eJournals unsere jugend 69/4

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2017
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Die Rechte von Kindern nach der UN-Kinderrechtskonvention, ihre Bekanntheit und Bedeutung für die Kinder- und Jugendhilfe

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2017
Holger Hofmann
Kinder sind die Gegenwart und Zukunft unserer Gesellschaft. Eines Tages werden sie für die politische und gesellschaftliche Entwicklung unseres Landes verantwortlich sein. Gleichzeitig müssen sie als derzeit schwächstes Glied der Gesellschaft besondere Fürsorge und Unterstützung erfahren. Die Verankerung, Bekanntmachung und Durchsetzung von Kinderrechten muss daher eine zentrale Aufgabe des zivilgesellschaftlichen und politischen Handels sein.
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146 unsere jugend, 69. Jg., S. 146 - 153 (2017) DOI 10.2378/ uj2017.art23d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Die Rechte von Kindern nach der UN-Kinderrechtskonvention, ihre Bekanntheit und Bedeutung für die Kinder- und Jugendhilfe Kinder sind die Gegenwart und Zukunft unserer Gesellschaft. Eines Tages werden sie für die politische und gesellschaftliche Entwicklung unseres Landes verantwortlich sein. Gleichzeitig müssen sie als derzeit schwächstes Glied der Gesellschaft besondere Fürsorge und Unterstützung erfahren. Die Verankerung, Bekanntmachung und Durchsetzung von Kinderrechten muss daher eine zentrale Aufgabe des zivilgesellschaftlichen und politischen Handels sein. von Holger Hofmann Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes Entwicklung der Kinderrechte in Deutschland Kinder waren nicht immer Träger eigener Rechte und auch heute noch ist das im Bewusstsein vieler Erwachsener nicht verankert. Die weitaus längste Zeit in der Menschheitsgeschichte galten Kinder als kleine Erwachsene, die noch als nicht vollwertig galten. Die Pädagogik des 20. Jahrhunderts hat dazu beigetragen, dass diese Vorstellung heute nicht mehr haltbar ist. Zu den Vordenkerinnen und Vordenkern zählen die schwedische Pädagogin und Frauenrechtlerin Ellen Key, die in ihrem im Jahr 1900 erschienenen Buch „Das Jahrhundert des Kindes“ unter anderem ein Recht jedes Kindes auf körperliche Unversehrtheit forderte, oder der polnische Kinderarzt und Pädagoge Janusz Korczak, der das Recht des Kindes auf unbedingte Achtung seiner Persönlichkeit ausgearbeitet und in einzigartiger Weise vorgelebt hat. Dennoch ist die Normierung spezifischer Kinderrechte auch heute noch keineswegs unumstritten. Die aktuelle Debatte über die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz zeigt beispielsweise, dass Kinder noch immer als verlängerter Arm ihrer Eltern gesehen werden oder für sie die allgemeinen Menschenrechte allein als hinreichend angesehen werden. „Das Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern ist (jedoch) asymmetrisch: Erwachsene tragen Verantwortung für Kinder, nicht jedoch umgekehrt Kinder in gleicher Weise für Erwachsene. Kinder dürfen nicht als kleine Erwachsene behandelt werden, weil sich Kindheit doch gerade im Unterschied zum Erwachsensein definiert. Aufgrund der Entwicklungstatsache brauchen Kinder besonderen Schutz, beson- 147 uj 4 | 2017 Die Rechte von Kindern nach der UN-Kinderrechtskonvention dere Förderung und besondere, kindgerechte Beteiligungsformen“ (Maywald 2010, 9). Kinderrechte müssen also nicht erworben oder verdient werden, sondern sind unmittelbarer Ausdruck der jedem Kind innewohnenden Würde. Die UN-Kinderrechtskonvention, welche am 20. November 1989 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen wurde, hat in Deutschland wesentlich dazu beigetragen, dass die Subjektorientierung eine Stärkung erfahren hat. Ihre zentrale Botschaft lautet: Alle Kinder haben die gleichen Rechte. Wie weit wir jedoch von diesem Anspruch entfernt sind, zeigen das seit Langem hohe Niveau der Kinderarmut in Deutschland, die trotz PISA-Schock nicht überwundene Abhängigkeit der Bildungs- und gesellschaftlichen Teilhabechancen vom sozialen Status der Eltern oder jüngst die Debatte um eine Zweiklassengesellschaft in der Kinder- und Jugendhilfe zwischen hier geborenen Kindern und jenen, die zu uns geflüchtet sind. Über gesellschaftliche, rechtliche und politische Debatten ist das öffentliche Bewusstsein für die Stärkung der Kinderrechte signifikant gestiegen. Dazu gehört wie oben angeführt die politische Streitfrage, ob Kinderrechte auch ausdrücklich in die Verfassung geschrieben werden müssen. Diese und andere Möglichkeiten der rechtspolitischen Verankerung von Kinderrechten gehören zu den entscheidenden Herausforderungen für die Zukunft, sie sind ein entscheidender Maßstab zur Verbesserung der Lebenswirklichkeit von Kindern. Entscheidend ist aber auch, ob Rechte in erfahrbarer Art und Weise im Alltag von Kindern erfahrbar werden. Bedeutung und Bekanntheit der UN-Kinderrechtskonvention Die UN-Kinderrechtskonvention (UNKRK) ist in Hinsicht auf die Zahl der Staaten, die sie ratifiziert haben, der erfolgreichste existierende Menschenrechtsvertrag. Mittlerweile sind ihr alle Mitgliedsstaaten der UN mit Ausnahme der USA beigetreten. Zuletzt haben Somalia und Südsudan 2015 die Kinderrechtskonvention ratifiziert. Einige der 196 Staaten (auch die Nichtmitgliedsstaaten Cookinseln, Niue, Palästina und der Heilige Stuhl) haben die Konvention ratifiziert, erklären allerdings Vorbehalte. Auch Deutschland hatte lange Zeit Vorbehaltserklärungen vorgenommen. Zuletzt wurde am 15. Juli 2010 der Vorrang des Ausländerrechts in Deutschland zurückgenommen. Bis dahin konnte die Abschiebehaft auch gegen Kinder und Jugendliche verhängt werden. In diesem Jahr, am 6. März 2017, ist es 25 Jahre her, dass die UNKRK in Deutschland ratifiziert wurde und damit geltendes Recht ist. Seitdem hat sich vieles im Sinne der Rechte von Kindern und Jugendlichen in Deutschland getan, darunter die Einrichtung einer Monitoring- Stelle für die UNKRK beim Deutschen Institut für Menschenrechte, die Aufnahme der Kinderrechte in zahlreichen Landesverfassungen oder die sukzessive Erweiterung der Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen auf der kommunalen Ebene. Die Konvention verspricht Kindern einen Anspruch auf besondere Fürsorge und Unterstützung, auf Förderung und Schutz, eine gewaltfreie und sie schützende Erziehung, auf Bildung und Ausbildung, auf eine Erziehung zu demokratischen Einwohnerinnen und Einwohnern sowie auf ihre angemessene Beteiligung am politischen und gesellschaftlichen Leben. In ihr ist eine Vielzahl von materiellen Rechten von Kindern formuliert, die sich auf unterschiedliche Lebenssituationen und Lebensbereiche beziehen und nach Förderrechten, Schutzrechten und Beteiligungsrechten unterschieden werden können (vgl. Abb. 1). Neben den materiellen Rechten, wie dem Recht auf Spiel, Freizeit und Bildung (Artikel 31) oder auf Schutz vor körperlicher oder seelischer Gewaltanwendung (Artikel 19), ist eine Reihe von Verfahrensregeln von Bedeutung. Hierzu gehören insbesondere 148 uj 4 | 2017 Die Rechte von Kindern nach der UN-Kinderrechtskonvention die Verpflichtung der zur gesetzlichen Verankerung (Artikel 4), zur Bekanntmachung der Kinderrechte (Artikel 42) sowie die Berichtspflicht über die Maßnahmen zur Verwirklichung der Kinderrechte (Artikel 44). Den Kinderrechten in der UNKRK liegen vier zentrale Grundprinzipien zugrunde, die der „UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes“ in Genf als „Allgemeine Prinzipien“ (general principles) definiert hat. Diese allgemeinen Prinzipien finden sich in den Artikeln 2, 3, 6 und 12. Artikel 2 enthält ein umfassendes Diskriminierungsverbot. Artikel 6 sichert das grundlegende Recht jedes Kindes auf Leben, Überleben und Entwicklung. Gemäß Artikel 12 hat jedes Kind das Recht, in allen Angelegenheiten, die es betreffen, unmittelbar oder durch einen Vertreter gehört zu werden. In Artikel 3 Absatz 1 ist der Vorrang des Kindeswohls festgeschrieben, demzufolge das Wohl des Kindes bei allen Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen öffentlicher oder privater Einrichtungen vorrangig zu berücksichtigen ist. Dem Kindeswohl kommt eine übergeordnete Bedeutung zu. „Es handelt sich bei dem Vorrang des Kindeswohls deshalb um unmittelbar anwendbares Völkerrecht, das bei der Auslegung und Anwendung innerstaatlichen Rechts vom Rechtsanwender beachtet werden muss“ (Lorz 2010, 4). Diese Betrachtung ist insofern bedeutsam, weil eine ausdrückliche Willensbekundung der deutschen Bundesregierung hinsichtlich der unmittelbaren Anwendbarkeit der Konvention insgesamt nicht vorliegt. Dadurch können zwar einzelne Vorschriften der Konvention von ihrer Normstruktur und Bestimmtheit her durchaus behördlich bzw. gerichtlich Berücksichtigung finden, jedoch sind diese nach herrschender Rechtsmeinung nicht einklagbar bzw. unmittelbar anwendbar. Artikel 3 der UNKRK hingegen verpflichtet die Staaten zur vollumfänglichen Berücksichtigung des Kindeswohlvorrangs. Das Kindeswohl ist sowohl zwingender Auslegungs- und Abwägungspunkt als auch verbindliche Ermessensleitlinie. Das heißt: Jede Entschei- Vorrang des Kindeswohls Diskriminierungsverbot Recht auf Leben und Entwicklung Berücksichtigung des Kindeswillens Schutzrechte Förderrechte Beteiligungsrechte UN-Kinderrechtskonvention Die Struktur der 54 Artikel Artikel 1 Geltung für Kinder; Begriffsbestimmung Artikel 4 Verwirklichung der Kinderrechte Artikel 42 Verpflichtung zur Bekanntmachung Artikel 44 Berichtspflicht an UN-Ausschuss Artikel 3 Artikel 2 Artikel 6 Artikel 12 Artikel 8, 9, 16, 17, 19, 22, 30, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38 Artikel 10, 15, 17, 18, 23, 24, 27, 28, 30, 31, 39 Artikel 13, 17 Abb. 1: Überblick über die Struktur der UN-Kinderrechtskonvention 149 uj 4 | 2017 Die Rechte von Kindern nach der UN-Kinderrechtskonvention dung, die Kinder berührt, muss deren Belange mit Vorrang in die Interessenabwägung einbeziehen. Grundsätzlich ist jedoch zu beachten, dass das Grundgesetz die innerstaatliche Geltung völkerrechtlicher Übereinkommen prinzipiell von deren Transformation in nationales Recht abhängig macht. Davon ausgenommen sind - neben der besonderen Bedeutung des Vorrangs des Kinderwohls, der jedoch sich in der Rechtsprechung noch nicht festgesetzt hat - grundlegende Menschenrechte wie der Schutz der Menschenwürde und das allgemeine Diskriminierungsverbot, die als unmittelbar anzuwendende Rechte (self executing rights) gelten. Auch die beiden anderen allgemeinen Prinzipien (general principles), das Recht des Kindes auf Leben und Entwicklung sowie die Berücksichtigung der Meinung des Kindes, können unmittelbare Anwendbarkeit beanspruchen. In diesem Kontext ist die Einführung des Individualbeschwerdeverfahrens zu beachten. Das entsprechende 3. Fakultativprotokoll, mit dem es ermöglicht wird, Verletzungen gegen die Kinderrechtskonvention anzuzeigen, wurde von der UN-Generalversammlung am 19. Dezember 2011 verabschiedet (Resolution A/ RES/ 66/ 138). Damit können sich Kinder und Jugendliche direkt an den Kinderrechtsausschuss wenden, wenn ein Recht aus der Kinderrechtskonvention von einem Staat verletzt worden ist. Diese Individualbeschwerde ist allerdings nur möglich, nachdem der nationale Rechtsweg ausgeschöpft worden ist. Angesichts der zeitlichen Dauer entsprechender Verfahren muss allerdings sich erst noch beweisen, welchen konkreten Wert die Individualbeschwerde für Kinder hat. Weiterhin gilt für völkerrechtliche Übereinkommen wie die UNKRK, dass sie Verpflichtungen der Vertragsstaaten untereinander begründen. Dazu gehören: 1. die Respektierungspflicht (duty to respect): der Staat ist verpflichtet, Verletzungen der Rechte zu unterlassen; 2. die Schutzpflicht (duty to protect): der Staat hat die Rechte vor Übergriffen vonseiten Dritter zu schützen; 3. die Gewährleistungspflicht (duty to ful-fill): der Staat hat für die volle Verwirklichung der Menschenrechte Sorge zu tragen. Weitere Kinderrechte Auf europäischer Ebene hat sich die Bundesrepublik Deutschland mit der durch Bundestag und Bundesrat erfolgten Zustimmung zur EU-Verfassung im Mai 2005 auch zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union bekannt. Dort sind in Artikel 24 folgende Regelungen getroffen: „Kinder haben Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind. Sie können ihre Meinung frei äußern. Ihre Meinung wird in den Angelegenheiten, die sie betreffen, in einer ihrem Alter und ihrem Reifegrad entsprechenden Weise berücksichtigt. Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen oder privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein. Jedes Kind hat Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies steht seinem Wohl entgegen“ (Amtsblatt der Europäischen Union 2010, 396). Vor dem Hintergrund der internationalen Entwicklungen ist es auch in Deutschland in den vergangenen drei Jahrzehnten zu einem tiefgreifenden Perspektivenwechsel gekommen. Kinder werden rechtlich nicht mehr als Objekte der Erwachsenen, sondern als Subjekte und damit als Träger eigener Rechte gesehen. So wurde bereits im Zusammenhang mit der um- 150 uj 4 | 2017 Die Rechte von Kindern nach der UN-Kinderrechtskonvention fassenden Sorgerechtsreform im Jahre 1980 der Übergang von der elterlichen „Gewalt“ zur elterlichen „Sorge“ vollzogen. Außerdem wurde der Paragraf 1626 Absatz 2 in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) eingefügt, der erstmals die Mitsprache von Kindern und Jugendlichen an allen sie betreffenden Entscheidungen ihrer Eltern rechtsverbindlich festlegt. Seitdem heißt es dort: „Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigen die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbstständigem verantwortungsbewusstem Handeln. Sie besprechen mit dem Kind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge und streben Einvernehmen an.“ Die Kindschaftsrechtsreform von 1998 brachte neben der weitgehenden Gleichstellung ehelicher und nicht ehelicher Kinder unter anderem das Recht des Kindes auf Umgang mit beiden Eltern (§ 1684 Absatz 1 BGB) und die Möglichkeit, Kindern in Verfahren, welche die elterliche Sorge betreffen, einen Verfahrenspfleger (seit 1. September 2009: Verfahrensbeistand) als „Anwalt des Kindes“ zur Seite zu stellen. Ein besonders wichtiges Glied in der Kette bedeutender Kinderrechte in Deutschland ist das im November 2000 verabschiedete Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung. Seitdem haben Kinder in Deutschland auch im Verhältnis zu den eigenen Eltern ein Recht auf gewaltfreie Erziehung (§ 1631 Absatz 2 BGB). Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom April 2008 zur Abgrenzung zwischen Kinder- und Elternrechten in Artikel 6 Grundgesetz gab der Diskussion neue Impulse. Es rief den Gesetzgeber dazu auf, Kinderrechte noch wirksamer durchzusetzen und bestimmte darüber hinaus eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung gegenüber Kindern. Auch das Bundesverfassungsgericht machte in diesem Zusammenhang deutlich, dass Kinder ein besonderes Schutzbedürfnis haben. Auch auf der Ebene der Landesverfassungen sind geltende Rechte für Kinder festgeschrieben. Nach der Verfassung des Landes Bremen hat jedes Kind laut Artikel 25 ein Recht auf Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit, darüber hinaus ein Recht auf gewaltfreie Erziehung und auf den besonderen Schutz vor Gewalt, vor Vernachlässigung und Ausbeutung. Die staatliche Gemeinschaft achtet, schützt und fördert die Rechte des Kindes und trägt Sorge für kindgerechte Lebensbedingungen. Leider wurde das Recht auf Beteiligung nicht ausdrücklich normiert. In den neuen Bundesländern, in denen naturgemäß relativ neue Verfassungen bestehen, sind Kinder überall Träger eigener Rechte. In Brandenburg genießen sie in besonderer Weise den Schutz von Staat und Gesellschaft. Ihnen ist verfassungsgemäß eine Rechtsstellung einzuräumen, die ihrer wachsenden Einsichtsfähigkeit durch die Anerkennung zunehmender Selbstständigkeit gerecht wird. Zuletzt wurde in der Verfassung von Baden-Württemberg in einem neuen Artikel 2 a Kindern als eigenständigen Persönlichkeiten ein Recht auf Achtung ihrer Würde, auf gewaltfreie Erziehung und auf besonderen Schutz gewährt. Diese Beispiele aus internationalem Recht und deutschen Länderverfassungen machen deutlich: Kinderrechte sind nicht beschränkt auf den Schutz von Kindern. Allerdings wird wiederum deutlich, dass es sich in der Regel um Staatszielbestimmungen, also Absichtserklärungen handelt, die eben für das einzelne Kind nicht einklagbar sind. Bekanntheit der Kinderrechte Bei der Bekanntheit der Kinderrechte bestehen in Deutschland erhebliche Defizite. Dies verdeutlicht der Kinderreport 2017 des Deutschen Kinderhilfswerkes. Eine große Mehrheit der Erwachsenen kennt Kinderrechte nach eigenen Angaben nur dem Namen nach (73 Prozent). Lediglich jeder siebte Erwachsene (15 Prozent) kennt sich nach eigenen Angaben gut mit Kinderrechten aus und könnte auch einzelne Rechte benennen. Auch 151 uj 4 | 2017 Die Rechte von Kindern nach der UN-Kinderrechtskonvention bei den Betroffenen selbst bestehen diesbezüglich erhebliche Defizite: Ein Fünftel (22 Prozent) hat noch nichts über Kinderrechte gehört oder gelesen. Gut mit Kinderrechten kennen sich nach eigener Einschätzung 18 Prozent der Kinder und Jugendlichen aus. 60 Prozent der Kinder und Jugendlichen im Alter von 10 bis 17 Jahren haben lediglich von den Kinderrechten gehört, ohne Einzelheiten nennen zu können. Ein Blick auf die Alterskohorten zeigt, dass der Anteil derer, die noch nie von Kinderrechten gehört haben, unter jüngeren Kindern im Alter von 10 und 11 Jahren besonders hoch ist (30 Prozent) und in zunehmendem Alter stetig abnimmt. Gleichzeitig steigt aber nicht die Zahl derer, die sich gut mit der UN-Kinderrechtskonvention auskennen, sondern nimmt im Gegenteil ab. Während 19 Prozent der 10 - 11-Jährigen und 20 Prozent der 12 - 14-Jährigen sich gut mit Kinderrechten auskennen, sagen das nur noch 16 Prozent der 15 - 17-Jährigen. Bei den Erwachsenen ist eine Wellenbildung zu verzeichnen. Hier steigt der Wert derer, die sich gut mit Kinderrechten auskennen, bei den Jüngeren von 14 Prozent bis auf 20 Prozent bei den 30 - 44-Jährigen, um dann wieder bis auf 11 Prozent bei den Älteren zu fallen. Diese Zahlen werden durch nahezu gleichlautende Ergebnisse einer Umfrage des Deutschen Kinderhilfswerkes zum 20. Geburtstag der UN-Kinderrechtskonvention 2009 und den Ergebnissen des Kinderreports 2016 bestätigt. Bezüglich der Bekanntheit der Kinderrechte ist in den vergangenen Jahren leider keine positive Entwicklung festzustellen. Doch eine solche geringe Bekanntheit der Kinderrechte kann nicht der Anspruch sein. Kinder müssen ihre Rechte kennen, denn Wissen und Aufklärung ist die Grundlage für selbstbestimmtes Handeln. Es sind daher weitere Anstrengungen zur Bekanntmachung der Kinderrechte notwendig. Kinderrechtsorganisationen wie das Deutsche Kinderhilfswerk oder deren Verbund in der National Coalition Deutschland stellen für Kinder, Erwachsene und Fachkräfte eine Vielzahl von Informationsmaterialen zu Kinderrechten zur Verfügung. Siehe dazu www.netzwerkkinderrechte.de und www.kinderrechte.de. Relevanz für die Kinder- und Jugendhilfe Für die Berücksichtigung der Kinderrechte ist grundlegend die Einrichtung flächendeckender Ombudsstellen für Kinderrechte sinnvoll, damit Kinder und Eltern bei möglichen Verletzungen der Kinderrechte in Jugendhilfemaßnahmen auf kompetente und weisungsberechtigte Ansprechpartner zurückgreifen können. Weiterhin besteht für das Internet, als beliebtestes Informations- und Kommunikationsmedium von Kindern und Jugendlichen und Arbeitsansatz in der Jugendarbeit, dringender Handlungsbedarf. Hier gilt es einerseits ein zeitgemäßes Jugendmedienschutzrecht zu implementieren, das Sicherheit vor Missbrauch, vor problematischen Inhalten und vor allem Orientierung schafft. Andererseits müssen die Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen für eine verantwortungsvolle und selbstbestimmte Mediennutzung gefördert werden. Denn nur so können Kinder ihr Recht auf demokratische Teilhabe an der Informationsgesellschaft wirklich in die Tat umsetzen. Wenn die Kinder- und Jugendhilfe entsprechend § 1 KJHG dazu beitragen will, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten und zu schaffen, dann darf dies nicht vor der Wohnumfeldentwicklung im Allgemeinen und der Stadtentwicklung im Besonderen Halt machen. Sinnvoll sind hier beispielsweise Stadtteilbegehungen, deren Ergebnisse in eine örtliche Rahmenplanung einfließen (siehe Apel/ Schelhorn 2010). Insgesamt haben die in der UNKRK verbrieften Rechte von Kindern für die Kinder- und Jugendhilfe eine besondere Relevanz hinsichtlich der 152 uj 4 | 2017 Die Rechte von Kindern nach der UN-Kinderrechtskonvention Mitbestimmung. Positiv ist zunächst festzuhalten, dass in den vergangenen Jahrzehnten viele unterschiedliche Formen und Ansätze der Mitwirkung und Mitgestaltung von Kindern und Jugendlichen in den Einrichtungen der Jugendhilfe entwickelt wurden. Dazu zählen insbesondere die Beteiligungsansätze und -verfahren in Kitas, Jugendfreizeitstätten und mittlerweile auch in Jugendwohnheimen. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der Breite und Konstanz Kinder- und Jugendbeteiligung vom Willen und den Ressourcen engagierter Erwachsener abhängig ist und sich gute Praxisbeispiele nicht weiträumig genug entfalten. Die Diskrepanz zwischen fachpolitischen Zielen und Absichtserklärungen einerseits und der Partizipationswirklichkeit andererseits wurde in Stellungnahmen des Bundesjugendkuratoriums wiederholt festgestellt. Zu ähnlichen Schlüssen kommen auch die Autoren des 14. Kinder- und Jugendberichts der Bundesregierung mit dem Titel: „Kinder- und Jugendhilfe in neuer Verantwortung“. Insbesondere wurde eine Verstetigung von oft nur zeitlich befristeten Angeboten angemahnt. Leider hat sich bis heute trotz weiterer guter Best-practice-Modelle und -Erfahrungen an dieser Problemstellung nichts verändert. Wie die meisten Kinder- und Jugendstudien belegen, stehen diesen eingeschränkten Partizipationsmöglichkeiten seitens der Kinder und Jugendlichen grundsätzlich hohe Bereitschaften und Motivationen zur Mitwirkung gegenüber. Daher ist dringender fachpolitischer und gesellschaftlicher Handlungsbedarf gegeben. Dieser ist auf die Haltung der erwachsenen Akteure, die angewendeten Methoden in Beteiligungsprozessen und gesetzliche und finanzielle Rahmenbedingungen zu beziehen. Darüber hinaus muss die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund an den sie betreffenden Entscheidungen als besondere Herausforderung angenommen werden. Ein erster Schritt ist es, sich der unterschiedlichen sozialen Bedingungen bewusst zu sein und kulturelle Ausgangslagen in der Beteiligungsmethodik zu berücksichtigen. Wichtig ist es zudem, mit den Selbstorganisationen der Migrantinnen und Migranten eng zusammenzuarbeiten. Außerdem ist die Ausbildung von Verantwortlichen hinsichtlich interkultureller Kompetenzen von entscheidender Bedeutung. Die diesbezüglichen Fortbildungsangebote müssen von deutschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aufgrund der Interkulturalität der Gesellschaft also noch stärker als bisher wahrgenommen werden. Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund verfügen über kulturelle, sprachliche und religiöse Potenziale aus verschiedenen Kulturen und Gesellschaften - denen ihrer eigenen Herkunftskultur bzw. der Herkunftskultur ihrer Eltern oder Großeltern - und bringen diese in die bundesdeutsche Gesellschaft ein. Diese Potenziale gilt es nicht als Risiko, sondern als Chance zu begreifen. Die ersten Erfahrungen im sozialen Gemeinwesen außerhalb der Familie werden heute von Kindern in Kindertagesstätten gesammelt. Beteiligungsrechte für Kinder sollten auch deshalb bereits in Kindertageseinrichtungen zum Standard gehören und sind als Bestandteil von Bildungs- und Rahmenplänen in Kindertageseinrichtungen einzubinden und, wie durch das Bundeskinderschutzgesetz vorgesehen (vgl. § 45 KJHG, Achtes Buch Sozialgesetzbuch - Kinder und Jugendhilfe), bei der Vergabe von Betriebserlaubnissen abzuprüfen. Es bedarf einer Absicherung der alters- und entwicklungsgemäßen Beteiligung an Entscheidungen in den Einrichtungen, dabei ist auf regelmäßige Beteiligungsgremien und projektorientierte Beteiligungsverfahren zu achten. Gefördert werden müssen flächendeckende Qualifizierungsmaßnahmen, etwa analog dem Modellprojekt „Kinderstube der Demokratie“ (vgl. Hansen/ Knauer/ Sturzenhecker 2009). Im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe ist es insbesondere bei der Heimunterbringung notwendig, verbindliche Regelungen im pädagogischen Alltag einzuführen, die Beteiligung 153 uj 4 | 2017 Die Rechte von Kindern nach der UN-Kinderrechtskonvention nicht nur ermöglichen, sondern geradezu einfordern, beispielsweise ein regelmäßiges Heimparlament oder die Bereitstellung eines transparenten Beschwerdemanagements. Schließlich darf nicht vernachlässigt werden, dass Beteiligungsprozesse von einer kontinuierlichen Beziehungsarbeit (und ihrer Finanzierung) abhängig sind. Erst darüber kann es gelingen, die zuvor dargestellten methodischen Prozessqualitäten zu sichern und keine „Beteiligungsluftblasen“ zu produzieren. Kinder- und Jugendbeteiligung in der Kommune ist daher abhängig von den Gestaltungsspielräumen in der Jugendarbeit. Da in mittleren und größeren Kommunen die Kapazitäten für übergeordnete Kinder- und Jugendinteressenvertretungen in Relation zu möglichen Beteiligungsverfahren begrenzt sind, sind diese besonders auf eine funktionierende Kinder- und Jugendarbeit mit ausreichendem Personalschlüssel angewiesen. Holger Hofmann Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes Mitglied der Koordinierungsgruppe der National Coalition Deutschland Leipziger Str. 116 -118 10117 Berlin Tel: (0 30) 30 86 93-0 E-Mail: hofmann@dkhw.de Literatur Apel, P., Schelhorn, D. (2010): Freiräume für Kinder und Jugendliche. Gutachten im Rahmen des Nationalen Aktionsplanes „Für ein kindergerechtes Deutschland 2005- 2010“. Werkstatt: Praxis Heft 70. BMVBS, Berlin 2010 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2010): Veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union (C 83/ 391) Deutsches Kinderhilfswerk (2015): Kinderreport - Umfrage und Analyse zu Kinderrechten in Deutschland. Siehe www.dkhw.de Deutsches Kinderhilfswerk (2017): Kinderreport - Umfrage und Analyse zu Kinderrechten in Deutschland. Siehe www.dkhw.de Hansen, R., Knauer, R., Sturzenhecker B. (2009): Die Kinderstube der Demokratie. Partizipation von Kindern in Kindertageseinrichtungen. TPS - Theorie und Praxis der Sozialpädagogik, Ausgabe Nr. 2/ 2009 Lorz, R. A. (2010): Nach der Rücknahme der deutschen Vorbehaltserklärung: Was bedeutet die uneingeschränkte Verwirklichung des Kindeswohlvorrangs nach der UN-Kinderrechtskonvention im deutschen Recht? Expertise für die National Coalition Deutschland. Siehe www.agj.de Maywald, J. (2010): UN-Kinderrechtskonvention: Bilanz und Ausblick. APuZ 38/ 2010