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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Mädchen und Fußball
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Andreas Behn
Fußball wird - nicht nur in Brasilien - als ein Medium angesehen, mit dem man auch jenseits des Sports viel erreichen kann, beispielsweise wenn es um Integration, soziale Problemlagen oder die Förderung von Frauen und Mädchen geht. So ist es nicht verwunderlich, dass im Land des fünfmaligen Weltmeisters unterschiedliche Projekte entstanden sind, die insbesondere Kinder und Jugendliche unterstützen sollen. Und wie so häufig beim Fußball werden solche Ansätze erst im maskulinen Bereich erprobt und später mit Mädchen und Frauen umgesetzt.
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257 unsere jugend, 66. Jg., S. 257 - 259 (2014) DOI 10.2378/ uj2014.art29d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Andreas Behn Jg. 1963; Dipl.-Soziologe, freier Journalist in Rio de Janeiro Frauenfußball und Mädchenfußballprojekte in Brasilien Fußball wird - nicht nur in Brasilien - als ein Medium angesehen, mit dem man auch jenseits des Sports viel erreichen kann, beispielsweise wenn es um Integration, soziale Problemlagen oder die Förderung von Frauen und Mädchen geht. So ist es nicht verwunderlich, dass im Land des fünfmaligen Weltmeisters unterschiedliche Projekte entstanden sind, die insbesondere Kinder und Jugendliche unterstützen sollen. Und wie so häufig beim Fußball werden solche Ansätze erst im maskulinen Bereich erprobt und später mit Mädchen und Frauen umgesetzt. „Wir wollen den Kindern in der Favela zeigen, dass es im Leben mehr gibt, als sich dem Verbrechen anzuschließen“, sagt Roxanne Hehakaija. Die 29-jährige Holländerin war einst Profifußballerin, jetzt hat sie ihr Faible für Streetfootball entdeckt. Brasilien hat sie schon immer fasziniert. Die Weltmeisterschaft im kommenden Jahr ist für Hehakaija die Gelegenheit, aus ihrem Hobby eine sinnvolle Tätigkeit zu machen: „Fußball kann den Mädchen helfen, gemeinsam eine Sache anzupacken, besser untereinander zu kommunizieren und Verantwortungsgefühl zu entwickeln.“ Favela Street Girls heißt eines der zahlreichen Projekte, die Mädchen in den Armenvierteln von Rio de Janeiro mit Fußballbegeisterung von der Straße holen sollen. Die Projektleiterin aus Holland hofft, schon in diesem Jahr rund hundert Mädchen zu erreichen. Von den älteren sollen einige gleich zu Beginn zu Tutorinnen ausgebildet werden, die dann die anderen Mädchen in ihrer Gemeinde anleiten. In drei Favelas (Slums) der zweitgrößten Stadt Brasiliens soll das Projekt vorerst stattfinden, in den Stadtvierteln Bangu, Vila Cruzeiro und Favela do Lix-o. Es ist die Peripherie der Touristenmetropole, geprägt von riesigen Ansiedlungen ärmlicher Behausungen, in denen es nur wenige Transportmittel und kaum Freizeitangebote gibt. Oft dominiert der Drogenhandel das öffentliche Leben, für viele Kids eine erste Beschäftigungsmöglichkeit - spannend und sogar eine lukrative Einnahmequelle. Auch Favela Street Girls hat ein maskulines Vorbild: Favela Street, 2010 ebenfalls von einem Holländer gegründet, ist in den gleichen Quartieren tätig. 750 Jugendlichen bietet der Fußball seitdem eine Alternative zum Drogengeschäft - für die Jugendlichen eine willkommene Abwechslung. Die Aussicht auf den Weg nach oben fehlt dabei in keinem Fußballsozialprojekt. Wer beim Kicken auf der Straße oder holprigen Erdplätzen 258 uj 6 | 2014 Mädchen und Fußball auffällt, wird besonders gefördert, um eine Vermittlung an lokale Vereine zu ermöglichen.„Natürlich ist die Talentsuche einer unserer Schwerpunkte“, sagt Ex-Profi Hehakaija. „Das Schönste wäre, eine neue Marta zu entdecken. Sie war für mich ein großes Vorbild.“ Die Stürmerin Marta Vieira da Silva ist Brasiliens bekannteste Fußballerin. Fünfmal wurde sie von der FIFA zur Weltbesten Fußballerin gewählt, zuletzt 2011. Viermal setzte sie sich deutlich gegen Birgit Prinz aus Deutschland durch. Zu einem Weltmeistertitel oder Olympiasieg hat es jedoch nicht gereicht, der Frauenfußball ist in Brasilien noch weit vom Männerniveau entfernt. Inzwischen spielt Marta in Schweden, wo sie 2012 mit dem Stockholmer Tyresö FF den Meistertitel gewann. Bei den Favela Street Girls geht der Traum vom großen Aufstieg direkt in Richtung Ajax Amsterdam. Der Traditionsclub sponsert das Projekt, gemeinsam mit Sportunternehmen wie Adidas. Kein großer Player der kommerziellen Kickerwelt kommt heute darum herum, sich mit sozialem Engagement und am liebsten mit der Nachwuchsbranche Mädchenfußball zu schmücken. Doch Hehakaija ist realistisch: „Zwar stehen wir im Kontakt mit der Frauenmannschaft von Ajax. Doch das ist Zukunftsmusik.“ Das Projekt sei noch weit davon entfernt, Talente für den internationalen Transfermarkt zu sichten. Kickende Frauen gibt es noch nicht lange in Brasilien. Während in England der Frauenfußball sich bereits im Ersten Weltkrieg großer Beliebtheit erfreute, dauerte es in Südamerikas größter Fußballnation bis 1958. In diesem Jahr - in dem die Männer erstmals Weltmeister wurden - spielten zum ersten Mal zwei Frauenteams in der brasilianischen Öffentlichkeit gegeneinander. In Araguari, einem kleinen Städtchen im Innern des Bundesstaates Minas Gerais, plagte sich eine traditionelle Schule mit Geldproblemen. In der Not entstand die Idee, ein Frauen- Match zu organisieren, um das kommende Schuljahr zu finanzieren. Fast heimlich wurden 22 Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren ausgesucht und vom Fußballverein Araguari trainiert. Da der lokale Rivale Fluminense nicht mitmachte, losten die Mädchen untereinander aus, wer am großen Tag für Araguari und wer für Fluminense auflief. Das Spektakel war ein voller Erfolg. Der mediale Rummel reichte bis in die Hauptstädte anderer Bundesstaaten, wo die Mädels aus Araguari zu Gastspielen eingeladen wurden. Eine Spielerin von damals, heute 70 Jahre alt, erinnert sich: „Überall wurden wir um Autogramme gebeten. Das ganze Spiel über schickten uns die Männer Handküsse, wir wurden umjubelt und umgarnt. Aber immer sehr respektvoll.“ Doch schon bald wurde die katholische Kirche auf die Frauen im Fußballdress aufmerksam. Es dauerte nicht lange, bis es den Moralhütern gelang, die Spiele verbieten zu lassen. Als 1959 die erste Einladung zu einem Auslandsspiel in Mexiko kam, schritt auch der inzwischen aufgelöste Nationale Sportrat (CND) ein. Mit Verweis auf ein altes Dekret, dass „Sportarten, die mit der Natur von Frauen unvereinbar“ waren, untersagte, wurde in ganz Brasilien Frauenfußball verboten - bis in die 70er Jahre hinein. Bis heute ist die Geschichte des brasilianischen Frauenfußballs nicht annähernd so glorreich wie die Karriere von Marta Vieira, die selbst als 14-Jährige von zu Hause fliehen musste, um fernab der Familie in Rio de Janeiro ihre Karriere aufzubauen. Vor allem mangelt es an Ausbildung und finanzieller Unterstützung. Es dauerte bis in die 90er Jahre, bis Frauenfußball eine gewisse Anerkennung bekam. Der Wissenschaftler Osmar Moreira de Souza Júnior kommt in seiner kürzlich veröffentlichten Doktorarbeit zu dem Schluss, dass kein einziger Verein im fünftgrößten Land der Welt die gesetzlichen Vorschriften des Profifußballs im Frauenbereich umsetzt. „Die Athletinnen werden zwar den im 259 uj 6 | 2014 Mädchen und Fußball sogenannten Pelé-Gesetz vorgesehenen arbeitsrechtlichen Pflichten unterworfen. Doch die im nationalen Fußballrecht festgeschriebenen Gegenleistungen wie vertragsmäßige Bezahlung und angemessene Arbeitsbedingungen werden verweigert.“ So kommen die schönen Fußballfrauengeschichten von heute meist aus den inzwischen unzähligen Sport-Sozialprojekten. Zum Beispiel Beatriz. Sie lebt in Maranh-o, Brasiliens ärmstem Bundesstaat im Nordosten. Gewalt, Drogen und Perspektivlosigkeit prägten ihre Kindheit. Drei Jahre ist es jetzt her, dass das britische Kinderhilfswerk Plan International in der ländlichen Gemeinde S-o José de Ribamar seine Arbeit aufnahm. Zu Anfang wollte Beatriz nur eines: Fußball spielen und Tooor schreien. Aber die damals 14-Jährige fand durch den Fußball auch zu sich selbst. Mit dem Sport lernte sie neue FreundInnen kennen, wurde sich ihrer Rechte bewusst und wurde stärker. Dies behielt sie nicht nur für sich - Beatriz organisierte Gender-Workshops und motivierte ihre Freundinnen, im Frauenfußball mehr als Bolzerei zu sehen. Schon bald vertrat sie ihre Schule, wenn in der Region über die Rechte von Kindern und Jugendlichen diskutiert wurde. Sie nahm an einer Nationalen Konferenz zum Kinderrechtsstatut in der Hauptstadt Brasília teil und wurde zur Aktivistin in Sachen Frauenfußball. Bildung ist heute ihr Lieblingsthema, und auch viele Jungen haben von ihr gelernt, dass es im Fußball nicht nur um Tore geht. Vielleicht waren die Talent- Scouts vor drei Jahren in Maranh-o gar nicht auf der Suche nach ihr, aber Beatriz hat sie gefunden und sehr davon profitiert. Andreas Behn andreasbehn@agenciapulsar.org Literatur Osmar Moreira de Souza Júnior (2013): Futebol como projeto profissional de mulheres: interpretações da busca pela legitimidade. Doktorarbeit. Campinas (SP)
