unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Interkulturelle Öffnung der Hilfen zur Erziehung
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Talibe Süzen
Im Hinblick auf die interkulturelle Öffnung der Hilfen zur Erziehung lässt sich Folgendes festhalten: Die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe sind zielgruppen- und bedarfsorientiert so zu gestalten, dass auch Kinder und Jugendliche aus Einwandererfamilien einen gleichberechtigten Zugang zu diesen haben.
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11 unsere jugend, 68. Jg., S. 11 - 21 (2016) DOI 10.2378/ uj2016.art03d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Dr. Talibe Süzen Diplom-Sozialpädagogin/ Sozialarbeiterin, Referentin für die interkulturelle Kinder- und Jugendhilfe beim Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt Berlin Interkulturelle Öffnung der Hilfen zur Erziehung Im Hinblick auf die interkulturelle Öffnung der Hilfen zur Erziehung lässt sich Folgendes festhalten: Die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe sind zielgruppen- und bedarfsorientiert so zu gestalten, dass auch Kinder und Jugendliche aus Einwandererfamilien einen gleichberechtigten Zugang zu diesen haben. Blicken wir auf die Entwicklungen der letzten zehn Jahre in den Hilfen zur Erziehung (HzE), so lässt sich festhalten, dass sich die Zahl von Inanspruchnahmen der erzieherischen Angebote durch Menschen mit Migrationshintergrund verbessert hat: Migrantinnen und Migranten sind nicht mehr wie zuvor in den Hilfen zur Erziehung unterrepräsentiert. (Zur Erläuterung: Die Begriffe Einwanderer/ innen, Migranten/ innen und Menschen mit Migrationshintergrund werden hier synonym verwendet). Eine Differenzierung der aktuellen Datenlage macht jedoch deutlich, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund immer noch eher bei „interventionsorientierten Hilfen“ vertreten sind (vgl. BJK 2013, 27 und AKJ 2009, 48). Dabei wäre zu erwarten, dass die Inanspruchnahme der eher präventiven Angebote der Hilfen zur Erziehung bei Menschen mit Migrationshintergrund aufgrund ihrer prekären sozioökonomischen Situation (zum Beispiel hohe Arbeitslosigkeit, ALG II-Bezug der Eltern, Bildungsarmut) deutlich höher liegt als ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung, weil insgesamt die Klientinnen und Klienten ohne Migrationshintergrund in den Hilfen zur Erziehung aus sozial belasteten Verhältnissen stark überrepräsentiert sind (AKJ 2009, 9). Allerdings existieren nach der Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000 keine verlässlichen Daten darüber, wie viele Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund tatsächlich die Leistungen der erzieherischen Hilfen in Anspruch nehmen (Weiss 2014, 89). Fachexperten gehen jedoch davon aus, dass die Familien mit Migrationshintergrund die stärker präventiv ausgerichteten ambulanten Angebote der Kinder- und Jugendhilfe nicht entsprechend ihrem Bedarf in Anspruch nehmen (vgl. Süzen 2013, 197). Ausgangslage Im Jahr 2014 hatten 16,4 Millionen (20,3 %) der insgesamt 81,1 Millionen Menschen in Deutschland einen Migrationshintergrund. Zu Menschen mit „Migrationshintergrund“ zählen nach der Definition des Mikrozensus (2005) alle, die nach 1949 in das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingewandert sind, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in 12 uj 1 | 2016 Interkulturelle Öffnung in den Erziehungshilfen Deutschland als Deutsche geborene mit zumindest einem eingewanderten oder als Ausländer oder Ausländerin in Deutschland geborenen Elternteil. Laut aktueller Statistik haben sich die Einwanderungszahlen 2014 im Vergleich zum Vorjahr um 6,8 % erhöht (Statistisches Bundesamt 2015, 7). In den letzten Jahrzehnten hat sich zudem sowohl die Herkunft der Einwanderer/ innen als auch deren Migrationsgründe und -wege mehrfach verändert. Der Anteil jüngerer Menschen mit Migrationshintergrund nimmt nach der aktuellen Datenlage ebenfalls stetig zu. Wie der aktuelle Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (BMAS 2013) zeigt, stammten in Deutschland lebende Kinder unter fünf Jahren im Jahr 2010 zu rund 35 % aus einer Zuwandererfamilie und Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund unter 25 Jahren machten einen Anteil von 28 % (5,6 Mio.) aus (vgl. BMAS 2013, 135). Im Spiegel der aktuellen Einwanderungsentwicklungen der letzten Jahre in Europa steigt auch die Anzahl der jungen Flüchtlinge in Deutschland kontinuierlich. Zwischen 2005 und 2014 erhöhte sich die Zahl unter 25-jähriger Flüchtlinge von 27.301 auf 115.900. In der Bevölkerungsgruppe der Geflüchteten gibt es zudem deutlich mehr Kinder im Kleinkindalter zwischen drei und fünf Jahren und auch mehr sehr kleine Kinder: 4,9 % der Antragsteller (9.851 Personen) im Jahr 2014 waren nicht einmal ein Jahr alt (vgl. SVR 2015, 1). Der Kinder-Migrationsreport des Deutschen Jugendinstituts (DJI) fasst die wichtigsten Zahlen mit Blick auf die Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund zusammen. „Sieben von zehn Kindern mit Migrationshintergrund sind in Deutschland geboren und haben die deutsche Staatsbürgerschaft“ (Cinar et al. 2013, 15). Daraus wird deutlich, dass bei aller Heterogenität zum Beispiel in Bezug auf die Herkunft der Familie viele Kinder eines gemeinsam haben: Sie sind in Deutschland aufgewachsen oder sogar geboren (vgl. Cinar et al. 2013, 15). Dabei sind folgende Aspekte hervorzuheben: ➤ 91 % der Kinder mit Migrationshintergrund leben in Westdeutschland. In den Stadtstaaten ist ihr Anteil an der gleichaltrigen Bevölkerung am höchsten. In Ballungsgebieten hat die Mehrheit der unter 15-Jährigen einen Migrationshintergrund (ebd., 15). ➤ Die meisten Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund unter 15 Jahren kommen aus einem Land der EU, zum Beispiel aus Griechenland, Italien, Polen oder Rumänien (vgl. ebd., 15). ➤ Die Lebenswelten und -orientierungen der Menschen mit Migrationshintergrund können sich nicht nur, so das Fazit, nach Herkunftsland, Nation und Religion unterscheiden, sondern auch nach ihren Teilhabe- und Teilnahmechancen an gesellschaftlichen und Bildungsressourcen. Hinzu kommen die eigenen Migrationsgründe oder die der Eltern (Flucht, Familienzusammenführung etc.), der Aufenthaltsstatus bzw. die -dauer und die eigenen Migrationserfahrungen (vgl. Cinar et al. 2013, 18). Vor diesem Hintergrund bietet der Kollektivbegriff „Einwanderer/ in“ oder „Migrant/ in“ oder „Migrationshintergrund“ in erster Linie eine Orientierung an, die längerfristig aber die Gefahr birgt, Unterschiede innerhalb der Einwanderer/ innen bzw. die unterschiedlichen Migrationserfahrungen der Einzelnen zu verwischen (Süzen 2013, 194). In diesem Kontext schlussfolgert Weiss (2014) zu Recht, dass es nicht den Jugendlichen oder die Jugendliche mit Migrationshintergrund geben kann, weil Migration ein sehr heterogenes und vielschichtiges Feld ist und die erlebten Migrationserfahrungen individuell sehr unterschiedliche Auswirkungen auf das Individuum haben können (Weiss 2014, 86ff ). 13 uj 1 | 2016 Interkulturelle Öffnung in den Erziehungshilfen Rechtliche Situation Nicht eingebürgerte Einwanderinnen und Einwanderer unterstehen in Deutschland dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) und die Form der Aufenthaltserlaubnis ist ein entscheidendes Kriterium für die Lebensbedingungen der Familien. Folgende Aufenthaltsmöglichkeiten sieht das Gesetz vor: ➤ Niederlassungserlaubnis (§ 9 AufenthG, unbefristet) ➤ Aufenthalt zum Zwecke der Erwerbstätigkeit (§§ 18 bis 21 AufenthG) ➤ Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären und politischen Gründen (§§ 22 bis 26 AufenthG) ➤ Aufenthalt aus familiären Gründen (§§ 27 bis 36 AufenthG) ➤ besondere Aufenthaltsrechte (§ 37 AufenthG: Rückkehroptionen, § 38: Aufenthaltstitel für ehemalige Deutsche) ➤ Aufenthaltserlaubnis (für sonstige Zwecke nach § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, befristet) ➤ Aufenthaltsgestattung im Asylverfahren (§ 55 Asylverfahrensgesetz) ➤ Duldung und andere Aufenthaltspapiere, die keinen legalen Aufenthalt begründen Widersprüchlichkeiten zwischen SGB VIII und Aufenthaltsgesetz Grundsätzlich beziehen sich alle Leistungen und Angebote der Kinder- und Jugendhilfe gemäß SGB VIII, unabhängig von der Herkunft der Betroffenen und der Staatsangehörigkeit, auf alle Kinder und Jugendlichen, die in Deutschland ihren Wohnsitz haben. Allerdings stellt im bestehenden Ausländerrecht die Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung (§ 27 SGB VIII) zum Beispiel nach dem Wortlaut des § 55 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG einen Ausweisungsgrund dar, wenn der oder die Betroffene Vollzeitpflege nach §§ 33, 34 oder 35 SGB VIII in Anspruch nimmt. Wer nach § 55 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG „Hilfe zur Erziehung außerhalb der eigenen Familie oder Hilfe für junge Volljährige nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch erhält“, kann also ausgewiesen werden. Weiter heißt es dort: „Das gilt nicht für einen Minderjährigen, dessen Eltern oder dessen allein personensorgeberechtigter Elternteil sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten“ (AufenthG). Damit ist nicht nur gemeint, wer die Hilfe nach § 27 SGB VIII beantragen kann, sondern auch, wer tatsächlich Hilfe bekommt - also in diesem Falle auch das Kind. Durch diese rechtliche Konstellation besteht ein„Zielkonflikt zwischen Jugendhilfe und Ausländerrecht“ (vgl. AWO Bundesverband 2010), der bislang von der Kinder- und Jugendhilfe kaum thematisiert wird (Weiss 2014, 89). In der Praxis hat die o. g. Problematik allerdings wenig Relevanz: „Die Bedeutung von § 6 SGB VIII und die damit verbundene Frage der Definition des ‚gewöhnlichen Aufenthalts‘ werden kaum wahrgenommen, obwohl er de facto ganze Gruppen von der Inanspruchnahme von Jugendhilfeleistungen ausschließt oder behindert“ (Weiss 2014, 89). Diese ausländerrechtlichen Vorschriften führen jedoch einerseits im Zusammenhang mit erheblichen Straftaten von Jugendlichen zu einer Überprüfung und gegebenenfalls Veranlassung von Ausweisungen, andererseits stellen sie eine Barriere für Einwanderinnen und Einwanderer dar, das Jugendamt bei Bedarf aufzusuchen bzw. stationäre Hilfen in Anspruch zu nehmen (vgl. Arbeiterwohlfahrt Bundesverband, 2010). Es lässt sich zusammenfassend konstatieren, dass nicht nur die sozioökonomischen Bedingungen des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, sondern auch der Umgang mit ihnen innerhalb der gesetzlichen Kinder- und Jugendhilfe Unterschiede gegenüber Einheimischen darstellen, die nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz nicht sein dürften (vgl. Weiss 2014, 88). 14 uj 1 | 2016 Interkulturelle Öffnung in den Erziehungshilfen Sozioökonomische Situation Fest steht, dass Migration nicht per se ein Indikator für (soziale) Benachteiligung darstellt. Mehrere Studien, Berichte und Analysen, unter anderem der „Monitor Hilfen zur Erziehung 2014“, zeigen allerdings, dass Kinder und Jugendliche und ihre Familien mit Migrationshintergrund in allen Lebensbereichen überdurchschnittlich häufig von Benachteiligungen betroffen sind und„häufig in entwicklungsgefährdenden Kontexten leben, die auf sozialstrukturelle Bedingungen wie Armut, Arbeitslosigkeit und sozialräumliche Segregation sowie auf gesellschaftliche Ausgrenzung und die damit verbundenen psychosozialen Risiken zurückgehen können“ (Fendrich et al. 2014, 20). Der zehnte Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer (2014) zeigt, dass die Armutsgefährdungsquote bei Einwanderern und Einwanderinnen mit 26,8 % mehr als doppelt so hoch wie bei Personen ohne Migrationshintergrund (12,3 %) liegt (Integrationsbeauftragte 2014, 30). Ein Drittel der Kinder mit Migrationshintergrund ist von Armut betroffen, wächst in einem Haushalt mit bedarfsgewichtetem Nettoäquivalenzeinkommen von weniger als 60 % des Medians aller Personen in der Gesellschaft auf (vgl. ebd.). Dem Bericht zufolge schützt selbst eine gute Bildung Migrantinnen und Migranten nicht vor Armut. Es bleibt festzuhalten, dass Einwanderungsfamilien nach wie vor überdurchschnittlich von Armut betroffen sind. Sie leben häufiger von Transferleistungen und gehen öfter geringfügiger Beschäftigung nach (vgl. Integrationsbeauftragte 2014; BMAS 2014 u. a.). Bildungssituation Die Erfassung der Lesekompetenzen in Studien wie PISA 2009 (Programme for International Student Assessment) oder IGLU (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung) hat ergeben, dass sich seit PISA 2000 der Anteil der 15-Jährigen mit sehr schwachen Lesekompetenzen und mit niedrigster Kompetenzstufe etwa halbiert hat. Im Bildungsbericht 2014 wird jedoch auch konstatiert, dass trotz der leichten Verbesse- Muss-Ausweisung gem. § 53 AufenthG Verurteilung zu mindestens drei Jahren Haft (mehrere Strafen innerhalb von fünf Jahren werden zusammengezählt) oder Verurteilung wegen Drogendelikten, Gewaltdemonstrationen oder des Einschleusens von Ausländern und Ausländerinnen Regelausweisung gem. § 54 AufenthG Jede Gefängnisstrafe, Jugendstrafe ab zwei Jahren, Verurteilung wegen Schleusens (z. B. Geldstrafe), Drogendelikte, Terrorismus- Verdacht, falsche Angaben bei Anhörung zur Visumerteilung Kann-Ausweisung gem. § 55 AufenthG Falsche und unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, im Visumverfahren, Straftat außerhalb Deutschlands, Prostitution, Drogenabhängigkeit, Obdachlosigkeit, Sozialhilfebezug, Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung, „Billigung“ von Terrorismus. Außerdem kann ausgewiesen werden, wer Teile der Bevölkerung„beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet“. Tab. 1: Muss-, Soll- und Kann-Ausweisung eines Ausländers und Voraussetzungen für eine Ausweisung (vgl. Arbeiterwohlfahrt Bundesverband 2010, 10) 15 uj 1 | 2016 Interkulturelle Öffnung in den Erziehungshilfen rung der aktuellen PISA-Ergebnisse unter anderem weiterhin eine starke soziale Ungleichheit bei der Bildungsbeteiligung von Kindern aus Einwandererfamilien festzustellen ist (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014, 20). Die meisten Kinder ohne Migrationshintergrund besuchen ein Gymnasium (37,8 %), während „Kinder mit beidseitigem Migrationshintergrund am häufigsten auf eine Hauptschule [wechseln]“ (35,4 %) (vgl. BMAS 2014, 142; Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014, 90). Mit Blick auf Kinder mit Migrationshintergrund werden im Bildungsbericht 2014 drei Risikolagen benannt, die den Bildungserfolg negativ beeinflussen: bildungsfernes Elternhaus, soziale Risikolage und finanzielle Risikolage. Dabei stelle das Risiko eines bildungsfernen Elternhauses sowohl eine soziale als auch eine finanzielle Risikolage dar. Von der finanziellen Risikolage, also einem Familieneinkommen, das unter der Armutsgefährdungsgrenze von 60 % des Durchschnittsäquivalenzeinkommens liegt, sind Kinder mit Migrationshintergrund mit 30,2 % sehr häufig betroffen (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2014, 23; BMAS, 2014, 125). Es lässt sich festhalten, dass der Bildungserfolg der Kinder und Jugendlichen in Deutschland immer noch stärker mit der sozialen Herkunft zusammenhängt als in vielen anderen Industrieländern. Die erhebliche Bildungsbenachteiligung der Kinder aus Einwandererfamilien erschwert ihre sozialen Teilhabemöglichkeiten innerhalb der Gesellschaft sehr stark (vgl. OECD, 2006; Arbeiterwohlfahrt Bundesverband, 2009). Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung Zur Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung durch Menschen mit Migrationshintergrund ist zunächst wichtig festzuhalten, dass die öffentliche Kinder- und Jugendhilfestatistik erst seit 2008 auch Informationen zur Inanspruchnahme der Angebote der Hilfen zur Erziehung durch Familien mit Migrationshintergrund erfasst. In 2012 erhielten ca. 30 % der jungen Menschen mit Migrationshintergrund Leistungen der Erziehungshilfe und jedes vierte Kind in der Erziehungsberatung hatte einen Migrationshintergrund (vgl. Fendrich et al. 2014, 24). Über den Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund bei Vollzeitpflege liegen in Deutschland kaum verlässliche Daten vor, jedoch ist von einem hohen Bedarf auszugehen. Der Anteil der jungen Menschen in Pflegefamilien liegt bundesweit schätzungsweise bei 20 %, in Ballungsgebieten sogar bei bis zu 40 % (Kuhls 2015, 23). Der Anteil von Familien mit Migrationshintergrund bei den erzieherischen Hilfen außerhalb der Familie (Vollzeitpflege und Heimerziehung) hat in den letzten Jahren zugenommen (AKJ 2009, 9). Der im Jahr 2014 veröffentlichte „Monitor Hilfen zur Erziehung“ zeigt drei wesentliche Merkmale bei jungen Menschen mit Migrationshintergrund in den erzieherischen Hilfen: „1) Junge Menschen mit einem Migrationshintergrund sind im Vergleich zu ihrem Anteil an der Bevölkerung leicht überproportional in den Hilfen zur Erziehung vertreten. 2) Der Anteil junger Menschen mit Migrationshintergrund variiert in den einzelnen Hilfearten deutlich. Die Spannweite ist dabei für das Merkmal ‚nicht deutsche Sprache‘ größer als für das der ausländischen Herkunft der Eltern. 3) Familien mit Migrationshintergrund, die Hilfen zur Erziehung erhalten, sind eher auf finanzielle Unterstützung angewiesen als Familien ohne Migrationshintergrund“ (Fendrich et al. 2014, 23f ). Zusammenfassend lässt sich zur Inanspruchnahme von erzieherischen Hilfen durch junge Menschen mit Migrationshintergrund in einzelnen Altersgruppen Folgendes festhalten: 16 uj 1 | 2016 Interkulturelle Öffnung in den Erziehungshilfen ➤ Kinder im Vorschulalter bis zu fünf Jahren nehmen deutlich seltener eine Hilfe zur Erziehung in Anspruch, als es ihrem Anteil in der Bevölkerung entspricht. Dagegen nehmen jugendliche Einwanderer ab 15 Jahren und junge Erwachsene häufiger professionelle erzieherische Hilfen in Anspruch (vgl. Lehmann/ Kolvenbach 2010, 855). ➤ Migranteneltern regen seltener zu einer Hilfe an als die Vergleichsgruppe ohne einen Migrationshintergrund. Der Anstoß zu Angeboten der Hilfen zur Erziehung kommt bei ihnen häufiger von externen Personen in Schulen oder Kindertageseinrichtungen als bei Kindern und Jugendlichen ohne Migrationshintergrund (vgl. ebd.). ➤ Bei 15 % aller erfassten jungen Menschen mit Migrationshintergrund wird zu Hause nicht Deutsch gesprochen. Dies wiederum stellt die Dienste und Fachkräfte vor besondere Anforderungen und Aufgaben, wie beispielweise entsprechende Kommunikation bzw. sprachliche Fähigkeiten bei den Mitarbeitenden sicherzustellen (vgl. ebd.). ➤ Der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Heimerziehung und in der Vollzeitpflege ist im Vergleich zur autochthonen Bevölkerung niedrig (vgl. Lehmann/ Kolvenbach 2010, 856). Es darf außerdem nicht vergessen werden, dass die Inanspruchnahme von Leistungen gemäß dem SGB VIII außerhalb der Familie nach dem geltenden Aufenthaltsgesetz, wie bereits oben beschrieben, Auswirkungen auf ungefestigte Aufenthaltsverhältnisse haben kann. Dies gilt auch für angestrebte Einbürgerungen von Familienmitgliedern. Heute noch genutzte Ermessensspielräume der Ordnungsbehörden können künftig gänzlich anders, vor allem zum Nachteil der Betroffenen, ausgelegt werden (vgl. Arbeiterwohlfahrt Bundesverband 2010). Interkulturelle Öffnung der Hilfen zur Erziehung Das Grundgesetz besagt in Artikel 20 Abs. 1, dass die Bundesrepublik ein demokratischer und sozialer Bundesstaat ist. Ein Staat ist dann sozial, wenn er soziale Gerechtigkeit anstrebt. Nach dem Sozialstaatsprinzip verpflichtet sich der Staat, auf sozialen Ausgleich hinzuwirken und ungerechtfertigte soziale Unterschiede zu verhindern sowie einen angemessenen Lebensstandard für alle Bürger und Bürgerinnen zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang müssen allen Menschen in Deutschland, unabhängig von sozialer Herkunft und vom rechtlichen Status, nach gleichem Recht Zugänge zu öffentlichen Einrichtungen ermöglicht werden (vgl. Voßkuhle/ Wischmeyer 2015, 694). In diesem Kontext besteht die Herausforderung darin, alle bestehenden Angebote der sozialen Dienste zu öffnen, also auf die interkulturelle Öffnung der Regeldienste im Sinne von Überprüfung und Weiterentwicklung von Angeboten, Konzepten und Hilfekonzepten hinzuarbeiten. Vor diesem Hintergrund weisen Konzepte der Sozialen Arbeit in einer Einwanderungsgesellschaft auf notwendige Veränderungsprozesse der sozialen Dienste hin. Diese Veränderungsprozesse bedürfen der Analyse von Arbeitsstrukturen, damit bedarfsgerecht geplant werden kann. Die Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft gehört vor diesem Hintergrund zu den zentralen Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Ein interkultureller Öffnungsprozess mit Blick auf Hilfen zur Erziehung ermöglicht es, migrationsspezifische Barrieren zu erkennen, soziale Probleme nicht zu kulturalisieren sowie Exklusionsmechanismen zu überwinden. Eine solche Entwicklung verbessert somit die pädagogische Qualität und sichert weitestgehend die Zufriedenheit der Ratsuchenden und Hilfebedürftigen in der Zusammenarbeit mit Einrichtungen sowie den erfolgreichen Hilfeprozess (vgl. Süzen 2010, 391). 17 uj 1 | 2016 Interkulturelle Öffnung in den Erziehungshilfen Worauf es ankommt… Im Fokus zur Implementierung der interkulturellen Öffnung im Handlungsfeld der HzE steht die Identifizierung von Zugangsbarrieren. Unter der Voraussetzung, dass die Zugangsbarrieren bekannt sind, können dann Arbeitshypothesen im jeweiligen Arbeitsfeld gebildet werden, auf deren Grundlage Strategien zum Abbau dieser Barrieren entwickelt werden können. Erst nach der Analyse von Zugangsbarrieren werden daher eine zielgerichtete Organisationsentwicklung konzipiert und Implementierungsstrategien entwickelt. In diesem Kontext erfordert interkulturelle Öffnung eine Gesamtstrategie und bedarf einer Reihe von Voraussetzungen für Organisationen und Einrichtungen: Strukturelle und organisatorische Voraussetzungen Die Implementierung der interkulturellen Öffnung setzt eine politische Willenserklärung der Leitung und entsprechende Grundsatzentscheidungen voraus. Die Interkulturelle Öffnung betrifft und verändert die Organisation als Ganzes (Leitbildentwicklung). Sie beschränkt sich nicht auf punktuelle Maßnahmen, sondern erfordert einen längerfristig angelegten Organisationsentwicklungsprozess, der eng mit dem Personal- und Qualitätsmanagement verknüpft ist, der einen Arbeitsplan und die Festlegung zeitlicher und finanzieller Ressourcen erfordert. Kern dieses Prozesses ist die Entwicklung und Umsetzung eines schlüssigen interkulturell orientierten Gesamtkonzeptes. Hierfür bedarf es einer Sozialraumanalyse und einer klaren Zielformulierung, warum die interkulturelle Öffnung notwendig ist. Es müssen Überlegungen angestellt werden zu Kundenorientierung, Personalentwicklung, Existenzsicherung oder Profilierung und Alleinstellungsmerkmalen der jeweiligen Einrichtung oder Organisation. Personelle Voraussetzungen Die grundlegenden Ansätze der Personalentwicklung im Kontext der interkulturellen Öffnung ist die Motivierung der Mitarbeitenden durch gezielte Maßnahmen und Fortbildungen (z. B. Austausch über Relevanz und Mehrwert der interkulturellen Öffnung wie Entwicklung einer Vielfaltperspektive oder Stressreduzierung der Mitarbeitenden hinsichtlich der Adressatenorientierung) sowie die kontinuierliche Entwicklung der Interkulturellen Kompetenz bei allen Fach- und Leitungskräften. Interkulturelle Öffnung erfordert vor allem die Sicherstellung der Kommunikation und des Informationsflusses zwischen Abteilungen, Teams, den zuständigen Gliederungen sowie Hierarchiestufen. Fachliche Voraussetzungen Initiierung und/ oder Implementierung der interkulturellen Öffnung setzt Wissen über eigene Netzwerke, Zuständigkeiten, Aufgaben und Rollen voraus, um einen professionellen Umgang mit dieser Klientel finden zu können. Darüber hinaus setzt die Implementierung der interkulturellen Öffnung Methodenkompetenz, Reflexionsbereitschaft, Bereitschaft und Offenheit zur interkulturellen Kompetenz voraus, um vor allem soziale Probleme, Kommunikationshemmnisse und -barrieren nicht zu kulturalisieren (Arbeiterwohlfahrt Bundesverband 2015). Interkulturelle Öffnung bei der Arbeiterwohlfahrt Mit dem Thema interkulturelle Arbeit und Öffnung befasst sich die Arbeiterwohlfahrt intensiv. Die AWO hat verbandspolitisch bereits im Jahr 2000 eine Grundsatzentscheidung getroffen und sich danach verpflichtet, all ihre Dienste und Einrichtungen interkulturell zu öffnen. Mit dieser Grundsatzentscheidung wurden alle AWO-Glie- 18 uj 1 | 2016 Interkulturelle Öffnung in den Erziehungshilfen derungen aufgefordert, bestehende und neue Dienste und Einrichtungen interkulturell zu öffnen, indem sie darauf achten, dass Migrantinnen und Migranten ihrem Bevölkerungsanteil entsprechend in den Angeboten repräsentiert sind und somit konzeptionell, organisatorisch und personell ihren Bedürfnissen in den Einrichtungen und Maßnahmen entsprochen wird. Mit interkultureller Öffnung strebt die AWO an, die Weiterentwicklung und Qualifizierung aller Angebote der sozialen Dienste hin zu einer adäquaten Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund zu erreichen, um ihnen die gleichberechtigte Teilhabe nach dem Sozialstaatsprinzip in allen gesellschaftlichen Bereichen zu ermöglichen (vgl. Arbeiterwohlfahrt Bundesverband 2009). Fragen zur interkulturellen Arbeit und Öffnung finden vor diesem Hintergrund im Verband in vielfältiger Form in Diskussionen, Fachveranstaltungen und Fortbildungsangeboten Eingang. Zu den Entwicklungsschritten im Kontext der interkulturellen Öffnung gehören unter anderem die Handreichung „Interkulturelle Öffnung der Hilfen zur Erziehung“ (2010) sowie die Durchführung von Fortbildungen und Workshops und des aktuellen Modellprojektes „Interkulturelle Öffnung der Hilfen zur Erziehung der Arbeiterwohlfahrt“, dessen Ergebnisse im Folgenden in komprimierter Form dargestellt werden. Zum Modellprojekt: Interkulturelle Öffnung (IKÖ) der Hilfen zur Erziehung (HzE) der Arbeiterwohlfahrt Das Modellprojekt wurde am 1. 1. 2014 gestartet, besitzt eine Laufzeit bis zum 30. 6. 2016 und wird von der Aktion Mensch bezuschusst. Die Projektumsetzung findet an drei Standorten (Düsseldorf, Lübeck, Braunschweig) der Arbeiterwohlfahrt statt. Das Ziel des Projektes ist, Angebote der Hilfen zur Erziehung für Menschen mit Migrationshintergrund in einer Einwanderungsgesellschaft zugänglicher zu gestalten. Im Rahmen des Projektes werden durch eine zielgerichtete Öffentlichkeits- und Vernetzungsarbeit ➤ Zugangsbarrieren zum Hilfesystem identifiziert und Abbaustrategien entwickelt, ➤ neue Perspektiven für die vorhandenen Angebote aufgezeigt sowie ➤ interkulturelle Öffnung implementiert. Zielgruppe des Projektes sind Mitarbeitende und Leitungskräfte der Einrichtungen und Träger der Kinder- und Jugendhilfe und aus anderen sozialen Diensten in den jeweiligen Projektregionen. Im Rahmen des Projektes werden regionale Workshops an den Modellstandorten für die Fach-, Führungs- und Leitungskräfte aus Institutionen der freien und öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe, Kita, (Grund-) Schule, Gesundheitsdienste, Migrationsfachdienste und Migrantenorganisationen konzipiert und durchgeführt. Die fachliche Unterstützung der Projektumsetzung erfolgt durch eine Steuerungsgruppe, bestehend aus Expertinnen und Experten aus der Organisations- und Qualitätsentwicklung und dem Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik, die das Projekt begleiten und unterstützen. Die Erwartungen an das Projekt sind, dass die interkulturelle Öffnung durch dieses Projekt nachhaltig wirkt und dass sie in das Selbstverständnis der teilnehmenden Einrichtungen eingeht. Die Ergebnisse des Gesamtprojektes werden in einem Handlungskatalog zusammengetragen sowie auf der für April 2016 geplanten Abschlusstagung vorgestellt. Zwischenergebnisse Ausgehend von der Gesamtstrategie der interkulturellen Öffnung wurde an allen drei Standorten zum Projektbeginn eine Bestandsanalyse 19 uj 1 | 2016 Interkulturelle Öffnung in den Erziehungshilfen durchgeführt. Auf der Basis der Ergebnisse wurde folgende Strategie zur Umsetzung der Projektziele festgelegt: ➤ Sensibilisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ➤ Auf- und Ausbau von Vernetzung und Kooperation ➤ Organisationsentwicklung Ein besonders prägnantes und erfolgreiches Beispiel ist, dass an allen drei Standorten nach den interkulturellen Schulungen ein großes Interesse und große Bereitschaft seitens des Einrichtungspersonals zur Projektumsetzung festgestellt werden konnte. Nach dieser Sensibilisierungsphase wurde interkulturelle Öffnung als dauerhafter Prozess von allen Mitarbeitenden der jeweiligen Modellregionen akzeptiert und verfolgt. An allen Projektstandorten entwickelten sich innovative Ideen und Vorschläge zur Umsetzung der Projektziele. Nach der Bestandsaufnahme wurde an allen Standorten die Öffentlichkeitsarbeit konzeptionell angepasst. Es fand über die vorhandenen Netzwerke ein intensiver Austausch, insbesondere mit Moscheevereinen sowie den für Flüchtlinge zuständigen Landesaufnahmebehörden, statt. Weiterhin wurden an allen Modellstandorten die Leitbildentwicklung und die damit verbundenen Prozesse angestoßen. Dazu wurden regelmäßige Reflexionstreffen organisiert, in denen es um die Analyse der Grundsätze und des Leitbildes hinsichtlich der interkulturellen Öffnung und um die Feststellung des konkreten Handlungsbedarfs ging. An zwei Standorten wurde der Hilfeplan nach § 36 SGB VIII überprüft, um ihn unter Berücksichtigung der Perspektive der Nutzerinnen und Nutzer zu verbessern. Dazu wurden interkulturelle Standards für das Hilfeplanverfahren entwickelt und erprobt, etwa zur Frage, wie sich die freien Träger in das Verfahren einbringen können. Es lässt sich schon jetzt feststellen, dass die Zusammenarbeit mit den örtlichen Jugendämtern im Rahmen des Projektes aus verschiedenen Gründen (unter anderem fehlende Motivation oder fehlende personelle Kapazitäten des Jugendamtes) bislang nicht für alle drei Modellstandorte gelungen ist. Der Blick auf die interkulturelle Öffnung in ihrer Gesamtheit einer Organisation ist allerdings ohne die Mitwirkung anderer sozialräumlicher Akteure kaum realisierbar. Zur Entwicklung von Strategien zur strukturellen Verbesserung im Sozialraum und Implementierung der interkulturellen Öffnung der Hilfen zur Erziehung ist die Zusammenarbeit besonders mit dem jeweiligen Jugendamt vor Ort unerlässlich. Die größte Herausforderung an die Kinder- und Jugendhilfe liegt in der interkulturellen Öffnung ihrer Strukturen. Dies betrifft alle Bereiche - von der Kita bis hin zu ambulanten, stationären und teilstationären Angeboten, die den aktuellen Entwicklungen sowie Erfordernissen einer Einwanderungsgesellschaft gerecht werden sollen. In diesem Kontext lassen sich folgende Aspekte zusammenfassen, auf die sich die Kinder- und Jugendhilfe im Sinne der Öffnung ihrer Strukturen und der (Mit-)Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft vorbereiten sollte: ➤ Die Herausforderung besteht darin, migrationsspezifische Merkmale weder kulturell noch ideologisch als Basis sozialpädagogischen Handelns überzubewerten, aber diese auch nicht zu ignorieren. Grundlegend für die Umsetzung der interkulturellen Öffnung ist es, die eigenen Vorstellungen und Bedürfnisse der Kinder und Eltern ernst zu nehmen. Dabei gilt es das Hilfesystem zu reflektieren, Haltungen der Beratenden und der Organisation in Bezug auf die Ratsuchenden zu prüfen und Hypothesen zu bilden, um immer wieder Zugänge zur Familiendynamik und damit zu den Beteiligten zu entwickeln. Dazu gehört es 20 uj 1 | 2016 Interkulturelle Öffnung in den Erziehungshilfen beispielsweise, einen vereinfachten Zugang ohne viel Bürokratie zu den Hilfen zur Erziehung zu ermöglichen, Zugangsbarrieren regelmäßig zu identifizieren und Abbaustrategien zu entwickeln, um so schließlich migrationssensible, ganzheitliche Angebotsstrukturen zu schaffen. ➤ Bei Zielgruppen mit Migrationshintergrund in der Kinder- und Jugendhilfe gilt es zu berücksichtigen, dass diese Menschen durch ihre Migrationserfahrungen geprägt sind. In diesem Zusammenhang sind die Dienste in besonderem Maß aufgefordert, im Rahmen von Beratungs- und Hilfeprozessen die individuellen Migrationsgründe und Migrationserfahrungen mit zu berücksichtigen. ➤ Interkulturelle Öffnung erfordert Auseinandersetzung mit Rassismus und Diskriminierung, verbunden mit der Fragestellung, wie das Hilfesystem als Ganzes mit Menschen mit Migrationshintergrund umgeht. Abschließend ist festzuhalten, dass im Bereich der Hilfen zur Erziehung Angebote flexibel, offen und allen bekannt sein müssen. Die Erreichbarkeit ist kontinuierlich zu überprüfen und im Rahmen der sozialräumlichen Arbeit den Bedürfnissen und Ressourcen der betroffenen Familien mit Migrationshintergrund anzupassen, wenn die Kinder- und Jugendhilfe wirklich ihren Grundprinzipien der §§ 1 und 9 SGB VIII gerecht werden will. Dr. Talibe Süzen Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V. Heinrich-Albertz-Haus Blücherstraße 62 - 63 10961 Berlin Literatur AKJ Informationsdienst der Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik (2009): Kommentierte Daten der Kinder- und Jugendhilfe. Heft Nr. 1/ 09, März 2009. http: / / www.akjstat.tu-dortmund.de/ fileadmin/ Komdat/ komdat34.pdf, Zugriff am 14. 9. 2015 Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V. (Hrsg.) (2009): Was hält die Gesellschaft zusammen? Zur Zukunft der sozialen Arbeit in Deutschland. Sozialbericht 2009. Essen Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V. (Hrsg.) (2010): Interkulturelle Öffnung der „Hilfen zur Erziehung“ in den Diensten und Einrichtungen der Arbeiterwohlfahrt. Eine Handreichung für die Praxis. Schriftenreihe Theorie und Praxis, Berlin Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e. V. (Hrsg.) (2015): Interkulturelle Öffnung der Bundesprogramme Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer und Jugendmigrationsdienste. Eine Praxishilfe. Schriftenreihe Theorie und Praxis, Berlin Autorengruppe Bildungsberichterstattung (Hrsg.) (2014): Bildung in Deutschland 2014. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zur Bildung von Menschen mit Behinderungen. Bertelsmann Verlag, Bielefeld BMAS Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.) (2013): Lebenslagen in Deutschland. Der Vierte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Bonn. URL: http: / / doku.iab.de/ externe/ 2013/ k130307r15.pdf BJK Bundesjugendkuratorium (2013): Migration unter der Lupe. Der ambivalente Umgang mit einem gesellschaftlichen Thema in der Kinder- und Jugendhilfe. URL: http: / / www.sgbviii.de/ S106.pdf Cinar, M., Otremba, K., Stürzer, M., Bruhns, K. (2013): Kinder-Migrationsreport: Ein Daten- und Forschungsüberblick zu Lebenslagen und Lebenswelten von Kindern mit Migrationshintergrund. DJI Deutsches Jugendinstitut e.V. (Hrsg.), München Fendrich, S., Pothmann, J., Tabel, A. (2014): Monitor Hilfen zur Erziehung. 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