eJournals unsere jugend 67/4

unsere jugend
4
0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
41
2015
674

FAM (FamilienAktivierungsManagement). Von der Krisenintervention zur Erweiterung traditioneller Angebote der Jugendhilfe.

41
2015
Britta Obernolte
Den Eltern auf Augenhöhe begegnen! Auf die Haltung kommt es an – der Transfer von Elementen des FamilienAktivierungsManagement erweitert und ergänzt die Gestaltung der Angebotspalette traditioneller Jugendhilfeeinrichtungen.
4_067_2015_004_0169
169 unsere jugend, 67. Jg., S. 169 - 175 (2015) DOI 10.2378/ uj2015.art25d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Britta Obernolte Diplom-Sozialpädagogin, Trainerin für Familienaktivierung, Bereichsleiterin im Jugendhof Gotteshütte FAM (FamilienAktivierungsManagement) Von der Krisenintervention zur Erweiterung traditioneller Angebote der Jugendhilfe. Familienaktivierende Methoden und Haltungen in stationären und teilstationären Settings Den Eltern auf Augenhöhe begegnen! Auf die Haltung kommt es an - der Transfer von Elementen des FamilienAktivierungsManagement erweitert und ergänzt die Gestaltung der Angebotspalette traditioneller Jugendhilfeeinrichtungen. Die im FAM (FamilienAktivierungsManagement) eingesetzten Methoden des aktivierenden Arbeitens mit Familien haben sich im Rahmen der Krisenintervention als erfolgreich erwiesen und sind dort vielfach bewährt. Die Familienaktivierung und Krisenintervention im ambulanten Setting ist erfolgreich erprobt und hat sich mittlerweile auch als anerkannte sozialpädagogische Hilfestellung etabliert. Insbesondere Jugendhilfeeinrichtungen, die sowohl ambulante Dienste im Rahmen der FAM-Krisenintervention wie auch stationäre bzw. teilstationäre Angebote vorhalten, beschäftigen sich verstärkt mit der Fragestellung, wie es gelingen kann, die sich im ambulanten Bereich und in der Krisenintervention als hilfreich und effektvoll erwiesenen Arbeitsweisen und Methoden in die weiteren Praxisfelder nutzbringend zu übertragen. Die das FAM kennzeichnende aktivierende Arbeit gründet sich maßgeblich auf die Grundhaltungen Achtung, Respekt und Wertschätzung. Sie ist geprägt durch ein sich darauf beziehendes Gerüst methodenorientierter Handlungen. Aktivierende Haltung meint dabei die professionelle Einstellung der Fachkraft, die darüber bestimmt, wie sie Personen, Situationen und/ oder Ideen wahrnimmt, bewertet und wie sie ent- Rüdiger Pieper Jg. 1958; Diplom-Sozialarbeiter/ -Sozialpädagoge, Familientherapeut, Trainer für Familienaktivierung, Pädagogischer Leiter im Waisenstift Varel 170 uj 4 | 2015 FamilienAktivierungsManagement sprechend ihrer Kompetenzen handelt. Sie bezieht sich auf das Bild von der Familie und deren einzelnen Mitgliedern, das eigene professionelle Selbst- und Rollenverständnis und die methodischen Grundlagen und Ansätze. Eine aktivierende Haltung in diesem Sinn ist geprägt von einer konsequenten Stärkeorientierung. Leitsätze sind u. a.: „Uns interessiert nicht, was die Eltern nicht können.“ Es gilt, „die Menschen zu stärken, die Sachen zu ordnen und zu klären“. „Jeder einzelne ist wichtig und wird gebraucht - deshalb wollen wir gemeinsam das Mögliche ausprobieren“ oder „wir folgen euren Gedankengängen und unterstützen euch bei eurem Bedarf“. Maßgeblich für aktivierendes Arbeiten ist neben dem lösungsorientierten Ressourcenbezug, der strukturierenden Klarheit der Fachkräfte und deren orientierungsgebendem Verhalten gegenüber den Familienmitgliedern eine konsequente Ausrichtung an den auftragsbezogenen Zielstellungen. Darüber hinaus erfolgt eine stetige und in kurzer Taktung eingesetzte Prozessreflexion. Eine erfolgreiche praktische Umsetzung aktivierender Ansätze ist ausschlaggebend davon geprägt, inwieweit es den Fachkräften gelingt, die KlientInnen gerade auch als Personen zu überzeugen. Die KlientInnen prüfen und scannen uns als Fachkräfte insbesondere daraufhin ab, inwieweit die ihnen gegenüber postulierten Haltungen als authentisch erlebt werden können. Die Gestaltung der Beziehungsaufnahme bzw. des ersten Kontakts stellt dementsprechend bereits einen Schlüssel dar, mit dem bestimmt wird, welche Türen weiteren Handelns uns geöffnet werden. Dies gilt grundsätzlich für alle Formen professioneller Hilfe, wird allerdings im FAM in besonderer Weise fokussiert. Die Vermittlung von Vertrauen und Sicherheit durch eine zumeist aktive und strukturierende Haltung und das Vermeiden von Machtmissbrauch oder Übergriffigkeit stellen demnach Kriterien einer gelingenden Beziehung dar. Hier gilt zudem, eine etwaig als vermeintliche Schwäche empfundene konfliktscheue Haltung sowie eine unzureichende Wahrnehmung eigener starker Affekte und ein geringes Ertragen negativer und destruktiver Gefühle bei den KlientInnen derart zu berücksichtigen, dass sie nicht in eine zwanghafte positive Umdeutung münden. Neben der Gestaltung der ersten Kontakte, die richtungsweisend durch die den Familienmitgliedern gegenüber eingenommene Haltung geprägt sind, finden sich vielfältige weitere Ansatzpunkte für einen gelingenden Transfer von Kernpunkten des aktivierenden Arbeitens in die Settings der stationären und teilstationären Angebote. Bedeutsame Potenziale für die Ausgestaltung dieser Angebote sollen nachfolgend, vornehmlich an Beispielen der Jugendhilfeeinrichtungen Jugendhof Gotteshütte und Waisenstift Varel, skizziert werden. Aufnahmeprozess und Passung der Hilfen Eine Aufnahme erfolgt in der Regel nach telefonischer Anfrage durch das Jugendamt oder innerhalb der Einrichtung, z. B. im Hinblick auf geplante Wechsel aus Wohngruppen. Sofern sich dabei eine Aufnahmemöglichkeit abzeichnet, wird jeweils ein Vorstellungsgespräch, möglichst unter Beteiligung der Kinder und Jugendlichen, der Herkunftsfamilie und dem fallführenden Jugendamt, durchgeführt. Unabhängig davon besteht vielfach auch die Möglichkeit eines vorherigen„unverbindlichen Besuchs“ der Familie. Im explizit als solchem auch ausgewiesenen Aufnahmegespräch geht es darum, die Problemschilderungen aller Beteiligten zu erfassen, aber auch nach Ausnahmen zu fragen, nach Situationen, die als erfolgreich erlebt wurden. In diesem Zusammenhang gilt das Interesse der Fachkräfte den dafür eingesetzten Fähigkeiten sowie den individuellen und familiären Ressourcen. Diese werden entsprechend derart aktiv nachgefragt, dass sich innere Bilder erfolgreichen Handelns reproduzieren lassen. Ein wesentlicher Aspekt des aktivierenden Arbeitens ist, dafür zu sorgen, dass diese aus den 171 uj 4 | 2015 FamilienAktivierungsManagement unterschiedlichen Anliegen heraus gefärbten Beschreibungen der einzelnen Beteiligten zunächst wertfrei nebeneinander stehen können. Diese Würdigung der Unterschiedlichkeit gilt es durch entsprechende Strukturierung zu vermitteln. Dem folgend lassen sich durch die Außenbeobachtung von Familieninteraktionen und dem Beziehungserleben der am Interaktionsprozess beteiligten Personen erste Arbeitshypothesen erfassen, aus denen sich mögliche Vereinbarungen bezüglich einer etwaigen Aufnahme herleiten lassen. In der Jugendhilfeeinrichtung Gotteshütte wird diesbezüglich das Aufnahmeverfahren explizit dokumentiert. Der nächste Schritt umfasst die Passung der Hilfen. „Passung“ bedeutet für die Einrichtungen, anhand einer sich im ambulanten aktivierenden Setting bewährten diagnostischen Einschätzung eine bewusste Entscheidung darüber zu treffen, ob das Konzept und die strukturellen Vorgaben der in Betracht kommenden Wohngruppen mit ihren Mitarbeitenden, Kindern und Jugendlichen passend zu den Problemlagen, Ressourcen und Bedürfnissen des aufzunehmenden Kindes/ Jugendlichen und seiner Familie sind. Im Rahmen dieser diagnostischen Einschätzung werden beispielsweise die Problemfelder, die Förderbereiche, die Ressourcen, aber auch mögliche Grenzen in Bezug auf die angedachten Zielstellungen bewertet. Insbesondere der Blick auf die Kompetenzen und die Symptomatik des Kindes/ Jugendlichen erweist sich als Schlüssel dafür, die Familie und den jungen Menschen zu verstehen und ihnen in ihren Hilfeersuchen gerecht zu werden. Hierbei gilt es, die bisherigen Lösungsversuche der Familienmitglieder aktiv zu würdigen und eine etwaige Problemtrance, die sich aus der anstehenden Trennung herleitet, aufzuweichen. Durch die Umsetzung strukturierter Wertschätzung im Rahmen des Ermutigungskonzepts werden die Familienmitglieder von Beginn der Hilfe an zu einer optimistischen und konstruktiven Lebensgestaltung eingeladen, die weitere Mitwirkungsbereitschaft wird aktiviert und gefördert. Schon unmittelbar nach einer Aufnahme lässt sich mit den Eltern intensiv an der Familienbiografie und der Entwicklungsgeschichte des Kindes/ Jugendlichen mit den Sorgeberechtigten arbeiten, um Erklärungen für die Symptomatik zu finden und das vorgefundene Verhalten verstehen zu lernen. Im Jugendhof Gotteshütte wird dieser Prozess durch eine Einführende Erziehungsplanung unter Beteiligung der Teammitglieder, der Eltern und des jungen Menschen sowie unter Einbeziehung einer psychologischen Fachkraft abgeschlossen. Hier werden die Ergebnisse der Diagnostik beleuchtet und das Hilfeplanungsverfahren vorbereitet. In diesem Rahmen werden eine entwicklungspsychologische Lebenslaufanalyse, eine (hypothetische) Problemanalyse sowie eine Beziehungsanalyse erstellt. Diese bilden die Grundlage der anschließenden Hilfeplanung. Für eine aktivierende Gestaltung zur Umsetzung dieser Planungsvorhaben ist eine aktive Mitwirkung aller am Hilfeprozess Beteiligten erforderlich. Der junge Mensch, dessen Eltern, die Teamleitung und BezugserzieherInnen, die VertreterInnen des Jugendamtes und ggf. der Schule entwickeln gemeinsam Zielstellungen und vereinbaren die weiteren Schritte und Arbeitsaufträge mittels einer Zielplanung. Die klare Benennung der jeweiligen Verantwortungsbereiche trägt durch deren transparente Darlegung dazu bei, Phantasien über die vermeintlichen Interessenslagen der jeweils anderen Beteiligten zu minimieren, und wirkt orientierungsgebend. Bedeutsam ist hier, die Zielklärung als Weg zu einer anderen Lösung zu kennzeichnen und von etwaigen sich auf die Vergangenheit beziehenden Schuldzuweisungen zu entkoppeln. Ebenso bedeutsam ist die Würdigung dessen, das in der Vergangenheit funktionierte - und dies als etwas Bewahrenswertes herauszustellen. Im weiteren Verlauf der Hilfe werden die Ergebnisse im Rahmen einer fortführenden Erziehungsplanung überprüft und neue Schritte 172 uj 4 | 2015 FamilienAktivierungsManagement eingeleitet. Die regelmäßige Hilfeplanung reflektiert den Verlauf, wertet ihn aus bzw. justiert die Arbeitsaufträge bedarfsweise nach. Eltern- und Familienarbeit im stationären Setting Sowohl im Jugendhof Gotteshütte als auch im Waisenstift Varel wird der Arbeit mit der Herkunftsfamilie in deren stationären Settings eine große Bedeutung zugemessen. Die Herkunftsfamilie bleibt ein relevantes Bezugssystem, sei es real oder sei es in den Vorstellungen, Phantasien und Prägungen des Kindes/ Jugendlichen. Die Eltern- und Familienarbeit sucht einen aktiven Umgang mit dieser Erkenntnis, blendet Eltern nicht aus, sondern greift auf deren Ressourcen zurück. In der Grundannahme der aktivierenden Arbeit wird vorausgesetzt, dass alle Eltern zunächst das Beste für ihre Kinder/ Jugendlichen möchten. Weitergehend wird davon ausgegangen, dass Familien in der Regel alle Möglichkeiten besitzen, ihre Lebenssituation im Hinblick auf ein förderliches Miteinander zu verbessern, und dass es Gründe gibt, die dieses verhindern. Ihr Verhalten macht im Kontext Sinn und möchte von uns erforscht und verstanden werden. Auch nach der Aufnahme in der Wohngruppe bleiben die Eltern wesentlicher Bestandteil der Gefühlswelt von Kindern und Jugendlichen. Schon mit der ersten Kontaktaufnahme obliegt es uns, den Eltern ihre Bedeutung für den weiteren Hilfeverlauf zu vermitteln. Die intensive Elternarbeit ist entsprechend darauf ausgerichtet, einen permanenten Ressourcenbezug zu entwickeln und den Eltern eine kontinuierliche Beteiligung an der Erziehung und Beziehung ihrer Kinder zu ermöglichen. Regelmäßiger Kontakt, möglichst in dem Ort der Wohngruppe, wird ausdrücklich erwünscht. Dies soll dem Loyalitätskonflikt der Kinder/ Jugendlichen ihren Eltern gegenüber entgegenwirken. Dafür ist es notwendig, eine Rollenklarheit der Beteiligten zu erwirken: die professionellen HelferInnen bringen ihre Kompetenzen dafür ein, dass eine adäquate Entwicklungsbegleitung und -förderung der Kinder ermöglicht wird. Den Eltern obliegt die Verantwortung, mit Unterstützung der Fachkräfte einen adäquaten Transfer in das familiäre Herkunftssystem zu bewerkstelligen. Der Jugendhof Gotteshütte hat diesbezüglich in einem Pilotprojekt mit den Eltern, den PädagogInnen, der Bereichs- und Heimleitung und einer der Kinder- und Jugendwohngruppen in einer Werkstatt das Thema Elternarbeit in der stationären Wohngruppe thematisiert und einen Rahmen geschaffen, in dem die Eltern aktiv am Leben ihrer Kinder teilhaben können. Verabredet wurde, dass neben den Beurlaubungen nach Hause alle Eltern das Recht und die Möglichkeit haben, ihr Kind in seiner Wohngruppe zu besuchen. Die Eltern können nach telefonischer Absprache einbis zweimal monatlich ihr Kind besuchen und am Alltag der Wohngruppe teilhaben. Gerne können Eltern in diesem Rahmen alltägliche Aufgaben für ihr Kind wahrnehmen. Zusätzlich haben Eltern und PädagogInnen geplant, im vierteljährlichen Rhythmus eine gemeinsame Aktion zu planen. Hier sollen sowohl Eltern als auch PädagogInnen die Planung und Einladung übernehmen. Zu deren Organisation werden allen Eltern Listen mit Telefonnummern ausgehändigt. Erweiternd stellen sich zudem neue Mitarbeitende und auch PraktikantInnen mittels eines Steckbriefs den Eltern vor. Die Eltern über alle positiven Erlebnisse und die Lernaufgaben ihrer Kinder/ Jugendlichen regelmäßig zu informieren, stellt einen weiteren wichtigen Aspekt dar, ihre aktivierende Mitarbeit zu erwirken. Über die hier von den Fachkräften ausgehende Initiative werden die Eltern in ihrer Bedeutung gewürdigt, und es wird eine diesbezügliche Regelmäßigkeit vermittelt, dass sich Eltern in ihrer Wichtigkeit auch sicher sein können. Viele Eltern haben Erfahrung dahingehend, dass sie sich auch von professionellen HelferInnen nicht unterstützt fühlen, weil sie nur dann informiert werden, wenn es „kriselt“. Solcherlei Muster werden darüber aufgelöst. 173 uj 4 | 2015 FamilienAktivierungsManagement Alle Berichte, Zeugnisse oder interne Dokumentationen werden den Eltern zugänglich gemacht und sie werden ggf. in deren Entstehung aktiv mit eingebunden. Auch werden die Eltern in alle Thematiken rund um das Thema Schule mit eingebunden. Elternsprechtage und auch Schulausflüge dürfen und sollten von den Eltern begleitet werden. Besondere Vorkommnisse werden den Eltern darüber hinaus umgehend gemeldet. Gerade das Thema Schule stellt sich immer wieder als hochsensibel dar. Viele Eltern haben diesbezüglich negativ besetzte Erfahrungen, da sich die Initiierung von Hilfen häufig in der unzureichenden Bewältigung dieses Leistungsbereichs seitens ihrer Kinder gründete. Die Kontinuität der aktivierenden Unterstützung wird durch regelmäßige begleitende Elterngespräche gewährleistet, die nach Möglichkeit auch im Haushalt der Eltern stattfinden. Hier wird in einem für die Eltern bekannten und sicheren Rahmen je nach Zielstellung daran gearbeitet, die gewünschten Veränderungen einzuleiten. Über diese Form der Beteiligung wird sowohl den Eltern als auch den PädagogInnen deutlich, dass beide Seiten mit derselben Zielstellung für das Kind Veränderungen einleiten möchten. Das natürliche Konkurrenzdenken kann entschärft werden. Darüber hinaus wird erfahrbar gemacht, dass es vielfach Anteile gibt, in denen die professionellen HelferInnen von den Eltern lernen können. Diese beidseitige Erfahrung führt zu einer deutlichen Aufwertung der Eltern - die Positionen des „up“ und „down“ können entschärft und letztlich etwaige Machtfragen aufgeweicht werden. Eltern- und Familienarbeit in teilstationären Prozessen Die Tagesgruppenarbeit trägt zur Klärung familiärer Problemlagen durch regelmäßige Gespräche mit den Eltern ebenso bei wie zur individuellen Förderung der Kinder. Auch in diesem Kontext wird im Zusammenwirken mit den Eltern gemeinsam an den vereinbarten Zielen gearbeitet. Die Tagesgruppe leistet eine ergänzende Betreuung zu den erzieherischen Einflüssen, die in der Familie wirken. Im Austausch mit den Eltern steht der gemeinsame Erziehungsauftrag am Kind im Vordergrund. Auch die in der Tagesgruppe tätigen Mitarbeitenden sind in den familienaktivierenden Methoden ausgebildet. Tagesgruppenarbeit wird im aktivierenden Verständnis entsprechend auch als Anregung für Eltern, Neues auszuprobieren, gesehen. Unter diesem Aspekt werden zielgerichtet gemeinsame Aktionen, wie z. B. Elternfrühstück und Familienfreizeiten, durchgeführt. Darüber hinaus finden regelmäßig weitere Eltern-Kind-Aktionen statt, wie das gemeinschaftliche Grillen im Sommer als ein Beispiel für auf die Jahreszeit abgestimmte Aktionen. Die Teilnahme an Festen und Veranstaltungen ist ebenfalls obligatorisch. Es wird Wert darauf gelegt, dass die Eltern mit ihren Stärken in die Gestaltung des Tagesgruppenalltags integriert werden. Hier haben sich gemeinsames Kochen oder kreative Angebote als gern ausgesuchte Tätigkeiten bewährt. Die Eltern haben somit jederzeit die Möglichkeit, ein Angebot anzubieten oder zu begleiten. Besondere Feste, wie zum Beispiel Geburtstage, können gemeinschaftlich mit den Eltern ausgerichtet werden. Die gemeinschaftlichen Aktionen zielen darauf ab, die Mütter und Väter in ihrer Elternrolle zu stärken und die vorhandenen Ressourcen wahrzunehmen, anzunehmen und zu erweitern. Das Elternfrühstück bietet die Möglichkeit, in einer gemütlichen Atmosphäre einander besser kennenzulernen und sich fern vom Alltagsstress über Gott und die Welt auszutauschen. Die im Jugendhof Gotteshütte angebotene Familienfreizeit findet mit allen Familienmitgliedern statt. Hier geht es darum, als Familie gemeinsam neue Erfahrungen zu sammeln und das „Wir-Gefühl“ zu stärken. Die Fachkräfte der Tagesgruppen bieten hierfür den organisatorischen Rahmen und wirken begleitend und unterstützend auf die Familien ein. Es wird viel 174 uj 4 | 2015 FamilienAktivierungsManagement Wert auf ein authentisches und wertschätzendes Miteinander gelegt. Außerhalb des Tagesgruppenalltags stehen schöne gemeinschaftliche Erlebnisse im Vordergrund. Als besondere Intervention: Familienaktivierung in Wohnform Sowohl das Waisenstift Varel als auch der Jugendhof Gotteshütte bieten (Teil-)Familien die Möglichkeit, im Rahmen eines intensiven Kompetenztrainings für einen begrenzten Zeitraum von einem halben Jahr eine Wohnung auf dem jeweiligen Einrichtungsgelände zu beziehen. Die „Familienaktivierung in Wohnform“ (in der Gotteshütte: Trainingswohnen auf Zeit) stellt eine Chance der Entwicklung für solche Familien dar, die akut von der Herausnahme der Kinder bedroht sind. Wenn ambulante Hilfen die Familie nicht ausreichend stabilisieren konnten und das Kindeswohl gefährdet erscheint, haben die Familien im Rahmen dieser intensiven Hilfe einen absichernden Rahmen, um unter intensiver professioneller Anleitung und Begleitung die Verantwortung für ihre Kinder wieder zu übernehmen. Das gesamte Familiensystem steht im Mittelpunkt der Arbeit und nicht nur der Symptomträger selbst. Gemeinsam mit den Familien werden Lösungsstrategien entwickelt, trainiert und stabilisiert. Familien arbeiten ihre Geschichte auf und sortieren sich und ihren Alltag neu. Der Umzug der Familien in die Trainingswohnungen ist für die Familien ein deutliches Signal, etwas zu ändern. Die krisenhaften Bedingungen des Herkunftsortes werden zurückgelassen und ein Neustart kann gelingen. Neben der Sichtweise, die Familienaktivierung in Wohnform als Krisenintervention zu verstehen, wird sie auch als Diagnostik- und Klärungsinstrument genutzt, um langfristig zielgerichtete, stabilisierende Hilfen entwickeln und installieren zu können. Das individuell anpassbare Setting bietet erweiternde Möglichkeiten im Hinblick auf das Erstellen aussagekräftiger Einschätzungen zu der Bindungsgestaltung, der Umsetzung erziehungsrelevanter Vorgaben, dem Kindesschutz, der Erziehungsfähigkeit, zur Veränderungsfähigkeit und ihrer Entwicklungsbereitschaft. Durch die lösungsorientierte, wertschätzende, familienaktivierende und annehmende Grundhaltung der Fachkräfte ist es möglich, das Ressentiment der Familie aufzulösen und sie zu motivieren, Hilfe anzunehmen und zu nutzen. Wesentliche Kernpunkte dieses Angebots sind das Einüben von Erziehungsverhalten, die Tagesstrukturierung und die individuelle Förderung. Die Familien werden intensiv durch multiprofessionell und auftragsbezogen eingesetzte Teams begleitet und angeleitet, verbleiben aber konsequent in der Verantwortung für die eigene Lebensgestaltung und die Entwicklungsbegleitung und -förderung ihrer Kinder. Bedarfsweise können explizit ausgewiesene erweiternde Themenstellungen bearbeitet werden, wie z. B. Paarberatung oder der Umgang mit Finanzen. Ein weiteres Element der Arbeit sind Einschätzungsaufgaben über die Ressourcen der Familie und die Sicherung des Kindeswohls. Hiermit verbunden steht die Einschätzung einer passgenauen, stabilisierenden Nachfolgehilfe. Die Umsetzung der Zielstellungen wird mittels der im FAM etablierten Methoden und Vorgehensweisen umgesetzt. Rückführung Rückführungen aus stationären Settings in die Herkunftsfamilie werden im Jugendhof Gotteshütte und im Waisenstift Varel als „Normalfall“ angesehen. Somit beginnt die „Rückführung“ eines Kindes/ Jugendlichen schon bei dessen Aufnahme. Dementsprechend wird schon im Aufnahmeverfahren geprüft, inwieweit und im Rahmen welcher Möglichkeiten eine Rückführung in Betracht gezogen werden kann. Die Elternarbeit im stationären und teilstationären Setting soll die Partizipation der Eltern ermöglichen, Veränderungen der Erziehungsbedin- 175 uj 4 | 2015 FamilienAktivierungsManagement gungen in der Herkunftsfamilie verbessern und entwicklungshemmende Kreisläufe durchbrechen. Größtmögliche Partizipation der Kinder und Jugendlichen wird angestrebt, auch im Rahmen der Rückführung. Einzelfallbezogen findet die endgültige Rückführung in die Herkunftsfamilie in einem zugeschnittenen und individuellen Prozess statt. Passgenaue Nachfolgehilfen werden gemeinsam mit allen Beteiligten ermittelt und empfohlen. Bedarfsweise wird eine Rückkehr in den elterlichen Haushalt im Rahmen eines „Rückführungs-FAM“ intensiv begleitet. Ausbildung der Mitarbeitenden Bedeutsam in der Umsetzung des aktivierenden Arbeitens ist es, Reflexionsanlässe zu erkennen und eine Feedback-Kultur zu entwickeln, die beinhaltet, dass sowohl auf Ebene der Fachkräfte als auch in der Beziehungsgestaltung zu den Eltern eine Verbindlichkeit für das Geben von Rückmeldungen hergestellt ist. Die Ausbildung der Mitarbeitenden zu familienaktivierenden Fachkräften stellt unter diesen Gegebenheiten einen wesentlichen Faktor der professionellen Weiterentwicklung beider Einrichtungen dar. Sie bildet ein Grundgerüst, das es ermöglicht, die Hilfen im Rahmen der vorhandenen Konzepte basierend auf einem gemeinsamen Verständnis professioneller Haltung zu gestalten. Dies gilt ebenso im Hinblick auf die Anwendung handlungsrelevanter und zielorientierter Methoden. Erweiternd wird je nach Schwerpunkt der Arbeit geschaut, welche Fortbildungsangebote die Mitarbeitenden zusätzlich in ihrer Arbeit stärken. Interne Ausbildungen zur familienaktivierenden Fachkraft werden entsprechend den speziellen Anforderungen der Arbeit in teilstationären und stationären Settings angepasst. Britta Obernolte Jugendhof Gotteshütte Gotteshütte 1 32457 Porta Westfalica b.obernolte@jugendhof-gotteshuette.de Rüdiger Pieper Heilpädagogische Jugendhilfe Waisenstift Varel Waisenhausstraße 19 26316 Varel ruediger.pieper@ewetel.net Literatur Adler, H. (2001): Formen der Eltern- und Familienarbeit in der Jugendhilfe. Unsere Jugend 53, 149 - 158 u. 194 - 204 Homfeldt, H. G., Schulze-Krüdener, J. (Hrsg.) (2007): Elternarbeit in der Heimerziehung. Ernst Reinhardt Verlag, München Obernolte, B. (2012): Stationäre Familienbetreuung - ein Projekt des Jugendhofes Gotteshütte. Entwicklung eines Evaluationsmodells zur Wirkung und Wirksamkeit in der Jugendhilfe. Unveröffentlichte Diplomarbeit, FH Bielefeld Pieper, R. (2011): Die Funken aus dem grauen Stein des Lebens schlagen. Stationäre Familienhilfe - ein Raum für gemeinsame Lern- und Entwicklungsprozesse. Unsere Jugend 63, 265 - 276, http: / / doi10.23 78/ uj2011.art29d Pieper, R. (Autor)/ Dachverband Familienaktivierungsmanagement (Hrsg.) (2013): Werkbuch FamilienAktivierungsManagement. Methoden der Familienaktivierung und Krisenintervention. Pro Business, Berlin Pieper, R. (Autor)/ Dachverband Familienaktivierungsmanagement (Hrsg.) (2014): Praxishandbuch FamilienAktivierungsManagement. Arbeitsmaterialien zur Familienaktivierung und Krisenintervention. Pro Business, Berlin Stiftung Hospital St. Wendel (Hrsg.) (2007): Zehn Jahre Familienaktivierung in der Jugendhilfe der Stiftung Hospital. Von der Kritik zur Akzeptanz. Schriftenreihe der Stiftung Hospital, St. Wendel