eJournals unsere jugend 67/5

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2015.art35d
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2015
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Expansion und Qualität

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2015
Anke König
Expansion und Qualitätsentwicklung haben in den letzten Jahren das Feld der Kindertageseinrichtungen in Bewegung gebracht. Der vorliegende Beitrag nimmt Anspruch und Wirklichkeit dieser Dynamik kritisch unter die Lupe. Chancen für einen tatsächlichen Wandel werden gesehen, wenn eine Ausdifferenzierung des Arbeitsfeldes als Folge der Professionalisierungsdiskussion gelingt.
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225 unsere jugend, 67. Jg., S. 225 - 232 (2015) DOI 10.2378/ uj2015.art35d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Prof. Dr. Anke König Erziehungswissenschaftlerin, Univ.-Professorin für Allgemeine Pädagogik mit Schwerpunkt Frühpädagogik, Projektleitung der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF) Expansion und Qualität Chancen für die Professionalisierung in der Frühen Bildung Expansion und Qualitätsentwicklung haben in den letzten Jahren das Feld der Kindertageseinrichtungen in Bewegung gebracht. Der vorliegende Beitrag nimmt Anspruch und Wirklichkeit dieser Dynamik kritisch unter die Lupe. Chancen für einen tatsächlichen Wandel werden gesehen, wenn eine Ausdifferenzierung des Arbeitsfeldes als Folge der Professionalisierungsdiskussion gelingt. In den letzten Jahren hat sich das Feld der Kindertageseinrichtungen zu einem zentralen Dienstleistungssektor des Sozial- und Bildungswesens entwickelt. Heute besuchen knapp 3 Millionen Kinder rund 50.000 Einrichtungen in Deutschland (Autorengruppe Fachkräftebarometer 2014, 14). Der Sektor umfasst derzeit mehr als 600.000 Beschäftigte (ebd. 18), womit sich dieses Arbeitsfeld in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt hat. Ergänzend zur Familie gewinnen die Einrichtungen darüber hinaus als Bildungsorte kulturellen Lernens für junge Kinder zentrale Bedeutung in einer heterogenen Gesellschaft. Inklusion und Sprachliche Bildung werden daher als wesentliche bildungspolitische Herausforderungen in diesem Bereich gesehen. Der Beziehungs- und Interaktionsgestaltung kommt in diesem Zusammenhang eine große Bedeutung zu. Professionelles pädagogisches Handeln bestimmt sich aber nicht nur durch den unmittelbaren Interaktionsbezug, der Erziehung und Bildungsanregung erst ermöglicht, sondern wird gestützt durch Tätigkeiten, wie planen, diagnostizieren, informieren, dokumentieren und beraten. Erst diese mittelbare pädagogische Arbeit eröffnet Raum für Reflexion und Qualitätsentwicklung und ermöglicht damit auch professionelles Handeln. In solchen Bildungsarrangements liegt die Möglichkeit, Chancengerechtigkeit zu verwirklichen. Die Bildungseinrichtungen der Frühen Bildung nehmen daher in modernen Gesellschaften eine entscheidende Funktion zur Teilhabe an Bildung von Anfang an ein. Hintergrund Die Expansion in diesem Sektor steht insbesondere mit den in Deutschland in den Jahren 1996 und 2013 installierten Rechtsansprüchen aufeinenKindergartenplatzimZusammenhang, die eng an die europäische Bildungspolitik (u. a. OECD 2006) und ihr Ziel einer höheren Vereinbarkeit von Familie und Beruf gebunden sind. 226 uj 5 | 2015 Chancen für die Professionalisierung in der Frühen Bildung Dadurch hat sich die Kindertagesbetreuung aus ihrem Schattendasein herausgelöst und avanciert zu einem wichtigen gesellschaftlichen Teilsystem. Der Besuch einer Kindertageseinrichtung zählt heute zur Normalbiografie eines Kindes im Alter von drei bis sechs Jahren - in den ersten drei Jahren besucht derzeit jedes dritte Kind eine institutionelle Einrichtung. Diese Entwicklungen haben dazu geführt, dass die Kindertageseinrichtungen neben den Familien zunehmend zu zentralen Bildungsorten für alle Kinder werden. Der soziale Wandel fordert eine hohe Verantwortung für die Qualität der Einrichtungen, denn noch nie wurde in Deutschland so einstimmig von beinah allen Familien auf die frühe institutionelle Bildung vertraut. Die Bedeutung, die frühen Bildungsorten für den Lebenslauf des einzelnen Subjekts zukommt, fordert hohe Sensibilität und von der Gesellschaft eine maximale Verantwortung für die frühe institutionelle Bildung. Das von Bund und Ländern im November 2014 unterzeichnete Communiqué für die frühkindliche Bildung lässt hier hoffen, in Zukunft zumindest auf struktureller Ebene zu einer länderübergreifenden Einigung zu kommen, um Ressourcen für eine qualitative Bildungsarbeit in diesem Sektor zur Verfügung zu stellen. Um Anspruch und Wirklichkeit in diesem Arbeitsfeld besser einschätzen zu können, soll im Folgenden der Fokus auf die Segmente Arbeitsmarkt, Personalentwicklung und Ausbildung gerichtet werden. Daten und Fakten Mit dem Fachkräftebarometer Frühe Bildung 2014 (FKB) (Autorengruppe Fachkräftebarometer 2014, www.fachkraeftebarometer.de) wurde ein Berichtswesen im Rahmen der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte WiFF installiert. WiFF ist ein Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der Robert Bosch Stiftung und des Deutschen Jugendinstituts e.V. Die drei Partner setzen sich dafür ein, im frühpädagogischen Weiterbildungssystem in Deutschland mehr Transparenz herzustellen, die Qualität der Angebote zu sichern und anschlussfähige Bildungswege zu fordern. Das Berichtswesen WIFF bereitet differenzierte Daten und Informationen über Personal, Arbeitsmarkt und Qualifizierung in der Frühen Bildung auf. Das FKB wertet die amtliche Statistik und vorliegende sozialwissenschaftliche Surveys aus (Mikrozensus, Kinder- und Jugendhilfestatistik, Daten der Statistischen Landesämter zur Ausbildung, Beschäftigtenstatistik der Bundesagentur für Arbeit) und ist in einem zweijährigen Turnus geplant. Es dokumentiert damit Entwicklungen im Zeit- und Ländervergleich, weist auf Trends hin und ordnet sie vor dem Hintergrund struktureller und politischer Rahmenbedingungen ein. Das FKB ist ein wichtiges Instrument, um den Sektor im Rahmen derzeitiger Reformbewegungen differenziert zu beobachten und damit auch Steuerungswissen zur Verfügung zu stellen. Mit dem Fokus auf die Ausbildungskapazitäten und Qualifikationsniveaus auf der einen und der Ausrichtung auf den Arbeitsmarkt auf der anderen Seite kann der Stand des Professionalisierungsprozesses in Bezug auf die Resonanz im Arbeitsfeld eingeschätzt und können Dissonanzen differenziert herausgearbeitet werden. Im Folgenden werden auf Grundlage dieser Analysen von WiFF die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte punktuell diskutiert. Die Expansionsentwicklungen der letzten Jahre gelten als mehrdimensional: Platzangebot, Personalausstattung und Erweiterung der Ausbildungskapazitäten führen zu einer enormen Dynamik. Um diese Dynamik einzuschätzen, reicht es daher nicht, die Diskussion auf einen Faktor auszurichten, vielmehr geht es darum, die punktuellen Veränderungsprozesse im Wechselspiel zu diskutieren und damit Eigendynamiken aufzuspüren und zu reflektieren. 227 uj 5 | 2015 Chancen für die Professionalisierung in der Frühen Bildung Mit dem FKB wurde dieser Schritt konsequent verfolgt. Diese mehrdimensionalen Entwicklungsstränge haben dazu beigetragen, dass sich der Sektor der Kindertageseinrichtungen in Westdeutschland auch zu einem zentralen Jobmotor der Kinder- und Jugendhilfe entwickelt hat. Seit 1974 hat sich die Zahl der MitarbeiterInnen in diesem Feld damit mehr als vervierfacht. Infolge der Anpassung der ostdeutschen Länder nach 1989 an das westdeutsche System wurde das Personal zwischen 1991 bis 2002 um 56 % abgebaut. Seit 2006 ist auch in den ostdeutschen Ländern wieder ein Ausbau an Stellen zu verzeichnen. Heute sind mehr als zwei Drittel (70 %) der in der Kinder- und Jugendhilfe Tätigen im Sektor der Kindertageseinrichtungen beschäftigt (Autorengruppe Fachkräftebarometer 2014, 18). Die Eigendynamiken des Feldes, die sich an sogenannten Trends ablesen lassen, sollen im Folgenden herausgegriffen und anschließend zur Qualitätsentwicklung und zur Professionalisierungsdebatte in Bezug gesetzt werden. Sie haben zur Herausbildung spezifischer Strukturen geführt, die sich trägerübergreifend darstellen. Auf struktureller Ebene besteht in den letzten Jahren der Trend insbesondere zu einer Ausweitung der sogenannten Kombi-Einrichtungen. Der Personalumfang in diesen Einrichtungen hat seit 1998 um 225.000 zugenommen. Kombi-Einrichtungen zeichnen sich durch unterschiedliche Gruppenstrukturen und ein erweitertes Altersspektrum aus. In den Einrichtungen können sowohl Kinder im Krippenals auch im Kindergarten- und Schulalter betreut werden. Mit dieser Einrichtungsform (2014: 66 %) verändert sich das Arbeitsfeld der pädagogischen Fachkräfte erheblich. Leitung und Team werden hier vor neue Herausforderungen gestellt. So zeigt sich auf quantitativer Ebene, dass die Teams in den letzten Jahren erheblich gewachsen sind: von 6,9 MitarbeiterInnen 1998 auf 9,8 im Jahr 2014 (Autorengruppe Fachkräftebarometer 2014, 22ff ). Der Personalschlüssel liegt hier in altershomogenen Gruppen bei jungen Kindern (unter 3 Jahre) bei 1 : 4,6 und in Gruppen, in denen sich alle Altersgruppen befinden, bei 1 : 7,1. Eine altershomogene Gruppe führt nach diesen Analysen zu besseren Personalschlüsseln, wobei zu beachten ist, dass diese regional stark voneinander abweichen. Insbesondere in den ostdeutschen Ländern fallen sie in allen Altersgruppen ungünstiger aus. Eigendynamiken zeigen sich auch im Rahmen der Altersstruktur des Personals in Kindertageseinrichtungen, die sich in den letzten Jahren deutlich verändert hat. Der Anteil der Fachkräfte über 45 Jahre lag 1998 bei 22 %, im Jahr 2014 beträgt dieser 41 %. Dabei kann nicht nur davon ausgegangen werden, dass sich der Beruf zunehmend als Lebenszeitberuf etabliert. Vielmehr ist die Entwicklung darauf zurückzuführen, dass die Bemühungen der letzten Jahre, Fachkräfte für das Feld zu gewinnen, insbesondere bei den über 45-Jährigen gefruchtet haben (ebd. 27). Nachdenklich stimmt bei der Analyse, dass die unter 25-Jährigen nur unterdurchschnittlich in das Arbeitsfeld eingemündet sind. Der Anteil dieser Personengruppe hat sich von 18 % im Jahr 1998 auf 13 % im Jahr 2014 verringert. Diese Entwicklungen könnten auch mit der hohen Teilzeitbeschäftigung in diesem Feld zusammenhängen, die sich in den letzten Jahren weiter erhöht hat. Waren 1998 noch 48 % in Teilzeit beschäftigt, sind es 2014 bereits 60 %. Diese Entwicklung markiert die geringe Öffnung des Berufsfelds für unterschiedliche Lebensentwürfe. Während in den westlichen Ländern noch von einer gewollten Teilzeitbeschäftigung gesprochen werden kann, stellt sich in den ostdeutschen Ländern die Situation anders dar. Eine Analyse von Eva Strunz (2014) auf Grundlage der Daten des Mikrozensus 2011 belegt, dass ErzieherInnen in den westdeutschen Ländern ihre Teilzeitbeschäftigung zu 36 % mit Bezug auf Kinder sowie pflegebedürftige oder behinderte Menschen begründen 228 uj 5 | 2015 Chancen für die Professionalisierung in der Frühen Bildung und zu 33 % auf sonstige persönliche und familiäre Gründe Bezug nehmen. ErzieherInnen aus den ostdeutschen Ländern geben dagegen zu 37 % an, dass sie keine andere Stelle gefunden haben. Wird hier differenziert das Bedingungsgefüge am Arbeitsmarkt betrachtet, dann zeigt sich zudem, dass die befristeten Beschäftigungsverhältnisse in dem Berufsfeld in den letzten Jahren zugenommen haben. Kombi-Einrichtungen, Altersstruktur und Teilzeitbeschäftigung haben auch Konsequenzen für das professionelle Handeln und die Personalentwicklung. Von besonderem Interesse ist es daher, wie sich im Rahmen der Expansion die Ausgestaltung der Leitungsposition in Bezug auf die Freistellung von der Gruppenarbeit entwickelt hat. Die Erfassung der Leitungsebene wurde 2011 in der Kinder- und Jugendhilfestatistik verändert. Daher können hier nur vier Erhebungszeiträume diskutiert werden. Prinzipiell sind die Leitungsstellen von 2011 (37.420) bis 2014 (48.246) um mehr als 10.000 Stellen expandiert. Dabei besteht die größte Zugkraft bei der sogenannten anteilig freigestellten Leitungskraft. Leitung in der Kindertageseinrichtung bleibt damit „Nebentätigkeit“, die neben der Gruppenleitung oder gruppenübergreifenden Tätigkeiten bedient wird. Das spiegelt sich auch in tariflicher Hinsicht wider. Für die Eingruppierung als Leitungskraft einer Kindertageseinrichtung ist weder eine spezifische Qualifikation noch das Ausüben dieser Tätigkeit notwendig (Eibeck 2014). Hinreichend ist es, die Funktion als Leitung übertragen zu bekommen. Die tarifliche Eingruppierung orientiert sich letztlich an der Einrichtungsgröße (Kinderzahl). Dieses Verharren auf struktureller Ebene steht konträr zu den hohen Erwartungen, die heute an die Leitungskraft gestellt werden, um das Team verantwortungsvoll weiterzuentwickeln, die Kita im Rahmen der Reformprozesse neu auszurichten und über die Leitungstätigkeit positiv auf das Bildungsprozessmanagement zu wirken (Barkemeyer/ Günther/ König, im Druck). Auch die Expertengruppe Leitung der Plattform WiFF hat hier differenziert aktuelle Handlungsanforderungen an die Leitungskraft herausgelöst und ein Kompetenzprofil für diese verantwortungsvolle Tätigkeit entworfen, das deutlich auf die Herausforderung der Zukunft hinweist, ein eigenständiges Berufsprofil für Leitungen entwickeln zu müssen. Die derzeitigen Strukturen scheinen eher Professionalisierung zu verhindern, da die Leitungskräfte mit der Zuschreibung der Funktion eine unklare Verortung verbinden (Barkemeyer/ Günther/ König im Druck). Die Expansionsbewegungen der letzten Jahre sind letztlich nur mit Bezug auf das Qualifikationsniveau der pädagogischen Fachkräfte einzuschätzen. Hier weist das FKB darauf hin, dass der Ausbau nicht auf Kosten des Verfachlichungsgrades in den Einrichtungen realisiert wurde, d. h., noch immer sind sieben von zehn pädagogischen Fachkräften staatlich anerkannte ErzieherInnen. Dabei ist es von Bedeutung, dass der Verfachlichungsgrad in den westdeutschen Ländern bedeutend niedriger liegt als in den ostdeutschen Ländern. Dies ist u. a. auf die geringe Bedeutung der Berufsfachschule als Qualifizierungsort in den ostdeutschen Ländern zurückzuführen, da diese in den 1990er Jahren aufgrund der schlechten Arbeitsmarktsituation für ErzieherInnen nicht ausgebaut wurde. In den Daten der Kinder- und Jugendhilfestatistik bleibt aber die Berufsgruppe der KinderpflegerInnen neben den ErzieherInnen die zweitstärkste Berufsgruppe in diesem Bereich mit einem Personalanteil von 13 %. Mit Blick auf die gestiegenen professionellen Erwartungen gilt der Akademisierungsgrad als wichtige Richtgröße. Die Zahl der akademisierten Fachkräfte ist in den letzten Jahren nur gering gestiegen. Sie liegt 2014 bei einem Anteil von 6 % und ist damit noch immer deutlich niedriger als in anderen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe. Werden die Daten zu den Leitungskräften diffe- 229 uj 5 | 2015 Chancen für die Professionalisierung in der Frühen Bildung renziert analysiert, dann zeigt sich ein leichter Trend, Leitungspositionen mit vollständiger Freistellung durch AkademikerInnen zu besetzen. Hier beträgt der Anteil an Fachkräften mit diesem Qualifikationsniveau 22 %. In den ostdeutschen Ländern ist der Akademikeranteil bei der vollständig (27 %) und anteilig freigestellten Leitung (13 %) höher als in den westlichen Ländern. Diese differenzierten Analysen beschreiben eine leichte Tendenz zur Akademisierung der Leitung und zu einer Ausdifferenzierung des Feldes, die bereits 1970 vom Deutschen Bildungsrat gefordert (Prott 2006) und in den letzten Jahren erneut aufgegriffen wurde (König/ Pasternack 2008; Aktionsrat Bildung 2012, 13ff ). Mit Blick auf die Entwicklung der Ausbildungslandschaft soll die Diskussion stärker mit der Qualitätsentwicklung und Professionalisierungsdebatte verbunden werden. Professionalisierung und Qualitätsentwicklung Für das Berufsfeld der Kindertageseinrichtungen qualifizieren heute einschlägige Ausbildungsformate auf allen Qualifikationsebenen der Berufs- und Hochschulbildung: Berufsfachschule (KinderpflegerIn und SozialassistentIn), Fachschule (ErzieherIn) und Hochschule (KindheitspädagogIn). Die Dynamik des Ausbaus hat eine Expansion der Fachschulen für Sozialpädagogik unterstützt. Gab es im Jahr 2007/ 08 noch ca. 17.700 AbsolventInnen, so sind es 2014 ca. 21.000 (Autorengruppe Fachkräftebarometer 2014, 72). Damit bleibt die Ausbildung zum/ zur ErzieherIn auch in den nächsten Jahren das dominante Qualifikationsprofil für den Bereich der Kindertageseinrichtungen. Auch der Qualifizierungsweg über die Berufsfachschule und damit die Ausbildung zum Kinderpfleger und zur Kinderpflegerin bzw. zur Sozialassistentin und zum Sozialassistenten sind weiterhin relevante Formate und scheinen in den nächsten Jahren nicht an Bedeutung zu verlieren. Ungeachtet dieser Entwicklungen hat sich in den letzten Jahren ein weiteres Berufsprofil positioniert. Der Studiengang „Erziehung und Bildung in der Kindheit“ mit dem berufsqualifizierenden Abschluss Kindheitspädagogik hat zu einer neuen Belebung der Professionalisierungsdiskussion in diesem Bereich geführt. Diese Entwicklung kann als Akademisierungsprojekt eingeschätzt werden, vergleichbar mit der Einführung des Diplomstudiengangs Erziehungswissenschaft Ende der 1960er Jahre (Züchner u. a., im Druck). Die Akademisierung der Ausbildung zur/ zum ErzieherIn gilt vielerorts als notwendige Konsequenz, um die Erwartungen, die an die Elementarpädagogik gestellt werden, zu erfüllen (Rauschenbach 2009). Diese Studiengänge wurden 2004 an drei Standorten initiiert und werden inzwischen an 53 Standorten - überwiegend an Fachhochschulen (77 %) - angeboten (WiFF-Studiengangsmonitoring 2014). Damit besteht zum ersten Mal in Deutschland ein einschlägiges Studienprofil, das auf die Tätigkeit in der Kindertageseinrichtung vorbereitet. Während die Ausbildung zum/ zur staatlich anerkannten ErzieherIn eine Breitbandqualifikation ist, die für alle Bereiche der Kinder- und Jugendhilfe qualifiziert, wird mit dem Studium zur Kindheitspädagogin und zum Kindheitspädagogen auf die „Erziehung und Bildung in der Kindheit“ fokussiert, womit weite Teile der Kinder- und Jugendhilfe ausgespart werden. Derzeit lässt sich aus den Studienprofilen jedoch noch kein eigenständiges Berufsprofil ableiten. Vielmehr verdeutlichen die unterschiedlichen Formate (Voll-/ Teilzeit, berufsbegleitend, integriert) und Ausrichtungen, dass der Bezug des Studienfachs Kindheitspädagogik zu anderen Disziplinen und deren Verortung im Feld der Bildungs- und Sozialberufe noch nicht geklärt ist (Betz/ Cloos 2014, 11). Kindheitspädagogik hat das Potenzial, sich in Zukunft zu einer Berufswissenschaft zu entwickeln, die entsprechend der Komplexität des Aufgabenfeldes in 230 uj 5 | 2015 Chancen für die Professionalisierung in der Frühen Bildung der frühen Kindheit auf das Wissen unterschiedlicher Disziplinen setzt. Welche Auswirkungen dies dann auf die berufliche Haltung der KindheitspädagogInnen haben wird, bleibt derzeit offen. Die Ausrichtungen des Studiums werden im WiFF-Studiengangsmonitoring unterschieden nach grundständigen früh-/ kindheitspädagogischen Orientierungen, Studiengängen mit dem Schwerpunkt Leitung/ Management und fachlich affinen Studiengängen. Diese Differenzierung verweist deutlich darauf, dass sich die Studiengänge derzeit noch in einer Phase der Auslotung befinden, aber auch alte Studiengänge sich hier neu gegenüber diesem Sektor öffnen. Die länderübergreifende Befragung von AbsolventInnen kindheitspädagogischer Studienrichtungen ergab, dass diese derzeit zu 70 % in das Feld der Kindertageseinrichtungen einmünden (Züchner u. a. 2014). Dennoch bleibt der Anteil einschlägig und nicht einschlägig akademisch ausgebildeter Fachkräfte nach wie vor gering und liegt derzeit auf einem Niveau von 6 %. Fraglich ist, welche Stellen die KindheitspädagogInnen in den Einrichtungen angeboten bekommen, denn Stellenprofile für sogenannte angewandte wissenschaftliche Tätigkeiten gibt es im Unterschied zu anderen Feldern der Kinder- und Jugendhilfe bisher in den Kindertageseinrichtungen kaum. Mit Bezug auf die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Studie zum Übergang von fachschul- und hochschulausgebildeten pädagogischen Fachkräften in den Arbeitsmarkt (ÜFA) wird deutlich, dass die Entscheidung der KindheitspädagogInnen für das Feld der Kindertageseinrichtungen noch nicht gefallen ist. Zwar münden diese derzeit überwiegend in diesen Bereich ein, laut der Studie entspricht das Arbeitsfeld aber nur bei knapp 50 % dem Wunscharbeitsplatz. Es wird also in den nächsten Jahren darauf ankommen, hier adäquate Stellenprofile zu schaffen, um diesen Professionalisierungsschub, den die kindheitspädagogischen Studiengänge bergen, auch in Zukunft für die Weiterentwicklung des Feldes der Kindertageseinrichtungen zu nutzen. Bildungspolitische Herausforderungen Insbesondere die Post-PISA-Debatten haben das Augenmerk auf das Entwicklungs- und Lernpotenzial junger Kinder in den ersten Lebensjahren gerichtet. Dadurch hat der Wert wissenschaftsbasierten Wissens in diesem Bereich in den letzten Jahren stark zugenommen. Frühe Bildung steht heute im Zentrum der Bildungsforschung und ist sowohl Teil größerer Längsschnittstudien, wie z. B. des Nationalen Bildungspanels (NEPS) oder des Sozioökonomischen Panels (SOEP) sowie der Bildungsberichterstattung in Deutschland (Anders/ Roßbach 2013; König 2013 a). Diese hohen bildungspolitischen Erwartungen an das Feld haben in den letzten Jahren die Schubkraft in Richtung Akademisierung unterstützt. Damit wurde ein Prozess der Nachverwissenschaftlichung angestoßen, der auch das Begründungswissen in diesem Sektor zunehmend verändert. Es ist u. a. Aufgabe der „Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte“ (WiFF), Diskurse zu zentralen bildungspolitischen Themen für das breite Feld der pädagogischen Fachkräfte barrierefrei zugänglich zu machen. Diese Prozesse stärken die Professionalisierungsbewegungen in der Frühen Bildung. Damit wird der Bereich der Kindertageseinrichtungen aber auch anschlussfähig an andere pädagogische Berufsgruppen, die sich in den 1960/ 70er Jahren auf akademischem Niveau ausdifferenziert haben. Diese Gleichstellung könnte auch dazu führen, das Anerkennungsdefizit auszugleichen, das pädagogische Fachkräfte auch durch andere pädagogische Berufsgruppen erfahren (Hippel et al. 2014). Inklusion und Sprachliche Bildung verbinden heute alle Bildungssektoren und fordern dazu heraus, ein inklusives Bildungssystem von Anfang an zu denken. Dabei zeigt sich an den gegenwärtigen Inklusionsquoten im Elementarbereich, dass die Frühe Bildung hier bereits eine gute Ausgangsbasis für Inklusion in den 231 uj 5 | 2015 Chancen für die Professionalisierung in der Frühen Bildung anderen Bildungssektoren bietet (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014, 168). Das implizite Inklusionsverständnis der Kindertageseinrichtungen hat in diesem Sektor eine entsprechende Entwicklung angeschoben (Schmude/ Pioch 2014; König 2013 b). Diese impliziten Inklusionsansätze wurden in den letzten Jahren auch theoretisch an die Diskussionen in der Erziehungswissenschaft angeschlossen (König/ Friederich 2014). Dadurch wird es zunehmend möglich, Wissen zwischen den Bildungssektoren zu teilen und damit auch eine Verständigungsbasis für Kooperationen herzustellen. Im Rahmen Lebenslangen Lernens ist das Voraussetzung, um Bildungssektoren miteinander zu verzahnen. Diskussion Der Sektor der Kindertageseinrichtungen ist heute von zentraler gesellschaftlicher Bedeutung. Dabei zeigt sich trotz der seit Jahrzehnten geführten öffentlichen Debatten über die Frühe Bildung ein zentrales Anerkennungsdefizit hinsichtlich der Berufsgruppe der pädagogischen Fachkräfte und damit letztlich auch des Bildungsorts Kindertageseinrichtungen. Die fortbestehenden Eigenlogiken des Feldes gilt es kritisch zu prüfen, um einen Reformstau zu verhindern. So fordern Altersstruktur, Teilzeitbeschäftigung und Veränderung der Institutionsform (Kombi-Einrichtungen) dazu heraus, u. a. neu über Leitung und Management der Einrichtungen nachzudenken. Die Funktionsstelle der Leitungskraft weiterhin als „Nebentätigkeit“ zu den Tätigkeiten als pädagogische Fachkraft ohne eigenständiges Berufsprofil zu sehen, verhindert eine Ausdifferenzierung des Feldes und damit auch Professionalisierung. Die hohen Anforderungen, die heute an die Steuerung der Leitungskräfte gestellt werden, um das Bildungsprozessmanagement in den Einrichtungen aktuell auszurichten und reflektiert zu begleiten, können so nicht systematisch erfüllt werden. Um die derzeitigen Reformprozesse im Sektor der Kindertageseinrichtungen auch für einen Professionalisierungsprozess zu nutzen, müssen Ausdifferenzierungen der Stellenprofile auf vertikaler und horizontaler Ebene auch ermöglicht und so pädagogische Handlungsräume geschaffen werden, die eine reflektierte pädagogische Praxis unterstützen und zu einer deutlichen Profilbildung der Frühen Bildung als Basis eines inklusiven Bildungssystems beitragen. Das Alleinstellungsmerkmal der Kindertageseinrichtungen als zentrale Bildungsorte im Rahmen des lebenslangen Lernens fordert hier neue Lösungen. Bis heute liegt die Fach- und Dienstaufsicht in diesem Bereich bei den kommunalen (2014: 32 %) und freien Trägerverbänden (2014: 68 %). Diese heterogene Trägerstruktur erschwert Steuerung und Abstimmung in diesem Sektor und führt auch zu verdeckten Disparitäten. Exemplarisch zeigt sich das u. a. in der Abweichung der Gehälter zwischen den Verbänden. So verweist Eibeck (2014) darauf, dass die Entlohnung je nach Arbeitgeber und Tarifgebiet (Ost und West) in den Sozial- und Erziehungsdiensten bis zu 35 % variiert. Verantwortung für den Sektor der Kindertageseinrichtungen zu übernehmen heißt, auch auf einheitliche Qualitätsstandards zu setzen und damit gute Bedingungen für die institutionelle Bildung zu schaffen. Nur so können die frühen institutionellen Bildungsorte auch in Richtung Chancengerechtigkeit wirken und ihr Potenzial voll entfalten. Einheitliche Qualitätsstandards sind aber auch ein entscheidender Schritt, das Anerkennungsdefizit in unserer Gesellschaft für die Frühe Bildung auszugleichen und dem sozialen Wandel in unserer Gesellschaft verantwortungsvoll Rechnung zu tragen. Prof. Dr. Anke König Deutsches Jugendinstitut (DJI) e.V. Nockherstr. 2 81541 München koenig@dji.de 232 uj 5 | 2015 Chancen für die Professionalisierung in der Frühen Bildung Literatur Aktionsrat Bildung (2012): Professionalisierung in der Frühpädagogik. Qualifikationsniveau und -bedingungen des Personals in Kindertagesstätten. Waxmann, Münster Anders, Y., Roßbach, H.-G. (2013): Frühkindliche Bildungsforschung in Deutschland. In: Stamm, M. und Edelmann, D. (Hrsg.): Handbuch frühkindliche Bildungsforschung. Springer VS, Wiesbaden, 183 - 196 Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2014): Bildung in Deutschland 2014. Bertelsmann, Bielefeld Autorengruppe Fachkräftebarometer (2014): Fachkräftebarometer Frühe Bildung 2014. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte. München Barkemeyer, I., Günther, F., König, A. (im Druck): „Pädagogische Leitung“ von Kindertageseinrichtungen als Bildungsmanagement? In: König, A., Leu, H.-R., Viernickel, S. (Hrsg.): Forschungsperspektiven auf Professionalisierung in der Frühpädagogik. Empirische Befunde der AWiFF-Förderlinie. Beltz/ Juventa, Weinheim Betz, T., Cloos, P. (2014): Kindheit und Profession. Die Kindheitspädagogik als neues Professions- und Forschungsfeld. In: Betz, T. und Cloos, P. (Hrsg.): Kindheit und Profession. Konturen und Befunde eines Forschungsfeldes. Beltz/ Juventa, Weinheim, 9 - 22 Eibeck, B. (2014): Eingruppierung und Bezahlung von Beschäftigten in Kindertageseinrichtungen. Tarifliche Entgeltordnungen aus gewerkschaftlicher Sicht. In: Hanssen, K., König, A., Nürnberg, C., Rauschenbach, Th. (Hrsg.): Arbeitsplatz Kita. Analysen zum Fachkräftebarometer Frühe Bildung 2014. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte, München, 47 - 58 Hippel, A. v. u. a. (2014): Pädagogische Berufe zwischen Selbstbeschreibungen und Fremdzuschreibungen. In: Nittel, D., Schütz, J., Tippelt, R. (Hrsg.). Pädagogische Arbeit im System des lebenslangen Lernens. Ergebnisse komparativer Berufsgruppenforschung. Beltz/ Juventa, Weinheim, 200 - 254 König, A., Friederich, T. (2014): Inklusion durch Sprachliche Bildung. Beltz/ Juventa, Weinheim König, A. (2013 a): Frühe Bildung als Thema der Bildungsforschung. Entwicklungen und Perspektiven. In: DGfE-Sektion Sozialpädagogik und Pädagogik der frühen Kindheit (Hrsg.): Konstellationen und Kontroversen in der Sozialen Arbeit und Pädagogik der Frühen Kindheit. Beltz/ Juventa, Weinheim, 228 - 239 König, A. (2013 b): Ganzheitliches Bildungsverständnis als Schlüssel zur Inklusion. Chancen des Elementarbereichs als Ort gemeinsamen Lernens. Gemeinsam Leben 4, 196 - 205 OECD (2006): Starting Strong II. Early Childhood Education and Care. OECD, Paris König, K., Pasternack, P. (2008): elementar + professionell. Die Akademisierung der elementarpädagogischen Ausbildung in Deutschland. Mit einer Fallstudie: Der Studiengang „Erziehung und Bildung im Kindesalter“ an der Alice Salomon Hochschule Berlin (HoF Arbeitsbericht 5 ’08). Institut für Hochschulforschung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Hrsg.), Wittenberg Prott, R. (2006): 30 Jahre Ausbildungsreform - kritische Anmerkungen eines Insiders. In: Diller, A./ Rauschenbach, T. (Hrsg.): Reform der Erzieherinnenausbildung? Beiträge zu einer kontroversen Fachdebatte. DJI-Verlag, München, 209 - 230 Rauschenbach, Th. (2009): Zukunftschance Bildung. Familie, Jugendhilfe und Schule in neuer Allianz. Juventa, Weinheim/ Basel Strunz, Eva (2014): Wie vereinbaren Erzieherinnen Familie und Beruf? Eine Bestandsaufnahme auf Basis des Mikrozensus. In: Hanssen, K., König, A., Nürnberg, C., Rauschenbach, Th. (Hrsg.): Arbeitsplatz Kita. Analysen zum Fachkräftebarometer Frühe Bildung 2014. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte, München, 59 - 81 Züchner, I., Fuchs-Rechlin, K., Theisen, C., Göddeke, L., Bröring, M. (2014): Kindheitspädagoginnen und Kindheitspädagogen im Beruf. Ein neues pädagogisches Ausbildungsprofil im Übergang in den Arbeitsmarkt. In: Hanssen, K., König, A., Nürnberg, C., Rauschenbach, Th. (Hrsg.): Arbeitsplatz Kita. Analysen zum Fachkräftebarometer Frühe Bildung 2014. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte, München, 31 - 46