Faktoren Fachkraft-Kind-Relation, Gruppengröße und Qualifikation des Personals (BMFSFJ 2013 b, 401f; DJI 2012; Fuchs-Rechlin 2013; Tietze u. a. 2012; Viernickel/ Schwarz 2009). ➤ Alles in allem geht es letztendlich darum, Kleinkindern ein qualitativ wertvolles Betreuungs-, Bildungs- und Erziehungsangebot und einen altersgerechten Einstieg in die institutionelle Betreuung zu bieten sowie darum, dass Eltern mit den Betreuungsmöglichkeiten vor Ort zufrieden sind. Falls dies nicht der Fall sein sollte, bleibt abzuwarten, ob sie dann ihre Ansprüche geltend machen bzw. einklagen werden. Der Ausbau und die Gestaltung der Kindertagesbetreuung sind und bleiben ein langfristiges Projekt, das Bund, Länder und Kommunen unter Einbezug der Eltern weiterhin gemeinsam gestalten sollten. Eva Strunz Technische Universität Dortmund FK 12 Erziehungswissenschaft und Soziologie Forschungsverbund Deutsches Jugendinstitut e.V./ Technische Universität Dortmund Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik eva.strunz@fk12.tu-dortmund.de 371 uj 9 | 2013 Der Bedarf an Betreuungsplätzen Literatur Begemann, M. C./ Kaufhold, G., 2012: Erstaunliche Befunde - Ergebnisse einer U3-Vor-Ort-Elternbefragung. In: KomDat Jugendhilfe, 2012, 15. Jg., H. 3, S. 7 - 9 Bien, W./ Riedel, B., 2006: Wie viel ist bedarfsgerecht? Betreuungswünsche der Eltern für unter 3-jährige Kinder. In: Bien, W./ Rauschenbach, Th./ Riedel, B. (Hrsg.): Wer betreut Deutschlands Kinder? DJI-Kinderbetreuungsstudie. Weinheim/ Basel, S. 267 - 280 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), 2013 a: Vierter Zwischenbericht zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes. Bericht der Bundesregierung 2013 nach § 24 a Abs. 5 SGB VIII über den Stand des Ausbaus für ein bedarfsgerechtes Angebot an Kindertagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren für das Berichtsjahr 2012. Berlin Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), 2013 b: 14. Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht der Sachverständigenkommission und Bericht der Sachverständigenkommission. Berlin Deutsches Jugendinstitut Länderstudie, 2012: Erste Befunde der DJI-Länderstudie im Rahmen der KIFÖG- Evaluation. Im Auftrag des BMFSFJ - Deutsches Jugendinstitut München. www.dji.de/ dasdji/ home/ DJI_Kifoeg_Laenderstudie_2012-11.pdf, 21. 6. 2013, 18 Seiten Deutsches Jugendinstitut, 2012: Kinderbetreuung. Ausbau, Qualität und Herausforderungen der Früherziehung. DJI-Impulse. Das Bulletin des Deutschen Jugendinstitutes 2/ 2012 Fuchs-Rechlin, K., 2013: Personalausstattung in KiTas - genauer hingeschaut. In: KomDat Jugendhilfe, 16. Jg., H. 1, S. 12 - 15 Konsortium Bildungsberichterstattung, 2006: Bildung in Deutschland. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung und Migration. Im Auftrag der KMK in der BRD und des BMBF. Bielefeld Pfau-Effinger, B., 2009: Entwicklungspfade und Zukunft der Kinderbetreuung. In: Burkart, G. (Hrsg.): Zukunft der Familie: Prognosen und Szenarien. Zeitschrift für Familienforschung, Sonderheft 6, Opladen, S. 237 - 254 Rauschenbach, Th./ Schilling, M./ Strunz, E., 2012: Der U3-Ausbau im Endspurt - und danach. In: KomDat Jugendhilfe, 2012, 15. Jg., H. 3, S. 1 - 7 Schilling, M., 2013: Aktualisierung der landesspezifischen Betreuungsbedarfe für unter 3-Jährige sowie der sich daraus ergebenden Personalbedarfe. www. akjstat.tu-dortmund.de/ fileadmin/ Analysen/ Kita/ Fachkraeftebedarf_gemaess_landesspezifischer_ Betreuungsbedarfe_2012.pdf, 21. 6. 2013, 6 Seiten Spieß, K., 2013: Es geht um mehr als um die Anzahl der Kita-Plätze. In: DJI Impulse. Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts, Jg. 101, H. 1/ 2013, S. 19 - 21 Statistisches Bundesamt, 2013: Betreuungsquote von Kindern unter 6 Jahren mit und ohne Migrationshintergrund in Kindertagesbetreuung am 1. März 2012 nach Ländern. www.destatis.de/ DE/ ZahlenFakten/ GesellschaftStaat/ Soziales/ Sozialleistungen/ Kinder Jugendhilfe/ Tabellen/ BetreuungsquoteMigration U62012.html, 21. 6. 2013, 1 Seite Strunz, E., 2013: Kita vor Ort. 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