unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2016.art46d
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2016
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Zum Umgang mit subkulturellen Peergroups in der Praxis
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2016
Robin Bender
Sozialpädagogische Einrichtungen, welche gezielt jugendliche Fußballfans als Adressat_innen in den Blick nehmen, führen trotz großem Zulauf scheinbar noch immer eine Art „Nischendasein“ in Diskursen über Kinder- und Jugendarbeit. Der lohnende, forschende Blick auf hier entstehende (Bildungs-)Ressourcen, lässt interessante Rückschlüsse auf eine lebensweltorientierte Praxis zu.
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334 unsere jugend, 68. Jg., S. 334 - 341 (2016) DOI 10.2378/ uj2016.art46d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Zum Umgang mit subkulturellen Peergroups in der Praxis Soziale Arbeit mit jugendlichen Fußballfans Sozialpädagogische Einrichtungen, welche gezielt jugendliche Fußballfans als Adressat_innen in den Blick nehmen, führen trotz großem Zulauf scheinbar noch immer eine Art „Nischendasein“ in Diskursen über Kinder- und Jugendarbeit. Der lohnende, forschende Blick auf hier entstehende (Bildungs-)Ressourcen, lässt interessante Rückschlüsse auf eine lebensweltorientierte Praxis zu. von Robin Bender Jg. 1991; Sozialarbeiter B. A.; Aktuell tätig in der Kinder- und Jugendhilfe im Raum Frankfurt am Main Einführende Fragestellungen zur „Fanarbeit“ Subkulturelle Peergroups sind als gesellschaftliches Phänomen immer wieder Thema verschiedenster Diskurse und Berichterstattungen. Ein genauerer Blick offenbart, dass jene subkulturellen Gruppierungen in verschiedenster Form in unserer Gesellschaft agieren und diese vor diverse Herausforderungen stellt. Innerhalb der Sozialen Arbeit finden sich subkulturelle Peergroups nicht selten im Adressat_innenkreis unterschiedlicher Einrichtungen und Institutionen wieder. Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass hier, neben Spannungsfeldern und Herausforderungen, auch etliche positive Ressourcen zu finden sind. Wie jene positiven Ressourcen im Praxishandeln Sozialer Arbeit sichtbar gemacht und gefördert werden können, stellt die zentrale Fragestellung dieses Artikels dar. Ein gewichtiger Faktor ist dabei das Spannungsverhältnis aus pädagogischen Umgangsformen mit subkulturellen Peergroups, bei gleichzeitiger Achtung und Sicherung subkultureller Autonomie. Konkretisiert wird diese Untersuchung anhand eines Praxisforschungsprojektes, welches die Soziale Arbeit mit jugendlichen Fußballfans in den Blick nahm. Als Beispiel fungieren hierfür die sogenannten „Fanprojekte“ als Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit. Insgesamt führt die Soziale Arbeit mit Fußballfans noch eine Art „Nischendasein“, im Vergleich zu prominenteren Arbeitsbereichen der Kinder- und Jugendarbeit, wie beispielsweise Jugendzentren oder Einrichtungen der Hilfe zur Erziehung. Dies ist gerade mit Blick auf den Zulauf und die Größe der Zielgruppe unverständlich, finden sich doch unter den Klient_innen nicht wenige, die sonst in keinster Weise für Kinder- und Jugendarbeit greifbar wären. Zudem bietet sich viel Potenzial durch den Fußballsport als Interessensbasis einer sehr großen Zielgruppe, welche von restlichen Angeboten der Kinder- und Jugendarbeit nicht konkret angesprochen wird. 335 uj 7+8 | 2016 Soziale Arbeit mit Fußballfans Ein Blick auf die Handlungsmethoden innerhalb des Arbeitsfeldes Fanarbeit ist für Sozialarbeiter_innen also allein deswegen schon aussichtsreich, weil es in diesem Arbeitsfeld scheinbar vielfach gelingt, offene Einrichtungen mit niedrigschwelligen Angeboten derart attraktiv zu präsentieren, dass nicht nur ein hoher Zulauf einer heterogenen Personengruppe aus fußballorientierten Kindern- und Jugendlichen zu verzeichnen ist, sondern darüber hinaus auch mit fest organisierten Peergroups (wie verschiedenen Fangruppierungen) langfristig gearbeitet wird (vgl. Pilz o. J., 83ff ). Dies stellt wiederum eine aussichtsreiche Grundlage für über Beziehungsarbeit zu erreichende positive Veränderungen dar. Ist Fanarbeit also ein positives Beispiel lebensweltorientierter Sozialarbeit? Dieser Frage wird im folgenden Artikel nachgegangen. Der Thematik Fanarbeit wird sich hierfür durch verschiedene Zugänge genähert. Zunächst dient dafür ein Einblick in öffentliche Perspektiven auf Fußballfans und dortige Subkulturen als Herleitung für anschließende Forschungsfragen. Gleichzeitig werden die zugrunde liegenden Forschungsansätze erklärt und anschließend deren Ergebnisse dargestellt. Dies geschieht unter Einbezug „klassischer Methoden“ der lebensweltorientierten Sozialarbeit, in diesem Fall des Konzepts der „Positive Peer Culture“, welches mit Erkenntnissen aus der Praxisforschung angereichert wird. Fankultur im gesellschaftlichen und pädagogischen Diskurs Mit Blick auf verschiedene gesellschaftliche Diskurse scheint ein nicht nur undifferenziertes, sondern auch defizitorientiertes Bild der „Subkultur Fußballfans“ zu bestehen. Dies belegt beispielsweise die massive Kritik an Aussagen des nordrhein-westfälischen Innenministers Ralf Jäger, welcher in einem offenen Brief an die Fanszene von einer zunehmenden Kriminalisierung durch Orientierung an einzelnen „Intensivtätern“ sprach (vgl. Spiegel Online 2015). Auch die undifferenzierte Berichterstattung im Anschluss an das Relegationsspiel zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC Berlin vom 15. 5. 2012, in der Begriffe wie „Ultrakultur“ oder „Hooliganismus“ miteinander vermischt wurden, lassen sich als Indiz dafür werten, dass diese Subkultur Gefahr läuft, von außen stigmatisiert zu werden. Dieser Stigmatisierungsprozess ist seitdem stetig vorangeschritten. In den Medien mehren sich Berichterstattungen über negative Ereignisse im Zusammenhang mit Fußballfans. Reisin (2012) weist allerdings in diesem Zusammenhang auch auf eine sich verändernde, nun u. a. positiver konnotierte Perspektive auf Fußballfans hin: „War der Fußball in der landläufigen Wahrnehmung in den 1980er Jahren noch ganz selbstverständlich eine Veranstaltung für saufenden, rechtsradikalen Pöbel, der sich Wochenende für Wochenende ohne Sinn und Verstand prügelte, so wird heute so getan, als sei die Bundesliga schon immer eine Bühne der bürgerlichen Mittel- und Oberschicht gewesen.“ (Reisin 2012) Aus einer bürgerlich-normativen Perspektive würde davon abweichendes Verhalten, wie Einsatz von Pyrotechnik oder martialisches Auftreten mancher Fangruppierungen, gesellschaftlich und medial zunehmend geächtet (vgl. ebd. 2012). Dies ist deswegen für die Soziale Arbeit relevant, da eine ihrer Kernaufgaben darin besteht, gesellschaftliche Bilder von negativ gelabelten Gruppen, und damit der eigenen Klientel, aufzuarbeiten und aufzuweichen. Um dieser Aufgabe nachzukommen, sollte sich die Soziale Arbeit an den positiven Ressourcen der jeweiligen Klientel orientieren. Doch welche stellen diese in Bezug auf Fußballfans dar? Und wo liegen hier mögliche Spannungsfelder? Erste Antworten auf diese Fragen deuten sich bei der Betrachtung einer der aktuell aktivsten organisierten Fangruppierungen, den sogenannten „Ultras“, an. In Italien während der Zeit der Studierendenproteste entstanden, handelt es sich dabei um eine jugendliche Subkultur, welche 336 uj 7+8 | 2016 Soziale Arbeit mit Fußballfans sich der leidenschaftlichen Unterstützung eines Fußballvereins verpflichtet hat. Der Aktionsradius geht jedoch über die reine Zusammenkunft in den Fankurven hinaus. Viele Ultragruppierungen beteiligen sich an fanspezifischen Demonstrationen und positionieren sich gegen eine Kommerzialisierung des Fußballsportes oder Diskriminierung verschiedenster Art. Wenn Gabler davon spricht, dass die „Ultrakultur“ als dominierendes Element einer jugendlich subkulturellen Fanszene wie von Vertreter_innen der emanzipatorischen Jugendbewegung entworfen erscheint, deutet sich an, wie viele positive Ressourcen sich bei dieser Klientel finden lassen (vgl. Gabler 2010, 87). Positive Peer-Culture als pädagogischer Ansatz der Fanarbeit Der Fußballsport als Interessengebiet vieler Jugendlicher stellt sich als lebensweltorientierter Ansatzpunkt der pädagogischen Praxis von Fanarbeit dar, welcher in Kombination mit dem Konzept der „Positive Peer-Culture“ genutzt wird. Grundsätzliches Ziel dieses Konzeptes ist die moderierte Stärkung von Peergroups, woraus gegenseitige Unterstützung bei der Bewältigung vielfältiger Entwicklungsaufgaben erwachsen soll (vgl. Probst 2010, 2ff ). Zudem werden über eine positive Diskussionskultur nicht nur ein demokratisches Verständnis vermittelt, sondern auch verschiedene soziale Kompetenzen angeeignet und die Klientel in der individuellen Identitätsfindung unterstützt (vgl. Opp 2006, 63ff ). Das Konzept der Positiven Peer-Culture ist innerhalb der Sozialen Arbeit durchaus bekannt, Bezüge auf das Praxisfeld der Fanarbeit finden sich jedoch im theoretischen Diskurs selten. Fragestellungen und Forschungsrahmen Dafür ergeben sich nun folgende Fragestellungen, die anhand eines Praxisforschungsprojektes in Kooperation mit dem Frankfurter Fanprojekt eruiert wurden: ➤ Wo liegen Möglichkeiten, Grenzen und Spannungsfelder einer Pädagogik mit Subkulturen in Bezug auf das Beispiel jugendlicher Fußballfans? ➤ Welche Methodiken sind lohnenswerte Ansätze für Bildungsangebote, die aus der zu Unrecht wenig prominenten Fanarbeit auf andere Felder der Kinder- und Jugendarbeit übertragen werden können? Das Forschungssetting gestaltete sich neben der literarischen Recherchearbeit stark praxisorientiert. Um einen Einblick in den pädagogischen Alltag im Umgang mit Fußballfans zu erhalten, wurden in Kooperation mit dem Fanprojekt Frankfurt verschiedene Forschungsleistungen durchgeführt. Konkret handelte es sich dabei um ein Expert_innen Interview sowie eine teilnehmende Beobachtung eines Workshops zur politischen Bildung. Weiterhin wurde eine Auswärtsfahrt mit einem Fanbus begleitet. Während Fanarbeit stets auf der Suche nach positiven Ressourcen von Fußballfans und Möglichkeiten der Nutzung dieser Ressourcen ist, ermöglichte die Beobachterrolle einen interessanten Blick auf Situationen und Orte, in denen diese pädagogischen Versuche deutlich wurden. Möglichkeiten, Grenzen und Spannungsfelder in der pädagogischen Fanarbeit Ein genauerer Blick auf die Tradition und Entstehungsintention der bundesweiten Fanprojekte offenbart ein Problem, mit welchem sich die Soziale Arbeit nicht selten konfrontiert sieht: Der zugewiesenen Rolle als „Feuerwehr“ für gesellschaftliche Problemlagen. In Bezug auf Fanarbeit projizieren unterschiedliche Institutionen Ansprüche auf die pädagogische Arbeit mit Fußballfans. 337 uj 7+8 | 2016 Soziale Arbeit mit Fußballfans Als Beispiel seien hier der deutsche Fußballbund (DFB), aber auch die verschiedenen Innenministerien zu nennen, welche vor allem immer dann fordernd auftreten, wenn es in Fußballstadien beispielsweise zu vermehrter Gewalt oder Diskriminierung kommt. So sollte in den 1970er Jahren, aus Sicht von Verbänden und Politik, Fanarbeit ausschließlich Gewaltprävention umfassen (vgl. Schneider 1997, 5). Ein zusätzliches Spannungsfeld entsteht unter Einbezug der strukturgebenden Vorgaben für Fanarbeit im sogenannten „Nationalen Konzept Sport und Sicherheit“, welches die genannten Institutionen in Zusammenarbeit mit den Vereinen und Vertreter_innen aus der Praxis regelmäßig weiter fortschreiben (vgl. Nationaler Ausschuss Sport und Sicherheit 2012). Ein Anspruch auf entsprechende positive Ergebnisse einer sozialarbeiterischen Praxis ergibt sich für Vereine, Verbände und Politik zudem aus ihrer Rolle als Finanziers. Hierbei wird im Umgang mit subkulturellen Peergroups eine nicht unkritisch zu sehende Ambivalenz erkennbar. Subkulturen, so habe bereits Heitmeyer/ Peter (1988) in Bezug auf jugendliche Fußballfans festgestellt, bieten in einer immer komplexer werdenden Welt einen sich abgrenzenden Verbund mit entsprechender Wertlegung auf Autonomie. Diese Subkulturen ermöglichen für Jugendliche, neben einer Emanzipation vom eigenen Elternhaus, auch das Abfedern von gesellschaftlichem Druck. Verschiedene Institutionen reiben sich auch deswegen an der Subkultur der jugendlichen Fußballfans, weil aus ihrer Perspektive verschiedene subkulturell geprägte Riten, wie beispielsweise der Einsatz von Pyrotechnik, kritisch gesehen werden. Diese Riten sollten jedoch, trotz ihrer unbestreitbaren Strafbarkeit, auch als Ergebnis einer Abgrenzungsstrategie dieser Subkultur interpretiert werden. In der sozialarbeiterischen Praxis ergibt sich nun also folgendes Spannungsfeld: Wie ist mit den den Handlungsauftrag betreffenden Vorgaben und den Interessen von sicherheitsgewährleistenden und politischen Institutionen umzugehen, ohne gleichzeitig Subkulturen in ihrem Agieren auszubremsen oder gar die individuelle Beziehungsarbeit zu gefährden? Besteht in der Fanarbeit ein Paradoxon zwischen kritischer Haltung zu strafbaren, subkulturell bedingten Handlungen der Klientel und gleichzeitiger Förderung subkultureller Autonomie? Pragmatische Antworten darauf scheinen schwierig und sind an dieser Stelle nicht darstellbar, spielen doch hier, neben strukturellen Rahmenbedingungen und pädagogischen Haltungen, auch differenzierte Betrachtungen der jeweiligen Interaktionen mit der eigenen Klientel wie den organisierten Fangruppierungen eine Rolle. Auf diese Entwicklungen hat Fanarbeit stets mit entsprechenden Angeboten zu reagieren, sodass zu den aufgeworfenen Fragen ohnehin stets in einem Wandlungsprozess stehende Antworten gefunden werden müssen. Dass es hierbei dennoch viele positive Ressourcen und Entwicklungen gibt, zeigt die Entwicklung der Vergangenheit. Die in den 1970er Jahren weit verbreiteten, rassistisch motivierten Schmähgesänge scheinen aktuell aus vielen deutschen Fußballstadien verschwunden zu sein. Verantwortlich dafür war, so die Erkenntnis aus der Praxisforschung, unter anderem die zunehmende Etablierung der Ultrakultur. Heute gibt es viele Ultra-Gruppierungen mit antifaschistischem Selbstverständnis, wie beispielsweise die „Droogs“ (eine Untergruppierung der Ultras Frankfurt) oder „Schickeria“ aus München. Dabei handelt es sich um Beispiele, in denen selbstständig auf die Mitarbeiter_innen der Fanprojekte zugegangen wurde, Subkulturen also selbst einen pädagogischen Bedarf anzeigten oder dieser durch die Angebote der Fanprojekte erzeugt wurde. Gemeinsam wurden unterschiedliche (politische) Themen bearbeitet. 338 uj 7+8 | 2016 Soziale Arbeit mit Fußballfans Dass dennoch durchaus weiterhin eine pädagogische Notwendigkeit in der Fanszene vorhanden ist, belegen neuere Entwicklungen innerhalb der Ultra-Szene. Nach Gabler herrscht dort aktuell wenig Fluktuation in den Führungsebenen, die Beteiligungsmöglichkeiten für Jugendliche würden zunehmend eingeschränkt werden. Zudem seien weiterhin Beteiligungsrechte für Frauen einzufordern (Gabler 2013, 87ff; auch Pilz/ Wölki- Schumacher 2010, 10). Diese Rechte werden in nicht wenigen Ultra-Gruppierungen stark eingeschränkt oder sogar verwehrt. Gabler nimmt Ultragruppierungen dahingehend in die Pflicht, dass sie sich als dominierendes Element der Fanszene ihrer Wirkung bewusst werden sollen. Dies unterstreiche die Notwendigkeit zur konsequenten Entwicklung antidiskriminierender Haltungen. Auf das Gesamtfeld aller Fangruppierungen bezogen, wird politisches Engagement jedoch noch immer kritisch gesehen. In den Stadien werde vielerorts „(…) menschenrechtsorientiertes Engagement bisweilen als ,Parteipolitik‘ abqualifiziert und ,zivilcouragierte Menschen‘ als ,linksorientierte Nestbeschmutzer‘ beschimpft“ (vgl. Dembowski 2014). Dies verdeutlicht die Notwendigkeit einer Praxis der Sozialen Arbeit, in welcher durch Fanarbeiter_innen jene Missstände und Negativentwicklungen angesprochen und kritisiert werden. Der subkulturellen Fußballfanszene muss dabei transparent gemacht werden, dass es nicht um eine Manipulation, sondern letztlich auch um deren Selbstschutz geht, da nur durch transparentes Arbeiten an Missständen eine Stigmatisierung von außen eingeschränkt werden kann. Methodische Ansätze der Bildungsarbeit in der pädagogischen Fanarbeit Kleeman-Göhring spricht, angelehnt an Bourdieu, in Bezug auf Politik von milieuspezifischen Zugängen (vgl. Klehmann-Göhring 2013, 286). Aus dieser Perspektive lässt sich die Frage ableiten, ob der Fußballsport als Basis für Bildungsangebote einen solchen milieuspezifischen Zugang für die Klientel jugendlicher Fußballfans aufzeigen kann. Fanprojekte formulieren die grundsätzliche Annahme, dass der Fußballsport selbst durch entsprechende Settings eine Basis für Diskriminierung verschiedener Art darstellen und daher ein aussichtsreiches Feld für entsprechende Bearbeitungen sein kann. Hier greift sicherlich auch die adornosche Einteilung in Eigen- und Fremdgruppen, wenn sich in den Stadien „gegnerische“ Teams, und damit verbunden deren Fangruppierungen, gegenüber stehen (vgl. Adorno 1995, 12f ). Für die Angebote der Fanprojekte gilt der konzeptionelle Grundsatz, ein niedrigschwelliges (Bildungs-)Angebot auf freiwilliger Basis zu schaffen. Mitbestimmung, Solidarität oder das Einhalten gegenseitiger Verpflichtungen, allesamt auch Elemente einer Demokratie, können beispielsweise bei Sportangeboten wie Fußball oder Kampfsport erprobt werden. In Bezug auf die Bearbeitung politischer Themen wird - neben eigenen Angeboten - auf Impulse aus der Fanszene gesetzt: ➤ So wurde in der jüngeren Vergangenheit in Frankfurt beispielsweise die Reise zu einem internationalen Spiel nach Israel mit dem Besuch von Gedenkstätten für Opfer der NS-Zeit verknüpft. ➤ Ein weiteres Beispiel ist die Kombination von Angeboten zur Spielbegleitung, die mit der Besichtigung von ehemaligen Konzentrationslagern verbunden werden. Diese Besichtigungen werden mit den teilnehmenden Jugendlichen im Anschluss reflektiert und aufgearbeitet. Hier stellt sich die Frage, wie nachhaltig ein solches, auf Belohnung (Spielbesuch) ausgerichtetes Angebot für Jugendliche sein kann. Die Päd- 339 uj 7+8 | 2016 Soziale Arbeit mit Fußballfans agog_innen stehen hier vor einem zentralen Spannungsfeld für Gruppenarbeit: Der Ambivalenz zwischen Prozess- und Ergebnisorientierung (vgl. Behnisch/ Lotz/ Maierhof 2013, 218). Bei ersterem stehen gruppendynamische Prozesse im Vordergrund. Themen die bearbeitet werden, sollen möglichst selbstständig durch die Gruppe aufgezeigt werden. Dies lässt sich auf subkulturelle Gruppierungen durchaus übertragen. Hier ist mit Anregungen „von außen“ sicherlich vorsichtig umzugehen, um positive Ressourcen, die sich aus Abgrenzung und Eigenständigkeit ergeben, nicht zu minimieren. Ergebnisorientierung meint im Falle der Fanprojekte auch deren Bildungsauftrag und eine Legitimierung, im ärgsten Fall sicherlich auch Rechtfertigung, der eigenen Praxis vor Finanziers wie Vereinen, Verbänden oder Kommunen bzw. Ländern. Gänzlich nicht zu beantworten ist auch die Frage nach der Nachhaltigkeit der entsprechenden Bildungsangebote. Ein Vorteil in Bezug auf die Niedrigschwelligkeit der Angebote ist sicherlich, dass sich Jugendliche mit Themen beschäftigen, die sie sich ohne pädagogische Begleitung schwerlich selbstständig erschließen könnten. Dass ein solches System funktionieren kann, zeigt die Praxisforschung innerhalb der „BildungsArena“ in Frankfurt am Main. ➤ Hier werden Workshops mit Elementen der politischen Bildung mit Jugendlichen durchgeführt. Den räumlichen Rahmen bildet dabei das Waldstadion Frankfurt. Der besuchte Workshop wurde beispielsweise in einer Loge durchgeführt. Hier führte das Belohnungssystem, der Besuch der Loge mit anschließender Stadionführung in Kombination mit der thematischen Basis dazu, dass sich die anwesenden Jugendlichen rege am Workshop zum Thema Spielsucht beteiligten. Gegen Ende des Workshops gelang nicht nur eine Reflexion des gesellschaftlichen Umgangs mit süchtigen Menschen, sondern auch eine kritische Haltung gegenüber der Kommerzialisierung des Fußballsportes (Werbung für Wettanbieter) und staatlichem Handeln (zu wenig Reglementierung von Werbung durch den Staat). Während des Workshops entstand der Eindruck, dass durch den konzeptionellen Rahmen, die thematische Basis des Fußballsportes sowie einer anschließenden Belohnung in Form einer Stadionführung zumindest ein Interesse seitens der Teilnehmer_innen geweckt werden konnte. ➤ Ein weiteres Beispiel in diesem Zusammenhang ist ein durch das Frankfurter Fanprojekt initiiertes Preisausschreiben für politische Faninitiativen, der „Im-Gedächtnisbleiben“ Preis. Damit soll die Fanszene angeregt werden, verschiedene politische Themen aufzuzeigen und zu bearbeiten, beispielsweise durch antirassistische Projekte. Fazit und Ausblick Insgesamt bot sich innerhalb des Forschungsprojektes ein durchaus differenzierter Einblick in die Soziale Arbeit mit jugendlichen Fußballfans. Die eingangs erwähnten Fragestellungen nach den Möglichkeiten und Grenzen einer pädagogischen Praxis mit subkulturellen Peergroups erweiterten sich im Laufe des Praxisforschungsprojektes um die Fragen nach Beiträgen zur (politischen) Bildung auf Basis von Fanarbeit. Zunächst kann festgestellt werden, dass in diesem Arbeitsfeld die lebensweltorientierte Arbeit durch eine Fokussierung auf die Interessen Jugendlicher, in diesem Fall am Fußballsport, sichergestellt wird. Dadurch entsteht eine Arbeitsgrundlage, mit welcher Jugendliche durchaus auch für politische Bildungsangebote greifbar werden. Dies stellt sicherlich eine Erkenntnis dar, die auch auf andere Arbeitsfelder übertragen werden kann. Mit Blick auf Fanpro- 340 uj 7+8 | 2016 Soziale Arbeit mit Fußballfans jekte erscheint es wichtig, dass diese ihre verwendeten Methoden transparent machen und fachlich begründen. In Bezug auf das angewandte Belohnungssystem sollte auch der Klientel klargemacht werden, dass die Belohnung an sich nicht den eigentlichen Sinn der Angebote darstellt. Eine Nachhaltigkeit kann sichergestellt werden, wenn sich an die Bildungsangebote weitere, langfristige Projekte anschließen. Dies wird durch die gemeinsame Reflexion der Besichtigung ehemaliger Konzentrationslager sicherlich angestoßen, jedoch sollten die ausgelösten Bildungsprozesse durch ein kontinuierliches (Workshop-)Angebot weiter begleitet werden. Für Fanarbeiter_innen ergibt sich die Herausforderung, sich auf der einen Seite als verlässliche Ansprechpartner_innen für die Interessen von Fans zu präsentieren und so pädagogische Beziehungen als Arbeitsgrundlage zu etablieren sowie auf Fanseite gleichzeitig negative Entwicklungen zu erkennen und transparent zu machen, woraufhin sie bearbeitet werden können. Die Frage nach aussichtsreichen Pädagogisierungsmöglichkeiten von Subkulturen kann an dieser Stelle nicht umfassend beantwortet werden. Mit Blick auf aktuell teilweise negative Entwicklungen in der Fanszene sollte diese sicherlich nicht gänzlich pädagogisch unbegleitet gelassen werden. Die positiven Ressourcen, welche durch die Autonomie von Peergroups angeregt werden können, lassen den Anspruch einer umfassenden „Pädagogisierung“ von Subkulturen fragwürdig erscheinen. Gefragt ist hier eher eine kontinuierliche pädagogische Begleitung, welche stets auch bereit ist, Kritik an der eigenen Klientel zu üben. In der Fanarbeit ergibt sich dies aus einer Kombination von Methoden der aufsuchenden Sozialarbeit sowie der Arbeit mit Gruppen. In Bezug auf Entwicklungen der Fanszene und Fanarbeit stehen letztlich noch einige Aufgaben für die Zukunft an. Die Fanprojekte stehen vor der Herausforderung, ihr Angebot auch an neueren gesellschaftlichen Entwicklungen auszurichten. So sind Flüchtlingsarbeit und Inklusion Themen, die zukünftig auch in die Konzeption der Bildungsangebote einfließen müssen, um einen möglichst breiten Adressat_innenkreis anzusprechen und mit dem Fußballsport weiterhin auch Jugendliche zu erreichen, die für die restliche Jugendarbeit schwer greifbar sind. Robin Bender Sozialarbeiter (B. A.) Email: robinbender@gmx.net Literatur Adorno, T. W. (1995): Studien zum autoritären Charakter. Suhrkamp, Frankfurt am Main Behnisch, M./ Lotz, W./ Maierhof, G. (2013): Soziale Gruppenarbeit mit Kindern und Jugendlichen. Juventa, Weinheim/ Basel Dembowski, G. (2014): Ohne Fans nichts los - Kleine Geschichte organisierter Fankulturen im Spiegel ihrer historischen Entwicklung, sozialen Beschaffenheit und Gewaltförmigkeit. http: / / www.bpb.de/ gesell schaft/ sport/ bundesliga/ 167422/ kleine-geschichteorganisierter-fankulturen? p=all, 6. 4. 2015 Gabler, J. (2010): Die Ultras - Fußballfans und Fußballkulturen in Deutschland. PapyRossa, Köln Gabler, J. 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