unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2015.art08d
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Die „Grüne Liste Prävention“
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Frederick Groeger-Roth
Das Interesse an einer "Evidenz-Basierung" der Prävention, im Sinne einer wissenschaftlichen Untermauerung ihrer Wirkungen, ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. Die Hauptfragen, auf die Antworten gesucht werden, sind: Welche Programme und Maßnahmen haben welche Wirkungen, für wen und unter welchen Umständen? Die Beantwortung dieser Fragen kann als entscheidend für die weitere Entwicklung der Prävention angesehen werden. Um für die Praxis zu sinnvollen Hilfestellungen zu kommen, sind vor allem im angloamerikanischen Raum etliche "Empfehlungslisten" für getestete Programme entstanden (vgl. Means et al. 2014).
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50 unsere jugend, 67. Jg., S. 50 - 58 (2015) DOI 10.2378/ uj2015.art08d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Die „Grüne Liste Prävention“ Evaluierte Präventionsprogramme im Überblick Das Interesse an einer „Evidenz-Basierung“ der Prävention, im Sinne einer wissenschaftlichen Untermauerung ihrer Wirkungen, ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. Die Hauptfragen, auf die Antworten gesucht werden, sind: Welche Programme und Maßnahmen haben welche Wirkungen, für wen und unter welchen Umständen? Die Beantwortung dieser Fragen kann als entscheidend für die weitere Entwicklung der Prävention angesehen werden. Um für die Praxis zu sinnvollen Hilfestellungen zu kommen, sind vor allem im angloamerikanischen Raum etliche „Empfehlungslisten“ für getestete Programme entstanden (vgl. Means et al. 2014). von Frederick Groeger-Roth Diplom-Soziologe, Referent beim Landespräventionsrat Niedersachsen, leitet dort den Arbeitsbereich „Prävention nach Maß. Communities That Care - CTC in Niedersachsen“ und berät Kommunen bei der Einführung evidenzbasierter Präventionsansätze Einleitung Insbesondere in den USA liegt mittlerweile eine Fülle an Studien - und Übersichten über solche Studien - vor, die sich mit der Wirksamkeit von Präventionsprogrammen beschäftigen. Auf dieser Basis ist es möglich, diejenigen Ansätze (in Bereichen wie der Frühförderung, Elternbildung, Sozialkompetenzförderung bei Kindern, Schulentwicklung etc.) zu identifizieren, die sich in hochwertigen Evaluationsstudien (mit Zufallszuweisung in Interventions- und Kontrollgruppen, mit Follow-up-Studien in Bezug auf langfristige Ergebnisse) als wirksam herausgestellt haben - oder auch nicht (vgl. z. B. Farrington/ Welsh 2007; Hawkins/ Catalano 2004; O’Connell/ Boat/ Warner 2009; Sherman et al. 1994, 2002). Zu den als wirksam identifizierten Programmen gehören beispielsweise in der Frühförderung das „Nurse Family Partnership Program“, das Elterntraining „Strengthening Families Program“, das Programm zur Förderung sozialen und emotionalen Lernens bei Kindern „Promoting Alternative Thinking Strategies - PATHS“ oder im Bereich der weiterführenden Schulen das „LifeSkills Training“ und das „Olweus Bullying Prevention Program“. Einen Überblick über die am besten evaluierten Programme liefert die Empfehlungsliste der„Blueprints“-Initiative: www.blueprintsprograms.com (vgl. Mihalic/ Elliott 2014). Auch hierzulande wird seitens der Praxis vor Ort oft das Bedürfnis geäußert, mehr Informationen über nachgewiesen wirksame Ansätze 51 uj 2 | 2015 Evaluation von Prävention zu erhalten (vgl. auch die Ausführungen in BMI/ BMJ 2006, 676ff ). In Deutschland ist - im Gegensatz zur Fülle der Angebote - allerdings nur eine recht kleine Zahl der bestehenden Programme in diesen Bereichen ähnlich gut überprüft wie in den USA (Beelmann 2010; Beelmann/ Pfost/ Schmidt 2014; Beelmann/ Raabe 2007; Scheithauer et al. 2008; DFK 2013). Aber diese Zahl wächst langsam, und die Frage stellt sich, wie in der Praxis verstärkt diejenigen Ansätze zur Anwendung kommen können, die sich als wirksam erwiesen haben oder doch zumindest erfolgversprechend sind. Mit der „Grünen Liste Prävention“ möchte der Landespräventionsrat Niedersachsen in dieser Hinsicht eine Lücke schließen. Die „Grüne Liste Prävention“ liefert Informationen, welche getesteten Präventionsprogramme in Deutschland verfügbar sind und wie sicher es ist, dass diese Programme die gewünschten Ergebnisse liefern. Die Programme werden nach einem einheitlichen Schema beschrieben und die Programmbeschreibungen sollen möglichst viele praxisrelevante Informationen über die eingesetzten Methoden, die Ziele und Zielgruppen etc. enthalten. Die Datenbank ist öffentlich zugänglich unter www.grüne-liste-prävention.de. Ausgangslage In Deutschland existiert eine Fülle von Projekten, Maßnahmen und Programmen, die zum Ziel haben, der Gewalt, der Kriminalität, dem Substanzmissbrauch und anderen Problemverhaltensweisen von Kindern und Jugendlichen vorzubeugen. Strukturierte und überprüfbare Programme sind v. a. in Bereichen wie der Eltern- und Familienbildung, der Frühförderung von Familien sowie der Kompetenzförderung bei Kindern und Jugendlichen in der Kindertagesstätte und der Schule zu finden. Im internationalen Vergleich liegen in Deutschland zwar nicht so viele hochwertige Evaluationsstudien vor, die zeigen, welche Programme tatsächlich wirksam sind. Aber in den letzten Jahren ist viel Bewegung in dieses Feld gekommen. Die Zahl der Evaluationsstudien steigt langsam, aber stetig an. Mit einer durchgeführten Evaluation zu werben, gehört mittlerweile schon zum„guten Ton“ bei den standardisierten Programmen auf dem Markt. Daher rückt die Beurteilung der Güte und Aussagekraft der Evaluation in den Mittelpunkt. Mit dieser Beurteilung darf die Praxis nicht alleingelassen werden, unabhängige Stellen sollten sich aufgefordert fühlen, auf der Basis von nachvollziehbaren Kriterien Übersichten zur Evaluationsgüte von Präventionsprogrammen zu erstellen. Mit der Fülle der Angebote ist die Qual der Wahl für die Praxis verbunden. Die Unübersichtlichkeit des Angebotes trägt dazu bei, dass potenzielle Nachfrager aus Kommunen, Schulen, Kitas und Familien mit dem Problem konfrontiert sind, zu beurteilen, welches Angebot für sie in ihrer spezifischen Situation am geeignetsten wäre. Einer der Gründe für die noch recht geringe Verbreitung von getesteten und wirksamen Programmen dürfte auch diese Unübersichtlichkeit sein. Ziele der Grünen Liste Prävention Trotz der Defizite an Evaluationsforschung können die in Deutschland angebotenen Präventionsprogramme nach der Güte ihrer Wirkungsüberprüfung und ihrer Konzeptqualität unterschieden werden. Die Datenbank „Grüne Liste Prävention“ des Landespräventionsrates bietet auf der Basis nachvollziehbarer Kriterien einen Überblick über empfehlenswerte Präventionsansätze in den Bereichen Familie, Schule, Kinder/ Jugendliche und Nachbarschaft: Welche Programme können mit Aussicht auf Erfolg wo, wann und wie eingesetzt werden, um die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu unterstützen? Auf welche Weise beugen diese Programme der Entstehung oder der Verfestigung von Problemverhaltensweisen vor? Und 52 uj 2 | 2015 Evaluation von Prävention schließlich: Was weiß man darüber, ob diese Programme funktionieren und zu welchen Ergebnissen sie führen? Mit der „Grünen Liste Prävention“ ist ausdrücklich die Zielstellung verbunden, die Anwendung getesteter Präventionsprogramme in der Praxis zu fördern. Aus Sicht des Landespräventionsrates Niedersachsen bilden gut strukturierte Programme einen wichtigen Beitrag für eine nachhaltige Präventionspraxis. Das gestufte Bewertungssystem der Grünen Liste soll ein Anreiz für Anbieter sein, die Evaluationsqualität von Programmen zu erhöhen. Das System ist so gestaltet, dass es konkrete Hinweise darauf gibt, wie der Wirksamkeitsnachweis verbessert werden kann, ohne dass die „Einstiegshürden“ unrealistisch hoch gehängt werden (s. u.). Wir teilen die Ansicht, dass es in der Prävention auch Arbeitsfelder gibt, die sich als „wenig formalisierte pädagogische Settings“ (C. Lüders) beschreiben lassen - und die auch in Zukunft diesen Charakter beibehalten werden und in denen keine strukturierten Programme eingesetzt werden können oder sollten. Die Orientierung an der bestmöglichen Qualität der Angebote für Eltern, Kinder und Jugendliche sollte aber im Vordergrund stehen - und hier liegen die Stärken evaluierter Programme mit Wirkungsüberprüfung im Unterschied zu „selbstgestrickten“ Ansätzen ohne Belege für die Wirksamkeit. Aufnahmekriterien Die Auswahl- und Bewertungskriterien für die „Grüne Liste Prävention“ wurden im Rahmen der Einführung von „CTC - Communities That Care“ in Niedersachsen durch den Landespräventionsrat entwickelt (siehe www.ctc-info.de). CTC ist eine in den USA entwickelte Präventionsstrategie, die Kommunen dabei unterstützen soll, ihre Präventionsaktivitäten zielgerichtet und wirksam zu gestalten (Groeger-Roth 2010, 2012; Hawkins/ Catalano/ Arthur 2002). Ein Instrument bei CTC ist eine Empfehlungsliste mit einer Gesamtübersicht der getesteten Präventionsprogramme (vgl. Hawkins/ Catalano 2004.). Der Landespräventionsrat hat Ressourcen aus dem CTC-Modellversuch von 2009 bis 2012 dafür eingesetzt, eine solche Empfehlungsliste für die deutsche CTC-Anwendung zu entwickeln. Daher umfasst die „Grüne Liste Prävention“ derzeit nur Programme, die sich auf die Ziele von „Communities That Care“ beziehen lassen: Prävention von jugendlichem Problemverhalten in den Bereichen Gewalt, Delinquenz, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Schulabbruch, frühe Schwangerschaften, Depressionen und Ängste. In Frage kommen Programme, die diesen Verhaltensweisen zugrunde liegende Risikofaktoren senken oder entgegenwirkende Schutzfaktoren stärken können. Über eine intensive Literatur- und Internetrecherche wurden durch diesen Filter mittlerweile mehr als 300 mögliche Programm-Kandidaten für die „Grüne Liste Prävention“ identifiziert. Die Auswahl und die Bewertung der Programme werden von der CTC-Arbeitsgruppe des Landespräventionsrates nach den unten dargestellten Kriterien vorgenommen. In einem weiteren Schritt werden die Programmträger jeweils um zusätzliche Informationen und Kommentare zu den getroffenen Einordnungen und Darstellungen gebeten. Der Landespräventionsrat weist darauf hin, dass er bzw. seine MitarbeiterInnen mit keinem bewerteten Programm verbunden sind und keine Interessenskonflikte vorliegen. Diese Unabhängigkeit von den Programmanbietern ist u. E. eine wichtige Voraussetzung, eine Empfehlungsliste mit der nötigen Legitimität auszustatten. Aufgenommen in die Grüne Liste Prävention werden keine zeitlich oder räumlich begrenzten „Projekte“, sondern nur Maßnahmen, die der folgenden Definition für ein Präventions- Programm entsprechen (LPR 2011): 53 uj 2 | 2015 Evaluation von Prävention Ein Programm soll eine Maßnahme oder eine Intervention sein, die ➤ auf Wiederholbarkeit an einem anderen Ort oder zu einem späteren Zeitpunkt angelegt ist (durch eine explizite Handlungsanleitung, z. B. ein geschriebenes Manual, Ablaufschema etc.), ➤ auf ein oder mehrere (überprüfbzw. messbare) Ziele hin orientiert ist, ➤ für die jeweiligen TeilnehmerInnen zeitlich begrenzt ist, aber als Maßnahme auf Dauer angeboten werden kann und ➤ zusätzlich zu einer vorhandenen Basisstruktur durchgeführt wird. Präventionsprogramme sollen Programme sein, die starten, bevor das problematische Verhalten bei der Zielgruppe auftritt oder sich stabilisiert. Weitere Auswahlkriterien sind (LPR 2011): ➤ Für das jeweilige Programm muss mindestens eine aussagekräftige Evaluationsstudie aus dem deutschsprachigen Raum vorliegen. ➤ Das Programm ist in Deutschland implementierbar. Das beinhaltet die Verfügbarkeit von Materialien, Trainings oder Unterstützung bei der Implementierung; es sei denn, das Programm ist ohne gesonderte Unterstützung umsetzbar. Bewertungskriterien für die aufgenommenen Programme Die „Grüne Liste Prävention“ will den Stand des Wirkungsnachweises von ausgewählten Programmen möglichst genau abbilden. Die Entwicklung der Evaluationsforschung in Deutschland ist nicht so weit fortgeschritten, dass es unseres Erachtens Sinn machen würde, nur die höchstmöglich denkbaren Kriterien zu Grunde zu legen. Aus diesen Gründen ist die Grüne Liste auch nicht die deutsche Version der „Blueprints“ (s. o.) aus den USA. Auf der anderen Seite liegen mittlerweile etliche gut gemachte Wirkungsevaluationen von Programmen im deutschsprachigen Raum vor, sodass diese als Maßstab für andere gelten können und die„Eintrittsschwelle“ in die Empfehlungsliste auch nicht zu niedrig gelegt werden sollte. Bei der Problematik der „richtigen“ (angemessenen) Schwellenwerte hat uns ein Bezug auf die Diskussion in den Niederlanden geholfen. Die Bewertung von Programmen in der Grünen Liste wurde in Anlehnung an das theoretische Modell von Veerman und van Yperen (Veermann/ van Yperen 2007) vorgenommen. Das von diesen Autoren vorgeschlagene „Entwicklungsmodell“ für effektive Interventionen geht davon aus, dass Interventionen (wie z. B. Präventionsprogramme) nicht nach dem simplen Raster unterschieden werden sollten, ob sie bewiesen wirksam („evidenzbasiert“) oder „nicht evidenzbasiert“ sind. Programme befinden sich vielmehr meist auf einem Entwicklungsweg, auf dem verschiedene Stufen der Beweiskraft unterschieden werden können: ➤ deskriptive Beweiskraft: die Programmelemente sind deutlich und nachvollziehbar beschrieben, ➤ theoretische Beweiskraft: eine nachvollziehbare Begründung liegt vor, auf der Basis des wissenschaftlichen Kenntnisstandes, warum diese Programmelemente wirksam sein sollen, ➤ indikative Beweiskraft: Evaluationsstudien zeigen deutlich, dass die Intervention zu den gewünschten Ergebnissen führt, auch wenn die Aussagekraft der Studien noch niedrig oder vorläufig ist, ➤ kausale Beweiskraft: die Evaluation kann nachweisen, dass die gewünschten Ergebnisse tatsächlich durch die Maßnahme hervorgerufen wurden. Je niedriger die Entwicklungsstufe ist, desto freier können die Evaluationskonzepte gewählt werden. Für den Nachweis der Wirksamkeit auf der kausalen Ebene kommen aber nur die Evaluationsansätze infrage, die auch kausale Aussagen erlauben. Programmentwickler sol- 54 uj 2 | 2015 Evaluation von Prävention len somit durch Empfehlungslisten wie die vorliegende Datenbank motiviert werden, ihre Evaluationsansätze entsprechend des Entwicklungsmodells weiter zu verbessern. Dieses Entwicklungsmodell liegt auch der „Datenbank effektiver Jugendinterventionen“ des Niederländischen Jugendinstitutes zugrunde (NJI 2008; van Yperen 2007; van Yperen/ van Bommel 2009). Eine Anpassung und Weiterentwicklung des Modells im Rahmen der Grünen Liste erschien uns allerdings erforderlich. Der Schwellenwert für die Empfehlung in der „Grünen Liste Prävention“ liegt in der Erreichung eines mindestens theoretischen Niveaus an Beweiskraft mit mindestens einer vorhandenen Prozessevaluation für die Untersuchung der Umsetzungsqualität. Konkret werden Präventionsprogramme in der „Grünen Liste Prävention“ in drei Stufen bezüglich des Nachweises ihrer Wirksamkeit eingeteilt (vgl. LPR 2011). In Stufe 1: „Effektivität theoretisch gut begründet“ wird ein Programm eingeordnet, dessen Konzept die Kriterien für eine gute Konzept- und Umsetzungsqualität erfüllt, dessen Evaluationsstudie(n) aber noch keine Beweiskraft über die Wirksamkeit haben. Es handelt sich z. B. um Prozessevaluationen, die allein die Qualität der Umsetzung betrachten, oder um Ergebnismessungen ohne die Untersuchung von vergleichbaren Personen, die an der Maßnahme nicht teilnehmen. Ohne solche Vergleichs- oder Kontrollgruppen bleibt aber unklar, ob die Veränderungen nicht auch ohne die Maßnahme eingetreten wären. In Stufe 2 „Effektivität wahrscheinlich“ wird ein Programm eingeordnet, dessen Evaluationsstudie(n) positive Ergebnisse gezeigt haben und die so angelegt sind, dass sie mehr als bloße Hinweise auf die Wirksamkeit geben. Eine in diesem Sinne vorhandene Beweiskraft haben Studien, die mit Kontrollgruppen arbeiten. Im besseren Fall ist die Zuweisung der TeilnehmerInnen in die Kontroll- und die Interventionsgruppe(n) nach dem Zufallsprinzip durchgeführt worden (ein „Zufalls-Experiment“ bzw. ein „Randomized Controlled Trial“, kurz RCT). Dieses Design kann mögliche Verzerrungen verhindern, die z. B. dadurch zustande kommen, dass die Interventionsgruppe eine höhere Bereitschaft für die Mitarbeit hatte. Was die Studien in dieser zweiten Stufe nicht haben, ist eine Messung, ob die Effekte auch eine Weile nach Abschluss der Maßnahme anhalten („follow-up“). Auch eine Kontrollgruppen-Untersuchung mit sehr wenigen TeilnehmerInnen, die kaum Aufschluss über die Generalisierbarkeit gibt, wird hier eingeordnet. In Stufe 3 „Effektivität nachgewiesen“ werden nur die Programme eingeordnet, deren Evaluationsstudien den höchsten Standards einer Wirksamkeitsmessung entsprechen und dementsprechend eine hinreichende bis sehr starke Beweiskraft haben. Die vorliegenden Studien haben eine Zuweisung der TeilnehmerInnen in die Kontroll- oder Interventionsbedingung nach dem Zufallsprinzip vorgenommen oder es handelt es sich um sehr gut kontrollierte „Quasi-Experimente“ (Zuweisung ohne Zufallsprinzip, aber mit Matching-Kriterien). Eine ausreichend große Anzahl an Interventions- und Vergleichsgruppen und TeilnehmerInnen wurde gewählt. Eine „Follow-up“-Messung mit positiven Ergebnissen in der Regel sechs Monate oder später wurde nach dem Ende der Maßnahme durchgeführt. Ausführlich und im Detail werden die einzelnen Bewertungsschritte und -kriterien unter dem Menüpunkt „Kriterien“ in der Datenbank beschrieben. Wir möchten betonen, dass die drei Bewertungsstufen wichtig für die Weiterentwicklung der Evaluationsqualität von Programmen sind, aber angesichts des derzeitigen Kenntnisstandes alle in der „Grünen Liste Prävention“ aufgenommenen Programme für die Praxis als empfehlenswert angesehen werden können, ungeachtet ihrer Einstufung. 55 uj 2 | 2015 Evaluation von Prävention Suchmöglichkeiten und Programmdarstellung In der Datenbank können Präventionsprogramme zum einen gezielt nach den Risiko- und Schutzfaktoren recherchiert werden, deren Einfluss sie senken oder stärken können. Wenn Kommunen die Methode von „CTC - Communities That Care“ anwenden, können sie auf der Basis ihres datengestützten Gebietsprofils hier passgenaue Ansätze finden, welche ihre priorisierten Risikofaktoren senken oder niedrige Schutzfaktoren stärken können. Die „Grüne Liste Prävention“ erlaubt darüber hinaus auch eine gezielte Suche entlang von anderen Kriterien wie z. B. dem von den Programmen angegangenen Problemverhalten, dem Alter der Zielgruppe oder dem Einsatzbereich (Institution), um verschiedene Zugänge seitens der Praxis zu ermöglichen. Die eingestellten Programme werden nach einem einheitlichen Raster vorgestellt, das kurze und übersichtliche Informationen enthält: über Ziele; Zielgruppe(n); die eingesetzten Methoden; verwendete Materialien und Instrumente; Ansprechpartner; die Evaluationsmethode(n) und -ergebnisse; die Einschätzung des Evaluationsniveaus und der Beweiskraft; der finanzielle Aufwand (im Sinne der kostenträchtigen Posten); erforderliche Kooperationspartner; Zeit bis zu den erwartbaren Auswirkungen auf Risikobzw. Schutzfaktoren; Orte, wo das Programm schon eingesetzt wird u. v. m. Ausgewählte Programme Derzeit (Stand 12. 11. 2014) sind in der „Grünen Liste Prävention“ 59 Programme vertreten. Bei ca. 40 Programmen läuft derzeit die Prüfung noch, ob diese in die Liste aufgenommen werden können. Für uns durchaus überraschend ist, dass immerhin 21 Programme die Kriterien für die höchste Stufe „Effektivität nachgewiesen“ erfüllen. Tabelle 1 gibt eine Übersicht über die bisher aufgenommenen Programme. Weiterentwicklung, Grenzen und Perspektiven Aus der Forschung ist bekannt, dass eine positive Wirkung nicht nur vom eingesetzten Programm selbst abhängt, sondern auch von der Qualität der Umsetzung vor Ort (vgl. z. B. Dur- Stufe 1: Effektivität theoretisch gut begründet Stufe 2: Effektivität wahrscheinlich Stufe 3: Effektivität nachgewiesen Familienhebammen, FREUNDE, FuN, HaLT, HIPPY, KESS, Konflikt- Kultur, Rucksack-KiTa, Selbstwert stärken - Gesundheit fördern, Sozialtraining in der Schule, Tom & Lisa, Wir kümmern uns selbst Balu und Du, Big Brothers - Big Sisters, buddY, Eigenständig werden, fairplayer.sport, Faustlos, Fit for Differences, Fit for Life, FREUNDE für Kinder, Gordon- Familien-Training, Klasse 2000, Lions Quest, Lubo aus dem All, Mobbingfreie Schule, Olweus, PaC, Starke Eltern - Starke Kinder, STEEP, STEP, TrainerPlus, Training mit Jugendlichen, Verhaltenstraining für Kindergarten, für Schulanfänger, für Grundschule, Verrückt? Na und! , wellcome Aktion Glasklar, ALF, Be smart - don’t start, Denkzeit-Training, EFFEKT, ELTERN-AG, fairplayer. manual, Familien stärken, GO! , IPSY, JobFit-Training, Kindergarten plus, KlasseKinderSpiel, Medienhelden, Opstapje, PAPILIO, PFADe, Triple P, unplugged, Wir 2 Bindungstraining für Alleinerziehende Tab. 1: In die „Grüne Liste Prävention“ aufgenommene Programme 56 uj 2 | 2015 Evaluation von Prävention lak/ DuPre 2008; Fixsen et al. 2005). Dies betrifft verschiedene Dimensionen wie z. B. die Treue zum ursprünglichen Modell bei der Umsetzung, die Erreichung der Zielgruppen, die ausreichende Intensität der Durchführung oder die Qualifikation und Motivation des durchführenden Personals. Untersuchungen zeigen, dass sich die Wirkung eines Programms zweibis dreifach steigern lässt durch eine gute Umsetzung (Durlak/ DuPre 2008). Eine qualitativ schlechte Umsetzung kann auch gute Programme wirkungslos werden lassen bzw. ihre Wirkung sogar ins Gegenteil verkehren (ebd.). Für eine qualitativ hochwertige Umsetzung bringen einige Programme derzeit bessere Voraussetzungen mit als andere, d. h. sie verfügen über eine qualitätssichernde Implementierungsstrategie (z. B. zertifizierte MultiplikatorInnen). Um diesen Aspekt in der Grünen Liste zu erfassen, haben wir 2013 begonnen, die aufgenommenen Programme auch unter dem Aspekt ihrer Umsetzungskonzepte zu betrachten. Auf der Basis forschungsbasierter Kategorien für gute Umsetzung (z. B. ausformuliertes Implementationskonzept, Monitoring der Umsetzung, laufender Support, Kostentransparenz, Nachhaltigkeitskonzept) haben wir eine Erhebung bei den Programmanbietern über die vorhandenen Unterstützungsleistungen für die Umsetzer vor Ort durchgeführt. Die ersten Ergebnisse für die befragten Programme sind unter dem Menüpunkt „Unterstützung bei der Umsetzung“ in Programmsteckbriefen zu finden. Der Landespräventionsrat Niedersachsen sieht beim Thema der Umsetzungsqualität auch einen engen Zusammenhang mit der Nutzung der Strategie von „CTC - Communities That Care“. CTC hilft kommunalen Akteuren bei der Auswahl von geeigneten Programmen entlang der Kriterien: „Wie vordringlich sind die durch das Programm beeinflussten Risiko- und Schutzfaktoren vor Ort zu bearbeiten? “ / „Wie gut passt das Programm in die bestehende Landschaft der bereits vorhandenen Angebote und wie kann eine Verknüpfung mit diesen stattfinden? “ und „Wie muss das Programm aufgestellt sein, um auf der Ebene des gesamten Stadtteils bzw. der gesamten Gemeinde Wirkungen zu entfalten? “ (vgl. zum Stand der kommunalen Prävention auch Groeger-Roth/ Marks 2015). Die Bereitschaft, neue evidenzbasierte Programme einzuführen oder bereits bestehende Angebote auszubauen bzw. weiterzuentwickeln, wird sehr stark von der Beantwortung dieser Fragen nach der lokalen „Passform“ abhängen. Ob diese Fragen nun mit den Methoden von „Communities That Care“ beantwortet werden oder nicht - die praktische Bearbeitung der bestehenden Hürden für eine wünschenswerte Verwendung evaluierter Programme in der Fläche (Olds et al. 2010) geht über die Perspektive einer Empfehlungsliste hinaus. Die „Grüne Liste Prävention“ ist in diesem Sinne lediglich als ein weiterer Baustein oder Schritt zu mehr Evidenzbasierung in der Prävention zu betrachten. Fazit In den letzten Jahren sind deutliche Fortschritte im Bereich zielgerichteter Programme zur Prävention von Gewalt, Delinquenz und anderer Verhaltensprobleme von Kindern und Jugendlichen gemacht worden. Verschiedene Ansätze haben sich in unterschiedlichen Kontexten bewährt und können gute Evaluationsergebnisse vorweisen. Dies betrifft v. a. Programme im Bereich der Frühförderung von Familien, der sozialen und emotionalen Kompetenzförderung von Kindern und Jugendlichen, der Elternbildung und der Prävention von Gewalt, Mobbing und Substanzkonsum an Schulen. In diesen Bereichen sind mittlerweile mehrere Programme verfügbar, die auf der Basis wissenschaftlich gut begründeter Wirkmodelle arbeiten, sich als praxistauglich erwiesen haben und positive Evaluationsergebnisse bezüglich ihrer Wirksamkeit vorweisen können. 57 uj 2 | 2015 Evaluation von Prävention Diese Programme können daher zu einer Qualifizierung der Präventionspraxis beitragen und stellen einen erfolgversprechenden Ansatz für die nachhaltige Weiterentwicklung der Prävention dar. Eine Fokussierung auf wirkungsüberprüfte Programme stellt auch unter dem Aspekt der zielgerichteten Verwendung knapper Haushaltsmittel einen Vorteil dar. Einen Überblick über die bestehende Programmlandschaft und konkrete Hilfestellungen für die Auswahl geeigneter Programme vor Ort liefert die „Grüne Liste Prävention“. Soweit wir das übersehen können, hat die Grüne Liste Prävention in den letzten Jahren eine erfreuliche Akzeptanz weit über den Ursprungskontext (CTC - Modellversuch in Niedersachsen) hinaus bekommen. Aus den Rückmeldungen der Programmanbieter schließen wir, dass das transparente Bewertungssystem durchaus geschätzt und die damit verbundenen Herausforderungen (Güte der Evaluationsstudien) angenommen werden. Das Bewertungssystem muss allerdings mit der Entwicklung in der Praxis (z. B. vermehrt bessere Studien in den letzten Jahren) schritthalten können und dann ggf. weiterentwickelt werden. Ein Schritt zur Weiterentwicklung ist die Erfassung der Unterstützungsleistungen der Programmanbieter für eine qualitativ hochwertige Umsetzung vor Ort. Auf Bundesebene kooperiert das Deutsche Forum für Kriminalprävention DFK mit dem Landespräventionsrat Niedersachsen. Dem neu entwickelten „Wegweiser Prävention“ (www. wegweiser-praevention.de) liegen die Bewertungskriterien der Grünen Liste zugrunde. Empfohlen werden im „Wegweiser“ die Programme aus der Grünen Liste mit der Bewertungsstufe 2 und 3 (s. o.). Zusätzlich sind im „Wegweiser“ Informationen zur Verbreitung, Evaluation und Implementierung von Programmen zu finden. Bei der Verbreitung von empfehlenswerten Programmen sollten die bestehenden Implementationshürden bedacht und systematisch angegangen werden. Dies betrifft v. a. lokale Bedarfsanalysen, die Motivation, Haltung und Kompetenzen der Durchführenden, vor Ort vorhandene Rahmenbedingungen und Ressourcen, die Bereitschaft zur originalgetreuen Umsetzung und eine proaktive Umsetzungsbegleitung und Nachsteuerung bei Umsetzungsschwierigkeiten. Die in diesem Zusammenhang auftretenden Fragen sind entscheidend für die nachhaltige Wirkung von Präventionsprogrammen und liegen jenseits der Perspektive einer Empfehlungsliste. Eine Einbettung der Auswahl von geeigneten Programmen in eine lokale Implementationsstrategie wie z. B. „Communities That Care - CTC“ ist in diesem Zusammenhang zu empfehlen. Frederick Groeger-Roth Landespräventionsrat Niedersachsen Nds. Justizministerium Am Waterlooplatz 5 a 30169 Hannover frederick.groeger-roth@mj.niedersachsen.de Literatur Beelmann, A., Raabe, T. (2007): Dissoziales Verhalten von Kindern und Jugendlichen. Hogrefe, Göttingen Beelmann, A. (2010): Kann man Aggression, Gewalt, Delinquenz und Kriminalität bei Kindern und Jugendlichen frühzeitig verhindern? Eine kritische Bilanz der Präventionsforschung. In: Schwarzenegger, C., Müller, J. (Hrsg.): 2. Zürcher Präventionsforum - Jugendkriminalität und Prävention. Schulthess Juristische Medien, Zürich Beelmann, A., Pfost, M., Schmitt, C. (2014): Prävention und Gesundheitsförderung bei Kindern und Jugendlichen: Eine Meta-Analyse der deutschsprachigen Wirksamkeitsforschung. Zeitschrift für Gesundheitspsychologie 22, 1 - 14 Bundesministerium des Inneren, Bundesministerium der Justiz (Hrsg.) (2006): 2. Periodischer Sicherheitsbericht der Bundesregierung. Berlin 58 uj 2 | 2015 Evaluation von Prävention Deutsches Forum für Kriminalprävention DFK (2013): Entwicklungsförderung und Gewaltprävention für junge Menschen. Impulse des DFK-Sachverständigenrates für die Auswahl & Durchführung wirksamer Programme - Ein Leitfaden für die Praxis. DFK, Bonn Durlak, J., DuPre, E. (2008): Implementation Matters. A Review of Research on the Influence of Implementation on Program Outcomes and the Factors Affecting Implementation. Journal for Community Psychology 41, 327 - 350 Farrington, D. P., Welsh, B. C. (2007): Saving Children from a Life of Crime. Early Risk Factors and Effective Interventions. Oxford University Press, Oxford Fixsen, D. 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