eJournals unsere jugend 65/9

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2013.art35d
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August 2013 - Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz

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Reinhard Wiesner
Christian Grube
Melanie Kößler
Dieser Beitrag soll erste Antworten auf Fragen geben, die sich Eltern, Kindertagesstätten und Kindertagespflegepersonen derzeit stellen: Was bedeutet solch ein Rechtsanspruch für Kinder und Eltern im Einzelnen?
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372 unsere jugend, 65. Jg., S. 372 - 382 (2013) DOI 10.2378/ uj2013.art35d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Dieser Beitrag soll erste Antworten auf Fragen geben, die sich Eltern, Kindertagesstätten und Kindertagespflegepersonen derzeit stellen: Was bedeutet solch ein Rechtsanspruch für Kinder und Eltern im Einzelnen? August 2013 - Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz von Prof. Dr. Dr. h. c. Reinhard Wiesner Jg. 1945, Freie Universität Berlin, Arbeitsbereich Sozialpädagogik, Kanzlei Bernzen Sonntag Die zentrale Aufgabe der Kommunen ist es, den konkreten individuellen Betreuungsbedarf eines jeden Kindes zu ermitteln und festzustellen. Es müssen also individuelle Betreuungslösungen für jedes einzelne Kind gefunden werden. Die Frage, wo geklagt werden kann, stellt sich überhaupt erst, wenn keine zufriedenstellende Betreuungslösung gefunden wurde und auch das Widerspruchsverfahren, soweit das Landesrecht ein solches Verfahren vorsieht, gegen eine erste ablehnende Entscheidung des Jugendamts erfolglos war. Daher konzentrieren sich die folgenden Ausführungen zunächst darauf, wie der Bedarf festgestellt werden kann. Abschließend werden dann Hinweise gegeben, welche (Klage-)Möglichkeiten bestehen, wenn gar kein Platz in der Tagesbetreuung oder zu wenig Betreuungsstunden in der Woche für ein Kind zur Verfügung gestellt werden können. Voraussetzung für den Rechtsanspruch Der Rechtsanspruch besteht bereits vor dem 1. August 2013 für alle Kinder ab dem vollendeten dritten Lebensjahr. Neu ist ab dem 1. August 2013, dass dieser Rechtsanspruch für Kinder ab dem ersten vollendeten Lebensjahr gilt - nun aber für die Kinder unter drei Jahren mit einer Ermittlung des individuellen zeitlichen Förderbedarfs, während für Kinder über drei Jahren der Rechtsanspruch (des Bundesrechts) sich nur auf einen Halbtagsplatz richtet. Der Rechtsanspruch kann geltend gemacht werden, sobald ein Kind das erste Lebensjahr vollendet hat. Das bedeutet, dass ausschlagge- Rechtsanwalt Christian Grube Jg. 1944, Kanzlei Bernzen Sonntag, München, Tätigkeitsschwerpunkt: Kinder- und Jugendhilferecht Rechtsanwältin Melanie Kößler Jg. 1979, Kanzlei Bernzen Sonntag, Berlin, Tätigkeitsschwerpunkt: Kinder- und Jugendhilferecht 373 uj 9 | 2013 Rechtsanspruch auf öffentliche Betreuung bend für den Beginn der Betreuung nicht das „Kindergartenjahr“ ist, sondern allein entscheidend ist, wann das Kind Geburtstag hat. Wurde ein Kind z. B. am 5. Dezember 2012 geboren, hat es einen Rechtsanspruch auf einen Platz in der Kindertagesstätte oder Kindertagespflege ab dem 5. Dezember 2013 und muss nicht bis zum Sommer 2014 warten. Grundvoraussetzung für einen Platz in Kindertagesstätte oder Kindertagespflege ist allein das Alter des Kindes. Der Rechtsanspruch auf einen solchen Platz richtet sich an alle Kinder gleichermaßen und ist nicht an bestimmte Bedarfskriterien geknüpft, wie z. B. an einen besonderen erzieherischen Bedarf. Solche Kriterien spielen aber für das „Wie lange“, also die zeitliche Dauer eine Rolle. Die Anmeldung des Kindes Den Eltern ist zu empfehlen, den bestehenden Betreuungsbedarf frühzeitig (ca. sechs Monate vor dem Tag, ab dem die Betreuung in Anspruch genommen wird) schriftlich beim örtlichen Jugendamt anzumelden. Damit der Betreuungsbedarf zügig festgestellt werden kann, sollten die Eltern angeben, in welchem Umfang sie die Betreuung wünschen und in welchem Umfang sie planen, ihrem Beruf, Studium etc. nachzugehen. Es ist wichtig, nicht nur telefonisch, sondern auch schriftlich den Betreuungsbedarf anzumelden, um gegebenenfalls später im Widerspruchs- oder Klageverfahren nachweisen zu können, dass und wann der Betreuungsbedarf angemeldet wurde. Daher sollte das Schreiben per Fax oder Einschreiben mit Rückschein an das Jugendamt gesandt werden. Im Einzelnen ist das weitere Anmeldeverfahren in den Kommunen regional sehr unterschiedlich ausgestaltet. Der Vorteil einer frühzeitigen Anmeldung ist, dass die Kommune vorausschauend planen kann, wo und wie dem Betreuungsbedarf am besten begegnet werden kann. Allerdings ist die örtliche Kommune auch verpflichtet, auf plötzlich entstehende Betreuungsbedarfe zu reagieren, die zum Beispiel durch einen berufsbedingten Umzug oder durch den Wegfall informeller Betreuungsstrukturen durch Nachbarn oder Verwandte entstehen können. Wenn ein solch plötzlich auftretender Bedarf entsteht, ist es hilfreich, dies durch Belege wie z. B. eine Kopie des Arbeitsvertrags gegenüber dem Jugendamt nachzuweisen. Ziel und Inhalt des Rechtsanspruchs Die Betreuung in einer Kindertagesstätte oder Kindertagespflege soll zum einen das Kind darin stärken und fördern, sich zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu entwickeln, dann soll sie die Erziehung und Bildung in der Familie unterstützen und schließlich soll durch die Betreuung in der Kindertagesstätte oder in Kindertagespflege die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für die Eltern ermöglicht werden. Im Hinblick auf die zeitliche Betreuungsdauer wird sich der Rechtsanspruch in jedem Einzelfall, also für jedes einzelne Kind anders gestalten und richtet sich nach den eltern- und kindbezogenen Bedarfen. Allerdings schreibt das Gesetz sowohl für Kindertagesstätten als auch für die Kindertagespflege gewisse Mindeststandards zwingend vor. Betreuung in einer Kindertagesstätte Die im SGB VIII sowie in den Landesgesetzen vorgegebenen Mindeststandards zu Gruppengröße und Personalschlüssel sind zwingend zu beachten; gleiches gilt für die Anforderungen an die Fachkräfte. Wenn Landesgesetze Berufsabschlüsse der Fachkräfte auflisten, die in Kindertagesstätten arbeiten dürfen, muss dies eingehalten werden. 374 uj 9 | 2013 Rechtsanspruch auf öffentliche Betreuung Verlangt z. B. das Landesgesetz bei Kindern zwischen dem vollendeten ersten Lebensjahr und dem dritten Lebensjahr einen Personalschlüssel von 2 : 10, also von zwei Fachkräften auf zehn Kinder, kann der gesetzlich festgelegte Personalschlüssel nur dann erfüllt werden, wenn tatsächlich zwei ausgebildete Fachkräfte mit den entsprechenden Berufsabschlüssen die zehn Kinder betreuen. Die Anzahl der erforderlichen Fachkräfte für eine Kindertagesstätte ist auch Bestandteil der Betriebserlaubnis (zu den Voraussetzungen der Betriebserlaubnis im Einzelnen: § 45 SGB VIII). Die in der Betriebserlaubnis gemachten Vorgaben sind zu beachten, damit der Betrieb der Einrichtung aufrechterhalten werden kann. Wird beispielsweise der Personalschlüssel dauerhaft nicht eingehalten, kann die Erlaubnisbehörde hierauf mit entsprechenden Auflagen und in letzter Konsequenz auch mit der Schließung der Kindertagesstätte reagieren. PraktikantInnen sowie Menschen, die Kinder in einer Kindertagesstätte im Rahmen eines Freiwilligen Sozialen Jahres oder des Bundesfreiwilligendienstes betreuen, können nur dann als „Fachkraft“ eingesetzt werden, wenn sie über einen entsprechenden Berufsabschluss verfügen. Ansonsten dürfen sie nicht als Fachkraft für den geforderten Personalschlüssel gezählt werden. Was die Räumlichkeiten für den Betrieb einer Kindertagesstätte betrifft, prüft die örtlich zuständige Erlaubnisbehörde - meist das Landesjugendamt - in jedem Einzelfall, ob die Räumlichkeiten kindgerecht sind. Die Prüfung findet unabhängig davon statt, ob das Landesgesetz konkrete Angaben zur Raumgröße für eine Kindertagesstätte macht oder nicht. Demzufolge können nicht einfach„irgendwelche Container“ aufgestellt werden, in denen dann Kindertagesstätten ihren Betrieb aufnehmen. Vielmehr müssen bauliche Sicherheitsvorgaben, die dem Schutz vor Gefahren dienen, eingehalten werden. Daneben müssen die räumlichen Voraussetzungen gegeben sein, damit eine Förderung der Kinder im Sinne des Rechtsanspruchs realisiert werden kann. In der Praxis stellt sich immer wieder die Frage, ob die Betreuung in Kinderläden, Spielkreisen etc. mit der Betreuung in einer Kindertagesstätte gleichzusetzen ist. Auf die Bezeichnung des Betreuungssettings kommt es jedoch nicht an. Vielmehr bedarf es einer Prüfung des konkreten Betreuungssettings: Es müssen die soeben genannten gesetzlichen Mindeststandards mit Blick auf Personal, Raum und Gruppengröße im konkreten Fall erfüllt sein, damit die Betreuung rechtsanspruchserfüllende Wirkung hat. So gibt es z. B. vielfach für Kleinstkinder Betreuungssettings, in denen die (abwechselnde) Anwesenheit der Eltern zwingend gefordert wird und die Tätigkeit der Fachkräfte unterstützen soll. In einem solchen Fall hat die Betreuung regelmäßig keinen rechtsanspruchserfüllenden Charakter, da sie nicht dem Maßstab entspricht, der dem Rechtsanspruch zugrunde liegt. Schließlich soll der Rechtsanspruch unter anderem auch dazu dienen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern. In den letzten Monaten werden in Presse und Medien viele Konzepte diskutiert, um möglichst viele Kinder in einer Kindertagesstätte zu betreuen. Eines dieser Konzepte ist das sogenannte „Platz-Sharing.“ Die Idee des Instruments „Platz-Sharing“ ist es, dass sich mehrere Kinder einen „Vollzeit-Platz“ in einer Kindertagesstätte teilen, wenn vorher der Bedarf dahingehend festgestellt wurde, dass also zum Beispiel ein Kind nur vormittags und ein anderes nur nachmittags betreut werden soll. Dieses Konzept erscheint zunächst attraktiv, ist jedoch aus den folgenden Gründen abzulehnen: In einer Kindertagesstätte ist es elementar, dass die betreuenden Fachkräfte individuelle Beziehungen zu den Kindern aufbauen. Personalschlüssel und Gruppengröße sind auch unter diesem Gesichtspunkt gesetzlich festgelegt und nicht beliebig änderbar. 375 uj 9 | 2013 Rechtsanspruch auf öffentliche Betreuung Mit der Betreuung in einer Kindertagesstätte sind auch entsprechende Dokumentationspflichten für das Personal verbunden, die sich dann pro Platz verdoppeln würden. Im Alltag kann das Konzept des „Platz-Sharings“ schließlich dazu führen, dass ein Kind, das eigentlich nur einen „Teilzeit-Platz“ hat, doch an manchen Tagen kurzfristig den ganzen Tag in der Kindertagesstätte verbleibt und so der Platz doppelt belegt wird und die Kindertagesstätte gegen die zwingenden Vorgaben der Betriebserlaubnis wie Personalschlüssel und Gruppengröße verstößt. Werden die in der Betriebserlaubnis stehenden Vorgaben nicht eingehalten, kann die Erlaubnisbehörde hierauf mit Auflagen und in letzter Konsequenz mit der Schließung der Kindertagesstätte reagieren. Betreuung in der Kindertagespflege Tendenziell ist das Angebot der Kindertagespflege wegen seines privaten Settings vor allem für Kleinstkinder gedacht. Allerdings kann die Kindertagespflege auch ein ergänzendes Angebot für größere Kinder, auch Schulkinder sein. Für Kinder unter 3 Jahren sieht das Gesetz ab 1. August 2013 vor, dass Kindertagespflege und Kindertagesstätte gleichwertige Angebote sind. Die Eltern können grundsätzlich zwischen beiden Angeboten frei wählen. Die freie Wahl, das Wunsch- und Wahlrecht, das die Eltern für ihr Kind ausüben, ist jedoch auf das vorhandene Angebot beschränkt. Wenn es z. B. keinen Platz mehr in einer Kindertagesstätte gibt, obwohl dies die von den Eltern favorisierte Betreuungsform ist, kann das Jugendamt den Rechtsanspruch auch erfüllen, indem es einen Platz in der Kindertagespflege anbietet. Für Kinder über 3 Jahren sieht das Gesetz bereits seit dem 1. Januar 1996 einen Platz in einer Kita vor. Der Kindertagespflege kommt hier nur (noch) eine ergänzende Rolle zu. Demzufolge ist der Rechtsanspruch bei Kindern über 3 Jahren nicht erfüllt, wenn ausschließlich ein Platz in der Kindertagespflege angeboten wird. Das Bundesgesetz (§ 23 Absatz 3 SGB VIII) schreibt vor, dass eine Kindertagespflegeperson „geeignet“ sein muss. „Geeignet“ im Sinne des Bundesgesetzes „sind Personen, die sich durch ihre Persönlichkeit, Sachkompetenz und Kooperationsbereitschaft mit Erziehungsberechtigten und anderen Tagespflegepersonen auszeichnen und über kindgerechte Räumlichkeiten verfügen. Sie sollen über vertiefte Kenntnisse hinsichtlich der Anforderungen der Kindertagespflege verfügen, die sie in qualifizierten Lehrgängen erworben oder in anderer Weise nachgewiesen haben.“ Ein „qualifizierter Lehrgang“ ist beispielsweise das Curriculum des Deutschen Jugendinstituts „Qualifizierung in der Kindertagespflege”, in dem soziale und pädagogische Kompetenzen erlernt bzw. ausgebaut werden. Vorstellbar ist es jedoch auch, dass Kindertagespflegepersonen ihre Eignung durch langjährige Erfahrung in der Kindertagespflege, also auf „andere Weise“ erwerben. Eine hessische Verwaltungsanweisung (Arbeitshilfe für Jugendämter und Städte/ Gemeinden zu den Fach- und Fördergrundsätzen zur „Offensive für Kinderbetreuung“) lehnt den finanziell vergüteten Einsatz von Großeltern und Urgroßeltern als Tagespflegeperson unabhängig von ihrer Eignung ab. Eine solche Ausnahme ist jedoch nicht im Bundesgesetz verankert und bedeutet eine unzulässige Einschränkung des Rechtsanspruchs. Daher ist den Eltern zu empfehlen, das Jugendamt in solchen Fällen hierauf hinzuweisen und gegebenfalls gegen eine dann immer noch ablehnende Entscheidung des Jugendamts mit Widerspruch und Klage bzw. einstweiligen Rechtsschutz (Eilrechtsschutz) vorzugehen. 376 uj 9 | 2013 Rechtsanspruch auf öffentliche Betreuung Anzumerken ist an dieser Stelle auch, dass die Kindertagespflegeperson nach dem Bundesgesetz einen Rechtsanspruch nicht nur auf eine entsprechende Vergütung hat, sondern auch darauf, fachlich beraten, begleitet und weiterqualifiziert zu werden (§ 23 Absatz 1 SGB VIII). Auch haben sowohl die Eltern als auch die Kindertagespflegeperson einen Anspruch auf Beratung in allen Fragen der Kindertagespflege (§ 23 Absatz 2 SGB VIII). Die Kindertagespflege kann sowohl zu Hause bei den Eltern, im Hause der Kindertagespflegeperson, aber auch in „anderen Räumen“, stattfinden. Allerdings benötigt die Kindertagespflegeperson eine Erlaubnis, wenn die Betreuung außerhalb des Elternhauses des zu betreuenden Kindes stattfindet (zu den Voraussetzungen im Einzelnen: § 43 SGB VIII). Die Erlaubnisbehörde prüft neben der persönlichen Eignung in jedem Einzelfall, ob die Räumlichkeiten „kindgerecht“ sind und sich für die Betreuung in der Kindertagespflege eignen. Kennzeichnend für die Kindertagespflege ist das familiäre, nicht-institutionelle Setting der Betreuung. So ist z. B. bei angemieteten Räumlichkeiten im Einzelfall zu prüfen, ob das Betreuungssetting familiären Charakter im Sinne der Kindertagespflege hat oder ob es sich um eine Kindertagesstätte handelt und dann die Voraussetzungen für eine Betriebserlaubnis für eine Einrichtung (§ 45 SGB VIII) zu berücksichtigen sind. Das Nähere über die Abgrenzung von Tageseinrichtung und Kindertagespflege regelt das Landesrecht (§ 22 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII). Wenn sich die Eltern für die Betreuungsform „Kindertagespflege“ entscheiden, haben sie einen Rechtsanspruch darauf, dass ihnen eine Kindertagespflegeperson vermittelt wird. Möglich ist es aber auch, dass die Eltern selbst eine Kindertagespflegeperson vorschlagen. Allerdings muss dann das Jugendamt prüfen, ob die von den Eltern vorgeschlagene Kindertagesperson tatsächlich geeignet ist. Umfang der Betreuung Die Anzahl der Betreuungsstunden pro Woche, die ein Kind beanspruchen kann, ist sehr unterschiedlich und hängt von den individuellen eltern- und kindbezogenen Bedarfen ab. Einzelne Landesgesetze machen zwar Vorgaben zur Mindestbetreuungszeit, allerdings gibt es auf Bundesebene keine allgemeingültigen Vorgaben. Die zu gewährende wöchentliche Betreuungszeit bewegt sich von ca. 15 bis 45 Wochenstunden. Von einer Mindestbetreuungszeit von ca. 15 Wochenstunden kann deswegen ausgegangen werden, da der Rechtsanspruch auf einen Kindertagesstättenplatz nicht nur bedeutet, dass auf die Kinder „aufgepasst“ werden soll. Vielmehr umfasst er neben dem„Aufpassen“, also der Betreuung, auch die Bildung und Erziehung des Kindes. Das Gesetz spricht von Förderung und versteht darunter die Kombination von Bildung, Erziehung und Betreuung (§ 22 Absatz 2 und 3 SGB VIII). Wenn ein Kind wesentlich weniger als 15 Wochenstunden Kontakt mit der Betreuungsperson hat, bleibt zum einen zu wenig Zeit, um eine persönliche Beziehung zwischen Kind und Betreuungsperson aufzubauen. Zum anderen wird das Kind dann - entsprechend der gesetzlichen Vorgabe - nicht ausreichend gefördert, also (auch) erzogen und gebildet. Bei der Höchstgrenze (ca. 45 Wochenstunden) spielt das Kindeswohl eine zentrale Rolle. Insbesondere Alter, Entwicklungsstand und die Bedürfnisse des einzelnen Kindes sind hierbei zu beachten. Für ein 1-jähriges Kind sind demzufolge die außerfamiliären Betreuungszeiten in Kita oder Tagespflege grundsätzlich niedriger anzusetzen als für ein 5-jähriges Kind. Vorgegebene Betreuungszeiten orientieren sich am konkreten Betreuungssetting: In einer Kindertagesstätte ist es wichtig, dass es feste (tägliche) Kernzeiten gibt und sich die Kinder in ein Gruppensetting integrieren. Hingegen ist die Betreuung in der Tagespflege zeitlich wesentlich flexibler, da hier regelmäßig das Gruppensetting nicht im Vordergrund steht. 377 uj 9 | 2013 Rechtsanspruch auf öffentliche Betreuung Entscheidend für den tatsächlichen Umfang der Betreuung sind die eltern- und kindbezogenen Bedarfe. Diese richten sich nach den Förderzielen: So soll die Betreuungssituation zum einen das Kind darin stärken und fördern, sich zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu entwickeln, dann soll sie zum anderen die Erziehung und Bildung in der Familie unterstützen und schließlich soll durch die Betreuung in Kindertagesstätte oder Tagespflege die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für die Eltern ermöglicht werden. Als elternbezogene Bedarfe können insbesondere berücksichtigt werden: ➤ Erwerbstätigkeit - maßgeblich für den Betreuungsumfang ist die Arbeitszeit zuzüglich der Bring- und Abholzeiten; ➤ Aufnahme einer Erwerbstätigkeit und Arbeitssuche; ➤ berufliche Bildungsmaßnahmen, Schul- oder Hochschulausbildung - maßgeblich für den Betreuungsumfang sind die Stundenbzw. Studienpläne; ferner sind entsprechende Zeiten für Hausaufgaben, Vor- und Nachbereitung von Vorlesungen etc. zu berücksichtigen; ➤ Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach § 16 SGB II. Die Betreuungszeiten orientieren sich in diesen Fällen an dem zeitlichen Umfang der Eingliederungsmaßnahme, zuzüglich Bring- und Abholzeiten. Außerdem erscheinen folgende elternbezogenen Bedarfe anerkennungswürdig: ➤ Teilnahme an Integrations- und Sprachkursen; ➤ Pflege von Angehörigen; ➤ die Betreuung weiterer gegebenenfalls kranker oder entwicklungsbeeinträchtigter Kinder; ➤ chronische oder länger andauernde Krankheit von Erziehungsberechtigten. Ob auch die Ausübung von Ehrenämtern als Bedarf in diesem Kontext anerkannt werden kann, erscheint offen (hierzu ausführlich Wiesner/ Grube/ Kößler 2013). Auswahl von Kindertagesstätte oder Kindertagespflegeperson Grundsätzlich können die Eltern für ihr Kind das Wunsch- und Wahlrecht ausüben. Das bedeutet, dass die Eltern aus dem vorhandenen Angebot ihre Wunsch-Kita bzw. Wunsch-Kindertagespflegeperson auswählen können. Wichtig dabei ist, dass dieses Angebot bereits bestehen muss, also die Kommune nicht dazu verpflichtet werden kann, z. B. eine Montessori-Kindertagesstätte zu errichten. Grundsätzlich verlieren die Eltern nicht dadurch den Rechtsanspruch für ihr Kind, dass sie ein Angebot des Jugendamts ablehnen. Zu empfehlen ist es jedoch, dass die Eltern begründen, warum sie das Angebot ablehnen, damit ein passendes Angebot gefunden werden kann. Die Ablehnung der Eltern kann insbesondere dadurch begründet sein, dass die Kindertagesstätte oder Kindertagespflege zu weit vom Familienwohnort entfernt ist oder dass das Betreuungssetting für Kind und Eltern unzumutbar ist. Die Zumutbarkeit muss in jedem Einzelfall geprüft werden. Grundsätzlich ist das Jugendamt verpflichtet, ein wohnortnahes Angebot den Eltern für ihre Kinder anzubieten. Allerdings hängen die Anforderungen hierfür von den örtlichen Gegebenheiten ab: Wer im ländlichen Raum lebt, muss grundsätzlich längere Wege in Kauf nehmen als jemand, der in einer Stadt lebt. Allerdings kann auch in der Stadt nicht zwingend verlangt werden, dass der Weg zur Kindertagesstätte allein zu Fuß zu bewältigen ist. Im städtischen Raum erscheint ein solcher Weg von bis zu einer halben Stunde zumutbar. Wer eine besondere Ausrichtung wie z. B. eine Waldorf-Kita wünscht, muss grundsätzlich bereit sein, längere Wege in Kauf zu nehmen. 378 uj 9 | 2013 Rechtsanspruch auf öffentliche Betreuung Die Frage, ob ein Betreuungssetting unzumutbar ist, muss im Einzelfall geprüft werden. Dies soll das folgende Beispiel verdeutlichen: Die Eltern wünschen für ihr Kind eine weltanschaulichneutrale Erziehung, erhalten jedoch einen Platz in einer katholischen Kita, in deren Räumlichkeiten Kreuze hängen und der katholische Glaube aktiv gelebt wird. In diesem Fall dürfen die Eltern ein solches Angebot als „unzumutbar“ ablehnen, ohne für ihr Kind den Rechtsanspruch zu verlieren. Betreuungsgeld anstatt eines Platzes in der Kindertagesstätte oder Tagespflege Das Betreuungsgeld ist für Eltern gedacht, die ihr Kind nicht im Rahmen einer öffentlich geförderten Kindertagesstätte oder Tagespflege betreuen lassen möchten. Wenn die Eltern einen Platz in der Kindertagesstätte oder Tagespflege wünschen, wird der Rechtsanspruch nicht durch die Zahlung des Betreuungsgelds erfüllt. Die Kommune kann sich also nicht mit dem Verweis auf das Betreuungsgeld von der Bereitstellung eines Platzes entlasten. Kann ein Platz in der Kindertagespflege oder Kindertagesstätte vom Jugendamt nicht zur Verfügung gestellt werden, obwohl das Kind bereits das erste Lebensjahr vollendet hat, ist den Eltern zu empfehlen, hiergegen mit einem schriftlichen Widerspruch und gegebenfalls im Wege einer Klage bzw. des einstweiligen Rechtsschutzes vorzugehen. Was tun, wenn das Jugendamt Elternwünsche ablehnt? Zu wenig Betreuungsstunden Wenn die Eltern nicht den gewünschten Umfang an Betreuungsstunden erhalten, ist ihnen zu empfehlen, zunächst gemeinsam mit dem Jugendamt zu klären, ob der gewünschte Umfang an Betreuungsstunden beispielsweise durch eine Kombination von Kindertagespflege und Kindertagesstätte zu erreichen ist. Ist dies nicht möglich, sollten die Eltern - nach Wunsch mit anwaltlicher Unterstützung - die konkreten Erfolgsaussichten prüfen und dann gegebenenfalls gegen die ablehnende Entscheidung des Jugendamts vorgehen. Die konkreten Erfolgsaussichten hängen immer vom Einzelfall und den individuellen eltern- und kindbezogenen Bedarfen ab. So kann z. B. der Rechtsanspruch im Einzelfall erfüllt sein, wenn das Jugendamt 15 Betreuungsstunden pro Woche den Eltern für ihr Kind anbietet. Sind die Eltern jedoch beide in Vollzeit berufstätig, erfüllen 15 Betreuungsstunden in der Woche den Rechtsanspruch grundsätzlich nicht. Nicht erfüllt ist der Rechtsanspruch auch, wenn das Jugendamt nur z. B. sechs bis sieben Stunden pro Woche eine Betreuung zur Verfügung stellt. Grund hierfür ist, dass nur wenige Wochenstunden an Betreuung nicht dem gesetzlichen Förderauftrag von Kindertagesstätte und Kindertagespflege gerecht werden können (siehe oben). Entschließen sich die Eltern dazu, dass sie gegen die negative Entscheidung des Jugendamts vorgehen möchten, ist zu empfehlen, das Jugendamt aufzufordern, einen schriftlichen Bescheid über die ablehnende Entscheidung zu erlassen. Hilfreich ist es hierbei, dass die Anmeldung des Betreuungsbedarfs durch die Eltern schriftlich erfolgt ist. Gegen den ablehnenden Bescheid des Jugendamtes können die Eltern dann im Wege von Widerspruch und Klage oder einstweiligen Rechtsschutz vorgehen. Denkbar ist es auch, etwaigen Verdienstausfall geltend zu machen, wenn ein Elternteil z. B. einen bestehenden Arbeitsvertrag nur teilweise erfüllen kann, also z. B. statt der im Arbeitsvertrag verlangten 40 Wochenstunden nur 30 Wochenstunden arbeiten kann und demzufolge eine geringere Vergütung erhält. 379 uj 9 | 2013 Rechtsanspruch auf öffentliche Betreuung Kein Betreuungsplatz? Wenn den Eltern gar kein Betreuungsplatz oder nicht der gewünschte Platz zur Verfügung gestellt wird, ist ihnen zu empfehlen, den ablehnenden Bescheid eingehend zu prüfen und gegen die ablehnende Entscheidung des Jugendamts dann gegebenfalls mit Widerspruch und Klage bzw. einstweiligem Rechtsschutz (Eilrechtsschutz) vorzugehen. Wenn sich Eltern für eine Klage entscheiden … Je nach Fallkonstellation sind drei zentrale Klageziele in dieser Situation vorstellbar: ➤ Klageziel 1: Bereitstellung eines Platzes, ➤ Klageziel 2: Ersatz der Kosten für privat organisierte Betreuung, ➤ Klageziel 3: Ersatz des Schadens, der wegen der elterlichen Betreuung durch Verdienstausfall entsteht. Der einstweilige Rechtsschutz (Eilrechtsschutz) empfiehlt sich immer dann, wenn eine besondere Eilbedürftigkeit gegeben ist. Von einer besonderen Eilbedürftigkeit ist beispielsweise auszugehen, wenn ohne die Betreuung des Kindes die in einem geschlossenen Arbeitsvertrag vorgesehene Arbeitszeit eines Elternteils nicht realisiert werden kann oder wenn beispielsweise ein Student während der Prüfungszeiten dringend auf die Betreuung seines Kindes angewiesen ist. Zuständiges Gericht Für die einzelnen Klageziele sind unterschiedliche Gerichte zuständig: ➤ Verfolgen die Eltern das Ziel, für ihr Kind ausreichende Betreuungsstunden, die Bereitstellung eines Betreuungsplatzes oder auch Kostenerstattung für selbst organisierte, private Betreuung zu erhalten, ist das örtliche Verwaltungsgericht zuständig. ➤ Möchten die Eltern Schadensersatz wegen Verdienstausfall geltend machen, ist das örtliche Zivilgericht (Landgericht) zuständig. Für die Rechtsverfolgung vor dem Verwaltungsgericht werden keine Gerichtskosten (§ 188 Verwaltungsgerichtsordnung VwGO) erhoben. Falls die Klage oder der einstweilige Rechtsschutz anwaltlich unterstützt wird, müssen die Eltern mit Anwaltskosten für den Fall rechnen, dass sie mit der Klage bzw. dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren (teilweise) unterliegen. Bei einer Klage vor dem Zivilgericht (Landgericht) müssen die klagenden Eltern im Voraus gegenüber dem Gericht Gerichtskosten nach der Höhe des geltend gemachten Schadensersatzes entrichten. Für den Fall, dass die klagenden Eltern gewinnen, wird dieser Gerichtskostenvorschuss wieder zurückerstattet. Auch die eigenen Anwaltskosten sind dann nicht zu tragen. Vor der Klageerhebung Bevor sich die Eltern an ein Gericht wenden, ist immer eine vorherige „Anmeldung“ (Antrag) der Eltern beim örtlichen Jugendamt erforderlich, in dem sie die Betreuungsbedarfe beschreiben. Auch bedarf es regelmäßig eines Widerspruchsverfahrens (Vorverfahrens), sofern nicht im jeweiligen Landesrecht vorgesehen ist, sogleich zu klagen. Hierbei ist es wichtig, die auf dem Bescheid stehende Frist zu beachten: Erhalten die Eltern einen ablehnenden Bescheid vom Jugendamt, können sie hiergegen innerhalb eines Monats die vorgesehenen Rechtsbehelfe ergreifen. Eine Begründung ist für die Erfolgsaussichten eines Widerspruchs oder einer Klage hilfreich, jedoch nicht zwingend erforderlich. Auch ist es möglich, nach der fristgemäßen Erhebung des Rechtsmittels die (weitere) Begründung nachzureichen. Parallel kann es in Eilfällen sinnvoll sein, einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (Eilrechts- 380 uj 9 | 2013 Rechtsanspruch auf öffentliche Betreuung schutz) zu stellen. In den anderen Fällen muss der vorgesehene Widerspruchsbescheid vom Jugendamt abgewartet werden. Sollte dieser negativ ausfallen, kann hiergegen bei Gericht innerhalb eines Monats Klage erhoben werden. Sollten die Eltern die Frist für den Widerspruch bzw. die Klage verpassen, ist damit zwar das aktuelle Verfahren wegen „Formfehlern“ erfolglos. Allerdings bleibt der Rechtsanspruch bestehen, da es ein „Dauer-Anspruch“ ist, und eine erneute Anmeldung des Kindes beim Jugendamt ist möglich und zu empfehlen, solange das Kind im Kita-Alter ist. Auf das Widerspruchsverfahren kann verzichtet werden, wenn das Jugendamt auf die Anmeldung der Eltern trotz mehrfacher Aufforderung ohne weiteren Grund über drei Monate hinweg gar nicht reagiert. Dann besteht die Möglichkeit, den Rechtsanspruch im Wege der Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) geltend zu machen. Klage auf einen Betreuungsplatz Erstes Klageziel ist es, dass der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz in der Kindertagesstätte oder Kindertagespflege erfüllt wird. Das Gericht kann allerdings grundsätzlich nur öffentliche Kindertagesstätten - also solche in Trägerschaft der Gemeinde oder der Stadt - dazu verpflichten, ein Kind aufzunehmen. Ein bestimmter Platz in einer Kindertagesstätte in freier Trägerschaft kann grundsätzlich nicht eingeklagt werden. Andererseits kann die Erfüllung des Rechtsanspruchs grundsätzlich von der Kommune nicht wegen objektiver Unmöglichkeit abgelehnt werden. Nur in Ausnahmefällen wie Staatsnotstand, Kriegszustand oder Naturkatastrophen ist der Fall von objektiver Unmöglichkeit vorstellbar. Es ist denkbar, dass Gerichte die Zerstörungen und den nun erforderlichen Wiederaufbau durch die jüngste Hochwasserkatastrophe in ihren Entscheidungen entsprechend berücksichtigen werden. Hierbei handelt es sich jedoch um einen Ausnahmefall, der nur für die vom Hochwasser betroffenen Gebiete in Betracht kommt. Dies kann im Ergebnis nur dazu führen, dass der Rechtsanspruch mit einer zeitlichen Verzögerung zu erfüllen ist. Zur rechtzeitigen Erfüllung des Rechtsanspruchs gibt es bereits zahlreiche Initiativen wie z. B. ein Modellprojekt für angestellte Tagespflegepersonen, um diesen Beruf attraktiver zu machen und so mehr Betreuungsplätze zur Verfügung zu stellen. Auch wird an vielen Orten die Bedarfsfeststellung gebündelt durch Internetportale, um so das vorhandene Angebot tatsächlich zu nutzen. An vielen Orten melden Eltern immer noch mehrfach ihren Betreuungsbedarf bei verschiedenen Kindertagesstätten an, die dies jedoch untereinander nicht kommunizieren. Es kann z. B. sein, dass für ein Kind fünf Anmeldungen bei fünf verschiedenen Kindertagesstätten vorliegen und diese melden, dass sie keine Platzkapazitäten mehr haben, obwohl das Kind nur einen Platz tatsächlich in Anspruch nehmen wird. In diesem Kontext ist die soeben genannte zentralisierte Bedarfsfeststellung durch die Jugendämter hilfreich. Keine gangbare Alternative ist es jedoch, den Platzbedarf dadurch zu decken, dass die Qualitätsstandards abgesenkt werden, insbesondere die ErzieherInnen-Kind-Relation verschlechtert wird. Nicht möglich ist es demzufolge, die Gruppen über die in der Betriebserlaubnis festgelegte Größe einfach zu erweitern oder den Personalschlüssel abzusenken oder nicht qualifiziertes Personal in den Personalschlüssel einzubeziehen. Allerdings kann es dennoch sein, dass das Gericht zwar die Kommune verpflichtet, einen Betreuungsplatz bereitzustellen, es jedoch aktuell keinen freien Betreuungsplatz gibt, sondern dieser erst geschaffen werden muss. Da die Schaffung neuer Plätze mit einem gewissen Zeitaufwand verbunden ist, ist den Eltern zu empfehlen, entweder für die Übergangszeit den Weg der Selbstbeschaffung zu wählen oder Schadensersatz geltend zu machen. 381 uj 9 | 2013 Rechtsanspruch auf öffentliche Betreuung Selbstbeschaffung und Kostenersatz für selbst organisierte Betreuung? Denkbar ist es, dass die Eltern für ihr Kind eine private Betreuung organisieren - im Rahmen der Kindertagespflege oder in einer Kindertagesstätte. In dringlichen Fällen ist der Weg der Selbstbeschaffung bereits ab dem Zeitpunkt vorstellbar, ab dem die Eltern einen ablehnenden Bescheid erhalten haben oder wenn die Kommune nicht rechtzeitig reagiert. Auch sollte parallel gegen den ablehnenden Bescheid, also die „Absage“ des (gewünschten) Platzes mit Widerspruch und Klage vorgegangen werden. Wenn die selbst beschaffte Betreuung den gesetzlichen Anforderungen des Förderauftrags und den darin enthaltenen Mindeststandards entspricht, können die Eltern vom Jugendamt die für diese Betreuung entstehenden Kosten abzüglich der jeweils geltenden Elternbeiträge ersetzt verlangen und gegen einen ablehnenden Bescheid mit Widerspruch und Klage gegebenenfalls vorgehen. Im Vorfeld einer solchen Überlegung ist im Kontext der Kindertagespflege den Eltern zu empfehlen, eine ihrer Auffassung nach geeignete Kindertagespflegeperson dem Jugendamt vorzuschlagen. Grundsätzlich zu beachten ist jedoch, dass die Kosten für diese Selbstbeschaffung nur dann auf diesem Wege erstattet werden können, wenn es sich um rechtsanspruchserfüllende Betreuungslösungen handelt. So kann nicht generell angenommen werden, dass z. B. eine Spielgruppe, ein Nachbar oder ein Au-Pair- Mädchen eine Betreuungsleistung im Sinne des gesetzlichen Förderauftrags erbringt. Im Einzelfall ist zu prüfen, ob diese „selbst beschafften“ Betreuungssettings den oben genannten gesetzlichen Anforderungen an den Förderauftrag entsprechen. Hierfür ist zu empfehlen, auch die Beratung des Jugendamts in Anspruch zu nehmen. Entspricht nämlich die „selbst beschaffte“ Betreuung nicht den Anforderungen an den Förderauftrag, besteht keine Verpflichtung, die entstehenden Kosten in diesem Rahmen zu erstatten. Allerdings können die Kosten im Rahmen der Schadensminderungspflicht berücksichtigt werden, wenn sich die Eltern dazu entschließen, ihren Verdienstausfall geltend zu machen. Schadensersatz? Auch für das Klageziel 3 ist den Eltern dringend zu empfehlen, zunächst ihren Bedarf anzumelden und gegen einen ablehnenden Bescheid mit Widerspruch und gegebenenfalls Klage vorzugehen (siehe Klageziel 1: Klage auf einen Betreuungsplatz). Wenn jedoch aktuell kein Betreuungsplatz vorhanden ist und die Eltern nicht z. B. ihrer Erwerbstätigkeit (teilweise) nachgehen können, da sie ihr Kind selbst betreuen müssen, können sie ihren Verdienstausfall abzüglich der Elternbeiträge geltend machen. Dies ist in einem Schreiben an das Jugendamt darzulegen. Es ist zu empfehlen, entsprechende Nachweise wie z. B. einen bestehenden Arbeitsvertrag beizulegen, die deutlich machen, dass eine Verdienstmöglichkeit real gegeben ist. Die bloße Absicht, eine Arbeit aufnehmen zu wollen, reicht nicht aus, um einen Schaden geltend zu machen. Wenn das Jugendamt ablehnt, den Eltern den Verdienstausfall zu erstatten, ist zu empfehlen, das Schreiben zu prüfen und gegebenenfalls das Jugendamt mit einem weiteren Schreiben mit Fristsetzung zu mahnen und dann den Verdienstausfall einzuklagen. Bei der Prüfung des ablehnenden Bescheids des Jugendamts ist zu beachten, dass in Einzelfällen die Ablehnung rechtmäßig sein kann, sofern kein Verschulden gegeben ist. Dies kann zum einen sein, wenn das Jugendamt alles in 382 uj 9 | 2013 Rechtsanspruch auf öffentliche Betreuung seiner Macht Stehende getan hat, um Fachkräfte zu gewinnen. Hieran sind jedoch sehr hohe Anforderungen zu stellen. Denkbar ist auch, dass in den vom jüngsten Hochwasser betroffenen Gebieten ein Verschulden von den Gerichten abgelehnt wird. Zu beachten ist auch, dass die Eltern eine Schadensminderungspflicht haben. Das bedeutet, dass der durch den Verdienstausfall entstandene Schaden so gering wie möglich zu halten ist. Sollten sich also „Not-Betreuungslösungen“, wie z. B. die Betreuung durch ein Au-Pair-Mädchen oder einen Nachbarn anbieten und können die Eltern dadurch zumindest teilweise ihren Arbeitsvertrag erfüllen, sollten sie dies nutzen und erhalten die Kosten im Rahmen des Schadensersatzanspruches auch erstattet. Prof. Dr. Dr. h. c. Reinhard Wiesner Freie Universität Berlin Arbeitsbereich Sozialpädagogik reinhard-wiesner@t-online.de Christian Grube Rechtsanwalt Kanzlei Bernzen Sonntag August-Exter-Straße 4 81245 München grube@msbh.de Melanie Kößler Rechtsanwältin Kanzlei Bernzen Sonntag Lietzenburger Straße 51 10789 Berlin koessler@msbh.de Literatur Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e. V. (DIJuF) - Meysen/ Beckmann 2012: Rechtsanspruch U3 - Voraussetzungen und Umfang des Rechtsanspruchs auf Förderung in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege für Kinder unter drei Jahren. Heidelberg Grube, C., 2009: Kommentierung von §§ 11 - 26, 69 - 71, 76, 77, 86 - 86 d. In: Hauck, K./ Noftz, W.: SGB VIII - Kinder und Jugendhilfe, Loseblattkommentar. Berlin Wiesner, R., 4 2011: Kommentar zum SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfe. München Wiesner, R./ Grube C./ Kößler, M., 2013: Anspruch auf frühkindliche Förderung und seine Durchsetzung - Folgen der Nichterfüllung des Anspruchs. Wiesbaden