eJournals unsere jugend 69/2

unsere jugend
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2017
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Rezension

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W. Topel
Rezension: Werner Bartens, 2015: Empathie. Die Macht des Mitgefühls. München: Droemer Verlag, 314 Seiten, € 19,99
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uj 2 | 2017 93 Rezension Werner Bartens, 2015: Empathie. Die Macht des Mitgefühls München: Droemer Verlag, 314 Seiten, € 19,99 Um die innere Welt eines anderen Menschen, seine psychischen Zustände und sein psychisches Verhalten verstehen zu können, ist es notwendig, dass wir uns in sein Erleben hineinversetzen, begreifen, was seine Äußerungen und Handlungen über seine Individualität aussagen. Dieses einfühlende Verstehen ist eine wichtige Grundlage für die Förderung positiver sozialer Interaktionen in Bildung, Erziehung, Beratung und Therapie. Nicht zuletzt in der Sozialen Arbeit ist es für ein erfolgreiches Handeln wichtig, persönlichkeitszentriert zu agieren und in unseren Aktivitäten das individuelle Erleben der Klienten zu berücksichtigen. Humanistische Psychologen verweisen darauf, dass für die harmonische Persönlichkeitsentwicklung auch die Wechselwirkung der Empathie mit den Dimensionen (Haltungen) Achtung (Wärme, Rücksichtnahme) und Echtheit (Aufrichtigkeit) in entwicklungsfördernden Tätigkeiten beachtet werden sollte. Der Verfasser der vorliegenden Schrift, Arzt und Bestsellerautor, setzt sich differenziert und lebensnah mit verschiedenen Aspekten der Empathie auseinander, indem er zeigt, wie diese dazu beitragen kann, den Menschen bei der Entfaltung ihrer Individualität zu helfen. Zugleich macht er darauf aufmerksam: Am Leben anderer Menschen Anteil zu nehmen, sich für ihr Wohl zu engagieren und Verständnis zu zeigen, kann auch für die eigene Entwicklung von Vorteil sein, denn offenbar wirkt sich ein einfühlsames Verhalten sowohl psychisch als auch physisch vorteilhaft bei Menschen aus,„die sich anderen nahe fühlen, die zufrieden und einfühlsam sind und sich von einem engen Freundeskreis getragen und unterstützt wissen“ (14). Bartens verwendet die Begriffe Empathie und Mitgefühl synonym, verweist aber auch auf Wissenschaftler, die gute Gründe haben, die Termini zu unterscheiden. In seinen Darlegungen bezieht er sich vor allem auf empirische Untersuchungen, die in englischsprachigen medizinischen oder psychologischen Publikationsorganen veröffentlicht worden sind. Überdenkenswert sind die Hinweise auf die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, die ein einfühlsames Handeln erleichtern oder erschweren können. Die Einsichten und Erkenntnisse, die am Ende eines jeden Kapitels zusammenfassend Wesentliches hervorheben, unterstützen die Lektüre. Welche Bedingungskonstellationen unterstützen oder behindern das Mitgefühl? Gibt es ein Selbstmitgefühl? Hat die Empathie, die ein Mensch zeigt, Einfluss auf seinen Gesundheitszustand? Welche Rolle spielt die Empathie in der Erziehung? Warum ist die Empathie ein bedeutsamer Bestandteil einer patientenorientierten Medizin? Diese und viele andere Fragen werden in den 14 Kapiteln des Buches erörtert. Der Autor ist in seinen Ausführungen allgemeinverständlich und praxisnah, sodass der Leser sich mit ihnen ohne spezifische Vorbildung auseinandersetzen kann. Deutlich wird: Bartens geht es stets um Inhalte, die fundierte Forschungsergebnisse zur Grundlage haben. Beispiele: Im Kapitel „Der Lebenslauf der Gefühle“ werden - basierend auf diversen empirischen Untersuchungen - Geschlechtsunterschiede zwischen Mädchen und Jungen thematisiert, die sich durch Vorurteile und fragwürdige Traditionen gegebenenfalls vergrößern. Von den Eltern wird gefordert, mehr auf die Signale feinfühlig einzugehen, die von ihren Kindern ihnen mitgeteilt werden. Wenn Männer oftmals emotionale Analphabeten seien, dann könne das meistens auf Mängel der Erziehung zurückgeführt werden. Männern 94 uj 2 | 2017 Rezension würden Gefühle nicht selten „aberzogen“, schon in jungen Jahren bekämen sie weniger Gelegenheit, von Vorbildern zu lernen, wie sie sich emotional artikulieren können. Natürlich heißt das im Einzelfall nicht, dass die mangelhafte Empathie in der sozialen Interaktion prinzipiell ein Problem des männlichen Geschlechts sein muss. Oder: Die Darlegungen über die fehlende Empathie in der Medizin unter der Überschrift „Unter dem Diktat des Profits“ verweisen nachdrücklich auf ein Dilemma, in dem sich Pfleger, Krankenschwestern, Hebammen und Ärzte befinden und eine befriedigende Lösung nur schwer zu erreichen ist, zumal das Zuhören und die Einfühlung in die Sorgen und Ängste der Patienten als zu zeitaufwendig und unökonomisch gelten. Gleichzeitig wird zu Recht betont: Relevant ist, die richtige Form von Mitgefühl zu finden, um nicht von einer zu starken Neigung zur Empathie überwältigt zu werden, die schließlich zum Burnout führen kann. Wie sich zeigt, sind davon besonders die idealistischen und engagierten Helfer bedroht. Fazit: Ein lesenswertes Buch, das Denkanstöße liefert für alle, die anderen Menschen noch effizienter helfen wollen und die überdies erfahren, dass sie davon auch für die eigene Persönlichkeitsentwicklung profitieren können. Ergänzend ist das Studium der klinischen Sozialpsychologie und der Humanistischen Psychologie (Maslow, Rogers, Tausch) zu empfehlen. Dr. habil. W. Topel, Leipzig DOI 10.2378/ uj2017.art14d