eJournals unsere jugend 66/5

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2014
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Außerdem: Gestaltung von Entscheidungsumfeldern als Erziehungshilfe

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2014
Marius Metzger
Erziehende beeinflussen ständig Entscheidungen von Kindern, indem sie deren Umfeld in ganz unterschiedlichen Alltagssituationen gestalten. Der vorliegende Artikel zeigt Möglichkeiten auf, wie Erziehende entwicklungsrelevante Entscheidungen der Kinder steuern können, ohne aber deren Entscheidungsfreiheit zu beschneiden.
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233 unsere jugend, 66. Jg., S. 233 - 238 (2014) DOI 10.2378/ uj2014.art25d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Prof. Dr. Marius Metzger Jg. 1976, Dozent und Projektleiter an der Hochschule Luzern - Soziale Arbeit. Schwerpunkte: Lern- und Entwicklungsschwierigkeiten von Kindern und Jugendlichen, Erwachsenen- und Elternbildung in der Sozialen Arbeit Gestaltung von Entscheidungsumfeldern als Erziehungshilfe Erziehende beeinflussen ständig Entscheidungen von Kindern, indem sie deren Umfeld in ganz unterschiedlichen Alltagssituationen gestalten. Der vorliegende Artikel zeigt Möglichkeiten auf, wie Erziehende entwicklungsrelevante Entscheidungen der Kinder steuern können, ohne aber deren Entscheidungsfreiheit zu beschneiden. Im Idealfall sind Erziehende bei anstehenden Entscheidungen bestrebt, Kindern einen möglichst hohen Grad an Partizipation zuzugestehen. Im ungünstigen Fall treffen Erziehende Entscheidungen unter Ausschluss kindlicher Einflussnahme, wobei insbesondere herausfordernde Situationen eine solche einseitige Entscheidungsfindung befördern. Diese zu Recht als paternalistisch problematisierte Vorgehensweise umschreiben Hennighausen und Schulz (2008, 65) lakonisch wie folgt: „Die Sorgeberechtigten wissen, was für das Kind/ den Jugendlichen das Beste ist, und treffen als die (Besser-)Wissenden die Entscheidungen für das Kind/ den Jugendlichen.“ Aus Sicht der Erziehenden wird durch dieses Vorgehen verhindert, dass Kinder falsche Entscheidungen treffen, da sie die Konsequenzen ihres Tuns noch zu wenig abschätzen können. Aus Sicht der Kinder wird ihnen damit die Möglichkeit abgesprochen, eine Entscheidung selbst zu fällen oder zumindest darauf Einfluss zu nehmen, worauf viele Kinder mit Auflehnung reagieren. Erziehende sind zu Recht um die Entwicklung von Kindern besorgt, was sich am Beispiel der Sicherstellung einer gesunden Ernährung zeigen lässt: Kinder werden mit geeigneteren und weniger geeigneteren Mitteln dazu gebracht, möglichst häufig Obst und Gemüse zu konsumieren. Kinder essen jedoch lieber, was ihnen am besten schmeckt, und können negative Konsequenzen einer einseitigen Ernährung noch zu wenig antizipieren. Aus diesem Interessenskonflikt können eigentliche Machtkämpfe resultieren, welche viele Erziehende nur zu gut kennen und beide Seiten gleichermaßen ermüden. Fehlt es kleineren Kindern aufgrund des ausgeprägten Ichbezuges noch an Einsichtsfähigkeit in die erzieherischen Überlegungen, so sind bei älteren Kindern die Bestrebungen nach mehr Autonomie typische Ursachen dieser Machtkämpfe. Nun müssen solche Situationen allerdings nicht zwangsläufig zu Machtkämpfen führen, sondern können elegant umgangen werden, wenn das Entscheidungsumfeld entsprechend geschickt gestaltet wird. Folgendes Beispiel soll dies veranschaulichen: Die Kinder sitzen am Tisch und malen mit Buntstiften. Ein 234 uj 5 | 2014 Gestaltung von Entscheidungsumfeldern Erzieher stellt, ohne dies mit einer Aufforderung zu belegen, einen Teller mit frisch geschnittenem Obst oder Gemüse auf den Tisch und geht einer anderen Tätigkeit nach. Den Kindern wird damit die Entscheidung überlassen, ob sie sich für den Konsum von Obst oder Gemüse entscheiden wollen oder nicht. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden sich die Kinder nun für den Konsum entscheiden, einfach weil das Obst oder das Gemüse im Gegensatz zu attraktiveren Speisen wie beispielsweise Süßigkeiten leicht verfügbar ist. Das Essen der angebotenen Nahrungsmittel stellt für die Kinder den momentan einfachsten Weg für die Befriedigung oraler Bedürfnisse dar (Lewin 1943). Um Süßigkeiten zu bekommen, müssten dagegen verschiedene Hindernisse wie beispielsweise Verhandlungen mit dem Erzieher überwunden werden, wofür der Aufwand wesentlich höher wäre. Im vorliegenden Beispiel konnten die Kinder also selbstständig eine Entscheidung fällen, während der Erzieher ihr Entscheidungsumfeld bewusst gestaltet hat. Zwar könnte man dem Erzieher nun mit einiger Berechtigung eine paternalistische Vorgehensweise vorwerfen. Bei dieser Kritik bleibt allerdings weitgehend unbeachtet, dass der Erzieher zwar die Kinder beeinflusst, aber nicht deren Entscheidungsfreiheit eingeschränkt hat. Treffender kann man diese Form der Beeinflussung mit Thaler und Sunstein (2008, 5) daher als libertär-paternalistische Vorgehensweise bezeichnen, wobei mit dem beigefügten Adjektiv „libertär“ die Besonderheit dieser Form des Paternalismus herausgestrichen werden soll, bei welcher die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen jederzeit erhalten bleibt: „Libertarian paternalism is a relatively weak, soft, and nonintrusive type of paternalism because choices are not bloked, fenced off, or significantly burdened.“ Die Gestaltung des Entscheidungsumfeldes stellt also eine non-intrusive Form der Beeinflussung mit dem Ziel dar, kindliche Entscheidungen mit einem positiven Beitrag für die eigene Entwicklung zu fördern. Die Einnahme einer libertär-paternalistischen Haltung gründet dabei auf der Einsicht, dass Menschen nicht als allzeit rational handelnde Akteure betrachtet werden können, die in all ihren Entscheidungen primär nach Nutzenmaximierung streben (Thaler/ Sunstein 2003). Vielmehr treffen Menschen häufig irrationale Entscheidungen mit negativen Folgen für sie selbst. Insbesondere in herausfordernden Entscheidungssituationen üben emotionale Prozesse einen zuweilen störenden Einfluss auf die kognitiven Entscheidungsprozesse aus (Jungermann/ Pfister/ Fischer 2005, 7ff ). Dies erschwert ein sorgfältiges Abwägen aller relevanten Entscheidungskriterien wesentlich. Aufgrund begrenzter Möglichkeiten der Emotionsregulation fällt es dabei vor allem Kindern schwer, kognitive Prozesse vor überflutenden Emotionen zu bewahren, was kognitive Entscheidungsprozesse wesentlich stört oder gar verunmöglicht. Aber auch im Hinblick auf die eingeschränkte Informationsverarbeitungskapazität besteht noch Entwicklungspotenzial, was die Integration unterschiedlicher Informationen zwecks Entscheidungsfindung zusätzlich erschwert. Ein sanfter Schubser in die richtige Richtung Es gibt also gute Gründe, weswegen Menschen im Allgemeinen und Kinder im Speziellen in ihren Entscheidungsprozessen durch die Gestaltung des Entscheidungsumfeldes unterstützt werden sollen. Eine solche Einflussnahme auf kindliche Entscheidungsprozesse setzt seitens der Erziehenden allerdings die Reflexion über allfällig nachteilige Effekte voraus, welche für die Kinder aus einer bestimmten Entscheidung resultieren könnten. So trauen sich beispielsweise einzelne Kinder zu wenig, sich in Situationen zur Wehr zu setzen, in denen sie von anderen übervorteilt worden sind. Aus der Entscheidung, sich nicht gegen eine ungerechte Behandlung zu wehren, entstehen den Kindern dann an den eigenen Maßstäben gemessene Nachteile. Deshalb benötigen Kinder in solchen Situationen manchmal einen sanf- 235 uj 5 | 2014 Gestaltung von Entscheidungsumfeldern ten Schubser in die eine oder andere Richtung. Diese Schubser charakterisieren Thaler und Sunstein (2008, 6) als all jene Maßnahmen, welche das Verhalten von Menschen in vorhersagbarer Weise beeinflussen können, ohne Handlungsalternativen auszuschließen. Der rational denkende Mensch wird sich von solchen sanften Schubsern nicht beeinflussen lassen, da seine Wahlmöglichkeiten erhalten bleiben und damit Entscheidungen im Sinn der Nutzenmaximierung weiterhin möglich sind. Irrationale Handlungsweisen werden dagegen so gesteuert, dass den handelnden Menschen aus ihrem Verhalten keine Nachteile respektive sogar Vorteile entstehen. Um exemplarisch aufzuzeigen, was dies für die Gestaltung von Entscheidungsumfeldern in der Erziehung bedeuten könnte, sollen die folgenden zwei Beispiele helfen: Anderen etwas Gutes tun: Kinder tun anderen gerne etwas Gutes, aber Sie wissen häufig noch zu wenig, was das sein könnte. Um den Kindern dies zu erleichtern, könnten die Erziehenden beispielsweise eine Liste mit Vorschlägen für gute Taten an den Kühlschrank pinnen. Die Liste kann aus Sätzen, Fotos oder Cartoons bestehen. Zu beachten ist allerdings, dass es sich um Vorschläge handeln sollte, bei welchen die gute Tat möglichst eindeutig sichtbar wird. So ist beispielsweise die gute Tat „die Zimmerpflanzen gießen“ den kindlichen Fähigkeiten zwar gut angepasst, aber es besteht die Gefahr, dass diese gute Tat aufgrund deren geringer Visibilität nicht wahrgenommen und daher auch nicht entsprechend wertgeschätzt werden kann. Eine unbeachtete gute Tat ist für die Kinder besonders frustrierend und senkt deren Auftretenswahrscheinlichkeit. Handlungen wie beispielsweise „jemandem ein Brot streichen“ eignen sich daher besser als gute Taten, da diese sowohl den kindlichen Fähigkeiten entsprechen als auch für andere sichtbar werden. Eigenes Geld sparen: Spätestens mit dem Übertritt in die Berufslehre beginnen Jugendliche, eigenes Geld zu verdienen. Einigen Jugendlichen gelingt dabei der Umgang mit dem eigenen Geld nicht immer ganz zufriedenstellend, so dass sie zum Ende des Monats über kein Geld mehr verfügen oder sich sogar verschulden. Solchen Jugendlichen bleibt die Möglichkeit verwehrt, über eigene Sparbemühungen größere und begehrte Anschaffungen wie beispielsweise Sportgeräte oder Modeartikel zu tätigen. Eine mögliche Lösung für dieses Problem könnte darin bestehen, dass die Erziehenden gemeinsam mit den Jugendlichen einen Dauerauftrag mit einer monatlich fixen Überweisung vom Lohnkonto auf ein Jugendsparkonto einrichten. Beiden Beispielen ist gemeinsam, dass sie die Wahrscheinlichkeit für ein Verhalten erhöhen, welches den Kindern Vorteile einbringt: Beim ersten Fall ist dies die positive Zuwendung der anderen und im zweiten Fall die Erweiterung von finanziellen Möglichkeiten. In beiden Beispielen kommt aber auch zum Ausdruck, dass die Entscheidungsfreiheit der Kinder, trotz Gestaltung des Entscheidungsumfeldes durch die Erziehenden, erhalten geblieben ist. Im ersten Beispiel können sich die Kinder für eine gute Tat entscheiden, müssen dies aber nicht. Im zweiten Beispiel sind die Jugendlichen auch nach der Entscheidung über die Einrichtung des Dauerauftrages frei, ihr Geld jederzeit abzuheben oder den Dauerauftrag sogar wieder zu kündigen. Geeignete Interventionen auswählen Zur Realisierung eines solchen sanften Schubsers muss auf interventionspsychologisches Wissen zurückgegriffen werden, das sich mit der libertär-paternalistischen Haltung vereinbaren lässt und sich für den Einsatz in Erziehungssituationen eignet. In den zwei Beispielen „anderen etwas Gutes tun“ und „eigenes Geld sparen“ sorgen Standardvorgaben dafür, dass ein Verhalten wahrscheinlicher wird, welches den Kindern und Jugendlichen Vorteile einbringt. Solche Standardvorgaben berücksichtigen den Umstand, 236 uj 5 | 2014 Gestaltung von Entscheidungsumfeldern dass Menschen in Entscheidungssituationen oft keine aktive Entscheidung fällen wollen oder können. Die Standardvorgabe gibt daher eine Entscheidung vor. Sie macht eine eigene Entscheidung nicht zwingend notwendig, aber jederzeit möglich (Thaler/ Sunstein 2008, 123ff ). Eine weitere, aussichtsreiche Möglichkeit zur Beeinflussung von Entscheidungen stellt der Einsatz von Selbstverpflichtungsstrategien dar. Diese erweisen sich dabei als hilfreich, Änderungsprozesse in Gang zu bringen und zu erhalten, wie Katzev und Wang (1994) in ihrem Review verschiedener Studien zu Selbstverpflichtungsstrategien zeigen konnten. Eine solche freiwillige Verpflichtung zur Veränderung eines bestimmten Verhaltens führt zu einer generellen Aufwertung des Verhaltensziels und zu einer verstärkten Anstrengung beim Auftauchen von Schwierigkeiten (Riess 2010, 69). Ein Beispiel soll den Einsatz von Selbstverpflichtungsstrategien demonstrieren: Kinder können sich vor ganz unterschiedlichen Dingen wie beispielsweise Tieren, Menschen, Räumen, Fantasiefiguren, Dunkelheit usw. fürchten. Über die Verwendung einer Selbstverpflichtung lassen sich solche Ängste reduzieren. Erziehende können hierzu mit dem Kind über das Wesen solcher Ängste sprechen und ihm erklären, dass die Angst zurückgeht, wenn man sich angstauslösenden Situationen stellt. Anschließend soll das Kind mit sich selbst eine Wette abschließen, wie beispielsweise „Ich traue mich, zehnmal alleine in den Keller zu gehen und mindestens fünf Minuten im Keller zu bleiben.“ Die Erziehenden und das Kind können dann gemeinsam überlegen, woran das Kind erkennt, dass es die Wette mit sich selbst gewonnen hat und was sich dann geändert haben könnte. Sie könnten neben der Kellertür beispielsweise ein Blatt mit zehn leeren Feldern aufhängen, auf welches das Kind nach jedem mutigen Einsatz einen kleinen Löwensticker kleben kann. Befindet sich in jedem Feld ein Löwe, so darf das Kind eine selbst gebastelte Medaille mit der Aufschrift „Löwenherz“ oder etwas Ähnliches tragen. Beim Einsatz von Selbstverpflichtungsstrategien hat es sich als hilfreich erwiesen, diese mit sogenannten Erinnerungshilfen zu kombinieren. Erinnerungshilfen rufen ein bestimmtes Verhaltensziel in Erinnerung, das in Handlungssituationen vergessen zu gehen droht. Um deren Verankerung im neuronalen System zu erleichtern, müssen Erinnerungshilfen jedoch einen möglichst engen Bezug zum Verhaltensziel aufweisen (Storch/ Krause, 2007, 114ff). Ein Beispiel soll dies veranschaulichen: Viele Kinder lassen sich beim Bearbeiten ihrer Hausaufgaben von elektronischen Geräten, Tagträumen, attraktivem Spielzeug, Straßenlärm usw. ablenken. Durch den Einsatz einer Erinnerungshilfe kann die Gefahr der Ablenkung vermindert werden. Die Erziehenden erklären dem Kind, dass es sich nur schwer auf die Hausaufgaben konzentrieren kann, wenn es sich ständig von anderem ablenken lässt. Gemeinsam mit dem Kind entfernen die Erziehenden dann möglichst viele der Störquellen und lassen das Kind stattdessen eine Erinnerungshilfe bestimmen, welche es gut sichtbar auf dem eigenen Arbeitsplatz positioniert. Diese Erinnerungshilfe soll dem Kind dabei helfen, sich an das Verhaltensziel zu erinnern. Es könnte sich dabei beispielsweise um ein Stoppschild aus dem Modellbauhandel handeln, welches das Kind an das Ziel erinnert, störende Gedanken zu stoppen und sich stattdessen auf die Hausaufgaben zu konzentrieren. Grenzen der Beeinflussung Die Gestaltung von Entscheidungsumfeldern macht ein bestimmtes Verhalten der Kinder lediglich wahrscheinlicher, kann es aber aufgrund der aufrechtzuerhaltenden Entscheidungsfreiheit nicht garantieren. Die Entscheidung gegen ein bestimmtes Verhalten muss von den Erziehenden in jedem Fall akzeptiert werden, was den Einsatz von solchen sanften Schubsern in die richtige Richtung nicht für die Veränderung jedes kindlichen Verhaltens sinnvoll macht. 237 uj 5 | 2014 Gestaltung von Entscheidungsumfeldern Die Entscheidung über die Frage beispielsweise, ob Füße auf den Tisch gehören oder nicht, sollten Erziehende nicht den Kindern überlassen, sondern aufgrund ihrer erzieherischen Autorität einfordern können. Folgendes Beispiel soll diese Problematik veranschaulichen helfen: Die Erzieherin eines zehnjährigen Mädchens ärgert sich regelmäßig über dessen unaufgeräumtes Zimmer. Aus diesem Grund sucht die Erzieherin das Gespräch mit dem Mädchen. Im Gespräch lässt sich das Mädchen davon überzeugen, eine entsprechende Selbstverpflichtung zu formulieren. Die Erzieherin misstraut jedoch den Fähigkeiten des Mädchens, sich die Selbstverpflichtung mental präsent zu halten. Aus diesem Grund plant die Erzieherin den Einsatz eines ständigen Feedbacks. Sie gestaltet dazu eine Art Barometer mit einem grünen und einem roten Bereich, welche den Zustand des Zimmers auf den zwei Polen„ordentlich“ versus „unordentlich“ abbildet. Die Erzieherin hängt diesen Barometer für andere Personen gut sichtbar vor dem Zimmer auf und erklärt dem Mädchen, dass sie von nun an täglich den Zustand des Zimmers kontrollieren und auf dem Barometer eintragen wird. Das Mädchen ist von diesem Vorgehen wenig begeistert und zeigt nicht das gewünschte Verhalten. In der Folge wird die Erzieherin im Laufe der Zeit immer ärgerlicher, was sie das Mädchen auch spüren lässt. Bei diesem unglücklichen Versuch, das Entscheidungsumfeld zu gestalten, tritt klar zutage, dass die Erzieherin die Entscheidung des Mädchens, ihr Zimmer nicht aufzuräumen, nur schwer akzeptieren kann. Aufgrund der Erwartung, dass sich das Mädchen doch von selbst für das Aufräumen ihres Zimmers entscheiden müsste, darf die Erzieherin das Mädchen konsequenterweise auch nicht sanktionieren. Die Erzieherin hat damit keine Möglichkeit mehr, einen direkten Einfluss auf das Kind auszuüben. Falls sie das Kind dennoch sanktioniert, so würde aus ihrem inkonsistenten Handeln Dissonanz resultieren: Die Ankündigung, lediglich ein Feedback zum Zustand des Zimmers geben zu wollen, tritt dann nämlich in Widerspruch zu den nachträglich verhängten Sanktionen. Der Erzieherin bleibt daher nur noch ihr Ärger, welchen sie mit der Zeit mehr und mehr auf das Mädchen richtet. Für das Mädchen stellt das Feedback der Erzieherin damit immer weniger eine hilfreiche Rückmeldung zur Erleichterung eines nützlichen Verhaltens als vielmehr eine Art Pranger dar, welcher die Vergehen des Mädchens gegen die häusliche Ordnung anzeigt. Fazit Die aktive Gestaltung des Entscheidungsumfeldes kann Kinder und Jugendliche dabei unterstützen, entwicklungsförderliche Entscheidungen zu treffen, die ihnen Vorteile einbringen. Darüber hinaus kann die sanfte Beeinflussung von Entscheidungen auch einen Beitrag dazu leisten, typische Konflikte in Erziehungssituationen elegant zu umgehen - vorausgesetzt, die Entscheidungsfreiheit der Kinder bleibt jederzeit erhalten. In letzter Konsequenz müssen die Erziehenden dabei aber auch Entscheidungen akzeptieren, welche nicht in ihrem Sinne gefällt werden. Aus diesem Grund bietet sich der Einsatz solcher sanfter Schubser auch nicht für jede Erziehungssituation an und muss sorgfältig durchdacht werden. Richtig eingesetzt, können solche kleinen Veränderungen im Entscheidungsumfeld der Kinder allerdings eine große Wirkung erzielen und einen nachhaltigen Beitrag für ein freudvolles Miteinander leisten. Prof. Dr. Marius Metzger Hochschule Luzern - Soziale Arbeit Werftestrasse 1 CH-6002 Luzern Schweiz marius.metzger@hslu.ch 238 uj 5 | 2014 Gestaltung von Entscheidungsumfeldern Literatur Hennighausen, K., Schulz, E. (2008): Die Entscheidungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen. In: Illhardt, F. J. (Hrsg.): Die ausgeblendete Seite der Autonomie. LIT, Berlin, 65 - 79 Jungermann, H., Pfister, H.-R., Fischer, K. (2005): Die Psychologie der Entscheidung. Eine Einführung. 2. Aufl. Spektrum, Berlin Katzev, R. D., Wang, T. (1994): Can commitment change behavior? A case study of environmental actions. Journal of Social Behavior & Personality 9, 13 - 26, http: / / dx.doi.org/ 10.1177/ 0013916511411477 Lewin, K. (1943): Psychologische Ökologie. In: Lewin, K. (Hrsg.): Feldtheorie in den Sozialwissenschaften. Huber, Bern, 206 - 222 Riess, W. (2010): Bildung für nachhaltige Entwicklung. Theoretische Analysen und empirische Studien. Waxmann, Münster Storch, M., Krause, F. (2007): Selbstmanagement - ressourcenorientiert. Grundlagen und Trainingsmanual für die Arbeit mit dem Zürcher Ressourcen Modell (ZRM). 4. Aufl. Huber, Bern Thaler, R. H., Sunstein, C. R. (2003): Libertarian Paternalism. The American Economic Review 93, 175 - 179, http: / / dx.doi.org/ 10.1257/ 000282803321947001 Thaler, R. H., Sunstein, C. R. (2008): Nudge. Improving decisions about health, wealth, and happiness. Yale University Press, New Haven, http: / / dx.doi.org/ 10.10 07/ s10602-008-9056-2 Vorschau auf die kommende Ausgabe Das Heft zur Weltmeisterschaft: Fußball und andere Sportarten Fußball und Fernsehen Lernort Stadion - Fußball und politische Bildung Mädchenfußball in Brasilien Inklusion von MigrantInnen in und durch Sport