unsere jugend
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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*99 problems but a bitch ain't one* (jay z)
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Hanna Schädel
Rap-Musik, mit der darin stark enthaltenen Misogynie, dem wiederkehrenden Sexismus und den typischen Rollenzuschreibungen von Geschlechtern, erscheint erst einmal als Widerspruch zur gendersensiblen Arbeit mit Jugendlichen in der Offenen Jugendarbeit. Es wird ein Überblick gegeben, weshalb Rap-Musik hierfür dennoch adäquat genutzt werden kann.
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118 unsere jugend, 68. Jg., S. 118 - 124 (2016) DOI 10.2378/ uj2016.art18d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel * 99 problems but a bitch ain´t one * (jay z) Rap-Musik als Medium gendersensiblen Arbeitens in der Offenen Jugendarbeit Rap-Musik, mit der darin stark enthaltenen Misogynie, dem wiederkehrenden Sexismus und den typischen Rollenzuschreibungen von Geschlechtern, erscheint erst einmal als Widerspruch zur gendersensiblen Arbeit mit Jugendlichen in der Offenen Jugendarbeit. Es wird ein Überblick gegeben, weshalb Rap-Musik hierfür dennoch adäquat genutzt werden kann. von Hanna Schädel Jg. 1988; Sozialarbeiterin in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, Studierende des Masterstudiengangs MAPS Soziale Arbeit mit dem Themenschwerpunkt Kinder- und Jugendhilfe im europäischen Kontext an der Hochschule Koblenz. Die Elemente des Hip-Hops, Djing, Graffiti, Rap und Breakdance, werden immer wieder als ein beliebter Ansatz für Projekte, Workshops und Angebote in der Offenen Jugendarbeit genutzt. Es ist allgemein bekannt, dass Rap eine Musiksparte darstellt, in der Sexismus, Patriarchat, Misogynie und traditionelle Rollenzuschreibungen stark vertreten sind. Nun schreibt sich gerade die Offene Jugendarbeit auf die Fahne, ein Bereich der Sozialen Arbeit zu sein, in dem der Gedanke von Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern umgesetzt wird. Diese scheinbaren Widersprüchlichkeiten von genderbewusster Arbeit mit Jugendlichen, der Affinität Jugendlicher zur Rap-Musik und Angeboten mit dem Medium Rap sollen im Folgenden thematisiert werden. Gendersensible Anforderungen in der Offenen Jugendarbeit Als Sozialarbeiter_in wird man im Bereich der Offenen Jugendarbeit permanent damit konfrontiert, wie Jugendliche typische Rollenzuschreibungen von Geschlecht unreflektiert inkorporieren, auf andere projizieren und als normativ begreifen. Gendersensibilität in der Offenen Jugendarbeit bedeutet anzuerkennen, dass Mädchen und Jungen aufgrund ihres Geschlechts unterschiedliche Bedürfnisse und Anliegen haben, sich also auf verschiedenen Ebenen voneinander unterscheiden. Aber gendersensible Sozialarbeiter_innen müssen auch die Vielfalt der Entwürfe von Mädchen und Jungen akzeptieren. Die Phase der Jugend trägt dazu bei, dass genderbewusstes Arbeiten besonders notwendig erscheint, da sie als Zeit der Identitätsfindung gilt. Die Bildung der personalen und sozialen Identität gestaltet sich in der heutigen Gesellschaft meist als beschwerlich. „Denn die Gesellschaft lässt eine berufliche Orientierung am Vorbild der Eltern in der Regel nicht zu, sie erzwingt keine religiösen Bekenntnisse und sie 119 uj 3 | 2016 Rap-Musik als Medium gendersensibler Arbeit verpflichtet niemanden darauf, sich an den Werten und Normen einer bestimmten Teilkultur zu orientieren […]“ (Scherr 2013, 250f ). Die uneingeschränkte Auswahl wirkt häufig erdrückend und mit ihrer fehlenden Leitlinie verunsichernd. Auch für die Kategorie Gender gelten diese Auflösungen und die damit einhergehenden Ambivalenzen von Freiheit und Orientierungslosigkeit. Geschlecht hat auf der einen Seite eine stabilisierende und vitalisierende Wirkung. Die Rezeption von Rollenbildern des Geschlechts können dabei helfen, Ziele und Vorstellungen von der eigenen Zukunft und Identität zu entwickeln (vgl. Rose 2004, 67). In vielen Situationen kann das Geschlecht aber auch einschränkend und verunsichernd wirken. Als gendersensible Fachkraft sollte man diesen Unterschied erkennen, sodass man die Jugendlichen adäquat auf ihrem Weg zur Entwicklung eines Mannes bzw. einer Frau begleiten kann. Die praktische Gestaltung des Anspruches der Gleichberechtigung der Geschlechter zeigt sich in der Offenen Jugendarbeit durch die Prinzipien Freiwilligkeit, Partizipation und Offenheit als gut umsetzbar. „Die Offene Arbeit kann einen Rahmen und Erlebnisraum zur Verfügung stellen, in dem sich Mädchen, Jungen und alle anderen erproben können; hier findet sich der Raum für praktische Selbstbestimmung und Möglichkeiten alternativer Gendererfahrungen und offener Lebensperspektiven“ (Rauw/ Drogand- Strud 2013, 235). Rap: Misogynie, Sexismus, traditionelle Rollenbilder Die Hip-Hop-Szene mit der Sparte der Rap-Musik steht, wie eingangs bereits erwähnt, immer wieder in der Kritik, klischeehafte und traditionelle Rollenzuschreibungen und in den Texten hauptsächlich sexistische Inhalte zu transportieren. Kommt man mit den Rezipienten der Rap-Musik im Arbeitsfeld der Offenen Jugendarbeit in Kontakt, kommt die Frage auf, wie man sich als Sozialarbeiter_in genderbewusst verhalten kann. Wie soll man reagieren, wenn Jugendliche bspw. folgende Texte konsumieren: „sie ficken unsre Köpfe mit sinnloser Kacke, von ihrem scheiß Gelaber krieg ich eine Macke“ (Frauenarzt „Oh, mein Schatz“) oder „Fotze, mach mir was zu essen und danach gehst du putzen, so wie sich das gehört. Warum denkst du, du wärst was Besonderes? Du bist keine Lady, du bist ne Hure! “ (King Orgasmus One „Du Nichts, ich Mann“). Dies sind sicherlich extreme Beispiele, aber auch im Radio laufen Rapsongs, die mit Ohrwurm- und Popcharakter zum Mitpfeifen und Singen einladen, wie beispielsweise „You just put your lips together/ you come real close/ can you blow my whistle baby/ whistle baby/ here we go“ (Flo Rida „Whistle“). Der Raum der Offenen Jugendarbeit muss weiterhin für die Jugendlichen da sein und nicht der Präferenz unterlegen sein, einen bequemen und angenehmen Arbeitsbereich für die Mitarbeiter_innen darzustellen. Von daher ist ein Verbot ohne Diskurs oder das Entgegenbringen von Unverständnis hier unangebracht. Stattdessen kann man sexistischen, patriarchalischen und/ oder misogynen Rap dazu nutzen, in Kontakt mit den Jugendlichen zu treten und als eine Chance sehen, genderbezogene Gedanken auf einer niedrigschwelligen Ebene an die Jugendlichen heranzubringen. Will man gendersensibel mit dem Interesse von Jugendlichen an Rap umgehen, benötigt es vorerst Kenntnisse darüber, was genau Jugendliche am Rap fasziniert, welche Rollenbilder Rap vermittelt und wie diese auf Jugendliche wirken können. Nur so kann man verstehen, dass Rap-Musik trotz Inhalten, die kaum kompatibel mit dem Gedanken der genderbewussten Pädagogik einherzugehen scheinen, nicht nur zu kritisieren ist, sondern als ein Teil einer lebensweltlichen Alltagspraktik und als ein äußerst heterogenes Phänomen gesehen werden kann (vgl. Ruile 2012, 113). 120 uj 3 | 2016 Rap-Musik als Medium gendersensibler Arbeit Faszination Rap Reagiert man mit Unverständnis, erzeugt man bei den Jugendlichen eher Widerstände. Es ist daher wichtig zu verstehen, wie die Affinität der Jugendlichen zur Rap-Musik zustande kommt. Ein spezifischer Musikstil im Allgemeinen bietet die Möglichkeit, unter Gleichaltrigen und Gleichgesinnten zu sein. „Musik ist das Medium der Zusammengehörigkeit in einer konkreten Peer Group und der Zugehörigkeit zu einer jugendlichen Subkultur. Die entsprechende Musik zu kennen, zu besitzen, sie zu tauschen und das gemeinsame Hören gewährleisten die kommunikative Integration in der Clique“ (Weller 2010, 218). Gleichzeitig kann man sich auch zu anderen Gruppen von Jugendlichen oder zu Erwachsenen durch Musik demonstrativ abgrenzen und eigene soziale Räume schaffen. Rap differenziert sich noch einmal in verschiedene Genres (üblicherweise in Gangsta-Rap, Party- und Pimp-Rap, Conscious-Rap und Pop- Rap), die auch divergente Botschaften vermitteln. So kann je nach Rap-Genre dieser dazu dienen, harte Lebensumstände zu beschreiben, das Gefühl der Trostlosigkeit zu vermitteln, zum Tanzen zu bewegen, das Leben (insbesondere mit Drogen und Sex) zu feiern, auf seinen Erfolg und Luxus aufmerksam zu machen, aber auch auf Missstände hinzuweisen und dabei politische Postulierungen an die Öffentlichkeit zu bringen. Dies sind zum großen Teil Themen, die in der Phase der Jugend für viele relevant sind und die Mädchen und Jungen in ihrer Suche nach Orientierung, aber auch Rebellion ansprechen können. Somit gelingt es der Rap-Musik durch die thematische Auswahl eine Basis für die Identifikation von Jugendlichen zu schaffen. Neben diesen offensichtlichen Inhalten scheint vor allem die Möglichkeit der Inszenierung und dadurch das Erlangen von Authentizität durch Rap auf die jugendlichen Rezipienten zu wirken. Klein und Friedrich sehen die „Realness“ als das zentrale Kriterium der Hip-Hop-Kultur an, die durch theatrale Inszenierung erlangt werden kann (vgl. Klein/ Friedrich 2003, 7). „Die Inszenierung des Hip-Hoppers ist aus dieser Perspektive ein Mittel, sich selbst auszulegen, sich zu zeigen: den trainierten Körper, die sexuelle Orientierung, Leistungsabstinenz, Kraft, Macht und körperliche Aggression, Männlichkeit. Selbst-Inszenierung nicht als Rollenspiel, das vom Eigentlichen, Authentischen ablenken soll, sondern als ein Mittel der Identitätssuche und als ein Medium zur Darstellung von Authentizität“ (ebd., 151f ). Jugendliche Selbstinszenierung kann nach Ruile als ein Beispiel gesehen werden, „in denen sich vielfältige Konstruktionen und Dekonstruktionen von Geschlecht erkennen lassen“ (2003, 177). Außerdem wird mit den exzessiven Inszenierungen und dem Gebrauch der harten, obszönen und aggressiven Sprachwahl gegen die von Erwachsenen an Jugendliche appellierte Vernunft und Anpassung angegangen, also gegen die gesellschaftlichen Normen rebelliert (vgl. Weller 2010, 219). Die Sprache als Abgrenzung und Provokation zu nutzen, gelingt mit Rap trotz der Gesellschaftsstrukturen, in denen fast alles erlaubt zu sein scheint, besonders effektiv. „Porno-Rap […] steht prototypisch für die zunehmend sexuelle/ pornographische/ sexistische Oberfläche, für den obercoolen Habitus, für die raue Schale, für die vor allem verbal inszenierte Jugendkultur. Mit dem Porno-Rap gelingt eine (nicht mehr für möglich gehaltene) Provokation der älteren Generation qua Sexualität“ (ebd.). Ein eigentlicher Entstehungsgrund des Rap war es, die Kämpfe des Ghettos gewaltlos und stattdessen mit Wörtern auszufechten. Auch heute noch bietet Rap den Jugendlichen eine Chance, ihre Aggressionen zu kanalisieren (vgl. Klein/ Friedrich 2003, 28). Rap-Musik spricht also vor allem Attribute an, die im klassischen Sinne der Männlichkeit zugeordnet 121 uj 3 | 2016 Rap-Musik als Medium gendersensibler Arbeit werden (Konkurrenz, Stärke, Gefahr etc.) und wird somit vor allem für männliche Rezipienten interessant. Für einen großen Teil der Mädchen scheint Rap vor allem dann attraktiv zu sein, wenn sie die Musik zur Provokation und als Medium der Abgrenzung und Zugehörigkeit nutzen können oder auch dann, wenn es ums Tanzen und Feiern geht. Vor allem Musik von Rapperinnen bietet interessantes Programm für Mädchen. Sie sprechen thematisch meist andere Inhalte an und vermitteln dabei alternative Frauenbilder, sodass eine Identifizierung auch für das weibliche Geschlecht ermöglicht wird. Rollenbilder im Rap Man braucht nicht viele auditive und/ oder visuelle Eindrücke, um sofort eine Darstellung von klischeehafter Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern im Rap zu erkennen. Wer als Junge tatsächlich männlich sein möchte, hat, laut der vorherrschenden Meinung der Szene, cool, unnahbar und angstfrei zu sein. Ein Mann ist ein Großstadtheld, ein Sunnyboy und Zuhälter, dessen Lebenssinn in sexueller Befriedigung besteht und der mit einer unzerstörbaren Potenz ausgestattet ist (vgl. Klein/ Friedrich 2003, 22ff ). Die Frau ist dabei ausschließlich als Objekt sexueller Begierde anzusehen, ein Symbol von Status und Besitz, deren Existenz nur in Abhängigkeit zum Mann möglich ist. Hierarchisch steht eine Frau somit weit unten; eine, die nicht denken, aber Aufforderungen, ihren Körper zum Tanzen oder für sexuelle Handlungen zur Verfügung zu stellen, durchaus akzeptabel umsetzen kann. „Die Forschungen zu Auswirkungen von medialer Gewalt auf das reale Aggressionsverhalten legen nahe, dass auch sexistischer Rap bei entsprechend disponierten Konsumenten und in entsprechendem Kontext Wirkung zeigen könnte. So wie für Pornographie generell ist auch für Porno-Rap festzustellen, dass er nicht ursächlich Gewalt induziert, sondern allenfalls bereits vorhandene Einstellungen (z. B. die Frauen als Sexualobjekte wahrzunehmen) oder Handlungstendenzen (aggressive Phantasien) verstärkt“ (Weller 2010, 227). Mindestens genauso kritisch wie die weiblichen und männlichen Rollenbilder kann man auch die sprachliche Verwendung weiblicher Attribute bei Rap-Musik sehen. Frauen werden im Rap meist mit „bitches“ oder Ähnlichem tituliert. Daneben ist es im Rap üblich, sich nicht nur als den Besten darzustellen, sondern auch seine meist männlichen Gegner möglichst treffsicher zu beleidigen. Hierfür werden häufig weiblich zugeordnete Eigenschaften verwendet oder das Wort „Frau“ und auch „bitch“ auf Männer als Demütigung übertragen. Die Verknüpfung vom Femininen und Schlechten herrscht in der alltäglichen Sprache auch ohne den Rap. Der Rap kann die schon häufig frauendiskriminierende und sexualisierte Sprache weiter verfestigen. Viele Rapperinnen titulieren sich selbst mit „bitch“ oder ähnlichen Bezeichnungen. Dabei füllen sie den Begriff mit Attributen, die Selbstständigkeit und vielschichtige und kreative Identitäten abbilden. „Auf diese Weise macht sich eine Ausweitung des weiblichen Handlungs- und Wirkungshorizonts bemerkbar, die dem Stereotyp der bitch als eine von jeglichem sozialen Umfeld entfernten Lustobjekt entgegenwirkt“ (Leibnitz 2007, 164). Hier gelingt es den Rapperinnen, dass auch Mädchen diese Musiksparte ansprechend finden, da sie hier Bilder vermittelt bekommen, die mit Stärke und Selbstbestimmung verbunden sind. Das Problem der Adaption von „bitch“ bleibt jedoch, dass dabei der misogyne Aspekt wie bisher bestehen bleibt, da sich die Rapperinnen weiterhin in von Männern vorgegebenen Dimensionen bewegen (vgl. Klein/ Friedrich 2003, 208). 122 uj 3 | 2016 Rap-Musik als Medium gendersensibler Arbeit Eignung von Rap als Medium gendersensibler Arbeit Mit dem Gedanken des Genderaspekts ist es als Sozialarbeiter_in relevant, die Jugendlichen bei ihrer Identitätsfindung zum Mann oder zur Frau adäquat zu begleiten und herauszufiltern, in welcher Lebenslage die Geschlechtskonstruktionen entwicklungsfördernd oder auch hemmend wirken können. Bezogen auf Rap geht es also auch darum, zu erkennen, wann Jugendliche die stereotypischen Rollenbilder im Rap adaptieren und für wahr halten oder aber wann sie die Musik dazu nutzen, sich selbst zu inszenieren und die darin enthaltenen lustvollen Aspekte von Verführung des anderen Geschlechts gebrauchen, um sich und ihre Wirkungen beim anderen Geschlecht auszuprobieren. Man sollte nicht jede typische Erfüllung von Geschlechtskategorien negativ bewerten oder kritisieren. „Es geht um Begreifen und Anerkennung des So-Seins von Mädchen und Jungen und gleichzeitiger Sicherung von gesellschaftlicher Teilhabe, um das So-sein-lassen und gleichzeitige Regulation“ (Rose 2007, 278). Wichtig für die Umsetzung eines Projektes, mit dem Medium Rap Gendersensibilität bei Jugendlichen anzuregen, ist nicht nur die Praxiskompetenz. Genderkompetenz ist mehr als nur die Umsetzung von Projekten. Es gehört auch genderbezogene Selbstkompetenz dazu, also sich selbst zu reflektieren und sich mit seiner Sozialisation und mit den eigenen Geschlechterzuschreibungen auseinanderzusetzen. Und auch ohne die Basis des genderbezogenen Wissens, also die Komplexität der Geschlechterkonstruktionen und Ergebnisse aus der Geschlechterforschung zu kennen, bleibt eine rein praxisorientierte Umsetzung mit großerWahrscheinlichkeit oberflächlich und unvollständig (vgl. Kunert-Zier 2005, 283f ). Alles in allem erscheint Rap als etwas, das sich durchaus als ein Ansatz zum gendersensiblen Arbeiten mit Jugendlichen eignet: ➤ Zum einen kann man hierdurch einen einfachen Zugang zu den Adressat_Innen finden, weil Rap häufig eine unter Jugendlichen populäre Musik darstellt. ➤ Zusätzlich schafft es das Medium Musik, Kreativität zu fördern, und bildet somit ein attraktives Gestaltungsmittel für Jugendliche (vgl. Schulz 2010, 38). ➤ Durch die plakative und extrem überzogene Darstellung von Männern und Frauen im Rap entstehen dadurch offensichtliche rollentypische Bilder, die für Jugendliche leicht als nicht real erkennbar sind. „Bei aller jugendtypischen Tendenz zum Griff nach dem jeweils Verbotenen gibt es doch immer auch die Suche nach Normativem, nach Orientierung. Wichtig aus sozial- und sexualpädagogischer, kinder- und jugendschützerischer Perspektive ist jedoch insbesondere, nicht beim restriktiven Jugendschutz stehen zu bleiben, sondern HipHop als kulturelle Praxis zu entwickeln und die dafür notwendigen Kompetenzen der Jugendlichen zu fördern“ (Weller 2010, 227). Es ist schwierig, andere Medien zu nutzen, die vielleicht die Genderproblematiken und -zuschreibungen verschärfen oder thematisieren, durch ihre Differenziertheit oder Unauffälligkeit aber keinen Zugang für Jugendliche bieten können, wie bspw. Werbungen, wissenschaftliche Diskurse oder Überraschungseier für Mädchen. Diese haben vermutlich größeren Einfluss auf die Geschlechterkonstruktionen von Mädchen und Jungen, wirken aber meist auf einer sehr impliziten Ebene und sind nicht am Interesse von Jugendlichen angeknüpft. Welche genaue Umsetzung man erfolgen lässt, hängt natürlich von der Gruppe der Jugendlichen ab, mit denen man arbeiten will: Ob man selbst Texte schreiben lässt, Aufnahmen macht, Gesprächsrunden initiiert, Rollenspiele anhand der Texte vorschlägt oder Ähnliches, ist dem Arbeitskontext, den eige- 123 uj 3 | 2016 Rap-Musik als Medium gendersensibler Arbeit nen Kompetenzen und den individuellen Bedürfnissen der Jugendlichen geschuldet. Bei der Arbeit mit der Rap-Musik gilt es vor allem darauf zu achten, die geschlechtsbezogenen Identitätsentwürfe von Mädchen/ jungen Frauen und von Jungen/ jungen Männern vorerst anzuerkennen und ihnen nicht eigene Vorstellungen von Geschlechtern überstülpen zu wollen. „Ziel ist, sie mit ihrer eigenen Realität und Selbstdefinition, mit ihren Widersprüchen, Brüchen und Ungereimtheiten wahrzunehmen“ (Rauw/ Drogand-Strund 2013, 236f ). Durch solche Projekte können den Jugendlichen Erfahrungen nahegebracht werden, die der normativen Rollenzuschreibung von Männern und Frauen entgegenstehen. Wenn Mädchen anfangen zu rappen, im Allgemeinen sich am Musikmachen beteiligen, wenn Jungen die Möglichkeit haben, zu sagen, wovor sie Angst haben, was sie noch beschäftigt, außer der Körper von Frauen, dann wurden schon durch Kleinigkeiten die übermittelten Darstellungen im Rap als überzogen und nicht realitätsnah aufgedeckt. Ebenfalls sich selbst als greifbare Frau/ als greifbaren Mann in der pädagogischen Tätigkeit zur Verfügung zu stellen, also sich seiner Inszenierung und Vorbildrolle als Mann/ Frau bewusst zu sein und den Jugendlichen die Möglichkeit geben, sich daran orientieren zu können, verstärkt dies (vgl. ebd., 238). Man kann das Lustvolle am Tanzen, an den Inszenierungen und dem Flirt vom Rap aufgreifen und in der Arbeit zulassen. Um auf Misogynie im Rap einzugehen, kann man statt dem Aufarbeiten von Negativbeispielen auch den Jugendlichen solche Rap-Musik näher bringen, die ohne typische Rollenbilder der Geschlechter auskommt oder gerade diesen Missstand im Hip-Hop thematisiert. Im deutschen Rap zählt hierzu bspw. Sookee oder Edgar Wasser. Ausblick Dieser Artikel hat aufgezeigt, dass Genderinszenierungen im Alltag auf der einen Seite Risiken, aber auf der anderen Seite auch Ressourcen für Jugendliche auf dem Weg zum eigenen Entwurf einer Frau/ eines Mannes bergen (vgl. Rose/ Schulz 2007, 275). Die Rezeptionen und Interpretationen der Jugendlichen in Bezug zu einer geschlechtsbewussten Pädagogik bewegen sich immer zwischen Dramatisierung und Entdramatisierung, Konstruktion und Dekonstruktion von Geschlecht (vgl. Kunert-Zier 2008, 58). Auch bei der Arbeit mit Jugendlichen, die Rap- Musik hören, geht es dann also darum, die eigenen Entwürfe und Inszenierungen von Mädchen und Jungen zuzulassen und dies dennoch nicht als Ausrede zu nehmen, überhaupt nicht handeln zu müssen, sondern gegen Sexismus und Misogynie anzugehen, dabei aber die Perspektive der Jugendlichen einzunehmen. Rap-Musik bietet sich mit dem kreativen Aspekt der Musik, den plakativen und überzogenen Darstellungen von typischen Rollenbildern und dem großen Interesse an der Rap-Musik vonseiten der Jugendlichen sehr gut an, um Projekte oder Ähnliches in der Offenen Jugendarbeit zu initiieren und gendersensibel damit zu arbeiten. Schaut man auf die wissenschaftliche Ebene der genderbewussten Pädagogik in der Sozialen Arbeit bzw. im Allgemeinen auf die Diversity-Diskussion, kommt immer wieder die Kritik auf, dass mit dem Versteifen auf die Kategorie Gender, andere Aspekte, die einen Jungen oder ein Mädchen eventuell mehr beeinflussen als das Geschlecht, außen vor gelassen werden. Der Ansatz der Intersektionalität versucht dem entgegenzusteuern. Auch wenn dieser Ansatz wissenschaftlich erst in den Anfängen steht, kann in der Praxis der Offenen Jugendarbeit die Postulierung, weitere Kategorien, wie Ethnie, soziale Schicht u. v. m. auch mit einzubeziehen, umgesetzt werden. Gerade Rap-Musik mit den Themen von Armut, sozialer Benachteiligung, Ethnizität und im Negativen mit der Homosexualität bietet sich hier als ein adäquates Me- 124 uj 3 | 2016 Rap-Musik als Medium gendersensibler Arbeit dium an, Kategorien, die für die Identitätsentwicklung von Mädchen und Jungen als relevant auftauchen, zusammen mit Jugendlichen auf einer geeigneten Ebene aufzugreifen und zu thematisieren. Hanna Schädel Henkelstraße 11 34127 Kassel hschaedel@hs-koblenz.de Literatur Ehlert, G. (2012): Gender in der Sozialen Arbeit. Konzepte, Perspektiven, Basiswissen. Wochenschauverlag, Schwalbach Kunert-Zier, M. (2005): Erziehung der Geschlechter. Entwicklungen, Konzepte und Genderkompetenz in sozialpädagogischen Feldern. VS Verlag, Wiesbaden Leibnitz, K. (2007): Die bitch als ambivalentes Weiblichkeitskonzept im HipHop. In: Bock, K., Meier, S., Süss, G. (Hrsg.): HipHop meets Academia. Globale Spuren eines lokalen Kulturphänomens. 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