unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Das Phänomen Cybermobbing
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Uwe Leest
Das Gute - dieser Satz steht fest - ist stets das Böse, was man lässt! (Wilhelm Busch, Fromme Helene) Nachdem sich in jüngster Zeit die Selbstmorde aufgrund von Cybermobbing sowohl im europäischen als auch im internationalen Raum gehäuft haben, ist die Wichtigkeit des Themas auch auf der politischen und journalistischen Agenda in Deutschland angekommen. Dennoch zeigt die Cyberlife-Studie des Bündnisses gegen Cybermobbing e. V., dass viele LehrerInnen, aber auch Eltern sich immer noch unzureichend informiert fühlen, wenn es um neue Medien allgemein oder Cybermobbing im Speziellen geht. Die Politik ist gefordert, neue Rahmenbedingungen für die Erziehungs- und Ausbildungssituation zu schaffen.
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146 unsere jugend, 66. Jg., S. 146 - 158 (2014) DOI 10.2378/ uj2014.art16d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Das Phänomen Cybermobbing Folgen für die Gesellschaft und Möglichkeiten der Prävention Das Gute - dieser Satz steht fest - ist stets das Böse, was man lässt! (Wilhelm Busch, Fromme Helene) Nachdem sich in jüngster Zeit die Selbstmorde aufgrund von Cybermobbing sowohl im europäischen als auch im internationalen Raum gehäuft haben, ist die Wichtigkeit des Themas auch auf der politischen und journalistischen Agenda in Deutschland angekommen. Dennoch zeigt die „Cyberlife-Studie“ des Bündnisses gegen Cybermobbing e. V., dass viele LehrerInnen, aber auch Eltern sich immer noch unzureichend informiert fühlen, wenn es um neue Medien allgemein oder Cybermobbing im Speziellen geht. Die Politik ist gefordert, neue Rahmenbedingungen für die Erziehungs- und Ausbildungssituation zu schaffen. von Uwe Leest Jg. 1961; Dipl.-Ing. MBM, Vorstand des Bündnisses gegen Cybermobbing e. V. Grooming, Happy Slapping und Flaming - das sind nicht etwa die coolen Hauptdarsteller eines neuen Walt-Disney-Filmes oder trendige Begriffe aus der Jugendsprache, sondern bezeichnen ernste Verstöße gegen das deutsche Strafgesetz. Die Rede ist vom Mobbing. Viele Kinder und Jugendliche unserer Generation, aber auch die unserer Eltern und Großeltern sind in der Schule mit Formen des Mobbings konfrontiert worden. Und wer kennt sie nicht, die beiden Lausbuben Max und Moritz und Protagonisten des Buches von Wilhelm Busch, die als Paradebeispiele für Mobbing dienen. Cybermobbing - eine Definition Das Wort Mobbing, das aus dem Englischen stammt (to mob = anpöbeln, to bully = einschüchtern), heißt wörtlich übersetzt: jemanden anpöbeln, sich auf jemanden stürzen. Aber nicht alles, was als Hänselei durchgeht, ist bereits Mobbing. Unter klassischem Mobbing kann man „kontinuierliche Aktionen mit dem Ziel der sozialen Ausgrenzung zur eigenen Vorteilnahme zwischen Einzelpersonen und/ oder Gruppen“ (Olweus 2002, 8) verstehen. Cybermobbing ist folglich Mobbing mittels elektronischer/ neuer Kommunikationsmedien (wie Handy, Computer, Tablet, Smartphone etc.) in Form von Beleidigung, Bedrohung, Bloßstellung oder Belästigung von Personen. Kennzeichnend ist beim (Cyber-)Mobbing vor allem auch die Tatsache, dass eine gezielte Schädigungsabsicht besteht und dass das Opfer oftmals über einen längeren Zeitraum ver- 147 uj 4 | 2014 Cybermobbing bal oder körperlich angegriffen und in eine unterlegene Position gedrängt wird. Besonders das Machtungleichgewicht, das zwischen Täter und Opfer besteht, ist symptomatisch für das (Cyber-)Mobbing. Früher und auch heute werden Kinder und Jugendliche in der Schule gehänselt und ausgegrenzt, Schulmaterialien werden geklaut, versteckt oder beschädigt. Eine neue Tragweite hat das Mobbing durch die Verwendung neuer Medien erfahren. Heutige Formen von Cybermobbing sind u. a. Handy-Mobbing, Happy Slapping, Ausschluss aus sozialen Netzwerken, Internet Mobbing, Sexting und Grooming. Mobbing ist aber nicht nur ein individuelles Problem, sondern meist ein gruppendynamischer Prozess, an dem eine ganze Klasse oder Gruppe beteiligt ist (Habermeier 2006), denn Mobbing funktioniert nur, wenn es sogenannte „Bystander“ gibt, also Leute/ Gruppen, die zusehen und nicht eingreifen. Mobbing findet man überall dort, wo Menschen miteinander agieren Doch Mobbing findet man nicht nur in der Schule - auch am Arbeitsplatz, in Vereinen und praktisch überall dort, wo Menschen zusammen leben, lernen oder arbeiten, gibt es Mobbing-Opfer. Die Gründe dafür, dass gemobbt wird, erscheinen relativ wahllos: Es genügt schon, wenn das Opfer als irgendwie „anders“ wahrgenommen wird - sei es in Hinblick auf seine Kleidung, sein Verhalten oder seinen Sozialstatus. Es ist somit auch keine Seltenheit mehr, Mobbing-Opfer zu werden. Auch viele berühmte SchauspielerInnen, Models oder SängerInnen wurden als Teenager bereits Mobbing- Opfer (vgl. www.glamour.de/ stars/ star-storys/ prominente-mobbing-opfer). Eine neue Dimension hat das Thema Mobbing mit der Verbreitung des Internets erreicht. Heutzutage gibt es kaum jemanden, der nicht digital vernetzt ist bzw. einen Internet-Anschluss besitzt. Schon Dreijährige können Smartphones bedienen oder Spiele auf kleinen Tablet-Computern spielen. Einen Großteil der Zeit verbringen Kinder und Jugendliche heutzutage nicht mehr mit Spielen im Freien, sondern vor dem Laptop, Computer oder Smartphone. Internetnutzung von Kindern und Jugendlichen Laut KIM-Studie 2012 (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2013) besitzen 98 % der Haushalte in Deutschland ein Handy/ Smartphone und rund 96 % einen Internetzugang. Der Internet- und Computerkonsum ist in der deutschen Gesamtbevölkerung und auch speziell bei Kindern und Jugendlichen im vergangenen Jahr weiter angestiegen: Statt 133 Minuten wie im Vorjahr weist die ARD/ ZDF-Onlinestudie 2013 eine tägliche Nutzungsdauer von 169 Minuten in der Gesamtbevölkerung aus (van Eimeren/ Frees 2013). Mit zunehmendem Alter wächst die Onlineaktivität: Sie nimmt insbesondere in den Altersklassen von 11 bis 15 stark zu und erreicht seinen Höhepunkt mit 17 Jahren (Katzer/ Leest/ Schneider 2013). In Deutschland besitzt inzwischen fast jeder zweite Jugendliche ein Smartphone und 40 % nutzen regelmäßig mobil das Internet. Mehr als 80 % der Jugendlichen sind regelmäßig online, zwei Drittel chatten und die Hälfte aller jungen Menschen unter 25 Jahren ist in sozialen Netzwerken aktiv (Axel-Springer AG 2009). Laut Studienergebnissen verbringen Jugendliche in Gesamtdeutschland rund vier Stunden am Tag im Internet (van Eimeren/ Frees 2013). Deutlich zugenommen hat die Onlineaktivität 148 uj 4 | 2014 Cybermobbing beim weiblichen Geschlecht: Bisher verbrachten Frauen immer signifikant weniger Zeit im Internet als Männer - das hat sich nun geändert. Mit 163 Minuten im Gegensatz zu 118 Minuten im Vorjahr hat der Internetkonsum bei Frauen deutlich zugenommen. Insbesondere die Internetnutzung bei den 14bis 29-Jährigen ist im vergangenen Jahr gestiegen: von 168 Minuten 2012 auf 237 Minuten 2013 (van Eimeren/ Frees 2013). Diese Ausweitung der Nutzung kann auf die gestiegene Nutzung des Internets mittels mobiler Endgeräte (Smartphone, Tablets etc.) zurückgeführt werden. Auch die Verwendung von Apps erfreut sich insbesondere in der Zielgruppe der 14bis 29-Jährigen von großer Beliebtheit: 70 % nutzen diese Funktion. Facebook, Youtube, Google & Co. Interessanterweise ist laut KIM-Studie (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2013) die Lieblingsseite der meisten befragten Kinder und Jugendlichen das soziale Netzwerk Facebook, dicht gefolgt von Youtube und Google. 95 % aller Kinder und Jugendlichen, die in einer privaten Community sind, haben bei Facebook ihr Profil. Auch wenn Facebook und Youtube erst für 13-Jährige gedacht sind, ist Facebook auch bei den 6bis 13-Jährigen bei den Community-Angeboten die beliebteste Website, dicht gefolgt von Youtube. Im Durchschnitt melden sich Kinder und Jugendliche in einem Alter von 12,7 Jahren auf Community-Sites wie Facebook an, so die JIM-Studie 2012 (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2012). Jedoch gaben Jugendliche im Alter von 18 bis 19 Jahren in der Studie auch an, dass sie sich bereits mit 14,1 Jahren das erste Mal bei Facebook (bzw. anderen sozialen Netzwerken) angemeldet hatten. Die 12bis 13-Jährigen waren bei ihrer ersten Anmeldung durchschnittlich erst 11,1 Jahre alt (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2012). Interessant ist auch, dass Mädchen Online- Communitys häufiger nutzen als Jungen. Wenn man danach fragt, womit Mädchen oder Jungen ihre Zeit im Netz verbringen, so stellt man fest: Mädchen zeigen großes Interesse an Themen wie Freundschaft, Musik, Tiere/ Umwelt, Fernsehstars, Mode und Bücher/ Lesen. Jungen hingegen sind stärker hingezogen zu den Themen Computerspiele und Sport. Laut JIM-Studie 2012 (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2012) nutzen Kinder und Jugendliche das Internet hauptsächlich, um zu kommunizieren (45 %), Musik zu hören bzw. zur Unterhaltung (24 %), um online zu spielen (16 %) oder Informationen zu suchen (15 %). Bei der täglichen Nutzung haben Suchmaschinen und Communitys die größte Relevanz: Rund 95 % nutzen regelmäßig Google, dicht gefolgt von dem Gebrauch sozialer Netzwerke wie Facebook (94 %) und Online-Video-Plattformen wie Youtube (76 %). Dabei wird das Internet überwiegend aus sozialen Motiven genutzt. Laut der „Cyberlife“-Studie des Bündnisses gegen Cybermobbing nutzen 78,5 % Videoplattformen wie Youtube, 77 % Emails, 68,2 % Facebook und andere Communitys (Katzer/ Leest/ Schneider 2013). Gründe für die Nutzung sozialer Netzwerke Die Mitgliedschaft in sozialen Netzwerken hat mehrere Gründe: Zum einen hat sie einen funktionalen Zweck, also um sich zu verabreden oder auszutauschen. Zum anderen ist bei einem Drittel der Jugendlichen die Mitgliedschaft in sozialen Netzwerken auf einen sozialen Zwang oder Druck zurückzuführen (Katzer/ Leest/ Schneider 2013). So nennen 32 % als Grund, weshalb sie in sozialen Netzwerken aktiv sind, „weil es alle machen“, weitere 6 %, „weil man da mitmachen muss, sonst ist man Außen- 149 uj 4 | 2014 Cybermobbing seiter“, und noch einmal 5 %, „aus Angst, ausgelacht zu werden, wenn man nicht mitmacht“ (Katzer/ Leest/ Schneider 2013). Ein weiterer Grund für die Nutzung sozialer Netzwerke ist emotionalen Charakters, z. B. „weil die Leute mir dort sehr wichtig sind“ (24 %) oder „um nette Freunde zu finden“ (14 %). Die Ergebnisse der Cyberlife-Studie machen auch deutlich, dass Jugendliche, die mit ihrem momentanen Leben und ihrer Situation eher unzufrieden sind, viel häufiger soziale Netzwerke nutzen als zufriedene Jugendliche. Scheinbar versuchen Unzufriedene, ihren Mangel an eigener Akzeptanz sowie ihre Sorgen und Nöte in die Online-Welt zu verlagern und hier zu kompensieren. Gefahren sozialer Netzwerke und des Internets allgemein Das soziale Medium Internet, das Menschen auch über Kontinente hinweg verbindet, hat neben seinen vielen positiven Eigenschaften auch eine große, dunkle Kehrseite: Neue Tatorte für Cybercrime, Aggressionen, Psychoterror, Mobbing und sexuelle Gewalt entstehen insbesondere in Chatrooms und in sozialen Netzwerken. Nicht ganz ohne Grund wird das soziale Netzwerk deshalb immer öfter auch als „antisocial network“ oder„asocial network“ bezeichnet. Die EU Kids Online Studie zeigt: Rund 40 % der europäischen Kinder sind bereits in der Vergangenheit mit einem oder mehreren Online-Risiken (Cyberbullying, Happy Slapping, Sexting, Grooming etc.) in Berührung gekommen (EU Kids Online Studie 2011). Die DJI-Studie MediKus (Holzmayer 2013) zeigt aber auch: Negative Interneterfahrungen korrespondieren mit sorglosem Umgang mit persönlichen Daten im Netz. Dabei unterscheidet man vier Faktoren, die negative Interneterfahrungen bei Kindern und Jugendlichen begünstigen: ➤ Das Alter, mit dem eine verstärkte Zuwendung zu den sozialen Netzwerken einhergeht ➤ Das Geschlecht: Mädchen machen häufiger als Jungen unliebsame Interneterfahrungen. ➤ Die soziale Herkunft: Jugendliche aus Familien mit niedrigem kulturellen Kapital berichten häufiger von negativen Interneterlebnissen als jene aus Familien mit hohem kulturellen Kapital. ➤ Die persönlichen Daten: Jugendliche, die überdurchschnittlich viele Daten ins Netz stellen, sind häufiger mit negativen Erfahrungen konfrontiert als jene, die sparsamer mit diesen umgehen. Das Internet als idealer Tatort Einige Faktoren begünstigen kriminelle Handlungen im Internet (Katzer/ Leest/ Schneider 2013): ➤ Täter krimineller Handlungen im Cyberspace sind nur schwer zu identifizieren. ➤ Die Hemmschwelle, kriminelle Handlungen auszuüben, ist geringer als in einer Face-to-face-Situation. ➤ Opfer sind im Internet schneller zu finden und leichter zu erreichen als im Alltag. ➤ Die Zahl der potenziellen Opfer im Cyberspace ist groß. ➤ Die zum Teil große Offenheit bezüglich privater Informationen und Problemen im Cyberspace macht die Personen angreifbarer und kann signalisieren: „Ich bin ein leichtes Opfer.“ ➤ Die Empathie mit den Opfern ist im Cyberspace geringer. ➤ Durch 24h-Erreichbarkeit wird es für Opfer schwerer, sich vor Anfeindungen zu schützen. Man kann also deutlich sehen, dass sich die Wahrnehmung von Gewalt im Cyberspace verändert bzw. dass sich die Gewaltgrenzen verschieben. 150 uj 4 | 2014 Cybermobbing Das gilt auch für das Thema Mobbing. Laut der Cyberlife-Studie denken fast 85 % der Eltern, dass sich die Gewalt unter Kindern in den letzten Jahren verändert hat. Auch ein Großteil der LehrerInnen (80 %) ist der Meinung, dass die Anonymität im Internet bei den Kindern und Jugendlichen die Bereitschaft fördert, sich böse und gemein zu verhalten. Besonderheiten von Cybermobbing Auch wenn es Mobbing schon immer gegeben hat, so macht die oben genannte Veränderung der Wahrnehmung von Gewalt im Cyberspace die Thematik brisanter denn je. Im Gegensatz zum klassischen Mobbing greifen Cybermobbing-Handlungen direkt ins Privatleben ein und finden rund um die Uhr statt - das Opfer kann sich also nirgends vor den Anfeindungen zurückziehen. Verletzende und menschenverachtende Inhalte werden einem großen Publikum bereitgestellt, verbreiten sich ggf. weltweit und sind, wenn sie erst einmal im Netz sind, schwer zu löschen. Die Leichtigkeit, mit der man negative Kommentare posten kann, hat es ebenso in sich: Es benötigt nur einen „Klick“ - dann sind beleidigende Kommentare veröffentlicht oder per SMS versendet - dazu muss man sich noch nicht einmal mit dem realen Gegenüber konfrontieren, sondern kann in der schützenden Anonymität verweilen. Das Opfer hingegen hat keine Möglichkeit, sich zu schützen. Die Tatsache, dass verschiedene TäterInnen praktisch rund um die Uhr aktiv sein können, ohne dabei im direkten Kontakt zu dem Opfer zu stehen, macht das Cybermobbing so gefährlich. Auch die Anonymität der TäterInnen hat fatale Auswirkungen auf die Opfer: Auf der einen Seite sind Angriffe schlecht nachvollziehbar, wenn sie anonym erfolgen. Eine strafrechtliche Verfolgung ist hier also nur bedingt möglich. Zum anderen scheint es, dass die Anonymität im Netz Cyberangriffe noch verstärkt. Viele Kinder und Jugendliche trauen sich in dem scheinbar anonymen virtuellen Umfeld viel größere Gehässigkeiten zu als im wahren Leben. Oftmals ist auch der Übergang von „Spaß“ hin zu Gewaltausübung im Sinne von Mobbing fließend - beabsichtigt oder auch nicht. Eine Studie der Universität London ergab, dass verbreitete Bilder und Videos deutlich schlimmer empfunden werden als klassisches Mobbing in der Schule (Smith et al. 2008). Gerade die Anonymität der TäterInnen verstärkt dabei die Angst der Opfer, da man einem unbekannten Täter gegenüber noch hilfloser gegenübersteht und auch die Beweislage und Strafverfolgung schwieriger sind. Verschiedene Formen des Cybermobbing Anzumerken ist, dass Kinder und Jugendliche, die als sogenannte„digital natives“ aufwachsen, oftmals ein gewisses Unrechtsbewusstsein im Umgang mit dem Internet vermissen lassen. Man kann zwischen zehn verschiedenen Formen des Cybermobbing unterscheiden (Willard 2007): ➤ Flaming: Beschimpfungen oder üble Nachrede, gekennzeichnet durch rohe oder vulgäre Sprache ➤ Harassment bzw. Belästigung: Wiederkehrendes Versenden von Beschimpfungen und Beleidigungen an eine Person, oftmals über persönliche (nicht-öffentliche) Kommunikationskanäle ➤ Denigration bzw. Denunziation: Versenden/ Posten von oftmals falschen, beleidigenden Aussagen über eine bestimmte Person an andere bzw. innerhalb einer (zumeist begrenzten) Öffentlichkeit mit dem Ziel, diese Person zu verunglimpfen 151 uj 4 | 2014 Cybermobbing ➤ Impersonation bzw. Identitätsraub: Sich als eine andere Person ausgeben, entweder über ein gefälschtes Profil oder über das Hacken eines Profils. Im Namen der anderen Person können Handlungen durchgeführt werden, die dem Ruf der Zielperson schaden. ➤ Outing und Trickery: Outing ist das öffentliche Posten persönlicher Kommentare bzw. Fotos/ Videos einer Person, die dieser schaden können. Trickery bezeichnet die Handlung, einer Zielperson Unwahrheiten über den wahren Empfängerkreis einer Nachricht mitzuteilen und sie zu privaten Aussagen zu veranlassen, die nur für eine bestimmte Person gedacht gewesen wären. ➤ Exclusion: Ausschluss eines/ einer NutzerIn aus den Kommunikationskanälen anderer ➤ Cyberstalking: Wie Harassment, nur extremer und verbunden mit Drohungen ➤ Cyberthreats: Drohungen, sich selbst oder anderen physisch zu schaden ➤ Grooming bzw. sexuelle Belästigung: das Anbahnen (meist von älteren an jüngere InternetnutzerInnen) mit dem Ziel, sexuelle Kontakte herzustellen ➤ Happy Slapping: Physische Gewalt gegen andere, die aufgezeichnet (Handyvideos) und anschließend veröffentlicht wird Straftatbestände zum Thema Cybermobbing Auch wenn Cybermobbing für sich gesehen kein Straftatbestand ist, können sich einzelne Straftaten im Cybermobbing vereinen. So können Täter wegen übler Nachrede (§ 186 StGB), Beleidigung (§ 815 StGB), Gewaltdarstellung (§ 131 StGB), Körperverletzung (§ 223 StGB), Bedrohung (§ 241 StGB), Nötigung (§ 240 StGB), Nachstellung (§ 238 StGB), Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (§ 201 a StGB), Verleumdung (§ 187 StGB) oder Volksverhetzung (§ 130 StGB) belangt werden (vgl. www.polizei-beratung.de). Bei dem sogenannten „Happy Slapping“, also der Gewaltdarstellung, wenn z. B. Videos einer Klassenprügelei provoziert und veröffentlicht werden, können Bußgelder und Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr drohen. Auch beim„Grooming“, also der Nötigung oder sexuellen Belästigung, kann je nach Fall eine Freiheitsstrafe erwirkt werden. In allen Fällen ist es für das Opfer wichtig, dass die Angriffe dokumentiert werden - sei es durch Snapshots oder durch ZeugInnen. Auch beim Flaming, also der üblen Nachrede, können Bußgelder oder Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren drohen. Auch verfälschte Bilder oder Bilder aus der Umkleidekabine stellen eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs (nach § 201 a) dar und werden mit Freiheitsstrafe oder Bußgeldern geahndet. Hinderungsgründe für eine effektive Strafverfolgung Trotz der zahlreichen Straftatbestände, unter die Cybermobbing-Fälle subsumiert werden können, gibt es Hinderungsgründe, warum letztendlich eine effektive Strafverfolgung in vielen Fällen nicht stattfindet (Heckmann 2013). 1) Antragserfordernis: Ehrverletzungsdelikte sind nach deutschem Recht Antragsdelikte - das heißt: Nur auf konkreten Strafantrag des Opfers werden solche Anträge verfolgt. Diese werden jedoch in den meisten Fällen - aufgrund von Scham oder aus Unwissenheit - nicht gestellt. 2) Anonymität: Auch wenn ein Strafantrag gestellt wird, ist es oftmals schwer, den/ die TäterIn zu ermitteln. Zum einen können die TäterInnen Pseudonyme verwenden. Zum anderen ist durch Speicherung der IP-Adresse des/ der vermeintlichen TäterIn noch nicht dessen Tat an sich bewiesen. Vor diesem Hintergrund ist die Ermittelbarkeit von TäterInnen im Cyberspace deutlich erschwert. 152 uj 4 | 2014 Cybermobbing Aus diesem Grund fordert das Bündnis gegen Cybermobbing e. V., über ein Cybermobbing- Gesetz nachzudenken, damit Fälle besser geahndet werden können. Es hat sich nämlich gezeigt, dass bereits einige Kinder und Jugendliche in Deutschland Opfer von Cybermobbing geworden sind. Cybermobbing in Deutschland Laut der Cyberlife-Studie des Bündnisses gegen Cybermobbing e. V., bei der bundesweit 10.000 Eltern, LehrerInnen und SchülerInnen zu der Thematik befragt wurden, sind bereits 25,3 % der befragten SchülerInnen in der Schule Mobbingopfer geworden und rund 16,6 % waren schon einmal von Cybermobbing betroffen (Katzer/ Leest/ Schneider 2013). Die meisten Cybermobbing-Vorfälle werden an Haupt- und Realschulen festgestellt, aber auch 30 % der Grundschulen berichten von derartigen Vorfällen. Interessanterweise verzeichnen Schulen in Ostdeutschland (15,5 %) höhere Gewaltraten und Mobbingvorfälle als in Süddeutschland (12,7 %) (Baier et al. 2009). Auch ist die Gewaltrate in großen Städten höher als auf dem Land. Insbesondere das Schulklima spielt eine Rolle, wenn es um das Vorkommen von Cybermobbing bzw. Gewalt geht: Je besser das Schulklima ist, desto weniger Gewalt (und Mobbing) findet an Schulen statt. Interessant ist auch, dass es wohl einen Zusammenhang gibt zwischen dem Mobbing/ Bullying in der Schule und späterer Straffälligkeit (Bannenberg 2010). Alters- und geschlechtsspezifische Unterschiede Weiterhin wurde festgestellt: Mobbing-Verhalten nimmt in Übergangsbzw. Wechselphasen zu, z. B. bei dem Wechsel der Grundschule auf die Mittelstufe (Haupt-, Realschule oder Gymnasium). Insbesondere im Alter von 12 bis 15 Jahren werden vermehrt Cybermobbing-Fälle registriert. Beleidigungen und Beschimpfungen (63 % Mädchen, 51 % Jungen) sowie Gerüchte und Verleumdungen (47 % Mädchen, 33 % Jungen) sind die häufigsten Formen von Cybermobbing. Mädchen sind etwas häufiger das Ziel von Cyber-Attacken als Jungen (Katzer/ Leest/ Schneider 2013). Cybermobbingfälle in % 30 20 10 0 Hauptschule Realschule Gesamtschule Berufsschule Gymnasium 26 20 19 16 10 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 Jungen Mädchen Alter der Schüler/ innen Cybermobbingfälle in % Abb. 1: Erlebte Fälle von Cybermobbing nach Alter, Geschlecht und Schulform 153 uj 4 | 2014 Cybermobbing Reaktionen und Folgen für Cybermobbing-Opfer Die meisten Jugendlichen reagieren auf Cybermobbing mit Wut (43 %) und Angst (36 %) (Katzer/ Leest/ Schneider 2013). Jeder fünfte Jugendliche, der Cybermobbing erlebt hat, gab in der Studie an, noch heute durch das Mobbing im Internet sehr belastet zu sein und darunter zu leiden. „Wird ein Kind wiederholt ausgegrenzt, beleidigt oder abgewertet, kann dies zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls führen. Die Opfer beginnen zu verinnerlichen, was über sie gesagt wird, und diese Art negativer Gedanken begünstigt die Entstehung von Angsterkrankungen, … Depression“ und anderen psychischen Störungen (www.welt.de/ gesundheit/ psychologie/ article13885436/ Mob bing-fuehrt-haeufig-zu-schweren-Stoerungen. html). Dennoch meldet nur jeder Fünfte die Vorfälle den Betreibern der betroffenen Plattformen. Die meisten Jugendlichen wenden sich zunächst an ihre FreundInnen oder Eltern, wenn sie Opfer von Cybermobbing wurden (Katzer/ Leest/ Schneider 2013). Die Folgen von Cybermobbing können mitunter fatal sein: schulischer Leistungsabfall, Schulverweigerung, Stresssymptome, Angstzustände, Depressionen, Unfähigkeit, eine Ausbildungsstelle anzunehmen bzw. einen Beruf auszuüben, bis hin zur Selbstmordgefährdung. Motive der TäterInnen Überraschend ist, dass mehr als ein Drittel der TäterInnen (36,2 %) selbst schon einmal Opfer von Cybermobbing-Attacken war. Dies deutet darauf hin, dass Opfer offensichtlich dazu übergehen, die gleichen Methoden zu nutzen wie die TäterInnen. Die Motive für das Cybermobbing sind erstaunlich: Unterhaltung, Spaß, Wettbewerb („Trophäenjagd“) und Langeweile sind die Hauptmotive der Cybermobbing-TäterInnen (Katzer/ Leest/ Schneider 2013). Andere mögliche Gründe für Mobbinghandlungen können sein: 51 63 33 47 27 32 24 27 22 27 18 15 15 14 Jungen Mädchen Beschimpft · beleidigt Verbreitung von Lügen und Gerüchten Lustig gemacht · gehänselt Unter Druck gesetzt · erpresst · bedroht Ausgrenzung · Ablehnung von Kontaktanfragen Veröffentlichung von Fotos Veröffentlichung unangenehmer/ peinlicher Fotos/ Filme n = 6.739; Angaben in % n = 1.117; Angaben in % Nein 78,8 % Ja 16,6 % Keine Angabe 4,6 % Cybermobbingfälle Art und Weise des Cybermobbings Abb. 2: Erlebte Fälle von Cybermobbing 154 uj 4 | 2014 Cybermobbing ➤ Herrschsucht ➤ Lust auf Mobbing ➤ Suche nach Sündenböcken für eigenes Versagen ➤ Definition von Freundschaft in der Ablehnung anderer ➤ Weitergabe erlittenen Unrechts an Schwächere ➤ Fehlende Konfliktlösungsstrukturen ➤ Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Neid In jedem Fall kann man sagen, dass Cybermobbing-Angriffe oftmals auch ein Zeichen dafür sind, dass den TäterInnen etwas fehlt: sei es Aufmerksamkeit, Zuwendung oder das Gefühl von Macht - dieser Aspekt muss auch bei Präventionsmaßnahmen mit beachtet werden (vgl. Teaching Tolerance). Schutzmaßnahmen gegen Cybermobbing Betroffene von Cybermobbing haben mehrere Möglichkeiten, dagegen vorzugehen: Wenn Kinder oder Jugendliche beleidigende oder bedrohende E-Mails oder Facebook-Kommentare erhalten, sollten sie zunächst die Familie bzw. FreundInnen und ggf. die Schule informieren. ➤ In keinem Fall sollten Kinder und Jugendliche direkt auf solche E-Mails, SMS etc. antworten, sondern Vertrauenspersonen einbeziehen. ➤ Wichtig ist, Beweismaterial zu sichern: Speichern Sie im optimalen Fall die Daten im Beisein eines weiteren Zeugen, um dem Vorwurf der Manipulation zu entgehen. ➤ Wenden Sie sich in schwerwiegenden Fällen an die Polizei und erstatten Sie ggf. Anzeige. ➤ Veranlassen Sie die Löschung von diffamierenden Bildern, Videos, Kommentaren beim Netzwerk-Betreiber bzw. melden Sie den Vorfall dem Betreiber der Seite. ➤ Wenn der Mobber bekannt ist, löschen Sie den Namen aus der eigenen Kontaktliste bzw. ignorieren Sie diesen. Ebenso kann man sich vor Cybermobbing schützen, indem man sich im Internet grundsätzlich vorsichtig bewegt. Das heißt z. B.: ➤ So wenige Daten wie möglich im Internet preisgeben! ➤ So wenig Fotos und Filme wie möglich verbreiten! ➤ Sich im Netz mit Bedacht äußern! Überlegen Sie sorgfältig, was Sie sagen bzw. schreiben, bevor Sie einen Kommentar oder eine Nachricht veröffentlichen. ➤ Beim Anlegen eines Profils (z. B. bei Facebook) die Sicherheitseinstellungen/ Privatsphäre-Einstellungen beachten! ➤ Betreiben Sie Eigenrecherche: Googlen Sie sich gelegentlich selbst, um zu prüfen, was im Netz über Sie auftaucht. ➤ Schreiten Sie ein, wenn Sie sehen, dass andere Cybermobbing- oder Mobbing- Opfer werden. ➤ Behandeln Sie andere mit Respekt und so, wie Sie selbst behandelt werden möchten. Reaktion der Eltern und LehrerInnen auf Cybermobbing Die Eltern, die nicht mit den neuen Technologien aufgewachsen sind, fühlen sich laut Studienergebnissen meist überfordert oder hilflos: Über 90 % der Eltern sind der Ansicht, dass sich die Gewalt unter Jugendlichen durch die neuen Medien verändert hat und dass die Anonymität im Netz Phänomene wie Cybermobbing begünstigt. Dennoch überprüfen nur 17 % der Eltern, was ihre Kinder online machen (Katzer/ Leest/ Schneider 2013). Auch fühlen sich 44 % der Eltern nicht ausreichend informiert, was einerseits auf fehlende Eigenaktivität, aber auch auf eine mangelhafte Aufklärung durch die Schulen zurückzufüh- 155 uj 4 | 2014 Cybermobbing ren ist. Die Eltern wünschen sich deshalb durchgängig mehr institutionelle Aufklärung und Prävention von Cybermobbing, wie z. B. durch die Position eines Anti-Mobbing-Beauftragten, Meldestellen bei Problemlagen, spezifisch geschultes Personal oder feste AnsprechpartnerInnen (Katzer/ Leest/ Schneider 2013). Das bestätigen auch die Aussagen der LehrerInnen: Diese fordern zur Prävention und Aufklärung von Cybermobbing und Cybercrime neue Module und Konzepte für die Lehrerfortbildung und institutionelle Maßnahmen. Initiativen, die sich für die Aufklärung und Prävention von Cybermobbing einsetzen Einige Initiativen konzentrieren sich darauf, Cybermobbing gezielt anzugehen, so z. B. die Initiative „Schluss damit“ (www.mobbing.seiten stark.de) oder Maßnahmen der Aktion Jugendschutz (AJS) (www.ajs-bw.de/ ). Das im Juli 2011 in Karlsruhe gegründete Bündnis gegen Cybermobbing e. V. setzt sich in Deutschland neben einigen anderen Initiativen für die Aufklärungsarbeit und Prävention von Cybermobbing ein. Um dem Phänomen Cybermobbing entgegenzuwirken, veranstaltet das Bündnis gegen Cybermobbing Tagungen und Kongresse sowie Präventionstage an Schulen. Ebenso forscht es regelmäßig zum Thema Cybermobbing. Auch hier gibt es noch Bedarf: Deutschland hinkt im Vergleich zu anderen Ländern hinterher, wenn es um die Forschung zum Thema Cybermobbing geht. Neben der Forschung veranstaltet das Bündnis diverse Tagungen: So wurde im Oktober 2012 ein Runder Tisch organisiert, der zum Ziel hatte, ein Netzwerk zum Thema Cybermobbing in Baden-Württemberg aufzubauen. ExpertInnen von Landesmedienzentren, aus dem kirchlichen Umfeld, von Landesschulämtern sowie aus Politik und Jugendschutzorganisationen kamen zusammen, um das Phänomen zu diskutieren. Das Bündnis ist zudem in mehreren Fachkommissionen aktiv. So unter anderem als Berater der Fachkommission„Maßnahmen, Vernetzung und internationale Zusammenarbeit“ des I-Kiz-Zentrums für Kinderschutz im Internet, des Bundesfamilienministeriums, des Council of Europe Committee in Straßburg oder der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ in Berlin. Neben der direkten Arbeit an Schulen klärt das Bündnis auch mittels journalistischer Beiträge über Cybermobbing auf. So wurde von der Werbeagentur panama eine groß angelegte Informationskampagne entwickelt und Radiospots, Kinospots und Plakatkampagnen veröffentlicht. Ebenso waren Bündnismitglieder regelmäßig Gäste in TV-Talkshows bzw. InterviewpartnerInnen für Hörfunk und Printmedien. Erfreulicherweise werden bereits an zahlreichen Schulen die Gefahren und Risiken des Internets erkannt und entsprechende Aktivitäten initiiert. Die Ergebnisse der Cyberlife-Studie (Katzer/ Leest/ Schneider 2013) zeigen: Mehr als drei Viertel aller Schulen bilden Schülerscouts aus, die ihre MitschülerInnen über Gefahren des Internets aufklären sollen. 71 % der Schulen bieten darüber hinaus Workshops zu den Risiken und Gefahren sowie zum Nutzen des Internets an. Etwa zwei Drittel der Schulen (65 %) haben ein spezifisches Unterstützungsteam für die Opfer von Mobbing installiert und an 46 % der Schulen erlernen die SchülerInnen, wie man sich bei Cybermobbing verhalten soll. Auch wenn die Zahlen zunächst erfreulich klingen, heißt das auf der anderen Seite aber auch, dass mindestens ein Viertel der Schulen keine präventiven Aktivitäten tätigt. Die meisten Aktivitäten sind an Berufsschulen und Gesamtschulen zu verzeichnen. Hauptschulen, die den stärksten Gewaltgrad aufweisen, unternehmen am wenigsten im Bereich der Prävention (Katzer/ Leest/ Schneider 2013). 156 uj 4 | 2014 Cybermobbing Empfehlungen und Forderungen Eine Forderung des Bündnisses gegen Cybermobbing ist, das Präventionsmanagement an Schulen auszubauen. Diesbezüglich ist die Bildungspolitik gefragt, sie ist gefordert, neue Rahmenbedingungen für die Ausbildungs- und Erziehungssituation zu schaffen. Kinder und Jugendliche müssen mehr als bisher über die Gefahren und Risiken, aber auch Chancen und Nutzen des Cyberspace aufgeklärt und sensibilisiert werden. Außerdem sollte Medienerziehung bereits im Kindergarten stattfinden und in den Schulen implementiert werden. Kindern und Jugendlichen muss im Elternhaus, in der Schule und inVereinen deutlich gemacht werden, dass Cybermobbing eine Form der Gewalt ist, die erhebliche Konsequenzen haben kann. Eltern sollten sich insbesondere für den Medienkonsum ihrer Sprösslinge interessieren und diesen ggf. regulieren bzw. kontrollieren. Dazu müssen sie sich jedoch selbst über die neuen Medien informieren. Hier kann die Schule ansetzen und spezielle Eltern-Fortbildungen anbieten. Weitere Forderungen des Bündnisses sind: ➤ Einführung eines Schulfachs Medienerziehung bzw. eines Medienkompetenzunterrichts ➤ Peer-to-Peer-Education an den Schulen zum Thema Neue Medien und Gewalt (z. B. Medienhelden, Medien-Präventionstage, Schülerscouts etc.) verstärken ➤ in den Schulen Angebote zum Opferschutz bekannt machen ➤ verbesserte Lehrerfortbildung, regelmäßige Vermittlung von Fachwissen, wirksamkeitsevaluierte Maßnahmen und Projekttage an den Schulen ➤ Errichtung von institutionellen Beratungs- und Aufklärungsteams an allen Schulen (psychologische BeratungslehrerInnen bzw. GewaltpräventionsberaterInnen) ➤ Implementierung regelmäßiger Informationsveranstaltungen und ggf. Schulungsbzw. Beratungsangebote für Eltern ➤ Präventionsmanagement an Schulen: Schon in der Grundschule sollte damit begonnen werden. Zum einen muss über die technischen Fragen aufgeklärt werden: Also, wie sollten sich Kinder- und Jugendliche im Netz präsentieren? Welche Inhalte sollten sie nicht preisgeben? Zum anderen sollten auch psychologische Aspekte behandelt werden: Kinder und Jugendliche müssen lernen, was sie mit Worten und Bildern auslösen können, auch wenn sie nicht wie in einem Gespräch sofort eine Reaktion sehen. Sie müssen lernen, dass die Anonymität des Internets ihnen neue Freiheiten gibt, dass sie dafür aber auch Verantwortung übernehmen müssen. ➤ Die Bildungspolitik ist gefordert, neue Rahmenbedingungen für die Ausbildungs- und Erziehungssituation zu schaffen: Dies betrifft, wie schon gesagt, die Verbesserung der Medienkompetenz der LehrerInnen und ErzieherInnen, aber auch der Eltern. ➤ Schulregeln aufstellen oder einen Online- Kummerkasten einrichten ➤ Erste Hilfe im Internet (Bündnis gegen Cybermobbing) oder Telefon (www.nummergegenkummer.de) ➤ Apps für Smartphones zum Thema Cyberlife ➤ Online-Foren-Betreiber mehr in die Verantwortung nehmen ➤ Cybermobbing als Straftatbestand anerkennen Abschließend kann gesagt werden, dass sich die Eltern weitgehend darüber einig sind, dass Kinder und Jugendliche vor negativen Einflüssen der Medien geschützt werden müssen. Auch die Medienkompetenz sollte geschult werden: „Drei Viertel der Eltern sind überzeugt, dass Kinder und Jugendliche beim Umgang mit Medien am besten geschützt sind, wenn sie ausreichend informiert sind“ (www.hansbredow-institut.de/ de/ forschung/ jugendme dienschutz-aus-sicht-eltern). 157 uj 4 | 2014 Cybermobbing Die Sorgen der Eltern und LehrerInnen ernst zu nehmen und neue Rahmenbedingungen für die Bildungspolitik zu schaffen, sollte erstes Anliegen der neuen Bundesregierung in Bezug auf netzpolitische Aktivitäten sein. Uwe Leest Bündnis gegen Cybermobbing e. V. Leopoldstraße 1 76133 Karlsruhe info@bündnis-gegen-cybermobbing.de www.bündnis-gegen-cybermobbing.de Das Bündnis gegen Cybermobbing e. V. wurde 2011 nach einer Diskussionsveranstaltung in Karlsruhe gegründet. Der ehrenamtliche Verein, in dem sich Eltern, PädagogInnen, JuristInnen, MedizinerInnen, ForscherInnen und weitere Betroffene engagieren, wird ausschließlich von Sponsoren getragen. Ziel des Bündnisses ist es, die Gesellschaft für die Problematik des Cybermobbing zu sensibilisieren sowie Aufklärungs-, Forschungs- und Präventionsarbeit zu leisten. Da sich das Bündnis als Dachorganisation wahrnimmt, ist ein weiteres erklärtes Ziel, alle Kenntnisse und Informationen auf dem Gebiet zu bündeln und jene miteinander zu vernetzen, die sich mit der Thematik beschäftigen. Literatur Axel Springer AG (Hrsg.) (2009): Gesprächskultur 2.0: Wie die digitaleWelt unser Kommunikationsverhalten verändert. Hamburg. In: www.axelspringer-media pilot.de/ dl/ 518615/ Gespraechskultur_2.0._final_pdf. pdf, 9. 1. 2014 Baier, D., Pfeiffer, C., Simonson, J., Rabold, S. (2009): Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt. Erster Forschungsbericht zum gemeinsamen Forschungsprojekt des Bundesinnenministeriums des Innern und des KFN. Hannover. In: www.kfn.de/ versions/ kfn/ assets/ fb107.pdf, 11. 1. 2014 Bannenberg, B. 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So lernen die SchülerInnen, sich gegenseitig Rückmeldung zu geben und ihre Kritik am Lehrer und an den Mitschülern direkt vorzubringen. Sie müssen sich nicht mehr zu Hause über das Internet Luft machen. Neben der Förderung des sozialverantwortlichen Handelns durch den Unterricht werden auch die Zusammenarbeit mit den Eltern und das Coaching von Mobbing-Opfern thematisiert. Konkrete Beispiele zeigen die praktische Umsetzung. a www.reinhardt-verlag.de
