unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2014
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„Ich bin wichtig“
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2014
Artur Geis
Der Artikel führt in die Erlebniswelt von Kindern psychisch erkrankter Eltern ein und beschreibt die Gruppenarbeit mit betroffenen Kindern an der Psychologischen Beratungsstelle für Erziehungs-, Jugend- und Familienberatung Günzburg, einer Einrichtung des Erziehungs- und Jugendhilfeverbundes Donau-Iller. Träger ist die Katholische Jugendfürsorge Augsburg e. V.
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33 unsere jugend, 66. Jg., S. 33 - 41 (2014) DOI 10.2378/ uj2014.art05d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel „Ich bin wichtig“ Ein Gruppenangebot für Kinder psychisch kranker Eltern an der psychologischen Beratungsstelle Günzburg Der Artikel führt in die Erlebniswelt von Kindern psychisch erkrankter Eltern ein und beschreibt die Gruppenarbeit mit betroffenen Kindern an der Psychologischen Beratungsstelle für Erziehungs-, Jugend- und Familienberatung Günzburg, einer Einrichtung des Erziehungs- und Jugendhilfeverbundes Donau-Iller. Träger ist die Katholische Jugendfürsorge Augsburg e. V. von Artur Geis Jg. 1963, Dipl.-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut, Leiter der Erziehungsberatungsstelle Günzburg „Ich bin dazu da, damit es Mama wieder besser geht“ Der Satz könnte von vielen Kindern stammen, die mit einem psychisch kranken Elternteil zusammenleben. Viele würden vielleicht fragen: Was soll daran so Schlimmes sein? Ist es nicht ein gutes Zeichen, wenn in einer Familie alle zusammenhelfen? Sollen Kinder nicht sogar lernen, Rücksicht auf kranke Eltern zu nehmen? Im Rahmen psychiatrischer Anamnesen und Behandlungen wurden Kinder nach dieser Prämisse über Jahrzehnte hinweg, wenn überhaupt, unter dem Aspekt der Stabilisierung der elterlichen Erkrankung gesehen und somit funktionalisiert. Nein, nicht nur innerhalb des kranken Systems in der Familie, sondern durch das Helfersystem der Erwachsenenpsychiatrie. Erst vor wenigen Jahren wurde das Augenmerk auf die Lebenswelten betroffener Kinder gelenkt. Impulse zu einer veränderten Sichtweise kamen dabei nicht so sehr aus dem Gesundheitssystem selbst als vielmehr aus dem Bereich der Jugendhilfe. Sicher hat das Thema aufgrund der öffentlichkeitswirksamen Berichterstattung über extreme Gewalt- und Vernachlässigungserfahrungen von Kindern plötzlich in der breiten Öffentlichkeit an Bedeutung gewonnen. Glücklicherweise wurde die Problematik dann auch vonseiten der Praxis und der Wissenschaft aufgegriffen. So gab es innerhalb der letzten Jahre eine enorme Entwicklung innerhalb der Forschung, was Datenerhebung, Symptom- und Belastungsanalyse sowie Suche nach Resilienzfaktoren betrifft. Aus der Praxis heraus entwickelte sich eine Vielzahl von Projekten mit der gemeinsamen Zielsetzung, betroffene Kinder und Familien zu unterstützen. 34 uj 1 | 2014 Gruppenangebot für Kinder psychisch kranker Eltern „Ich konnte meine Freundin nicht zu mir nach Hause einladen“ Sehr vielfältig sind die Belastungen von Kindern, deren Eltern psychisch krank sind. Vielen erkrankten Eltern ist es zeitweise oder grundlegend nicht mehr möglich, eine verlässliche Eltern-Kind-Bindung herzustellen oder zu erhalten. Angesichts eigener Befangenheit kommt es zu Bindungsverunsicherungen, fehlender Aufmerksamkeit und Zuwendung, Vernachlässigung und in Extremfällen auch zu Misshandlungen. Diese sind verbunden mit schweren Grenzüberschreitungen, wie z. B. Störungen des Schlafes, Beeinträchtigungen durch Beschimpfungen und Erfahrungen von Realitätsverschiebung durch das Einbeziehen der Kinder in ein krankhaft verzerrtes Wahrnehmungssystem. Kinder neigen dazu, die Verantwortung für das Kranksein der Eltern zu übernehmen. Häufig bekommen sie auch direkt zu hören, dass sie schuld seien am Befinden der Eltern. So erleben sie massive Schuldgefühle, übernehmen noch mehr Verantwortung für die Eltern. Potenziert wird die Problematik, wenn den Kindern keine Information und Aufklärung über die elterliche Erkrankung zur Verfügung steht. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass sich das Rollengefüge auf den Kopf stellt und die Kinder die Aufgaben der Erwachsenen übernehmen (Parentifizierung). Insgesamt bedeutet dies eine emotionale, soziale und kognitive Überforderung. Kindliche Bedürfnisse, wie etwa ausreichend versorgt zu werden, sich auf den starken Papa und die starke Mama verlassen zu können, einen unbeschwerten Umgang mit Gleichaltrigen genießen zu dürfen, sich in eigenen Gedanken und Spiel zu verlieren und Zuwendung zu erfahren, müssen abgespaltet werden. Durch die Nichtbewältigung der altersentsprechenden Entwicklungsaufgaben fehlen folglich Teile sozial-emotionaler Kompetenzen, die die Entwicklung eines eigenen sicheren Bindungsmusters beeinträchtigen können. Meistens ist das familiäre System mit einem psychisch kranken Elterteil durch Enge, Abschottung und Kontrolle nach außen geprägt. Diese Tabuisierung der Krankheit ist vielfach der Ausgangspunkt für eine Isolation des gesamten Systems und somit ganz speziell auch der Kinder. Wenn das Kind nie andere Kinder zu sich nach Hause einladen kann, nicht unbeschwert mit anderen sprechen und spielen kann, keinen Freizeitaktivitäten in Gruppen oder Vereinen nachgehen kann, sind Fehlentwicklungen bis hin zur eigenen psychischen Erkrankung wahrscheinlich. Weitere Belastungsfaktoren sind Ängste der Kinder vor dem Verlust des erkrankten Elternteils, Angst vor den Krankheitssymptomen, die Angst, selbst zu erkranken, Betreuungsdefizite, finanzielle und materielle Probleme. „Toll, dass es die Gruppe gibt, dass man versucht, uns Kindern zu helfen“ Die Anregung für eine spezielle Kindergruppe erfolgte durch Dipl.-Sozialpädagogin Susanne Kilian im Frühjahr 2006 in der Arbeitsgruppe „Kinder psychisch Kranker“. Dieser Arbeitskreis, angebunden an das Bezirkskrankenhaus in Günzburg, beschäftigte sich schon seit 2004 mit der Situation von Familien mit einem psychisch kranken Elternteil. Ein erster konkreter Erfolg war die Einrichtung der Beratungsstelle FIPS, geleitet von Frau Kilian. Dieses Beratungsangebot für betroffene Eltern und Kinder konnte sich etablieren und schloss eine Lücke in der Beratungslandschaft des Landkreises Günzburg. Die Idee für einen zweiten Baustein, nämlich ein Gruppenangebot für betroffene Kinder, wurde von der Psychologischen Beratungsstelle in Günzburg 35 uj 1 | 2014 Gruppenangebot für Kinder psychisch kranker Eltern aufgenommen und im November 2006 umgesetzt. Dass das Gruppenangebot so zügig bereitgestellt werden konnte, lag ganz wesentlich in der intensiven und unbürokratischen Zusammenarbeit beider Stellen und der flankierenden Unterstützung des Arbeitskreises im Sinne einer guten Vernetzung von Professionen, die im Landkreis von der Thematik betroffen sind. Rahmen der Präventionsgruppe Die Finanzierung der Gruppenarbeit erfolgt auf der Grundlage der Hilfen zur Erziehung (§§ 27ff SGB VIII) in Verbindung mit der Erziehungsberatung (§ 28 SGB VIII) und der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie (§ 16 SGB VIII). Eine kurze Übersicht stellt die Rahmenbedingungen der Gruppenarbeit dar: Ziele, Methoden und Ablauf der Gruppenarbeit In der Gruppenarbeit werden nachstehende Zielsetzungen verfolgt: ➤ kindgerechte Aufklärung über psychische Erkrankungen, ➤ besseres Verständnis ihrer eigenen und der Situation der Eltern, ➤ Entlastung durch den Erfahrungsaustausch der Kinder über die elterliche psychische Erkrankung, ➤ Entwicklung eines Gruppengefühls „Ich bin mit meiner Situation nicht allein“, ➤ verbesserte Differenzierungsfähigkeit zwischen kindlichen Handlungsmöglichkeiten einerseits und überfordernder Verantwortungsübernahme in der Familie, Zielgruppe Präventionsgruppe für Kinder mit einem psychisch erkrankten Elternteil (schizophrene oder affektive Psychose, schwere neurotische Störungen wie Zwänge, Suchtmittelabhängigkeit) Termin 14-tägig, freitags von 16.00 bis 18.00 (bzw. 19.00) Uhr Gruppengröße ca. 8 Kinder zwischen 9 und 13 Jahren Sitzungsanzahl 10 - 12 Einheiten von 2 bzw. 3 Stunden Dauer Teilnahme Kinder sollen freiwillig, aus eigenem Interesse und regelmäßig teilnehmen. Verpflichtung zur Teilnahme an einem Block. Kosten Die Teilnahme ist kostenfrei, eventuell besteht eine Kostenbeteiligung bei besonderen Aktionen. Leitung Artur Geis, Dipl.-Psychologe, Leiter der psychologischen Beratungsstelle Vertraulichkeit Die MitarbeiterInnen der Beratungsstelle stehen unter Schweigepflicht. Kontakt mit anderen Stellen/ Fachleuten wird angestrebt, Voraussetzung ist das Vorliegen der Schweigepflichtentbindung. Eltern Mit den Eltern gibt es Kontakte je nach Absprache und Bedarf. Anmeldung Anmeldung in der Beratungsstelle oder bei FIPS (Fr. Kilian) Träger Psychologische Beratungsstelle für Erziehungs-, Jugend- und Familienberatung Günzburg - EJV Donau-Iller Katholische Jugendfürsorge der Diözese Augsburg e. V. Abb. 1: Präventionsgruppe für Kinder 36 uj 1 | 2014 Gruppenangebot für Kinder psychisch kranker Eltern ➤ Erarbeitung eines individuellen Verhaltensplans für Krisenzeiten, ➤ Stärkung der Kinder in der Wahrnehmung ihrer Gefühle und altersentsprechender Bedürfnisse, ➤ Förderung sozialer und kommunikativer Kompetenzen, ➤ Vermittlung von Freude an den gemeinsamen Gruppenerlebnissen, ➤ Entwicklung und Stärkung längerfristiger entlastender Strukturen im außerfamiliären Bereich (z. B. Vereine, Freizeitgruppen). Bezüglich des methodischen Repertoires wird eine Mischung aus direkt themenbezogenen Einheiten mit einem sehr offenen Zugehen auf die elterliche bzw. familiäre Problematik und erlebnispädagogischen, kreativen und netzwerkorientierten Angeboten, die mehr kompensatorisch wirken, umgesetzt: ➤ themenbezogene Einheiten - im Mittelpunkt stehen hierbei verschiedene Kinderfachbücher und Beratungsbroschüren, ➤ Gruppengespräche, ➤ Rollenspiele, ➤ Spiel - Sport in der Turnhalle, ➤ spieltherapeutische und erlebnispädagogische Zugänge, ➤ kreative und gestalterische Methoden, ➤ Entspannungsübungen, ➤ Ausflüge und ➤ Ausprobieren aktiver Freizeitmöglichkeiten. Die thematischen Gruppensitzungen sind geprägt von einem ritualisierten Ablauf. Den Beginn bildet immer eine gemeinsame Befindlichkeitsrunde. Mittels „Ampelkarten“ signalisieren die Kinder ihre Befindlichkeit. In einer kurzen Gesprächsrunde können sie dazu Stellung nehmen, warum sie die grüne (gut), die gelbe (mittel) oder die rote (schlecht) Karte gezeigt haben. Diese Rückmeldung erlaubt dem/ der GruppenleiterIn neben der subjektiven Wahrnehmung einen Überblick über den Stand der Gruppe. Meist schildern die Kinder hier für sie wichtige, aber nicht extreme Erlebnisse. Wenn sie im Gruppenprozess miteinander vertraut sind, erzählen sie bereits in dieser ersten Phase manchmal sehr belastende Erlebnisse und Erfahrungen aus dem familiären Kontext. So kann es sein, dass ein Mädchen von der überraschenden stationären Aufnahme seiner depressiven Mutter erzählt oder ein Junge von der nächtlichen Ruhestörung durch den nackt umherlaufenden manischen Vater. In der Regel reagieren in solchen Fällen die Kinder mit einer großen Betroffenheit und Anteilnahme. Manchmal schaffen es die Kinder, ihre Betroffenheit zu verbalisieren und so dem anderen Verständnis und Trost zu spenden. Gleichzeitig erleben sie für sich, dass es anderen Kindern oft genauso geht wie ihnen selbst. Dieses Erleben spannt ein inneres Band zwischen den Kindern, schafft Vertrauen und entlastet. Natürlich treten die Planungen für den thematischen Stundenablauf hier in den Hintergrund. Nach der Einleitungsrunde wird eine zum Thema passende Spieleinheit durchgeführt. Meistens handelt es sich dabei um Kommunikations- und Kooperationsspiele, die den Gruppenprozess anregen und unterstützen. Geht es in der thematischen Zielsetzung der Gruppenstunde beispielsweise um die Gefühlsqualitäten bei psychischen Erkrankungen, so kann die spielerische Annäherung z. B. ein Gefühlsquiz oder die pantomimische Darstellung von Gefühlen sein. Im Mittelpunkt der Gruppenarbeit steht die Annäherung an den Kern der Belastungssituation der Kinder, nämlich die elterliche psychische Erkrankung und die Folgewirkungen auf die Kinder. In den meisten Sitzungen werden dabei verschiedene Kinderfachbücher und Broschüren eingesetzt. Auf die oben beschriebenen sonstigen Methoden möchte ich hier nicht weiter eingehen. 37 uj 1 | 2014 Gruppenangebot für Kinder psychisch kranker Eltern Das Kinderfachbuch„Sonnige Traurigtage“ eignet sich ganz besonders dazu, die Kinder einzuladen, sich der Problematik zu öffnen. Anhand einfühlsamer Bilder und kurz gehaltener Textpassagen wird die Geschichte einer depressiven Mutter und ihrer 9-jährigen Tochter erzählt. Verpackt in der Geschichte sind ganz alltägliche Erfahrungen, die Kinder in einer derartigen Situation oftmals machen müssen. So kommt es vor, dass das Mädchen nach der Schule vor einer verschlossenen Haustüre steht, da die Mutter wieder mal nicht aufstehen kann, dass kein Essen gekocht und der Kühlschrank leer ist, dass die Wohnung völlig unaufgeräumt ist, dass die Tochter Verantwortung spürt, die Mutter trösten zu müssen, dass sie wieder mal unausgeschlafen und verspätet in die Schule kommt und die wahren Gründe nicht ansprechen kann oder dass sie aus Scham keine Freunde nach Hause einladen kann. Gemeinsam mit den Kindern werden die einzelnen Abschnitte der Geschichte durchgesprochen. Die Kinder beteiligen sich, die einzelnen Gefühle der Mutter und der Tochter zu bestimmen. Sie tauchen somit ein in die ihnen bekannte Thematik, können aber noch eine Distanz zu ihrer eigenen Situation wahren. In einer durch Vertrauen in den/ die GruppenleiterIn und die anderen Gruppenmitglieder geprägten Atmosphäre erhalten die Kinder dann das Angebot, eine Projektion auf ihre individuellen Erlebnisse mit den eigenen Eltern zu vollziehen. Einzelne Kinder können in der Folge erzählen, dass sie selbst ganz ähnliche Erfahrungen in der eigenen Familie gemacht haben. Wenn das Kind es zulässt, können andere Kinder dazu Stellung nehmen. Die Kinder äußern sich in der Regel empathisch und Anteil nehmend, manchmal auch lösungsorientiert, indem sie erzählen, wie sie selbst entsprechende Belastungssituationen bewältigen konnten. Kinder unterstützen sich in dieser Art und Weise modellhaft. Dieser Aspekt des modellhaften Lernens ist neben dem Erleben von Verständnis und Anteilnahme einer der wichtigsten Gruppeneffekte. Auch wenn sich einige Kinder nicht sofort oder auch nicht später im direkten Bezug auf ihr Familiensystem äußern können, ist die Wahrscheinlichkeit doch groß, dass sie einen inneren Bezug, ob auf bewusster oder unbewusster Ebene, herstellen. In jedem Fall entsteht das Gefühl, mit der eigenen Situation nicht allein zu sein. In späteren Sitzungen geht es dann auch darum, die individuellen Erfahrungen wieder auf eine allgemeine, natürlich kindgerechte Sprach- und Darstellungsweise zu transferieren. Auf dieser Ebene werden den Kindern Erklärungen für Krankheitsbegriffe und Störungsbilder gegeben. Die Vermittlung und Aufklärung über psychische Krankheiten soll für die Kinder in zweierlei Hinsicht entlastend wirken. Einmal im Bezug auf die Krankheitsgenese, für die sich uninformierte Kinder selbst verantwortlich machen bzw. oft auch von kranken Eltern verantwortlich gemacht werden. Zum andern geschieht eine Entlastung hinsichtlich der kindlichen Haltung, für die Krankheitsbewältigung verantwortlich zu sein. Kinder müssen wissen, dass nicht sie für das Wohl ihrer Eltern sorgen können, sondern dass den Eltern nur eine professionelle Behandlung helfen kann. Beendet werden die Gruppensitzungen, auch je nach zeitlichem Ablauf, mit einer Spieleinheit und mit einer abschließenden Befindlichkeitsrunde. Die Kinder dürfen mit den „Ampelkarten“ rückmelden, wie ihnen die Stunde gefallen hat und wie es ihnen geht. Neben dem Erhalt eines allgemeinen Feedbacks können hier nochmals Störungen oder wichtige Veränderungen im Sinne therapeutischer Wirkungen aufgegriffen werden oder dann im Nachgang zur Sitzung besprochen werden. Die erlebnispädagogisch, kreativen und netzwerkorientierten Stunden sollen die Kinder in der Wahrnehmung ihrer Gefühle, der Befriedigung kindlicher Bedürfnisse und der Integration dieser Qualitäten in ihrem Selbstbild stärken. Darüber hinaus werden auf diesem Wege 38 uj 1 | 2014 Gruppenangebot für Kinder psychisch kranker Eltern die sozialen und kommunikativen Fertigkeiten ganz besonders beansprucht und gefördert. Neben der unmittelbaren Freude am Erleben wird bei einigen Kindern die Entwicklung und Stärkung längerfristiger entlastender Strukturen im außerfamiliären Bereich, z. B. durch Vereine oder Freizeitgruppen, angeregt. Individuelle Verhaltenspläne: „Wenn Papa wieder komische Sachen macht, kann ich gleich zur Tante gehen, die hilft mir dann“ Sämtliche Erfahrungen, Infoaufnahme, Entwicklung von Strategien im Umgang mit den Folgen der elterlichen Erkrankung sowie die Bewusstwerdung über eigene Resilienzen sollen einfließen in einen individuellen, verinnerlichten Verhaltensplan bei jedem einzelnen Kind. Ein Hauptteil dieses sogenannten Verhaltensplanes speist sich aus folgenden Gruppenerfahrungen: ➤ Unterstützung durch schöne Erlebnisse mit anderen, ➤ Kennenlernen eigener Fähigkeiten und Interessen, ➤ Entlastung durch Austausch mit anderen Betroffenen, ➤ Wissen, an elterlicher Erkrankung nicht schuld zu sein, ➤ Klarheit, dass sie Eltern nicht helfen können, ➤ Möglichkeiten, mit Stress umzugehen, ➤ Erlaubnis und Lernen, Gefühle auszudrücken und ➤ Kennenlernen von Bewältigungsstrategien. Ein weiterer Bereich, der kindliche Verhaltensweisen im Umgang mit der elterlichen Erkrankung positiv beeinflussen kann, bezieht sich auf die Resilienzfaktoren. Diese erstrecken sich von (weniger beeinflussbaren) Temperamentsmerkmalen bis hin zu einer grundlegenden Bindungsfähigkeit. So haben beispielsweise extravertierte Kinder aufgrund ihrer Außengerichtetheit eine größere Wahrscheinlichkeit, Hilfe zu erhalten. Kognitiv kompetente Kinder können auf dieser Ebene belastende Erlebnisse kompensieren und sich so positive Anerkennung sichern. Kinder mit einem positiven Selbstkonzept haben eher eine internale Kontrollüberzeugung, glauben also an die Wirksamkeit eigenen Verhaltens. Wichtig ist es in erster Linie, sich dieser Stärken bewusst zu werden. Die Veränderbarkeit, bzw. der Aufbau von Resilienzfaktoren ist dagegen sehr differenziert zu betrachten. So können beispielsweise kognitive Möglichkeiten und Temperamentsmerkmale nicht beliebig verändert werden. An sozialen Kompetenzen und Selbstkonzept kann dagegen mehr durch Lernerfahrungen erreicht werden. Besondere Bedeutung für die Entwicklung angemessener Verhaltensweisen hat das Wissen über die psychische Erkrankung der Eltern. Dies geschieht in der Gruppe über direkte Krankheitsaufklärung in kindgerechter Art und Weise sowie über Gruppengespräche. Hilfreich ist hier besonders der Einsatz von spezifischen Informationsbroschüren und Kinderfachbüchern. Es sollen konkrete Möglichkeiten genannt werden, wie die Kinder auch später (nach der aktiven Gruppenzeit) an derartige Informationen kommen können. Schließlich soll mit den Kindern ihr individuelles familiäres und außerfamiliäres Netzwerk von konkreten Hilfen erarbeitet werden. So gilt es zu klären, zu welchen Familienmitgliedern eine positive Bindung besteht, bei welchem Problem wer helfen kann, welche Freunde unterstützen und an welche professionellen, auch überregionalen, Stellen sich die Kinder in Notfällen wenden können. Beispielhaft werden die Verhaltenspläne für zwei Kinder der Gruppe dargestellt. 39 uj 1 | 2014 Gruppenangebot für Kinder psychisch kranker Eltern Dominik, 9 Jahre Der Junge lebt bei seiner Mutter, die an einer affektiven Störung, verbunden mit einer multiplen Angstsymptomatik erkrankt ist. Die Mutter befindet sich nach stationären Klinikaufenthalten seit einiger Zeit in ambulanter Behandlung und weist einen relativ stabilen Zustand auf. Sie geht im Zuge ihrer Behandlung inzwischen recht offen mit ihrer Erkrankung gegenüber dem Jungen um. So konnte sich auch der Junge im Kontext der Gruppe gut öffnen. Zusätzliche Probleme ergeben sich für ihn aus der Trennungssituation der Eltern. Zwar hat der Junge regelmäßigen Kontakt zu beiden Elternteilen, die Kommunikation auf Elternebene ist jedoch erheblich beeinträchtigt und bringt Dominik immer wieder in erhebliche Loyalitätskonflikte mit der Folge von Verhaltensauffälligkeiten im familiären Umfeld. Er besucht mit Erfolg die dritte Klasse der Diagnose-Förderklasse am Sonderpädagogischen Förderzentrum in Hochwang. (Bei Diagnose- und Förderklassen handelt es sich um ein Angebot mit gezielter individueller Förderung für SchülerInnen mit Problemen im Lern- und Sozialverhalten im ersten bis dritten Schulbesuchsjahr. Der Lehrplan der ersten beiden Klassen der Grundschule kann in drei Schuljahren behandelt werden). In seinem Verhaltensplan sind folgende Aspekte integriert: ➤ Dominik ist sich seiner kognitiven Stärken im mathematischen Bereich bewusst und erlebt sich hier als kompetent, was ihm zusätzliches Selbstvertrauen und Anerkennung bringt. ➤ Er ist inzwischen, trotz seiner anfänglichen Körperfülle, auch sportlich für Spiele in der Turnhalle und Fußball zu begeistern. Er findet hier körperliche An- und Entspannung und baut auf diese Art und Weise Stress ab. ➤ Dominik konnte die Motivation entwickeln, sich nach dem Gruppenangebot an der Psychologischen Beratungsstelle einer Pfadfindergruppe anzuschließen. Die Chance, sein soziales Bezugsfeld zu erweitern mit den entsprechenden positiven Folgeeffekten, ist dadurch deutlich angestiegen. ➤ Dominik ist über die Erkrankung seiner Mutter aufgeklärt, kann auch die Symptome der depressiven Erkrankung ohne Schuldgefühle richtig einordnen. ➤ Der Junge kann auf ein familiäres Netzwerk zurückgreifen. So ist seine Großmutter eine wichtige Bezugsperson, die ihn in Krisensituationen emotional auffangen und in konkreten Alltagssituationen für die Mutter Versorgungs- und Erziehungsaufgaben übernehmen kann. ➤ Dominik hat über den Bezug zur Gruppe eine vertrauliche Beziehung zum Gruppenleiter aufbauen können. Er ist in der Lage, sich bei gravierenden Problemen an der Psychologischen Beratungsstelle Hilfe zu holen. ➤ Auch seine Mutter hat sich schon vertrauensvoll in Erziehungsfragen und bzgl. der Kommunikationsprobleme mit dem Vater an die Beratungsstelle gewandt. Maria, 13 Jahre Das Mädchen lebt mit ihrer Mutter und dem 12-jährigen Bruder in einem eigenen Reihenhaus zusammen. Der Vater leidet unter einer chronischen schizophrenen Erkrankung mit starker paranoider Symptomatik. Die letzten Jahre wurde der Vater immer wieder über Monate hinweg stationär behandelt. Zwischen den Krankheitsschüben lebte er in der Familie. Durch die im näheren Umfeld nicht zu verbergende Symptomatik des Vaters, der auch zeitweise die Nachbarschaft in sein Wahngebäude integrierte, ist die Familie stark belastet. Die Mutter selbst macht oft einen völlig überforderten und niedergeschlagenen Eindruck und kann somit die Kinder nicht ausreichend stützen. Dennoch gelingt es der Mutter, für sich und die Kinder fachliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen. So ist die Familie sehr eng an die ambulante Beratungsstelle des Bezirks- 40 uj 1 | 2014 Gruppenangebot für Kinder psychisch kranker Eltern krankenhauses angebunden. Maria ist sehr ruhig und zurückhaltend, kann aber Hilfe annehmen und sich zu ihrer Situation äußern. Sie hat allerdings infolge der familiären Isolation kaum freundschaftliche Beziehungen zu Gleichaltrigen. Auch deshalb, weil sie von der Mutter stark in häusliche und wirtschaftliche Bezüge miteingebunden und damit auch zeitweise stark überfordert wird. Diese Parentifizierung betrifft Maria weitaus mehr als ihren Bruder. Das Mädchen verfügt über ein gutes kognitives Potenzial und besucht mit Erfolg das Gymnasium. In ihrem Verhaltensplan sind folgende Aspekte integriert: ➤ Maria ist sich ihrer schulischen Fertigkeiten und Erfolge bewusst und erlebt sich hier als kompetent, was ihr zusätzliches Selbstvertrauen und Anerkennung bringt. Sie konnte lernen, ihr zu hohes Anspruchsniveau zu begrenzen und die Erfolge mehr zu genießen. Auf diesem Weg konnte Maria viele Belastungen kompensieren. Sie kann sich auch gegenüber der Mutter abgrenzen, die die Wichtigkeit der schulischen Entwicklung häufig kurzfristigen finanziellen Aspekten unterordnet. ➤ Das Mädchen konnte ihr kreatives und musisches Talent auch innerhalb der Gruppe ausbauen und so an Selbstwert gewinnen. Von den Gruppenmitgliedern wurde sie dabei immer wieder bestärkt. ➤ Gegen Ende der Gruppe konnte sich Maria zusammen mit einem anderen Mädchen einer Tanzgruppe anschließen. Hier besteht die Chance, dass sie ihr soziales Netzwerk ausbauen und somit auch die Entwicklungsaufgaben der Pubertät gut durchlaufen kann. ➤ Ein familiäres Netzwerk ist leider nicht vorhanden. Maria konnte Hilfe bei der Suche nach einem „Familienersatz“ im Sinne einer Anlaufstelle in alltäglichen Notsituationen annehmen. ➤ Sie hat über den Bezug zur Gruppe eine vertrauliche Beziehung zum Gruppenleiter aufbauen können und kann sich an der Psychologischen Beratungsstelle Hilfe holen. ➤ Maria ist über die Erkrankung ihres Vaters aufgeklärt, kann auch die Symptome der psychotischen Erkrankung ohne Schuldgefühle richtig einordnen. Zusammenfassend ist der Verhaltensplan das verdichtete Ergebnis dessen, was das Kind in der Gruppe erfahren, lernen und als konkrete Handlungsstrategien in die Zukunft mitnehmen kann. Am Ende der Gruppenarbeit verschriftlichen und gestalten die Kinder ihren individuellen Verhaltensplan. Artur Geis Erziehungs- und Jugendhilfeverbund Donau-Iller Psychologische Beratungsstelle, Erziehungs-, Jugend- und Familienberatung Hofgartenweg 8 89312 Günzburg geisA@eb-guenzburg.de Literatur Beeck, K., 2004: Ohne Netz und Boden. Situation Kinder psychisch kranker Eltern. Berlin Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker (BApK) e. V. (Hrsg.), 2008: Mit psychisch Kranken leben. Rat und Hilfe für Angehörige. Bonn Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker (BApK) e. V. (Hrsg.), 2009: Depression. Antworten auf die häufigsten Fragen von Familien mit depressiv erkrankten Menschen. Bonn Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker (BApK) e. V. (Hrsg.), 2009: It’s my turn. Informationen für Jugendliche, die psychisch kranke Eltern haben. Bonn Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker (BApK) e. V. (Hrsg.), 2009: Jetzt bin ich dran. Informationen für Kinder mit psychisch kranken Eltern. Bonn Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker (BApK) e. V. (Hrsg.), 2009: Nicht von schlechten Eltern. 41 uj 1 | 2014 Gruppenangebot für Kinder psychisch kranker Eltern Informationen für psychisch kranke Eltern und ihre Partner zum Umgang mit ihren Kindern. Bonn Homeier, S., 3 2008: Sonnige Traurigtage. Ein Kinderfachbuch für Kinder psychisch kranker Eltern. Frankfurt am Main Hurrelmann, K./ Klotz, T./ Haisch, J. (Hrsg.), 2004: Lehrbuch Prävention und Gesundheitsförderung. Bern Lenz, A., 2005: Kinder psychisch kranker Eltern. Göttingen Lenz, A., 2008: Interventionen bei Kindern psychisch kranker Eltern. Grundlagen, Diagnostik und therapeutische Maßnahmen. Göttingen Mattejat, F./ Lisofsky, B. (Hrsg.), 2 2009: Nicht von schlechten Eltern. Kinder psychisch Kranker. Bonn Kinder stark machen! Kinder lernen bereits im Kindergartenalter, kleine und große Krisen selbstständig zu überwinden, erwerben soziale Kompetenz und gehen entspannt mit Stress um. An diesen Ressourcen setzt das Programm PRiK an: Vorhandene Fertigkeiten von Kindern im Alter von vier bis sechs Jahren werden gezielt gefördert und ihre Resilienz gestärkt. Das vielfach erprobte und wissenschaftlich evaluierte Programm wurde für die Neuauflage besonders im Praxisteil grundlegend überarbeitet. Klaus Fröhlich-Gildhoff et al. Prävention und Resilienzförderung in Kindertageseinrichtungen - PRiK Ein Förderprogramm 2., überarb. Aufl. 2012. DIN A4.128 S. 22 Abb. Mit zahlr. Kopiervorlagen (978-3-497-02250-2) kt a www.reinhardt-verlag.de
