unsere jugend
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2014
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Pornofizierung - die Inszenierung von Stereotypen in unserer Gesellschaft
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2014
Birgit Schweimler
Topmodellwettbewerbe und Castingshows sind insbesondere bei Mädchen nach wie vor äußerst beliebt. Schön und schlank zu sein, gilt als Voraussetzung für ein erfülltes Leben. Technisch scheint in der Modeindustrie scheinbar alles machbar zu sein! Wie aktuelle Studien zeigen, zweifelt fast jedes Mädchen an sich selbst und an seiner Attraktivität. Schön und schlank zu sein, genügen aber nicht. Jedes Mädchen, schon die ganz kleinen, müssen sexy und verführerisch sein und sind eine wichtige Zielgruppe der Mode- und Medienindustrie.
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61 unsere jugend, 66. Jg., S. 61 - 67 (2014) DOI 10.2378/ uj2014.art08d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Pornofizierung - die Inszenierung von Stereotypen in unserer Gesellschaft Topmodellwettbewerbe und Castingshows sind insbesondere bei Mädchen nach wie vor äußerst beliebt. Schön und schlank zu sein, gilt als Voraussetzung für ein erfülltes Leben. Technisch scheint in der Modeindustrie scheinbar alles machbar zu sein! Wie aktuelle Studien zeigen, zweifelt fast jedes Mädchen an sich selbst und an seiner Attraktivität. Schön und schlank zu sein, genügen aber nicht. Jedes Mädchen, schon die ganz kleinen, müssen sexy und verführerisch sein und sind eine wichtige Zielgruppe der Mode- und Medienindustrie. Jungs sollen ebenfalls einem sehr stereotypen Männlichkeitsbild entsprechen. Junge Männer, die sich mit den allgemein geltenden männlichen Idealen nicht identifizieren können, werden schnell als „uncool“ wahrgenommen. Stars präsentieren sich in entsprechendem Outfit und Verhalten in der Öffentlichkeit - allen voran zum Beispiel Lady Gaga: Bekleidung, Gesichtsausdruck und Posen lassen sie als Sexobjekt erscheinen, allzeit bereit zur Befriedigung sexueller Bedürfnisse von Männern. Im Extremfall wird der eigene Körper auch durch chirurgische Eingriffe dem Idealbild angepasst. Die Einsamkeit, die hinter dieser Fassade zu vermuten ist, wird nur selten benannt. Diese Vorbilder haben vor allem Mädchen und junge Frauen im Kopf. Sie wollen sich ihren Idolen angleichen. So stellen sich junge Frauen zum Beispiel in sozialen Netzwerken in aufreizenden Posen und mit verführerischen Blicken dar. Sie spüren nicht, welcher unüberschaubaren Öffentlichkeit sie sich dabei aussetzen. Bis hin zur Selbstgefährdung über präsentierte Nacktfotos in Facebook scheint der schnelle Klick auf die Maustaste eigene Schutzhürden zu überspringen. Auf diese Weise entfremden sich die jungen Frauen von sich selbst und gefährden dabei oft ihre Gesundheit und die Entwicklung eines positiven Selbstwertgefühls. Der Begriff Pornofizierung kommt von der niederländischen Journalistin Myrthe Hilkens in ihrem Buch„McSex. Die Pornofizierung unserer Gesellschaft“ (Hilkens 2010). Sie beschreibt damit: „Nicht nur den Einfluss von Porno auf die Musik-, Mode- und Werbewelt. Nicht nur die durch das Internet verstärkte Verbreitung und von Birgit Schweimler Jg. 1966; Dipl.-Sozialpädagogin (FH), Autorin, Fachstelle für Querschnittsaufgaben - GIBS, Sozialreferat/ Stadtjugendamt München, zuständig im Stab der Jugendamtsleitung für die Belange von Mädchen und jungen Frauen, Gender, interkulturelle Öffnung, Behinderung/ Inklusion und sexuelle Identität 62 uj 2 | 2014 Pornografie und Pornofizierung Erreichbarkeit von Kinderpornografie. Nicht nur den Einfluss von Porno auf die vorherrschenden Schönheitsideale. Sondern auch und vor allem die Tatsache, dass diese Bilder die Verbraucher finden und nicht umgekehrt. Der Umstand, dass sich uns diese visuelle Kultur regelrecht aufdrängt, rechtfertigt die Frage: Wäre es nicht auch Freiheit, von diesen Bildern verschont zu bleiben? “ (Hilkens 2010) Identitätsentwicklung und Selbstbestimmung von Mädchen und jungen Frauen, Jungen und jungen Männern ist heutzutage eben weit mehr als nur das eigene körperliche und seelische „Wachsen“, sondern stellt Jugendliche sowie die Kinder- und Jugendhilfe vor sehr viel mehr Herausforderungen. So wurde beispielsweise festgestellt, dass das Selbstbewusstsein von Mädchen deutlich abnimmt: 2006 waren noch 70 Prozent mit ihrem Körper zufrieden, 2009 nur noch 55 Prozent. Mädchen im Alter zwischen 11 bis 17 Jahren leiden zu 29 Prozent an Magersucht, Bulimie und Fettsucht - jedes dritte Mädchen zwischen 9 und 14 Jahren denkt über eine„Schönheits-OP“ nach (vgl. Gernert 2010; Dines 2010; Pastötter 2008). Diese Informationen stimmen überein mit Ergebnissen in England und den USA, wo die Debatte über Pornografisierung breit geführt wird und Kampagnen des Widerstands initiiert wurden (Dines 2010). Auch Jungen und junge Männer werden in ihrer Identitätsentwicklung auf ein bestimmtes Bild von Männlichkeit reduziert: „Es ist fast beschämend, aufrichtig zu sagen, dass das eigene Sexleben nicht gut läuft. Dass man Sex kompliziert findet. Dass man sich unsicher fühlt mit seinem Körper. Dass man, im Gegensatz zu den Jungen und Männern im Film, eine Erektion nicht dreißig Minuten lang halten kann. Dass der One-Night-Stand nicht so schön war, sondern dass es weh tat und dass man Angst hatte, das zu sagen“, sagte Myrthe Hilkens anlässlich ihres Vortrags beim Münchner Mädchenkongress Februar 2011 (vgl. Sozialreferat/ Stadtjugendamt [Hrsg.] 2011) in München. Wie wirkt Pornofizierung auf Kinder und Jugendliche? Die öffentliche Debatte um Pornografie und Pornografiekonsum von Kindern und Jugendlichen ist nicht selten mit der Frage nach den Risiken verbunden. Der Begriff der Pornografie beinhaltet bestimmte Wirkungs- und Werteaspekte sowie ein entsubjektiviertes Sexualitätsbild, wie auch die folgende Definition der Kommission für Jugendmedienschutz zeigt: „Unter Pornografie ist eine Darstellung zu verstehen, die unter Ausklammerung sonstiger menschlicher Bezüge sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher Weise in den Vordergrund rückt und die in ihrer Gesamttendenz ausschließlich oder überwiegend auf sexuelle Stimulation angelegt ist sowie dabei die im Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen eindeutig überschreitet“, stellte Prof. Dr. Grimm in ihrem Vortrag beim Münchner Stadtratshearing Anfang des Jahres 2013 (vgl. Landeshauptstadt München [Hrsg.] 2013) fest. Wenn es um Wirkungsrisiken für Jugendliche gehe, so Grimm, sollte berücksichtigt werden, dass, im Unterschied zu früheren Generationen, die Jugendlichen in einer Gesellschaft aufwachsen, in welcher der Diskurs über Sexualität via Werbung, Massenmedien, Events, Musik etc. in vielfacher Weise geführt wird. In den Medien dominieren demnach immer noch die stereotypen Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit - und zwar in einer sehr patriarchalen Dimension, die darüber hinaus rein heteronormativ orientiert und dominiert ist. Es gibt inzwischen eine Vielfalt von Beobachtungen im gesellschaftlichen Alltag, die einen „Porno-Mainstream“ in den Lebenswelten von Jugendlichen wie Erwachsenen dokumentieren. Hieraus wird deutlich, dass ein enormer Druck entstanden ist, sich der „Porno-Norm“ anzupassen, die negative Maßstäbe für Körper und Sexualverhalten setzt, Analverkehr und „Blowjob“ als Standard vorführt. Mädchen fra- 63 uj 2 | 2014 Pornografie und Pornofizierung gen dann, ob sie Jungen einen „blasen“ müssten und Analverkehr normal sei, erwachsene Frauen fragen, wie das ohne Schmerzen hinzukriegen sei (Heiliger 2010). Einen„sprunghaften Anstieg von Vaginismusfällen“ (Scheidenkrampf ) berichtet die Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf: „Bei den Patientinnen handelt es sich zunehmend um junge, sehr leistungsorientierte Frauen. Sie stehen unter dem normativen Druck, sexuell interessiert, erlebnisfähig und potent zu sein.“ Sexualberatungsstellen werden immer häufiger wegen Schmerzen beim Geschlechtsverkehr aufgesucht. PädagogInnen beobachten täglich Nachahmungsverhalten von Mädchen in pornofizierter Aufmachung, bei den Jungen Einübung in die sexuelle Dominanz im provozierenden Vorzeigen pornografischer Bilder z. B. mit Handys (Neudecker 2009). Weitgehend übereinstimmend zeigen die bislang vorliegenden Forschungsbefunde zur Nutzung von Pornografie durch Jugendliche, dass weniger Mädchen als Jungen gezielt nach Pornografie suchen und Mädchen anders als Jungen auf pornografische Inhalte reagieren (Grimm 2004). Analog dazu stellt auch die Studie „Porno im Web 2.0“ fest, dass die Mädchen mit pornografischen Inhalten zwar in Berührung kommen und dies als alltägliche Interneterfahrung erleben - sie lehnen aber Pornos tendenziell ab und empfinden diese als „eklig“ bzw. abstoßend (Wallmyr/ Welin 2006). Die junge Engländerin Laurie Penny wurde selbst zum aktiven Teil der Pornofizierung und fand es spannend, ihren Körper beim Strippen zur Schau zu stellen, bis sie sich mit ihrer Kampfschrift „Fleischmarkt“ (2012) wütend daraus befreite. Die ebenfalls britische Journalistin Natasha Walter hat für ihr Buch„Living Dolls - the Return of Sexism“ unter anderem viele junge Frauen nach ihrem Selbstverständnis befragt und stellt fest, dass das Bild weiblicher Sexualität zunehmend von der Pornografie-Industrie definiert werde: „Viele junge Frauen glauben heute offenbar, dass sexuelles Selbstbewusstsein das einzige Selbstbewusstsein ist, das zu besitzen sich lohnt, und dass es für junge Frauen nur zu bekommen ist, wenn sie dem Softpornobild einer gebräunten, enthaarten, vollbusigen jungen Stripperin entspricht“ (Walter 2010). Susie Orbach, britische Psychotherapeutin, bekannt durch ihr „Antidiätbuch“, spricht von „zwanghafter Sexualisierung der gesamten Kultur“, in der Sex als Ware in die Beziehungen eingebracht werde, und stellt eine explosionsartige Ausbreitung selbstverletzenden Verhaltens bei Mädchen und Frauen fest. In ihrem neuen Buch „Bodies. Schlachtfelder der Schönheit“ (Orbach 2010) weist sie darauf hin, dass: ➤ zweitausend bis fünftausend Mal pro Woche Bilder digital manipulierter Körper auf uns einwirken. ➤ „Schönheitsindustrien“ weltweit Wachstumsindustrien sind, ➤ die Zahl der Eingriffe bereits 2006 auf weltweit 21 Millionen geschätzt wurde, ➤ der weltweite Umsatz mit schönheitschirurgischen Maßnahmen und kosmetischer Gesichtsverjüngung für 2007 auf fast 14 Milliarden Dollar geschätzt wurde. Die Münchner Kampagne „Uns gehts ums Ganze - Mädchen und Frauen für Selbstbestimmung“ Die Kampagne des Münchner Fachforums für Mädchenarbeit „Uns gehts ums Ganze - Mädchen und Frauen für Selbstbestimmung“ wurde angeregt durch einen Vortrag der niederländischen Journalistin Myrthe Hilkens beim Münchener Runden Tisch gegen Männergewalt 2010 sowie beim Mädchenkongress„Uns geht’s ums Ganze - Mädchen und Frauen auf Identitätssuche“. Die Kampagne entstand in Arbeitsgruppen und wurde dort vorbereitet und konzipiert. „Uns gehts ums Ganze - Mädchen und 64 uj 2 | 2014 Pornografie und Pornofizierung Frauen für Selbstbestimmung“ wurde am 25. 11. 2011 im Rahmen der Aktionswochen zum internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen durch die Münchner Bürgermeisterin Christine Strobl als Schirmpatin offiziell eröffnet. Am 29. 1. 2013 gab es ein Stadtratshearing zur Kampagne mit der Fragestellung „Pornofizierung: Frauenverachtung in neuer Dimension? Welche Möglichkeiten hat die Stadt München im Rahmen ihrer Wirkungsbereiche wie Schule und Jugendhilfe, als Arbeitgeberin und in ihrer Selbstrepräsentation, um Pornofizierung entgegenzuwirken? “ Fachkräfte aus verschiedenen Arbeitsfeldern und Referaten waren eingeladen und beleuchteten die unterschiedlichen Facetten des Themas. Im Folgenden gibt es zwei Beispiele, welche Wirkung die Münchner Kampagne in der Öffentlichkeit sowie in der pädagogischen Arbeit gebracht hat. Eine Fotoaktion der besonderen Art des Münchner Fachforums für Mädchenarbeit wurde spontan von vielen BürgerInnen auf dem 20. Streetlife-Festival angenommen. Mehrfach hatten sich die Akteurinnen der Kampagne mit ihrem Anliegen auf die Straße in München begeben, um auf die Pornofizierung insbesondere von Mädchen und Frauen in den Medien aufmerksam zu machen. Mit Kampagnen-Ballons und einem „Glücksrad“ warben die Veranstalterinnen des Münchner Fachforums für Mädchenarbeit um Teilnehmerinnen für die Foto-Aktion. Es ging darum, sich zu verschiedenen Fragen Gedanken zu machen und die persönlich wichtigste Aussage zu Papier zu bringen. Folgende Fragen wurden von den Veranstalterinnen an rund 500 Mädchen und Frauen sowie an einige interessierte Männer gestellt: ➤ Was bedeutet für Sie Schönheit? ➤ Was verstehen Sie unter Selbstbestimmung? ➤ Wie erleben Sie die Darstellung von Mädchen und Frauen in den Medien? ➤ Welche Gedanken haben Sie zur Pornofizierung von Mädchen und Frauen in den Medien? Zahlreich ließen sich vor allem Mädchen und Frauen fotografieren und diskutierten mit den Veranstalterinnen über Schönheit und 65 uj 2 | 2014 Pornografie und Pornofizierung die Sexualisierung der Gesellschaft. Ein paar Männer wollten ebenfalls mit ihren Aussagen fotografiert werden und zeigten großes Interesse an der Aktion. Unter den Besucherinnen gab es auch einige Lehrerinnen und Erzieherinnen, die besonders am Informationsmaterial zur Kampagne interessiert waren, so zum Beispiel am Diskussionsleitfaden, der viele Daten und Fakten zum Thema Pornofizierung enthält, sowie am Selbsttest für Mädchen zum Thema Selbstbestimmung: „Auch am Gymnasium sind die Mädels total fasziniert von Heidi Klum und diesen ganzen Fernsehshows. Sie wollen sich alle so sexy bewegen wie die Stars und auch deren Figuren haben. Das finde ich sehr bedenklich“, berichtete ein Lehrerin. Die meisten Menschen beim Streetlife-Festival skandalisierten die sexualisierte und pornofizierte Darstellung insbesondere von Mädchen und Frauen in den Medien. Das Thema sexuelle Identität mit all seinen Facetten ist für sie ein sehr intimes und wichtiges Thema. Im Rahmen der Foto-Aktion wählte die überwiegende Zahl der Beteiligten das Thema Schönheit für ihre persönlichen Aussagen. Mit der Kampagne „Uns gehts ums Ganze - Mädchen und Frauen für Selbstbestimmung“ soll in München und darüber hinaus eine breite Diskussion angeregt werden, um unter anderem eine andere Darstellung von Mädchen und Frauen in der Medien- und Filmindustrie zu fordern. Die Ergebnisse der Foto-Aktion wurden unter anderem dem Münchner Stadtrat beim Hearing Anfang des Jahres 2013 präsentiert sowie bei weiteren Kampagnen-Aktionen des Münchner Fachforums für Mädchenarbeit. Offene Mädchenarbeit Die offene Mädchenarbeit bietet einen idealen Rahmen, um eine Alternative zur sexorientierten Umwelt der Jugendlichen anzubieten. In einer Atmosphäre, in der sich die Mädchen wohl fühlen, können sie sich an alternativen Rollenvorbildern orientieren, eigene Qualitäten und Fähigkeiten entdecken und ein gesundes Selbstwertgefühl aufbauen. Die tägliche Berieselung und Beeinflussung durch die Medien wird damit nicht ausgeschaltet, aber es kann ein neuer Weg aufgezeigt werden, wie jede Einzelne bewusster und gestärkter damit zurechtkommen kann. Der Giesinger Mädchen-Treff in München wurde vor über 20 Jahren gegründet mit der Aufgabe, Mädchen zu unterstützen, um ihnen eine gleichberechtigte Teilhabe am Berufsleben, in der Familie und in der Gesellschaft zu ermöglichen. Es geht darum, persönliche und gesellschaftliche Hemmnisse sowie tradierte Rollenzuweisungen abzubauen, um sich einer Gleichstellung anzunähern. Diese Voraussetzungen haben sich aus Sicht der Fachfrauen im Giesinger Mädchentreff teilweise eher verschlechtert als verbessert (vgl. auch den Beitrag von Schreiber in diesem Heft). Die Mädchen stehen nach Auffassung der Pädagoginnen massiv unter Druck. Sie werden eher auf ihr Äußeres reduziert und sollen nach dem Muster eines traditionell geprägten Frauenbildes den Weg in ihre Zukunft machen: „Damit wird eine Entwicklung 66 uj 2 | 2014 Pornografie und Pornofizierung sonstiger Fähigkeiten und Interessen behindert und auch verhindert. Eine kindgerechte Entwicklung wird blockiert oder findet nur einseitig statt. Eine altersgerechte Entwicklung einer sexuellen Identität und sozialer Beziehungen wird gestört. Soweit es uns möglich ist, versuchen wir das Thema im Alltag aufzugreifen und anzusprechen. Sexualisierte Schimpfwörter - schon von kleinen Mädchen - sexualisierte Eigendarstellung oder sexualisierte Gewalterfahrungen im Netz oder im sozialen Umfeld gehören zum Alltag unserer Besucherinnen im Mädchen-Treff. Das nutzen wir als Chance, mit den Mädchen darüber zu sprechen. Wir legen Wert darauf, dass die Mädchen Bescheid wissen, was die Wörter oder Darstellungen, die sie benutzen, bedeuten. Wie sie auf andere und auf uns wirken. Wir unterstützen die Mädchen darin, herauszufinden, was sie selber möchten, und nicht nur der einen oder anderen Seite zu genügen. Sie sollen erkennen, dass sie ein Recht auf Selbstbestimmung haben. Wir als Pädagoginnen haben die Aufgabe, ihnen dabei Orientierung zu geben und Grenzen aufzuzeigen. Dabei beziehen wir eindeutig Stellung, ohne die Mädchen abzuwerten“, sagte Waltraud Strzeletz vom Giesinger Mädchentreff beim Stadtratshearing Anfang des Jahres in München (vgl. Landeshauptstadt München [Hrsg.] 2013). Wünschenswert für die Kinder- und Jugendhilfe wäre aus Sicht der Fachfrauen vom Giesinger Mädchen-Treff auch: ➤ geschlechtsspezifische Fachkräftequalifizierung zu dem Thema Pornofizierung, ➤ Anforderungen an bestehende Einrichtungen, geschlechtsspezifisch zu dem Thema zu arbeiten, ➤ Veröffentlichungen von Werbung und Informationen der kommunalen Referate ohne sexistische Darstellungen. Es gibt inzwischen - angeregt durch die Kampagne des Münchner Fachforums für Mädchenarbeit - zahlreiche weitere Aktionen und pädagogische Interventionen, gerade in der offenen Kinder- und Jugendarbeit, um öffentliches Bewusstsein zu schaffen und Kinder und Jugendliche direkt anzusprechen. Hier haben sich auch im Rahmen der Kampagne insbesondere 67 uj 2 | 2014 Pornografie und Pornofizierung der Kreisjugendring München Stadt und Land sowie die Einrichtungen der Mädchenarbeit viel mit dem Thema auseinandergesetzt und geeignete Methoden entwickelt, wie dem Thema im Umgang mit Kindern und Jugendlichen begegnet werden kann. Auch über das offizielle Ende der Münchner Kampagne Anfang 2014 hinaus werden vor allem Aufklärung und ein sehr bewusster, offener Umgang mit dem Thema Pornofizierung und Sexualisierung in der Kinder- und Jugendhilfe einen wichtigen Platz der täglichen pädagogischen Arbeit einnehmen. Aber auch neben der Kinder- und Jugendhilfe ist das Thema eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung und sollte von der Öffentlichkeit als solche begriffen werden. Die Beherrschung der Medien durch eine ständig wachsende Sexualisierung von Sprache und Bildern führt unweigerlich zur Pornofizierung der Menschen, die diese Bilder konsumieren und die Sprache der Pornoindustrie übernehmen. Junge Menschen benötigen hier nicht nur vonseiten der Kinder- und Jugendhilfe Schutz vor Übergriffen, Grenzverletzung und Ausbeutung in ihrer oft ungeschützten Haltung, mit der sie an die diversen Medien herantreten. Mehr Informationen zur Münchner Kampagne „Uns gehts ums Ganze - Mädchen und Frauen für Selbstbestimmung“ unter: www.uns-gehtsums-ganze.de Birgit Schweimler Sozialreferat/ Stadtjugendamt München Querschnittsaufgaben S-II-L/ GIBS Prielmayerstraße 1 80335 München birgit.schweimler@muenchen.de Literatur Dines, G., 2010: „Pornland. How Porn has hijacked our sexuality“. Boston Gernert, J., 2010: Generation Porno - Jugend, Sex, Internet. Köln Grimm, P./ Rhein, S., 2007: „Slapping, Bullying, Snuffing! Zur Problematik von gewalthaltigen und pornografischen Videoclips auf Mobiltelefonen von Jugendlichen“. Schriftenreihe der Medienanstalt Hamburg/ Schleswig-Holstein. Bd.1. Berlin Grimm, P./ Rhein, S./ Müller, M., 2010: Porno im Web 2.0. Die Bedeutung sexualisierter Web-Inhalte in der Lebenswelt von Jugendlichen. Schriftenreihe der NLM. Bd. 25. Berlin Heiliger, A./ Engelfried, C., 1995: Sexuelle Gewalt. Männliche Sozialisation und potentielle Täterschaft. Frankfurt am Main Heiliger, A., 2010: Pornografisierung - Auswirkungen und Protest. In: kofra Nr. 134, S. 3ff Hilkens, M., 2010: McSex. Die Pornofizierung unserer Gesellschaft. Berlin Landeshauptstadt München, Gleichstellungsstelle für Frauen (Hrsg.), 2013: Dokumentation zum Stadtratshearing in München am 29. 1. 2013: „Pornofizierung: Frauenverachtung in neuer Dimension? “ München Neudecker, S., 2009: Wie war ich? Der Mythos vom perfekten Sex. Frankfurt am Main Orbach, S., 2010: Bodies. Schlachtfelder der Schönheit. Hamburg Pastötter, J., 2008: Sexreport 2008. Dokumentation im Auftrag von Pro7 Penny, L., 2012: Fleischmarkt. Weibliche Körper im Kapitalismus. Hamburg Sozialreferat/ Stadtjugendamt, B. Schweimler (Hrsg.), 2011: Dokumentation Münchner Mädchenkongress 17. und 18. Februar 2011: „Uns geht’s ums Ganze - Mädchen auf Identitätssuche“. München Wallmyr, G./ Welin, C., 2006: Young People, Pornography, and Sexuality: Sources and Attitudes. In: The Journal of School Nursing, No. 22, S. 290 - 295 Walter, N., 2010: Living Dolls. The Return of Sexism. London
