eJournals unsere jugend 66/2

unsere jugend
4
0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2014.art10d
21
2014
662

Mädchen und Jungen gerecht werden

21
2014
Inés Brock
Kinder wachsen heute in kleineren Familien und in größerem Umfang auch in pädagogischen Institutionen auf. Fachkräfte, die sich vor dem Hintergrund pädagogischen und psychologischen Wissens auf die Kinder einstellen möchten, sind in den letzten Jahren besonders herausgefordert durch die Erkenntnisse, Hypothesen und Praxisreflexionen über geschlechtsspezifische Besonderheiten der Jungen und Mädchen. Auch der Zusammenarbeit mit den Eltern - als Mütter und Väter - wird größere Aufmerksamkeit geschenkt.
4_066_2014_2_0006
77 unsere jugend, 66. Jg., S. 77 - 87 (2014) DOI 10.2378/ uj2014.art10d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Dr. Inés Brock Jg. 1964; Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin und Erziehungswissenschaftlerin, Dozentin im Nathusius-Institut für Psychologie, Bildung und Beratung in Halle (Saale) Mädchen und Jungen gerecht werden Durch die Wahrnehmung von Unterschieden Geschlechtersensibilität entwickeln Kinder wachsen heute in kleineren Familien und in größerem Umfang auch in pädagogischen Institutionen auf. Fachkräfte, die sich vor dem Hintergrund pädagogischen und psychologischen Wissens auf die Kinder einstellen möchten, sind in den letzten Jahren besonders herausgefordert durch die Erkenntnisse, Hypothesen und Praxisreflexionen über geschlechtsspezifische Besonderheiten der Jungen und Mädchen. Auch der Zusammenarbeit mit den Eltern - als Mütter und Väter - wird größere Aufmerksamkeit geschenkt. Angeborenes und die Wirkung der Umwelt Um eine Haltung von Wertschätzung von Verschiedenheit zu erarbeiten, kann die These „Kinder werden als Mädchen oder Junge geboren und dann auch so behandelt! “ betrachtet werden. Menschen haben im Mutterleib, als Säugling, Kind und auch Erwachsener ähnliche Bedürfnisse. Neben diesen Grundbedürfnissen bilden sich schon früh auch geschlechtsspezifische Besonderheiten heraus. Die Geschlechtsrollenprägung beginnt biologisch betrachtet bereits wenige Wochen nach der Zeugung (ab 7. SSW kommt Testosteron), und erst mit elf Wochen sind die Weichen hormonell eindeutig gestellt. Im Mutterleib beginnt dann bereits auch die Zuschreibung durch die Eltern, da sich kaum ein Paar noch auf eine Überraschung einlassen möchte. Spätestens ab der Geburt werden die Kinder dann auch unterschiedlich behandelt. Zunächst durch die Eltern, die ihre Wünsche und Vorstellungen auf das Kind projizieren, dann in der erweiterten Familie, später durch die Regeln in der Peergroup - und durch die Gesellschaft wird dies durch Chancenverteilung und Medienwirkungen noch verstärkt. Ein Kind hätte somit gar keine Möglichkeit, neutral aufzuwachsen. Doch schon bei Säuglingen gibt es zwischen Mädchen und Jungen angeborene Unterschiede, die gut erforscht sind. Mädchen sind eher auditiv orientiert und gewinnen dadurch einen Vorsprung in verbaler Artikulationsfähigkeit. Sie haben ein größeres Gesichtsfeld, können dadurch mehr Details wahrnehmen. Ihr Interesse an Gesichtern fördert ihre Fähigkeit, Emotionen abzulesen, was ihre soziale Kompetenz und Empathie stärkt. Sie lassen sich leichter durch den 78 uj 2 | 2014 Geschlechtersensibilität Schnuller beruhigen, was ein Vorbote von eher feinmotorischer und nach innen gerichteter Aufmerksamkeit ist. Jungen hingegen sind eher visuell orientiert, wodurch in den verbalen Fähigkeiten bis zur Schulzeit ein Entwicklungsrückstand zu den Mädchen von ein bis zwei Jahren entsteht. Dadurch wird aber auch ihr räumliches Vorstellungsvermögen höher, sie zeigen mehr Interesse an Formen und Bewegungen. Sie lassen sich leichter durch Schaukeln beruhigen, was wiederum auf ihre grobmotorischen Bedürfnisse schließen lässt. Sie sind häufiger krank und bedürftiger in der frühen Kindheit. Erwachsene sind jedoch oft eher bereit, Mädchen zu trösten. Gerade von Jungen werden Stärke und Durchsetzungskraft erwartet. Kinder spüren das sehr genau und ordnen sich den vorgegebenen Regularien ihrer Umwelt unter. Wenn sie geliebt und anerkannt werden wollen - also ihre Grundbedürfnisse befriedigen wollen -, orientieren sie sich daran. Auch wenn es individuelle Unterschiede gibt, die Entwicklungstendenz und die Erfahrungen der Mehrheit decken sich mit diesen Befunden, die durch belastbare Forschungsergebnisse verschiedenster Disziplinen gedeckt sind (Kasten 2003). Sozialisation von Jungen und Mädchen Wenn der Einfluss der Umwelt auf die Selbstbildentwicklung bereits vor der Geburt beginnt, macht es wenig Sinn, sich beim Streit über Angeborenes oder Anerzogenes aufzuhalten - Eltern bewerten es z. B. unterschiedlich, wenn ein weiblicher oder männlicher Fötus sehr lebendig ist: Jungen wird es zugestanden, bei Mädchen eher kritisch gesehen.„In der Geschlechtsrolle, die eine Person trägt und lebt, kommt das kulturell und sozial erwartete geschlechtstypische Verhalten einer Person zum Ausdruck. Sie umfasst angenommene Fähigkeiten, Interessen, Einstellungen und Verhaltensweisen des jeweiligen Geschlechts“ (Schweizer/ Richter-Appelt 2010, 13). Die Sozialisation wirkt - ob wir es wollen oder nicht. Man kann nicht nicht sozialisiert werden. Der Mensch ist ein soziales und kulturell eingebettetes Wesen, das sich dem nicht entziehen kann. Kinder suchen Orientierung und Vorbilder. Dabei wählen sie die Umweltanreize aus, die ihnen entsprechen. „In viel stärkerem Maße als bisher angenommen strukturiert sich das Gehirn von Männern und Frauen anhand der sich für beide Geschlechter zwangsläufig ergebenden unterschiedlichen „Nutzungsbedingungen“ (Hüther 2008, 11). Am deutlichsten hat das die Resilienzforschung gezeigt. Die psychische Widerstandsfähigkeit angesichts widriger Umstände entwickelt sich besonders gut, wenn folgende Schutzfaktoren zusammenkommen: ➤ soziale Integration, ➤ soziale Kompetenz, ➤ familiale Kohäsion, ➤ individuelle Bindungsrepräsentanz, ➤ positives Temperament (flexibel, offen). Das bedeutet, wer es gelernt hat, sich sozial zu integrieren, sich in andere hineinzuversetzen, familiäre Beziehungen pflegt und verlässliche Bindungen erleben durfte, kann sicherer sein, den Herausforderungen des Lebens erfolgreich zu begegnen. Möglicherweise können auch deshalb Mädchen und Frauen mit Lebenskrisen konstruktiver umgehen, weil sie in den genannten Schutzfaktoren oft besser aufgestellt sind. Spannend daran ist, dass in diesem Sinne resiliente Jungen und Mädchen weniger ausgeprägte geschlechtstypische Verhaltensweisen zeigen. Innere Sicherheit braucht demzufolge nicht durch äußere Sicherheit in der Geschlechtsrolle kompensiert zu werden. Insbesondere resiliente Jungen zeigen mehr Empathie, Emotionen und Interesse an geschlechtsuntypischen Aktivitäten. Da stellt sich für Menschen, die Jungen beim Aufwachsen begleiten, die Frage: Wie gelangen die Jungen, die von sich aus weniger zwischenmenschlichen Kontakt suchen, weniger empathiefähig sind und sich eher abgrenzen, zu diesen Kompetenzen? Darauf wird am Ende des Beitrages eingegangen. 79 uj 2 | 2014 Geschlechtersensibilität Bisher tragen Lehrende bzw. ErzieherInnen jedenfalls manchmal wenig dazu bei. Jungen werden zwar häufiger gelobt und getadelt und erhalten insgesamt mehr Ansprache, diese ist jedoch häufig eher instruktiv und instrumentell unterstützend (auf Tätigkeitsabläufe und nicht auf innere Prozesse gerichtet) als einfühlsam gefärbt. Mädchen wiederum sprechen häufiger von sich aus mit pädagogischen Fachkräften und suchen den Kontakt. So wird dann Lob an Mädchen eher für Folgsamkeit erteilt - an Jungen für richtige Antworten. Verhalten und Wissen wird als unterschiedlich wertvoll transportiert. So werden dann Tadel an Mädchen eher für falsche Antworten und an Jungen für schlechtes Benehmen adressiert. Daran richten die Kinder dann ihren Selbstwert aus. Mädchen schätzen ihre Fähigkeiten eher gering ein, und Jungen überschätzen sich oft. Aber auch Eltern verhalten sich unterschiedlich zu Söhnen und Töchtern. Jungen erfahren häufiger Handlungsreglementierungen, Restriktionen und weniger unterstützendes Verhalten, emotionale Zuwendung und Kooperation. Elternpaare mit Söhnen streiten öfter; Mütter von Söhnen empfinden weniger Zärtlichkeit des Partners und schlechtere Kommunikationsbereitschaft. Diese Reihung von Unterschieden ließe sich fortsetzen. Letztlich sind sogar Elternurteile über Jungen weniger valide als über Mädchen. Verständnis und belastbare Aufmerksamkeit erleben Jungen und Mädchen unterschiedlich, und das als Kinder einer Familie. Besonders deutlich zeigt sich das in der geschlechtsspezifischen Sprache und Kommunikation. Geschlechtsspezifische Sprache und Kommunikation Im Folgenden werden deshalb einige aktuelle Befunde aus der Forschung zusammengefügt. (aus Klann-Delius 2005). In der Kommunikation bevorzugen Mädchen inklusive oder fragende Aufforderungen, wie z. B. „Wollen wir das zusammen machen? “ Konflikte bewältigen sie dann auch eher indirekt über Dritte und praktizieren insgesamt eine eher gemeinschaftsstiftende Sprechweise. Dadurch erlangen sie einen Vorteil in den Bereichen Triebaufschub und Selbstregulation. Jungen verwenden im gemeinsamen Tun mehr unabgeschwächte Imperative - also konkrete Aufforderungen an ihr Gegenüber. Sie tragen Konflikte auch direkter aus, was zwar schneller geht, aber weniger Rücksicht auf den Partner bedeutet. Auch die Erzähleinheiten (Narrative) mit ihrem besten Freund sind eher kurz. Bereits in der frühen Kindheit mit vier bis sieben Jahren sprechen Mädchen viel mehr miteinander. Das verstärkt bei Mädchen den Vorteil, ihr Gegenüber besser zu verstehen. Sie erwerben bessere Dekodierleistungen für Emotionen, eben weil sie mehr über Gefühle reden. Daraus entwickelt sich schneller die Kompetenz im Verstehen innerer Zustände anderer. Auch erinnern sie sich schon mit zwei Jahren besser an Ereignisse (Jungen erinnern nur Ereignisse mit männlich besetzten Handlungen). 80 uj 2 | 2014 Geschlechtersensibilität Mit 14 Jahren erzählen Mädchen detailreicher, lebendiger und kooperativer; haben einen 20 % größeren Wortschatz, können schneller reden und lesen mehr. Das kann u. a. damit begründet werden, dass bei Mädchen Lustzentren im Hirn aktiviert werden, wenn sie sich mit anderen unterhalten (Dopamin, Oxytozin). Der steigende Östrogenspiegel in der Pubertät verstärkt dann noch einmal das Bedürfnis nach sozialen Bindungen. Selbst in der Mitte des Zyklus wirkt sich das aus - hier entsteht ein Höhepunkt des sprachlichen Ausstoßes, weil das Bindungsbedürfnis am größten ist. So verwundert es nicht, dass Mütter mit Töchtern häufiger sprechen. Da Jungen sich jedoch mehr für Zusammenhänge und Erklärungen interessieren, erhalten sie dann letztlich auch mehr intellektuelle Förderung. Das zeigt sich auch im analysierten Elternverhalten. Väter versuchen, mit ihren Söhnen eher über die Funktionsweisen von Gegenständen ins Gespräch zu kommen, oder reden wenig, weil ihr Spiel eher ablauforientiert und explorierend ist. Auch die raumgreifendere Kontaktaufnahme erschwert einen nahen - sprechenden - Kontakt. Auch Väter kommunizieren mit ihren Töchtern immer noch häufiger als mit den Söhnen. Väter geben auch sehr viel mehr Befehle (doppelt so viele), vor allem an ihre Söhne. So fand man heraus, dass 38 % aller väterlichen Äußerungen am Familientisch an die Kinder in Befehlsform stattfanden. Elterliche Kommunikation bezieht sich im familialen Kontext häufig auf Gefühlsworte und Bedürfnisausdruck. Mütter zeigen dabei gegenüber Töchtern mehr auf Gefühle bezogene Äußerungen. Insgesamt äußern Eltern eher traurige Aspekte gegenüber Töchtern und furchteinflößende und Aspekte von Ärger zu den Söhnen. Eltern besprechen mit Töchtern eher interpersonell situierte emotionale Erfahrungen, wohingegen mit den Söhnen eher die autonomen Aktivitäten des Kindes betreffende Gefühle besprochen werden. Auch die Redemenge unterscheidet sich zwischen den Geschlechtern. Jedoch hängt die Menge und Länge von Redebeiträgen von Thema, Status, Gruppengröße und GesprächspartnerIn ab. Mädchen sprechen länger im sozialen Kontakt, aber die Sprechmenge von Jungen ist im Kontext Schule höher. Das zeigt erneut, dass es eher die fachlichen Themen sind, die Jungen animieren, sich einzubringen. Außerdem spielt dabei ihre Neigung zum Wettbewerb eine entscheidende Rolle. Alle sprechen jedoch mehr in gleichgeschlechtlichen Konstellationen. Abschließend noch ein Ausflug in die Schriftsprache. Lesen und Schreiben sind neue Erfindungen in der Evolution und demzufolge nicht wie das Sprechen ein angeborenes Bedürfnis, das sich das Kind selbst erfüllt, indem es Laute nachahmt, die Umgebungssprache verstehen und sich sprachlich ausdrücken will. Lesen ist die erste sogenannte Kulturtechnik für Kinder, und fast das komplette weitere Lernen und viele Kommunikationsebenen sind davon abhängig, wie ein Kind es gelernt hat zu lesen und zu schreiben. Seit den PISA-Studien 2002 hat sich in allen 22 industrialisierten Ländern im Abstand zwischen den Geschlechtern wenig verändert - auch wenn die Werte an sich besser geworden sind. Mädchen bleiben besser im Lesen als Jungen. Beim Schreiben sind drei Viertel aller Mädchen besser als der Durchschnittsjunge. Insgesamt sind in Deutschland 5 % der Kinder von LRS (Lese-Rechtschreib- Schwäche) betroffen - dabei aber mehr als doppelt so viele Jungen. All diese Besonderheiten prägen das Miteinander und setzen sich im Lebensverlauf fort, wenn nicht mit spezifischer Förderung unterstützt wird, fehlende Fähigkeiten auszubauen. So könnte man fordern, Jungen zu ermutigen, mehr und v. a. persönlich reflektierter zu sprechen; Mädchen könnten unterstützt werden, Problemlösungen auf einer funktionalen Ebene zu konstruieren und darüber zu reden. 81 uj 2 | 2014 Geschlechtersensibilität Medien für Kinder zementieren Geschlechtsrollenbilder Wenn wir von Sprache als Medium der Kommunikation ausgehen, können unterschiedliche Nutzungsgewohnheiten festgestellt werden. Mädchen kommunizieren extrem viel häufiger über SMS und telefonieren wesentlich länger und häufiger. Jungen bevorzugen aktionsorientierte Computerspiele mit Wettbewerbscharakter und ohne viel Sprache. Interessant ist jedoch, dass die Jugendszenen von Rap - dem schnellen Sprechgesang - und Poetry-Slam - Wettbewerbe im poetischen Wort auf einer Bühne - in wesentlich größerem Maße von Jungen und jungen Männern bevölkert werden. Dadurch gewinnt Sprechen und kunstvoller Sprachgebrach auch in der männlichen Jugendkultur wieder an Bedeutung. Bei Zeitschriften und Kinderbüchern findet sich jedoch trotz aller positiven Initiativen noch immer eine Stigmatisierung von typischen Ansprachen. So werden Kinderzeitschriften oft nach Geschlecht getrennt angeboten. Wenn man die Zeitschriftenlandschaft analysiert, findet man mehr Zeitschriften, die an Mädchen adressiert sind - weil sie eben mehr lesen! In beiden Zielgruppen werden jedoch dann in den Zeitschriften selbst tradierte Rollenbilder transportiert: starke, coole Jungs und schöne, an ihrem Aussehen interessierte (ggf. auch sexuell aufgemachte) Mädchen, die sich nur dafür interessieren, wie sie den Jungs gefallen können. Dabei wissen wir aus der psychologischen Forschung, dass sich Kinder und Jugendliche in ihrer Selbstbildentwicklung noch sehr unsicher fühlen und Orientierung suchen, um ihre ganz persönliche Geschlechtsidentität zu entwickeln. Dafür brauchen sie aber differenziertere Vorbilder, z. B. Männer, die reflektiert über Gefühle und Werte sprechen, Frauen, die sich durchsetzen und argumentativ behaupten können. Ein weiteres Beispiel, wie sehr die (Spielwaren-) Industrie sich noch immer an Stereotypen bedient, ohne deren Wirkung auf Kinder zu beachten, ist die Herausgabe eines pinkfarbenen - also an Mädchen gerichteten - Überraschungseis. Antje Schrupp, Journalistin und Politikwissenschaftlerin aus Frankfurt am Main, thematisiert das so: „… dass sich diese ganze Aktion eigentlich nur scheinbar an die Mädchen richtet. Die wirklichen Adressaten sind die Jungen. Die rosa Überraschungseier sind für sie sozusagen ein überdimensioniertes Stoppschild, das sagt: Achtung, Mädchenkram, Finger weg! “ (Schrupp 2012). Es wird hier ein Phänomen deutlich, das eigentlich Jungen benachteiligt. Schrupp weiter: „‚Jungeneier‘ hingegen braucht es nicht zu geben, weil es für Mädchen im Allgemeinen kein Problem ist, ‚Jungenkram‘ in einem Überraschungsei vorzufinden. Mädchen können nämlich beides, Jungenkram machen und Mädchenkram“ (Schrupp 2012). Im Zusammenhang mit Werten, die wir Jungen und Mädchen vermitteln wollen, fängt es bei solchen Banalitäten an. Ein Klima zu schaffen, in dem Jungen auch weiblich konnotierte Interessen verfolgen können, ohne abgewertet zu werden, korrespondiert mit der Fähigkeit, Mädchen nicht vorwiegend - oder auch unterschwellig - über ihr äußeres Erscheinungsbild zu definieren. Aufwachsen von Mädchen als Schönheitswettbewerb Aktuell gibt es insbesondere in Amerika und Großbritannien eine sozialwissenschaftlich initiierte Debatte über den sogenannten „Lolita-Effekt“ (Carey 2011; Durham 2009). Schon kleine Mädchen werden mit sexuell besetzten Schönheitsmerkmalen ausgestattet (Schminke, High Heels etc.), und der Wert eines Mädchens ergibt sich aus seiner Erscheinung. Diese Orientierung am Schönheitsideal führt nicht nur bei vielen pubertierenden Mädchen zu psychischen Krankheiten wie Essstörungen und Minderwertigkeitsgefühlen, sondern hat bereits einen Einfluss auf die Selbstbildentwicklung von kleinen Mädchen und erhöht den auf 82 uj 2 | 2014 Geschlechtersensibilität Gleichheit ausgerichteten Gruppendruck unter weiblichen Gleichaltrigen. Das Bedürfnis der Mädchen nach Zugehörigkeit verstärkt diesen Effekt. „Mädchen definieren ihre Freundschaften als geschlechtsspezifisch, weil sie Mädchen sind, und umgekehrt definieren sie sich als weiblich mit Hilfe der Mädchenfreundschaft“ (Hackmann 2003, 17). Das Selbstkonzept von Mädchen entsteht über Identifikation mit Mutter/ Schwester/ Freundin und De-Identifikation mit Vätern/ Brüdern und anderen männlichen Bezugspersonen. „Die Mädchen führen einen imaginierten fremden Blick ein, der auf sie und ihren Körper gerichtet ist und der sowohl ein ‚männlicher‘ als auch ein ‚weiblicher’ Blick sein kann“ (Hackmann 2003, 67). Wenn sich dann die Selbstwirksamkeitserfahrung eher aus Rückmeldungen auf ihr Aussehen ergibt, verstärkt sich diese Wertorientierung. Mädchen sortieren sich in geschlechtshomogenen Subgruppen und bevorzugen mädchentypische Spiele, wobei sie sich dabei gegenseitig verstärken. Wenn nun das Schminkköfferchen schon für Vierjährige im Spielwarenregal zu finden ist, braucht es große pädagogische und erzieherische Anstrengungen, damit Mädchen sich für ihr Handeln und nicht nur für ihr Äußeres wertschätzen. Hier können insbesondere männliche Bezugspersonen Mädchen stärken durch Anerkennung von Handlungskompetenz und Lösungssuche (Trial-and-error-Lernen). Sie können helfen im Erleben aggressiver Anteile und im Umgang damit. Wenn sie diese Persönlichkeitsmerkmale als wichtig anerkennen, kann sich ein ganzheitlicheres Körperbild und -bewusstsein entwickeln. Durch Anregung und Motivation, Experimentierfreude und Betonung der grobmotorischen Bewegung kann Mädchen die Attraktivität dieser Verhaltensweisen gezeigt werden. Dabei benötigen sie handlungsbetonte Ebenen auf der Suche nach Anerkennung. Die Wertschätzung durch männliche Bezugspersonen auch auf der körperlich nahen Ebene durch Berührungen (Umarmen, Begrenzen, Toben, Trösten) erweitert ihr Reaktionsrepertoire. Frauen, die sich oft selbst dem Schönheitsideal nicht entziehen können, wirken hierbei weniger authentisch, zumal die Mädchen ihnen ja nacheifern wollen. Wissen wir doch, dass die„…Weiblichkeit des kleinen Mädchens 83 uj 2 | 2014 Geschlechtersensibilität eng mit der Einstellung der Mutter zu sich selbst als Frau und mit ihren Gefühlen über die Tochter als Mädchen zusammenhängt“ (Mertens 1997, 33). Kinder verfügen jedoch auch über Ressourcen der Selbstdistanzierung. „Eben weil man einerseits für sein Geschlecht nichts kann und es andererseits sicher hat, kann man gut damit spielen“ (Hengst/ Kelle 2003, 91). Das könnte eine gute Chance sein, mit Geschlechtsrollenstereotypen zu experimentieren und eine an anderen Werten orientierte Selbstwertsteigerung bei Mädchen - aber auch bei Jungen - zu fördern. Dem widmet sich der nächste Abschnitt. Verhaltensoriginelle Jungen stören Die Verhaltensweisen und -auffälligkeiten von Jungen v. a. im Kontext von pädagogischen Institutionen haben in den letzten zehn Jahren zu einem dramatischen Anstieg der Diagnosen von psychischen Störungen geführt. „Schon kleine Jungen tendieren - wenn sie nicht genug Halt, Geborgenheit und Liebe finden - eher zu extrovertierten Störungen, zu Defiziten der Impulskontrolle und damit einhergehender Hyperaktivität, Störungen des Sozialverhaltens und erhöhter Gewaltbereitschaft“ (Hüther 2008, 11). Im sozialen Miteinander und durch Gruppennormen, die von erwachsenen Sozialisationsagenten festgelegt werden, zeigen sich Jungen unangepasster und werden demzufolge als auffälliger wahrgenommen. Männlich konnotiertes Verhalten wird bestraft und oft nicht als Hilferuf verstanden. Die psychische Reifung von Geschlechtsidentität müssen Jungen über eine doppelte Negation gewinnen. Der Junge begreift sehr schnell, dass er ein anderes Geschlecht hat als seine Mutter und dass er auf keinen Fall weiblich sein oder werden darf, aber auch nicht nicht-weiblich. Jungen finden auch außerhalb der Familie kaum einen Platz für Männer, der nicht auch von einer Frau besetzt ist. Somit fällt es ihnen schwer, authentische männliche Vorbilder zu finden, insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass viele Väter physisch oder psychisch in der Erziehung abwesend und pädagogische Fachkräfte überwiegend weiblich sind. Dabei haben - wie eingangs schon ausgeführt - Jungen größere Probleme bei der Anpassung an neue Kontexte. Angstreaktionen kommen z. B. in der Eingewöhnungsphase in Kita oder Schule bei Jungen häufiger vor, sie lachen seltener und suchen weniger Kontakt. Also benötigen sie besondere, zugehende Unterstützung. Jungen kommen auch schlechter mit einer Trennung der Eltern zurecht und reagieren auf die Geburt von jüngeren Geschwistern verunsicherter. Bei Mädchen sind die Bewältigungsstrategien introvertierter und kommunikativer ausgerichtet. Jungen entwickeln eher Verhaltensstörungen und Dissozialität. Sie brauchen insofern eine besonders einfühlsame Begleitung in diesen kritischen Lebensphasen, um nicht in Entwicklungsstörungen zu geraten. Auch im alltäglichen extrovertierten Verhalten, das oft als störend empfunden wird, zeigen sich ihre Veranlagungen. „Immer wieder schafften die Jungen neue Konkurrenzsituationen. Es entwickelten sich kleine Streitereien, die jedoch überwiegend spielerischen Charakter trugen“ (Dittrich/ Dörfler/ Schneider 2001, 187). Es ist typisch für die Mehrzahl von Jungen, dass 84 uj 2 | 2014 Geschlechtersensibilität sie einander provozieren. Im Miteinander sind die Rollen oft klar und transparent ausgehandelt, wechselseitige Anerkennung im Spiel entsteht durch klare Hierarchien, aber aus diesen Konfliktsituationen heraus entsteht auch etwas Neues. Die Allmachts- und Größenphantasien kleiner Jungen brauchen keine Bestrafung, sondern die Botschaft von Nähe und Begrenzung auf einer Beziehungsebene. Denn: „Die Jungen und Mädchen erfüllten diese hohen Anforderungen, nämlich ihre Ideen und Pläne mit… anderen Kindern zu koordinieren und miteinander zu kooperieren. Dabei hatte die neue Spielidee … eine gemeinschaftsstiftende Wirkung“ (Dittrich/ Dörfler/ Schneider 2001, 189). Dieses ermutigende Ergebnis fand eine Beobachtungsstudie heraus. Es geht demzufolge um unterschiedliche Strategien, nicht um gut oder schlecht, richtig oder falsch. Die Handlungen und Körper der Jungen und Mädchen sprechen oft nur eine andere Sprache. „In den Konfliktbeispielen fallen Jungen häufiger durch Kampfposen, Scheinkämpfe ohne Berührung oder auch Frotzeleien auf. Sie gehen häufiger direkt aufeinander los. In Auseinandersetzungen spielen ihre Körper eine andere Rolle als bei den Mädchen … Mädchen hingegen agieren indirekter. Sie drohen mit Liebesentzug und greifen eher auf verbale und symbolische Formen zurück“ (Dittrich/ Dörfler/ Schneider 2001, 195). Insofern sind die Strategien der Mädchen nicht besser, nur anders. Es gibt aber noch eine andere Dimension, die es Jungen erschwert, positiv wahrgenommen zu werden. Nahezu alle Kinder lehnen es ab, mit einem Kind zu spielen, das sich geschlechtsuntypisch verhält, dabei nimmt die Ablehnung mit steigendem Alter noch zu. Wenn Kinder Geschlechterrollenvorschriften rigide einhalten, dann, weil sie soziale Regeln befolgen wollen und damit ihre Rollenidentität zu stabilisieren versuchen. Denn es passiert schon im Vorschulalter: „Bei Jungen erwartet man, dass sie sich strikt an die gesellschaftlichen Erwartungen halten, dagegen wird den Mädchen mehr Spielraum zugestanden“ (Fried/ Büttner 2004, 281). Wenn männliche Personen diesen Erwartungen zuwider handeln, wird das als Verstoß gegen Konventionen und die Gefährdung der Geschlechtsidentität bewertet. Bei weiblichen Personen wird eine Abweichung eher auf persönliche Vorlieben zurückgeführt. Bei Mädchen wird also eher toleriert, dass sie sich ihre Geschlechtergrenzen selbst konstruieren, als bei Jungen. Frühe Sexualerziehung von Kindern Da Mädchen und Jungen in der Kindheit beginnen, ihre Geschlechtsidentität zu entwickeln, spielt das spielerische Erkennen von expliziten und impliziten Geschlechtsunterschieden eine große Rolle. „Die ersten Welterfahrungen werden mit dem Körper gemacht. Dieser ganzkörperliche Zugang erfährt im Laufe des Lebens viele notwendige Einschnitte im Sinne der Ausdifferenzierung, aber auch unnötige schmerzliche Abspaltungen“ (Wanzeck-Sielert 2004, 15). Kinder brauchen in dieser Entwicklungszeit den liebevollen Körperkontakt und die offene Haltung ihrer Bezugspersonen. Die Entwicklung der Geschlechtsidentität und die psychosexuelle Entwicklung von Vorschulkindern sind jedoch noch in wenigen Bildungsplänen ausführlich verankert (vgl. Rohrmann), sodass es oft den persönlichen Wertvorstellungen von pädagogischen Fachkräften überlassen bleibt, wie sie kleine Kinder dabei begleiten. Speziell in der frühen Kindheit entdecken und verstehen Kinder ihren Körper in einer unbelasteten Art und Weise. Körperliche und emotionale Erfahrungen, die jedes Kind selbst konstruiert, unterliegen den normativen Erwartungen der Umgebung und werden dabei auch schambesetzt. Dabei wirken insbesondere die Einflüsse der Beziehungspersonen auf die Eigenwahrnehmung des Kindes. Die Kinder zeigen sich beeinflusst von den Habitualisierungen der Eltern, dem Verhalten der Geschwister und den Gefühlsregeln, die in den professionellen Kontexten wirken. Dabei kann man drei Typen pro- 85 uj 2 | 2014 Geschlechtersensibilität fessionellen Handelns bei pädagogischen Fachkräften identifizieren: erstens den zielorientierten Manager von Gefühlen, zweitens die emotional professionell agierende Person und drittens die instinktiv regulierende Person (eigene unveröffentlichte Forschung). Diese sozialen Praktiken prägen emotionale Rahmenbedingungen, unter denen körperliche Bedürfnisse gelebt werden. Kinder erfahren sich selbst in ihrem Körper und als ihr Körper (Hengst/ Kelle). Sie müssen latente physische Veränderungen ausbalancieren, die die rasante körperliche und damit psychische Entwicklung der frühen Kindheit auszeichnen. Dabei finden sie die Balance zwischen persönlichem Wohlbefinden und sozialen Normen. Körperliche Wahrnehmung und Emotionen sind in der frühen Kindheit untrennbar verbunden. Deshalb ist es so wesentlich, wie die Bezugspersonen mit den Entdeckungsreisen und Eigenwahrnehmungen der Kinder umgehen. Seelische Gesundheit hängt vom Wohlbefinden des Kindes ab, es gibt bisher dazu jedoch kaum Qualitätskriterien in der Frühpädagogik. Sauberkeitserziehung, Mittagsschlaf und Übergangssituationen insbesondere im Kontakt mit den Eltern sind im Erzieherkontakt am stärksten emotional besetzt, weil sie intime Anteile der Persönlichkeit berühren. Weniger werden Themen wie die körperliche Selbsterkundung und Selbstbefriedigung und gegenseitige Erfahrungen von Nacktheit in der Kita thematisiert. Das ist insofern fatal, als dass kleine Kinder mit großer Neugier ihr Geschlecht und das der anderen wahrnehmen (wollen). Dabei sollte es möglich sein, eine wertschätzende Rückmeldung von den Bezugspersonen zu erhalten, sonst empfinden die Kinder, dass mit „da unten“ irgendetwas nicht stimmt. Geschlechtsorgane sollten nicht nur in ihrer späteren Fortpflanzungsfunktion gesehen werden, sondern auch als lustspendende Körperregion. Geschlechtsorgane von Mädchen werden wesentlich seltener genau benannt bzw. ebenso „gesehen“ wie die der Jungen, was es für kleine Mädchen schwer macht, sich nicht als defizitär zu empfinden. Die psychosexuelle Entwicklung hat auch eine innerpsychische Komponente. Hierbei geht es um Identifikation mit dem eigenen Geschlecht. Vorschulkinder versuchen diesen Weg oft durch Übertreibungen zu finden und sortieren sich besonders intensiv in geschlechtshomogenen Gruppen, in denen sie das, was sie für typisch halten, ausleben. Diese Entwicklungsstufe ist wichtig, bevor es dann in der Latenzzeit (Grundschulalter) zur Differenzierung der eigenen Geschlechtsrollenidentität kommt. Jüngere Kinder können Grenzüberschreitungen deutlich strenger bewerten als Kinder der mittleren Altersgruppe. So halten es Kindergartenkinder generell für falsch, wenn Geschlechterrollenvorschriften verletzt werden, dabei erscheinen sie gänzlich unflexibel. „In Bezug auf Mädchen war es den Kindern wichtiger, dass diese nicht unweiblich aussahen, als dass diese sich unweiblich verhielten. Die Jungen stießen sich v. a. an einer unmännlichen äußeren Erscheinung, weniger jedoch an unmännlichen Aktivitäten“ (Fried/ Büttner 2004, 277). 86 uj 2 | 2014 Geschlechtersensibilität Wenn wir also über frühe Sexualerziehung sprechen, dann müssen wir die Kinder ganzheitlich wahrnehmen, eben als Einheit von Psyche, Körper und ihren sozialen Einbindungen. Dann können sie in experimentellen Selbstbildungsprozessen ihr Selbstbild als Jungen und Mädchen wertfrei entwickeln - in aller Unterschiedlichkeit. Hierbei spielt die Kommunikation mit den Eltern eine besonders wichtige Rolle, denn auch diese haben als Frau und Mann, Mutter und Vater Erwartungen und Befürchtungen in Bezug auf diesen Bildungsbereich für ihre Kinder. Fazit Alle Herausforderungen, die in der Erziehung und einfühlsamen Begleitung von Kindern entstehen, sind letztlich auch durch die Kategorie Geschlecht beeinflusst. Die allgemeinen Grundorientierungen und Schlüsselkompetenzen für pädagogische Fachkräfte gelten selbstverständlich auch in diesem Kontext. Perspektiven für die pädagogische Praxis in diesem Handlungsbereichleitensichauseinerakzeptierenden, anerkennenden und dialogischen Haltung ab. Erziehende benötigen dazu die Fähigkeit, personale, soziale und fachliche Kompetenzen zu verbinden und ihr Handeln daran auszurichten. Gerade im Bereich der geschlechtersensiblen Pädagogik gibt es einen hohen Bedarf nach Orientierung, insbesondere um die Beliebigkeit zu suspendieren. Konzepte für die Förderung der psychosexuellen Entwicklung von Mädchen und Jungen brauchen ein starkes Bewusstsein für emotionale Regulationspraktiken und fundiertes Wissen über Geschlechterdifferenzen. Um Kindern individuell gerecht zu werden, ist zudem ein Klima der Selbstreflexion durch die Fachkräfte nötig. Eigene Vorannahmen müssten überprüft und idealerweise auch im Team diskutiert werden. In enger Kommunikation mit den Eltern benötigt es einen angstfreien Raum, um wahrzunehmen, was die Kinder für ihre gesunde Entwicklung als Jungen und Mädchen brauchen und was eher vermieden werden sollte. Abschließend kann hierzu die bekannten Psychologin Renate Niesel mit einem Rat an die pädagogische Praxis zitiert werden: „Die Strategien, die Jungen und Mädchen im Rahmen der Entwicklung ihrer Geschlechtsidentität zeigen, …werden als entwicklungsabhängig erkannt. In der pädagogischen Arbeit wird aber darauf geachtet, dieses Verhalten nicht zu verstärken, sondern durch ein breites Spektrum von Möglichkeiten eine Einengung der sich entwickelnden Selbstbilder zu vermeiden“ (Niesel 2008, 13). Ein mögliches Ziel pädagogischer Arbeit ist dabei die Anerkennung von Unterschieden und die Wahrnehmung von Besonderheiten der Kinder, um daraus einen offenen Umgang auch mit Selbstbildungsprozessen der Kinder im sexuell identitätsstiftenden Rahmen zu finden. In keinem Bildungsbereich spielt die eigene Person, die eigene Biografie und die psychische Stabilität der Fachkräfte eine so bedeutende Rolle. Deshalb kann es nur wenige verallgemeinernde Leitlinien geben. Der Rahmen professionellen Handelns benötigt die individuelle Reflexion und deshalb einen Prozess des Austausches und der Teamentwicklung über Geschlechterbilder, resultierende Erwartungshaltungen an Jungen und Mädchen, über Vorstellungen zur kindlichen Sexualität und die eigene Haltung dazu. Aus dem Bewusstsein für geschlechtsspezifische Unterschiede kann darüber hinaus auch eine geschlechtersensible Perspektive für Familienbildungsangebote abgeleitet werden. Eltern - Mütter wie Väter - brauchen ggf. eine unterschiedliche Ansprache, um für die Beteiligung an Angeboten gewonnen zu werden. Väter können sicherlich z. B. leichter für gemeinsames Bauen von Vogelhäuschen als für einen Erziehungskurs gewonnen werden. Dann sollten sie jedoch dabei ermutigt werden, mit ihren Söhnen handlungsbegleitend zu sprechen und sie zu trösten, wenn sie sich weh getan haben sollten. Ihre Töchter können die Väter ermutigen, z. B. die Nägel selbst einzuschlagen, und sie dafür loben. Langfristig können Geschlechtergrenzen nur dann flexibler gestaltet werden, wenn wir heute bei den Kindern beginnen und dabei die El- 87 uj 2 | 2014 Geschlechtersensibilität Literatur Carey, T., 2011: Where has my little girl gone? Oxford Dittrich, G./ Dörfler, M./ Schneider, K., 2001: Wenn Kinder in Konflikt geraten. Eine Beobachtungsstudie in Kindertagesstätten. Neuwied Durham, M., 2009: The Lolita Effect. London/ New York Fine, C., 2010: Delusions of Gender. London Fried, L./ Büttner, G., 2004: Weltwissen von Kindern. Zum Forschungsstand über die Aneignung sozialen Wissens bei Krippen- und Kindergartenkindern. Weinheim/ München Hackmann, K., 2003: Adoleszenz, Geschlecht und sexuelle Orientierungen. Opladen Hengst, H./ Kelle, H., 2003: Kinder - Körper - Identitäten. Weinheim/ München Hüther, G., 2008: Angeboren oder erworben? In: TPS - Leben, Lernen und Arbeiten in der Kita, H. 2, S. 8 - 11 Kasten, H., 2003: Weiblich - Männlich. Geschlechterrollen durchschauen. München/ Basel Mertens, W., 1997: Entwicklung der Psychosexualität und der Geschlechtsidentität. Stuttgart Niesel, R., 2008: Kinder sind niemals geschlechtsneutral. In: TPS - Leben, Lernen und Arbeiten in der Kita, H. 2, S. 12 - 14 Schrupp, A., 2012: Beim pinken Überraschungsei geht es nicht um Mädchen, sondern um Jungen. http: / / antjeschrupp.com/ 2012/ 08/ 23/ beim-pinkenuberraschungsei-geht-es-nicht-um-madchen-sondern-um-jungen/ , 14. 7. 2013, 2 Seiten Schweizer, K./ Richter-Appelt, H., 2010: Dimensionen von Geschlecht. In: Frühe Kindheit, H. 6, S. 13 - 22 Wanzeck-Sielert, C., 2004: Kursbuch Sexualerziehung. So lernen Kinder sich und ihren Körper kennen. München tern in ihrer Mutter- und Vaterfunktion einbeziehen. Mädchen bleiben Mädchen, werden Frauen und Mütter ebenso wie Jungen sich vorwiegend wie Jungen verhalten werden, Männer und Väter werden. Die gute Praxis pädagogischer Begleitung kann sich daran beteiligen, Akzeptanz und gegenseitige Wertschätzung zu fördern. Dr. Inés Brock Nathusius-Institut für Psychologie, Bildung und Beratung Ankerstraße 3 c 06108 Halle (Saale) Tel. (03 45) 68 58 45 55 kontakt@ines-brock.de