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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2016.art07d
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Rezension: Maja Nollau, 2015: Kinder mit auffälligem Verhalten. Ein heilpädagogisches Handlungskonzept
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W. Topel
Erziehung, Unterricht und Therapie bei Menschen mit auffälligem/gestörtem Erleben und Verhalten ist Gegenstand verschiedener Fachdisziplinen: u. a. der Pädagogik, Psychologie und Medizin. Die Heilpädagogik (in der Literatur oft auch synonym als Sonderpädagogik, Spezialpädagogik, Behindertenpädagogik oder Rehabilitationspädagogik bezeichnet) ist ein wissenschaftlicher Bereich der Pädagogik, dessen Aufgabe darin besteht, durch pädagogisch-therapeutische Angebote die Persönlichkeitsentfaltung von in ihrer Entwicklung beeinträchtigten Menschen zu fördern. Auf der Grundlage der Diagnostik der individuellen Handlungsdispositionen (Störungen, Ressourcen, Fähigkeiten) sowie von Besonderheiten des sozialen Umfeldes werden individuelle Hilfen gegeben (Förder- und Behandlungspläne). Bei diesen pädagogischen Aktivitäten kommt es darauf an, die Vielfalt verschiedener intrapersonaler Variablen und sozialer Interdependenzen in Rechnung zu stellen.
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uj 1 | 2016 43 Rezensionen Maja Nollau, 2015: Kinder mit auffälligem Verhalten. Ein heilpädagogisches Handlungskonzept Freiburg im Breisgau: Verlag Herder GmbH, 176 Seiten, € 19,99 Erziehung, Unterricht und Therapie bei Menschen mit auffälligem/ gestörtem Erleben und Verhalten ist Gegenstand verschiedener Fachdisziplinen: u. a. der Pädagogik, Psychologie und Medizin. Die Heilpädagogik (in der Literatur oft auch synonym als Sonderpädagogik, Spezialpädagogik, Behindertenpädagogik oder Rehabilitationspädagogik bezeichnet) ist ein wissenschaftlicher Bereich der Pädagogik, dessen Aufgabe darin besteht, durch pädagogisch-therapeutische Angebote die Persönlichkeitsentfaltung von in ihrer Entwicklung beeinträchtigten Menschen zu fördern. Auf der Grundlage der Diagnostik der individuellen Handlungsdispositionen (Störungen, Ressourcen, Fähigkeiten) sowie von Besonderheiten des sozialen Umfeldes werden individuelle Hilfen gegeben (Förder- und Behandlungspläne). Bei diesen pädagogischen Aktivitäten kommt es darauf an, die Vielfalt verschiedener intrapersonaler Variablen und sozialer Interdependenzen in Rechnung zu stellen. Die Autorin der vorliegenden Schrift, Diplom- Heilpädagogin, möchte dazu beitragen, dass Mädchen und Jungen mit „herausfordernden Verhaltensweisen“ geholfen wird, Perspektiven für neue Handlungsmöglichkeiten zu erkennen. Deshalb fordert sie Erwachsene und „Fachleute“ in diversen Arbeitsfeldern dazu auf, durch eine wertschätzende und achtsame Begleitung in lebensweltlichen Kontexten Lern- und Entwicklungsprozesse zu stimulieren sowie neuerworbene Kompetenzen zu stabilisieren. Besonders wichtig ist dabei ihrer Auffassung nach, die produktive Lebensbewältigung zu unterstützen, individuelle Lebens- und Lernprozesse zu begleiten, Hilfe bei der Beziehungsgestaltung und Konfliktlösung zu gewähren. Sie wendet sich gegen die Tendenz, auffälliges und gestörtes Verhalten zu biologisieren oder zu pathologisieren und verweist zu Recht auf die erzieherische und gesellschaftliche Verantwortung bei der Auseinandersetzung mit diesen Phänomenen. Im Fokus der didaktisch gut aufbereiteten, übersichtlich und anschaulich abgefassten Darlegungen (Fallanalysen) stehen das Kleinkind-, Kindergarten- und Grundschulalter. Wertvolle Ratschläge für heilpädagogische Aufgabenstellungen sind dem Anhang zu entnehmen: Empfehlungen für die pädagogisch-psychologische Diagnostik und Literaturhinweise. Nollau setzt sich in dem in 7 Kapitel gegliederten Buch zunächst mit dem Erscheinungsbild von Verhaltensauffälligkeiten bzw. Verhaltensstörungen, ihrer Genese und den Grundlagen des heilpädagogischen Handlungskonzepts auseinander (Kapitel 1 - 3). Instruktive Hinweise erfolgen im Kontext von begrifflichen Erörterungen und der Prävalenz auffälligen Verhaltens im Hinblick auf elementarpädagogische Arbeitsfelder (Kindertagesstätten, Grundschulen, Horte). Herausgearbeitet wird die multifaktorielle Bedingtheit normwidrigen Verhaltens (Risiko- und Schutzfaktoren, Resilienz, Vulnerabilität), die in jedem Einzelfall Anlass sein sollten, das entscheidende Bedingungsgefüge festzustellen. Die hier vorgestellten Denk- und Erklärungsmuster haben für die heilpädagogische Tätigkeit eine unterschiedliche Relevanz, insbesondere sind diejenigen beachtenswert, die von der biopsychosozialen Einheit des Menschen ausgehen. In Anlehnung an P. Moor wird Heilpädagogik als integraler Bestandteil der Pädagogik verstanden, der eine individuelle Erziehungshilfe und Entwicklungsförderung für Menschen ist, die unter erschwerten Bedingungen leben. Welche Bedeutung für die Gestaltung heilpädagogischer Prozesse haben soziale Bindungen, Bezugspersonen und gesellschaftliche Konven- 44 uj 1 | 2016 Rezensionen tionen? Weshalb bilden die Phänomene Leiblichkeit, Bewegung, Sprache, Tätigkeit, Spielen, Lernen und Entwicklung die Basis für heilpädagogische Praxiskonzepte? Dazu wird ausführlich und differenziert in den Kapiteln 4 und 5 Stellung bezogen. Aufschlussreich sind die Ausführungen zu den Entwicklungsstufen nach Erikson, zur heilpädagogischen Beziehungsgestaltung und zur Rolle von entwicklungsfördernden Tätigkeiten. Nachdrücklich wird auf das Individualitätsprinzip aufmerksam gemacht. In Abgrenzung von repressiven Handlungsansätzen kann im Kapitel 6 gezeigt werden, wie Kinder in der heilpädagogischen Praxis lösungsorientiert begleitet werden können. Bedeutsam ist dabei, das Kind in seiner aktuellen Lebenssituation zu verstehen und durch eine einzelfallbezogene Förderdiagnostik (Einheit von Status- und Prozessdiagnostik) die Befindlichkeit der Mädchen und Jungen zu erkunden. Selbstverständlich sind medizinische, psychologische und soziologische Aussagen einzubeziehen. So wird eine solide Grundlage für die Hilfe- und Förderplanung geschaffen. Wie dem Kapitel 7 zu entnehmen ist, korrespondiert der Erfolg des heilpädagogischen Handelns mit einer kindgerechten Lebenswelt, der Zusammenarbeit mit den Eltern und der Kooperation mit VertreterInnen anderer Fachdisziplinen. Quintessenz: Eine verständlich abgefasste, leicht lesbare Publikation, die einen Überblick über die Ätiologie, Phänomenologie, Prävention und Intervention bei Auffälligkeiten/ Störungen des Erlebens und Verhaltens gibt. Sie ist vor allem PädagogInnen zu empfehlen, die im Kleinkind-, Kindergarten- und Grundschulalter tätig sind. Dr. habil. W. Topel, Leipzig DOI 10.2378/ uj2016.art07d
