eJournals unsere jugend 66/11+12

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
111
2014
6611+12

Umsetzung eines kooperativen Kinderschutzes in der Schule

111
2014
Dirk Fiegenbaum
Milena Bücken
"Lehrkräfte rufen vorwiegend freitags um 13 Uhr im Jugendamt an und möchten das Problemkind vor dem Wochenende los werden." - "Wir Lehrkräfte melden dem Jugendamt Fälle von Kindeswohlgefährdung, aber dieses macht dann meist nichts oder zu wenig." So kann kooperativer Kinderschutz nicht funktionieren. Genau diesen fordert aber das neue Bundeskinderschutzgesetz gerade auch im Bereich Schule.
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475 unsere jugend, 66. Jg., S. 475 - 485 (2014) DOI 10.2378/ uj2014.art63d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Dirk Fiegenbaum Jg. 1968; 2. Staatsexamen Lehramt für die Sekundarstufe I, Mitarbeiter der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ NRW, Institut für Soziale Arbeit e.V. Münster Umsetzung eines kooperativen Kinderschutzes in der Schule Von (vermeintlichen) Stolpersteinen und ersten Schritten „Lehrkräfte rufen vorwiegend freitags um 13 Uhr im Jugendamt an und möchten das Problemkind vor dem Wochenende los werden.“ - „Wir Lehrkräfte melden dem Jugendamt Fälle von Kindeswohlgefährdung, aber dieses macht dann meist nichts oder zu wenig.“ So kann kooperativer Kinderschutz nicht funktionieren. Genau diesen fordert aber das neue Bundeskinderschutzgesetz gerade auch im Bereich Schule. Nicht erst seit Inkrafttreten des Bundeskinderschutzgesetzes (BKiSchG) steht die frühzeitige Erkennung und Abwendung von Gefährdungen junger Menschen im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung, der politischen Debatte und der fachlichen Auseinandersetzung innerhalb der Sozialen Arbeit und angrenzender Arbeitsfelder. Im Vordergrund der Debatte um einen wirksamen Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gefährdungen standen zu Beginn neben der Auseinandersetzung mit dem Begriff Kindeswohlgefährdung und der Diskussion um Gefährdungseinschätzungsinstrumente zunächst eher eine Erweiterung und Präzisierung von institutionellen Zuständigkeiten sowie eine Verbesserung der Kommunikationswege und interne Verfahrensabläufe (Meysen u. a. 2009, 134ff ). Nicht zuletzt abgeleitet aus dramatisch verlaufenden Kinderschutzfällen betont das Bundeskinderschutzgesetz seit dem Jahr 2012 nunmehr verstärkt den interinstitutionellen Vernetzungsanspruch und die gemeinsame Verantwortungsübernahme aller mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt stehenden Fachkräfte. Als handlungsleitend stellt sich vor diesem Hintergrund zunehmend die Idee eines „kooperativen Kinderschutzes“ heraus. Gemeint ist damit, dass„auch die Vernetzung und ein kooperatives Vorgehen im Kinderschutz gefördert werden“ (Wiesner/ Wapler 2012, N6). Zu verbessern sind hier zum einen die Zusammenarbeit in einem lokalen Kinderschutznetzwerk - also beispielsweise die Qualität von Gefährdungsmitteilungen ge- Milena Bücken Jg. 1985; Diplom-Pädagogin (Uni), wissenschaftliche Mitarbeiterin der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ NRW, Institut für Soziale Arbeit e.V. Münster 476 uj 11+12 | 2014 Kinderschutz in der Schule genüber dem öffentlichen Träger der Jugendhilfe. Zum anderen sollen jedoch insbesondere auch die immanenten Möglichkeiten und Potenziale der beteiligten Institutionen und Akteure zum Schutz von Kindern und Jugendlichen stärker herausgestellt, reflektiert und weiterentwickelt werden (vgl. Althoff/ Bücken u. a. 2013, 201). Welche Entwicklungen sich hinsichtlich der Umsetzung eines so verstandenen kooperativen Kinderschutzes im System Schule seit Einführung des Bundeskinderschutzgesetzes ergeben haben, ist Thema dieses Beitrags. Die Rolle von Schule in einem kooperativen Kinderschutz Ein entscheidendes Wesensmerkmal des kooperativen Kinderschutzes ist es, einen Hilfe- und Unterstützungsbedarf von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien nicht von Angeboten einzelner Leistungssysteme, sondern von der jeweiligen individuellen Lebenssituation her zu definieren. Denn: Eine schwierige Lebenslage endet in der Regel nicht mit dem Übergang beispielsweise von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule oder vom Unterricht am Vormittag in die außerunterrichtlichen Angebote am Nachmittag. Kooperativer Kinderschutz, wie ihn unter anderem das Bundeskinderschutzgesetz vorsieht, bedeutet demnach, dass VertreterInnen aller wichtigen Sozialisationsfelder jeweils einen Teil der Verantwortung übernehmen und bei der Gestaltung geeigneter Hilfe- und Schutzmaßnahmen zusammenwirken. Das Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) benennt hier eine ganze Reihe unterschiedlicher Personengruppen, Professionen und Institutionen, die mit betroffenen Minderjährigen und ihren Familien in Kontakt stehen können und sie nach der Maßgabe ihres gesetzlichen Auftrags betreuen, erziehen, bilden und beraten. Der Schule - insbesondere einer im Ganztag organisierten - kommt als erster verpflichtend zu besuchenden Institution hierbei eine besondere Bedeutung zu, da sie aufgrund des täglich mehrstündigen Aufenthaltes über mehrere Jahre hinweg über einen einzigartigen Zugang zum Lebensalltag nahezu aller Kinder und Jugendlichen verfügt (Fischer u. a. 2009, 11). Der in der Regel über einen längeren Zeitraum bestehende Kontakt aller in der Schule tätigen Fachkräfte zu SchülerInnen erstreckt sich über unterschiedlichste Lebens- und Alltagssituationen; so könnten gerade hier niedrigschwellig und frühzeitig individuelle Bedarfe festgestellt und Kinder und Jugendliche auch in Krisensituationen kontinuierlich begleitet werden. Entsprechend wurden Lehr- und Fachkräfte schon immer auf Heranwachsende aufmerksam, deren Wohlergehen und gelingendes Aufwachsen aus unterschiedlichsten Gründen und in unterschiedlichem Ausmaß gefährdet schienen bzw. scheinen. Sie stell(t)en oft wichtige Vertrauenspersonen für betreffende SchülerInnen dar. Die zentrale Rolle, die Schulen bei der Wahrnehmung und Umsetzung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen einnehmen (könnten), ist jedoch in der Praxis und im Selbstverständnis des Systems Schule noch nicht mehrheitlich erkennbar. So ist das Thema Kinderschutz in vielen einschlägigen Handbüchern nach wie vor vergeblich zu suchen (Fischer u. a. 2009) und in der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften kommt das Thema bisher - wenn überhaupt - nur im Einzelfall vor. Davon auszugehen, dass andere Professionen wie z. B. ErzieherInnen oder sozialpädagogische Fachkräfte das Thema „mit in die Schule bringen“ und dort vertreten, wäre angesichts des eigenständigen Schutzauftrags von LehrerInnen (§ 4 KKG) im Sinne einer gemeinsamen Verantwortungsübernahme sicherlich zu kurz gegriffen. Es verwundert daher nicht, dass trotz unterschiedlicher, z. B. von den Landesministerien oder einzelnen Kommunen unternommener 477 uj 11+12 | 2014 Kinderschutz in der Schule Versuche, verbindliche Handlungsstrategien, Verfahrens- und Kommunikationswege für den Umgang mit dem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung in der Schule zu entwickeln und umzusetzen, diese bisher nicht flächendeckend zu finden sind. Schulgesetzgebung versus Bundeskinderschutzgesetz? Festzuhalten bleibt also, dass auch fast drei Jahre nach Inkrafttreten die Umsetzung der rechtlichen Regelungen sowie der vermeintlich neuen Aufgaben und Anforderungen des Bundeskinderschutzgesetzes im System Schule bisher noch nicht ausreichend stattfindet. Dies ist insofern verwunderlich, als im Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule die Sorge um das Wohl der SchülerInnen länderübergreifend schon immer enthalten war. Ein Blick auf die Schulgesetzgebung der Länder zeigt, dass auf dieser Ebene bereits vor Einführung des Bundeskinderschutzgesetzes sehr wohl eine Entwicklung hin zu einer klaren Positionierung des Systems Schule in einer Verantwortungsgemeinschaft für den Kinderschutz stattgefunden hat bzw. noch immer stattfindet. So fanden sich im Jahr 2013 in den Schulgesetzen von 13 Bundesländern (Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen) Ausführungen zum Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung. In Schleswig-Holstein gibt es zudem ein Gesetz zur Weiterentwicklung und Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen (Kinderschutzgesetz, §§ 12 und 13) mit konkreten Regelungen zu Verfahrensabläufen zum Schutz des Kindeswohls in Schulen. Insgesamt normieren demnach 14 Länder eigene Verfahrens- und Datenübermittlungsregelungen im Zusammenhang mit Kindeswohlgefährdung. Sowohl der Verpflichtungsgrad als auch die Voraussetzungen für die Informationsweitergabe zwischen beteiligten Institutionen im Kinderschutz als auch die Normierung eigener Aufgaben der Schule in diesem Kontext unterscheiden sich hierbei jedoch mitunter begrifflich und inhaltlich sehr stark voneinander (Harting u. a. 2010, 58ff ). Unbesehen dessen ist diese Entwicklung im Sinne und Interesse eines aktiven und kooperativen Kinderschutzes jedoch sehr zu begrüßen. Zum Vergleich: Im Jahr 2009 waren in lediglich acht Schulgesetzen der Bundesländer überhaupt Regelungen zum Auftrag bei und Umgang mit dem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung enthalten (Buchholz 2009, 102). Als kinder- und jugendnahe Berufsgeheimnisträger nach § 203 Abs. 1 und 2 StGB erhielten LehrerInnen - zwar nicht im Wortlaut, aber dem Sinn nach - mit dem Bundeskinderschutzgesetz bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung die gleichen Aufgaben, Rechte und Pflichten wie freie Träger der Jugendhilfe sowie weitere Personengruppen, die beruflich mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt stehen. Für sie gilt nun die bundeseinheitliche Regelung des § 4 KKG zur Beratung und Weitergabe von Informationen an das Jugendamt bei (potenzieller) Kindeswohlgefährdung. Gemäß dem hier beschriebenen mehrstufigen Verfahren sollen sie bei Bekanntwerden gewichtiger Anhaltspunkte zunächst eine Gefährdungseinschätzung vornehmen. Hierbei haben sie das Recht, Beratung durch eine „insoweit erfahrene Fachkraft“ bzw. Kinderschutzfachkraft in Anspruch zu nehmen und so weitere Expertise und Erfahrung einzubeziehen. Sie sollen dann die Situation mit dem Kind bzw. dem/ der Jugendlichen sowie den Personensorgeberechtigen erörtern und auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken. Wenn dann diese Möglichkeiten ausgeschöpft wurden, sind sie unter bestimmten Voraussetzungen befugt, Informationen an das Jugendamt weiterzugeben, wenn sich der Schutz des Kindes bzw. des/ der Jugendlichen anders nicht sicherstellen lässt. 478 uj 11+12 | 2014 Kinderschutz in der Schule Das Wissen um das vorgesehene Verfahren setzt sich nach und nach in den Schulen durch. Ungeklärt ist jedoch nach wie vor, inwiefern die schulrechtlichen Regelungen, die mitunter andere Verfahrensschritte und Eingriffsschwellen beinhalten und die in der alleinigen Gesetzgebungskompetenz der Länder liegen, weiter Geltung beanspruchen können oder ob sie von der bundesrechtlichen Regelung des § 4 KKG verdrängt werden (Meysen/ Eschelbach 2012, 112). Prinzipiell gilt im Falle widersprüchlicher Regelungen jedoch auch hier der Grundsatz des Art. 31 GG, nach dem Bundesrecht Landesrecht bricht. Stolpersteine für die Umsetzung in der Praxis - wo hakt es? Die durch die bundeseinheitliche Regelung beabsichtigte Rechtssicherheit ist für den Bereich Schule zumindest bisher noch nicht erreicht. Vielmehr sorgen die nun deutlich formulierte (Mit-)Verantwortung der Schule im Kinderschutz sowie die in Bundes- und Landesrecht unterschiedlich definierten Adressierungen und Eingriffsschwellen bei den Schulen, die sich bereits mit dem BKiSchG auseinandergesetzt haben, oft sogar für Verunsicherung, Ängste und Abwehr, anstatt für größere Handlungssicherheit (vgl. Hein 2012, 11). Ein Grund dürfte sein, dass die verantwortungsvolle Wahrnehmung der insbesondere in § 4 KKG formulierten Aufgaben spezifisches Fach- und Erfahrungswissen im Kinderschutz sowie eine klare innere Haltung zu den Möglichkeiten und Grenzen des eigenen Auftrags und Handelns in diesem Kontext voraussetzt. Diese Kompetenzen können beispielsweise bei Lehrkräften und anderen in der Schule tätigen Berufsgruppen, für die der Schutz von Kindern und Jugendlichen sicherlich nicht zu den Kernaufgaben gehört (und auch nicht gehören muss), nicht einfach vorausgesetzt werden. Sie sehen sich in ihrer alltäglichen Praxis zwar in zunehmendem Maße mit zum Teil schwerwiegenden lebensweltlichen Problemen von SchülerInnen konfrontiert, sind jedoch mitunter vorab thematisch nie damit in Berührung gekommen: So ist der Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung bisher nur selten Gegenstand der Lehreraus- und -fortbildung. Zudem ist das Thema „Kinderschutz“ fachlich und verfahrenstechnisch in der Handlungslogik der Kinder- und Jugendhilfe verankert und somit von sich aus zunächst nur bedingt anschlussfähig an das professionelle Wissen von Lehrkräften (Buchholz 2009, 109). Hier sei darauf hingewiesen, dass die für den Kinderschutz aus Sicht der Schulen zentrale Kooperationsbeziehung zur Kinder- und Jugendhilfe themenunabhängig einer spezifischen Dynamik unterliegt. So ist die Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe nach wie vor von tradierten Handlungs- und Reaktionsmustern sowie nicht selten von gegenseitigen negativen Zuschreibungen bestimmt. „So neigen viele Lehrer/ -innen dazu, überzeichnete Meldungen an das Jugendamt weiterzuleiten, während die Fachkräfte der Jugendhilfe aus genau diesem Grund Meldungen aus der Schule eher nachrangig behandeln“ (Discher/ Schimke 2012, 34ff ). Auf der anderen Seite hängt der angemessene und verantwortungsvolle Umgang mit Verdachtsmomenten auf Kindeswohlgefährdung nicht nur von der fachlichen und professionellen Haltung und dem Wissen und Können der jeweiligen Lehr- und Fachkräfte ab. Die Möglichkeiten und Grenzen der Umsetzung des Schutzauftrages werden ebenso bestimmt von den in der jeweiligen Schule und im System Schule insgesamt vorherrschenden Rahmenbedingungen sowie von weiteren Faktoren, z. B. der vorherrschenden Kultur des Miteinanders (von Schulaufsicht, Schulleitung, Lehrkräften, pädagogischen Fachkräften, SchulsozialarbeiterInnen usw.), der Qualität der Kooperationsbeziehungen zwischen Schule und Eltern und 479 uj 11+12 | 2014 Kinderschutz in der Schule nicht zuletzt des Entwicklungsstandes der Vernetzung von Schule und Jugendhilfe insgesamt. Handlungsansätze: Was ist zu tun? Bereits anhand dieser ausschnitthaften Darstellung wird deutlich, dass die Umsetzung des komplexen Schutzauftrages für Kinder und Jugendliche für Lehr- und Fachkräfte selbstverständlich nicht allein durch gesetzliche Regelungen zu erreichen ist. Diese stellen zwar hilfreiche Rahmensetzungen dar, aber für eine notwendige Handlungssicherheit zur Verantwortungsübernahme im Sinne eines aktiven und kooperativen Kinderschutzes bedarf es mehr. Es braucht eine gezielte Förderung der Reflexion und Auseinandersetzung des Systems Schule (im Übrigen aber auch des Systems Öffentliche Jugendhilfe im Rahmen ihres Auftrages der Kooperation mit Schule im Bereich Kinderschutz) mit der eigenen Rolle und Aufgabe sowie eine Qualifizierung und Weiterentwicklung der bestehenden schulischen Praxis im Kinderschutz auf den verschiedenen Ebenen. Die folgenden Entwicklungsansätze könnten als Diskussionsimpulse diesen Prozess einleiten bzw. fortsetzen: Bundesrecht und Landesrecht harmonisieren Nicht zuletzt aufgrund der unterschiedlichen zeitlichen Entwicklung ergeben sich im Vergleich landesrechtlicher Bestimmungen mit dem BKiSchG mitunter (vermeintliche) Widersprüche, die zu Verunsicherung führen. So richtet sich § 4 KKG an LehrerInnen als Berufsgruppe, während die landesrechtlichen Regelungen immer „die Schule“ als Institution adressieren. Insbesondere mit Blick auf die definierten Eingriffsschwellen und Verfahrensabläufe entstehen hierdurch im Einzelfall Schwierigkeiten: So sieht beispielsweise § 42 Abs. 6 des nordrheinwestfälischen Schulgesetzes vor, „jedem Anschein“ von Vernachlässigung und Misshandlung nachzugehen, während § 4 Abs. 1 KKG das Bekanntwerden „gewichtiger Anhaltspunkte“ voraussetzt. Es wäre wünschenswert, die unterschiedlich hoch erscheinenden Eingriffsschwellen durch entsprechende Auslegungshilfen oder Korrekturen des Gesetzgebers einander anzugleichen und dabei auch die unterschiedlichen Handlungsaufträge der schulischen Akteure aufeinander abzustimmen. Es dürfte eine beachtliche, aber dringend notwendige Kraftanstrengung bedeuten, wenn die Kultusministerien gemeinsam mit den Schulen und unter Beteiligung der Familienministerien die Selbstdefinition des Schulbereichs im Kontext (potenzieller) Kindeswohlgefährdung sowie die Aufgaben von Schule und LehrerInnen entsprechend herausarbeiten (Meysen/ Eschelbach 2012, 96). Bis dahin empfiehlt es sich für Lehrkräfte bei Bekanntwerden gewichtiger Anhaltspunkte möglichst frühzeitig das Benehmen mit der Schulleitung hinsichtlich der erforderlichen Beratungs- und Informationsschritte herzustellen (Hein 2012, 14). Sach- und fachgerechte Qualifizierung und flächendeckende Aufnahme des Schutzauftrages in die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften und sozialpädagogischen Fachkräften Um die erforderliche Sensibilität für das Beobachten, Wahrnehmen und Einschätzen gewichtiger Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung zu entwickeln, benötigen Lehr- und Fachkräfte in Schulen spezifische Kenntnisse über Lebenslagen und Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen sowie über die individuellen, familiären und sozialräumlichen Hindernisse, mit denen Kinder und Jugendliche aus eigener Kraft nicht fertig werden können 480 uj 11+12 | 2014 Kinderschutz in der Schule (Hein 2012, 14). Zudem brauchen sie sach- und fachgerechte Informationen über die aktuelle Rechtslage und Wissen über die eigenen Handlungsaufträge und -grenzen bei Wahrnehmung gewichtiger Anhaltspunkte. Und letztlich sind Kenntnisse und Fähigkeiten in der Begleitung von und in der Gesprächsführung mit Kindern, Jugendlichen und Eltern in Krisensituationen essenziell. All dies ist fachlich anspruchsvoll und erfordert ein hohes Maß an Fach- und Methodenwissen, das auch bei pädagogisch ausgebildeten Lehr- und Fachkräften nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden kann. Daher muss sowohl in der Ausbildung von Lehrkräften als auch in der von sozialpädagogischen Fachkräften und ErzieherInnen das Thema Kinderschutz dringend verpflichtend behandelt werden. Die Ausbildungsinhalte sollten dabei die professionsspezifischen Aufträge und Handlungsmöglichkeiten im Kinderschutz berücksichtigen. So müssen LehrerInnen nicht zwingend über vertiefende fachspezifische Kompetenzen von SozialarbeiterInnen oder SozialpädagogInnen verfügen. Zielsetzung der Ausbildung sowie dringend notwendiger Informations- und Fortbildungsveranstaltungen für Lehrkräfte sollte es vielmehr sein, diese durch Erhöhung der Handlungssicherheit und der Sicherheit in der Einschätzung der eigenen Wahrnehmung zu entlasten. Dazu gehört die Vermittlung von Wissen über das Leistungsspektrum, die Zugangsmöglichkeiten und Grenzen des Jugendhilfesystems und weiterer Netzwerkpartner im Kinderschutz. Umgekehrt muss aber genauso bedacht werden, dass Fachkräfte aus der Jugendhilfe Wissen und Verständnis für schulische Abläufe und Handlungslogiken erhalten müssen, damit Kooperation und ein abgestimmtes Handeln aller am Ort Schule tätigen Fachkräfte im Kinderschutz gelingt. Es wäre wünschenswert, dass dies auch ein Thema von Aus- und Fortbildung in der Sozialpädagogik wird. (Weiter-)Entwicklung konkreter Verfahrensabläufe in der Schule Ein angemessener und verantwortungsvoller Umgang mit Verdachtsmomenten in Bezug auf eine (potenzielle) Kindeswohlgefährdung wird maßgeblich durch die in der jeweiligen Schule vorherrschenden Rahmenbedingungen und die fachliche Positionierung im Kinderschutz beeinflusst. Die sich aus der Gesetzgebung ergebenden konkretisierten und erweiterten Handlungsaufträge für schulische Fachkräfte machen es erforderlich, schulintern und unter möglichst breiter Beteiligung der Lehr- und Fachkräfte verbindliche und transparente Verfahrenswege zur Sicherstellung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen zu entwickeln und einzuführen. Bestehende Verfahrensabläufe sollten im Sinne einer gemeinsamen Verantwortungsübernahme sowohl zwischen den innerschulischen als auch mit außerschulischen Partnern überprüft und weiterentwickelt werden. Insbesondere bestehende Beratungskonzepte einer Schule sowie bei den jeweiligen Trägern vorhandene Kinderschutzkonzepte (vor allem in Ganztagschulen) stellen wertvolle Anknüpfungspunkte und Grundlagen für die Einrichtung eines kooperativen Kinderschutzkonzeptes dar. Gleiches gilt für bereits vorhandene Kooperationsbeziehungen, Absprachen und Vereinbarungen mit dem Jugendamt. Zur konkreten Realisierung verbindlicher Verfahrensschritte ist es erforderlich, dass Leitungssowie Lehr- und Fachkräfte sich grundlegende Informationen zum Thema „Kinderschutz/ Kindeswohlgefährdung“ sowie zu den fachlichen und rechtlichen Hintergründen des Schutzauftrages aneignen. Darauf aufbauend können dann Entwicklungsansätze in der eigenen Schule identifiziert und schulintern Verantwortlichkeiten für die Umsetzung des Schutzauftrags festgelegt werden. Im Fokus der innerschulischen Auseinandersetzung und Erarbeitung eines Kinderschutzkonzeptes sollten dabei insbesondere die folgenden Aspekte stehen, die zugleich die idealtypischen Verfahrensschritte 481 uj 11+12 | 2014 Kinderschutz in der Schule bei Wahrnehmung von Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung kennzeichnen (Bathke/ Bücken/ Fiegenbaum 2014, 22f ): ➤ Die kontinuierliche Dokumentation von Wahrnehmungen und Beobachtungen: Diese hilft dabei, relevante Anhaltspunkte für eine potenzielle Kindeswohlgefährdung präziser zu beschreiben, Beobachtung zu schärfen und blinde Flecken zu vermeiden. Außerdem sichert eine kontinuierliche Dokumentation die Transparenz zwischen allen Beteiligten - auch gegenüber den Eltern und den betroffenen Kindern und Jugendlichen. ➤ Die gemeinsame Einschätzung zur Kindeswohlgefährdung bzw. zur Situation der Schülerin oder des Schülers und der rechtzeitige Einbezug der Leitungsebene: Die Information der Schulleitung sowie (insbesondere in Ganztagsschulen) der Leitungsebene aufseiten der freien Träger der Jugendhilfeangebote in der Schule sorgt für die Rückendeckung der handelnden Lehr- und Fachkräfte. Der kollegiale Austausch mit KollegInnen, die ebenfalls Kontakt zu dem Kind haben, über Beobachtungen in unterschiedlichen Situationen, hilft dabei, eine Beobachtung fachlich einzuschätzen. Externe Fachberatung kann diesen Prozess unterstützen. Sie kann beispielsweise durch schulpsychologische Fachkräfte, MitarbeiterInnen von Erziehungsberatungsstellen, der Ortsverbände des Deutschen Kinderschutzbundes, aber auch des örtlichen Jugendamtes erfolgen. Die Beratung zur Gefährdungseinschätzung kann aber insbesondere von einer „insoweit erfahrenen Fachkraft“ bzw. einer Kinderschutzfachkraft durchgeführt werden. Auf diese Beratung haben Lehr- und pädagogische Fachkräfte an (Ganztags-)Schulen einen Anspruch. Sie können sich bei ihrem örtlichen Jugendamt informieren, wer in der jeweiligen Kommune diese Beratung anbietet. ➤ Beteiligung und Einbezug der Familie in den Prozess der Klärung von Situation und Lösungsmöglichkeiten: Sicherlich gibt es Ausnahmen, bei denen die Einbeziehung der Eltern fachlich nicht geboten ist und den Schutz des Kindes sogar gefährden könnte (z. B. bei Verdacht auf sexualisierte Gewalt). Bei Verdacht auf Vernachlässigung und Misshandlung ist es in der Regel jedoch so, dass auf eine gemeinsame Klärung der Situation mit den Eltern hingearbeitet werden sollte. Wichtig ist hier, dass Lehr- und Fachkräfte mit den Eltern über ihre Einschätzung sprechen und die wahrgenommenen Anhaltspunkte für eine mögliche Gefährdung klar benennen. Sie sollten sich von den Eltern deren Einschätzung der Situation darlegen lassen und mit ihnen gemeinsam überlegen, wie sich die Situation verändern lässt. Die Enttabuisierung des Themas Kindeswohlgefährdung kann den Eltern helfen, Scham und Angst gegenüber Institutionen wie Schule und Jugendhilfe zu reduzieren. Wahrscheinlich wird dies nicht durch ein einziges Gespräch geschehen. Schulische Fachkräfte sollten den Eltern daher Unterstützung und Begleitung anbieten und in regelmäßigen Abständen nachfragen, ob und wie sich die Situation verändert hat bzw. den Eltern auch darlegen, was sie tun werden, wenn sich an der Situation nichts ändert und nichts passiert. ➤ Auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken: Hilfen in schwierigen Lebenssituationen müssen nicht nur Hilfen zur Erziehung nach § 27 SGB VIII sein. Die Inanspruchnahme beispielsweise einer Schuldnerberatungsstelle oder anderer sozialer Einrichtungen kann ebenfalls dazu beitragen, eine schwierige Situation zu entschärfen und zu verändern. Sollten Lehr- und Fachkräfte in der Schule sich in diesem Prozess unsicher sein, welche Angebote es in ihrer Kommune gibt, können sie sich ebenfalls im Rahmen der Beratung zur Gefährdungseinschätzung an die„insoweit erfahrene Fachkraft“ bzw. Kinderschutzfachkraft wenden. Möglicherweise haben sie auch die Gelegenheit, die Eltern zu etwaigen Institutionen und Einrichtungen zu begleiten. ➤ Mitteilung an das Jugendamt: Wenn schulische Fachkräfte das Jugendamt informieren, weil die Situation ihre Kompetenzen überschrei- 482 uj 11+12 | 2014 Kinderschutz in der Schule tet, angebotene und in Anspruch genommene Hilfen nicht ausreichen oder sofortiges Handeln durch das Jugendamt erforderlich ist, werden in der Regel folgende Angaben benötigt: n Name und Anschrift des Kindes/ der Familie n Welche Art von Kindeswohlgefährdung liegt aus Sicht der Schule vor? n Wie stellt sich die Situation des Kindes/ Jugendlichen aus ihrer Sicht dar? n Was wurde bereits im Blick auf die Eltern veranlasst? n Wie haben die Eltern auf die Gesprächsangebote/ Hilfen reagiert? n Wie hoch schätzen die schulischen Fachkräfte das Gefährdungsrisiko ein? Sofern es sich nicht um einen akuten Notfall handelt, müssen die Eltern vorab darüber informiert werden, dass die Schule das Jugendamt einschaltet. Sofern der Schule hierfür nicht bereits Formblätter vorliegen, ist es sinnvoll, sich beim zuständigen Jugendamt zu informieren, ob es Formblätter für die Meldung an das Jugendamt gibt und zu vereinbaren, welche Formen der Rückmeldung an die Schule möglich sind. Auf- und Ausbau von Vernetzung und Kooperationsstrukturen im Kinderschutz „Professionelle Kinderschutzarbeit findet nie allein statt, sondern immer in Kooperation zwischen mehreren Professionellen“ (Buchholz 2009, 109). Bei der Verantwortungsübernahme im Kinderschutz geht es daher immer auch um Teamentwicklung und den Aufbau von Kooperations- und Netzwerkstrukturen. Dies gilt zunächst innerschulisch, wenn es - insbesondere für Ganztagsschulen - darum geht, die in der Schule vertretenen multiprofessionellen Blickwinkel für eine fachlich versierte Einschätzung kindlicher Lebenssituationen zu bündeln. Genauso geht es aber auch um die gegenseitige Öffnung von Schule und anderen Beratungs- und Hilfesystemen füreinander. Hierzu sind Schulen insbesondere durch die Verpflichtung, im Einzelfall bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung bei Kindern, Jugendlichen und Personensorgeberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinzuwirken (§ 4 Abs. 1 KKG) aufgerufen. Zudem werden Schulen in § 3 Abs. 2 KKG (Rahmenbedingungen für verbindliche Netzwerkstrukturen im Kinderschutz) explizit als Partner in lokalen Netzwerken zum Kinderschutz definiert. Insbesondere die Systeme Schule und Jugendhilfe sehen sich vor dem Hintergrund der bereits beschriebenen ambivalenten Beziehung auf Grundfragen der Kooperation zurückgeworfen. Für eine gelingende Kooperation zwischen den Systemen Schule und Jugendhilfe bedarf es demnach zunächst der Entwicklung eines grundlegenden Verständnisses für den gemeinsamen Auftrag, den Schutz des Wohlergehens von Kindern und Jugendlichen sicherzustellen und der Klärung der Frage, wie ein kooperatives Verfahren zwischen den Systemen gestaltet werden könnte (Discher/ Schimke 2012, 34ff ). Wie für die erfolgreiche Qualifizierung von Lehr- und Fachkräften im Kinderschutz ist auch hier essenzielle Grundvoraussetzung für die gemeinsame Verantwortungsübernahme, dass zunächst ausreichend Wissen über die Aufgaben und Arbeitsweisen der Netzwerkpartner besteht, um gezielt entscheiden zu können, welche Partner in welchen Situationen angesprochen werden können. Zudem müssen bei allen Beteiligten ausreichend Zeit- und Personalressourcen vorhanden sein, um Kooperationsbeziehungen aufzubauen und zu pflegen. Erfolgversprechend ist hier zum Beispiel der Abschluss schriftlicher Kontrakte und Vereinbarungen als Basis für verbindliche und nachhaltige Kooperationsformen zwischen Institutionen (u. a. eben auch zwischen Jugendhilfe und Schule). Dies kann ein Grundstein systemübergreifender Kooperation sowie ein Weg zu einem institutionenübergreifenden Qualitätsbewusstsein im Kinderschutz sein (zu Kooperationsvereinbarungen im Kontext des Kinderschutzes in gemeinsamer 483 uj 11+12 | 2014 Kinderschutz in der Schule Verantwortung von Jugendhilfe und Schule vgl. Bathke 2011). Hilfreich kann zudem ein fester„Netzwerker“ oder„Lotse“ im System Schule sein, der sich mit psychosozialen Beratungsprozessen im Kinderschutz auskennt und in der Vernetzung und Abstimmung integrativer Hilfeprozesse sowie als Bindeglied zwischen der Institution Schule und weiteren Partnern eine Schlüsselbzw. Lotsenfunktion einnehmen kann (Hein 2012, 12). In Nordrhein-Westfalen könnte diese Rolle beispielsweise durch entsprechend qualifizierte Beratungslehrkräfte ausgefüllt werden. An einem Konzept zur Aufnahme des Themas „Kinderschutz“ in die Weiterbildung der Beratungslehrkräfte wird derzeit gearbeitet. Und schließlich kann und sollte natürlich gerade die Schulsozialarbeit auch im Kinderschutz als wichtiges Bindeglied zwischen Jugendhilfe und Schule wirken (Stuckstätte 2008, 108ff ). Kinderschutzfachkräfte als zentrale AkteurInnen und VermittlerInnen zwischen den Systemen einbeziehen Da die Pflichten der kinder- und jugendnah tätigen Berufsgeheimnisträger im Kinderschutz komplex und herausfordernd sind und im Fall der LehrerInnen zudem nicht zu den typischen professionellen Aufgaben zählen, haben diese bei der Gefährdungseinschätzung einen Anspruch auf Beratung durch eine Kinderschutzfachkraft (§ 4 Abs. 2 KKG). Diese Beratung ist im Verständnis eines kooperativen Kinderschutzes Fachberatung und Prozessbegleitung zugleich und in besonderer Weise geeignet, die Handlungssicherheit der beteiligten Fachkräfte zu erhöhen und somit die Qualität im Umgang mit Verdachtsmomenten einer Kindeswohlgefährdung zu steigern. Nach Discher kann „die Hinzuziehung einer Kinderschutzfachkraft unter dieser Prämisse dazu beitragen, dass Vorbehalte, sich widerstreitende Interessen oder Konflikte der beteiligten Institutionen, wenn nicht ausgeräumt, so doch als Teil der Gefährdungseinschätzung reflektiert werden“ (2013, 53). Lehrkräfte können sich so auf die Expertise im Kinderschutz erfahrener,„neutraler“ Fachkräfte stützen, da diese nicht dem Allgemeinen Sozialen Dienst des Jugendamtes angehören (sollten) und die Beratung anonymisiert erfolgt. Insbesondere vor dem oben beschriebenen Hintergrund wird deutlich, dass die Beratung durch eine Kinderschutzfachkraft einen zentralen Beitrag zur Herstellung von Handlungssicherheit bei schulischen Fachkräften und der Entwicklung einer klaren Haltung und Position in einem System kooperativen Kinderschutzes leisten kann. In ihrer Beratungstätigkeit können Kinderschutzfachkräfte insofern eine dringend notwendige „Brückenfunktion“ übernehmen und spezifisches Fach- und Erfahrungswissen im Kinderschutz sowie entsprechende methodische Kompetenz zur Gefährdungseinschätzung in das System Schule (und andere Bereiche) tragen. In gewisser Weise könnte man sogar bei jeder Beratung durch eine Kinderschutzfachkraft von einer „Fortbildung im Kinderschutz im kleinsten Kreise“ sprechen. Einen Überblick darüber, wie der Beratungsanspruch nach § 4 KKG im Schulbereich in der Praxis aktuell realisiert wird, gibt es nicht. Es ist jedoch zu vermuten, dass die Umsetzung auch fast drei Jahre nach Inkrafttreten des Bundeskinderschutzgesetzes in keiner Weise der beschriebenen zentralen Bedeutung, die dieses Instrument für die Etablierung eines kooperativen Vorgehens und die Förderung der gemeinsamen Verantwortungsübernahme haben könnte, entspricht. So ist auf kommunaler Ebene vielerorts nach wie vor ungeklärt, wie der Beratungsanspruch eingelöst und wie die Fachberatung finanziert werden soll. Kommunen, die hierauf bereits Antworten gefunden haben, haben zum Teil interessante Modelle entwickelt (z. B. zur Übertragung der Beratungsaufgabe auf die Schulpsychologie und eine entsprechende Fortbildung und Freistellung der dort tätigen Fachkräfte, zur Etablierung einer zentralen und koordinierenden 484 uj 11+12 | 2014 Kinderschutz in der Schule Ansprechstelle für die Beratung im Schulbereich mit dem Anspruch, den Beratungsaufwand und die Anzahl der Beratungsanfragen zu dokumentieren und auszuwerten oder zum Einsatz von SchulsozialpädagogInnen als Kinderschutzfachkraft). Welchen Einfluss diese jeweiligen Modelle auf die Entwicklung des kooperativen Kinderschutzes und die Etablierung des Themas im Bereich Schule haben werden, wird sich wohl erst in den nächsten Jahren zeigen. Fazit Die Idee des kooperativen Kinderschutzes stellt die beteiligten Akteure auf der lokalen Ebene vor die Herausforderung, eine Handlungsstrategie zu entwickeln, die gleichermaßen den politischen Erwartungen, dem öffentlichen Handlungsdruck, den örtlichen Gegebenheiten, den fachlichen Möglichkeiten und Grenzen sowie schließlich auch den Bedarfen der Kinder, Jugendlichen und Familien gerecht wird (Meiner/ Fischer 2013, 348f ). Insofern verwundert es nicht, dass die im Bundeskinderschutzgesetz kodifizierten fachlichen und institutionellen Ansprüche auf lokaler Ebene, insgesamt und im Hinblick auf die Umsetzung des Schutzauftrags der schulischen Fachkräfte im Speziellen, bisher in sehr unterschiedlichem Ausmaß realisiert werden. So zeigen z. B. die Teilnahmezahlen an Informations- und Fortbildungsveranstaltungen zum Kinderschutz, die unter anderem das Institut für soziale Arbeit e.V. im Auftrag der Landesministerien des Landes NRW seit 2012 durchgeführt hat, dass Schulen und Kommunen, die bereits auf Erfahrungen in der interinstitutionellen Kooperation sowie im Kinderschutz zurückgreifen konnten, die mit dem BKiSchG verbundenen Implikationen aufgreifen und bestehende Konzepte erfolgreich weiterentwickeln konnten. Hier sind beispielsweise die Stadt Dortmund oder die Kreise Kleve, Warendorf und Bad Kreuznach, aber auch Frankfurt am Main zu nennen, die bereits umfangreiche Materialien und Arbeitshilfen entwickelt haben. Diese könnten anderen Kommunen als Anregung dienen. Zu viele Schulen sind aber mit dem Thema Kinderschutz aus den oben genannten oder weiteren Gründen bisher zu wenig in Berührung gekommen. Hier gilt es, geeignete Zugänge zu schaffen, um das Thema zum Wohl der Kinder und Jugendlichen „in die Schule zu bringen“. Besonders erfolgversprechend und damit empfehlenswert erscheint es, wenn das zuständige Jugendamt die Initiative zur Bildung eines kommunalen, kooperativen schulischen Kinderschutzes ergreift, wie es z. B. das Modell der Stadt Dortmund zeigt. Praktische Hilfe für die Schulen könnte mit ihren konkreten Hinweisen und Tipps für ein Vorgehen im Sinne eines kooperativen Kinderschutzkonzeptes die Arbeitshilfe zum Kinderschutz der Reihe „Der GanzTag in NRW“ (Heft 9) leisten. Entlang des Fallbeispiels „Lukas“ werden dort Bereiche wie die Dokumentation von Beobachtungen, mögliche Indikatoren für eine Kindeswohlgefährdung, der kollegiale Austausch bei Wahrnehmung gewichtiger Anhaltspunkte, der Ablauf der Beratung durch eine Kinderschutzfachkraft sowie die Beteiligung von und Gesprächen mit Kindern und Eltern bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung behandelt. Neben der Vermittlung von Fachwissen im Kinderschutz zielt die Arbeitshilfe darauf ab, die multiprofessionelle Auseinandersetzung mit diesem Thema in der Schule zu befördern. Darüber hinaus werden auf diesem Weg allen schulischen Akteuren konkrete und praktikable Handlungsempfehlungen für die Entwicklung und Umsetzung verbindlicher Verfahrenswege zum Schutz von Kindern und Jugendlichen an die Hand gegeben. Dirk Fiegenbaum Milena Bücken Serviceagentur „Ganztägig lernen“ NRW Institut für Soziale Arbeit Friesenring 40 48147 Münster dirk.fiegenbaum@isa-muenster.de milena.buecken@isa-muenster.de 485 uj 11+12 | 2014 Kinderschutz in der Schule Literatur Althoff, M., Bücken, M., Eberitzsch, S., Günther C., Pudelko, J. (2014): Kooperativer Kinderschutz als Leitbild - Kinderschutzfachkräfte in neuen Handlungsfeldern, In: Institut für soziale Arbeit e.V. (Hrsg.): ISA-Jahrbuch zur Sozialen Arbeit 2013. Waxmann, Münster, 199 -235 Bathke, S., Bücken, M., Fiegenbaum, D. u. a. (2014): Arbeitshilfe zur Umsetzung des Kinderschutzes in der Schule. Schriftenreihe „GanzTag in NRW“. 4. vollständig aktualisierte Auflage Eigenverlag, Münster Bathke, S. (2011): Kooperationsvereinbarungen zwischen Jugendhilfe und Schule. In: Fischer, J., Buchholz, T., Merten, R. (Hrsg.): Kinderschutz in gemeinsamer Verantwortung von Jugendhilfe und Schule. VS Verlag, Wiesbaden, 207 - 222 Buchholz, T. (2011): Kinderschutz bei Kindeswohlgefährdung als Aufgabe von Schule und Jugendhilfe. In: Fischer, J., Buchholz, T., Merten, R. (Hrsg.): Kinderschutz in gemeinsamer Verantwortung von Jugendhilfe und Schule. VS Verlag, Wiesbaden, 93 - 115 Deutscher Kinderschutzbund Landesverband NRW (DKSB LV NRW) (2011): Kooperativer Kinderschutz. Für ein Zusammenwirken von Gesundheits-, Kinder- und Jugendhilfe. Wuppertal Discher, B. (2012): Die Kinderschutzfachkraft - als„Notnagel“ für eine Qualitätssicherung im Prozess der Gefährdungseinschätzung? In: Institut für soziale Arbeit e.V. (Hrsg.): Die Kinderschutzfachkraft - eine zentrale Akteurin im Kinderschutz. Eigenverlag, Münster, 44 - 55 Discher, B., Schimke, H.-J. (2012): Die Rolle der insoweit erfahrenen Fachkraft nach § 8 a Abs. 2 SGB VIII in einem kooperativen Kinderschutz. In: Institut für soziale Arbeit e.V. (Hrsg.): Die Kinderschutzfachkraft - eine zentrale Akteurin im Kinderschutz. Eigenverlag, Münster, 29 - 43 Fischer, J., Buchholz, T., Merten, R. (2011): Kooperation zum Kinderschutz zwischen Jugendhilfe und Schule - eine Einführung. In: Fischer, J., Buchholz, T., Merten, R. (Hrsg.): Kinderschutz in gemeinsamer Verantwortung von Jugendhilfe und Schule. VS Verlag, Wiesbaden, 9 - 16 Harting, N., Schönnecker, L., Wettmann. D., Meysen, T. (2010): Rechtsvergleich. In: Meysen, T., Ziegenhain, U. u. a. (Hrsg.): Abschlussbericht der Evaluation des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes zum Schutz von Kindeswohl und Kindesgesundheit (LkindSchuG). 56 - 59 Hein, A. (2012): Das Gesetz zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen (Bundeskinderschutzgesetz BKiSchG) - Konsequenzen und Herausforderungen aus schulischer Sicht. In: Bathke, S., Hein, A., Sack, J., Kimmel-Groß, J., Güldenhöven, T. (Hrsg.): Kinderschutz macht Schule. Handlungsoptionen, Prozessgestaltungen und Praxisbeispiele zum Umgang mit Kindeswohlgefährdungen in der offenen Ganztagsschule. Schriftenreihe „GanzTag in NRW“. 4. vollständig aktualisierte Auflage Eigenverlag, Münster, 10 - 15 Heinitz, S. (2012): Fehler als Anlässe zur lernen? Fachberatung im Kinderschutz und die neuen Aufgaben der „insoweit erfahrenen Fachkraft“ nach dem Bundeskinderschutzgesetz. In: Das Jugendamt 85, 558 - 662 ISA, DKSB LV NRW, Bildungsakademie BiS (Hrsg.) (2012): Zehn Empfehlungen zur Ausgestaltung der Rolle der Kinderschutzfachkraft nach §§ 8 a Abs. 4 , 8 b Abs. 1 SGB VIII und § 4 KKG. In: Institut für soziale Arbeit e.V. (Hrsg.): Die Kinderschutzfachkraft - eine zentrale Akteurin im Kinderschutz. Eigenverlag, Münster, 12 - 28 Meiner, C., Fischer, J. (2013): Gelingender Kinderschutz durch Netzwerkbildung? - Implementierungsstrategien auf kommunaler Ebene. In: Fischer, J., Kosselek, T. (Hrsg.): Netzwerke und Soziale Arbeit. Theorien, Methoden, Anwendung. Beltz Juventa, Weinheim/ Basel, 348 - 368 Meysen, T., Schönecker, L., Kindler, H. (2009): Frühe Hilfen im Kinderschutz. Rechtliche Rahmenbedingungen und Risikodiagnostik in der Kooperation von Gesundheits- und Jugendhilfe. Beltz Juventa, Weinheim/ München Meysen, T., Eschelbach, D. (2012): Das neue Bundeskinderschutzgesetz. Nomos, Baden-Baden Stuckstätte, E. C. (2008): Schulsozialarbeit als Bindeglied zwischen Schule und Jugendhilfe im Ganztag. In: Institut für soziale Arbeit e.V. (Hrsg.): ISA Jahrbuch zur Sozialen Arbeit. Waxmann, Münster, 108 - 120 Wiesner, R., Wapler, F. (2012): SGB VIII, § 8 b Rn. N 15. Online-Nachkommentierung zu Wiesner, R. (Hrsg.) (2011): SGB VIII. Kinder- und Jugendhilfe. Kommentar. 4. Auflage Beck, München, In: http: / / rsw.beck.de/ cms/ ? toc=WiesnerSGB.20&docid=330472, 5. 10. 2013