unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2015.art42d
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Reproduktion von Stereotypen in der vorurteilsbewussten Bildungsarbeit gegen Antiziganismus?
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Kerem Atasever
Sechs Jahre ist es jetzt her, dass wir uns in der Jugendbildungsstätte Kaubstraße entschlossen haben, die Diskriminierung von Roma und Sinti und deren Stigmatisierung als „Zigeuner“ zu thematisieren und dagegen pädagogisch vorzugehen. Gefördert durch die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ hatten wir sogar die Möglichkeit, eigene Methoden und Materialien zu entwickeln und diese in einem Handbuch zu veröffentlichen. In diesen sechs Jahren wurden wir mit unzähligen Stereotypen und Vorurteilen konfrontiert, von denen eines absurder war als das andere und uns dennoch geholfen hat, die Konstruktion dieser Fremdbilder zu verstehen und Mittel für deren Dekonstruktion zu erarbeiten. Gleichzeitig muss ich gestehen, dass ich mindestens die Hälfte dieser Stereotype vor dieser Zeit noch nie gehört, gesehen, wahrgenommen habe.
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251 unsere jugend, 67. Jg., S. 251 - 256 (2015) DOI 10.2378/ uj2015.art42d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Kerem Atasever Jg. 1972; Dipl.-Kulturarbeiter, Diversity-Trainer, Bildungsreferentder außerschulischen politischen Bildung in der Jugendbildungsstätte Kaubstraße in Berlin, Projektleiter für die Methodenentwicklung für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit gegen Antiziganismus; Schwerpunktbereiche Antidiskriminierung, rassismuskritische Bildungsarbeit, intrakulturelle Konflikte und gendersensible Jugendbildung Reproduktion von Stereotypen in der vorurteilsbewussten Bildungsarbeit gegen Antiziganismus? Sechs Jahre ist es jetzt her, dass wir uns in der Jugendbildungsstätte Kaubstraße entschlossen haben, die Diskriminierung von Roma und Sinti und deren Stigmatisierung als „Zigeuner“ zu thematisieren und dagegen pädagogisch vorzugehen. Gefördert durch die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ hatten wir sogar die Möglichkeit, eigene Methoden und Materialien zu entwickeln und diese in einem Handbuch zu veröffentlichen. In diesen sechs Jahren wurden wir mit unzähligen Stereotypen und Vorurteilen konfrontiert, von denen eines absurder war als das andere und uns dennoch geholfen hat, die Konstruktion dieser Fremdbilder zu verstehen und Mittel für deren Dekonstruktion zu erarbeiten. Gleichzeitig muss ich gestehen, dass ich mindestens die Hälfte dieser Stereotype vor dieser Zeit noch nie gehört, gesehen, wahrgenommen habe. Ich möchte ein Phänomen beschreiben, das bezeichnend für die Problematik ist, die hier beschrieben werden soll. Zu Beginn unserer Arbeit haben wir Kooperationspartner_innen gesucht, um die von uns entwickelten Methoden auszuprobieren und gegebenenfalls zu modifizieren. Zielgruppe waren und sind für uns vor allem Sekundarschulen (Klassenstufen 7 - 10 bzw. 13). Bei unseren Anfragen bei Lehrer_innen und Schulleitungen, dass wir gerne die neu erarbeiteten Methoden gegen Antiziganismus erproben wollten, sind wir zunächst auf Unverständnis gestoßen. Der Begriff Antiziganismus war damals nicht bekannt und musste erläutert werden. Dies haben wir bereitwillig getan und erklärt, dass es dabei z. B. auch um Rassismus gegen Sinti und Roma geht. Und auch wenn es aus heutiger Sicht unvorstellbar ist, haben uns auch bei dieser Erklärung die meisten fragend angeschaut und gefragt: „… gegen wen? “. Erst nach dem dritten Schritt der Erklärung, dass es sich bei der betroffenen Gruppe um bedauernswerterweise fremdbezeichnete „Zigeuner“ handeln könnte, war ein erleichtertes Aha zu hören und unsere Gesprächspartner_innen hatten sofort ein „klares“ Bild, wovon wir sprachen. Dies ist gerade einmal sechs Jahre her. Danach ging alles sehr 252 uj 6 | 2015 Antiziganismus schnell. Auch durch entsprechende Medienberichterstattungen hat es keine zwei Jahre gedauert, bis dieser dritte Erklärungsschritt weggefallen ist. Antiziganismus mussten wir meistens immer noch erklären, aber bei der Beschreibung, dass es meistens um Rassismus gegen Sinti und Roma geht, waren sofort alle Bilder da, gegen die wir doch eigentlich mit unserer Arbeit entgegenwirken wollen: Bilder der Mehrheitsbevölkerungen, die nichts mit der Minderheit zu tun haben. Der rosa Elefant Bilder, die nichts mit der Minderheit zu tun haben. Ich kann hier leider nicht darlegen, wer und wann und ob Hirnforscher_innen oder Psycholog_innen oder andere Wissenschaftler_innen diese Funktionalität des menschlichen Gehirns beschrieben haben: Nämlich, dass es unserem Gehirn nicht möglich ist, die Verneinung von gleichzeitig genannten Informationen zu verarbeiten. Beispielhaft wird oft die Aufforderung benannt, NICHT an einen rosa Elefanten zu denken. Ich kann nur feststellen, dass dieses Prinzip bei mir funktioniert: Prompt nach dieser Aufforderung, es nicht zu tun, hat sich mein Bilder- und Wissensrepertoire über Elefanten als Dickhäuter, mit großen und kleinen Ohren, Stoßzähnen etc. erweitert um rosafarbene Elefanten. Auch wenn ich weiß, dass sie ein Phantasieprodukt sind und in der Realität nicht existieren, gibt es sie fortan in meinem Kopf, und ich werde sie bei meinen zukünftigen Abgleichungen mit Elefanten in Betracht ziehen. Für die Antivorurteilsarbeit bzw. vorurteilsbewusste Bildungsarbeit bedeutet dies, dass ich allein durch Negierung bei gleichzeitiger Nennung von Stereotypen vor allem diese Stereotype (re-)produziere. Bevor ich im Folgenden unsere Strategien und Vorgehensweisen beschreibe, um möglichst wenig Stereotype zu reproduzieren, möchte ich die Gelegenheit für ein kleines Experiment nutzen. Die meisten Roma sind keine Hochschulprofessor_innen, Ärzt_innen und Jurist_innen. Wenn diese Mechanismen tatsächlich so eindeutig sind, lassen sie sich möglicherweise auch für unsere Arbeit nutzen, und sei es auch nur, um das Wesen der künstlichen Konstruktion deutlich zu machen. Das heißt, ich versuche, eine neue Zuschreibung zu konstruieren, indem ich sie gleichzeitig negiere, und hoffe, dass diese Zuschreibungen sich nicht negativ auf die benannte Gruppe auswirken. Daher behaupte ich jetzt mal, dass die meisten Roma keine Hochschulprofessor_innen, Ärzt_innen und Jurist_innen sind. Die Auswahl der Berufe ist absolut willkürlich, geleitet von einer rein subjektiven Annahme, dass es sich dabei um gesamtgesellschaftlich angesehene Berufsgruppen handelt. Ich vermute mal, dass sich Ihr Bild von Roma durch diese einmalige Behauptung noch nicht verändert hat, daher werde ich diese Behauptung mehrfach in diesem Text wiederholen und mit Ihnen in einen fiktiven Dialog treten. Ich bin mir also ziemlich sicher, dass die meisten Roma und Sinti keine Hochschulprofessor_innen, Ärzt_innen und Jurist_innen sind. Auch wenn Sie jetzt für den Hochschulbereich zahlreiche Beispiele aufzählen wie Ceija Stojka, Mozes Heinschink etc., muss ich dabei auf Ihren selektiven Blick hinweisen und die prozentual doch höher vertretenen Nicht-Roma und Nicht-Sinti an europäischen Hochschulen anführen. Und was meinen Sie…? Ihre Hausärztin und auch Ihr Zahnarzt gehören der Minderheit an? Es tut mir leid, aber auch in diesem Fall muss es sich um absolute Ausnahmen handeln. Jede ein wenig tiefer in die Materie des Antiziganismus eindringende Person trifft auf das hartnäckige Gerücht (! ! ! Vorsicht Reproduktion! ! ! ), dass insbesondere Sinti sich deutlich von medizinischen Einrichtungen distanzieren, geschweige denn einen medizinischen Beruf ausüben. Dies ist leicht nachvollziehbar, da der Völkermord an ihnen mit „medizinischen“ Untersuchungen und Vermessungen begann und dann über Zwangssterilisationen/ -kastrationen und qualvollen Menschenexperimenten zu Erschießungskommandos und in 253 uj 6 | 2015 Antiziganismus Gaskammern führte. Wie bereits erwähnt, ist es ein Gerücht, und Ihre Hausärztin und Ihr Zahnarzt in allen Ehren, aber die meisten Roma und Sinti sind eben keine Hochschulprofessor_innen, Ärzt_innen und Jurist_innen. Ach, und Ihre Nachbarin ist Staatsanwältin am Landesgericht und deren Ehemann Anwalt für Vertragsrecht und beide haben Ihnen erzählt, sie wären Sinti. Dann kann ich nur sagen, dass diese Tatsache eigentlich nur für Ihr ausgesprochen ausgeprägtes Vertrauensverhältnis untereinander spricht. Denn die Diskriminierung der Roma und Sinti ist dermaßen hoch, dass auch hier, ähnlich wie bei Homosexuellen, von einem „Outing“ gesprochen wird. Und Angehörige der Minderheit vermeiden es, ihre Zugehörigkeit offenzulegen, um Benachteiligungen zu vermeiden. So hat beispielsweise eine repräsentative Studie der Antidiskrimierungsstelle des Bundes vom September 2014 u. a. aufgezeigt, dass jede dritte Person nicht in der Nachbarschaft der Minderheit wohnen möchte. Dann meinen Sie letztendlich, dass meine Behauptung schlichtweg absurd ist. Sie haben recht. Genauso ist es. Diese Behauptung ist aber keinesfalls mehr oder weniger absurd als alle anderen Zuschreibungen, mit denen Roma und Sinti konfrontiert werden. Und führt vielleicht dennoch dazu, dass Sie Roma und Sinti und vielleicht auch Hochschulprofessor_innen, Ärzt_innen und Jurist_innen mit anderen Augen wahrnehmen werden. Wie schaffen wir es nun, Stereotype zu hinterfragen und zu dekonstruieren, ohne neue zu schaffen? Einige Erfahrungen aus der Jugendbildungsstätte Kaubstraße Sicherlich lassen sich die Erfahrungen, die wir in den letzten Jahren gemacht haben, auch auf andere Felder gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit übertragen. Dennoch möchte ich hier darauf hinweisen, dass unser Schwerpunkt die Bildungsarbeit gegen Antiziganismus war und weiterhin ist. Um möglichst wenig zu reproduzieren, achten wir aber darauf, nicht ausschließlich und exklusiv Diskriminierungen von Roma und Sinti zu beleuchten, sondern sie eher beispielhaft für alle weiteren Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu sehen. Ziel bei dieser Vorgehensweise ist die Dekonstruktion einer angenommenen Sonderrolle der Minderheit und der damit einhergehenden Verlängerung der Diskriminierungen. Seit Beginn unserer Arbeit bis heute sind wir mit gewissen Erwartungshaltungen seitens unserer Kooperationspartner_innen und der Teilnehmenden konfrontiert, die nicht zum Themenfeld Antiziganismus in unserem Sinne gehören. Insbesondere Erwartungen wie Handlungsstrategien im Umgang mit Roma und Sinti oder eine Einführung in die Kultur der Minderheit können und wollen wir nicht „bedienen“. Eine strikte Trennung zwischen Antiziganismus und „über Roma und Sinti reden“ ist dabei unvermeidlich. Zum einen wollen wir mit dieser Trennung Wahrnehmungen entgegenwirken, die von einer ethnisch und kulturell homogenen Gemeinschaft ausgehen, und zum anderen die Thematisierung der eigenen zumeist privilegierten Position als Teil der Mehrheitsgesellschaft in den Fokus rücken. Tatsächlich ist es aber so gut wie unvermeidlich, dass weiterhin Fragen zur Minderheit während unserer Seminare auftauchen. In diesen Fällen wird dann hinterfragt, woher die Vorannahmen stammen, ob individuelle Erfahrungen verallgemeinert werden können oder warum und unter welchen Umständen soziale Problemlagen ethnisiert werden - wie z. B. dass die meisten Roma und Sinti keine Hochschulprofessor_innen, Ärzt_innen und Jurist_innen sind. Während der gesamten gemeinsamen Zeit während eines Seminars wird darauf geachtet, möglichst keine Stereotype von außen einzubringen, sondern nur mit dem zu arbeiten, was die Teilnehmer_innen äußern. So werden bereits bei den Übungen zum thematischen Einstieg die Kenntnisse und Vorstellungen der 254 uj 6 | 2015 Antiziganismus Teilnehmenden z.B. durch Assoziationen anhand einer willkürlichen Auswahl von Gegenständen erarbeitet und auch im weiteren Verlauf des Seminars ausschließlich diese Bilder und Aussagen herangezogen. Für die Auflösung des Dilemmas der Reproduktion von Stereotypen ist diese Vorgehensweise natürlich keinesfalls zielführend. Denn letztendlich bleibt es dabei, dass eine Person, in unserem Fall nicht die Seminarleitung, ein Stereotyp nennt, das möglicherweise zehn von 20 Personen im Seminar zum ersten Mal hören und ab diesem Zeitpunkt mit sich tragen. Noch komplizierter wird es bei dem Umgang mit visuellen Darstellungen. In unserem Methodenhandbuch haben wir weitestgehend auf visuelle Darstellungen verzichtet, weil sie häufig eine viel subtilere Wirkung haben und von der Seminarleitung nicht vollständig reflektiert und dekonstruiert werden können. Wir setzen visuelle Darstellungen daher nur ein, wenn die Konstruktionsmechanismen im Rahmen der Übung erfahrbar werden. Erfahrbar werden Konstruktionsmechanismen zum Beispiel in einer Übung der Seminareinheit „Dekonstruktion“, bei der stereotype Darstellungen erkannt, mit Scheren ausgeschnitten und einer beliebigen anderen Personendarstellung aufgeklebt werden, um zu erkennen, dass es eben diese konstruierten Codes sind, die eine beliebige Person zum/ zur „Zigeuner_in“ machen und völlig unabhängig von dem jeweiligen Menschen bzw. der Gruppe existieren. Sie sind ein Konstrukt der Mehrheitsgesellschaft, und deren Dekonstruktion ist daher auch genau dort in der Mehrheitsgesellschaft zu verorten. Dies ist auch einer der Gründe, warum wir bislang die durchaus sehr problematische Begrifflichkeit „Antiziganismus“ auch weiterhin für die Beschreibung unserer Arbeit verwenden. Es handelt sich hier trotz der geschriebenen und gesprochenen Reproduktion der rassistischen Bezeichnung „zigan“ um den Begriff, der verdeutlicht, dass der Fokus dieser Anti-Vorurteils- Arbeit auf die Mehrheitsgesellschaft gerichtet ist, in der dieser rassistische Begriff konstruiert wurde, und mit den Minderheiten der Sinti und Roma und anderen mit demselben Begriff diskriminierten Gruppen nichts zu tun hat. Das Z-Wort 1 Die Gefahr, dass sich Betroffene durch das Wort Antiziganismus beleidigt und verletzt fühlen, bleibt bestehen, und auch die Reproduktion der rassistischen Bezeichnung ist unbestritten. Die Diskussion darüber, welche Begrifflichkeit die passendere ist, ist noch nicht abgeschlossen. 2012 hat das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma eine Tagung veranstaltet, unter anderem mit dem Ziel, Stärken und Schwächen des Begriffs aufzuzeigen. Ein Ergebnis der Tagung war unter anderem, dass es nach aktuellem Stand des wissenschaftlichen Diskurses möglich sei, das rassistische Phänomen der Mehrheitsgesellschaft als „Antiziganismus“ zu bezeichnen, während vorgeschlagen wurde, Diskriminierungen, die von den Betroffenen wahrgenommen werden, als „Sinti-und-Roma-Feindlichkeit“ zu bezeichnen (End 2014, 29). Die Reduzierung des Begriffs „Antiziganismus“ auf Rassismus gegen Sinti und Roma würde zu kurz greifen und daher nicht durch Begriffe wie „Antiromaismus“ oder „Sinti-und-Roma-Feindlichkeit“ ersetzbar sein. Vorgeschlagen wird eine differenziertere Beschreibung, dass „es sich um eine feindliche Haltung gegenüber Sinti und Roma auf Grund eines aus Stereotypen zusammengesetzten ,Zigeuner-Bilds‘ handelt“ (Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma 2012, 2). Womit wir wieder bei der Reproduktion des rassistischen „Z-Worts“ wären. 1 Im Kontext rassismuskritischer Bildungsarbeit lassen sich rassistische Begrifflichkeiten wie„Neger“ oder„Zigeuner“ nur selten vermeiden, da sie oft auch Bestandteil der Auseinandersetzung mit Rassismen sind. Daher werden sie in vielen Fällen mit den Termini „Z-Wort“, „N-Wort“ etc. ersetzt. 255 uj 6 | 2015 Antiziganismus Ich möchte hier einen Blogbeitrag zu oben genannter Debatte zitieren. Das Zitat ist ungekürzt, jedoch Teil eines über sechs Seiten langen, sehr gut recherchierten und in allen Argumenten und Forderungen nachvollziehbaren Artikels: „Der Vorschlag von Filiz Demirova, die für Antiromaismus plädiert, ist hinsichtlich des rassistischen Charakters bisheriger Begriffe doppeldeutig dekonstruierend und für eine weitere Forschung durchaus fruchtbar. Erstens wird auf den rassistischen „Z-Wort“-Begriff verzichtet (und somit Befindlichkeiten der „Minderheit“ gewahrt) und zum zweiten wird der rassistischen Grundannahme der Rassist_innen, welche_r ja gerade in neuerer Zeit verstärkt wieder Roma mit der „Z-Wort“-Konstruktion gleichsetzt, entgegengewirkt. Mit dem Begriff werden also gerade auch die Menschen beschrieben, die mit der „Z-Wort“-Konstruktion herabgewürdigt werden sollen, jedoch keine Roma sind. Anders formuliert, wenn mensch weiß, dass„Z-Wort“ eine Konstruktion ist, warum soll er/ sie/ es diese dann benutzen? Das Festhalten an der „Z-Wort“-Konstruktion stellt für mich daher eine widersinnige Sache dar. Es gibt kein „Z-Wort“, es gibt nur „Z-Wort“-Bilder. Wenn Rassist_innen Nicht-Roma mit Wörtern wie oben beschrieben bezeichnen, so sollte mensch dekonstruieren, anstatt Worte zu reproduzieren, die beleidigend und ungenau (da sie keine wirklichen Menschen/ Gruppen bezeichnen) sind. Mit dem Begriff Antiromaismus kann meiner Auffassung somit auch Rassismus gegen Jenische, Wohnwagenbewohner (als soziodemografische/ subkulturelle Gruppe) und irische bzw. britische travellers verstanden werden. Dies eben auch, weil bedacht werden muss, dass Rassist_innen noch nie Unterschiede zwischen denen, die sie abwerten wollen, und anderen Menschen machten. Roma ist nicht gleich „Z-Wort“ und Roma ist nicht gleich denen, welchen ein vermeintlicher „Z-Wort“-Lebensstil unterstellt wird. Daher lautet meine Forderung: „Nie wieder ,Z Wort‘! “ (Michael von der Recherchegruppe Maulwurf, „Z Wort“ - sprachliche Reproduktion alter Stereotypen? , veröffentlicht am 15. 7. 2013 im Blog ecoleusti). Dieser Ausschnitt aus dem im Grunde genommen hervorragenden Blogbeitrag verdeutlicht vor allem zwei Problematiken. Zum einen, dass die Vermeidung des „Z-Worts“ durch Nutzung des Terminus „Z-Wort“ tatsächlich der Weiterverwendung des rassistischen Begriffs vorbeugt, jedoch kaum die beim Rezipienten entstehenden Bilder dekonstruiert oder hinterfragt. Der Terminus „Z-Wort“ wird zu einem Code, der es leider nicht verhindern kann, denselben Bedeutungsgehalt zu transportieren wie auch der rassistische Begriff selbst, solange alle Beteiligten diesen Code erkennen und wissen, was gemeint ist. Vor einigen Wochen habe ich einen Workshop zu rassismuskritischer Bildungsarbeit für Referendar_innen geleitet. In der Mittagspause kam eine Teilnehmerin zu mir und wollte wissen, was ich die ganze Zeit mit dem Begriff „N-Wort“ meinen würde. Sie hätte andere Teilnehmende gefragt, und auch die waren sich nicht ganz sicher. Ich war zunächst sprachlos und habe ihr dann das rassistische Wort genannt, das ich während meines Workshops „codiert“ hatte. Die Situation hat mich lange beschäftigt und tut es weiterhin. Dies ist kein Plädoyer für die Weiterverwendung rassistischer Begriffe. Im Gegenteil. Ich möchte nur auf das Dilemma hinweisen, dass das Vermeiden und Ersetzen rassistischer Begrifflichkeiten einen wichtigen Schritt in der rassismuskritischen Bildungsarbeit darstellt, für die Dekonstruktion rassistischer Bilder und Stereotype jedoch unzureichend ist. In meinem Alltag gelingt es mir weitestgehend, rassistische Bilder und Begrifflichkeiten zu vermeiden. In meinem Berufsalltag und damit in der Auseinandersetzung mit Rassismen greife ich auf entsprechende Termini (Codes) zurück, um den Gegenstand der Auseinandersetzung diskutieren zu können, und je nachdem wer meine Gesprächspartner_innen sind, produziere und reproduziere ich rassistische Stereotype. Die andere Problematik, die mir durch o. g. Zitat deutlich wird, ist meine Angst vor meiner eigenen Arbeit. Wie bereits zu Beginn dieses Artikels erwähnt, ging es relativ schnell, dass die stereo- 256 uj 6 | 2015 Antiziganismus typen Bilder, die durch Erwähnen des „Z-Wortes“ erst im dritten Erklärungsschritt entstanden sind, bereits beim Erwähnen der Selbstbezeichnung der Minderheit der Sinti und Roma im zweiten Erklärungsschritt entstanden. Aus heutiger Sicht wirkt dies einfach wie ein plumpes Ersetzen des „Z-Worts“ durch Sinti und Roma, bei gleichzeitiger Beibehaltung aller antiziganistischen Bilder und Stereotype. Hierbei wird wieder und wieder die Bedeutung der strikten Trennung von rassismuskritischer Bildungsarbeit gegen den Antiziganismus in der Mehrheitsgesellschaft auf der einen Seite und das „Reden über Roma und Sinti“ auf der anderen Seite deutlich. Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt in der Auseinandersetzung mit Rassismen und Stereotypen in der Mehrheitsgesellschaft, also in der Auseinandersetzung mit Antiziganismus. Ich freue mich sehr, dass insbesondere diese Trennung bei all unseren Seminaren und Fortbildungen von den Teilnehmenden nachvollzogen und wertgeschätzt wurde. Auch wenn die meisten Teilnehmer_innen unserer Seminare mit der Erwartung kamen, mehr über Roma und Sinti zu erfahren, waren sie doch am Ende „glücklich“ darüber, sich vor allem mit ihren eigenen Haltungen und Bildern und Mechanismen der Konstruktion von (Fremd-)Gruppen auseinandergesetzt zu haben. Das Dilemma der Reproduktion bleibt aber weiterhin bestehen. Als Beispiel dafür sei hier eine Erfahrung aus einem unserer ersten Seminare genannt. In der Abschlussrunde nach einem fünftägigen Seminar antwortete ein junger Roma aus Bulgarien auf die Frage, was er gelernt hätte, „ich habe gelernt, dass wir (Roma) ‚Z-Wort‘ sind und dass es ,Z-Wort‘ nicht gibt…“. Es handelte sich um einen 15-jährigen Jugendlichen, der sich selbstverständlich als Roma wahrnimmt und in unserem Seminar erfahren hat, dass auch Roma mit dem „Z-Wort“ stigmatisiert werden. Er kannte das rassistische Wort natürlich, hat es aber nie mit der eigenen Gruppe in Zusammenhang gebracht. Gleichzeitig freut es mich, den zweiten Teil seiner Aussage zu hören, in dem deutlich wird, dass er die Konstruktionsmechanismen wahrgenommen hat. Leider habe auch ich keine Lösung für die beschriebenen Dilemmata. Die Dekonstruktion und die Verdeutlichung von künstlichen Konstruktionen von Stereotypen sollten daher den Kern der Auseinandersetzung mit Antiziganismus und auch anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit bilden, die dabei auf der theoretischen wie auch auf der selbstreflexiven Ebene geführt werden muss. Dabei fällt mir ein …: Hatte ich schon erwähnt, dass die meisten Roma und Sinti keine … ; -) Kerem Atasever Alte Feuerwache e.V. Jugendbildungsstätte Kaubstraße Kaubstraße 9 - 10 10713 Berlin kerem.atasever@kaubstrasse.de Literatur Alte Feuerwache e.V., Jugendbildungsstätte Kaubstraße (Hrsg.) (2014): Methodenhandbuch zum Thema Antiziganismus für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit. 2. Aufl. Unrast Verlag, Münster Antidiskriminierungsstelle des Bundes (Hrsg.) (2014): Zwischen Gleichgültigkeit und Ablehnung. Bevölkerungseinstellungen gegenüber Sinti und Roma. Berlin. In: www.antidiskriminierungsstelle.de/ SharedDocs/ Downloads/ DE/ publikationen/ Expertisen/ Expertise_ Bevoelkerungseinstellungen_gegenueber_Sinti_ und_Roma_20140829.pdf? __blob=publicationFile, 30. 3. 2015 Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma (2012): CfP Interdisziplinäre Fachtagung Antiziganismus. In: www.sintiundroma.de/ uploads/ media/ CfP.pdf End, M. (2014): Antiziganismus in der deutschen Öffentlichkeit - Strategien und Mechanismen medialer Kommunikation. In: www.sintiundroma.de/ fileadmin/ dokumente/ publikationen/ extern/ 2014Kurzfassung StudieMarkusEndAntiziganismus.pdf
