eJournals unsere jugend 66/7+8

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2014.art37d
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2014
667+8

Soziale Kompetenz - nicht nur für KlientInnen!

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2014
Arno Drinkmann
KlientInnen und Professionelle in der Sozialen Arbeit brauchen soziale Kompetenzen - die einen, um langfristig keine KlientInnen mehr zu sein, die anderen, um es nicht zu werden. Wie sehen typische soziale Herausforderungen für Professionelle aus und welche sozialen Kompetenzen benötigen sie, um eine gute Arbeit zu machen?
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313 unsere jugend, 66. Jg., S. 313 - 325 (2014) DOI 10.2378/ uj2014.art37d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Prof. Dr. Arno Drinkmann Jg. 1955; Diplom- Psychologe, Professor für Psychologie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Fakultät für Soziale Arbeit Soziale Kompetenz - nicht nur für KlientInnen! Das Soziale Kompetenztraining für die Soziale Arbeit - SKSA KlientInnen und Professionelle in der Sozialen Arbeit brauchen soziale Kompetenzen - die einen, um langfristig keine KlientInnen mehr zu sein, die anderen, um es nicht zu werden. Wie sehen typische soziale Herausforderungen für Professionelle aus und welche sozialen Kompetenzen benötigen sie, um eine gute Arbeit zu machen? 1 Einleitung Trainings zur Sozialen Kompetenz können als Musterbeispiel für verhaltensorientierte Soziale Arbeit gelten. Soziale Kompetenz ist für KlientInnen und Professionelle der Sozialen Arbeit gleichermaßen wichtig. Für Erstere, weil soziale Kompetenzdefizite häufig damit zusammenhängen, dass sie zu KlientInnen der Sozialen Arbeit geworden sind, weil eine Verbesserung ihrer entsprechenden Kompetenz daher ein zentrales Interventionsziel darstellt und weil sie wichtig für die nachhaltige Sicherung von erzielten Verbesserungen ist. Für SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen ist soziale Kompetenz zum einen ein Thema, weil sie - wie gerade gesagt - für ihre KlientInnen wichtig ist. Darüber hinaus benötigen sie aber selbst auch ein gehöriges Maß davon, v. a. weil sie als Personen eine Modellfunktion für ihre KlientInnen haben (besonders in der Jugendhilfe) und weil sie als typisches Kennzeichen ihrer Berufspraxis oft mit besonderen und schwierigen sozialen Herausforderungen konfrontiert sind, die ihre soziale Kompetenz in besonderer Weise fordern. Dieser Beitrag argumentiert, dass SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen ihre eigenen sozialen Kompetenzen in der Aus-, Fort- und Weiterbildung systematisch erweitern sollten - zunächst in den Grundkompetenzen, die für jedermann/ jedefrau wichtig sind, dann aber vor allem auch in berufsbezogenen sozialen Kompetenzen. Eine bewährte methodische Basis dafür bietet das Soziale Kompetenztraining für die Soziale Arbeit (SKSA) von Drinkmann und Schiebel (2004; 2013). Trainings wie dieses können 1 Dieser Beitrag basiert auf einem Vortrag, der auf dem „Zweiten Wissenschaftlichen Kolloquium zur Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit“ der Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt im Juni 2013 gehalten wurde. 314 uj 7+8 | 2014 Verhaltensorientierte Kompetenztrainings nebenbei auch einen allgemein präventiven Effekt haben, indem sie z. B. Burn-out-Entwicklungen vorbeugen. Daneben sollten SozialarbeiterInnen/ SozialpädagogInnen über spezifische Fertigkeiten verfügen, um soziale Kompetenzdefizite ihrer KlientInnen erkennen und funktional analysieren zu können. Und sie sollten als BeraterInnen, TrainerInnen oder Coaches die sozialen Kompetenzen ihrer KlientInnen systematisch entwickeln und erweitern können. Soziale Kompetenztrainings als Beispiel eines verhaltensorientierten Arbeitens sollen im Folgenden aus zwei Perspektiven beleuchtet werden: ➤ der des Nutzens, den KlientInnen der Sozialen Arbeit aus der Verbesserung ihrer sozialen Kompetenzen ziehen können, und ➤ der des Nutzens, den SozialarbeiterInnen/ SozialpädagogInnen aus der Selbstoptimierung durch ein systematisches Training ihrer eigenen, v. a. der berufsbezogenen sozialen Kompetenzen ziehen können. Zunächst sollen jedoch einige theoretische Grundlagen zum Konstrukt der sozialen Kompetenz präsentiert werden. Was sind soziale Kompetenzen? Historie Ein kurzer Blick zurück in die Anfänge der theoretischen Beschäftigung mit sozialer Kompetenz zeigt, wovon man vor ca. 60 Jahren gesprochen hat, wenn es um das Phänomen „Selbstsicherheit“ (assertiveness) ging - so lautete nämlich seinerzeit die übliche Bezeichnung. Selbstsicherheit galt Forschern wie Salter (1949) und Wolpe (1958) noch als relativ stabile Persönlichkeitseigenschaft (trait). Vor allem zwei Beobachtungen führten dazu, dass diese Vorstellung aufgegeben wurde: die der Bereichsspezifität, d. h. dass Menschen je nach Lebensbereich recht unterschiedliche Ausprägungen von Selbstsicherheit zeigen können, und die der guten Veränderbarkeit i. S. von Erlernbarkeit bzw. Trainierbarkeit von selbstsicherem Verhalten. In der Folge wurde in späteren Konzeptionen (vgl. Lazarus 1963) falsch oder nicht gelerntes Sozialverhalten im Mittelpunkt gesehen. Noch später kam es dann im Zuge der allgemeinen Kognitivierung der Lerntheorie auch bei den Selbstsicherheitstrainings zu einer stärkeren Einbeziehung von kognitiven und emotionalen Faktoren (vgl. Fliegel et al. 1994). Definition Inzwischen ist es nicht mehr nötig, die über mehrere Jahrzehnte z. T. recht kleinteilig geführte Diskussion zur Definition von sozialer Kompetenz nachzuzeichnen. Für ein gegenwärtiges Verständnis mag der Hinweis genügen, dass frühe Definitionen oft die Maximierung des eigenen Nutzens durch Einsatz sozial kompetenten Verhaltens in den Vordergrund stellten, etwa indem die Durchsetzung eigener Interessen oder Rechte sowie die Ablehnung von Wünschen anderer fokussiert wurden (vgl. Fliegel et al. 1994). Demgegenüber findet sich in aktuellen Definitionen auch der Aspekt der sozialen Verträglichkeit, indem etwa nicht nur die Überwindung sozialer Unsicherheit und Ängstlichkeit als Ziel gesehen wird, sondern auch die von aggressivem Durchsetzungsverhalten (als zwei nicht-kompetente Pole einer Verhaltensskala). Zu dem möglichen Ziel einer Steigerung des Durchsetzungsverhaltens sind auch noch dessen explizite Reduzierung (bei übermäßiger Aggressivität) sowie eine Veränderung des sozialen Anpassungsverhaltens als Varianten hinzugekommen (vgl. Drinkmann 2004; Hinsch/ Pfingsten 2007). Diese definitorische Erweiterung bedeutet gleichzeitig eine stärkere Berücksichtigung von mittel- und langfristigen Effekten des eigenen Verhaltens (gegenüber der früheren Orientierung an primär kurzfristigen sozialen Erfolgen). Ein zweiter Trend ist in der Aufgabe der Fixierung auf schlichte Verhaltensaspekte zugunsten der Mitberücksichtigung auch von kognitiven und emotionalen 315 uj 7+8 | 2014 Verhaltensorientierte Kompetenztrainings Aspekten zu sehen. Sowohl bei den Entstehungsbedingungen sozial inkompetenten Verhaltens wie auch bei den Ansatzpunkten für dessen Veränderung werden kognitive und emotionale Faktoren inzwischen einbezogen (vgl. z. B. das aktualgenetische und das biografische Modell bei Hinsch/ Pfingsten 2007, 12f ). Komponenten sozialer Kompetenz Während bei der definitorischen Festlegung, was unter sozialer Kompetenz zu verstehen ist, ein Trend zur inhaltlichen Ausweitung und Komplexitätserweiterung zu beobachten ist (s. o.), verläuft die Tendenz bei der Frage nach den relevanten Komponenten sozialer Kompetenz in die andere Richtung. Die Abkehr vom einfachen Konzept der Durchsetzung eigener Interessen - mit einer überschaubaren Menge an Fertigkeiten, über die jemand verfügen muss, der als sozial kompetent gilt - führte dazu, dass zunehmend mehr Komponenten sozialer Kompetenz ins Gespräch gebracht wurden. In der Konsequenz war der Pool der als Komponenten infrage kommenden Fertigkeiten schließlich so groß und unübersichtlich (vgl. Gambrill 1995), dass die weitere Konzeptentwicklung deutlich gehemmt wurde. Zum einen kann man sich angesichts der Vielfalt der vorgeschlagenen Komponenten des Eindrucks der Beliebigkeit nicht erwehren. Warum z. B. nicht auch „emotionale Kreativität“ als Komponente fordern? Eine klare und strikt theoretische Basis, solche Vorschläge auszuschließen, fehlt. Das korrespondiert mit einem weiteren Problem, das eher praktischer Natur ist. Angesichts der verwirrenden Vielfalt von Komponenten musste es aussichtslos erscheinen, ein Training zu entwickeln, das dieser Vielfalt auch nur annähernd gerecht werden könnte. Für eine längere Phase war die Situation denn auch dadurch geprägt, dass die theoretische Diskussion zunehmend mehr Komplexität erzeugte, die Programmentwicklung jedoch auf der Stufe von einfachen Trainings zur Steigerung des Selbstsicherheitsverhaltens stehen blieb. In der Folge ließ das anfangs durchaus lebhafte Interesse der Fachöffentlichkeit immer mehr nach, u. a. weil die verfügbaren Trainings als nicht mehr auf der Höhe der theoretischen Entwicklung erschienen. Ein Beispiel dafür dürfte der „einst leuchtende, inzwischen sinkende Stern“ des deutschen Assertiveness Trainingsprogramms (ATP) von Ulrich und Ulrich (1976) sein. SozialarbeiterInnen/ SozialpädagogInnen als TrainerInnen: Trainings für KlientInnen mit sozialen Kompetenzdefiziten Was wird trainiert? Eine entscheidende, für die praktische Relevanz kaum zu überschätzende Wendung in der konzeptuellen Entwicklung brachte die Entscheidung für einen Prototypenansatz, d. h. dafür, nicht mehr alle denkbaren sozialen Komponenten zu konzipieren, sondern einzelne prototypische Situationen herauszugreifen. Die sollten zum einen alltagsrelevant sein, und für deren angemessene Bewältigung sollte zum anderen unzweifelhaft soziale Kompetenz erforderlich sein. Im deutschsprachigen Raum haben dies Hinsch und Pfingsten (2007) mit ihrem Gruppentraining sozialer Kompetenzen (GSK) exemplarisch vorgeführt. Statt den (aussichtslosen) Versuch zu unternehmen, alle denkbaren Komponenten sozialer Kompetenz zu berücksichtigen, beschränken sie sich bei ihrem GSK auf drei prototypische Felder mit typischen Herausforderungssituationen für soziale Kompetenz. 1. Die (klassischen) Situationen, in denen es darum geht, sein Recht einzufordern, vor allem wenn dieses eingeschränkt oder verletzt wurde (Typ R = Recht). Beispiel: Mir wurde im Restaurant ein falsches Gericht serviert, und ich verlange den Austausch gegen das von mir bestellte. 316 uj 7+8 | 2014 Verhaltensorientierte Kompetenztrainings 2. Situationen, in denen es, vor allem in engen Beziehungen, einen Interessenkonflikt mit einem (strukturell gleichberechtigten) Partner gibt. Ich habe in diesem Fall kein Recht auf die Durchsetzung meiner Interessen, sondern allenfalls darauf, dass diese angemessen berücksichtigt werden. Und mir ist zusätzlich am Weiterbestehen bzw. der Verbesserung der Beziehung zu meinem Partner gelegen (Typ B = Beziehung). Beispiel: Ich möchte den gemeinsamen Urlaub mit meinem Partner gern zusammen mit Freunden verbringen, mein Partner möchte aber lieber mit mir allein verreisen. 3. Situationen, in denen ich eindeutig nicht im Recht bin, aber dennoch gern meine Wünsche realisiert sähe, sei es, dass ich andere zum Verzicht auf ihre Rechte bringen möchte (Beispiel: Ich möchte mich, weil mein Zug sehr bald geht, in der Warteschlange am Kartenschalter nicht hinten, sondern vorn anstellen, und zwar so, dass die bereits Wartenden damit einverstanden sind), oder sei es, dass ich mit einer anderen Person gern näher in Kontakt käme, die diesen Wunsch aber auch ablehnen könnte (Beispiel: Ich möchte mit einer mir im Zug gegenüber sitzenden und vielleicht in eine Zeitschrift vertieften Person ins Gespräch kommen). In diesen Fällen wird es v. a. wichtig sein, dass ich um die Sympathie dieser Personen werbe (Typ S = Sympathie, vgl. Hinsch/ Pfingsten 2007, 92f ). Für diese drei Situationsklassen wird im GSK jeweils eine überschaubare Anzahl von nötigen Fertigkeiten und abgeleiteten Verhaltensregeln benannt (und später trainiert), die ein angemessenes und sozial erfolgreiches Verhalten wahrscheinlich machen - wohl gemerkt: Erfolg wird wahrscheinlicher, ist aber nicht garantiert! Diese Empfehlungen und Regeln sind teilweise durch empirische Evidenzen gestützt. Das betrifft vor allem den zweiten Bereich (Typ B), für den es aus der Kommunikationspsychologie bzw. der Paarbeziehungsforschung (vgl. Kaiser/ Hahlweg 2009; Job et al. 2014) einen breiten Fundus an Wirksamkeitsstudien gibt. Diese drei genannten Klassen von Herausforderungssituationen und die mit ihnen verbundenen Regeln und Fertigkeiten decken sicherlich nicht 100 % dessen ab, was als sozial kompetent gelten kann. Jedoch gibt es kaum Zweifel, dass eine Person, die alle diese Herausforderungssituationen erfolgreich meistern kann, als sozial kompetent angesehen werden muss. Prinzipiell ist allerdings die soziale Kompetenzskala nach oben offen, d. h. jedermann/ jedefrau kann seine/ ihre Kompetenz verbessern, ganz gleich, wie gut er/ sie schon ist. Ebenso gilt auch, dass es nach unten kaum eine Begrenzung gibt. Auch Menschen mit sehr geringen sozialen oder intellektuellen Fertigkeiten können von derartigen Trainingsprogrammen profitieren, weil sie jeweils dort abgeholt werden können, wo sie stehen, indem Herausforderungssituationen auf sie zugeschnitten werden. Das ist als ein Grund dafür zu sehen, dass Trainings dieser Art gerade auch in der Behindertenarbeit große Verbreitung gefunden haben. Das Trainingskonzept sieht so aus, dass für jede Situationsklasse eine Reihe von einfachen bis schwierigen Situationen (sogenannten Szenarios) für Rollenspiel- und Transferübungen vorgegeben werden. Anhand derer arbeitet man sich zu immer schwierigeren Übungen vor und kann diese je nach Anspruchsniveau auch jeweils noch inhaltlich und in ihrem Schwierigkeitsgrad modifizieren. Das GSK gilt insofern als vollstandardisiertes Programm, als es sowohl die Übungssituationen als auch die Regeln für sozial kompetentes Verhalten vorgibt. Verbreitung von sozialen Kompetenztrainings Das GSK hat sich in den letzten Jahren in einem sehr breiten Anwendungsfeld psychosozialer Interventionen mit KlientInnen praktisch bewährt. Sowohl in therapeutischen Settings wie der (Erwachsenen-)Psychotherapie und auch in vielen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit, wie zum Beispiel Ehe-, Familien- und Lebensberatung, Erwachsenenbildung, Strafvollzug, 317 uj 7+8 | 2014 Verhaltensorientierte Kompetenztrainings Suchthilfe, Psychiatrie und Rehabilitation, werden KlientInnen auf der Basis des GSK trainiert. Dort gilt das GSK inzwischen nahezu als Goldstandard. Wo nicht mit Erwachsenen, sondern mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet wird, wie z. B. in der ambulanten und stationären Kinder- und Jugendhilfe, der Schulsozialarbeit, der Frühprävention und in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, sind auf gleicher theoretischer Basis und nach ähnlichen Prinzipien Programme speziell für diese Zielgruppe entwickelt worden. Insbesondere zu nennen sind hier eine Reihe von sehr verbreiteten Trainings aus der „Programmschmiede“ um Franz und Ulrike Petermann in Bremen (vgl. Petermann 2002; Petermann/ Krummrich 2009) sowie das Programm von Jugert et al. (2011; vgl. den Beitrag von Jugert et al. in diesem Heft). Aber auch thematisch etwas weiter entfernt erscheinende Trainings, wie etwa solche zur Gewaltvermeidung, zur Prävention von sexuellem Missbrauch oder zur Suchtprävention, enthalten meist mehr oder weniger Elemente, die aus dem Bereich der sozialen Kompetenztrainings stammen. Gemeinsame methodische Basis ist immer der systematische Aufbau eines Repertoires von sozial kompetenten emotionalen und kognitiven Verhaltensmustern, der sich an lerntheoretischen Prinzipien orientiert (Näheres zu diesen Prinzipien s. u.). Für eine Reihe von sozialen Kompetenztrainings liegen zudem empirische Wirksamkeitsnachweise vor. Wie wird trainiert? - Verhaltensorientierung Außer in den theoretischen Grundannahmen äußert sich die Verhaltensorientierung von Trainings zur sozialen Kompetenz vor allem in einigen praktisch bedeutsamen Charakteristika. Zu nennen ist hier an erster Stelle der für verhaltensorientierte Konzepte typische Pragmatismus. Präferiert wird, was im Sinne der Zielsetzung nachgewiesenermaßen gut funktioniert. Zu diesen aus der angewandten Lernpsychologie stammenden bewährten Prinzipien zählen zum Beispiel die folgenden: ➤ Das Prinzip der kleinen Schritte, welches besagt, dass umfassendere und komplexere Verhaltensziele ausgehend vom Ist-Zustand des Individuums aufgebrochen werden in eine Abfolge von kleineren Verhaltensänderungen, die mit großer Wahrscheinlichkeit jeweils erfolgreich bewältigt werden können. ➤ Ein Lernen am Erfolg oder konsequente Verstärkungsorientierung, was bedeutet, dass eine starke Fokussierung auf positiv bewertete Verhaltensaspekte stattfindet und kritischen Aspekten demgegenüber eher weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird. So werden beispielsweise in der Nachbesprechung eines Rollenspiels vor allem die im Sinne der vorher festgelegten individuellen Zielsetzung gelungenen Verhaltensdetails besprochen. Die in der Regel große Fülle von kritischen Aspekten und möglichen Verbesserungen wird demgegenüber in deutlich geringerem Maße und vor allem nachrangig behandelt, etwa ganz am Ende der Nachbesprechung durch die Frage an den Protagonisten: „Gibt es etwas, das Sie bei einer Wiederholung des Rollenspiels anders machen würden? “ ➤ Zu den wesentlichen Grundsätzen dieses verhaltensorientierten Ansatzes zählt auch die Betonung der Autonomie und Entscheidungshoheit der KlientInnen. Niemandem werden Übungen aufgedrängt oder aufgezwungen. KlientInnen sind etwa als Protagonisten im Rollenspiel frei in der Wahl ihrer Übungen und auch in der Festsetzung ihrer Übungsziele. Von professioneller Seite kann hierzu Information, Beratung oder Coaching gegeben werden, jedoch immer unter respektvoller Wahrung der Autonomie der KlientInnen. Interessant bei dieser Thematik sind Situationen aus dem Grenzbereich, etwa in der Behindertenarbeit, wo zuweilen eine Anpassung (aber keine Suspendierung) dieses Prinzips nötig ist, weil die Entscheidungsfähigkeit der KlientInnen stark eingeschränkt sein kann. 318 uj 7+8 | 2014 Verhaltensorientierte Kompetenztrainings ➤ In engem Zusammenhang mit dem vorgenannten Prinzip stehend ist der hohe Stellenwert von Transparenz für die KlientInnen zu sehen. Idealerweise sollten die KlientInnen nicht nur zu jedem Zeitpunkt sagen können, was sie gerade tun, sondern auch warum. Die Fähigkeit dazu wird durch eine möglichst klientengerechte Vorinformation und gute trainingsbegleitende Erklärungen sichergestellt. Für die Vermittlung der lernpsychologischen Wirkmechanismen ist es dabei von Vorteil, dass diese relativ einfach, alltagsnah und leicht zu verstehen sind. ➤ Das Setting des Gruppentrainings ermöglicht durch die Verschränkung von Einzel- und Gruppenarbeit eine Kombination der Stärken beider Ansätze. Phasen mit Information, Erfahrungsaustausch, Ideensammlung, Diskussion etc. nutzen die Vorteile, die eine Gruppe bietet. Beim Üben im Rollenspiel findet dagegen ein sehr stark auf den jeweiligen Protagonisten fokussiertes Coaching statt. ➤ Zentrales methodisches Element von sozialen Kompetenztrainings ist das Rollenspiel, in dem wiederum diverse Lernprinzipien vereint sind: Modelllernen, stellvertretende, soziale und Selbstverstärkung, Shaping etc. (vgl. Edelmann/ Wittmann 2012). Daneben kommen aber auch Interventionsmethoden wie Verhaltenserprobungen im Alltag („Hausaufgaben“), Verhaltensexperimente, kognitive Umstrukturierung, sokratische Gesprächsführung etc., die sich überwiegend innerhalb der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) bewährt haben, zum Einsatz. ➤ Flankiert werden diese zentralen Methoden durch eine vorausgehende primär verhaltensanalytische Diagnostik und Indikationsstellung sowie durch eine trainingsbegleitende Verlaufs- und Ergebnisevaluation. Längerfristig angelegte Katamnesen sind zwar konzeptuell wichtig, werden - wegen des hohen Aufwands - in der Praxis aber kaum gemacht. Inwieweit es sich bei den durchgeführten Evaluationsuntersuchungen immer um kritische Evaluationen handelt, sei einmal dahingestellt. ➤ Schließlich handelt es sich z. B. beim GSK von Hinsch und Pfingsten (2007) um ein manualisiertes Programm, das zum einen detaillierte Ablaufpläne für die einzelnen (durchstrukturierten) Sitzungen enthält und zudem ausgesprochen hilfreiche, fertig ausgearbeitete Übungsmaterialien, wie z. B. die Übungsszenarios und Verhaltensinstruktionen, Arbeitsblätter etc. Das Vorliegen eines solchen Manuals ist ein typisches Merkmal für aktuelle verhaltensorientierte Programme. Die Relevanz der Beschäftigung mit sozialen Kompetenzproblemen für die Soziale Arbeit Vor allem in dreierlei Hinsicht ist es wichtig, dass sich die Soziale Arbeit der sozialen Kompetenzprobleme ihrer KlientInnen annimmt (vgl. Drinkmann/ Schiebel 2004): Soziale Kompetenzdefizite hängen häufig ursächlich damit zusammen, dass Menschen Probleme entwickeln, die sie zu KlientInnen der Sozialen Arbeit werden lassen (ätiologische Relevanz, siehe dazu das Beispiel in Tab. 1). Eine gezielte Verbesserung von sozialen Kompetenzen (= Verringerung von Defiziten) stellt wegen der gerade genannten funktionalen Verknüpfung oft ein sinnvolles Interventionsziel dar (Änderungsrelevanz). Soziale Kompetenzen spielen schließlich eine wichtige Rolle bei der langfristigen Sicherung von erreichten Veränderungen (prognostische Relevanz). Wir haben an anderer Stelle darauf hingewiesen (vgl. Drinkmann 2004, 16), dass zunächst - und d. h. noch vor dem Einsatz systematischer Trainings - die direkte Beziehung zwischen SozialarbeiterIn/ SozialpädagogIn und KlientIn sowie die darin stattfindende Interaktion das primäre Arbeitsfeld für neue Lernerfahrungen und Veränderungen aufseiten des/ der KlientIn darstellen. In dieser (geschützten) Beziehung 319 uj 7+8 | 2014 Verhaltensorientierte Kompetenztrainings macht der/ die KlientIn neue Erfahrungen und entwickelt neue Kompetenzen, die er/ sie im günstigen Fall in seine/ ihre alltäglichen Interaktionsbeziehungen transferiert. Dass dieser Transfer selber oft auch eine professionelle Unterstützung benötigt, sei hier nur am Rande erwähnt. Eine normale Sozialarbeiter-Klient-Beziehung, z. B. in der stationären Kinder- und Jugendhilfe, bietet vielfältige Möglichkeiten und Gelegenheiten für solche neuen Lernerfahrungen. Dennoch ist sie in ihren Möglichkeiten und Ressourcen natürlich auch begrenzt, und in vielen Fällen ist darum eine Ergänzung durch systematische Trainings ausgesprochen sinnvoll. Wenn ein/ e SozialarbeiterIn in der Arbeit mit einem Jugendlichen dessen soziale Kompetenzprobleme erkannt hat, kann er/ sie sich zum einen in der direkten Interaktion mit diesem Klienten darauf einstellen, er/ sie wird aber häufig zu dem Schluss kommen, dass darüber hinaus eine Trainingsgruppe zusätzliche Übungsmöglichkeiten bietet, die für den Klienten wichtig wären. Aufgaben von SozialarbeiterInnen/ SozialpädagogInnen Worin bestehen die Aufgaben von SozialarbeiterInnen/ SozialpädagogInnen beim Umgang mit sozialen Kompetenzproblemen ihrer KlientInnen und welche Kompetenzen benötigen sie dafür? Zu wissen, was soziale Kompetenzen und soziale Kompetenzdefizite sind und in welcher Form sie sich äußern können, gehört zu den grundlegenden Voraussetzungen für einen professionell angemessenen Umgang. Es verschafft die Möglichkeit, soziale Kompetenzprobleme (aber auch Ressourcen) bei einem/ einer KlientIn zu erkennen, ihr Ausmaß zu beurteilen und ihre individuelle Bedeutung abzuschätzen (Diagnostik). Gerade für die Analyse der Wechselwirkungen zwischen sozialen Kompetenzproblemen und anderen problematischen Lebensbereichen eines/ einer KlientIn (= funktionale Bedeutung) hat sich das Vorgehen der Verhaltensanalyse bewährt (vgl. Schermer 2005). Aufbauend auf den Erkennt- Ursache (ätiologische Relevanz) KlientInnen der Jugendhilfe haben ihre Alkoholabhängigkeit (oder allgemein: Suchtmittelabhängigkeit) oft entwickelt, weil sie irgendwann gelernt haben, dass Alkohol ihre Unsicherheit und Schwierigkeiten in sozialen Situationen erfolgreich lindert, sorgenvolle Gedanken betäubt, ihr Selbstwertgefühl steigert etc., d. h. unmittelbar positive Wirkungen zeigt. Intervention (interventionsbezogene Relevanz) KlientInnen lernen im Rahmen einer Intervention kompetentere Verhaltensmuster (als den Suchtmittelkonsum) für den Umgang mit für sie schwierigen sozialen Situationen, wie emotionalen Belastungen, Stress, Unsicherheit etc. Nachhaltigkeit (prognostische Relevanz) KlientInnen brauchen zur Sicherung der Nachhaltigkeit ihres Interventionserfolgs allgemeine und spezifische soziale Kompetenzen, um mit zukünftigen potenziellen Rückfallsituationen umgehen zu können (z. B. Nein- Sagen bei Trinkaufforderungen oder allgemeiner Umgang mit konflikthaften Auseinandersetzungen). Tab. 1: Ein Beispiel für die ätiologische, interventionsbezogene und prognostische Relevanz von sozialen Kompetenzproblemen 320 uj 7+8 | 2014 Verhaltensorientierte Kompetenztrainings nissen aus dieser ersten diagnostischen Beurteilung sollte dann eine Indikationsstellung erfolgen. Dazu muss auf dem Hintergrund der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten entschieden werden, worin die Interventionsziele bestehen und welche Art von Intervention zur Bearbeitung der sozialen Kompetenzprobleme eingesetzt werden soll (Gruppen- oder Einzelmaßnahme, Training oder Therapie etc.). Wegen ihres hohen Bewährungsgrades und breiten Indikationsspektrums haben Gruppentrainings zur sozialen Kompetenz hier eine herausragende Bedeutung. Die Durchführung solcher Trainings gehört mittlerweile zu den Standardkompetenzen, die für SozialarbeiterInnen/ SozialpädagogInnen manchmal schon in der hochschulischen Ausbildung vermittelt werden. Manualisierte Programme sowohl für Einzelals auch für Gruppentrainings sind hier hilfreich. Schließlich zählt die Evaluation von erzielten Veränderungen in den sozialen Kompetenzen zum Aufgabenspektrum von SozialarbeiterInnen/ SozialpädagogInnen (vgl. Drinkmann 2005). Die soziale Kompetenz der Professionellen Brauchen SozialarbeiterInnen/ SozialpädagogInnen besondere soziale Kompetenzen? Dass SozialarbeiterInnen/ SozialpädagogInnen, die in ihren alltagsbezogenen sozialen Kompetenzen Lücken aufweisen, im beruflichen Alltag Schwierigkeiten haben werden, liegt auf der Hand. Ein/ e SozialarbeiterIn/ SozialpädagogIn etwa, der/ die seine/ ihre Fähigkeit, auf Wünsche anderer auch mal Nein zu sagen, nicht ausreichend entwickelt hat, mag im Privaten zurechtkommen - wenn er/ sie z. B. das Glück hat, vor allem von fürsorglichen Menschen umgeben zu sein. Im beruflichen Alltag jedoch sind erhebliche Probleme vorprogrammiert. Hier werden bedürftige KlientInnen (und KollegInnen) diese Schwäche bewusst oder unbewusst nutzen, um eigene Bedürfnisse, Wünsche und Forderungen erfüllt zu bekommen. Auch für andere soziale Kompetenzdefizite ließen sich ähnlich fatale Folgen unschwer nachzeichnen. Man denke nur an eine/ n SozialarbeiterIn/ SozialpädagogIn, der/ die unfähig zu einer sachlichen Konfliktlösung ist oder gravierende Kontaktprobleme hat. Es ist leicht absehbar, dass eine solche Konstellation für den/ die betroffenen SozialarbeiterIn/ SozialpädagogIn schnell in Überforderung oder gar einem Burn-out-Syndrom enden kann. Letztlich wird aber natürlich als Folge seines/ ihres Defizits nicht nur der/ die SozialarbeiterIn/ SozialpädagogIn selber Schaden nehmen, sondern seine/ ihre Arbeit wird ebenso leiden und damit auch seine KlientInnen. In einem von vielfältigen Ansprüchen geprägten Arbeitsfeld wie der Sozialen Arbeit muss also damit gerechnet werden, dass die Folgen von sozialen Kompetenzdefiziten sich potenzieren. Insofern dient eine Sicherstellung und Verbesserung der eigenen sozialen Kompetenzen nicht nur der Psychohygiene oder Selbstfürsorge, sondern auch der Qualität der Arbeit. SozialarbeiterInnen/ SozialpädagogInnen benötigen über ein zumindest durchschnittliches Maß an alltäglichen sozialen Kompetenzen, wie sie etwa im GSK (Hinsch/ Pfingsten 2007) konzipiert und trainiert werden, aber auch spezifische berufs- und arbeitsfeldbezogene soziale Kompetenzen. Sie ergeben sich überwiegend aus den Anforderungen, die das jeweilige Arbeitsfeld mit seinen typischen sozialen Aufgaben und Herausforderungen stellt. Ein eher allgemein berufsbezogenes Beispiel resultiert aus dem sogenannten doppelten Mandat (vgl. Spiegel 2006, 37), unter dem die Soziale Arbeit in vielen Bereichen steht, indem sie ihren KlientInnen gegenüber sowohl Hilfe als auch Kontrolle ausüben muss. 321 uj 7+8 | 2014 Verhaltensorientierte Kompetenztrainings In der stationären Suchthilfe etwa sind die TherapeutInnen nicht nur für die Therapie, sondern auch für die Überwachung der Einhaltung von Abstinenz zuständig. Die Folgen dieser ambivalenten Haltung für die Beziehungsgestaltung sind komplex und erfordern von SozialarbeiterInnen/ SozialpädagogInnen einiges Geschick in der sozialen Interaktion mit den KlientInnen, um trotzdem als authentisch, vertrauenswürdig und verlässlich wahrgenommen zu werden. Typische soziale Anforderungen im sozialarbeiterischen/ sozialpädagogischen Handeln Wie arbeitsfeldtypische Herausforderungssituationen in Bezug auf die soziale Kompetenz von SozialarbeiterInnen/ SozialpädagogInnen aussehen, hat Schiebel (2004) in einer Expertenbefragung untersucht. Einer Stichprobe berufserfahrener SozialarbeiterInnen/ SozialpädagogInnen aus verschiedenen Arbeitsfeldern wurde zunächst eine Definition sozialer Kompetenz vorgegeben und anschließend ein Beispiel-Szenario, d. h. eine (alltägliche) Herausforderungssituation, deren Bewältigung soziale Kompetenz erfordert, sowie eine explizite Instruktion zu sozial kompetenten Verhaltensaspekten in dieser Situation. Anschließend wurden sie gebeten, strukturell ähnliche Szenarios zu schreiben, die sie als für ihr Arbeitsfeld typisch erachten und in denen soziale Kompetenz der SozialarbeiterInnen/ SozialpädagogInnen gefragt ist. Die n = 31 ExpertInnen produzierten 100 Szenarios, die dann eingehend analysiert wurden. Insbesondere interessierte die Frage, ob sich alle professionellen Szenarios auch den drei o. g. Situationsklassen R, B und S zuordnen lassen oder ob für den professionellen Bereich weitere Klassen und Kompetenzen definiert werden müssen. Die Analyse von Schiebel (2004) ergab zunächst, dass auch im beruflichen Sektor Situationen vom Typ R, B und S vorkommen, die mit den entsprechenden Kompetenzen zu lösen sind. Allerdings ergaben sich dabei z. T. Besonderheiten wie die, dass es in der Sozialen Arbeit beim Typ S (um Sympathie werben) überwiegend nicht darum geht, für die eigene Person um Sympathie zu werben, sondern für eine/ n KlientIn oder für die eigene Institution. Prinzipiell sind dafür jedoch ähnliche Fertigkeiten gefragt wie für Alltagssituationen. Darüber hinaus gab es aber auch eine ganze Reihe von Szenarios, die sich nicht den drei klassischen Situationstypen zuordnen ließen, sondern ein eigenständiges Profil aufwiesen. Schließlich resultierten sechs Situationsklassen, in die sich die für sozialarbeiterisches und sozialpädagogisches Handeln typischen sozialen Anforderungen einteilen lassen (siehe Tab. 2). B Beziehung gestalten (Typ B) S Um Sympathie werben (Typ S) A Aushandeln von Regelungen und Vereinbarungen (Typ A) R Recht durchsetzen/ Grenzen setzen/ auf die Einhaltung von Regelungen und Vereinbarungen achten (Typ R) K Umgang mit Kritik (Typ K) M Mut machen, stärken, unterstützen/ Umgang mit Krisen und schwierigen Lebenssituationen (Typ M) Tab. 2: Situationsklassen für soziale Kompetenz in Arbeitsfeldern der SA (vgl. Drinkmann/ Schiebel 2013) 322 uj 7+8 | 2014 Verhaltensorientierte Kompetenztrainings Ähnlich wie beim Situationstyp S sind hier auch beim Typ B durch die Verschiebung vom privaten in den beruflichen Bereich die Beziehungen, in denen Konflikte zu lösen sind, vor allem professionelle Beziehungen, sei es zu KlientInnen, KollegInnen oder KooperationspartnerInnen. Der Bereich der Einforderung und Durchsetzung eigener Rechte (Typ R im GSK) ist nunmehr aufgesplittet in zwei Klassen: Beim Typ A geht es um das Aushandeln von Regeln, Verein- Situation Nr. R-4 Sie sind MitarbeiterIn in einer Koordinationsstelle, die Jugendliche mit Arbeitsauflagen („Sozialstunden“) im Auftrag des Gerichtes an entsprechende Einrichtungen (Altenheim, Tierheim usw.) vermittelt. Ein Jugendlicher hat wegen unzuverlässigen Verhaltens (Unpünktlichkeit usw.) zum wiederholten Mal seine Einsatzstelle verloren. Er kommt zu Ihnen und möchte wieder eine neue Einsatzstelle. Instruktion Weisen Sie ihn noch einmal auf die bereits mehrmals besprochenen Regeln hin. Zeigen Sie ihm Handlungsalternativen auf (z. B. sich bei der Einsatzstelle entschuldigen, selbstständig eine neue Stelle suchen). Bleiben Sie höflich, aber bestimmt. Werden Sie nicht aggressiv. Lassen Sie sich nicht auf eine Diskussion ein. Prognostizieren Sie ihm weitere Schritte vom Gericht (z. B. Jugendarrest). Erklären Sie ihm seine noch verbleibenden Möglichkeiten (Grundhaltung: „Ich tue nicht wieder mehr desselben. Der Jugendliche muss selbst die Initiative ergreifen.“). Situation Nr. K-1 Sie sind BetreuerIn in einer heilpädagogischen Tagesstätte für 8bis 12-jährige Kinder. Am Abend holt eine Mutter ihre 12-jährige Tochter ab. Die Mutter hatte am Vormittag vom Lehrer der Tochter erfahren, dass sie seit mehreren Wochen unvollständige Hausaufgaben hat und die schulischen Leistungen nachlassen. Die Mutter beschwert sich deswegen und macht Ihnen Vorwürfe. Instruktion Nehmen Sie die Bedenken und Sorgen der Mutter ernst. Rechtfertigen Sie sich nicht sofort. Bitten Sie die Mutter, die Inhalte des Lehrergesprächs zu benennen. Gehen Sie dabei vor allem auf eventuelle Bedenken, Ängste und Sorgen der Mutter ein. Fragen Sie die Mutter nach Vorschlägen, wie die Situation verändert werden kann. Bieten Sie Ihre Mithilfe an. Weisen Sie deutlich darauf hin, dass die Situation erfolgreich verändert werden kann, wenn „alle an einem Strang ziehen“. Situation Nr. M-1 Sie sind MitarbeiterIn in einer Wohngruppe für 13bis 18-jährige Kinder und Jugendliche. Ein 13-jähriges Kind wurde kürzlich aufgenommen. Die Mutter bringt Kleidung für das Kind bei Ihnen vorbei. Sie erkennen, dass die Mutter mit der Unterbringung Probleme hat und am liebsten weinen würde. Instruktion Setzen Sie sich mit der Mutter in ein gesondertes Zimmer. Bringen Sie das Kind vorher zur Gruppe. Fragen Sie nach dem Befinden der Mutter. Hören Sie aufmerksam zu. Zeigen Sie Verständnis für die Gefühle der Mutter. Machen Sie darauf aufmerksam, dass die Unterbringung in der Wohngruppe nicht auf Dauer sein muss und auch Chancen bietet (z. B. Unterstützung in der Schule, Entlastung der angespannten Familiensituation). Bestärken Sie die Entscheidung zur Fremdunterbringung: „Eine harte Entscheidung zum Wohle des Kindes ist besser als Probleme zu verschleppen.“ Tab. 3: Beispiele für SKSA-Szenarios (aus: Drinkmann/ Schiebel 2013) 323 uj 7+8 | 2014 Verhaltensorientierte Kompetenztrainings barungen und manchmal auch um Ausnahmeregelungen. Typ R ist erweitert und gleichzeitig spezifiziert zu „Recht durchsetzen, Grenzen setzen und auf die Einhaltung von Regelungen und Vereinbarungen achten“ (ein Beispiel findet sich in Tab. 3, Nr. R-4). Mit Kritik konfrontiert zu werden, sei es durch KlientInnen, KollegInnen oder Vorgesetzte, scheint ein wiederkehrendes Merkmal beruflichen Handelns in der Sozialen Arbeit zu sein (vgl. Typ K - Umgang mit Kritik). Die Kritik kann sich gegen die Person des/ der SozialarbeiterIn/ SozialpädagogIn oder gegen seine/ ihre Einrichtung richten. In allen Fällen verlangt es besonnenes und sozial kompetentes Verhalten, um angemessen mit solchen Situationen umzugehen (vgl. das Beispiel in Tab. 3, Nr. K-1). Schließlich besteht ein letzter Situationstyp (M) darin, v. a. KlientInnen Mut zu machen, sie zu stärken und im angemessenen Umgang mit Krisen und schwierigen Lebenssituationen zu unterstützen (vgl. das Beispiel in Tab. 3, Nr. M-1). Das „Soziale Kompetenztraining für die Soziale Arbeit (SKSA)“ Ein weiterer Befund der Arbeit von Schiebel (2004) war, dass es in den Feldern der Sozialen Arbeit zwar viele verschiedene arbeitsfeldtypische Situationen und Herausforderungen gibt, dass die zu ihrer Bewältigung notwendigen sozialen Kompetenzen jedoch hochgradig ähnlich oder gleich sind. Das bedeutet, dass das notwendige Kompetenzprofil der Professionellen eher berufsgruppentypisch als arbeitsfeldtypisch ist. Das spricht indirekt dafür, die notwendigen Kompetenzen bereits in der grundständigen Ausbildung, sprich: dem Studium der Sozialarbeit/ Sozialpädagogik, zu vermitteln, wenngleich ihre Optimierung sicher als dauernder, berufsbegleitender Prozess und damit als Aufgabe für die Supervision, Fort- und Weiterbildung zu sehen ist. Ein nächster Entwicklungsschritt nach der Auswertung der Expertenbefragung durch Schiebel (2004) bestand darin, die durch die ExpertInnen erstellten Szenarios für die Aus-, Fort- und Weiterbildung von SozialarbeiterInnen/ SozialpädagogInnen nutzbar zu machen (vgl. Schiebel/ Drinkmann 2004). Sie wurden dafür sprachlich überarbeitet und in eine einheitliche Form gebracht. Das daraus hervorgegangene „Soziale Kompetenztraining für die Soziale Arbeit (SKSA)“ von Drinkmann und Schiebel (2013) orientiert sich konzeptuell an der auch in anderen sozialen Kompetenztrainings bewährten rollenspielbasierten Methodik (Drinkmann 2005; Fliegel 2009). Seit 2004 befinden sich die Szenarios als Übungsmaterial in der Erprobung und werden u. a. in der Lehre an verschiedenen Hochschulen, die SozialarbeiterInnen/ SozialpädagogInnen ausbilden, sowie in einschlägigen Fort- und Weiterbildungen für SozialarbeiterInnen/ SozialpädagogInnen aus verschiedenen Arbeitsfeldern regelmäßig eingesetzt. Seit 2013 sind sämtliche Szenarios des SKSA zusammen mit kurzen Erläuterungstexten zum Situationstyp und den in ihm geforderten Kompetenzen (= Instruktionen) in gedruckter Form einer breiten Öffentlichkeit zugängig und es werden Trainerschulungen zum SKSA angeboten (siehe www.gk-quest.de). Mittlerweile ist der Szenario-Pool mittels weiterer Expertenbefragungen vergrößert worden, sodass das Spektrum der im SKSA repräsentierten Arbeitsfelder noch einmal deutlich erweitert wurde. Szenarios liegen jetzt für die folgenden Bereiche vor: ➤ Jugendarbeit, Kinder-/ Jugendhilfe ➤ Schulsozialarbeit ➤ Erwachsenenbildung ➤ Altenarbeit ➤ Familienhilfen ➤ Arbeit mit psychisch Kranken ➤ Suchthilfe ➤ Behindertenarbeit ➤ Gesundheitshilfen ➤ Resozialisierung, Bewährungshilfe ➤ Sozialmanagement ➤ Sonstige 324 uj 7+8 | 2014 Verhaltensorientierte Kompetenztrainings Die Erfahrungen mit dem SKSA belegen, dass die unmittelbar aus der Praxis der Sozialen Arbeit geborenen Szenarios für angehende SozialarbeiterInnen/ SozialpädagogInnen und BerufsanfängerInnen eine hervorragende und hoch geschätzte Möglichkeit darstellen, typische berufliche Herausforderungssituationen kennenzulernen und das eigene professionelle Handeln an ihnen zu üben. Die sonst oft gestellte Frage nach der praktischen Relevanz von Lehrinhalten lässt sich selten so eindeutig positiv beantworten wie hier - wenn sie denn gestellt würde, was angesichts der unmittelbaren Evidenz kaum je geschieht. Berufserfahrenen SozialarbeiterInnen/ SozialpädagogInnen dienen die SKSA-Szenarios häufig als Kulminationspunkte für die Aufarbeitung eigener Erfahrungen, weil eigene Erlebnisse wiedererkannt und aktualisiert werden und weil diese mithilfe des theoretischen Ansatzes der sozialen Kompetenz mit neuen Augen gesehen, neu strukturiert und zuweilen neu „gedacht“ werden. Von dieser Gruppe besonders hervorgehoben wird allerdings der Umstand, dass es konkrete und übbare Handlungsempfehlungen zur Lösung gibt, sowie die gegebene Flexibilität, die es erlaubt, persönliche Anpassungen und Ausgestaltungen der Empfehlungen vorzunehmen, so dass diese nicht als rigide oder dogmatisch empfunden werden. Auch der in der Regel zu beobachtende lebhafte Austausch unter den TeilnehmerInnen spricht sehr für den Anregungsgehalt des Trainingsmaterials. Diskussion und Ausblick Die zu Beginn aufgestellte These, dass es viel Sinn macht, dass SozialarbeiterInnen/ SozialpädagogInnen sich um die soziale Kompetenz ihrer KlientInnen kümmern und dass ihre Arbeit dadurch in vielfacher Weise profitieren würde, konnte wohl mit nachvollziehbaren Argumenten untermauert werden. Allerdings wäre die Argumentation noch überzeugender, wenn sich einzelne Aussagen nicht nur durch Verweis auf Plausibilitäten, sondern auch durch empirische Evidenzen belegen ließen. So fehlt es etwa an Untersuchungen, die zeigen würden, dass und wie viele KlientInnen der Sozialen Arbeit in verschiedenen Arbeitsfeldern tatsächlich erhebliche und einschlägige soziale Kompetenzdefizite aufweisen. In zweiter Linie wäre dann zu zeigen, dass diese Defizite tatsächlich eine funktionale Bedeutung für andere Problembereiche der KlientInnen besitzen, also mitverantwortlich für biografisch relevante problematische Entwicklungen sind. Eine differenzierte Analyse von sozialen Kompetenzprofilen könnte zudem z. B. die Frage nach besonders kritischen Defiziten (als primäre Ansatzpunkte für später zu entwickelnde Präventionsprogramme) oder nach unterscheidbaren, innerhalb der SA bedeutsamen Profiltypen stellen. Untersuchungen wie diese würden jedoch ein praktikables Messkonzept für soziale Kompetenzen erfordern, und daran krankt die grundlagenwissenschaftliche Forschung derzeit noch. Zwar gibt es für den Trainingsbereich eine befriedigende Konzeptualisierung, was soziale Kompetenzen sind und wie diese systematisch zu trainieren sind (s. o.). Für diagnostische Belange fehlt aber eine wissenschaftlichen wie praktischen Kriterien genügende Operationalisierung und Messmethodik für soziale Kompetenzen (vgl. Kanning 2009). Auch die Behauptung, dass soziale Kompetenztrainings kurz- und langfristig wirksam sind und die mit ihnen erzielten Effekte nachhaltige und auf andere Lebensbereiche ausstrahlende Wirkungen entfalten, könnte man empirisch wesentlich besser absichern, als das gegenwärtig der Fall ist (vgl. Hinsch/ Pfingsten 2007, 117f ). Vor allem fehlt es generell an Katamnesestudien, die Langzeiteffekte untersuchen. Über diese eher grundlagenwissenschaftlichen Kritikpunkte hinaus haben sich soziale Kompetenztrainings in der Sozialen Arbeit - sowohl in der Arbeit mit KlientInnen als auch der mit Professionellen - als ausgesprochen fruchtbarer Ansatz erwiesen und dementsprechend in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit der Fachöffentlichkeit erhalten. Ein möglicherweise nicht unbedeutender Grund dafür könnte darin liegen, dass TeilnehmerInnen solcher sozialen Kompetenztrainings in ihren 325 uj 7+8 | 2014 Verhaltensorientierte Kompetenztrainings unmittelbaren Rückmeldungen am Ende oft betonen, wie viel Spaß ihnen die Übungen gemacht haben und wie angenehm die gelöste Gruppenatmosphäre für sie war. Auch das ist wiederum ein Faktor, der bislang noch auf eine wissenschaftliche Untersuchung wartet. Prof. Dr. Arno Drinkmann Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt Kapuzinergasse 2 85072 Eichstätt arno.drinkmann@ku.de Literatur Drinkmann, A. (2004): Der Aufbau sozialer Kompetenzen durch strukturiertes Training. Sozialmagazin 29, 19 - 26 Drinkmann, A. (2005): Rollenspiel. In: Schermer, F. J., Weber, A., Drinkmann, A., Jungnitsch, G.: Methoden der Verhaltensänderung: Basisstrategien. Reihe: Psychologie in der Sozialen Arbeit, Band 5. Kohlhammer, Stuttgart, 128 - 171 Drinkmann, A., Schiebel, A. 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