eJournals unsere jugend 69/4

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
41
2017
694

„Wir wollen gehört werden!“

41
2017
Sabine Gembalczyk
Bernd Hemker
Wie sieht die Arbeit von Ombudschaften in der Jugendhilfe ganz praktisch aus? Welche Entwicklungen können in diesem sich dynamisch entwickelnden neuen Arbeitsbereich der Jugendhilfe erkannt werden? Anhand der Erfahrungen der Ombudschaft Jugendhilfe NRW (Ombudschaft NRW) werden ein Fallbeispiel dargestellt und fachpolitische Entwicklungen erläutert.
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172 unsere jugend, 69. Jg., S. 172 - 180 (2017) DOI 10.2378/ uj2017.art26d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Sabine Gembalczyk Jg. 1966; Master of Social Work, Dipl. Sozialarbeiterin, seit 2013 hauptamtliche Mitarbeiterin der Ombudschaft Jugendhilfe NRW „Wir wollen gehört werden! “ Grundlagen, Erfahrungen und Erkenntnisse der Arbeit der Ombudschaft Jugendhilfe NRW Wie sieht die Arbeit von Ombudschaften in der Jugendhilfe ganz praktisch aus? Welche Entwicklungen können in diesem sich dynamisch entwickelnden neuen Arbeitsbereich der Jugendhilfe erkannt werden? Anhand der Erfahrungen der Ombudschaft Jugendhilfe NRW (Ombudschaft NRW) werden ein Fallbeispiel dargestellt und fachpolitische Entwicklungen erläutert. Ausgangslage Die Kritik am Spannungsverhältnis zwischen der Rechtspraxis bei der Umsetzung von individuellen Jugendhilfeleistungen und der Rechtstheorie des SGB VIII führte in Berlin 2002 zur Gründung des Berliner Rechtshilfefonds Jugendhilfe e.V. (BRJ) (vgl. Urban-Stahl 2006, 126ff ). Der BRJ bot jungen Menschen und Personensorgeberechtigten an, sie beratend zu unterstützen, wenn sie mit einem öffentlichen Jugendhilfeträger unzufrieden sind und sich unabhängig über ihre Rechte informieren wollen sowie etwaige Rechtsansprüche nach dem SGB VIII geltend machen wollen. Dieses innerhalb der gesetzlichen Grundlagen der Kinder- und Jugendhilfe im Grunde systemkonforme Angebot wurde von Jugendämtern in Berlin nicht mit offenen Armen begrüßt. Im Zentrum der Kritik standen die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns bei der Bedarfsermittlung und Gewährung von individuellen Hilfen sowie der damit verbundene Umgang mit institutioneller Macht gegenüber den Adressaten der Jugendhilfe (vgl. ebenda). Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, dass die individuellen Rechtsschutzmöglichkeiten von Kindern im formalen Rechtsschutzverfahren (Widerspruch und Verwaltungsklage) sehr mangelhaft sind. Diese Auseinandersetzungen blieben nicht auf Berlin beschränkt. Ab 2003 beriet und begleitete die Initiative Habakuk in Baden-Württemberg junge Menschen und Personensorgeberechtigte, die mit der Arbeit von Jugendämtern unzufrieden waren. Bernd Hemker Jg. 1952; Sozialarbeiter, Geschäftsführer der Ombudschaft Jugendhilfe NRW 173 uj 4 | 2017 Erkenntnisse der Arbeit der Ombudschaft Jugendhilfe NRW Etwa zeitgleich gründeten in NRW die Arbeitsgemeinschaft der Erziehungshilfe in der Diözese Münster (AGE) und der Diözesancaritasverband Münster die „Lobbystelle für die Durchsetzung jugendhilferechtlicher Ansprüche von Betroffenen“. „Sie unterstützt junge Menschen und ihre Familien, die in Caritaseinrichtungen betreut werden, bei der Durchsetzung Kinder- und Jugendhilfe rechtlicher Ansprüche auf Weitergewährung von Hilfen“ (Urban-Stahl 2011, 13). 2009 diskutierten in NRW verbandliche FachreferentInnen und VertreterInnen des Landesjugendamtes Rheinland (LJAR) sowie des Deutschen Kinderschutzbundes LV NRW (DKSB NRW) über den Aufbau ombudschaftlicher Strukturen. Diese Beratungen führten 2012 zur Gründung des Trägervereins „Ombudschaft Jugendhilfe NRW e.V.“ mit Sitz in Wuppertal. Gründungsmitglieder waren die 14 Verbände der freien Wohlfahrtspflege NRW (LAG FW NRW). Die kommunalen Spitzenverbände hatten eine MitgliedschaftimTräger abgelehnt. Das Fachministerium des Landes verhielt sich neutral. Im Rahmen der Diskussionen entstand zunächst das zweijährige Modellprojekt „geRECHT“ des DKSB NRW, das zuvor vom LJAR ausgeschrieben wurde. Es handelte sich um eine Beschwerdestelle für junge Menschen, die in Einrichtungen der Erziehungshilfe leben. Einige Erkenntnisse sind in das Konzept der Ombudschaft NRW eingeflossen. Die wesentlichen Motive der Verbände der freien Wohlfahrtspflege NRW zur Gründung der Ombudsstelle basierten auf ihrem Einsatz für die Kinderrechte sowie auf den Erkenntnissen der Runden Tische Heimerziehung und „Sexuelle Gewalt gegen Kinder“. In beiden Abschlussberichten wird die Errichtung unabhängiger Beschwerdestellen für junge Menschen gefordert. Bereits 2002 sprach sich der 11. Kinder- und Jugendbericht für die Errichtung von „unabhängigen Beschwerde- und Clearingstellen“ (Deutscher Bundestag, Drucksache 14/ 8181 vom 4. 2. 2002, 260) für junge Menschen aus. Strukturelle Grundlagen und wesentliche Ziele der Ombudschaft Jugendhilfe NRW Die Verbände der LAG FW sind Mitglieder des Trägers und allesamt juristische Personen. Darüber hinaus können natürliche oder juristische Fördermitglieder vom Träger aufgenommen werden. Derzeit verfügt der Träger über 110 Fördermitglieder. Die Satzung ist so gestaltet, dass der Träger sich nur ombudschaftlich engagieren kann. Der Vorstand wird von einem fachlichen Beirat (Satzungsorgan) begleitet. Bewusst wurde bei der Besetzung des Beirats auf jugendhilfepolitisch ausgewiesene Persönlichkeiten geachtet. Auch fachpolitisch kritische Stimmen wurden eingebunden. Kurzfristig erhielt der Träger vom Jugendministerium eine befristete Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe nach § 75 SGB VIII. Die Anerkennung ist Voraussetzung für eine Förderung durch die AKTION MENSCH (AM). Das Konzept der Ombudschaft wurde gemäß den Kriterien der AM operationalisiert. Die Mitglieder des Trägers investierten erhebliche Eigenmittel, um das Fördervolumen der AM voll auszuschöpfen. Nach der Förderzusage durch AM für einen Zeitraum von drei Jahren wurde die landesweit tätige Beratungs- und Beschwerdestelle der Ombudschaft NRW ab dem 1. 2. 2013 in Wuppertal eröffnet. Die Fachberaterinnen sind hochqualifizierte Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe mit langjährigen Berufserfahrungen bei öffentlichen und bei freien Jugendhilfeträgern. Die praktische Arbeit wird von zwei hauptamtlichen Fachkräften sowie von 20 ehrenamtlichen, berufserfahrenen Fachkräften aus verschiedenen Landesteilen ausgeübt. Die Geschäftsführung unterstützt zudem die Umsetzung der Aufgaben. Wesentliche konzeptionelle Ziele Zu den konzeptionell wesentlichen Zielen gehören 174 uj 4 | 2017 Erkenntnisse der Arbeit der Ombudschaft Jugendhilfe NRW ➤ die Beratung und Begleitung junger Menschen ➤ die Bearbeitung von Anfragen und Beschwerden ➤ die Akquisition und Qualifizierung örtlicher Ombudspersonen ➤ der Aufbau und die Pflege des Netzwerkes für ehrenamtlich tätige örtliche Ombudspersonen ➤ die Akquisition und Vereinbarung von Kooperationsmöglichkeiten mit öffentlichen und freien Jugendhilfeträgern ➤ die Öffentlichkeitsarbeit und ➤ die Dokumentation sowie Evaluation der Arbeit. Beratung und Begleitung junger Menschen Die Ombudschaft NRW ist eine externe Beschwerdestelle für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die Anspruch auf Leistungen nach dem SGB VIII haben und sich bei der Leistungsgewährung durch einen öffentlichen Jugendhilfeträger oder bei der Leistungserbringung durch einen freien Jugendhilfeträger nicht ausreichend beteiligt, beraten, betreut und beschieden fühlen. Die Ombudschaft NRW bietet diesen Menschen Unterstützung, Beratung und Begleitung bei der Formulierung ihrer Beschwerde gegen einen Jugendhilfeträger an. Die Ombudschaft NRW ist, unter Berücksichtigung fachlicher Maßstäbe, für die BeschwerdeführerInnen gegenüber einem Jugendhilfeträger grundsätzlich parteilich tätig. Sie ist dem Ziel einer einvernehmlichen Abhilfe einer Beschwerde verpflichtet. Anfragen und Beschwerden In der Zeit vom 1. 2. 2013 bis zum 1. 12. 2016 wurden insgesamt 650 Anfragen und Beschwerden angenommen und bearbeitet. Vorrangig handelte es sich um Anliegen im Kontext der Erziehungs- und Eingliederungshilfen (§§ 27ff, § 35 a SGB VIII) sowie der Hilfen für junge Volljährige (§ 41 SGB VIII). Weitere Anfragen bezogen sich auf gemeinsame Wohnformen für Mütter/ Väter und Kinder (§ 19 SGB VIII), den Beratungs- und Unterstützungsanspruch von Pflegepersonen (§ 37 (2) SGB VIII), die Beratung und Unterstützung bei der Ausübung der Personensorge und des Umgangsrechts (§ 18 SGB VIII), die Kostenbeteiligung bei stationärer Unterbringung, die Zuständigkeit von Kostenträgern oder Institutionen. Probleme während einer Erziehungs- oder Eingliederungshilfe lassen sich wie folgt statistisch darstellen. Abb. 1: Diagramm der Fallstatistik Quelle: unveröffentlichte Anfragen- und Beschwerdetabelle der Ombudschaft Jugendhilfe NRW 24 % 14 % 16 % Beratungs- und Unterstützungsbedarf im Kontext einer Antragstellung von Erziehungshilfe §§ 27 oder Eingliederungshilfe § 35 a SGB VIII Probleme während einer Erziehungs- oder Eingliederungshilfe Minderjähriger, §§ 27ff, 35 a SGB VIII Sorge- und umgangsrechtliche Angelegenheiten Beratungs- und Unterstützungsbedarf im Kontext einer Hilfe für junge Volljährige 22 % 24 % 175 uj 4 | 2017 Erkenntnisse der Arbeit der Ombudschaft Jugendhilfe NRW 22 % der Ratsuchenden und Beschwerdeführenden gaben an, Probleme mit der Durchsetzung einer Jugendhilfe für Minderjährige zu haben, sie benötigten Beratung, teilweise auch örtliche Begleitung zum Jugendamt. Hinzu kommen 14 % junge Volljährige, die ebenfalls Probleme im Kontext der Antragstellung oder Weiterbewilligung einer Hilfe benannten.Während einer Erziehungs- oder Eingliederungshilfe Minderjähriger traten bei 24 % der Ratsuchenden und Beschwerdeführenden Fragen und Probleme auf. Dabei handelte es sich um Beschwerden gegen die betreuende Einrichtung und/ oder das Jugendamt. Von den bisher Ratsuchenden und Beschwerdeführenden nahmen rund 90 junge Menschen selbst Kontakt zur Ombudschaft NRW auf, weil sie ein Problem mit dem zuständigen Jugendamt und/ oder mit einer Einrichtung hatten. Eine örtliche Unterstützung durch eine ehrenamtliche Ombudsperson konnte in 85 Fällen der bisher rund 650 Anfragen umgesetzt werden. Die weiteren Anfragen wurden telefonisch und/ oder per E-Mail beraten. Akquisition und Qualifizierung sowie Aufbau und Pflege eines Netzwerkes für ehrenamtlich tätige örtliche Ombudspersonen Ehrenamtliche ombudschaftliche Beratung und Unterstützung stellt hohe Anforderungen an das professionelle Arbeiten der Ombudspersonen. Neben Fach-, Persönlichkeits- und Sozialkompetenzen sind zur Qualitätsentwicklung ombudschaftlicher Arbeit auch Verfahren und Standards gefragt. Seit Beginn der Ombudschaft NRW existieren ein Beschwerdeverfahren (Ablauforganisation) sowie ein Verfahren zum Kinderschutz für junge Menschen in Einrichtungen der Erziehungshilfe. Ergänzend wurden Beratungsstandards entwickelt und nach einer Phase der Praxiserprobung gemeinsam mit den Ombudspersonen überprüft und modifiziert. Das Beschwerdeverfahren wurde im Jahresbericht 2013, die Standards im Jahresbericht 2014 und die aktualisierten Standards im Jahresbericht 2015 dar- 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Probleme ausschließlich mit einer Einrichtung Probleme mit Einrichtung und Jugendamt Probleme ausschließlich mit dem Jugendamt Abb. 2: Probleme während einer Erziehungs- oder Eingliederungshilfe Quelle: unveröffentlichte Anfragen- und Beschwerdetabelle der Ombudschaft Jugendhilfe NRW 176 uj 4 | 2017 Erkenntnisse der Arbeit der Ombudschaft Jugendhilfe NRW gestellt (für die Erstellung der Jahresberichte einen besonderen Dank an Dr. Margareta Müller). Zusammengefasst sind die grundlegenden Standards und Prüfkriterien für die Fallbearbeitung folgende: ➤ Entsprechen die Zielgruppe und der Auftrag dem Konzept der Ombudschaft: junge Menschen und Sorgeberechtigte, die einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB VIII haben oder bereits eine Jugendhilfe erhalten? ➤ Die Überprüfung der Unabhängigkeit der Ombudsperson bei jeder Fallbegleitung. ➤ Die Ombudspersonen sind parteilich tätig, indem sie die strukturell unterlegene Partei (junger Mensch, Sorgeberechtigte/ r) im jugendhilferechtlichen Dreiecksverhältnis im Sinne der Kinderrechte beraten und unterstützen. ➤ Die Beschwerdebearbeitung vor Ort soll möglichst im Zweier-Team durchgeführt werden. ➤ Im Kontext der Beschwerdebearbeitung arbeiten die Ombudspersonen und die zentrale Beratungsstelle eng zusammen. Die Ombudspersonen informieren über den Verlauf der Bearbeitung und sprechen Handlungsschritte ab. ➤ Voraussetzung für die örtliche Fallbegleitung ist die Akzeptanz der konstruktiven Vorgehensweise durch die beschwerdeführende Person. Der Aufbau und die Pflege des Netzwerkes der örtlichen Ombudspersonen ist Aufgabe der Hauptamtlichen der Ombudschaft und bedarf eines nicht zu unterschätzenden Zeitkontingents für Akquise, Vor- und Nachbereitungen sowie die Durchführung regelmäßiger Ombudspersonentreffen. Die ehrenamtlichen Ombudspersonen haben 85 örtliche Fallbegleitungen mit einem zum Teil sehr hohen Arbeitseinsatz (40 bis 110 Arbeitsstunden pro Fall) durchgeführt. Weiterhin wurde die Telefonsprechstunde im letzten Jahr von Ombudspersonen übernommen. Akquisition und Vereinbarung von Kooperationsmöglichkeiten mit öffentlichen und freien Jugendhilfeträgern Zu 38 Jugendämtern entstanden Arbeitskontakte in unterschiedlicher Intensität und Qualität. Insgesamt wurden fünf schriftliche Kooperationsvereinbarungen abgeschlossen. Mit weiteren Jugendämtern gab und gibt es Kooperationsgespräche sowie Überlegungen bezüglich der Unterstützung beim Aufbau einer örtlichen Beschwerdestelle (siehe dazu Konzepterweiterung unter Punkt 4). Das Interesse von Jugendämtern und freien Jugendhilfeträgern an einer Zusammenarbeit mit der Ombudschaft ist geweckt. Auch wenn daraus nicht unmittelbar Kooperationsvereinbarungen entstehen. Kritisch eingestellte Jugendämter setzen sich mit der Ombudschaft konstruktiv auseinander und laden zu Arbeitstreffen ein. Öffentlichkeitsarbeit Die Homepage www.ombudschaft-nrw.de wurde im Frühjahr 2013 online geschaltet und laufend aktualisiert. Mehr als 100 Präsentationen bei Jugendämtern, Arbeitsgemeinschaften gemäß § 78 SGB VIII, Verbänden und auf Fachveranstaltungen wurden durchgeführt (weitere Informationen dazu befinden sich in den Jahresberichten 2013, 2014, 2015 und im Evaluationsbericht auf unserer Homepage). Für junge Menschen wurden 30.000 Flyer und 1.000 Plakate verteilt. Die Einrichtungen der Erziehungshilfe erhielten für die dort lebenden jungen Menschen Informationen über die Ombudsstelle. Eine Vielzahl Ratsuchender und Beschwerdeführender gab bei der Kontaktaufnahme an, die Ombudschaft über die Homepage gefunden zu haben. Junge Menschen äußerten zudem, die Informationen über Fachkräfte und/ oder den Flyer erhalten zu haben. Insbesondere junge Menschen nutzen die Möglichkeit, online Kontakt aufzunehmen. Auf politischer Ebene 177 uj 4 | 2017 Erkenntnisse der Arbeit der Ombudschaft Jugendhilfe NRW fanden Präsentationen bei Landtagsfraktionen, dem Ausschuss für Kinder, Jugend und Familie im Landtag NRW (2013 und 2015) sowie Gespräche mit dem Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport NRW statt. Dokumentation sowie Evaluation der Arbeit Die Fachhochschule Münster, Fachbereich Sozialwesen, führte eine Evaluation durch (Bericht auf der Homepage der Ombudschaft Jugendhilfe NRW veröffentlicht). Sowohl diese externe Evaluation als auch die Dokumentationen der Ombudschaft NRW, u. a. die Jahresberichte 2013, 2014 und 2015, zeigen, dass Ratsuchende und Beschwerdeführende sich durch die Ombudschaft gut beraten und unterstützt fühlen. Nicht zuletzt konnten, ebenfalls durch die Evaluation gut belegt, durch den Einsatz der Ombudschaft Rechtsansprüche von Adressaten erfolgreich geltend gemacht werden. Die Arbeit der Ombudschaft zeichnete sich zudem dadurch aus, dass in fast allen Fällen nicht nur die Beschwerdeführenden sich gut beraten und unterstützt fühlten, sondern auch die Fach- und Leitungskräfte der Institutionen, gegen die die Beschwerde geführt wurde. Sie bewerteten die Arbeit der Ombudschaft NRW als fair und letztlich zielführend. Beispiel: „Wir wollen gehört werden! “ Eine familienanaloge Wohngruppe soll vom Träger geschlossen werden. Dort leben vier Geschwister im Alter von 12 bis 16 Jahren. Die Geschwister wollen zusammenbleiben, möglichst an ihrem jetzigen Lebensort. Sie wenden sich per E-Mail an die Ombudschaft NRW, da sie fürchten, auf verschiedene Wohngruppen in anderen Orten verteilt zu werden. Die Ombudschaft NRW soll sie„darin unterstützen, dass wir (die betroffenen jungen Menschen) gehört und beteiligt werden bei der Entscheidung, wo wir in Zukunft leben werden“ (Jahresbericht 2014, 30). Die Ombudsperson regt die jungen Menschen an, sich mit Schreiben an die Ergänzungspflegerin (Aufenthaltsbestimmungsrecht für alle Geschwister) und an das Landesjugendamt zu wenden. Darin schildern sie genau ihre Erfahrungen und ihre Ziele. Ein Hilfeplangespräch mit dem Jugendamt, unter Beteiligung der Ombudschaft NRW, führt zu keinem konkreten Ergebnis. Gleichzeitig droht die Kündigung des bisher bewohnten Hauses durch den Träger der Wohngruppe. „Die entscheidende Weichenstellung führen die Geschwister selbst herbei“ (Jahresbericht 2014, 33). Bei der Ombudschaft NRW meldet sich deren ältere Schwester. Sie teilt mit, „dass ihr Lebenspartner (6 Jahre Beziehung) und sie sich nach längeren Überlegungen entschieden haben, zu den vier Geschwistern nach W. ziehen zu wollen. Sie möchten dort in das Haus ziehen und die Betreuung der Kinder übernehmen. Die bisherige Leiterin der Wohngruppe würde ihnen das Haus zur Miete überlassen“ (Jahresbericht 2014, 33). „Die Ergänzungspflegerin und die Ombudsperson können sich eine Verwandtenpflege als Hilfe zur Erziehung nach § 33 SGB VIII vorstellen. Das zuständige Jugendamt lehnt diese Lösung ab. Erst der Pflegekinderdienst des Jugendamtes überzeugt nach ausführlichen Gesprächen mit allen Beteiligten den ASD des Jugendamtes. Zusätzlich wird auf Anregung des Pflegekinderdienstes eine ambulante Betreuung für die ‚Pflegefamilie‘ vereinbart“ (Jahresbericht 2014, 33). „Diese Lösung, von den Geschwistern mit Unterstützung der Ombudschaft und mit viel Energie und Vertrauen in die eigenen Stärken und Kompetenzen entwickelt, ist umgesetzt worden“ (Jahresbericht 2014, 35). „Es geht für die Beteiligten nicht primär darum, sich ,zur Wehr zu setzen‘, es geht darum, sich Gehör zu verschaffen und gehört zu werden. Also überhaupt in ein Gespräch zu kommen und als Gesprächspartner akzeptiert zu werden“ (Jahresbericht 2014, 36). Nach mehr als 8 Monaten leben die Geschwister immer noch zusammen und sind stolz, ihr Ziel erreicht zu haben. 178 uj 4 | 2017 Erkenntnisse der Arbeit der Ombudschaft Jugendhilfe NRW Fachstelle zur Förderung örtlicher Beschwerdestellen in der Jugendhilfe Das fachpolitische Ziel, als unabhängige Beschwerdestelle für alle jungen Menschen in NRW zuständig sein zu wollen, die individuelle Jugendhilfeleistungen in NRW erhalten oder beantragen (über die Personensorgeberechtigten), setzt personelle und sachliche Ressourcen voraus, über die die Ombudschaft NRW nicht verfügt. In Gesprächen mit dem Jugendministerium NRW wurde nach einer ergänzenden Lösung für das Flächenland NRW mit seinen 186 Jugendämtern gesucht. Entwickelt wurde das Konzept der Fachstelle der Ombudschaft NRW. Die Fachstelle bietet Jugendämtern und örtlichen Trägern der freien Jugendhilfe an, sie beim Aufbau gemeinsamer örtlicher Beschwerde- oder Ombudsstellen in Eigenregie zu beraten und zu unterstützen. Im Kreis Steinfurt mit fünf Jugendämtern und zahlreichen freien Trägern wurden diese beim Aufbau einer regionalen Ombudsstelle beraten. Interesse besteht ebenfalls im Kreis Borken. Gefördert wird die Arbeit der Fachstelle Ombudschaft durch das Jugendministerium NRW bis Ende 2017. Auch in diesem Arbeitsbereich hat die Öffentlichkeitsarbeit eine herausragende Bedeutung. Entwicklungen von Ombudsstellen in der Kinder- und Jugendhilfe Mit der Aufnahme der Arbeit des Berliner Rechtshilfefonds Jugendhilfe e.V. (BRJ) im Jahr 2002 begann ein ebenso dynamischer wie stetiger Prozess der Entwicklung des neuen Arbeitsfeldes der Ombudschaften in der Jugendhilfe. Die (Mit)Initiatorin des BRJ, Ulrike Urban-Stahl, bezieht sich in ihren Auseinandersetzungen auf folgende Definition von Ombudschaften: „[…] eine unparteiische/ unparteiliche Vorgehensweisen bei Streitfragen, in der die Interessen der strukturell unterlegenen Partei durch den Ombudsmann oder die Ombudsfrau besondere Beachtung finden. Ziel ist es, strukturelle Machthierarchien auszugleichen und eine gerechte Einigung zu erzielen“ (Urban-Stahl 2012, 7). Im Jahr 2009 schlossen sich die ombudschaftlichen Initiativen und Organisationen zum Bundesnetzwerk Ombudschaften in der Kinder- und Jugendhilfe zusammen. Die 12 Ombudsstellen in 10 unterschiedlichen Bundesländern (vgl. Abb. 3) „verbindet ein gemeinsames Interesse: Sie unterstützen Kinder, Jugendliche und Familien ombudschaftlich im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII), insbesondere im Bereich der Hilfen zur Erziehung“ (Bundesnetzwerk Ombudschaften in der Kinder- und Jugendhilfe 2015, 1). An der Entwicklung der unterschiedlichen Ombudschaften in der Jungendhilfe ist zu erkennen, dass der Fokus auf die Leistungsgewährung der öffentlichen Jugendhilfeträger in einigen Initiativen um den Bereich der Leistungserbringung durch freie Jugendhilfeträger erweitert wurde. So decken zum Beispiel erstmalig die Ombudschaft Jugendhilfe NRW (2013), das Modellprojekt Berliner Beratungs- und Ombudsstelle Jugendhilfe (2014) sowie die Ombudsstelle Kinder- und Jugendhilfe der Bürgerbeauftragten für soziale Angelegenheiten des Landes Schleswig-Holstein (2016) seit Beginn ihrer ombudschaftlichen Tätigkeit die Bereiche der Leistungsgewährung sowie der Leistungserbringung ab. Bisweilen haben weitere ombudschaftliche Initiativen ihre Konzepte dahingehend erweitert. Diese aus unserer Sicht positive Entwicklung ist begrüßenswert, da damit verbunden eine stärkere Orientierung am gesamten Jugendhilfeumfeld von Kindern und Jugendlichen einhergeht. Um die Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen im Flächenland Nordrhein-Westfalen mit einer Gesamtzahl von 186 Jugendämtern und einer Vielzahl von freien Jugendhilfeträgern weiter auszubauen, lässt sich mit der 179 uj 4 | 2017 Erkenntnisse der Arbeit der Ombudschaft Jugendhilfe NRW Fachstelle eine neue Entwicklung feststellen. Mit der Erweiterung der Ombudschaft NRW um die Fachstelle zur Unterstützung öffentlicher und freier Jugendhilfeträger beim gemeinsamen Aufbau örtlicher Beratungs- und Beschwerdestellen wird eine weitere Ausrichtung deutlich. Neben der Kernaufgabe der ombudschaftlichen Unterstützung von Ratsuchenden sowie Beschwerdeführenden will die Ombudschaft NRW damit den Jugendhilfeträgern infrastrukturelle Unterstützung leisten, sodass diese in gemeinsamer Eigenregie örtliche Ombudsstellen aufbauen können. Damit sind die Träger der Jugendhilfe vor Ort gefragt, sich mit dem Themenbereich zu beschäftigen und diesen in ihrer Arbeit aufzunehmen. Des Weiteren waren die Erkenntnisse handlungsleitend, dass junge Menschen bei Beschwerden verschiedene Wege nutzen. Einerseits ist die relativ anonyme Beratung durch die Beratungsstelle in Wuppertal für sie sinnvoll, andererseits brauchen und nutzen sie den persönlichen, vertrauensvollen Kontakt zu einer Ombudsperson vor Ort. Mit der Konzepterweiterung und dem Aufbau der Fachstelle soll ein Modell von unterschiedlichen und sich als ergänzend verstehenden Beschwerdestrukturen in der Jugendhilfe in NRW gefördert werden. Die Fachstelle leistet dabei Netzwerkarbeit, um die verschiedenen Formen von Kooperation zur Entstehung von Beschwerdebzw. Ombudsstellen vor Ort zu befördern sowie Wissen, Materialien und Erfahrungen weiterzugeben. Unabhängiges Bremer Beschwerde- und Beratungsbüro, Bremen BerNi e.V. Beratungsu. Ombudsstelle für Kinder u. Jgdl., Niedersachsen, Hannover Ombudschaft Jugendhilfe NRW e.V., NRW Ombudsstelle für Kinder- und Jugendrechte in Hessen e.V., Hessen Initiative Habakuk Beratungsnetzwerk der Caritas, Baden-Württemberg Kinder haben Rechte e.V., Tübingen/ Reutlingen Unabhängige Ombudsstelle für Kinder- und Jugendhilfe Bayern e.V., Bayern Ombudsstellen: Bürgerbeauftragte Land/ JÄ DKSB LV freie Träger, Schleswig-Holstein Berliner Rechtshilfefonds Jugendhilfe e.V. BBO Jugendhilfe Modellprojekt, Berlin BOJE e.V. Beratungs- und Ombudsstelle Jugendhilfe Brandenburg e.V., Potsdam Kinder- und Jugendhilferechtsverein, Dresden, Leipzig, Sachsen Ombudsstellen in der Kinder- und Jugendhilfe Stand: 12/ 2016 Abb. 3: Ombudsstellen in der Kinder- und Jugendhilfe Quelle: Karte adaptiert nach Urban-Stahl: Ombuds- und Beschwerdestellen in der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Hrgs.: NZFH, Köln, 2011 180 uj 4 | 2017 Erkenntnisse der Arbeit der Ombudschaft Jugendhilfe NRW Dabei ist das ausgeprägte Bestreben und Anliegen der Ombudschaft NRW, weiterhin Lobbyarbeit für den Aufbau von Beschwerdebzw. Ombudsstellen für Kinder und Jugendliche zu betreiben, verbunden mit dem Ziel, möglichst niederschwellige sowie passgenaue Beschwerdemöglichkeiten vor Ort für Kinder und Jugendliche im Flächenland NRW verfügbar zu machen. Ausblick Der bundesweite Aufbau und die Entwicklung ombudschaftlicher Initiativen führten in den vergangenen Jahren zu einer zunehmenden fachöffentlichen Akzeptanz. Diese ist nicht zuletzt auch in der Verortung von Ombudschaften in dem aktuell kursierenden Arbeitsentwurf zur Novellierung des SGB VIII zu erkennen (vgl. DIJuF Gesamtsynopse, 2016). In dem Arbeitsentwurf werden erstmalig Ombudsstellen in § 1 als Sollbestimmung und in § 9 a als Kann-Bestimmung für die öffentlichen Jugendhilfeträger formuliert. Mit der Normierung - wenngleich auch nur als Programmnorm - von Ombudschaften ist ein erster wichtiger Schritt zur Anerkennung der Notwendigkeit von Ombudschaften in der Kinder- und Jugendhilfe vollzogen. In § 45 SGB VIII werden gemäß dem Arbeitsentwurf Einrichtungsträger aufgefordert, neben den bereits verpflichtenden internen Beschwerdestellen zusätzlich Beschwerdestellen für die jungen Menschen außerhalb der Einrichtung zur Verfügung zu stellen. Damit die Forderung nach der Etablierung der Ombudschaften nicht nur einen Alibi-Charakter hat, muss der Status der Kinder und Eltern als Rechtssubjekte erhalten bleiben bzw. deutlich ausgebaut werden (vgl. Wiesner 2016). Sabine Gembalczyk Bernd Hemker Ombudschaft Jugendhilfe NRW Hofkamp 102 42103 Wuppertal E-Mail: s.gembalczyk@ombudschaft-nrw.de Homepage: http: / / ombudschaft-nrw.de Literatur Bundesnetzwerk Ombudschaften in der Kinder- und Jugendhilfe (2015): Bundesnetzwerk Wer wir sind. http: / / ombudschaft-jugendhilfe.de/ , 25. 11. 2016 Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. (DIJuF): Gesamtsynopse, Stand: 20. 9. 2016, http: / / kijup-sgbviii-reform.de/ wp-content/ uploads/ 2016/ 0 7/ E_16._7.9.2016_23.8.2016_Gesamtsynopse-2017- 4.pdf, 27. 11. 2016 Urban-Stahl, U. (2012): Beschwerde- und Ombudsstellen in der Kinder- und Jugendhilfe. Forum Jugendhilfe, (1), 5 - 11 Urban-Stahl, U. (2011): Ombuds- und Beschwerdestellen in der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Herausgegeben Nationales Zentrum Frühe Hilfen - ZFH, Beiträge zur Qualitätsentwicklung im Kinderschutz, Expertise 1, Köln Urban-Stahl, U. (2006): Wo kein Kläger, da kein Rechtsbruch? Zur Durchsetzung individueller Rechtsansprüche in der Jugendhilfe. Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe (ZKJ), (3), 126 - 135 Wiesner, R. (2016): Reform oder Rolle rückwärts? Zu den Ankündigungen des BMFSFJ hinsichtlich der Weiterentwicklung des Kinder- und Jugendhilferechts. Unveröffentlichter Text, Frankfurt/ Main