eJournals unsere jugend 68/3

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
31
2016
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Schlag mich, beiß mich

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2016
Andrea Schmidt
Die Bände der Erotiktrilogie „Fifty Shades of Grey“ gehören zu den erfolgreichsten Büchern der letzten Jahre. Sie verkauften sich öfter als das letzte Harry Potter Buch von Jean K. Rowling. Und auch der Film ist ein Schlager an den Kinokassen weltweit. Der britischen Autorin E. L. James ist damit fürwahr ein Überraschungserfolg geglückt mit einem Thema, welches sich nun nicht unbedingt im gesellschaftlichen Mainstream verorten lässt: Unterwerfungssex.
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125 unsere jugend, 68. Jg., S. 125 - 130 (2016) DOI 10.2378/ uj2016.art19d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Schlag mich, beiß mich Risiken und Nebenwirkungen der Rezeption von Fifty Shades of Grey und Twilight Die Bände der Erotiktrilogie „Fifty Shades of Grey“ gehören zu den erfolgreichsten Büchern der letzten Jahre. Sie verkauften sich öfter als das letzte Harry Potter Buch von Jean K. Rowling. Und auch der Film ist ein Schlager an den Kinokassen weltweit. Der britischen Autorin E. L. James ist damit fürwahr ein Überraschungserfolg geglückt mit einem Thema, welches sich nun nicht unbedingt im gesellschaftlichen Mainstream verorten lässt: Unterwerfungssex. von Prof. Dr. Andrea Schmidt Professorin für sozialpädagogische Handlungskonzepte an der Fachhochschule Potsdam, Schwerpunkte u. a.: Theorien und Methoden in der Sozialen Arbeit, gendersensible Soziale Arbeit Die Handlung des ersten Bandes und des ersten Filmes ist schnell erzählt: Die 21-jährige Studentin Anastasia Steele lernt den 27-jährigen Millionär Christan Grey kennen. Sie verliebt sich in ihn und er bietet ihr eine vertraglich abgesicherte Sadomaso-Liaison an. Sein Ziel ist es, jegliche Kontrolle und Macht über Ana (wie er sie nennt) zu haben. Er bestimmt wann, wo und wie sie Sex haben. Außerdem sind die Praktiken, die Instrumente und die Grenzen dieser Beziehung streng festgelegt. Nach längerer Überlegung lässt sich Ana auf diesen Vertrag ein. Nicht zuletzt deshalb, weil sie Christian nicht verlieren möchte. Als er ihr gegen Ende des Filmes etwas arg den Po versohlt, verlässt sie ihn. Zwei Bände später heiratet sie ihn allerdings, so kann in diesem Zusammenhang nicht wirklich von einem Ende der Beziehung gesprochen werden. Einen mindestens genauso großen Erfolg verzeichnen die Twilightbücher von Stephanie Mayer. Der erste Band der Bis(s)-Tetralogie erschien 2005. Der Film kam 2009 in die Kinos. In Twilight verliebt sich die 17-jährige Bella Swan in Edward Cullen, einen geheimnisvoll inszenierten jungen Mann, der sich im Laufe der Geschichte als Vampir entpuppt. Interessanterweise schrieb die Autorin der „Fifty-Shades-of-Grey“-Bücher ihren ersten Band zunächst als Fan Fiction zur Twilightsaga und entwickelte Bella und Edward als Hauptfiguren weiter. Allerdings passten die offenkundigen BDSM-Praktiken nicht so recht zur Vampirromantik, die eher Enthaltsamkeit predigt. So weit so harmlos, könnte man denken. Allerdings sind diese - von den Fans nahezu frenetisch gefeierten und von der Presse durch die Bank verrissenen - Bücher und Filme alles andere als harmlos. Sie sind für mein Dafürhalten ein genauso großes Übel wie die Farbe 126 uj 3 | 2016 Risiken von Fifty Shades of Grey und Twilight Pink (Schmidt 2013), quasi eine Mädchen- und Frauenverblödung mit anderen Mitteln. Ich würde dies ja als harmlosen Kitsch abtun, der Erfolg dieser Werke ist allerdings so immens, dass wir es hier mit einem Mainstreamphänomen zu tun haben, das (nicht nur) junge Menschen „bewegt“, und deshalb kritisch unter die Lupe genommen werden sollte. Geschlechterbilder in Twilight und Fifty Shades of Grey Über das Frauenbild in der Twilightsaga ist schon einiges geschrieben worden. Die ZEIT fasst es als „die Blöde und das Biest“ zusammen, was den Nagel auf den Kopf trifft (www.zeit.de). In der Tat ist die weibliche Hauptfigur Bella seltsam statisch gezeichnet bzw. wankt von Szene zu Szene, während die männlichen Protagonisten, allen voran Edward, sie hin und her dirigieren. Die Actionszenen sind meist begründet darin, dass Bella immer wieder aus gefährlichen Situationen gerettet werden muss (hier gibt es übrigens eine Analogie zu Tatortkommissarinnen. Auch diese begeben sich immer wieder unvorsichtig in brenzlige Situationen und müssen dann von ihren männlichen Kollegen gerettet werden. Spezialistin hierfür ist beispielsweise Ulrike Folkerts in ihrer Rolle als Ludwigshafener Kommissarin). Bella hätte gerne Sex mit Edward und geduldet sich sage und schreibe drei Bände lang, bis Edward so weit ist. Bella handelt in der Regel unüberlegt und weiß oft nicht, was sie will, bis Edward ihr ein Kommando gibt. Ähnlich verhält es sich mit der Figur Anastasia in Fifty Shades of Grey. Sie ist derart verknallt in Christian, dass sie ihm willenlos ihre Würde, ihre Seele und ihren Körper überlässt und er die Regeln ihrer Beziehung bestimmt. Reagieren Edward und Christian unwirsch oder ziehen sich zurück (was sie ständig tun), suchen die jungen Frauen die Begründung immer im eigenen Fehlverhalten: Wenn er schlecht drauf ist, dann liegt das an mir, so das Mantra. Die männlichen Protagonisten ähneln sich ebenfalls. Edward ist ein wortkarger junger Mann, mit energischem Kinn, er ist Einzelgänger, unnahbar und in sich versunken. Geradezu eine ideale Herausforderung für eine verknallte junge Frau. Ihn zu „knacken“, ja ihn zu retten vor seiner Einsamkeit, das ist ihre Mission. Auch Christian bleibt stets geheimnisvoll, makellos gestylt und nie schafft es Ana, ihm wirklich nahe zu kommen. Diese Figuren kontrastieren in großem Maße zur Realität der Durchschnittsjungen und -männer. Und auch die Frauen erhöhen sich mithilfe der Protagonisten: Wenn er mich will, dieser geheimnisvolle, attraktive Mann, dann muss auch ich etwas ganz Besonderes sein. Im Folgenden werde ich etwas assoziativ aufzeigen, inwieweit althergebrachte Zuschreibungen an Männer und Frauen in Fifty Shades of Grey oder Twilight fröhliche Urstände feiern. Ich zeichne nach, dass sich ein Backlash hin zu einem traditionellen Geschlechterverhältnis abbildet, indem konservative Rollenbilder und asymmetrische Beziehungsmodelle durch diese Bücher und Filme wieder en vogue werden. Ich fokussiere dabei auf Mädchen und junge Frauen, da diese sich mit den Figuren Ana und Bella stärker identifizieren. Jungen und junge Männer betrifft dies weniger, weil sie die Bücher und Filme kaum rezipieren. Die Leserinnen von Fifty Shades of Grey Die amerikanische Psychologin Amy Bonomi ist der Frage nachgegangen, welche Leserinnen sich für das Buch Fifty Shades of Grey interessieren. Frauen, die Fifty Shades of Grey lesen, hätten ähnliche Erfahrungen gemacht wie die Hauptfigur oder weisen verwandte Persönlichkeitsmerkmale auf, so Bonomi. Ihr Fokus liegt auf der Untersuchung von Strukturen, Mechanismen und Symptomen häuslicher und sexualisierter Gewalt. Die Beziehung von Ana und Christian 127 uj 3 | 2016 Risiken von Fifty Shades of Grey und Twilight bilde sexualisierte Gewalt ab, bei der Gefühle von Ohnmacht und Bedrohung durch Christian bei ihr erzeugt würden, sich langsam ein Verlust ihrer Identität einschleiche und sie in Abhängigkeit zu ihm gerate. Bonomi konstatiert, dass in nahezu jeder Interaktion zwischen Christian und Ana Misshandlungen und Beschimpfungen nachzuweisen seien (Bonomi u. a. 2014, 720). Christians Verhalten zeige typische Misshandlungsstrategien auf, wie z. B. Stalking, Einschüchterung, soziale Isolation und sexualisierte Gewalt. Korrespondierend dazu seien bei Ana eindeutige Anzeichen für Frauen, die Opfer von Missbrauch sind, auszumachen. Sie habe das Gefühl einer permanenten Bedrohung, leide unter einer völlig veränderten Selbstwahrnehmung (sie fühlt sich unsichtbar, wie ein „blasser gejagter Geist“); fühle sich für die Beziehung verantwortlich und lade die Schuld auf sich, wenn Christian aggressiv wird (Bonomi u. a. 2014, 721). Gewalt und Missbrauch würden in Fifty Shades (und auch in Twilight) normalisiert, indem sie in den Kontext romantischer Beziehungen gestellt würden (ebd.). Durch den immensen Erfolg der Bücher, Serien und Filme sei das soziale Leben in der westlichen Welt geradezu infiltriert durch diese Gewaltdarstellungen, so Bonomi. In ihrer Studie (einem Sample von 650 jungen Frauen im Alter von 18 bis 24 Jahren) arbeitet Bonomi heraus, dass die Leserinnen von Fifty Shades sowohl stärker Gefahr liefen einen (verbal) gewalttätigen Partner zu haben als auch erhöhtes Risikoverhalten an den Tag legten. Das erhöhte Risikoverhalten, welches Bonomi bei den Leserinnen konstatiert, bezieht sich auf Essstörungen, hohen Alkoholkonsum und häufig wechselnde Sexualpartner. Junge Frauen, die die Bücher nicht gelesen hatten, wiesen keine solchen erhöhten Risikomerkmale auf. Problematisch erscheint auch das Körperbild der jungen Frauen: „Moreover, our findings that readers of Fifty Shades (a novel series that perpetuates hypersexualization of women) seem preeoccupied with body image (through there reports of disordered eating) are consistent with recent longitudinal studies showing that female consumption of sexualizing magazines predicts their internalizion of physical appearance ideals all over time, including valuing apperance over competence, and a tendency to engage in intensive body surveillance.“ (Bonomi u. a., 724f ) Nun ist Korrelation nicht gleich Kausalität. Die Studie weist demzufolge nicht nach, ob bzw. inwieweit die Lektüre von Fifty Shades das erhöhte Risikoverhalten bei den Leserinnen erzeugt oder ob die Leserinnen eine Prädisposition dafür haben. Kritisch anzumerken ist ebenfalls, ob die in der amerikanischen Studie benannten Risikofaktoren (z. B. fünf oder mehr SexualpartnerInnen im Leben) für sich betrachtet als wirklich dramatisch zu bewerten sind, oder ob sie einfach in die Lebensphase gehören und dem Austesten von Grenzen oder dem sich Ausprobieren geschuldet sind. Dennoch sind die Befunde der Studie interessant, zeigen sie doch deutliche Unterschiede zwischen dem Verhalten der Leserinnen und der Nichtleserinnen auf. Risiken und Nebenwirkungen der Rezeption von Fifty Shades of Grey Bei Fifty Shades oder Twilight handelt es sich um Fiktionen und den Leserinnen ist klar, dass es erfundene Geschichten sind. Damit könnte alles gesagt sein und die Beschäftigung mit dem Thema erübrigte sich, wenn da nicht der Subtext in den dargestellten Beziehungen wäre. „Fiction or not, millions of women are consuming messages in Fifty Shades that normalize and glamourize violence against women, under the guise of romance and eroticism“ (Bonomi u. a., 722). 128 uj 3 | 2016 Risiken von Fifty Shades of Grey und Twilight Die Romantisierung und Normalisierung von Unterwerfung ist denn auch m. E. das Problematischste an Fifty Shades of Grey und Twilight. Mit Fifty Shades of Grey und Twilight tritt eine weitere Dimension von traditionellen Geschlechtszuschreibungen in der Gestalt eines asymmetrischen, hierarchisierten Beziehungsgefüges zwischen Frauen und Männern zutage. Hier wird eine Beziehungsform propagiert, die von Gewaltphantasien und Unterdrückungsszenarien - wie zuvor bereits skizziert - nur so strotzt. An dieser Stelle möchte ich verdeutlichen, dass es mir hier nicht um ein Plädoyer gegen BDSM- Praktiken geht. Kritik an Fifty Shades of Grey wird übrigens aus eben dieser Szene dahingehend geäußert, dass Christans Vorliebe für jene Praktiken aus seiner von Misshandlungen geprägten Kindheit herrühre und somit eine Botschaft des Filmes sei, dass BDSM-AnhängerInnen alle irgendwie gestört seien (www.buzz feed.com). Mir geht es vielmehr um die Romantisierung und Affirmation asymmetrischer, von Gewalt geprägter Beziehungskonstellationen, in denen typischerweise eine Frau körperlich sowie emotional von einem Mann misshandelt wird und sie ihn absurderweise aus seinem Unglück retten will, indem sie sich ihm unterwirft. Bei Twilight lässt sich diese Beziehungsdynamik - weitaus züchtiger zwar - ebenfalls herausarbeiten. Diese Dynamiken entsprechen der Logik eines neoliberalen Geschlechterregimes, bei dem sich die Selbstermächtigung von Frauen ausnehmend konservativ bzw. traditionell darstellt. Können erwachsene Frauen diese Zumutungen noch für sich verarbeiten, so sieht dies bezogen auf junge Mädchen anders aus, denn für diese Beziehungsbotschaften sind junge Frauen (und junge Männer) in der Adoleszenz ganz besonders empfänglich. Geht es doch in dieser von Suchbewegungen gekennzeichneten Lebenszeit um die Findung ihrer psychischen und physischen Identität, um Sexualität und Körperinszenierungen und das Eingehen erster Liebesbeziehungen. Die Aneignung des eigenen Körpers und das sich Ausprobieren in (Liebes)Beziehungen ist durchdrungen von Normalisierungsprozessen, die sich entlang heteronormativer Vorstellungen konstruieren und reproduzieren. Die Körper der Mädchen und (jungen) Frauen sollen Sexualität signalisieren, die in den verschiedensten Inszenierungen vom Schulmädchen über Gouvernanten bis hin zum sexy Sekretärinnenlook daherkommen (Orbach 2010, 148). Die Mainstreamisierung von Pornografie und ihren Körperästhetiken schreibt sich schon in der Pubertät in die Körperpraxen der jungen Frauen ein. So ist in der Pornografie seit einigen Jahren die enthaarte Scham Standard, bei den Darstellerinnen sowieso und zunehmend mehr auch bei den Darstellern. Auch bei Jugendlichen ist ein starker Anstieg der Intimenthaarung zu verzeichnen, wie eine 2011 erschienene Studie herausarbeitet, bei der 160 Jugendliche (je 80 junge Frauen und junge Männer) interviewt wurden: So enthaaren sich 94 % der befragten jungen Frauen und 81 % der befragten jungen Männer. Für diese Jugendlichen im Alter von 16 und 19 Jahren gehört die Körperenthaarung zur täglichen Körperpflege und ist unhinterfragte Normalität (Matthiesen/ Mainka 2011, 25). Dabei gelten unterschiedliche Maßstäbe für die Geschlechter. Mädchen sollen sich die Achseln, die Beine und den Intimbereich enthaaren. Bei Jungen sollten der Intimbereich und die Achseln rasiert sein. Unisono äußerten die Befragten, dass die Intimenthaarung für Frauen notwendiger sei als für Männer. Als Begründung hierfür wurden hygienische Aspekte benannt aber auch darauf hingewiesen, dass Haarlosigkeit die Weiblichkeit unterstreiche (Matthiesen 2011, 27) - wohl auch, weil damit eine gewisse Schutzlosigkeit assoziiert wird. Die Enthaarung des Intimbereiches entfaltet bei den befragten Jugendlichen eine normative Kraft, die Geschlechterstereotype reprodu- 129 uj 3 | 2016 Risiken von Fifty Shades of Grey und Twilight ziert, indem Körperbehaarung bei Frauen Ekel und Abwehr hervorruft. Männer hingegen „dürfen“ eine stärkere Körperbehaarung aufweisen, dies wird sogar als positiv weil männlich eingestuft. Dem heteronormativen Beziehungsideal liegt immer noch die Idee der romantischen Liebe zugrunde. Dies bildet sich bei den 12bis 14-jährigen Mädchen besonders ab, denn die orientieren sich stark an einem traditionellen Familienmodell, die 16bis 18-Jährigen tendieren schon eher zu einem partnerschaftlichen Modell. Im Gegensatz dazu fokussieren Jungen viel stärker auf den Beruf als junge Frauen und bevorzugen gleichzeitig in der Mehrzahl ein partnerschaftliches Beziehungsmodell (BMfFSJ 2008, 27ff ). Hier deutet sich für spätere Partnerschaften ein hohes Maß an Konfliktpotenzial bei der Verhandlung der Frage an, wer denn nun wirklich welche Rolle übernimmt und wer welchen Anteil an reproduktiver Arbeit und Erwerbsarbeit leistet. Die eben benannten Zahlen beziehen sich allerdings nicht auf tatsächliche Verhaltensänderungen, also konkrete Lebensweisen, sondern zeigen lediglich Ideen von einem gelungenen Leben und Visionen von Lebensentwürfen. Die Lebens- und Beziehungsrealitäten sehen dann doch anders aus, denn Frauen haben in Deutschland deutlich häufiger Teilzeitjobs als im EU-Durchschnitt. Teilzeit arbeitet 2011 fast jede zweite erwerbstätige Frau (45 %) in der Bundesrepublik, im EU-Durchschnitt war es nur knapp jede Dritte (32 %). Außerdem wenden Frauen deutlich mehr Zeit für unbezahlte Arbeit auf als Männer. 2012/ 2013 leisteten Frauen zwei Drittel ihrer Arbeit unbezahlt, Männer weniger als die Hälfte (Destatis 2015, für die Zeitverwendungserhebung wurden von August 2012 bis Juli 2013 gut 5000 Haushalte befragt). Die Zuständigkeit, was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie anbelangt, liegt - mit allen dazugehörigen gesellschaftlichen Benachteiligungen - nahezu ungebrochen bei den Frauen. Die Vogel-Strauß-Taktik Ich konstatiere, dass sich relativ wenig bewegt im gesellschaftlichen Geschlechterarrangement. Ich behaupte sogar, dass wir es mit einem Rollback im Geschlechterverhältnis zu tun haben und längst überwunden geglaubte Geschlechter- und Beziehungskonstellationen aus der Mottenkiste geholt werden. Trotz der beschworenen Vielfalt existieren nur wenig ausdifferenzierte Schönheitsideale, partnerschaftliche Beziehungsmodelle und Arbeitsteilungen. Das, was als wachsende Freiheit von Frauen gefeiert wird, ist letztlich nichts anderes als die Affirmation konservativer Werte, Rollenvorstellungen und Selbstinszenierungen. Gepaart mit Abwertungs- und Unterwerfungsszenarien in Mainstreammedien wie Fifty Shades of Grey oder Twilight ergibt sich daraus ein wunderbarer Nährboden für Sexismus, der alle Lebensbereiche durchzieht und der - da es aktuell kaum eine bedeutende ernstzunehmende gesellschaftliche emanzipatorische Bewegung gibt - individualisiert bzw. versubjektiviert wird. Dies geschieht so erfolgreich und mit immensem Medienhype, dass fast niemand darum herum kommt. Die klischierten und reduzierten Perspektiven auf Frauen und Männer reihen sich ein in eine Anzahl weiterer Phänomene, die sich einzeln betrachtet vielleicht noch als harmlos abtun lassen. Beispiele hierfür sind eindimensionale Schönheitsideale wie sie in Castingsshows wie Germanys next Topmodel propagiert werden, eine epidemische Verbreitung der Farbe Pink in den letzten Jahren und damit verknüpfte Bilder von Mädchen. Dazu gehört eine weitgehende Pornografisierung von Werbung ebenso wie die Mainstreamisierung pornografischer Körperästhetiken sowie Körperpraxen; oder die Mär von den triebgesteuerten Jungen und den provozierenden Mädchen. Aktuellstes Beispiel ist das Verbot knapper Kleidung wie z. B. bauchfreie T-Shirts oder Hotpants für Mädchen an einer Schule in Horb. Jungen sollten nicht länger durch die aufreizend bekleideten Mädchen abgelenkt werden, so die Begründung der Schulleiterin. 130 uj 3 | 2016 Risiken von Fifty Shades of Grey und Twilight In der Zusammenschau ergibt sich ein desaströses Bild, welches Bemühungen zur Herstellung eines egalitären Geschlechterverhältnisses sowie der Dekonstruktion traditioneller Zuschreibungen an Frauen und Männer torpediert bzw. ad absurdum führt. Den Kopf aus dem Sand ziehen! Mir scheint es an der Zeit, die Geschlechterthematik wieder viel stärker in der Jugendarbeit auf die Agenda zu nehmen. Sie ist für mein Dafürhalten ziemlich aus dem Blickfeld gerückt, sowohl bei PädagogInnen als auch bei den GeldgeberInnen. Im Flächenland Brandenburg zum Beispiel findet kaum noch Mädchenarbeit statt. Die Finanzierung ist so weit heruntergefahren worden, dass nur noch fünf (! ) Mädchentreffs im Land existieren. Für den Bereich Jungenarbeit sieht es noch düsterer aus. Hier gibt es nur einen Träger und der arbeitet auf der Basis biologistischer bzw. maskulinistischer Vorstellungen von Geschlecht. Wenn ich in Weiterbildungen für PädagogInnen Geschlecht als zentrale Reflexionsfolie des eigenen professionellen Handelns thematisiere, ernte ich Augenrollen (als mildeste Form der Unmutsbekundung). Dabei ist es für jegliches professionelles pädagogisches Handeln unabdingbar, sich selbst als Pädagoge und als Pädagogin zu vergegenwärtigen, welche Mechanismen zur Herstellung von Geschlechterbildern am Werke sind und wie diese einseitigen Bilder von Mädchen und Jungen und Männern und Frauen in die Köpfe gelangen. Noch viel bedeutsamer sollte es sein, diese Bilder aus den Köpfen zu bekommen, aus dem eigenen und denen der Jugendlichen. Dazu bedarf es keiner neuen Konzepte pädagogischer Arbeit, die sind schon in Fülle und guter Qualität vorhanden, sondern eines beherzten Bekenntnisses zur geschlechterreflektierenden Arbeit jedes und jeder Einzelnen. Wenn junge Frauen und Männer zumindest im Rahmen der Jugendarbeit auch einmal bezogen auf ihre Geschlechtsidentität und ihre Selbstinszenierungen hinterfragt würden, dann wären die Risiken und Nebenwirkungen von Fifty Shades of Grey oder Twilight nicht ganz so gravierend. Prof. Dr. Andrea Schmidt Fachhochschule Potsdam Fachbereich Sozialwesen Friedrich-Ebert-Str. 4 14467 Potsdam a.schmidt@fh-potsdam.de Literatur BMfFSJ (2008): Mädchen und Jungen in Deutschland. Berlin Bonomi, A., Nemeth, J., Altenburger, L. E., Anderson, M. L., Snyder, A., Dotto, I. (2014): Fiction or Not? Fifty Shades is Assocciated with Health Risks in Adolescent and Young Adult Females. Journal of Women’s Health 23 (9), 720 - 728 Destatis (2015): Arbeitszeit von Frauen. Ein Drittel Erwerbsarbeit, zwei Drittel unbezahlte Arbeit. In: www. destatis.de/ DE/ PresseService/ Presse/ Pressemittei lungen/ 2015/ 05/ PD15_179_63931.html, 25. 7. 2015 Matthiesen, S., Mainka, J. (2011): Intimrasur als neue Körpernorm bei Jugendlichen. In: www.jugendsexforschung.de/ dokumente/ Forum%20Intimitaet%20 Intimrasur.pdf, 25. 7. 2015 Orbach, S. (2010): Bodies. Schlachtfelder der Schönheit. Arche, Zürich/ Hamburg Schmidt, A. (2015): „Mach ein bisschen mehr sexy“ Gedanken zu Mädchenarbeit, Sexualität, Feminismus und Pornografie. In: Betrifft Mädchen 28, 64 - 70 Schmidt, A. (2014): Ja, Nein, Sowohl als auch? Pornografie, Feminismus und Heteronormativität. In: Andergassen, L., Clasen, T., Grawinkel, K., Meier, A. (Hrsg.): Explizit! Neue Perspektiven zu Pornografie und Gesellschaft. Bertz + Fischer, Berlin, 129 - 137 Schmidt, A. (2013): „Drama Baby…“: Über den Zusammenhang von Castingshows, Sexismus und der Farbe Pink. Unsere Jugend 65, 35 - 41 www.buzzfeed.com/ nscholz/ fifty-shades-of-bdsm#. uxdGG2MXYE, 17. 7. 2015 www.zeit.de/ kultur/ literatur/ 2010-01/ neue-vampir geschichten, 26. 6. 2015