unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2014.art12d
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2014
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Die Jugendhilfe im Strafverfahren: "Alles wie immer, alles im grünen Bereich ... Oder?"
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2014
Bernd Holthusen
Sabine Hoops
Die Befunde des Jugendgerichtshilfeb@rometers zeigen insgesamt eine gute Ausstattung oder genau formuliert, die befragten Arbeitseinheiten blicken alles in allem doch eher mit Zufriedenheit auf ihr Arbeitsfeld. Dennoch: auch in diesem vermeintlich privilegierten Bereich gibt es noch einiges zu verbessern oder aufmerksam zu verfolgen.
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98 unsere jugend, 66. Jg., S. 98 - 109 (2014) DOI 10.2378/ uj2014.art12d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Die Jugendhilfe im Strafverfahren: „Alles wie immer, alles im grünen Bereich … oder? “ Ergebnisse aus dem Jugendgerichtshilfeb@rometer Die Befunde des Jugendgerichtshilfeb@rometers zeigen insgesamt eine gute Ausstattung oder genau formuliert, die befragten Arbeitseinheiten blicken alles in allem doch eher mit Zufriedenheit auf ihr Arbeitsfeld. Dennoch: auch in diesem vermeintlich privilegierten Bereich gibt es noch einiges zu verbessern oder aufmerksam zu verfolgen. von Bernd Holthusen Jg. 1962, Diplom-Politologe, seit 1997 tätig am Deutschen Jugendinstitut in München Mit dem 2011 veröffentlichten DJI-Jugendgerichtshilfeb@rometer (Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention/ Jugendhilfe und Sozialer Wandel 2011) liegen nun seit vielen Jahren wieder empirisch abgesicherte aktuelle Daten über die Jugendhilfen im Strafverfahren vor. Gönnt man den Befunden zu Entwicklungen in den Jugendgerichtshilfen (wie sie sich oft noch selbst betiteln), nur einen flüchtigen Blick, so könnte man sich in der Tat in dem Eindruck bestätigt fühlen, dass sich in diesem Feld der Jugendhilfe - immer schon bekannt/ berüchtigt als „etwas anders“ - vor allem aber eher behäbig und wenig innovativ, und auch in weiten Teilen verhältnismäßig privilegiert, nur wenig Neues getan hat. Jenseits einer oberflächlichen Betrachtung geraten jedoch auch Befunde ins Sichtfeld, die vertraute Gewissheiten irritieren und Anregungspotenzial für eine fachlich geführte Auseinandersetzung innerhalb des Handlungsfeldes, aber auch bezüglich der Kooperation mit den verfahrensbeteiligten Partnern und weiteren Institutionen wie z. B. Strafvollzug oder Arbeitsverwaltung, bereitstellen. Methodisches Vorgehen, Fragestellung und erzielte Datenbasis Bei dem Jugendgerichtshilfeb@rometer handelt es sich um eine als Institutionenbefragung Dr. Sabrina Hoops Jg. 1970, Diplom-Pädagogin, seit 1998 tätig am Deutschen Jugendinstitut in München 99 uj 3 | 2014 Ergebnisse aus dem Jugendgerichtshilfe@barometer durchgeführte Online-Befragung aller Jugendhilfen im Strafverfahren (Vollerhebung), die durch qualitative Interviews und Workshops ergänzt wurde. Die vom Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend geförderte Studie wurde als Kooperationsprojekt der beiden DJI-Arbeitseinheiten „Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention“, vertreten durch Bernd Holthusen und Sabrina Hoops, und „Jugendhilfe und Sozialer Wandel“, vertreten durch Tina Gadow, Christian Peucker, Liane Pluto und Mike Seckinger, initiiert und durchgeführt. In den Blick genommen wurden folgende Fragestellungen: ➤ Wie ist die Jugendhilfe im Strafverfahren innerhalb der Kinder- und Jugendhilfe organisiert? In welchem Verhältnis stehen (Re-)Spezialisierung, Entspezialisierung und Delegation und welches Selbstverständnis wird sichtbar? ➤ Wie stellt sich die Arbeitssituation in der Jugendhilfe im Strafverfahren dar? Wie ist es um die Personalsituation bestellt, wie ist die Arbeitszufriedenheit und wie hoch ist die Mitarbeiterfluktuation? ➤ Wie sieht die Kooperation, vor allem mit den Jugendgerichten, aus? Gibt es Probleme vor dem Hintergrund der Diskussionen um den § 36 a des SGB VIII (Achtes Sozialgesetzbuch)? ➤ Wie sieht die Angebotsstruktur aus und welche Entwicklungen sind zu verzeichnen? Alle 581 Jugendämter wurden per E-Mail angeschrieben, über die Befragung informiert und teilweise auch erinnert. Mit schließlich 391 ausgefüllten Fragebögen hat die Studie eine sehr gute Rücklaufquote von 67 %, in allen Bundesländern haben sich jeweils über die Hälfte der Jugendämter an der Untersuchung beteiligt (Spanne von 53 % bis 100 %). Vor dem Hintergrund, dass ein umfassender Ergebnisüberblick den zur Verfügung stehenden Rahmen sprengen würde - hier kann nur auf die oben genannte Originalveröffentlichung verwiesen werden, die kostenfrei über das DJI zu beziehen ist und auch als Download zur Verfügung steht (Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention 2011) - gliedert sich die nachfolgende Präsentation von Befunden aus dem Jugendgerichtshilfeb@rometer wie folgt: Zunächst wird das Augenmerk gerichtet auf einige der zentralen Botschaften in den Bereichen Organisation und Kooperation. Sodann wird der Fokus erweitert und diejenigen aktuellen Entwicklungen in den Blick genommen, die aus unserer Sicht, bestärkt auch durch neuere Feldbeobachtungen und Rückspiegelungen der Befunde seitens der Fachpraxis, für die weitere Fachdebatte von Bedeutung sind. Gute Organisation ist alles … … so allgemein formuliert, trifft diese Redensart auch auf die Jugendhilfen im Strafverfahren zu. Doch was als „gut“ definiert wird, variiert von Ort zu Ort und kann sich entsprechend unterschiedlich gestalten. Dabei belegen die Befunde des Jugendgerichtshilfeb@rometers, dass sich die Diskussionen um die fachliche Verortung der Jugendgerichtshilfen (JGH) und deren Selbstverständnis auch in der Verfasstheit ihrer Organisationen widerspiegeln. Im Kern bestehen drei Organisationstypen (sowie eine „Sonderform“): Die prozentual größte Gruppe ist mit einem Anteil von 69 % die der eigenständigen, spezialisierten Organisationseinheiten, die ausschließlich JGH-Tätigkeiten ausüben. An diesem hohen Anteil wirkt nicht zuletzt auch ein Trend zur (Re-)Spezialisierung mit, der in den letzten Jahren die Organisationsstrukturen geprägt hat. Deutlich ist: Ein teilweise befürchteter, vereinzelt auch erhoffter Trend zur Entspezialisierung hat nicht eingesetzt. 100 uj 3 | 2014 Ergebnisse aus dem Jugendgerichtshilfe@barometer 27 % der Jugendhilfen im Strafverfahren sind beim Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) verortet. Dabei variiert der Anteil der JGH-Aufgaben an der Gesamttätigkeit deutlich: Zwar beträgt er durchschnittlich 38 %, der Median liegt jedoch mit 20 % klar niedriger, was bedeutet, dass in der alltäglichen Arbeit JGH-Tätigkeiten durchaus auch randständig sein können. Auf der anderen Seite gibt es selbst innerhalb des ASD Fachkräfte, die mit bis zu 100 % ihrer Arbeitszeit JGH-Aufgaben wahrnehmen. Wenn man nun davon ausgeht, dass sich hier „good practice“ vollziehen kann, weil diese Fachkräfte aufgrund ihrer institutionellen Anbindung nicht nur in besonderem Maße in der Lage sind, eine gute Integration in die Jugendhilfe-Strukturen zu gewährleisten, sondern auch über fachlich notwendiges Spezialwissen zu verfügen, wäre es sicherlich erkenntnisreich, diese überwiegend spezialisierten Jugendgerichtshilfen in den Allgemeinen Sozialen Diensten über vertiefende Studien genauer in den Blick zu nehmen. Der dritte Organisationstyp bezeichnet Arbeitseinheiten, die ihre Aufgaben ganz oder partiell an einen oder mehrere Freie Träger delegiert haben. Zwar ist mit einem Anteil von 5 % dieser Typus eher von marginaler Bedeutung. Und dies sicher auch nicht ganz zu Unrecht: denn eine vollständige Aufgabenübertragung kann aus fachlicher Perspektive durchaus auch kritisch hinterfragt werden (vgl. Gördeler 2005). Zentrale Stichworte sind hier z. B. Sicherstellung hoheitlicher Aufgaben, Sozialdatenschutz, Steuerung durch das Jugendamt (Jugendhilfeplanung). Wenn Aufgaben hingegen nur partiell delegiert werden, erfolgt dies vor allem in zwei unterschiedlichen Varianten: entweder in Form einer Delegation für bestimmte Zielgruppen (z. B. Migrantengruppen an die Arbeiterwohlfahrt) oder für bestimmte Hilfeangebote (z. B. Täter-Opfer-Ausgleich, Soziale Trainingskurse). Einen bis dato nicht näher beachteten Untertypus stellt mit einem Anteil von immerhin 11 % die sogenannte „Ein-Personen-JGH“ dar: Hier handelt es sich um Arbeitseinheiten, in der eine einzelne Fachkraft für alle anfallenden Aufgaben zuständig ist. Der vergleichsweise hohe Anteil von Jugendgerichtshilfen, in denen sich solche „EinzelkämpferInnen“ etabliert haben, macht stutzig: Denn es steht zu vermuten, dass mit der Konstruktion als Ein-Personen-JGH eine Reihe von strukturellen Herausforderungen verbunden sind, die eine umfassende Jugendhilfe im Strafverfahren im Sinne des § 52 SGB VIII nicht unwesentlich erschweren dürften. Auch wenn Bewältigungsstrategien - z. B. durch inhaltliche Schwerpunktsetzungen, verstärkte Netzwerkaktivitäten oder Absprachen mit den Gerichten - kompensierend wirken können, bleiben Nachteile wie z. B. fehlende kollegiale Beratung/ Vertretung und gefährdete Kontinuität in der Fallbetreuung bestehen und damit als fachliche Herausforderung virulent (vgl. auch Gadow u. a. 2012). Organisationsform Prozentualer Anteil Eigenständige, spezialisierte Organisationseinheit 69 % Als ein Teil des (Allgemeinen) Sozialen Dienstes 27 % Vollständige oder teilweise Delegation an einen oder mehrere freie Träger 5 % Sonderform: Ein-Personen-JGH 11 % Tab. 1: Organisationsformen der Jugendhilfen im Strafverfahren. Quelle: Jugendgerichtshilfeb@rometer 2011, 20 101 uj 3 | 2014 Ergebnisse aus dem Jugendgerichtshilfe@barometer Kleine Einheiten, vorwiegend weiblich … Wer arbeitet in den Jugendhilfen im Strafverfahren? Vor allem bei den spezialisierten Jugendgerichtshilfen handelt es sich mehrheitlich um Arbeitseinheiten mit eher wenig Beschäftigten: In über der Hälfte der Jugendhilfen im Strafverfahren (51 %) stehen nur ein bis zwei Vollzeitäquivalente (VZÄ) zur Verfügung; vielfach sind in den Dienststellen Personen auf Teilzeitstellen tätig. In über der Hälfte der Jugendhilfen im Strafverfahren sind bis zu drei Personen beschäftigt, in knapp einem Drittel vier bis acht Personen. Einheiten mit über acht Personen sind selten, und es gibt sie vor allem dann, wenn die Jugendhilfe im Strafverfahren in den ASD integriert ist. Dabei ist das Stellenvolumen im Zeitraum zwischen 2006 und 2009 nahezu unverändert, d. h. ein Stellenabbau hat die Jugendhilfen im Strafverfahren eher nicht betroffen, und wenn, so ist dies vor allem in den östlichen Bundesländern der Fall. Die Online-Befragung hat weiter deutlich gezeigt, dass das Arbeitsfeld der Jugendhilfen im Strafverfahren stark weiblich geprägt ist: In 54 % der Jugendgerichtshilfen arbeiten sogar ausschließlich Mitarbeiterinnen. Eine Ausnahme sind die Ein-Personen-JGHs: hier arbeiten zu 73 % Männer. „Da gefällt es mir, da bleib ich …“ - Zur Arbeitssituation der Jugendhilfen im Strafverfahren Die Befunde der Online-Befragung verweisen trotz teilweise immenser Fallbelastung - die Hälfte der Jugendhilfen im Strafverfahren hat eine Fallbelastung von über 271 Fällen (Median) pro Vollzeitstelle angegeben - auf eine insgesamt erfreulich hohe Arbeitszufriedenheit: 67 % der Gesamtstichprobe berichten eine (sehr) hohe, 20 % eine mittlere und 13 % eine (sehr) geringe Arbeitszufriedenheit, wobei die Angaben zur Arbeitszufriedenheit zwischen den Organisationstypen differieren (im Vergleich geringere Arbeitszufriedenheit bei in den ASD integrierten Jugendhilfen im Strafverfahren). Die hohe Arbeitszufriedenheit in den Jugendhilfen im Strafverfahren steht möglicherweise auch in Zusammenhang mit der - in der Gegenüberstellung zu Allgemeinen Sozialen Diensten, in denen es laut einer repräsentativen ASD-Befragung im Jahr 2008 in 63 % aller ASD Überlastungsanzeigen gab (Seckinger u. a. 2008, 34, 40ff ) - niedrigeren Quote an Überlastungsanzeigen. In 16 % der Organisationseinheiten wurden in den Jahren 2007 und 2008 eine oder mehrere Überlastungsanzeigen gestellt. Auch hier waren die ASD-integrierten Jugendgerichtshilfen in beiden Jahren und im Jahr 2008 vor allem die Ein-Personen-JGHs deutlich stärker betroffen. Und dies wird sich vermutlich auch zukünftig kaum ändern, denn: Die Zahlen lassen sogar eine weitere Zunahme von Überlastungsanzeigen vor allem bei den ASD-integrierten Jugendhilfen im Strafverfahren erwarten. Auch die Angaben zur Fluktuation bestätigen die hohe Arbeitszufriedenheit. Rund 94 % der Arbeitseinheiten haben die Mitarbeiterfluktuation als (eher) gering eingestuft. Zur Kooperation der Jugendhilfe im Strafverfahren mit anderen Institutionen Zwar gilt seit einigen Jahren über alle Institutionengrenzen hinweg unstrittig die Maxime, dass eine gute Zusammenarbeit aller Verfahrensbeteiligten für eine inhaltliche Optimierung des Strafverfahrens im Interesse der betroffenen Jugendlichen unerlässlich ist (Trenczek 2003, 135) - der Blick in die Realität zeigt jedoch vielfach auch ein anderes Bild, in dem „die Zusammenarbeit zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendgerichtshilfe, Gericht (…) häufig 102 uj 3 | 2014 Ergebnisse aus dem Jugendgerichtshilfe@barometer ein Minenfeld (ist), der schnelle Konsens der Bodennebel“ (Breymann 2009, 201). Bei eingehender Betrachtung werden vielfach auch die jeweiligen Vorbehalte, Zuschreibungen und Kooperationshindernisse sichtbar: Die Polizei/ die Staatsanwaltschaft informiere zu spät, das Jugendgericht terminiere schlecht und greife die Vorschläge nur selten auf, das Personal in den Jugendgerichten, vor allem bei der Staatsanwaltschaft wechsele häufig, die Jugendhilfe im Strafverfahren erscheine selten bei der Hauptverhandlung oder schicke „Gerichtsgeher“, mache unverhältnismäßige Vorschläge etc. (ebenda). Vor diesem Hintergrund hat das Jugendgerichtshilfeb@rometer danach gefragt, wie sich „Kooperation“ aus Sicht der befragten Jugendgerichtshilfen darstellt und wie die Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen Verfahrensbeteiligten bewertet wird, respektive in welchen Bereichen auch Unstimmigkeiten auftreten. Im Fokus standen dabei Erkenntnisse zu Kooperationsbeziehungen mit dem Jugendgericht. Die Ergebnisse der Online-Befragung dokumentieren deutlich, dass die Zusammenarbeit mit den Jugendgerichten ganz überwiegend gut oder sogar sehr gut bewertet wird (vgl. Abbildung 1). Vergleicht man die Durchschnittsbewertungen für die Jugendgerichte mit denen für die anderen Institutionen (Freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe, Staatsanwaltschaft, Einrichtungen des Strafvollzugs, Polizei, Bewährungshilfe, Rechtsanwälte, Arbeitsverwaltung), so zeigt sich, dass mit einer Durchschnittsnote von 2,12 die Zusammenarbeit mit den Jugendgerichten am besten eingeschätzt wurde. Ganz konkret stellen sich dabei aus der Perspektive der Jugendhilfen im Strafverfahren die Kooperationsstrukturen mit dem Jugendgericht vor allem als „informell“ dar, nur gut die Hälfte der JugendrichterInnen sei auch durch Gremienarbeit mit der Jugendgerichtshilfe vernetzt. Oft wird die Qualität der Kooperation in Zusammenhang mit den einzelnen Personen in den Jugendgerichten in Zusammenhang ge- Schulnoten und Prozentsatz der bewertenden JGHs Note 2: 63 % Note 3: 18 % Note 1: 15 % Note 4: 3 % Note 5: 1 % Note 6: nicht vergeben Durchschnitt: 2,12 Abb. 1: Bewertung der Zusammenarbeit mit den Jugendgerichten. Quelle: Jugendgerichtshilfeb@rometer 2011, 47 103 uj 3 | 2014 Ergebnisse aus dem Jugendgerichtshilfe@barometer bracht. Eine mögliche Mitarbeiterfluktuation stellt nach den Angaben der Jugendgerichtshilfen eher kein Kooperationshindernis dar. Und auch anders als Veröffentlichungen und Fachdebatten vermuten lassen könnten, stellt die Einführung des § 36 a SGB VIII für die befragten Jugendhilfen im Strafverfahren keine große Belastung für die Zusammenarbeit dar. Nur in gut einem Fünftel wurde angegeben, dass es seitens der Jugendgerichte Klagen bezüglich der Ausstattung der Jugendgerichtshilfe gäbe. Das Jugendgerichtshilfeb@rometer gibt zudem Aufschluss über konkrete Unstimmigkeiten bei der Kooperation mit den Jugendgerichten. Gefragt wurde danach, ob die Anzahl der Unstimmigkeiten hinsichtlich vorab definierter Bereiche zu- oder abgenommen hat, unverändert blieb bzw. ob es überhaupt Unstimmigkeiten gibt. Dabei zeigen die Befunde der Online-Befragung deutlich, dass es insgesamt nur wenige Unstimmigkeiten mit dem Jugendgericht gibt. Dieses Ergebnis ist umso sicherer einzuschätzen, als im Fragebogen direkt nach konkreten Konfliktthemen gefragt wurde und so die Möglichkeit gegeben war, dazu ohne Umschweife Stellung zu beziehen. Insgesamt legen die Ergebnisse nahe, dass es sich bei den Jugendhilfen im Strafverfahren und den Jugendgerichten um eingespielte Teams handelt, in denen es - vor allem wenn es sich um spezialisierte Jugendhilfen im Strafverfahren handelt - nur wenig Unstimmigkeiten gibt. Der Hauptkonflikt mit knapp 60 % betrifft die Vorschläge der Jugendhilfen im Strafverfahren. Die fachliche Einordnung dieses Befundes ist gleichwohl schwierig: Denn es kann auf der Basis der Daten des Jugendgerichtshilfeb@rometers nicht beantwortet werden, ob die Unstimmigkeiten im Blick auf die Vorschläge der Jugendgerichtshilfen daher rühren, dass die Jugendgerichtshilfen vor allem ihre pädagogische Perspektive einbringen und damit die Partizipationsmaxime der Jugendhilfe einlösen oder aber - was wiederum fachlich ganz anders einzuschätzen wäre - ob die Unstimmigkeiten vor dem Hintergrund einer unterstellten Nicht-Fachlichkeit oder fehlender Anerkennung zu werten sind. Ein weiterer, relativ großer Konfliktpunkt betrifft die Angebotsstruktur der Jugendhilfe: denn über die Hälfte der Organisationseinheiten, nämlich 54 %, haben angegeben, dass es hier Unstimmigkeiten gibt. Vor dem Hintergrund, dass 72 % der Jugendgerichtshilfen angegeben haben, ihrerseits mit der Angebotsstruktur zufrieden zu sein, könnte dies ein Hinweis darauf sein, dass, bezogen auf die Akzeptanz der sozialpädagogischen Leistungen durch die Jugendgerichte, nach wie vor Nachholbedarf gesehen wird. Da die Wahrnehmung von Gerichtsterminen einerseits als klassische Aufgabe der Jugendgerichtshilfen gilt, sich andererseits aber mit Blick auf ihren Status als Qualitätsstandard (Motto: „Die Jugendgerichtshilfe muss an allen Verhandlungen anwesend sein, um die Jugendlichen angemessen vertreten zu können! “) durchaus auch vermehrt kritische Stimmen in die fachliche Auseinandersetzung mischen, hat das Jugendgerichtshilfeb@rometer nicht nur nach der Anwesenheit der Jugendhilfen im Strafverfahren gefragt (vgl. Tabelle 2), sondern auch die Gründe für Nichtanwesenheit erhoben. Nach der Fachdiskussion wäre zu erwarten gewesen, dass die Anbzw. Abwesenheit der Jugendgerichtshilfe in der Hauptverhandlung ein wichtiges Konfliktfeld bildet. Als Kernbefund hinsichtlich der Daten zur Anwesenheit der Jugendgerichtshilfen in der Hauptverhandlung kann festgehalten werden, dass fast die Hälfte an jeder Hauptverhandlung teilnimmt, wobei auch nur in 1,3 % der Jugendgerichtshilfen sogenannte Gerichtsgänger eingesetzt werden. Nimmt man noch den Anteil derer dazu, die zwar nicht zu jeder Hauptver- 104 uj 3 | 2014 Ergebnisse aus dem Jugendgerichtshilfe@barometer handlung gehen, aber in mehr als zwei Drittel der Hauptverhandlungen anwesend sind, erhöht sich die Quote auf insgesamt 85 % der Organisationseinheiten - insgesamt also ein akzeptables Ergebnis. Nichtsdestotrotz muss an dieser Stelle aber auch darauf hingewiesen werden, dass etwa jede zwölfte Jugendgerichtshilfe (8 %) maximal bei einem Drittel der Hauptverhandlungen Präsenz zeigt und die Unstimmigkeiten darüber zugenommen haben. Als Gründe für die Nichtanwesenheit wurden ganz unterschiedliche Motive angeführt: Die häufigsten Nennungen beziehen sich auf Terminüberschneidungen bei Gericht (47 %), auf Zeitmangel/ Arbeitsüberlastung (25 %) und auf Urlaub/ Krankheit (21 %). Neben diesen eher „formalen Gründen“ der Nichtanwesenheit werden aber auch fachliche Überlegungen genannt. Dabei verweisen Begründungsformeln wie z. B. „keine Teilnahme wegen vereinfachtem Verfahren“, „Absprache mit dem Gericht“, „jugendtypisches Delikt“ oder „kein pädagogisches Problem“ darauf, dass es, wie es schon Trenzcek für die von ihm durchgeführte Mitarbeiterbefragung festgestellt hat, „für die überwiegende Zahl der jugendlichen Beschuldigten aus jugendpädagogischer und kriminologischer Sicht nur ‚Normalität‘ zu berichten gibt und ein formelles Strafverfahren aus ‚erzieherischen‘ Gründen gar nicht hätte eingeleitet werden müssen“ (Trenzcek 2003, 37). Also kein Anlass zur Beunruhigung? Wir meinen: Mitnichten, denn Begründungen wie „aktuelle Kindesgefährdungsmeldung“ (bei den ASD-integrierten Jugendgerichtshilfen), „volles Schuldeingeständnis des Jugendlichen“, oder auch „Ablehnung der Anwesenheit der JGH vonseiten des Jugendlichen“ indizieren deutlich strukturelle Probleme bzw. lassen auf Handlungsmuster in der institutionenübergreifenden Kooperation schließen, die trotz der prinzipiell positiven Befunde Anlass geben, diese kritisch zu hinterfragen. Zur Zusammenarbeit mit weiteren Kooperationspartnern Auch die Befunde zu Kooperationen mit weiteren Institutionen dokumentieren vorwiegend gute Bewertungen. Dabei ist auffallend: Je häufiger eine Kooperation stattfindet, desto besser wird sie beurteilt. Und auch umgekehrt: Wenn eine Zusammenarbeit selten erfolgt, so wird sie, im Grunde sehr nahe liegend, auch schlechter bewertet. Dies betrifft vor allem die Kooperation mit der Arbeitsverwaltung und, aus fachlicher Perspektive - Stichwort: Durchgängige Betreuung oder Übergangsmanagement - bedenklich, mit Einrichtungen des Strafvollzugs. Interpretationen dieses Befundes gibt es gleichwohl einige, deren Plausibilität jedoch über die Problematik nicht hinwegtäuschen Die JGH ist anwesend … Alle JGHs JGH ist eigenständige Einheit JGH ist Teil eines ASD JGH ist teilweise oder vollständig an freien Träger delegiert 1-Personen-JGHs …in allen Hauptverhandlungen 48 % 52 % 32 % 69 % 36 % …in mehr als zwei Drittel der Hauptverhandlungen 36 % 38 % 36 % 13 % 52 % …in bis zu zwei Drittel der Hauptverhandlungen 8 % 7 % 13 % 6 % 5 % …in bis zu einem Drittel der Hauptverhandlungen 8 % 3 % 20 % 13 % 7 % Tab. 2: Anwesenheit der JGH in der Hauptverhandlung. Quelle: Jugendgerichtshilfeb@rometer 2011, 55 105 uj 3 | 2014 Ergebnisse aus dem Jugendgerichtshilfe@barometer können. Hinsichtlich der weniger positiven Befunde in Bezug auf die Kooperation mit Haftanstalten wäre eine Erklärung z. B. eine zu große räumliche Distanz, die nicht nur Besuche zum inhaftierten jungen Menschen, sondern nicht zuletzt auch eine Beteiligung an der Vollzugsplanung und ein Übergangsmanagement deutlich erschwert. Weitere Kooperationshindernisse liegen aus Sicht der Jugendgerichtshilfen in einer hohen Personalfluktuation und einer fehlenden pädagogischen Qualifizierung der StaatsanwältInnen begründet. Im Bereich der Staatsanwaltschaft gibt es offenbar - im Gegensatz zu den Jugendhilfen im Strafverfahren - doch noch häufiger „Gerichtsgänger“, die nur selten eine fundiertere Fallkenntnis haben. Zur Angebotsstruktur aus Sicht der Jugendgerichtshilfe Im Blick auf die Ausgestaltung der örtlichen Angebotsstruktur, respektive auf die Verfügbarkeit sogenannter „besonderer Angebote“ für straffällige Jugendliche, zeigen die Befunde der Online-Befragung, dass die Angebotsstruktur ganz überwiegend (72 %) als „angemessen“ bewertet wird. Nach Einschätzung der befragten Jugendgerichtshilfen können die bereitgestellten Kapazitäten die Nachfrage zumeist gut abdecken. In knapp der Hälfte der Fälle wurde für die letzten zwei Jahre sogar eine Ausdifferenzierung der Maßnahmen, vor allem im deliktbezogenen und zielgruppenspezifischen Bereich angegeben. So weit, so gut? Nein, denn die Tatsache, dass von 28 % der Jugendgerichtshilfen die Angebotsstruktur als unzureichend eingeschätzt wird, verweist auf durchaus ernst zu nehmende Probleme, die angesichts der positiven Gesamtlage keinesfalls bagatellisiert werden dürfen: Offenbar ist es nicht im erwünschten Maße möglich, tatsächlich immer passende Maßnahmen für die Jugendlichen vorzuhalten. Dabei haben 9 % der Jugendgerichtshilfen weiter angegeben, dass in den letzten zwei Jahren Angebote weggefallen sind. Erhebliche Defizite werden vor allem gesehen mit Blick auf die Verfügbarkeit von U-Haftvermeidungsangeboten, von Betreuungsangeboten in und nach der Haft sowie von Angeboten der Rufbereitschaft. Vor allem in den westlichen Bundesländern scheinen die gegebenen Möglichkeiten hier noch stark ausbaufähig. Angebote zum Täter-Opfer-Ausgleich sind hingegen nahezu flächendeckend vertreten, wobei das Jugendgerichtshilfeb@rometer freilich keine Schlüsse dahin gehend zulässt, ob die prinzipielle Gelegenheit zum Täter-Opfer-Ausgleich auch tatsächlich genutzt wird - der Blick in die Fachdiskussion lässt jedenfalls darüber berechtigte Zweifel aufkommen (Hüncken 2010). Besondere Beachtung verdienen die Befunde des Jugendgerichtshilfeb@rometers zu ambulanten sozialpädagogischen Leistungen: Ambulante Angebote wurden als Jugendhilfeangebote für straffällige Jugendliche mit dem speziellen Anliegen entwickelt, wirksame Alternativen zu dem traditionellen jugendgerichtlichen, respektive freiheitsentziehenden Sanktionsinstrumentarium anzubieten. Mit der Aufnahme der sogenannten „neuen“ ambulanten Maßnahmen in das JGG durch das 1. JGGÄndG vom 30. 8. 1990 sollten die Reaktionsmöglichkeiten des Jugendgerichts besonders in Fällen der leichten bis mittelschweren Straffälligkeit verbessert werden. Als Zielgruppe waren und sind dabei vor allem jene Jugendlichen und Heranwachsenden anvisiert, die aufgrund ihrer besonderen, benachteiligten Lebenssituation einen Anspruch auf Leistungen seitens der Jugendhilfe haben, gleichzeitig aber aufgrund ihrer Straffälligkeit von Freiheitsentzug bedroht sind (Brakhage/ Drewniak 1999). Vor dem Hintergrund der zunehmenden und fachlich in hohem Maße bedenklichen Problematik von Ungehorsamsbzw. Beugearresten - ein erheblicher Anteil des Arrests wird Berich- 106 uj 3 | 2014 Ergebnisse aus dem Jugendgerichtshilfe@barometer ten zufolge zwischenzeitlich als Ungehorsamsarrest verhängt (Seidl u. a. 2013) - verdienen die nachfolgend skizzierten Befunde zu Maßnahmenabbrüchen besondere Beachtung: denn danach befragt, ob bzw. wie häufig es zu einem Abbruch von ambulanten Maßnahmen wie z. B. Arbeitsweisungen und -auflagen, Sozialen Trainingskursen, Täter-Opfer-Ausgleich und Betreuungsweisungen kommt, weisen die Antworten der Jugendgerichtshilfen auf erhebliche fachliche Probleme hin. Ein Viertel der Jugendgerichtshilfen hat angegeben, dass Arbeitsleistungen häufig, über die Hälfte (56 %) manchmal abgebrochen worden sind. Auch bei den Sozialen Trainingskursen haben insgesamt 40 % der Jugendgerichtshilfen angeführt, dass diese häufig oder manchmal abgebrochen werden. Diese beiden Befunde sind besonders kritisch. Sie lassen Zweifel daran aufkommen, inwiefern seitens der Jugendgerichte eine passende Maßnahme und wenn ja, auch im richtigen, realistischen Umfang auferlegt wurde. Auch stellt sich hier durchaus die Frage, wie die Jugendgerichtshilfen ihre Möglichkeiten im Rahmen der Sanktionsvorschläge und der pädagogischen Begleitung und Ausgestaltung der Maßnahmen besser ausschöpfen können. Wie oben bereits angedeutet, ist die Folge von abgebrochenen ambulanten Maßnahmen häufig der Beuge- oder Ungehorsamsarrest. Im Jugendgerichtshilfeb@rometer berichtet ein Drittel der Jugendgerichtshilfen, dass die Verhängung des Ungehorsamsarrestes von 2007 auf 2008 zugenommen hat. Dieser Anstieg der Ungehorsamsarreste lässt Sorge darüber aufkommen, ob der Grundsatz, nach Möglichkeit Freiheitsentzug durch ambulante Maßnahmen zu vermeiden, eingelöst wird. Auch Jugendliche mit unterschiedlichen Migrationshintergründen begehen Straftaten und Walter (2010) belegt: Im Jugendstrafvollzug sind ethnische Minoritäten deutlich überproportional vertreten. Die mutmaßlichen Gründe hierfür sind komplex. Sie sind einerseits in den Lebenslagen von Jugendlichen mit Migrationshintergründen zu finden, andererseits aber auch in den institutionellen Reaktionen und Umgangsweisen. So gibt es deutliche Hinweise darauf, dass es trotz durchaus vorhandener Angebote offenbar noch nicht überall ausreichend gelungen ist, Zugang zu Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu gewinnen. In diesem Zusammenhang ist das Jugendgerichtshilfeb@rometer der Frage nachgegangen, ob und inwiefern das Thema „Migration“ in den Jugendgerichtshilfen eine Rolle spielt und ob Jugendliche mit Migrationshintergründen als besondere Herausforderung betrachtet werden. Zunächst zeigen die Befunde des Jugendgerichtshilfeb@rometers, dass der Umgang mit Jugendlichen mit Migrationshintergründen inzwischen vielfach zum Alltag der Jugendgerichtshilfen gehört: Fast die Hälfte der Jugendgerichtshilfen hat angegeben, dass der Anteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund bezogen auf alle Jugendlichen, gegen die die Staatsanwaltschaft ein Verfahren eingeleitet hat, 20 % und mehr beträgt. Dabei wird keine Migrantengruppe spezifisch als eine besondere Herausforderung für die Arbeit herausgehoben. Die Angaben hierzu - genannt werden z. B. Jugendliche aus der ehemaligen Sowjetunion, Aussiedlerjugendliche und Türken - variieren vielmehr sehr stark und dürften vor allem mit den regionalen Besonderheiten vor Ort zusammenhängen. 37 % der Jugendgerichtshilfen haben angegeben, dass „keine Migrantengruppe“ eine besondere Herausforderung darstellt. Wie ist nun dieser Befund zu werten? Als Hinweis, dass in der alltäglichen Arbeit hier „alles rund läuft“ bzw. doch besser, als die Befunde von Walter (2010) und die öffentliche Diskussion es nahelegen? In der Fachdebatte der Kinder- und Jugendhilfe gilt als ein wichtiger Indikator für einen erfolgreichen professionellen Umgang mit AdressatInnen eine „interkulturelle Öffnung“, d. h. vor allem 107 uj 3 | 2014 Ergebnisse aus dem Jugendgerichtshilfe@barometer auch die Beschäftigung von Personal mit Migrationshintergrund. Durch eine solche Strategie, so die Argumentation, sei nicht nur ein leichterer Zugang zu den Jugendlichen und ihren Familien möglich, sondern auch eine erhöhte Sensibilität für Migrationserfahrungen, die im Hilfeverlauf genutzt werden kann. Mit 15 % ist jedoch der Anteil von Jugendgerichtshilfen, in denen es überhaupt Personal mit Migrationshintergrund gibt, im Vergleich zu anderen Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe vergleichsweise gering - und dies wird sich, da es sich bei den Jugendhilfen im Strafverfahren um eher kleine Arbeitseinheiten mit wenig Fluktuation handelt, absehbar auch nur langsam ändern. Nur in 11 % aller Jugendgerichtshilfen gibt es spezielle Angebote für Jugendliche mit Migrationshintergründen, wobei es deutliche Stadt- Land-Unterschiede gibt. Spezialisierte Zuständigkeiten für diese Zielgruppe wurden nur sehr vereinzelt (2 %) genannt. Erstaunlicherweise trifft dies auch für Arbeitseinheiten zu, die besonders häufig Jugendliche mit einem Migrationshintergrund zu ihrem Adressatenkreis zählen. Auch hier reagiert nur ein kleinerer Teil mit speziellen Angeboten, spezialisierten Zuständigkeiten oder der Einbindung von Migrantenselbstorganisationen. Lediglich hinsichtlich des Personals mit Migrationshintergrund lässt sich eine deutliche Differenz erkennen, wenn der Anteil der AdressatInnen mit einem Migrationshintergrund höher ist. Spezialisierte Zugänge scheinen demnach nicht das favorisierte fachliche Vorgehen im Umgang mit Jugendlichen mit Migrationshintergründen zu sein - was wiederum auf die Bedeutung der interkulturellen Öffnung der Regeldienste, in diesem Fall der Jugendhilfe im Strafverfahren, hinweist. Fazit und Herausforderungen: „… alles im grünen Bereich? “ Die Befunde des Jugendgerichtshilfeb@rometers zeigen insgesamt eine gute Ausstattung oder genau formuliert, die befragten Arbeitseinheiten blicken alles in allem doch eher mit Zufriedenheit auf ihr Arbeitsfeld. Die Ergebnisse werden im Großen und Ganzen auch durch das in Kürze vorliegende „Jugendgerichtsbarometer“, einem Kooperationsprojekt der Universität Kassel und dem DJI, bestätigt. Hier wurden bundesweit JugendrichterInnen sowie JugendstaatsanwältInnen unter anderem zur Kooperation mit der Jugendhilfe im Strafverfahren und zur Angebotsstruktur befragt. Dennoch: auch in diesem vermeintlich privilegierten Bereich gibt es noch einiges zu verbessern oder aufmerksam zu verfolgen. Zusammen mit den langjährigen Feldbeobachtungen der DJI-Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention und weiteren empirischen Erhebungen im Kontext der Jugendstrafverfahren, z. B. bezogen auf die Hintergründe des Jugendarrestes, zeichnen sich eine ganze Reihe von Herausforderungen ab, von denen wir an dieser Stelle lediglich einige zentrale Punkte als fachliche Merkposten herausgreifen und skizzieren wollen: ➤ Ressourcen: Nicht überall sind die Jugendhilfen im Strafverfahren so ausgestattet, wie es für die fachgerechte Umsetzung des § 52 SGB VIII notwendig wäre. Besondere Herausforderungen stellen sich z. B., wenn die Jugendhilfe durch nur eine Person gewährleistet werden muss. ➤ Kooperation: Die kontinuierliche Pflege und der Ausbau der nicht nur einzelfallbezogenen Kooperation muss weiterhin engagiert fortentwickelt werden - auch zu weiteren Institutionen, wie z. B. zum Strafvollzug hin. ➤ Angebotsstruktur: Auch wenn vielerorts innovative Projekte entwickelt und mit großem persönlichen Einsatz Einzelner erfolgreich umgesetzt werden, so weist die Angebotsstruktur in der Fläche durchaus noch Defizite auf: Dabei besteht vor allem in der adressatengerechten Entwicklung von Angeboten, z. B. im Blick 108 uj 3 | 2014 Ergebnisse aus dem Jugendgerichtshilfe@barometer auf „besondere“ Zielgruppen, etwa mit unterschiedlichen Migrationshintergründen, aber auch straffällige Mädchen oder suchtbelastete Jugendliche, ein deutlicher Bedarf. Eine weitere Verbesserung der Angebotsstruktur liegt in der Einrichtung von Rufbereitschaften, die durch Haftentscheidungshilfe die Untersuchungshaftvermeidung eher ermöglichen können. ➤ Qualitative Weiterentwicklung Ambulanter Maßnahmen: Sollen die Grundsätze „informell statt formell“ und „ambulant statt stationär“ mit Leben gefüllt werden, ist es vor allem eine Aufgabe der Jugendgerichtshilfe, mit zeitgerechten Vorschlägen und geeigneten Angeboten die Diversion zur fördern, Arbeitsweisungen und -auflagen pädagogisch zu begleiten und auch andere ambulante Maßnahmen so zu gestalten, dass Abbrüche vermieden werden. So kann die Verhängung von Ungehorsamsarrest verhindert werden. Last but not least, auch der fachlich vielfach kritisierte sog. Warnschussarrest (§ 16 a JGG) kann durch geeignete Jugendhilfemaßnahmen vermieden werden. Die Jugendgerichtshilfe sollte gerade in der Einführungsphase der Regelung in den Verfahren darauf hinwirken, dass nach Möglichkeit kein Freiheitsentzug erfolgen muss. Diese Liste hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit und ließe sich unschwer noch weiter fortsetzen und ausdifferenzieren. An dieser Stelle bleibt festzuhalten: Aus fachlicher Sicht gilt es, weiterhin konsequent die pädagogische Perspektive zu jedem Zeitpunkt des Strafverfahrens aktiv und mit fachlichem Selbstbewusstsein einzubringen. Jugendhilfe im Strafverfahren heute ist nicht Soziale Arbeit im Souterrain der Justiz. Mit ihrer pädagogischen Kompetenz ist sie unverzichtbarer Akteur zur Umsetzung des Erziehungsgedankens und ein Garant für die Mitwirkung der Jugendlichen. Bernd Holthusen Dr. Sabrina Hoops Deutsches Jugendinstitut (DJI) e.V. Abteilung Jugend und Jugendhilfe Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention Nockherstr. 2 81541 München hoops@dji.de holthusen@dji.de Literatur Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention, Projekt „Jugendhilfe und Sozialer Wandel“ (Hrsg.), 2011: Das Jugendgerichtshilfeb@rometer. Empirische Befunde zur Jugendhilfe im Strafverfahren in Deutschland. München. www.dji.de/ bibs/ jugendkriminalitaet/ Band12_Jugendgerichtshilfebarometer. pdf, 16. 12. 2013, 129 Seiten Brakhage, M./ Drewniak, R., 1999: „… Sonst wäre ich im Knast gelandet…“ Die ambulanten Maßnahmen aus der Perspektive der betroffenen Jugendlichen. Baden-Baden Breymann, K., 2009: Kooperation im Jugendstrafverfahren. In: Goerdeler, J./ BAG Jugendhilfe im Strafverfahren in der DVJJ (Hrsg.): Jugendhilfe im Strafverfahren. Arbeitshilfen für die Praxis. Hannover, 201 - 207 Drewniak, R., 2010: Ambulante sozialpädagogische Maßnahmen als Alternativen zum Freiheitsentzug. In: Dollinger, B./ Schmidt-Semisch, H. (Hrsg.): Handbuch Jugendkriminalität. Kriminologie und Sozialpädagogik im Dialog. Wiesbaden, 393 - 404 Gadow, T./ Holthusen, B./ Hoops, S., 2012: JGH als One- Man-Show? Fachliche Herausforderung „Ein-Personen-Jugendgerichtshilfe“. In: ZJJ Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe, 23. Jg., H. 3, 303 - 308 Goerdeler, J., 2005: Jugendgerichtshilfe durch freie Träger. Voraussetzungen und Ausgestaltung der Be- 109 uj 3 | 2014 Ergebnisse aus dem Jugendgerichtshilfe@barometer teiligung der Freien Jugendhilfe bei der Mitwirkung im Strafverfahren. In: ZJJ Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe, 16. Jg., H. 4, 422 - 429 Goerdeler, J., 2006: The never ending story: das Verhältnis von Jugendhilfe und Justiz im Jugendstrafrecht. Einige Anmerkungen zur „Steuerungsverantwortung des öffentlichen Jugendhilfeträgers“. In: ZJJ Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe, 17. Jg., H. 1, 4 - 11 Goerdeler, J., 2009: Jugendhilfe im Strafverfahren (Ju- HiS). Eine fachliche Empfehlung für die Handhabung der Mitwirkungsaufgabe nach § 52 SGB VIII der BAG JuHiS in der DVJJ. In: Goerdeler, J./ BAG Jugendhilfe im Strafverfahren in der DVJJ (Hrsg.): Jugendhilfe im Strafverfahren. Arbeitshilfen für die Praxis. Hannover, 13 - 44 Hüncken, A., 2010: Standard-Tanker und TOA-Boote: Zur Veröffentlichung der Neuauflage der TOA-Standards. In: ZJJ Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe, 21. Jg., H. 3, 320 - 323 Müller, S./ Otto, H.-U., 1986: Sozialarbeit im Souterrain der Justiz. Plädoyer zur Aufkündigung einer unheiligen Allianz. In: Müller, S./ Otto, H.-U. (Hrsg.): Damit Erziehung nicht zur Strafe wird. Bielefeld, VII - XXII Seckinger, M./ Gragert, N./ Peucker, Ch./ Pluto, L., 2008: Arbeitssituation und Personalbemessung im ASD. Ergebnisse einer bundesweiten Online-Befragung. München Seidl, C./ Holthusen, B./ Hoops, S., 2013: Ungehorsam? Arrest! Ungehorsamsarrest als vergessene Herausforderung im Jugendstrafverfahren. In: ZJJ Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe, 24. Jg., H. 3, 292 - 295 Trenczek, T., 2003: Die Mitwirkung der Jugendhilfe im Strafverfahren. Konzeption und Praxis der Jugendgerichtshilfe. Weinheim/ Basel/ Berlin Walter, J., 2010: Minoritäten im Strafvollzug. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, H. 7, 40 - 46 3., vollst. überarb. und erw. Auflage 2011. 717 S. Mit 56 Übersichten UTB-L (978-3-8252-8480-0) kt Fundiertes Standardwerk Dieses Buch gibt einen umfassenden Überblick über die Grundlagen des Rechts und seine großen Teilgebiete, die für Studium und Praxis (nicht nur) der Sozialen Arbeit relevant sind. Viele Fallbeispiele aus den unterschiedlichsten Feldern der Sozialen Arbeit veranschaulichen die Ausführungen zur Rechtssprechung in den unterschiedlichen Bereichen. 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