eJournals unsere jugend 66/6

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2014.art32d
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Rezension zu Thomas Kistner, 2012: FIFA MAFIA. Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball

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Dieter Kreft
Ein erster Blick von 'oben' und von 'unten': Woche für Woche pilgern in der Saison allein in der deutschen (1.) Bundesliga bis zu einer Million Menschen am Wochenende in die Stadien, am Samstag schauen immer noch über fünf Millionen in der ARD die Fußball-Sportschau, das Champions-League-Endspiel im Wembley-Stadion in London haben 2013 in Deutschland über 21 Millionen und weltweit über 360 Mil­lionen Menschen verfolgt. So viel 'von oben' zur Fußballmacht.[…]
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uj 6 | 2014 281 Rezensionen Ein erster Blick von „oben“ und von „unten“: Woche für Woche pilgern in der Saison allein in der deutschen (1.) Bundesliga bis zu einer Million Menschen am Wochenende in die Stadien, am Samstag schauen immer noch über fünf Millionen in der ARD die Fußball-Sportschau, das Champions-League-Endspiel im Wembley-Stadion in London haben 2013 in Deutschland über 21 Millionen und weltweit über 360 Millionen Menschen verfolgt. So viel„von oben“ zur Fußballmacht. Aber auch „von unten“ ist Fußball etwas sehr Besonderes. Als Nürnberger habe ich selbstverständlich seit Jahren eine Dauerkarte für den 1. FC Nürnberg, den berühmten „Club“. Schon die Fahrt mit der Straßen- oder U-Bahn bis zum Dutzendteich und der anschließende etwa 20-minütige Weg entlang am alten Aufmarschgelände der Reichsparteitage hat was sehr Spezielles. Und im Stadion erlebe ich noch Gefühle, die ich sonst recht gut unter Kontrolle habe. Ich rege mich (fast peinlich) auf - besonders über Schiedsrichter -, ich beklage „schreiendes Unrecht“ - etwa bei selbstverständlich immer unberechtigten Elfmetern gegen den Club -, es „rieselt“ über meinen Rücken (wie sonst nur gelegentlich in großen Konzerten), wenn der Club Spiele noch umbiegt, und ich diskutiere wild mit mir ansonsten völlig fremden Menschen. Es ist einfach wunderbar, so etwas alle zwei Wochen erleben zu können. Ich gehöre also zu „den Fans, … die keinen materiellen Profit aus dem Spiel ziehen und es so sehr lieben, dass sie es zum größten Ereignis des Planeten gemacht haben… Menschen, die nicht Geschäft, Macht und Selbsterhöhung mit Fußball verbinden, sondern Freude, Lust, Vergnügen“ (Einleitung, S. 8). Das große Geschäft: Dabei weiß ich als auch sporttheoretisch Interessierter, dass Fußball heute ein Teil des durchkommerzialisierten nationalen und internationalen Spitzensports ist, also „vom exotischen Freizeitvergnügen zum Spektakel der Massengesellschaft (geworden ist)“ (SZ-Beilage Jahrhundert des Sports vom 8. 12. 1999). Und schon der Freibeuter hat 1997 (72/ 1997) davon gesprochen, dass „auf dem Markt der Freuden der Sport (inzwischen) eine herausragende Rolle (spielt). Die Mythensehnsucht des Publikums und das Gewinnstreben der Macher und ihrer Manager fügen sich passgenau ineinander“. Mittendrin in diesem lukrativen Gelände bestimmt die FIFA (Fédération Internationale de Football Association) mit Sitz in Zürich für den Fußball die Geschäfts- und Spielregeln. Sie organisiert verschiedene Fußballwettbewerbe, darunter die Männer- und Frauen-WM. Präsident ist seit 1998 der Schweizer Josef (Sepp) Blatter. Die FIFA ist ein Monopolist. Wie in anderen Sportarten auch, gibt es im Fußball nur einen Weltverband. Die umfassende Kommerzialisierung des Fußballs durch die FIFA und ihre Sponsoren ist von vielen bereits um die WM von 2006 in Deutschland herum heftig kritisiert worden, die inzwischen bezeichnenderweise als „Sommermärchen“ bezeichnet wird. Wer nicht „den Segen“ der FIFA hatte und doch ein ganz klein wenig von diesem Großereignis profitieren wollte und dabei gegen die Vermarktungsprivilegien des Fußballweltverbandes verstieß, der wurde notfalls mit hartem gerichtlichen Vorgehen in die schöne Wirklichkeit der FIFA zurückgeholt. Und wer sich beim Fußball nicht nur für die Ergebnisse und den sogenannten 1 : 0-Journalis- Thomas Kistner, 2012: FIFA MAFIA. Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball Droemer-Verlag, München, 432 Seiten, € 19,99 282 uj 6 | 2014 Rezensionen mus interessiert, sondern sich angesichts der fortschreitenden Kommerzialisierung und der allgemeinen Veränderung der Szene sorgt (Kinderverpflichtungen, Spielerberater, Spielergehälter, Ablösesummen, die CL als Geldmaschine für wenige Vereine, die dadurch ihre Dominanz sichern mit der Folge einer Dreiteilung in der deutschen Bundesliga und, und, und), der hatte schon lange einen kritischen Blick auf den quasi allmächtigen„gemeinnützigen Verein“ (! ) FIFA. Thomas Kistner und sein Buch: Und nun haben wir mit dem Buch von Thomas Kistner den Beleg dafür, dass unsere gelegentlich noch recht dumpfen Vorurteile gegenüber „der Geldmaschine FIFA“ sehr real und überdies belegbar sind. Kistner, Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung, ist einer der wenigen investigativen Journalisten seines Fachs. Hochgeehrt, 2006 Sportjournalist des Jahres, 2008 mit dem Theodor- Wolff-Preis ausgezeichnet, für das Buch FIFA MAFIA wurde er 2012 von der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur mit dem Preis für das beste Fußballbuch des Jahres geehrt. Dieses Buch ist die Summe seiner vieljährigen Recherchen zum Milliardenunternehmen FIFA, gewissermaßen „ein Schwarzbuch der Fußball-Weltmacht“ (Stuttgarter Zeitung vom 3. 5. 2012). Es ist schon faszinierend, bereits in der Einleitung die geballte Empörung des Autors gegenüber diesem Verband zu spüren, der „unter Blatter zum Synonym für Korruption geworden (ist)“ (Einleitung, S. 13). Und die Linienführung von der FIFA-Gründung 1904 über die Namen Horst Dassler (Kapitel„Der Pate“), dem„Erfinder des modernen Sportmarketings“, dessen Sarg 1987 bereits Jo-o Havelange, Juan Antonio Samaranch und Sepp Blatter folgten, bis hin zu Thomas Bach und zu Michel Platini, dem bereits bereitstehenden Blatter-Nachfolger, ist schon vielsagend. Schwindlig werden kann der/ die LeserIn durch die Lektüre der beiden Kapitel„Vor dir neigt sich die Erde“ und„Dunkle Kanäle“ - vor allem durch den darin geschilderten harten Konflikt zwischen Havelange und Pelé sowie Blatters Aufstieg in der FIFA. Jedenfalls wurde Josef (Sepp) Blatter 1998 erstmalig zum FIFA-Präsidenten gewählt, zuletzt 2011 für eine vierte Amtszeit. Er ist jetzt gewissermaßen der „Allmächtige“ der FIFA, er kann„im Alleingang Finanzgeschäfte des Milliardenbetriebes abzeichnen, und das (schon) seit 1998. Damals hatte er den Thron in einer Wahlschlacht erobert, die heute selbst von seinen damaligen Helfern als hoch korrupt bezeichnet wird“ (Einleitung, S. 17). Und so geht es weiter. Wer dieses fast minutiös geschilderte korrupte Geflecht selber erkennen will, der muss sich wohl die Mühe machen, die 426 Seiten zu lesen und zu bedenken. Für jeden, der nicht nur oberflächlich an Fußball interessiert ist, bleibt dieser Titel allerdings eine Pflichtlektüre. Besonders lesenswert fand ich das Kapitel „Eine schrecklich nette Familie“, das die Entscheidungen zur Vergabe der WM 2018 (Russland) und 2022 (Katar) behandelt, man liest es, und man glaubt es kaum, diesen Abgrund von Korruption. Und nun einfach weiter so? Natürlich wird vom 12. Juni bis zum 13. Juli 2014 die FIFA-Fußball-WM in Brasilien stattfinden, sie wird erneut Ruhm, Einfluss und Einnahmen der ehrenwerten Gesellschaft mehren. Natürlich werden sich wieder hunderte Millionen Menschen auf dem ganzen Planeten dafür interessieren, fernsehen und mit ihren „Lieblingen“ fiebern, inzwischen immer mehr geprägt von Nationalismen, wo „alles zwischen Verherrlichung und Untergang oszilliert“ (Einleitung, S. 20). Als ich noch wettkampfmäßig als lupenreiner Amateur Handball spielte, haben wir das schöne Wort entwickelt, „wenn wir am Sonntag verlören, nähme die Nation keinen Schaden“, es spielte sich sehr angenehm ohne besonderen uj 6 | 2014 283 Rezensionen Druck. Auf der deutschen Nationalmannschaft wird hingegen ein riesiger Druck lasten, denn alles unterhalb des Gewinns der WM ist eigentlich nicht akzeptabel - aber wenigstens werden die Spieler sehr gut honoriert. Dass diese WM nun in dem Land stattfindet, aus dem Havelange stammt, der schlimmste Autokrat des Weltfußballs und korrupt bis zum Abtritt, ist allerdings schon ein schlechter Treppenwitz. Insgeheim denke ich ja immer wieder mal darüber nach, mich dem „Sog des Fußballs“ zu entziehen und vielleicht als Zuschauer zu meinen Ursprüngen zurückzukehren und mir regelmäßig die Heimspiele der A-Jugend der Handballer des HC Erlangen in der Bundesliga Staffel Süd anzuschauen, weil die doch noch angenehm weit weg sind vom Korruptionssumpf der FIFA. Aber ich werde auch - nun allerdings als Wissender nach der Lektüre dieses Buches - weiterhin zum Club gehen (selbstverständlich auch in der zweiten Bundesliga) und natürlich die Fußball-WM am Fernseher verfolgen. Allerdings doch deutlich noch weiter desillusioniert als bereits zuvor - und das ist ja dann doch schon ein kleiner Erfolg der in FIFA MAFIA dargestellten Verflechtungen und Enthüllungen? Ganz zum Schluss lässt Kistner ein wenig Hoffnung anklingen: Er verweist auf Beschlüsse des Europarates, das System FIFA zu öffnen, auch auf das Verhalten der Regierung Dilma Rousseff in Brasilien, die die Hoffnung nach einer anderen FIFA stützen. „Schau’n wir mal“, um mit den bekannten Worten eines Mitwirkenden aus Deutschland in der FIFA-Welt zu enden. Prof. Dieter Kreft, Nürnberg DOI 10.2378/ uj2014.art32d Rainer Kilb/ Jens Weidner, 2013: Einführung in die Konfrontative Pädagogik Mit 5 Abbildungen, 4 Tabellen und 6 Übersichten sowie einem Beitrag von Manfred Oster zu neurowissenschaftlichen Befunden zu Gewaltdispositionen. München/ Basel: Reinhardt UTB, 158 Seiten, € 19,99 Vorab sehr kurz, worum es geht. „Konfrontative Pädagogik/ K. P. ist der Oberbegriff für spezielle Handlungsstrategien im professionellen Umgang mit abweichendem und aggressivem Verhalten von Kindern und Jugendlichen … Regelverletzungen, die sozial-kommunikative Gruppenbezüge stören oder individuelle Freiheitsrechte und die Unversehrtheit von Personen beeinträchtigen, werden nicht akzeptiert. Die auslösenden Personen werden mit diesen Regelverletzungen und ihren Folgen möglichst zeitnah konfrontiert. Formen der K. P. sind beispielsweise das Anti-Aggressivitäts-Training, das Coolness-Training oder das Konfrontative soziale Training“ (nach Wikipedia, Eintrag zur Konfrontativen Pädagogik vom 28. 9. 2013). Nach Kilb/ Weidner ließe sich„der Begriff deshalb auch mit dem Slogan ,Mut zur Erziehung‘ umschreiben“ (S. 11). Wie ein „Markt“ erobert und gestaltet werden kann. Das nenne ich ein geradezu perfektes produkt placement: Schon 1997 erschien von Weidner u. a. „Gewalt im Griff 1. Neue Formen des Anti-Aggressivitätstrainings (inzwischen in 5. Auflage 2009), 2011 von Weidner/ Kilb das „Handbuch Konfrontative Pädagogik“, nun „als kleinstes denkbares Format“ 2013 von Kilb/ Weidner eine Art Schnellübersicht mit „Einführung in die Konfrontative Pädagogik“ überschrieben.