unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2017
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Rezension: Gerd Lehmkuhl, Fritz Poustka, Martin Holtmann, Hans Steiner (Hrsg): Praxishandbuch Kinder- und Jugendpsychiatrie
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2017
W. Topel
Das noch relativ junge medizinische Fachgebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie befasst sich mit der Diagnostik, Therapie, Rehabilitation und Prävention psychischer und neuropsychiatrischer Störungen und Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen von der Geburt bis zur Volljährigkeit. Die Vielzahl und Komplexität der Störungsbilder macht die Kooperation zwischen unterschiedlichen Berufsgruppen (Ärzte, Psychologen, Schwestern und Pfleger, Sozialarbeiter, Lehrer, Erzieher etc.) notwendig. Auch die Mitarbeiter der Kinder- und Jugendhilfe und der Sonderpädagogik (Heilpädagogik) bedürfen der Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie, da diese wichtige Impulse für die Persönlichkeitsentwicklung der Mädchen und Jungen geben kann, die unter erschwerten Sozialisationsbedingungen aufwachsen. Diese interdisziplinäre Kooperation entbindet selbstverständlich die in pädagogischen Bereichen Tätigen nicht von der Verpflichtung, ihre eigenen fachlichen Potenzen zu nutzen.
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236 uj 5 | 2017 Rezension Das noch relativ junge medizinische Fachgebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie befasst sich mit der Diagnostik, Therapie, Rehabilitation und Prävention psychischer und neuropsychiatrischer Störungen und Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen von der Geburt bis zur Volljährigkeit. Die Vielzahl und Komplexität der Störungsbilder macht die Kooperation zwischen unterschiedlichen Berufsgruppen (Ärzte, Psychologen, Schwestern und Pfleger, Sozialarbeiter, Lehrer, Erzieher etc.) notwendig. Auch die Mitarbeiter der Kinder- und Jugendhilfe und der Sonderpädagogik (Heilpädagogik) bedürfen der Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie, da diese wichtige Impulse für die Persönlichkeitsentwicklung der Mädchen und Jungen geben kann, die unter erschwerten Sozialisationsbedingungen aufwachsen. Diese interdisziplinäre Kooperation entbindet selbstverständlich die in pädagogischen Bereichen Tätigen nicht von der Verpflichtung, ihre eigenen fachlichen Potenzen zu nutzen. Die Herausgeber des Handbuches beabsichtigen, einen kurzen und pragmatischen Überblick über den aktuellen Entwicklungsstand der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie der Psychotherapie zu geben, indem sie wichtige Informationen zu vielfältigen Fragestellungen der Symptomatik, Diagnostik, Therapie und Beratung mitteilen. Damit wollen sie zugleich eine Orientierung für die tägliche klinische Arbeit geben. Da die Häufigkeit psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen nach einer bundesweit durchgeführten Studie ca. 15 % beträgt, bedauern sie, dass für die Betroffenen nur unzureichend professionelle Hilfe gewährt wird, die psychischen Belastungen in dieser Altersgruppe nicht immer ernst genommen oder bagatellisiert werden. Ihnen ist zuzustimmen, wenn sie als Folgen einer mangelnden Prävention und sachgerechten Behandlung im Kindes- und Jugendalter auf gesundheitliche und ökonomische Probleme im Erwachsenenalter aufmerksam machen. Die 28 Autorinnen und Autoren (Ärzte, Psychologen) wenden sich mit ihren Darlegungen an alle Berufsgruppen, deren Ziel es ist, durch Prävention, Diagnostik, Therapie und Beratung Kindern und Jugendlichen mit psychischen Störungen wirksam zu helfen. Die einzelnen Kapitel zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine übersichtliche Gliederung aufweisen: Fallbeispiele, differenzierte fachliche Analysen, Angaben zu relevanten wissenschaftlichen Publikationen, Literatur für Eltern, Lehrer und Erzieher, darüber hinaus Leseempfehlungen für Kinder und Jugendliche sowie Hinweise auf Webseiten und Internetforen. Wie kann normales, subklinisches und klinisch bedeutsames Verhalten voneinander unterschieden werden? Warum gewinnt die Untersuchung von Risiko- und Schutzfaktoren eine zunehmende Bedeutung? Was ist unter einer multifaktoriellen Bedingtheit psychischer Störungen zu verstehen? Welche Rolle spielt das gleichzeitige Auftreten von zwei oder mehreren Störungen (Komorbidität) im Kindes- und Jugendalter? Weshalb ist die multimodale Diagnostik eine unverzichtbare Grundlage für persönlichkeitszentrierte Interventionen? Welche rechtlichen Voraussetzungen sind bei einer geschlossenen Unterbringung eines Minderjährigen in einer Klinik oder Jugendhilfeeinrichtung zu beachten? Diese und viele andere Fragen werden im Teil I des Buches („Allgemeine Grundlagen“, Kapitel 1 - 7) thematisiert. Schwerpunkte sind die Ausführungen über die Genese von Störungen des Erlebens und Verhaltens, Probleme der Diagnostik, Klassifikation und Gerd Lehmkuhl, Fritz Poustka, Martin Holtmann, Hans Steiner (Hrsg): Praxishandbuch Kinder- und Jugendpsychiatrie 2015, Hogrefe Verlag Göttingen, 402 Seiten, € 39,95 uj 5 | 2017 237 Rezension Therapie, psychiatrische Notfälle und Krisen sowie rechtliche Aspekte. Dabei handelt es sich um Informationen, die den aktuellen Wissensstand widerspiegeln und im Kontext zu praktischen Erfahrungen stehen. In Teil II des Buches („Störungsbilder von A - Z“, Kapitel 8 - 22) werden 15 psychische Störungen detailliert und praxisorientiert erörtert: u. a. affektive und Angststörungen, Autismus, Schizophrenie, Essstörungen, posttraumatische Belastungsstörungen, Suchterkrankungen etc. Es gelingt den Autoren, die spezifische Symptomatik der jeweiligen Beeinträchtigungen transparent zu machen, Entstehungsbedingungen, die störungsspezifische Diagnostik und Behandlung einschließlich damit verbundenen besonderen Herausforderungen fachlich fundiert darzustellen. Beispielsweise finden wir im Kapitel 19 („Störungen des Sozialverhaltens, Dissozialität und Delinquenz“) unter Bezugnahme auf bekannte Klassifikationssysteme (ICD-10, DSM-5) wesentliche Hinweise zur klinischen Symptomatik und zu diagnostischen Kriterien; zu verschiedenartigen Entstehungsbedingungen zur störungsspezifischen Diagnostik und Differenzialdiagnostik sowie zu den Möglichkeiten der Psychotherapie und der Pharmakotherapie. Die hier vorgestellten Syndrome erfassen allerdings nicht das gesamte Spektrum der psychophysischen Beeinträchtigungen, die zum Aufgabengebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie gehören (vgl. Intelligenzminderungen, Teilleistungsschwächen, Epilepsien oder Störungen der Sprache und des Sprechens). Im abschließenden Teil III („Perspektiven für die Praxis“, Kapitel 23) werden überdenkenswerte Vorschläge unterbreitet, wie künftig den Kindern und Jugendlichen, deren Funktionsfähigkeit und Lebensqualität durch psychische Auffälligkeiten gemindert ist, noch effektiver geholfen werden kann. In diesem Zusammenhang wird auf eine verbesserte empirische Forschung, die Notwendigkeit von präventiven und frühzeitigen Behandlungen, die noch stärkere Orientierung auf die Besonderheiten des Einzelfalles und einen größeren Transfer der Ergebnisse der empirischen Therapieforschung in die Praxis hingewiesen. Alles in allem: Ein Handbuch, das theoretisch begründet und praxisrelevant nicht nur für Psychiater und Psychologen grundlegende Erkenntnisse über den derzeitigen Entwicklungsstand der Kinder- und Jugendpsychiatrie enthält, sondern das auch für Nachbardisziplinen, die ebenfalls mit Störungen des Erlebens und Verhaltens von Kindern und Jugendlichen konfrontiert sind, interessant und anregend sein kann. Dr. habil. W. Topel, Leipzig DOI 10.2378/ uj2017.art35d
