eJournals unsere jugend 68/2

unsere jugend
4
0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
21
2016
682

Teilhabechancen von Kindern durch armutssensibles Handeln in der Kommune ermöglichen

21
2016
Corinna Spanke
Armutssensibles Handeln kann die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen trotz finanzieller Einschränkungen ermöglichen und ihnen die Möglichkeit geben, ihre Potenziale zu entfalten. Praxisbeispiele aus dem Förderprogramm des LVR-Landesjugendamtes Rheinland „Teilhabe ermöglichen – Kommunale Netzwerke gegen Kinderarmut“ zeigen, wie dies in der Praxis gelingen kann.
4_068_2016_002_0068
68 unsere jugend, 68. Jg., S. 68 - 73 (2016) DOI 10.2378/ uj2016.art11d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Teilhabechancen von Kindern durch armutssensibles Handeln in der Kommune ermöglichen Viele Bausteine ergeben ein Ganzes Armutssensibles Handeln kann die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen trotz finanzieller Einschränkungen ermöglichen und ihnen die Möglichkeit geben, ihre Potenziale zu entfalten. Praxisbeispiele aus dem Förderprogramm des LVR-Landesjugendamtes Rheinland „Teilhabe ermöglichen - Kommunale Netzwerke gegen Kinderarmut“ zeigen, wie dies in der Praxis gelingen kann. von Corinna Spanke Jg. 1983; Diplom-Politologin (FH), Master of Arts in Sozialpolitik, Fachberaterin für das Thema Kinderarmut im LVR-Landesjugendamt Rheinland in der Koordinationsstelle Kinderarmut Teilhabechancen nicht für alle Kinder Kinder haben in Deutschland keine gleichen Startbedingungen: Jedes sechste Kind, das jünger als drei Jahre ist, wächst in Deutschland in Armut auf (Groos/ Jehles, 7, 2015). Von Armut betroffene oder bedrohte Kinder und Jugendliche haben zwar das Notwendigste zum Leben, jedoch erleben sie deutliche Einschränkungen in ihrem persönlichen Wohlbefinden. Dabei ist der Vergleich mit AltersgenossInnen, die am Wohlstand teilhaben können, die entscheidende Messgröße für dieses Empfinden (Hurrelmann/ Andresen/ Schneekloth 2013, 283). Beispielsweise bleibt von Armut betroffenen Kindern und Jugendlichen die Teilnahme an sportlichen oder kulturellen Aktivitäten häufig aus Mangel an finanziellen Ressourcen verschlossen. Ihre Teilhabe und ihre Verwirklichungschancen sind eingeschränkt, und sie haben oft nicht die Möglichkeit, ihre Potenziale voll auszuschöpfen. Dieser Mangel an Teilhabe wird in der Gesellschaft durchaus wahrgenommen. In den Jahren 2014 und 2015 wurde in den deutschen Medien viel über Kinderarmut geschrieben und gesprochen: Die Veröffentlichung mehrerer Studien (z. B. Baumann/ Seils 2014; Hock/ Holz/ Kopplow 2014; Groos/ Jehles 2015) und Umfragen hatte eine starke mediale Präsenz des Themas zur Folge und hat so dazu beigetragen, die Öffentlichkeit auf die Folgen von Armut bei Kindern und Jugendlichen aufmerksam zu machen. Beispielsweise veröffentlichte zu Beginn des Jahres 2014 das Deutsche Kinderhilfswerk unter dem Titel „Große Mehrheit der Deutschen fordert umfangreiche Maßnahmen gegen Kinderarmut“ (Deutsches Kinderhilfswerk 2014) die Ergebnisse einer reprä- 69 uj 2 | 2016 Armutssensibles Handeln in der Kommune sentativen Befragung. Die Umfrage zeigt, dass das Thema Kinderarmut die deutsche Bevölkerung bewegt: 72 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass staatliche und gesellschaftliche Verantwortungsträger „eher wenig“ oder „sehr wenig“ tun, um wirkungsvoll gegen Kinderarmut zu handeln (ebd.). Es stellt sich jedoch die Frage, wie diese öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema Kinderarmut zu einer dauerhaften Sensibilisierung und einer armutssensiblen Haltung weiterentwickelt werden kann, die von Armut betroffenen und oder bedrohten Kindern und Jugendlichen vor Ort Teilhabechancen ermöglicht. Teilhabe ermöglichen - Kommunale Netzwerke gegen Kinderarmut Das LVR-Landesjugendamt Rheinland hat erkannt, dass die Kommune der zentrale Ort der kindbezogenen Armutsprävention ist (Holz 2011, 11), und hat das Förderprogramm „Teilhabe ermöglichen - Kommunale Netzwerke gegen Kinderarmut“ initiiert. Es fördert den Aufbau von Netzwerkstrukturen zur Vermeidung der Folgen von Kinderarmut und den Ausbau von Präventionsketten in 39 Kommunen im Rheinland in Verantwortung der Jugendämter. Die Koordination der kommunalen Netzwerkstrukturen, die vor Ort gemeinsam mit freien und öffentlichen Trägern entwickelt und gestaltet werden sollen, ist bei den Jugendämtern verortet. Die nachhaltige Besserung der Teilhabechancen von allen Kindern und Jugendlichen ist Ziel des Programms. Durch eine Vernetzung der Akteure, die vor Ort die Lebens- und Entwicklungsräume von Kindern und Jugendlichen gestalten, kann es gelingen, für das Themenfeld Kinderarmut zu sensibilisieren und in weiteren Schritten armutssensible Haltungen, Handlungs- und Arbeitsweisen zu etablieren. Welche Entwicklungen sich hierfür in der Praxis der Kommunen abzeichnen, die sich am Förderprogramm des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) beteiligen, wird in den folgenden Ausführungen dargestellt. Datenbasis für Handlungsstrategien gegen Kinderarmut Um armutssensible Handlungsstrategien in einer Kommune zu entwickeln, sind Daten hilfreich, die Rückschlüsse auf die Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen zulassen. Eine Datenbasis bieten die Ergebnisse der Schuleingangsuntersuchungen. In Nordrhein-Westfalen werden diese flächendeckend und anonymisiert von den Gesundheitsämtern erfasst (Elvermann/ Ortlieb/ Schulte 2015). Jedes Kind muss sich vor dem Schulstart im Rahmen der Schuleingangsuntersuchung untersuchen lassen. Durch diese Untersuchung des öffentlichen Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes wird der Entwicklungsstand der Kinder in schulrelevanten Bereichen festgestellt. Die nordrhein-westfälische Untersuchung nach dem Bielefelder Modell erfasst zusätzlich den sozialkulturellen Hintergrund der Eltern, den Impfstatus und die Teilnahme des Kindes an Früherkennungsuntersuchungen (Groos/ Jehles 2015, 6). Darüber hinaus können die Kommunen weitere Informationen durch einen freiwilligen Elternfragebogen erheben. Hier besteht beispielsweise die Möglichkeit, Angaben zur Familiensituation oder zur schulischen und beruflichen Bildung abzufragen (Groos/ Jehles 2015, 6). Zusammen mit den sozioökonomischen Angaben der Kommunen ermöglichen es diese Daten, kleinräumige Analysen durchzuführen, die bis zur Ebene der Kindertageseinrichtungen in einem Sozialraum reichen können (Elvermann/ Ortlieb/ Schulte 2015). Solche detaillierten, kleinräumigen Analysen bieten eine Grundlage für weitere Handlungsstrategien zur Armutsprävention. Die Stadt Gummersbach, die sich seit dem Jahr 2013 am LVR-Förderprogramm „Teilhabe ermöglichen - Kommunale Netzwerke gegen Kinderarmut“ beteiligt, nutzt die Daten der Schuleingangsuntersuchung zum Beispiel für 70 uj 2 | 2016 Armutssensibles Handeln in der Kommune die Netzwerkarbeit gegen Kinderarmut. In der kreisangehörigen Kommune im Oberbergischen Kreis findet ein reger Austausch zwischen dem Netzwerkkoordinator des Jugendamtes Gummersbach, den Mitarbeitenden des Kinder- und Jugendärztlichen Gesundheitsdienstes und der Gesundheits- und Sozialberichterstattung des Gesundheitsamtes des Oberbergischen Kreises statt. Um mehr darüber zu erfahren, wie sich die Lebenslage der von Armut betroffenen Kinder in Gummersbach konkret gestaltet, wurden dabei in einem ersten Schritt die Ergebnisse der Schuleingangsuntersuchung für Gummersbach durch das Kreisgesundheitsamt ausgewertet. Bei der Analyse wurden Zusammenhänge deutlich, die bereits vermutet worden waren, bis dahin aber nicht durch Daten belegt werden konnten. Die neue Datenlage ließ Rückschlüsse darauf zu, an welchen Stellen gezielte Unterstützung für Kinder und Jugendliche in Gummersbach besonders sinnvoll und hilfreich ist (Elvermann/ Ortlieb/ Schulte 2015). Dieser Ansatz ermöglicht beim kommunalen Engagement gegen Kinderarmut ein zielgerichtetes Vorgehen. Bei der Betrachtung des Bildungsindexes, der sich aus den soziodemografischen Angaben der Eltern zu ihrer Schul- und Berufsausbildung errechnet, zeigte sich beispielsweise, dass Kinder von Eltern mit einer niedrigen formalen Bildung höhere Auffälligkeiten im Rahmen der Schuleingangsuntersuchungen aufweisen (Elvermann/ Ortlieb/ Schulte 2015). Besonders deutlich wurde dies bei der Bewertung der Sprachfähigkeit und der Sprachqualität von Kindern, deren Erstsprache nicht Deutsch ist. Die Betrachtung der Daten offenbarte zudem, dass diese Kinder häufig unter Konzentrationsmängeln, Übergewicht und wenig ausgeprägten Koordinationsfähigkeiten leiden. Zugleich konnte festgestellt werden, dass sie seltener als ihre AltersgenossInnen eine Mitgliedschaft in einem Sportverein haben (Elvermann/ Ortlieb/ Schulte 2015). Diese Erkenntnisse fließen inzwischen in die Netzwerkarbeit gegen Kinderarmut ein. Es werden Akteure aus dem Sportbereich angesprochen, um möglichst vielen Kindern in Gummersbach die Teilnahme an sportlichen Aktivitäten zu ermöglichen. Zudem finden derzeit sozialräumliche Arbeitsgruppen für die Bereiche von Gummersbach statt, in denen Kinder viele Auffälligkeiten bei der Schuleingangsuntersuchung aufzeigten, um dort gezielte Förder- und Unterstützungsangebote vorzuhalten (Elvermann/ Ortlieb/ Schulte 2015). Die Datenauswertung des Kreisgesundheitsamtes ermöglichte es, genau zu prüfen, in welchen Bereichen Teilhabechancen von Kindern verstärkt gefördert werden können. Zudem gaben sie Aufschluss darüber, welche Akteure für das Thema Kinderarmut sensibilisiert und für die Netzwerkarbeit gewonnen werden sollten. Die Auswertung solcher Daten kann somit ein Baustein sein, um armutssensible Handlungsstrategien in der Kommune zu entwickeln. Unterstützung durch die Kommunalpolitik Ein weiterer hilfreicher Baustein, um in der Kommune für das Themenfeld Kinderarmut zu sensibilisieren und armutssensible Handlungsweisen nachhaltig zu etablieren, ist die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema in der Kommunalpolitik. Für eine Teilnahme am LVR-Förderprogramm „Teilhabe ermöglichen - Kommunale Netzwerke gegen Kinderarmut“ ist es deshalb notwendig, einen Beschluss des kommunalen Jugendhilfeausschusses einzuholen, der die Befürwortung und Unterstützung des Engagements gegen Kinderarmut stützt. Durch die besondere Zusammensetzung des Jugendhilfeausschusses mit gewählten KommunalpolitikerInnen einerseits und auf Vorschlag der freien Träger entsandten Mitgliedern andererseits ist durch die dortige Befassung der Einbezug sowohl der Politik als auch der VertreterInnen von freien Trägern der Jugendhilfe gewährleistet. 71 uj 2 | 2016 Armutssensibles Handeln in der Kommune Darüber hinaus kann die Entwicklung eines Leitbildes zum Thema Kinderarmut in der Kommune ein wichtiger Baustein dafür sein, dass sich Armutssensibilität als Bestandteil einer kommunalen Haltung entwickeln kann. Beispielsweise wurde in der Stadt Remscheid, die sich seit dem Jahr 2012 am LVR-Förderprogramm „Teilhabe ermöglichen - Kommunale Netzwerke gegen Kinderarmut“ beteiligt, im Frühjahr 2014 mit dem Beschluss „Jedem Kind alle Chancen - gute Entwicklungsbedingungen für das Aufwachsen von Kindern in Remscheid“ (Stadt Remscheid 2014, 1) ein Leitbild im Rat der Stadt verabschiedet, das die Themen Kinderarmut und armutssensibles Handeln in den Mittelpunkt stellt. Das beschlossene Leitbild wurde gemeinsam mit VertreterInnen öffentlicher und freier Träger im Rahmen der Steuerungsgruppe des Netzwerkes gegen Kinderarmut erarbeitet. Es wurde festgehalten, dass die Stadt Remscheid „aktiv Strategien zum systematischen Auf- und Ausbau von tragfähigen Netzwerken [verfolgt], damit Kinder unter guten Rahmenbedingungen aufwachsen können“ (Stadt Remscheid 2014, 2). Das Leitbild fasst zusammen, wie jedes Kind dabei unterstützt werden soll, alle Chancen zu erhalten und verwirklichen zu können (ebd.). Es soll „handlungsleitend für die in den unterschiedlichen Handlungsfeldern tätigen Fachkräfte“ sein (ebd., 4). In der Praxis armutssensibel handeln Der Transfer beschlossener Leitbilder in die kommunale Praxis ist ein weiterer wichtiger Schritt zu Entwicklung armutssensibler Handlungsweisen in der Kommune und sollte als langfristiger Prozess angelegt sein, um die nachhaltige Etablierung in den Arbeitsalltag insbesondere der Fachkräfte in der Kinder und Jugendhilfe zu gewährleisten. So können Barrieren abgebaut und kann Teilhabe für Kinder und Jugendliche ermöglicht werden. Denn die Fachkräfte, die armutssensibel handeln, können in Situationen vor Ort den entscheidenden Unterschied machen. Armutssensibles Handeln setzt sich dabei aus vielen unterschiedlichen Elementen zusammen, die eine Fachkraft befähigen, in konkreten Situationen sensibel zu agieren. Hierzu gehört die Selbstreflexion der Fachkräfte darüber, wie die eigene Werteorientierung sowie Menschen- und Weltbilder die eigene Haltung und Einstellung prägen (LVR 2011, 11). Bei einem Fachgespräch, das die LVR-Koordinationsstelle Kinderarmut im Jahr 2014 zum Thema „Armutssensibles Handeln in der Kindertagesbetreuung“ mit FachreferentInnen aus der Praxis durchgeführt hat, wurden verschiedene Ansätze und Haltungen deutlich, die Armutssensibilität fördern. Um armutssensibel handeln zu können, ist demnach eine ressourcenorientierte Haltung hilfreich, die nicht ausschließlich auf die Defizite von Kindern und Jugendlichen blickt. Auch das Wissen darüber, wie schwierig und herausfordernd die Lebenslagen von Familien sein können, die in Armut leben, fördert armutssensible Handlungsweisen (Grant 2014, 4). Damit es Fachkräften bei ihrer täglichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gelingen kann, insbesondere in herausfordernden Situationen sensibel zu agieren, benötigen sie jedoch weitere Unterstützung: So kann die Unterstützung der anderen Mitarbeitenden in Form von kollegialen Beratungen für armutssensibles Handeln hilfreich sein. Schwierige Situationen und Begebenheiten, die für den Einzelnen häufig durch persönliche Erfahrungen und Lebensweisen geprägt sind, können hier im Austausch miteinander reflektiert werden (Grant 2014, 44). Zudem können armutssensible Vorgehens- und Arbeitsweisen, die im Team der Mitarbeitenden entwickelt und von der Leitung der Einrichtung oder Institution mitgetragen werden, Fachkräfte beim armutssensiblen Handeln konkret unterstützen. Fortbildungen Für die nachhaltige Verankerung von Armutssensibilität in der Praxis sind Fortbildungen für MultiplikatorInnen und Fachkräfte ein sinnvolles Instrument. BeiAbfragenzuUnterstützungsbedarfen bei der Netzwerkarbeit gegen Kin- 72 uj 2 | 2016 Armutssensibles Handeln in der Kommune derarmut wurde in vielen Kommunen, die sich am LVR-Förderprogramm beteiligen, der Bedarf der Fachkräfte deutlich. Daher wurden bereits unterschiedliche Fortbildungsformate entwickelt, die Fachkräften eine erste Orientierung im Themenfeld Kinderarmut, Armutssensibilität und Teilhabe bieten und sie dabei unterstützen sollen, Teilhabebarrieren abzubauen. Unter dem Titel „Kinder in Armut? Armutssensibles Handeln in Kindertageseinrichtungen und im Offenen Ganztag“ führte das Dinslakener Netzwerk gegen Kinderarmut unter der Federführung des Jugendamtes im November 2013 einen Fachtag durch, der sich speziell an MitarbeiterInnen von Kindertageseinrichtungen und Einrichtungen des Offenen Ganztags richtete. Anhand von kurz skizzierten Fallbeispielen, die die unterschiedlichen Problemlagen armutsbetroffener oder armutsbedrohter Familien beschrieben, diskutierten die Teilnehmenden, ob sie vergleichbare Beispiele aus der Praxis kennen und welche Unterstützungen bei den jeweiligen Fällen möglich wären. Da das Fortbildungsangebot von den Fachkräften sehr gut angenommen und der Bedarf an weiteren Qualifizierungsmöglichkeiten deutlich wurde, bot das Netzwerk gegen Kinderarmut im November 2014 erneut einen Fachtag an, dieses Mal unter dem Titel „Teilhabe ermöglichen! Elternbeteiligung in der Kindertagesstätte und im Offenen Ganztag“. Neben einem Vortrag zur dialogischen Haltung wurden in unterschiedlichen Workshops Praxisansätze gelingender Elternarbeit vorgestellt. Deutlich wurde dabei, dass Elternbeteiligung für Fachkräfte eine Herausforderung darstellt, die mit Wertschätzung, Respekt und einem lösungs- und ressourcenorientierten Blick aber gelingen kann. Der Aspekt der dialogischen Haltung soll bei einem weiteren Tagesseminar nochmals vertieft werden. Diese Haltung folgt der Grundannahme, dass „Eltern die eigenen Stärken bereits in sich tragen“ (Schopp 2013, 24) und diese im Dialog erneut entdecken (Grant 2011, 20). Sie ist ein weiteres Instrument bei der Arbeit mit Eltern und Familien, um Fachkräfte in der Praxis beim armutssensiblen Handeln zu unterstützen. Fortbildungs- und Qualifizierungsangebote können sich auch gezielt an Personen richten, die eine Multiplikatorenrolle in der entsendenden Institution innehaben und nach der Teilnahme armutssensible Handlungsweisen in die eigene Organisation hineintragen können. In der Stadt Hilden, die sich seit dem Jahr 2011 am LVR-Förderprogramm „Teilhabe ermöglichen - Kommunale Netzwerke gegen Kinderarmut“ beteiligt, wurde ein Konzept entwickelt, das sich speziell an diese Zielgruppe richtet: Es werden „MittlerInnen“ aus unterschiedlichen kommunalen Einrichtungen und Institutionen zu den Themen Kinderarmut, Armutssensibilität und Teilhabe fortgebildet. Die MittlerInnen vermitteln anschließend zum einen das Wissen über das Themenfeld in ihrer Institution und bieten zum anderen individuelle Unterstützung an und verweisen Kinder und Familien an Maßnahmen, weiterführende Anlaufstellen und Kontaktpersonen (Stadt Hilden 2013, 15ff ). Viele Bausteine ergeben ein Ganzes Auch wenn Kinder in Deutschland unter ungleichen Lebensbedingungen aufwachsen, kann ihnen armutssensibles Handeln in der Kommune Teilhabe ermöglichen. Sie benötigen dafür jedoch die Unterstützung aus den Bereichen Politik, Verwaltung, Jugendhilfe, Bildung, Gesundheit, Kultur und Freizeit. Arbeiten alle relevanten Akteure in einer Kommune abgestimmt und vernetzt zusammen, können Teilhabebarrieren abgebaut und Zugänge für von Armut betroffene oder bedrohte Kinder und Jugendliche geschaffen werden. Eine kommunale Netzwerkstrategie, die alle Maßnahmen, Angebote und Anlaufstellen miteinander verzahnt, ist die Basis einer armutssensibel agierenden Kommune. Die Unterstützung der kommunalpolitischen Akteure ist hierbei notwendig, um über die Sensibilisierung des Einzelnen hinaus eine gemeinsame Vorstellung von Chancengleichheit und Teilhabe in der Kommune zu erarbeiten. 73 uj 2 | 2016 Armutssensibles Handeln in der Kommune Das Zusammenwirken vieler Bausteine, die sich gegenseitig ergänzen und teilweise aufeinander aufbauen, führt dabei zu armutssensiblen Handlungsweisen, die nachhaltig in der Kommune wirken können. Hierzu gehören die Analyse von Daten, die Aufschluss über die Lebenslage von Kindern in der Kommune geben können, die Erarbeitung eines kommunalen Leitbildes, das auch durch die Kommunalpolitik getragen wird, und das konkrete armutssensible Handeln in der Praxis der Fachkräfte, das durch unterschiedliche Instrumente gefördert und unterstützt werden kann. Corinna Spanke LVR - Landesjugendamt Rheinland Koordinationsstelle Kinderarmut Kennedy-Ufer 2 50663 Köln Literatur Baumann, H., Seils, E. (2014): „Wie „relativ“ ist Kinderarmut? Armutsrisiko und Mangel im regionalen Vergleich“. In: WSI-Report 11, Düsseldorf Deutsches Kinderhilfswerk (2014): Pressemitteilung „Große Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland fordert umfangreiche Maßnahmen gegen Kinderarmut - Umfrage im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerkes“, veröffentlicht am 14. 1. 2014 Elvermann, K., Ortlieb, F., Schulte, T. (2015): Schuleingangsuntersuchung - Solide Datenbasis für das Engagement gegen Kinderarmut (Interview). Jugendhilfereport H. 3, im Erscheinen Grant, H. (2014): Mit qualifizierten Fachkräften Eltern stärken (Interview). Jugendhilfereport H. 1, 42 - 44 Grant, H. (2011): Die dialogische Haltung ist ein Geschenk für alle. Interkulturelle Familienarbeit mit Achtung und Respekt. KiTa aktuell Spezial H. 1, 19 - 23 Groos, T., Jehles, N. (2015): Der Einfluss von Armut auf die Entwicklung von Kindern. Ergebnisse der Schuleingangsuntersuchung. Arbeitspapiere wissenschaftliche Begleitforschung „Kein Kind zurücklassen! “. Werkstattbericht. Bertelsmann Stiftung und Zentrum für interdisziplinäre Regionalforschung, Gütersloh/ Bochum Hock, B., Holz, G., Kopplow, M. (2014): Kinder in Armutslagen - Grundlagen für armutssensibles Handeln in der Kindertagesbetreuung. Deutsches Jugendinstitut, Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF), Frankfurt am Main Holz, G. (2011): Ansätze kommunaler Armutsprävention - Erkenntnisse aus der AWO-ISS-Studie „Kinderarmut“. Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V., Frankfurt am Main Hurrelmann, K., Andresen, S., Schneekloth, U. (2013): Das Wohlbefinden der Kinder in Deutschland. Ergebnisse der World Vision Kinderstudie. In: Bertram, H. (Hrsg.): Der UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland. Beltz Juventa, Weinheim/ Basel, S. 277 - 291. Krüger, I. (2014): Kitas gegen Kinderarmut. Jugendhilfereport H. 3, 40 - 42 Landschaftsverband Rheinland, Landesjugendamt Rheinland (2011): Allen gerecht werden? Hinweise und Empfehlungen zur pädagogischen Arbeit mit Kindern von null bis sechs Jahren. Köln Schopp, J. (2013): Eltern Stärken. Die Dialogische Haltung in Seminar und Beratung. Ein Leitfaden für die Praxis. Barbara Budrich, Opladen Stadt Hilden, Amt für Jugend, Schule und Sport, Stellwerk - Büro für Familie und Bildung (2013): Armer Anfang ist schwer. Hilden Stadt Remscheid (2014): „Jedem Kind alle Chancen - gute Entwicklungsbedingungen für das Aufwachsen von Kindern in Remscheid“. Drucksache 14/ 4050