eJournals unsere jugend 68/11+12

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2016.art62d
111
2016
6811+12

„Rechtsextremismus“

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2016
Christian Pfeil
Rudolf Leiprecht
Nationalismus, Rassismus, Autoritarismus und Gewaltakzeptanz treten in vielen europäischen Gesellschaften in besonders zugespitzten und verabsolutierten Formen auf. Im deutschen Fachdiskurs werden diese Formationen meist als ‚Rechtsextremismus‘ zusammengefasst. Im Folgenden werden wir einen kurzen Abriss über Begriffe, Befunde, Erklärungsmodelle und Handlungsmöglichkeiten liefern.
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450 unsere jugend, 68. Jg., S. 450 - 459 (2016) DOI 10.2378/ uj2016.art62d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel „Rechtsextremismus“ Fachdiskurse, Prävention und Intervention in Handlungsfeldern der Pädagogik und Sozialer Arbeit Nationalismus, Rassismus, Autoritarismus und Gewaltakzeptanz treten in vielen europäischen Gesellschaften in besonders zugespitzten und verabsolutierten Formen auf. Im deutschen Fachdiskurs werden diese Formationen meist als ‚Rechtsextremismus‘ zusammengefasst. Im Folgenden werden wir einen kurzen Abriss über Begriffe, Befunde, Erklärungsmodelle und Handlungsmöglichkeiten liefern. Begriffsklärung In der Auseinandersetzung mit den diesem Artikel zugrunde liegenden gesellschaftlichen Phänomenen und Prozessen sehen wir uns mit der Tatsache konfrontiert, dass eine Vielzahl von Begriffen (z. B. Rechtsextremismus, Rechtsradikalismus, Rechtspopulismus, [Neo-]Nazismus, [Neo-]Faschismus) teils quasi synonym, teils konkurrierend genutzt werden und zudem oft problematische Schlussfolgerungen nahelegen. Eine erschöpfende Diskussion der verschiedenen Termini kann und soll an dieser Stelle nicht geliefert werden. Nur eine Skizze, die zumindest die inhärenten Schwierigkeiten andeutet, ist hier möglich. Diese beginnen bereits mit den Begriffsbestandteilen ,Radikalismus‘ und ,Extremismus‘. Radikal wurde in seiner langen Geschichte vielfach im Sinne von „an der Wurzel anpacken“ von Emanzipations- und Befreiungsbewegungen benutzt und machte darauf aufmerksam, dass Probleme grundlegend gelöst werden sollten. Nun finden wir zum einen die naturalisierenden Assoziationen (,Wurzel‘) wenig hilfreich, zum anderen sind gerade rechte Ideologien dadurch gekennzeichnet, dass sie von Dr. Christian Pfeil Jg. 1974; Diplom-Pädagoge; Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg; Arbeits- und Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus; Mitbegründer der Oldenburger Arbeitsstelle Rassismus, Fundamentalismus, Gewalt: Analyse, Prävention, Forschung und Beratung für pädagogische Arbeitsfelder (ARFG) Prof. Dr. Rudolf Leiprecht Jg. 1955; Diplom-Pädagoge. Hochschullehrer für Sozialpädagogik mit dem Schwerpunkt Diversity Education an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg; Mitbegründer der Oldenburger Arbeitsstelle Rassismus, Fundamentalismus, Gewalt: Analyse, Prävention, Forschung und Beratung für pädagogische Arbeitsfelder (ARFG) 451 uj 11+12 | 2016 „Rechtsextremismus“ - Fachdiskurse, Prävention und Intervention Probleme im Diskurs zwar verschieben, damit aber keine Lösung für das zunächst genannte Problem anbieten (aus einem ökonomischen Arbeitslosenproblem wird z. B. ein sog. ,Ausländer‘-Problem gemacht). Aber auch der Begriffsbestandteil ,Extremismus‘ kann nicht zufriedenstellen. So zeigen Ackermann und andere nachdrücklich, dass ,Extremismus‘ „als Oberbegriff zur Kennzeichnung einer ganzen Bandbreite von Erscheinungen (fungiert), von denen sich eine Selbstbeschreibung nach demokratische Mehrheits- und Konsensgesellschaft abzugrenzen versucht“ (Ackermann et al. 2015, 71). Und Stöss (2015) problematisiert ‚Extremismus‘ denn auch als vieldeutig und zugleich inhaltsleer, da ihm einerseits grundlegend verschiedene Phänomene wie Linksextremismus, Rechtsextremismus, aber auch religiöser Fundamentalismus sowie Terrorismus untergeordnet werden, und ‚Extremismus‘ gleichzeitig auf der Annahme basiert, er stehe zu Demokratie in einem dichotomen Verhältnis. Trotzdem, oder vielleicht auch gerade deswegen, hat sich ‚Rechtsextremismus‘ „wissenschaftlich, politisch und medial als Sammelbezeichnung in der Gegenwart durchgesetzt“ (Salzborn 2015, 13). Der Begriff ist aus unserer Perspektive irreführend, da er suggeriert, dass es sich um ein Phänomen handelt, das nur bei einer kleinen Gruppe am Rande der Gesellschaft zu beobachten ist. Gleichzeitig gibt es keine allgemein anerkannte Definition des Phänomens, welches mit ‚Rechtsextremismus‘ zu fassen versucht wird (Stöss 2010, S. 10). Allerdings gibt es eine Reihe von inhaltlichen Merkmalen, die geeignet erscheinen, um eine bestimmte weltanschauliche Ideologie als rechtsextrem zu klassifizieren, wobei an dieser Stelle einschränkend zu erwähnen ist, dass bei einem Großteil der Adressat_innen pädagogischer Bemühungen im Kontext von Prävention und Intervention nicht von einer festgefügten, kohärenten Ideologie zu sprechen ist, sondern es sich vielmehr um Versatzstücke eben dieser handelt (Möller 2015, 49). Wir wollen für die folgenden Ausführungen in provisorischer Weise zunächst von der sogenannten Konsensdefinition ausgehen, wie sie von mehreren Forschenden in diesem Gegenstandsbereich vorgelegt worden ist, wobei wir diese aber erweitern und begrifflich verändern. In der Konsensdefinition werden sechs Facetten von ‚Rechtsextremismus‘ genannt (z. B. Brähler et al. 2006): Die ersten vier Facetten präzisieren Bestandteile dessen, was z. B. bei Möller und Schumacher (2007) recht allgemein Ungleichwertigkeitsvorstellung genannt wird. Erweitern lässt sich diese Aufzählung zum einen um das Merkmal spezifischer naturalisierender Vorstellungen zu den Geschlechterverhältnissen: Frauen und Männern werden u. a. jeweils besondere Aufgaben für ein imaginiertes kulturelles (Erziehung) und biologisches (Zeugung) Erbe zum ‚Erhalt des eigenen Volkes‘ zugeschrieben (Leiprecht 2016). Zum anderen ist zweifellos das Merkmal Gewaltakzeptanz von Bedeutung, wobei Salzborn darauf aufmerksam macht, dass in rechtsextremen Ideologien Gewaltförmigkeit grundsätzlich angelegt ist, diese aber in der kritischen Beschreibung und Diskussion zu Unrecht meist auf physische Gewalt reduziert wird (Salzborn 2015). Die hier von uns dargelegten Wissens- und Ordnungssysteme, Diskursmuster und Ideologien finden einen Ausdruck sowohl in Einstellungen, Überzeugungen, Haltungen und Weltsichten als auch in Handlungen/ Verhalten - und/ oder es wird versucht, Handlungs- und Verhaltens- Rechtsextremistische Merkmale Rassismus Antisemitismus nationalistischer Chauvinismus Sozialdarwinismus Verharmlosung des Nationalsozialismus Befürwortung einer rechtsgerichteten Diktatur Abb. 1: Merkmale von‚Rechtsextremismus‘ nach der sog. Konsensdefinition (Brähler et al. 2016) 452 uj 11+12 | 2016 „Rechtsextremismus“ - Fachdiskurse, Prävention und Intervention weisen nachträglich entsprechend zu begründen und zu legitimieren (Stöss 2010, 20f; Salzborn 2014, 22). In einem eigenen Schaubild haben wir, angeregt durch eine Grafik von Stöss (2010, 21), die aus unserer Perspektive wichtigsten Facetten zusammengestellt (vgl. Abb. 2). Dabei ist unser Ausgangspunkt die neuere Rassismusforschung (Leiprecht 2016): Begriffe wie Fremdenfeindlichkeit oder Ausländerfeindlichkeit, in der Debatte zu ‚Rechtsextremismus‘ häufig benutzt, werden dort kritisiert, da Rassismus sich auf einer interaktiven und individuellen Ebene nicht immer in Feindlichkeit ausdrückt, sondern auch als Ignoranz oder Distanz in Erscheinung tritt, zudem mit Rassismus gleichzeitig diskursive, kulturelle, strukturelle und institutionelle Ebenen in den Blick kommen. Dies sind Ebenen, die durch den eher personalisie- ‚Rechtsextremismus‘ Wissens- und Ordnungssysteme, Diskursmuster, Ideologien Einstellungen, Überzeugungen, Haltungen, Weltsichten Handlungs- und Verhaltensweisen Rassismus kolonialer Rassismus, Antisemitismus, Antiislamismus, Antislawismus, Antiziganismus etc. Wahlverhalten Ethnozentrismus Mitgliedschaften Nationalismus völkischer Nationalismus, sog. ‚Ethnopluralismus‘ Demonstrationen Sozialdarwinismus Propaganda, Öffentlichkeitsarbeit, Aktivitäten im Internet (vor allem auch in den Sozialen Medien) Sexismus Verteidigung angeblich durch die Natur festgelegter Geschlechterverhältnisse Verhalten in den Parlamenten Anti(US-)amerikanischer und antisemitischer Antikapitalismus Schaffung rechtsextremer ‚Kulturen‘ und Erlebniswelten Extreme Zuspitzung konservativer Wertvorstellungen und Sekundärtugenden Leitbild einer hierarchischen Gesellschaftsordnung, Autoritarismus gewalttätige Aktionen Einschüchterung, Terror, Brandanschläge, Mord, Mobbing Militarismus Idealisierung des sog. ‚Dritten Reiches‘ … … Abb. 2: Fachdiskurs Begriff‚Rechtsextremismus‘: inhaltlich-thematische Facetten und Handlungs- und Verhaltensweisen 453 uj 11+12 | 2016 „Rechtsextremismus“ - Fachdiskurse, Prävention und Intervention renden Hinweis auf Feindlichkeit geradezu aus der Wahrnehmung ausgeblendet werden. Auch geht es bei den Großgruppenkonstruktionen, die im Kontext von Rassismus auftreten, keineswegs stets um ‚Fremde‘. Rassismus kann, um nur ein Beispiel zu nennen, auch in sog. interethnischen Freundschaften oder binationalen Ehen eine Rolle spielen, dann vermutlich in seinen subtilen und verdeckten Formen, die von den jeweiligen Personen oft auch unbewusst oder ungewollt reproduziert werden. Und schließlich beziehen sich die negativen Großgruppenkonstruktionen, die im ‚Rechtsextremismus‘ von Bedeutung sind, nicht immer auf ‚Ausländer‘, und wenn, dann in aller Regel nur auf ganz bestimmte, wobei in beiden Fällen auf Konstruktionen zu ‚Rasse‘, ‚Kultur‘, ‚Volk‘ und/ oder ‚Nation‘ zurückgegriffen wird. Empirische Befunde Die öffentliche Wahrnehmung zu ‚Rechtsextremismus‘ ist in der Bundesrepublik Deutschland saisonalen Schwankungen unterworfen. Phasen größten öffentlichen Interesses und eines intensiv geführten Diskurses - wie etwa kurz nach der Selbst-Enttarnung der terroristischen Vereinigung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) im November 2011 - stehen Phasen gegenüber, in denen die Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung einseitig von ‚links‘ oder von ‚islamistischen Fundamentalisten‘ auszugehen scheint (Pfeil 2016, 17). Die wissenschaftliche Auseinandersetzung ist hier um einiges weiter und zugleich in ihrer Problemwahrnehmung kontinuierlicher, wobei es recht unterschiedliche Teilbereiche der Forschung gibt: ➤ Es existieren Untersuchungen zu Ein- und Ausstiegsprozessen in entsprechenden Szene- und Organisationszusammenhängen (z. B. Koch/ Pfeiffer 2009; Möller 2007; Pfeil 2016), ➤ zu Möglichkeiten der Prävention und/ oder Intervention (z. B. Rieker 2009; Möller et al. 2014), ➤ zu Ansätzen, die den Entstehungsprozess von Denkmustern und Haltungen erklären sollen (z. B. Heitmeyer 1987; Salzborn 2014; Stöss 2010), ➤ bis hin zu auf aktuelle (subkulturell geprägte) Erscheinungsformen und Personenpotenziale ausgerichtete Publikationen (Glaser/ Pfeifer 2013). Eines der Ergebnisse von Forschung ist, dass die Entwicklungen in der ‚Bewegung‘ als sehr dynamisch zu bezeichnen sind - vorher fest gefügte ‚Grenzen‘ in andere, nicht klassisch rechts konnotierte subkulturelle Gesellungsformen weichen auf, und ‚rechtsextrem‘ Agierende formen ‚Erlebniswelten‘, wobei versucht wird, diese so attraktiv zu gestalten, dass sie für unterschiedlichste Interessen im Kontext des politischen Spektrums etwas bieten. Wenn es um die Erfassung von Denkmustern und Haltungen in der Gesamtbevölkerung geht (in Abgrenzung zu aktiv handelndem Personenpotenzial), sind vor allem quantitativ orientierte Untersuchungen von Bedeutung. So wurden mit einer Vorgeschichte in der jugendbezogenen ‚Rechtsextremismus‘-Forschung (Heitmeyer 1987) zwischen 2002 und 2016 im Zwei-Jahres-Turnus quantitative Befragungen bei einem repräsentativen Querschnitt der erwachsenen Bevölkerung (jeweils n = ca. 2000) durchgeführt, die mit dem Bielefelder Projekt Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (Heitmeyer 2012) und den sog. Mitte-Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung verbunden sind (Decker/ Kiess/ Brähler 2012). Kernstück der Befragungen ist ein Fragebogeninstrument, in dem „rechtsextreme Einstellungen“ mithilfe der bereits erwähnten sechs Facetten abgebildet werden, u. a. wird ‚Fremdenfeindlichkeit‘, ‚Antisemitismus‘ und ‚Rassismus‘ unterschieden und konzeptualisiert, dies dann ergänzt um Islamfeindlichkeit (ab 2003) und um Abwertung asylsuchender Menschen und Abwertung von Roma und Sinti (ab 2011). Allerdings wird jede Facette lediglich mit zwei Items repräsentiert, und ‚Rassismus‘ ist - gemäß der Operationalisie- 454 uj 11+12 | 2016 „Rechtsextremismus“ - Fachdiskurse, Prävention und Intervention rung der Untersuchungsgruppe - auf einen biologischen Rassismus beschränkt (Zick/ Klein 2014), während in der Begriffsfassung der derzeitigen Rassismusforschung vermutlich all die soeben genannten Facetten unter dem Oberbegriff Rassismus diskutiert würden (vgl. Leiprecht 2016). Die in der Zeitreihe festgestellten Anteile entsprechender Einstellungen zeigen, dass sich zwischen 2002 und 2014 die Werte für ‚Rassismus‘ und ‚Antisemitismus‘ jeweils nahe um 10 % herum bewegen. Hingegen werden für ‚Islamfeindlichkeit‘ und ‚Fremdenfeindlichkeit‘ nicht nur Anteile verzeichnet, die deutlich stärker schwanken, sondern die auch deutlich größer sind, mit Größenordnungen zwischen 30 % und 20 % (‚Islamfeindlichkeit‘) bzw. zwischen 40 % und ca. 30 % (‚Fremdenfeindlichkeit‘). Dabei fällt auf, dass zwischen 2013 und 2014 plötzlich ein Abfall von 25 % auf 18 % bzw. von 32 % auf 20 % registriert wird. Gleichzeitig werden für 2014 zur ‚Abwertung asylsuchender Menschen‘ und zur ‚Abwertung von Roma und Sinti‘ - erfasst erst seit 2011 - Anteile um die 45 % bzw. 30 % ermittelt. Hier wird deutlich, dass der Vergleich der verschiedenen Befragungszeitpunkte nur eingeschränkt möglich ist: Wären 2011 nicht zusätzliche Items in die Befragungen mit aufgenommen worden, wäre bezüglich des Gesamtergebnisses ein deutlich anderer Eindruck entstanden. Damit zeigt sich, dass Fragebogenuntersuchungen höchstens das erfassen, was mit den jeweiligen Items versucht wird abzubilden. Zentrales Ergebnis aller bisher veröffentlichter Studien ist jedenfalls, dass ‚rechtsextreme‘ Einstellungen tatsächlich in allen Bevölkerungsschichten bundesweit zu finden sind, wobei die individuelle politische Verortung der Befragten (und das dementsprechende Wahlverhalten) in vielen Fällen nicht deckungsgleich mit den innerhalb der Fragebogenbefragung deutlich werdenden Einstellungsmustern (Haltungen, Denkformen, Weltsichten, Ideologien) ist. Bezüglich der Zustimmungswerte zu den abgefragten Aussagen wird insgesamt deutlich, dass sie in allen Altersgruppen vertreten sind, keinesfalls also ein exklusives Jugendproblem darstellen, wie im öffentlichen/ politischen Diskurs häufig immer noch kolportiert wird - mit den entsprechenden Folgen für Prävention und Intervention (vgl. Decker/ Kiess/ Brähler 2016, 39; Zick/ Klein 2014). In der neuesten Studie in der oben genannten Reihe - diesmal mit dem Titel „Die enthemmte Mitte“ (2016) - machen die Autoren darauf aufmerksam, dass zwar erfreulicherweise die Anzahl der Menschen mit gefestigten ‚rechtsextremen‘ Ideologien/ Einstellungsmustern nicht angestiegen ist, im Gegenteil: seit 2006 ist dieser Wert sogar gesunken. Gleichzeitig findet aber „in autoritär-rechtsextremen Milieus“ eine besondere Zuspitzung statt, und die Bereitschaft, den eigenen Überzeugungen nötigenfalls auch mit Gewalt Ausdruck zu verleihen, ist deutlich gestiegen (Decker et al. 2016, 8f ). Zweifellos untermauern die hohe Anzahl an Angriffen gegen Flüchtlingsunterkünfte und Eingewanderte und insgesamt die Eskalation rechter Gewalt seit 2014 diese Ergebnisse. Weiterhin wird festgestellt, dass - obwohl die Ablehnung von Muslimen, Sinti und Roma, Asylsuchenden und Homosexuellen im Vergleich zugenommen hat - demokratisch geprägte Milieus Gewalt deutlich stärker ablehnen als noch in 2014. Decker und Kollegen schlussfolgern auf Grundlage dieses Ergebnisses, dass eine Polarisierung der Gesellschaft stattfindet. Entstehungs-/ Erklärungsansätze Analog zu unseren Ausführungen zur Schwierigkeit einer nicht nur allgemein anerkannten, sondern auch unproblematischen ‚Rechtsextremismus‘-Definition sehen sich Sozial- und Erziehungswissenschaften vor die Herausforderung gestellt, eine Antwort auf die Frage zu geben, wie ‚rechtsextreme‘ Haltungen/ Ideologien/ Weltanschauungen in all ihren unter- 455 uj 11+12 | 2016 „Rechtsextremismus“ - Fachdiskurse, Prävention und Intervention schiedlichen Facetten überhaupt entstehen und welche historischen, gesellschaftlichen, sozialen, kulturellen, aber auch diskursiven, politischen, institutionellen Verhältnisse einen solchen Prozess begünstigen. Zu der Frage nach dem Was gesellen sich nun also Fragen nach dem Wie und dem Warum. Ausgeklammert in der Forschung wird dabei leider in aller Regel die Frage nach dem Gegenteil, die eigentlich gerade für eine Veränderungsperspektive von großer Bedeutung wäre: Weshalb und in welcher Weise entwickeln sich (rassismuskritische, demokratische, gewaltkritische o. Ä.) Gegenkräfte, und was sind günstige Voraussetzungen dafür? Die verschiedenen Ansätze/ Konzepte, die es gibt, untersuchen mit jeweils unterschiedlichen Perspektiven hinsichtlich der Person, der sozialen Beziehungen, der Kultur und der ökonomischen Verhältnisse die Gründe und Bedingungen für das Entstehen ‚rechtsextremer‘ Überzeugungen. Wir versuchen im Folgenden (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) einen skizzenhaften Überblick zu einigen ausgewählten und aktuell (immer noch) diskutierten Erklärungsansätzen zu geben. Der autoritäre Charakter Einer der bekanntesten (und ältesten) Ansätze ist auf die von Horkheimer, Fromm, Adorno und anderen Autoren der Frankfurter Schule zunächst im Interbellum, dann aber vor allem in 1950er Jahren vorgelegten und viel diskutierten Arbeiten zur Akzeptanz von ethnozentrischen und antisemitischen Vorurteilen zurückzuführen. Es handelt sich um das Konzept des autoritären Charakters, mit welchem die historischen Erfolge des Faschismus in Europa erklärt werden sollten. Der autoritäre Charakter zeichnet sich durch neun Dimensionen aus, die, so der entsprechende Fachdiskurs, die Hinwendung zu ‚rechtsextremen‘ Einstellungen/ Ideologien zumindest begünstigen können. Diese Dimensionen (zusammengefasst bei Stöss 2010, 47f ) sind: 1. Konventionalismus (Festhalten an Hergebrachtem), 2. Autoritätshörigkeit/ -unterwürfigkeit, 3. autoritäre Aggression (Tendenz, Verstöße gegen das Hergebrachte ahnden zu wollen), 4. Anti-Intrazeption (Ablehnung des Fantasievollen, Subjektiven), 5. Aberglaube/ Stereotypie, 6. Machtdenken/ ‚Kraftmeierei‘, 7. Destruktivität/ Zynismus, 8. Projektivität (Veranlagung, an das Böse in der Welt zu glauben) und 9. eine übertriebene Beschäftigung mit sexuellen Vorgängen. Autoritarismus wird hier als ein tief verankertes Einstellungsmuster begriffen, das mit einem geringen Selbstwert einhergeht. Autoritarismus wird zu einem Charakter, zu einer Persönlichkeitseigenschaft. Der Gewinn einer positiven sozialen Identität geschieht durch die Abwertung der als ‚anders‘ gekennzeichneten. Horkheimer, Fromm, Adorno und andere haben empirisch mit Fragebogen-Untersuchungen und Experimenten solche Persönlichkeitseigenschaften festgestellt und nach den historischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen gesucht, um sich ihr Entstehen und ihre Verbreitung erklären zu können. Nun reichen Persönlichkeitseigenschaften sicherlich nicht aus, um ‚rechtsextremistische‘ Positionierungen zu erklären, im Gegenteil scheint uns genau in Prozessen, die eine personalisierende Vereigenschaftung unterstützen, ein Teil des Problems zu liegen. Die Bedeutung der Ausführungen von Horkheimer, Fromm, Adorno und anderen liegt aus unserer Perspektive vor allem darin, wenn wir diese Dimensionen als (empirisch jeweils nachzuweisende) Wissens-, Ordnungs- und Diskursmuster sehen, die gemeinsam mit anderen Mustern bestimmte Schlussfolgerungen in den Möglichkeitsräumen von Menschen nahelegen. 456 uj 11+12 | 2016 „Rechtsextremismus“ - Fachdiskurse, Prävention und Intervention Desintegration als Erklärungsmuster Ein anderer Ansatz ist mit dem Namen Wilhelm Heitmeyer verbunden (Heitmeyer 1987). Seine Desintegrationstheorie geht (aufbauend auf dem Beck‘schen Konzept der Risikogesellschaft) von der Grundannahme aus, dass moderne Industriegesellschaften nicht den historischen Postulaten von mehr Freiheit, mehr Gleichheit, mehr Brüderlichkeit folgen, sondern eine andere Dynamik die Entwicklung bestimmt - prägend ist vielmehr Konkurrenzerleben, Vereinzelung, weniger soziale Einbindung und eine stärkere rücksichtslose Durchsetzung der eigenen Interessen. Die Auflösung traditioneller Bindungen innerhalb der Gesellschaft (in Familie, Kirche, Nachbarschaft, Vereinsleben, Arbeitsorganisation) kann auf individueller Ebene Desorganisation/ Desorientierung nach sich ziehen. Diese erfahrenen Unsicherheiten führen dann zu Gewissheitssuche, an die ‚rechtsextremistische‘ Ideologien und Konzepte anknüpfen können, da sie auf die komplexen Fragestellungen und Anforderungen, denen sich Individuen in modernen Gesellschaften ausgesetzt sehen, einfache Antworten bieten, verbunden mit der Möglichkeit der imaginierten Zugehörigkeit zu einer als machtvoll begriffenen Gruppe. Die Ansätze Heitmeyers sind in der Forschung nicht unumstritten, Teile seiner Ergebnisse können als widerlegt gelten: Gerade junge Menschen, die ein hohes Selbstwertgefühl besitzen und soziale Unterstützung erleben (also gerade nicht desintegriert sind) zeigten sich anfällig für Alltagsrassismus und Rechtspopulismus, wie Längsschnittuntersuchungen zeigten (Fischer 2006, 37f ). Als problematisch muss besonders die Fokussierung auf ‚Rechtsextremismus‘ als Jugendproblem gesehen werden: Es ist belegbar (s. o.), dass entsprechende Einstellungen in allen Bevölkerungsschichten, quer durch alle Altersgruppen vorhanden sind. Trotz der hier skizzierten Schwächen der Desintegrationstheorie kann sie sicherlich dazu herangezogen werden, zumindest auf Gefährdungspotenziale hinzuweisen, zumal die genannten Erklärungsweisen teilweise auch als Rechtfertigungsmuster zur Untermauerung der jeweiligen Haltungen und Handlungen im Umlauf sind (zur Kritik an Heitmeyer siehe auch Butterwegge 2002, 109ff ). Mängel und Kontrolldefizite Ein weiterer wichtiger Autor im Fachdiskurs ist Kurt Möller. Er benennt Begünstigungsfaktoren für die Entstehung und Entwicklung von ‚rechtsextremen‘ Haltungen und pauschalisierenden Ablehnungskonstruktionen, wobei er vor allem auf wahrgenommene Mängel und Kontrolldefizite hinweist und ein recht komplexes Bild zeichnet: Jugendliche könnten demnach eine ‚rechtsextreme‘ Haltung ausbilden, wenn sie 1. nicht das Gefühl haben, das eigene Leben sinnvoll, selbstbestimmt und selbstwirksam führen zu können, 2. Schwierigkeiten bei der Integration in demokratisch und gewaltfrei strukturierte Kontexte vorliegen, aufgrund mangelnder Zugehörigkeit, Teilhabe, Partizipationschancen und Identifikationsmöglichkeiten (= ein Gefühl des ‚Abgehängtseins‘), während demgegenüber undemokratische und gewaltförmige Kontexte eine Integration anbieten, 3. sozial akzeptierte Formen des sinnlichen Erlebens nicht zugänglich sind bzw. als unzumutbar beschränkt erlebt werden, 4. Jugendliche eine Sinnerfahrung nicht hinreichend außerhalb von Ablehnungskontexten erleben, 5. Selbst- und Sozialkompetenzen nicht hinreichend entwickelt sind und 6. Verarbeitungssymbole und Deutungsangebote in Gestalt von Ablehnungskonstruktionen für die genannten Mangelerfahrungen einerseits im biografisch aufgebauten Speicher der Erfahrungsinterpretationen als Leitfigur existieren und andererseits im realen oder virtuellen Sozialraum diskursiv 457 uj 11+12 | 2016 „Rechtsextremismus“ - Fachdiskurse, Prävention und Intervention präsent sind und dadurch Attraktivität entfalten können, dass sie in der Lage sind, sich angesichts der Mangelerfahrungen als lebensbewältigungs- und gestaltungsfunktional darzustellen (Möller 2015, 48f ). Präventions-/ Interventionsstrategien Prävention und Intervention im Kontext von ‚Rechtsextremismus‘ findet in verschiedenen Handlungsfeldern und auf verschiedenen Handlungsebenen statt, unterschiedlich je nach Adressat_innen und Zielsetzung. Es haben sich hier in den letzten Jahren (aus einer mittlerweile unübersichtlich gewordenen Anzahl an Angeboten) jedoch einige Erfolg versprechende Ansätze herauskristallisiert, wovon einige stellvertretend vorgestellt werden sollen. Präventionsarbeit innerhalb und außerhalb von Schule: Schule soll und darf heute nicht nur ‚Lernfabrik‘ sein, in der Bildungsqualifikationen für das spätere Berufsleben vermittelt beziehungsweise erworben werden. Schule ist auch sekundäre Sozialisationsinstanz, in der Schüler_innen Werte, Normen und zukünftige Rollenerwartungen vermittelt werden. Demzufolge sollen Schüler_innen in der Institution Schule „ermuntert werden, für Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, Gerechtigkeit, wirtschaftliche Sicherheit und Frieden einzutreten“ (Erklärung Kultusministerkonferenz 2009). Leider zeigt sich, dass die Strukturen und Rahmungen im schulischen Alltag oft nicht solchen Verlautbarungen entsprechen. Zudem bleibt die Auseinandersetzung (wenn überhaupt) mit ‚Rechtsextremismus‘ oder Rassismus viel zu oft auf die Thematisierung des historischen Nationalsozialismus beschränkt, der Blick auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen bleibt aus (Fischer 2013). Einen möglichen gegenwartsnahen Bezug stellt im Unterricht die Auseinandersetzung mit ‚rechtsextremer‘ Musik dar - Musik spielt als identifikationsstiftender Faktor in der Lebenswelt der meisten Jugendlichen eine große Rolle, ermöglicht also einen relativ niedrigschwelligen pädagogischen Zugang (vgl. Schellenberg 2011 und Agentur für Soziale Perspektiven o. J.). Wichtige präventive Möglichkeiten liegen darüber hinaus in der offenen und verbandlichen Jugendarbeit. Hier wird stärker auf ‚Freiwilligkeit‘ und auf Formen informellen und non-formalen Lernens gesetzt, und pädagogische Bevormundung und Belehrung, die zu kontraproduktiven Reaktionen bei Jugendlichen führen können, liegen weniger nahe als in schulischen Kontexten. Weiterhin lassen sich z. B. auch die zivilgesellschaftliche Unterstützung und ein entsprechendes ehrenamtliches Engagement in der Arbeit mit Geflüchteten als Prävention fassen: Mit den jeweiligen Aktivitäten wird politisch Stellung bezogen, kann es zu vielfältigen Kontakten kommen, werden Netzwerke geknüpft etc., alles Momente, die bei reflexiver Bearbeitung ein Gegengewicht zu ‚Rechtsextremismus‘ bilden können. Die akzeptierende Jugendarbeit mit rechtsorientierten Cliquen wiederum stellt (aufgrund der Zielgruppe) einen deutlich spezifischeren Ansatz dar, der in der Bundesrepublik mittlerweile auf eine relativ lange Geschichte und dementsprechende Erfahrungen zurückgreifen kann. In der Anfangsphase teilweise (durchaus berechtigter) Kritik ausgesetzt, kann diese Form der pädagogischen Arbeit mit rechtsorientierten Jugendlichen heutzutage als gelungener Ansatz gelten. Neben den hier beschriebenen Ansätzen, die im Vorfeld des (organisierten) ‚Rechtsextremismus‘ adressiert sind, existieren mit den mindestens 33 Aussteigerprogrammen und -initiativen in Deutschland auch Angebote, die sich gezielt an Personen richten, die die ‚rechtsextreme‘ Szene verlassen wollen. Ziel der Betreuung ist „einerseits ein Abbruch aller Kontakte zu rechtsextrem orientierten Szenekontexten […], eine Haltungsrevision in demokratische Grund- 458 uj 11+12 | 2016 „Rechtsextremismus“ - Fachdiskurse, Prävention und Intervention überzeugungen, mindestens aber eine Reduktion rechtsextremer Haltungspotenziale auf ein nicht handlungsleitendes Maß“ (Wesche 2014, 151). Die Zugänge zu Adressat_innen gelingen hier auf unterschiedliche Art und Weise: ➤ über aufsuchende Sozialarbeit, passiv (Komm-Struktur als Angebot), ➤ aktiv (über gezielte Ansprache), ➤ teilaktiv (Multiplikator_innen) ➤ oder innerhalb von Zwangskontexten (Inhaftierung). Über einen Zeitraum von (oftmals) mehreren Jahren wird in einer engen Ausstiegsbetreuer_in-/ Adressat_innen-Beziehung auf Grundlage von Hilfeplänen (denen eine Fallanamnese und Auftragsklärung vorgeschaltet ist) der Ausstieg aus dem szenebezogenen bzw. organisationalem Bezugsrahmen vorbereitet und begleitet, wobei vielfältige Problemkonstellationen individuell bearbeitet und nötigenfalls auch weitere Angebote hinzugezogen werden (Anti-Gewalttrainings, Suchtberatung, therapeutische Angebote, Sozialkompetenztrainings etc.). Eine der sich hier stellenden Herausforderungen ist neben einer möglichen Bedrohung durch den ehemaligen Bezugsrahmen sicherlich auch die langfristige Reintegration in einen zivilgesellschaftlichen Kontext, dem Aussteiger_innen oftmals eher ablehnend und stigmatisierend gegenüberstehen (vgl. Pfeil 2016). Empfehlungen für Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe Wie aus unseren Ausführungen bis hier hin (hoffentlich) deutlich geworden sein sollte, ist ‚Rechtsextremismus‘ (der als solches kaum ohne Hilfskonstruktionen zu definieren ist) ein komplexes Themenfeld, auch und gerade für die pädagogische Praxis. Welche Empfehlungen für Kinder- und Jugendhilfe ergeben sich nun daraus? Auch hier ist es uns nicht möglich ‚einfache‘ Antworten zu geben, wollen wir dem Thema gerecht werden/ bleiben. Zunächst sind der Schutz und die Unterstützung derjenigen, die zur Zielscheibe von ‚rechtsextremen‘ Negativ-Zuschreibungen, Übergriffen und Gewalttaten werden, von grundlegender Bedeutung, genauso wie die Arbeit mit und die Beratung von Opfern. Zudem sind Sicherheit und das Vermeiden von Verletzungen in pädagogischen Handlungsfeldern unverzichtbar. Weiterhin muss es vor allem darum gehen, Handlungssicherheiten zu schaffen und der Konfrontation mit entsprechenden Haltungen und Ideologien im pädagogischen Alltag nicht auszuweichen. Entscheidend ist hier einerseits die Bereitschaft, sich diesen Phänomenen zu stellen, andererseits aber mindestens ebenso wichtig, diese auch zu erkennen. Zu oft erleben wir in der Ausbildung angehender Sozialpädagog_innen und Lehrer_innen eine teilweise schon erschreckende Unkenntnis zum Themenfeld - hier spiegeln sich sicherlich auch Versäumnisse in der schulischen Bildung und Auseinandersetzung, die über die Katastrophen der deutschen Geschichte 1933 - 1945 nicht hinausgehen, wider (s. o.). Es muss also auch darum gehen, sich mit dem Themenfeld auseinanderzusetzen, sei es was aktuelle (jugend-kulturelle) Erscheinungsformen angeht, sei es der (gesamtgesellschaftliche oder regional-lokale) Diskurs. Eine eigene Positionierung ist hier entscheidend - gerade in Zeiten, in denen rechtspopulistische Positionen und Themen im gesellschaftlichen Mainstream vermehrt geduldet und akzeptiert werden. Der Umgang mit Rechtspopulismen, wie sie beispielsweise durch die sog. „Alternative für Deutschland“ und ihre Jugendorganisation, die „Junge Alternative“ vertreten werden, ist auch eine Herausforderung für Schulen und Einrichtungen der Jugendarbeit/ Jugendbildung. Hier muss es (auch) darum gehen, in die Auseinandersetzung zu gehen, nachzufragen, nötigenfalls auch Grenzen aufzuzeigen und aktuelle und potenzielle Betroffene von Verletzungen durch Rassismen etc. zu schützen. 459 uj 11+12 | 2016 „Rechtsextremismus“ - Fachdiskurse, Prävention und Intervention Eine weitere Herausforderung für den pädagogischen Alltag stellen die sog. Sozialen Medien/ das Web 2.0 dar - Jugendliche verbringen einen großen Teil ihrer Zeit mittlerweile im virtuellen Raum, tauschen sich dort aus, vernetzen sich, nehmen Informationen auf - dies wurde schon vor Jahren auch im Kontext von ‚Rechtsextremismus‘ erkannt. Hier müssen Jugendarbeit und Schule Möglichkeiten der adäquaten Bearbeitung finden. Bei all dem ist aber auch zu beachten, dass die Kommunikationsbereitschaft erhalten werden muss, sollten Jugendliche rechte Positionen äußern. In der Analyse von Aussteigerbiografien wird u. a. deutlich, dass in der Phase der Zuwendung zu ‚rechtsextremen‘ Gruppierungen eine alternative Sinnerfahrung außerhalb von Ablehnungskontexten gefehlt hat, also auch jemand, der sich ernsthaft ihnen auseinandergesetzt, ihnen zugehört, sie ernst genommen hätte - in einer Vielzahl der Fälle wäre so möglicherweise der Weg in einen organisationalen Bezugsrahmen entsprechender Gruppierungen verhindert worden. Prof. Dr. Rudolf Leiprecht Dr. Christian Pfeil Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Institut für Pädagogik 26111 Oldenburg E-Mail: rudolf.leiprecht@uni-oldenburg.de christian.pfeil1@uni-oldenburg.de Literatur Agentur für Soziale Perspektiven (o. J.): Grauzonen. Rechte Lebenswelten in Musikkulturen. Berlin. Erhältlich unter: https: / / aspberlin.de/ Butterwegge, C. (2002): Rechtsextremismus. Herder, Freiburg i. Breisgau/ Basel/ Wien Decker, O./ Brähler, E. unter Mitarbeit von Geißler, N. (2006): Vom Rand zur Mitte. Rechtsextreme Einstellungen und ihre Einflussfaktoren in Deutschland. Berlin. In: library.fes.de/ pdf-files/ do/ 04088a.pdf Decker, O./ Kiess, J./ Brähler, E. (2012): Die Mitte im Umbruch. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2012. Dietz, Bonn Decker, O./ Kiess, J./ Brähler, E. (2016): Die enthemmte Mitte. Autoritäre und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland. Psychosozial-Verlag, Gießen. Fischer, S. (2006): Rechtsextremismus bei Jugendlichen. 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