eJournals unsere jugend 66/9

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2014
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Eltern als PartnerInnen und AdressatInnen schulischer Berufsorientierung

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2014
Karlheinz Thimm
Jugend bzw. Adoleszenz können als Entwicklungsräume gelten, die auch von der Abwendung gegenüber den eigenen Eltern geprägt sind. Allerdings verlaufen Ablösungen aus der Herkunftsfamilie heute häufig zeitlich deutlich gestreckter. Und das Thema der Einmündung in einen Beruf kann Eltern und ihre Töchter und Söhne verbinden.
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367 unsere jugend, 66. Jg., S. 367 - 375 (2014) DOI 10.2378/ uj2014.art42d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Eltern als PartnerInnen und AdressatInnen schulischer Berufsorientierung Jugend bzw. Adoleszenz können als Entwicklungsräume gelten, die auch von der Abwendung gegenüber den eigenen Eltern geprägt sind. Allerdings verlaufen Ablösungen aus der Herkunftsfamilie heute häufig zeitlich deutlich gestreckter. Und das Thema der Einmündung in einen Beruf kann Eltern und ihre Töchter und Söhne verbinden. von Prof. Dr. Karlheinz Thimm Jg. 1954; Evangelische Hochschule Berlin, Schwerpunkte: Methoden der Sozialen Arbeit, Kinder- und Jugendhilfe Der Artikel geht der Frage empirisch nach, ob das „FuN-Training Berufs- und Lebensplanung“ etwas zu einer solchen Verbindung Jugendlicher und ihrer Eltern beitragen kann, um dann verallgemeinernd Merkposten für elternaktivierende Veranstaltungen im Übergang von der Schule in den Beruf zu formulieren. Berufsorientierung als Schnittmengenthema Die Berufsfrage ist für Jungen und Mädchen hoch relevant und prägt die Jugendbiografien in erheblichem Maß. Es wird gesellschaftlich erwartet, dass junge Menschen lernen und beruflich einmünden. Ausbildung und Beruf sind Prädiktoren für ökonomische, kulturelle und soziale Teilhabe. Für die Mädchen und Jungen selbst liegt hier eine identitätsbildende Entwicklungsaufgabe der Jugendphase. Das Thema Arbeit und Beruf ➤ ist in das komplexe Gefüge von Herkunftsmilieus, Lebenslagen, Bildungslaufbahnen und Selbstkonzepten eingewoben, ➤ ist unter dem Aspekt realer individueller Chancen und Verhinderungen „auf dem Markt“ zu konzipieren und ➤ lässt sich nicht auf die kurze Spanne vor der tatsächlichen Einmündung reduzieren. Im Zuge der Berufsorientierung - der Begriff steht für das Gesamt der Aneignung von Berufsinformationen, von berufsbezogener Selbstreflexion und Gestaltung der Berufsfindung - geht es darum, „die eigenen individuellen Interessen, Kompetenzen und (sozialen und bildungsbezogenen) Ressourcen mit der eigenen biografischen Lebensplanung sowie den Angeboten und Möglichkeiten des Ausbildungs- und Arbeitsmarktes in Übereinstimmung zu bringen (vgl. Schröder 1995, 97). (…) Insofern ist ein - mehr oder weniger heimlicher - Lehrplan der pädagogischen Berufsorientierungshilfen immer auch die Konfrontation der jugendlichen Bilder und Pläne vom ‚Traumberuf‘ mit dem gesellschaftlichen Realitätsprinzip. 368 uj 9 | 2014 Berufsorientierung (…) Dieser Prozess der konzeptionellen Desillusionierung ist tendenziell umso stärker, je niedriger die Bildungsabschlüsse und je schlechter die regionale Ausbildungs- und Arbeitsmarktsituation ist“ (von Wensierski u. a. 2005, 14f ). Subjektorientierung, individuelle Beratung und Begleitung der jungen Menschen, Lebensweltorientierung, Ressourcen- und Kompetenzorientierung sowie Aktivierung und Partizipation von Eltern, und zwar sowohl in der Rolle als PartnerInnen als auch als AdressatInnen, werden zunehmend gefordert und gehören zum programmatischen Allgemeingut, seit das Thema der „Benachteiligtenförderung“ die Jugendberufshilfe beschäftigt. (Auch) das Feld der Berufsorientierung zeigt, dass Zuständigkeitsgrenzen zwischen Familie, Schule, Betrieb, Jugendhilfe und Arbeitsverwaltung nicht deutlich zu ziehen sind. Die Fragen „Wer ist wofür zuständig? “„Wer kann was? “„Wer macht was? “ beantworten sich nicht von vornherein und von selbst. Zur Entwicklung einer rechtzeitigen und abgestimmten Berufsorientierung tragen bei: Jugendliche selbst, Erziehungsberechtigte, Schule, Berufsberatung der Agenturen für Arbeit, Unternehmen und Organisationen der Wirtschaft, Jugendhilfe und kommunale Einrichtungen sowie Hochschulen. Es gibt nun gute Gründe, Eltern systematischer als Ressource der schulischen Berufsorientierung zu berücksichtigen: ➤ Eltern kennen ihre Kinder am längsten und am besten. ➤ Eltern können durch überwiegend gegebene räumliche Nähe und Verantwortungsbeziehungen wirksamer handeln, wenn Mädchen und Jungen Impulse und Stützungen benötigen. ➤ Jugendliche räumen ihren Eltern an diesem Thema tendenziell Mitspracherechte ein und sprechen ihnen häufig eine gewisse Kundigkeit zu. Das Berufsthema ermöglicht bzw. reaktiviert Kommunikation. ➤ Eltern sind i. d. R. Zufluchtsort und Ausfallbürge, wenn berufliche Einmündungen scheitern. ➤ Eltern sind überwiegend Berufstätige und können dadurch Wissen und Erfahrungen beisteuern, Praktikumsplätze oder sogar Ausbildungsverhältnisse anbahnen. Grundsätzlich soll die Aktivierung den Jugendlichen dienen und reflektiert und kompetent erfolgen. Eine unreflektierte Einbeziehung von Eltern wird dabei nicht zielführend sein, sodass zunächst einige Risiken zu bedenken sind. Eltern können von bewussten oder unbewussten Eigeninteressen geleitet sein. Diese können z. B. in materieller Entlastung liegen, sie können aber auch mit den Lebens- und Berufswegen der Mütter und Väter selbst zu tun haben. So können Eltern ihre Orientierungsbeiträge an Geschlechtsrollenklischees knüpfen. In anderen Fällen sollen Kinder ggf. unabhängig von Neigung und Eignung Familientraditionen fortführen. Jungen und Mädchen können auch Gefangene der ungelebten Träume bzw. des Ideal- oder Negativ-Selbstbildes ihrer Eltern werden. Dort, wo Nicht-Wissen zur Berufs- und Arbeitswelt vorherrscht, leidet auch die Orientierungskompetenz. Solchen Gefahren gilt es vorzubeugen. Schließlich muss auch zur Kenntnis genommen werden, dass manche Jungen und Mädchen eine Einbeziehung ihrer Eltern definitiv nicht wünschen. Die Shell-Jugendstudie von 2010 zeigt, dass 35 % aller Jugendlichen angeben, mit ihren Eltern „bestens klar zu kommen“, (weitere 56 % kommen trotz Meinungsverschiedenheiten „durchaus klar“). In Benachteiligungskontexten mit prekären Lebensbedingungen geben allerdings nur 14 % der Jungen und Mädchen an, dass sie mit ihren Eltern „bestens“ auskommen (vgl. Marx 2011, 117). Diese Befunde gilt es im Auge zu behalten, wenn Eltern und Jugendliche „pädagogisch organisiert“ zusammengeführt werden. 369 uj 9 | 2014 Berufsorientierung Das Projekt Berufs- und Lebensplanung Familie und Nachbarschaft (FuN) - peerbegegnungsbasierte Gruppenarbeit mit Eltern und SchülerInnen Familienbzw. elternbezogene Angebote sind bisher nur vereinzelt am Standort Schule anzutreffen. Der FuN-Ansatz weist mehrere besondere Merkmale auf: ➤ Es geht mit dem Übergang an der ersten Schwelle um eine sehr relevante, biografisch und gesellschaftspolitisch zentrale Weiche. ➤ Nicht Kinder und ihre Eltern, sondern die schwieriger erreichbare Gruppe der Jugendlichen und ihre Mütter und Väter sind Zielgruppen des Kurses. ➤ AdressatInnen sind (auch oder sogar dezidiert) sogenannte einmündungsgefährdete SchülerInnen und ihre Eltern. ➤ Jugendliche und Eltern werden gemeinsam mit einem Format angesprochen. ➤ Lehrkräfte und SozialpädagogInnen arbeiten im Tandem. FuN ist ein Angebot von Schule und außerschulischen PartnerInnen aus dem Jugendamt, der Jugendberufshilfe u. Ä. für Acht- und Neuntklässler und ihre Eltern. In diesem Projekt werden in fünf 2,5bis 3-stündigen Einheiten (z. B. von 16.00 bis 19.00 Uhr) bis zu zwölf Familien (meist von der Schule vorgeschlagen) am Thema Berufsfindung mit Impulsen animiert und miteinander vernetzt. Geleitet wird der FuN- Kurs i. d. R. von einer mit dem Programm vertrauten Jugendhilfe-Fachkraft und einer/ m LehrerIn. Angebotsort ist etwa die Schule oder ein Nachbarschaftszentrum. Das strukturierte und ritualisierte Programm enthält folgende Elemente: ➤ Begrüßung der TeilnehmerInnen, ➤ Interaktionsübungen: n Kooperationsübung in der Familie (20 Minuten), n Kommunikationsübung in der Familie (20 Minuten), n Konfliktübung in der Familie (20 Minuten). Die drei Übungen finden an Familientischen in einem großen Raum statt und Eltern und Jugendliche bleiben in ihrer Familie unter sich. ➤ Gemeinsamer Imbiss (von den Jugendlichen vorbereitet, 20 Minuten): Teilnehmende Jugendliche bereiten kleine Stärkungen im Stil von „Fingerfood“ vor. Sie erhalten dafür Unterstützung bei der Planung durch das FuN-Team. Die Vorbereitung des Imbisses wird von jeweils einer Kleingruppe durchgeführt, sodass jede/ r Jugendliche wenigstens ein Mal beteiligt ist. Es geht u. a. darum, bei dieser ganz praktischen Aufgabe Teamfähigkeit zu erproben. Die Jugendlichen erhalten ein Budget, die Verantwortung für diese Situation und einen vorgegebenen Zeitrahmen. Für das Ergebnis bekommen sie Anerkennung und Wertschätzung durch die Eltern und MitschülerInnen. ➤ Elternzeit und parallel dazu die Jugendlichenzeit (45 Minuten): Die Jugendlichen nutzen diese Zeit für Übungen und Aufgaben in der Gruppe. Die Eltern haben Zeit für den Erfahrungsaustausch untereinander über Themen zur Berufsorientierung ihrer Kinder und zu ihrer Rolle als Eltern in dieser Phase. ➤ Gespräch Eltern(teil) und Jugendliche/ -r zum Thema „Der nächste Schritt“ (10 Minuten): Hier treffen sich Eltern und Jugendliche wieder in ihrer Familie und sprechen über die nächsten Schritte, die sich aus den Erfahrungen des Nachmittags ergeben und die sie in der nächsten Woche angehen wollen. Diese Planungen zur selbst gewählten „Hausaufgabe“ können durch Vorgaben der Fachkräfte vorstrukturiert werden. Die Familien können bei auftretenden Fragen und Schwierigkeiten beratende Unterstützung anfragen. 370 uj 9 | 2014 Berufsorientierung ➤ Aktionsspiel zum Abschluss mit der gesamten Gruppe (15 Minuten): Dieses Spiel dient zur Entspannung und zur Förderung eines lockeren und spielerischen Kontaktes zwischen den Familien. Die Kursziele reichen über die berufliche Einmündungsthematik hinaus. Mütter und Väter sollen in ihrer Elternrolle angesprochen werden, um ihre Söhne und Töchter bei der Auseinandersetzung mit dem relevanten Thema Beruf zu begleiten und deren Sensibilisierung und Interesse zu steigern. Neben dem Thema Beruf soll die Eltern-Kind-Kommunikation im Rahmen der Kursbausteine insgesamt günstig beeinflusst werden. Zudem sollen schließlich Eltern in ein Netz verwoben werden, auch um die Kursziele in Erinnerung zu halten und Peeraustausch im Einmündungsprozess zu befördern (zweite Phase der anschließenden Selbstorganisation zum Aufbau von Nachbarschafts- und Selbsthilfestrukturen) (vgl. Brixius u. a. 2008). Bezogen auf die Berufsorientierung will das FuN-Angebot dabei unterstützen, „die Fähig- und Fertigkeiten der Kinder realistisch einzuschätzen und zu spiegeln, konkrete Handlungsschritte zur Begleitung der Kinder ins Berufsleben zu planen, mit den Jugendlichen bzgl. der Berufswahl zu kooperieren (…). Die Eltern erfahren im FuN-Programm, wie wichtig sie als Eltern in dieser Entwicklungsphase als Ansprechpartner für die Fragen, Sorgen und Wünsche ihrer heranwachsenden Kinder sind“ (vgl. Brixius u. a. 2008, 11). In der Verbindung von Bildung, Beratung und Begleitung werden Eltern nicht als Menschen gesehen, denen das „richtige“ Wissen fehlt und denen die „richtigen“ Fähigkeiten vermittelt werden müssen, sondern als Subjekte ihrer eigenen Lernprozesse, die sie durch Bedürfnisse und Erfahrungen selbst steuern. Als „Eckpunkte“ werden genannt (Brixius u. a. 2008, 10f ): ➤ subjektorientiertes Bildungsverständnis; subjektorientierte Lernformen: Erfahrungs- und Modelllernen, Lernen durch Coaching, Lernen durch Erprobung und Vergleich, Lernen im Dialog, ➤ Orientierung an Konzepten der systemischen Familientherapie zur Förderung des Zusammenhalts in Familien, ➤ gemeinsames spielerisches Lernen für Eltern und ihre Kinder im Jugendalter zur Förderung von Kommunikation und Beziehungen, ➤ Stärkung der Elternrolle und der altersgerechten Unterstützung der Mädchen und Jungen, angelehnt an das Konzept der „elterlichen Präsenz“ (Zusammenleben günstig organisieren, Regeln für das Miteinander entwickeln, fokussierte unterstützende Gespräche führen etc.). Kurz: Erziehungskompetenzen von Eltern sollen erhöht, die „allgemeine Lernmotivation aller Familienmitglieder“ soll gesteigert, „Schlüsselkompetenzen wie Kommunikation, Kooperation und Konfliktfähigkeit aller“ sollen gefördert, Zusammenhalt nach innen und Vernetzungen im Sinne unterstützender Nachbarschaft sollen gestärkt werden (vgl. Brixius u. a. 2008, 9). Dieser zweifellos (zu) umfangreiche Anspruchskatalog soll durch maximal 15 unmittelbare Kontaktstunden zwischen Fachkräften und Familien sowie durch anschließende sozialräumliche und lebensweltliche Familienvernetzung umgesetzt werden. Hier zeigen sich womöglich überzüchtete Ambitionen, Ziele aus den Bereichen Jugendberufshilfe, Familienbildung und Gemeinwesenentwicklung erreichen zu wollen. FuN wagt einen Spagat: Es will ein Angebot in der Jugendberufshilfe sein (bzw. wird so in der Praxis verwendet), weil die Zielgruppe auch einmündungsgefährdete junge Menschen sind. FuN ist allerdings originär beheimatet in der Familienbildung, weil die Eltern-Kind-Beziehungen nicht-stigmatisierend und normalisierend das Grundthema der Kurse sein sollen. Und schließlich wird FuN im schulnahen Kontext durchgeführt, teilweise von Lehrkräften, die auch als notengebende AkteurInnen auftreten. 371 uj 9 | 2014 Berufsorientierung Evaluation des FuN-Ansatzes Die Evaluation der FuN-Kurse durch das Institut für Innovation und Beratung an der Evangelischen Hochschule Berlin e.V. (Prof. Dr. Martina Stallmann) hatte sich das anspruchsvolle Ziel gesetzt, nicht nur eine Bestandsaufnahme zur Zufriedenheit am Ende der Kurse zu erstellen, sondern darüber hinausgehend die längerfristige Wirkung (im weitesten Sinne) der Kurse zu überprüfen. Im Untersuchungsdesign war daher vorgesehen, einmalig Eltern zu befragen sowie die Aussagen der FuN-Jugendlichen mit denen einer Gruppe von Jugendlichen ohne FuN zu kontrastieren: Unterscheiden sich die Jugendlichen, die an FuN teilgenommen haben, von solchen ohne FuN? Und wie entwickeln sich die FuN-Jugendlichen im Zeitraum eines halben Jahres nach FuN bezogen auf ausgewählte Zielsetzungen der Kurse? Trotz Schwierigkeiten ist im Zeitraum von Sommer 2011 bis Ende 2012 eine Untersuchungsstichprobe von immerhin 207 ausgefüllten Fragebögen zusammengekommen; etwa die Hälfte (107 Bögen) kommt aus Befragungen am Ende der FuN-Kurse. Bei der zweiten Befragung, bei der nur Jugendliche einbezogen wurden, nicht aber die Eltern, konnten 26 ehemalige FuN-Jugendliche erreicht werden sowie weitere 19 Jugendliche, die sich nur undeutlich an FuN erinnern konnten oder sogar unsicher waren, teilgenommen zu haben. Hinzu kommen 55 Jugendliche ohne FuN-Teilnahme. Die Vergleichsgruppe wurde von den Vor-Ort-PädagogInnen zusammengestellt, wobei von Forschungsseite darauf gedrungen wurde, einen möglichst hohen Ähnlichkeitsgrad zu erreichen. Einige zentrale Ergebnisse der empirischen Untersuchung Am Ende des Kurses besteht bei fast allen Eltern wie auch Jugendlichen hohe Zufriedenheit mit dem FuN-Angebot, wobei die Jugendlichen etwas kritischer bewerten als die Eltern. Die Eltern schätzen an FuN besonders, dass der Kurs Zeit und Anlass gegeben hat, mit den eigenen Kindern zusammen zu sein und mit anderen Eltern in Kontakt zu kommen. Den Jugendlichen gefallen besonders bestimmte Aktionen und Spiele während des Kurses. Der Imbiss, den sie für die Erwachsenen zubereiten, hat für sie eine besondere Bedeutung. Eine positive Bewertung sowohl von Eltern als auch von Jugendlichen erfährt auch die Art und Weise, wie sie von den MitarbeiterInnen angeleitet und unterstützt wurden. Schwierigkeiten bereitet es Eltern wie Jugendlichen, sich die Zeit für die Teilnahme am FuN- Kurs frei zu halten; nicht wenigen ist die dreistündige Dauer der Treffen zu lang. Viele Eltern geben an, sich auch nach dem FuN-Kurs mit anderen Eltern treffen zu wollen. Ob es allerdings tatsächlich zu solchen Treffen gekommen ist, bleibt in unserer Untersuchung offen. Eltern und auch die Jugendlichen sind zum überwiegenden Teil davon überzeugt, aus den FuN-Kursen Positives und Neues mitgenommen zu haben. Etwa zwei Drittel sind der Auffassung, das Verhältnis zu ihren Kindern bzw. zu den Eltern sei besser geworden. Und auch im Abstand von einem halben Jahr sagen die FuN-Jugendlichen zu ca. 70 %, sie würden mehr über die berufliche Situation der Eltern wissen und sich seither mehr um ihre berufliche Ausbildung kümmern. Verglichen mit diesen sehr positiven Bewertungen, die von der überwiegenden Zahl der TeilnehmerInnen des FuN-Kurses vorgenommen werden, fallen die Ergebnisse zu den Wirkindikatoren „Berufswahlsicherheit“, „Berufswahlbezogene Selbstwirksamkeit“, „Elternunterstützung bei der Berufs- und Ausbildungswahl“ und „Elterliche Beziehung im Allgemeinen“ eher moderat aus. Tendenziell nimmt bei den FuN-Jugendlichen nach dem FuN-Kurs die Klarheit bei der Berufsorientie- 372 uj 9 | 2014 Berufsorientierung rung leicht zu und die seit FuN erlebte Unterstützung bei der Berufsfindung durch die Eltern bleibt weitgehend bestehen. Eltern und Jugendliche scheinen sich etwas nähergekommen zu sein, zumindest bezogen auf Fragen zu Ausbildung und Beruf. Eine Distanz in Hinsicht auf die „ganz persönlichen Dinge“ bleibt allerdings recht gehäuft und mit Blick auf die Entwicklungen im Jugendalter erwartbar bestehen. Im Vergleich von Jugendlichen mit und ohne FuN-Teilnahme sind nur leichte Unterschiede zu erkennen. Bei der Klarheit über den künftigen Beruf sind beide Gruppen etwa gleich auf. Und auch in der Beziehung zu ihren Eltern gibt es bei den FuN-Jugendlichen nur ein sehr geringfügig positiveres Beziehungserleben. Insgesamt legen die Ergebnisse nahe, dass der FuN-Kurs ganz überwiegend zu Zufriedenheit bei den beteiligten Eltern und Jugendlichen geführt hat. Eine Auswirkung des FuN-Kurses auf die familialen Beziehungen, die Einbeziehung der Eltern in die Entscheidungsphase der Berufswahl und damit verbunden eine Stärkung der Jugendlichen in dieser Lebensphase lässt sich in den Ergebnissen erkennen; die Effekte fallen allerdings moderat aus. Mit dem FuN-Kurs werden bei Eltern wie Jugendlichen Anstöße gegeben, die in der Zeit nach FuN nachwirken können. Diese Impulse aufzunehmen, sie weiterzuführen und mit anderen Angeboten zu verknüpfen, stellt eine Aufgabe für alle Beteiligten dar. Wirkfaktoren aus Gute-Praxis-Projekten Die Untersuchung des FuN-Ansatzes führte dazu, genauer zu erkunden, wie Eltern günstig aktiviert werden können und welche konzept- und programmplanerischen Gestaltungsmerkmale sich besonders bewähren. Bevor diese spezifische Fokussierung vorgenommen wird, rubrizieren wir generalisierbare Erkenntnisse zur Durchführung von berufs- und sozialpädagogischen Programmen (vgl. Bothe/ Thimm 2010; PT-DLR 2011): ➤ Konsens ist, dass thematisch fokussierte, Zielgruppen definierende Ansätze wirkungsvoller sind als unspezifisch-universelle Zugänge. ➤ Mit steigender Intensität (Häufigkeit, Dauer) nimmt die Wirksamkeit tendenziell zu. ➤ Eine frühzeitige und regelmäßige Einbindung von AdressatInnen und Beteiligten gilt als förderlich. ➤ Kontaktaufnahmen zu AdressatInnen gelten als wesentlich einfacher, wenn sie nicht aufgrund konkreter konfliktärer Anlässe zustande kommen. ➤ Aktivitäten, die einen ungezwungenen Bezug ermöglichen, werden meist geschätzt und eher angenommen. ➤ Vertrauensvolle Beziehungen sind für Eltern der Schlüssel zur Akzeptanz von schulischen Unterstützungsangeboten wie Schulsozialarbeit, Hausaufgabenbetreuung oder Patenmodellen (vgl. Münz/ Heisig 2011). ➤ Interaktive Formate erzeugen fast immer mehr Motivation als Frontalveranstaltungen und werden meist im Nachhinein klarer erinnert. ➤ Günstig ist die Zur-Verfügung-Stellung von personellen und sächlichen Ressourcen, die dem tatsächlichen Aufwand sowie fachlichen und praktischen Notwendigkeiten gerecht werden. ➤ Das Engagement und die Fachkompetenz der durchführenden Professionellen sind Zentralvariablen mit Blick auf die Entstehung von günstigen Effekten. Folgende Leitlinien für die Aktivierung von Eltern für die schulische Berufsorientierung gelten als gesichert und verdienen besondere Berücksichtigung (Bothe/ Thimm 2010; PT-DLR 2011): 373 uj 9 | 2014 Berufsorientierung Strukturelle Ebene Mehrfaktorielle Ansätze: Das könnte zum Beispiel bedeuten, dass der Schulerfolg der Kinder mit gezielter Förderung mit der Sensibilisierung von Müttern und Vätern, der Qualifizierung von Professionellen, der Projektkonzeptentwicklung, der Steigerung der Kontakte zwischen Eltern und Schule sowie der Förderung von Beziehungen der Eltern untereinander zusammengedacht wird. Verabredete Grundlage: Dazu gehören Situations- und Bedarfsanalyse, Zielgruppenbestimmung (alle Eltern oder eine zu begründende Auswahl), Ziele (Kennenlernen, Austausch, Information, thematische Arbeit, Selbststärkung etc.), Ort, Methoden, Auswertung und Rückmeldung etc. Verankerung in Schulprogramm und Teamarbeit: Berufsorientierende Zusammenarbeit mit Eltern sollte in Programm und Jahrespartitur der Schule verankert sein und im Teamkontext geplant und reflektiert werden. Entwicklungsperspektive über mehrere Jahre: Gute Ergebnisse sind das Resultat aus mehreren Jahren Ausprobieren und Zusammenarbeit. Konzept- und Arbeitsbündnis-Ebene Reflektierte Ortswahl: Vertraute und gut erreichbare Veranstaltungsräume sind empfehlenswert. Es sollten auch Orte außerhalb der Schule wie Volkshochschule, Familienzentrum, Nachbarschaftszentrum, Jugendberufshilfe, Vereine, Stadtbibliothek für Veranstaltungen gewählt werden. Sprachliche Verständigung: Unabdingbar ist zu verstehen, was gesagt und gemeint ist. Oft unterschätzt wird der Stress für Eltern, sich in Deutsch nicht „gut genug“ ausdrücken zu können. Die Sprachmittlung angesichts großer sprachlicher Vielfalt stellt alle Beteiligten vor Herausforderungen. Die Anerkennung von Herkunftssprachen kann sich in Symbolen wie mehrsprachigen Türschildern, Willkommensplakaten, Begrüßungsworten etc. ausdrücken. Interessenorientierung: Woran haben Eltern Interesse geäußert, welche Wünsche sind schon bekannt? Es sollte hinreichend Gelegenheit geben, dass Eltern ihre Themen selbst bestimmen. Ermöglichung von eigenen Beiträgen aktiver Eltern: Mitgestaltungsmöglichkeiten sollten selbstverständlich sein, ohne (zu große bzw. alle verpflichtende) Vorab-Investitionen zu erwarten. Kompetenzorientierung: Wenn Eltern als ExpertInnen ihrer Kinder gesehen werden, die an manchen Stellen Orientierungswissen brauchen, um die für sie richtigen Entscheidungen treffen zu können, verläuft ein Gespräch in der Regel anders, als wenn von fehlenden Kompetenzen und Defiziten ausgegangen wird, die es auszugleichen gilt. Wenn Eltern und Jugendlichen Stärken und Kompetenzen unterstellt und diese abgerufen werden, spricht man anders miteinander und Einladungen und Angebote werden anders konzipiert und umgesetzt (vgl. Münz/ Heisig 2011). Zielorientiertes Vorgehen: Partnerschaften gedeihen oft günstig auf der Grundlage vereinbarter gemeinsamer Ziele. Werbung für Veranstaltungen: Werbung kann ggf. günstig in Kombination von persönlichen Kontakten, durch Kontakt über die jugendlichen Kinder, auf schriftlichem Weg, durch erinnernde Information im Vorfeld, durch „Mundpropaganda“, im Rahmen von Hausbesuchen sowie durch Information an alltäglichen Orten in den Lebenswelten der Mütter und Väter erfolgen. Aktives (Nach-)Gehen: Direkte Ansprache per Telefon, Mail, SMS bzw. Kontaktsuche in Einrichtungen des Stadtteils oder auch die Einbin- 374 uj 9 | 2014 Berufsorientierung dung von Eltern als MultiplikatorInnen können dazu führen, Einladungen persönlicher und gewinnender zu gestalten. Die sogenannte Geh-Struktur hat sich vielerorts als günstig erwiesen. Formen der Präsentation und Kommunikation: Die Art und Weise der Präsentation von Inhalten sollte ansprechend und verständlich geschehen; es sollte Möglichkeiten des zwanglosen Austauschs geben. Zum Start und am Ende sollten informelle Kontakte möglich sein. Vielen Menschen fällt zudem das Sprechen in Kleingruppen leichter. Brückenpersonen: Gefragt sind Personen, die eine Kluft zwischen Veranstalter und Zielgruppe mindern können. Eine Person aus Migrationskontexten bzw. mit ähnlichen lebensweltlichen Hintergründen kann zielgruppenbezogen ggf. Vertrauen stiften und Ankoppelung erleichtern. Gemeinsame Teilnahme von Eltern und Jugendlichen: Interesse der Eltern kann u. a. dadurch geweckt werden, dass ihre jugendlichen Kinder Aktivitäten und Produkte vorstellen. Werden Veranstaltungen gemeinsam besucht, entsteht eine günstige Grundlage, um im Anschluss daran miteinander ins Gespräch zu kommen. Teilnahme von ExpertInnen: „Übergangscoaches“, MitarbeiterInnen der Agentur für Arbeit und von Jobcentern, AusbilderInnen aus Betrieben o. Ä. liefern in der Regel nützliche Informationen und gelten qua Status und Knowhow oft als anerkannte InputgeberInnen. Kulturelle Schüleraktivitäten als Brücke zu den Eltern: Dazu gehören Videos aus dem Berufspraktikum, Postergalerie mit Fotos, Theater spielen, Musical, Tanzen, Singen. Sekundäre Anreize: Essen, Trinken, interessante bzw. vertraute Kontakte können das Teilnahmeinteresse steigern. Ausblick Jede Zusammenarbeit mit PartnerInnen, jedes neu etablierte Angebot bindet Zeit und Energie. Auch wenn sich mittelfristig am Thema Schule - Eltern - Berufsorientierung Gewinne einstellen, ist der Weg mitunter nicht leicht zu gehen. Deshalb sollten Standorte sich zunächst für zwei, drei kleinere Vorhaben entscheiden. Im günstigen Fall entstehen Sogeffekte und Wünsche nach mehr. Dabei werden außerschulische KooperationspartnerInnen eine große Bedeutung haben, weil die Entwicklungs- und Managementaufwände von Lehrkräften (allein) nicht zu leisten sind. Prof. Dr. Karlheinz Thimm Evangelische Hochschule Berlin Teltower Damm 118 14167 Berlin thimm@eh-berlin.de Literatur Bothe, M., Thimm, K. (2010): Elternarbeit als notwendige Ressource zur Sicherung eines gelingenden Übergangs von der Schule in den Beruf. In: www. perspektive-berufsabschluss.de/ downloads/ Down loads_Projekte_Uebergangsmanagement/ Ueber gangsmanagement_Berlin_100401_Expertise_Eltern arbeit_Endversion_Gesamt.pdf, 22. 5. 2014 Brixius, B., Koerner, S., Piltmann, B. (2008): FuN - Berufs- und Lebensplanung. Ein Programm zur Förderung von Eltern und Jugendliche im Übergang Schule - Beruf. Eigenverlag, ohne Ort PT-DLR (Projektträger im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt) (Hrsg.) (2011): Eltern, Schule und Berufsorientierung. Berufsbezogene Elternarbeit. W. Bertelsmann, Bielefeld Marx, R. (2011): Familien und Familienleben. Grundlagenwissen für Soziale Arbeit. Beltz Juventa, Weinheim/ Basel 375 uj 9 | 2014 Berufsorientierung Münz, A., Heisig, S. (2011): Zusammenarbeit mit Eltern in der Berufsorientierung - Entwicklung einer Handreichung und dazu passender Fortbildungen für Personen, die sich für eine Verbindung von Schulen und Eltern engagieren. In: PT-DLR (Hrsg.) (2011): Eltern, Schule und Berufsorientierung. Berufsbezogene Elternarbeit. W. Bertelsmann, Bielefeld, 130 - 140 Shell Deutschland (Hrsg.) (2010): Jugend 2010. Eine Generation behauptet sich. Fischer, Frankfurt Stallmann, M. (2013): Evaluation von Kursen des Programms „FuN“ - Berufs- und Lebensplanung“. In: Institut für Innovation und Beratung an der evangelischen Hochschule Berlin (Hrsg.): Familienbildung an Schule: Evaluation von„FuN - Berufs- und Lebensplanung. Eltern und Jugendliche im Übergang Schule - Beruf stärken“. In: www.inib-berlin.de/ inib/ doku mente/ bericht_elternaktivierung.pdf, 5. 6. 2014 Thimm, K. (2013): Eltern im Prozess der Berufsorientierung ihrer Kinder. In: Institut für Innovation und Beratung an der evangelischen Hochschule Berlin (Hrsg.): Familienbildung an Schule: Evaluation von „FuN - Berufs- und Lebensplanung. Eltern und Jugendliche im Übergang Schule - Beruf stärken“. In: www.inib-berlin.de/ inib/ dokumente/ bericht_eltern aktivierung.pdf, 5. 6. 2014 Von Wensierski, H.-J./ Schützler, C./ Schütt, S. (2005): Berufsorientierende Jugendbildung. Grundlagen, empirische Befunde, Konzepte. Juventa, Weinheim/ München Wolfgang Klug / Patrick Zobrist Motivierte Klienten trotz Zwangskontext Tools für die Soziale Arbeit 2013. 166 Seiten. 4 Abb. 5 Tab. Mit 20 Arbeitsblättern als Online-Zusatzmaterial. (978-3-497-02409-4) kt Hilfe, mir wird geholfen! „Sie können mir doch eh nicht helfen! “ Solchen Aussagen und Haltungen begegnen SozialarbeiterInnen, wenn sie mit unfreiwilligen KlientInnen arbeiten. In Zwangskontexten kann Motivation nicht vorausgesetzt werden, aber SozialarbeiterInnen können sie fördern! • Wie entsteht Motivation und wie kann sie verändert werden? • Wie kann die Fachkraft-Klient- Beziehung motivationsfördernd gestaltet werden? • Und wie geht man mit Widerstand professionell um? a www.reinhardt-verlag.de