unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2017
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Wann ist frühe Bildung „gut“?
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2017
Annette Schmitt
Der wissenschaftliche Wert ebenso wie die Praxisakzeptanz frühpädagogischer Wirkungsstudien steht und fällt mit der Qualität der untersuchten Outcomes: Anzustreben ist nicht nur ihre methodisch saubere Operationalisierung, sondern zudem ihre Einbettung in ein pädagogisches Wirkmodell sowie ihre Relevanz für den untersuchten Kontext. Dieser Beitrag diskutiert, inwieweit diese Anforderungen derzeit erfüllt werden (können) und schlägt Vorgehensweisen zur Behandlung bestehender Herausforderungen vor.
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242 unsere jugend, 69. Jg., S. 242 - 249 (2017) DOI 10.2378/ uj2017.art37d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Wann ist frühe Bildung „gut“? Status quo, Anforderungen und offene Fragen zu Outcomes in der frühpädagogischen Wirkungsforschung Der wissenschaftliche Wert ebenso wie die Praxisakzeptanz frühpädagogischer Wirkungsstudien steht und fällt mit der Qualität der untersuchten Outcomes: Anzustreben ist nicht nur ihre methodisch saubere Operationalisierung, sondern zudem ihre Einbettung in ein pädagogisches Wirkmodell sowie ihre Relevanz für den untersuchten Kontext. Dieser Beitrag diskutiert, inwieweit diese Anforderungen derzeit erfüllt werden (können) und schlägt Vorgehensweisen zur Behandlung bestehender Herausforderungen vor. von Prof. Dr. Annette Schmitt Jg. 1962; Professorin für Bildung und Didaktik im Elementarbereich an der Hochschule Magdeburg- Stendal Bedeutung angemessener Outcomes Eine zentrale Frage für die Wirkungsforschung allgemein ist die Festlegung und Operationalisierung angemessener Outcomes (Morfeld/ Wirtz 2017). Zum einen ist es - will man nicht „im Trüben fischen“ - für die Planung sinnvoller Designs erforderlich, Outcomes aus einem fachlich begründeten Wirkmodell abzuleiten, also zunächst zu klären, welche Wirkung auf welchem Weg erzielt werden soll. Zum anderen ist sicherzustellen, dass die untersuchten Outcomes mit gesellschaftlich vereinbarten und in der Praxis intendierten Zielen korrespondieren, um ihre Legitimität und Akzeptanz sicherzustellen. Beide Aspekte - sowohl die Ableitung von Outcomes aus Wirkmodellen als auch jene aus pädagogischen Zielen - sind in der Frühpädagogik noch nicht ausreichend geklärt und bedürfen der weiteren Bearbeitung im Kontext einer frühpädagogischen Wirkungsforschung (Morfeld/ Schmitt 2015). Im Folgenden werden zunächst in verschiedenen Feldern der frühpädagogischen Wirkungsforschung weit verbreitete Outcome- Maße dargestellt und unter diesen Gesichtspunkten - Einbettung in ein Wirkmodell und Zielpassung - diskutiert. Anschließend wird die Problematik angemessener Outcomes, unter besonderer Berücksichtigung des offenen Charakters deutscher Curricula, erörtert und werden diesbezüglich weiterführende Arbeitsschritte vorgeschlagen. 243 uj 6 | 2017 Wann ist frühe Bildung „gut“? Outcomes in Programmevaluationen Die Anforderung, Outcomes einer Intervention aus einem adäquaten Wirkmodell abzuleiten, kann in der frühpädagogischen Forschung weitgehend hinsichtlich der Evaluation von Programmen zur Förderung eingegrenzter Kompetenzbereiche erfüllt werden (Schmitt 2016). Strukturorientierte Programme dieser Art beruhen auf einem Entwicklungsmodell des entsprechenden Kompetenzbereichs, aus dem ein Modell zur Förderung grundlegender Strukturen des jeweiligen Bereichs abgeleitet wird. Diese werden im Rahmen des Programms systematisch, mit vorgegebenen Aufgaben und Abläufen, gefördert. In diesem Vorgehen werden Outcomes sehr spezifisch für den jeweiligen Bereich erfasst, so etwa aus einem Entwicklungs- und Fördermodell abgeleitete mathematische Kompetenzen wie (u. a.) Mengenverständnis, Zählfertigkeiten, Zahlzerlegung und Zahldifferenz (bspw. Krajewski/ Nieding/ Schneider 2008) oder ebenfalls modellbasierte Facetten (schrift-)sprachlicher Kompetenzen wie (u. a.) phonologische Bewusstheit (z. B. Weber/ Marx/ Schneider 2007), Verständnis grammatischer Strukturformen und Wortschatz (z. B. Hofmann/ Polotzek/ Roos/ Schöler 2008). Bei den aufgrund der Kritik an Strukturprogrammen (insbesondere wegen ihrer geringen Effektivität im Falle von Sprachförderprogrammen, aber auch aus pädagogischen Gründen, zur Diskussion um „Programme“ siehe auch Schmitt 2016) entwickelten alltagsintegrierten Programmen werden Outcomes weniger stringent aus einem Wirkmodell abgeleitet. Vielmehr geht es ihnen um eine umfassende Förderung, bspw. sprachlicher Kompetenzen in Alltags- und Spielsituationen (Jungmann/ Koch/ Etzien, 2013, 113). Wenngleich in alltagsintegrierten Ansätzen also keine hochstrukturierten, aus dem jeweiligen Strukturmodell abgeleiteten Interventionen vorgeschlagen werden, wird ihre Effektivität in Evaluationsstudien doch an Outcomes bemessen, die aus eben diesen Modellen abgeleitet werden. Ihre differenzielle Wirksamkeit auf unterschiedliche Strukturbereiche ist, wie Jörns/ Schuchardt/ Mähler/ Grube (2013) für alltagsintegrierte frühe mathematische Förderung herausstellen, eine noch zu klärende empirische Frage. Insgesamt ist für Förderprogramme, sowohl in einer hoch strukturierten als auch in einer alltagsintegrierten Variante, die Frage, wann sie als erfolgreich einzuschätzen sind, recht klar zu beantworten: Ein Förderprogramm gilt als effektiv, wenn aus einem Entwicklungsmodell abgeleitete Outcomes erzielt werden. Die Ziele der Intervention sind in diesem Fall also der Intervention inhärent, sie ergeben sich aus deren theoretischer Fundierung. Die Frage nach der pädagogischen und gesellschaftlichen Sinnhaftigkeit der Intervention ist nicht zwingend Gegenstand der Wirkungsstudien selbst. Häufig wird hierzu auf Forschungsergebnisse zur Bedeutung des jeweiligen Förderbereichs für den Schulerfolg verwiesen, gelegentlich wird die Auswirkung des Förderprogramms längsschnittlich bis in den Schulbereich hinein untersucht (z. B. Krajewski/ Nieding/ Schneider 2008). Kritisch anzumerken ist jedoch, dass auf einzelne Funktionsbereiche und das zukünftige „Funktionieren“ des Kindes ausgerichtete Ziele in der Frühpädagogik umstritten sind (Schmitt 2016; siehe auch unten, Outcomes in der Evaluation von Curricula). Outcomes in Systemevaluationen Eine intensiv bearbeitete Fragestellung der frühpädagogischen Wirkungsforschung ist die nach der Wirksamkeit von Systemen der frühen Bildung in ihrer Gesamtheit, häufig auf nationaler Ebene oder im internationalen Vergleich: Welche Auswirkungen hat der Besuch einer Kindertageseinrichtung? Auch wenn in jünge- 244 uj 6 | 2017 Wann ist frühe Bildung „gut“? rer Zeit seitens des „Inputs“ vermehrt qualitative Merkmale des Systems berücksichtigt werden (für einen Review vgl. Anders 2013, siehe auch Schmitt 2016), so werden auf der Outcome-Seite doch meist unspezifische und nicht aus einem Wirkmodell abgeleitete Indikatoren verwendet. Begründet wird die Wahl der Outcomes mit ihrer Bedeutung in der kindlichen Entwicklung sowie für den Schulerfolg und für eine erfolgreiche Lebensführung (Anders 2013). International etabliert haben sich Outcomes bzgl. der Bereiche sozial-emotionale, kognitive und sprachliche Entwicklung, mit Blick auf die Schullaufbahn auch Leistungen in schulischen „Kernfächern“ wie Mathematik sowie (insbesondere bei Studien zum volkswirtschaftlichen Nutzen früher Bildung, z. B. Fritschi/ Oesch 2008) Indikatoren der gesellschaftlichen Positionierung wie bspw. der später erreichte Schulabschluss oder das erzielte Mehreinkommen (vgl. Reviews von Anders 2013 und Mitchell/ Wylie/ Carr 2008). Legitimiert werden diese gebräuchlichen Outcomes zwar durch das Sozialgesetzbuch, das den Förderauftrag u. a. „auf die soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung des Kindes“ bezieht (SGB VIII § 22, Absatz 3). In der frühpädagogischen Community sind sie jedoch äußerst umstritten. Aktuell entzündet sich diese Diskussion an der von der OECD geplanten „International Early Learning Study“ (OECD, 2016), in der Systeme der Kindertagesbetreuung international hinsichtlich der Outcomes in den Bereichen sprachliche, mathematische, selbstregulatorische und sozialemotionale Kompetenzen verglichen werden sollen („Kita-Pisa“). Zentrale Akteure im Feld (Bundesarbeitsgemeinschaft Elterninitiativen/ Bundeselternvertretung/ Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft/ Institut für den Situationsansatz/ Pestalozzi-Fröbel-Verband 2016; Urban/ Swadener 2016) wenden sich gegen die beabsichtigte Verwendung standardisierter, auf ausgewählte Funktionsbereiche bezogener Outcome-Maße: Dies werde der Komplexität der Systeme sowie kulturell unterschiedlichen Wert- und Zielvorstellungen nicht gerecht, so etwa der in Deutschland angestrebten und ebenfalls gesetzlich verankerten Orientierung an individuellen Bedürfnissen des Kindes und der Förderung der Persönlichkeitsentwicklung sowie an Prinzipien der Inklusion und Diversität. Einsichten, die zu einer Verbesserung der Systeme beitragen könnten, seien aus Studien, die auf derartig eingegrenzte und dekontextualisierte Outcomes ausgerichtet sind, nicht zu erwarten. Es bestehe vielmehr die Gefahr einer Qualitätsminderung, da die Vergleichsstudie normativ ins Feld hineinwirken und auch dort eine Verengung auf funktionale Outcomes bewirken könne. Dies wiege umso schwerer, als den vorgegebenen Outcomes die Legitimation fehle; einer outcome-orientierten Evaluation des Systems sei eine breite gesellschaftliche Diskussion der Ziele früher Bildung voranzustellen. Die in Wirkungsstudien zu Systemen der Kindertagesbetreuung gebräuchlichen Outcomes erscheinen insgesamt wenig fundiert: Sie sind - anders als Outcomes in Programmevaluationen - nicht aus einem Wirkmodell abgeleitet, und ihre gesellschaftliche und fachliche Legitimation ist (zumindest für das System in Deutschland) fraglich, insofern die Fokussierung auf funktionale Ergebnisse nicht die breiteren gesetzlichen und in den Bildungsplänen vorgegebenen Zielsetzungen abbildet. Outcomes in der Evaluation von Curricula Einen weiteren abgrenzbaren Bereich der frühpädagogischen Wirkungsforschung bildet die Evaluation von Curricula, also von Rahmenkonzepten zur pädagogischen Gestaltung früher Bildung. Zu unterscheiden sind dabei hoch strukturierte Curricula mit dem Charakter spezieller Fördermaßnahmen von allgemeinen Curricula wie bspw. die Bildungsprogramme der Länder. 245 uj 6 | 2017 Wann ist frühe Bildung „gut“? Outcomes in der Evaluation von Förder-Curricula Förder-Curricula wurden insbesondere in den USA implementiert und evaluiert, in Deutschland sind sie seit den 1970er Jahren nicht mehr verbreitet (Anders 2013). Sie richten sich vorrangig an Kinder mit sozial schwierigem Hintergrund und zielen auf die Kompensation sozialer Benachteiligungen durch eine intensive Förderung im Alter vor der Einschulung (siehe Überblick bei Anders 2013; kritische Diskussion der Wirksamkeit bei Barnett 2011). Durchaus in Passung mit der kompensatorischen Zielsetzung, wurden in entsprechenden längsschnittlichen Studien nicht nur Outcomes zur Entwicklung im Kindesalter und Schulerfolg erhoben, sondern auch Indikatoren der sozialen Positionierung und Integration im Erwachsenenalter, bspw. Jahresverdienst, Abhängigkeit von Transferleistungen und Gefängnisstrafen in der High/ Scope Perry Preschool Study (Schweinhart/ Montie/ Xiang/ Barnett/ Belfield/ Nores 2005). Hinsichtlich der Fundierung durch ein pädagogisches Wirkmodell unterscheiden sich derartige Curricula erheblich. So setzt bspw. das US-amerikanische Förderangebot Head Start auf eine intensive Begleitung durch gut ausgebildetes Personal, den Einbezug der Familien und Angebote sozialer und gesundheitsbezogener Dienste, wobei spezielle pädagogische Modelle zunächst nicht festgelegt wurden und Gegenstand einer eigenen Debatte sind (Weikart 2004). Das High/ Scope Curriculum hingegen (Hohmann/ Weikart 2002) stellt ein Beispiel hoher Verankerung in einem Entwicklungsmodell dar und wird aus diesem Grund ausführlicher dargestellt. Dieses Curriculum bezieht sich dezidiert auf die Entwicklungstheorie Piagets, Kernelemente des daraus abgeleiteten Fördermodells bilden entsprechend das aktive Lernen durch direkte Erfahrung, pädagogisch umgesetzt bspw. durch die Bereitstellung anregender Materialien, aber auch strukturierende und von Erwachsenen initierte Elemente, bspw. Erläuterungen neuer Materialien und gemeinsame Aktivitäten wie Singen. In der experimentell angelegten Begleitstudie mit mehreren Follow-Up-Erhebungen bis zum vierzigsten Lebensjahr wurden jeweils der Lebensphase angemessene Outcome-Maße erhoben, mit einem Schwerpunkt auf der intellektuellen Entwicklung und Schulerfolg in der frühen Erhebung, auf sozialer Integration im Jugendalter (bspw. Delinquenz, Drogenmissbrauch, außerschulische Aktivitäten) sowie ergänzend auf beruflichem und ökonomischem Erfolg bei den Follow-Up-Erhebungen im Erwachsenenalter (bspw. erreichter Schulabschluss, Einkommen). Diese differenzierte Erhebung distaler und proximaler Outcomes im Rahmen eines experimentellen Designs ermöglichte es, aus den Daten ein Pfadmodell der Wirksamkeit des High/ Scope Curriculums zu bestimmen (Schweinhart/ Montie/ Xiang/ Barnett/ Belfield/ Nores 2005): Demnach führte die Teilnahme an der Intervention zu einer verbesserten intellektuellen Leistungsfähigkeit bei Schuleintritt; was zu einer verbesserten Schulmotivation, verbesserter Literacy und geringerer Wahrscheinlichkeit der Zuweisung an Bildungsmaßnahmen für geistige Behinderung führte; insbesondere die höhere Schulmotivation wiederum zog längeren Schulbesuch nach sich, der wiederum im Erwachsenenalter höheres Einkommen und eine geringere Wahrscheinlichkeit einer Arrestierung zur Folge hatte. Outcomes in der Evaluation allgemeiner Curricula Allgemeine Curricula steuern die Gestaltung des regulären Angebots der Kindertagesbetreuung, zahlreiche Länder haben derartige Rahmenprogramme auf nationaler Ebene festgelegt (Fthenakis 2004). Als zentrale Steuerungsinstrumente sind sie als ein Systemmerkmal anzusehen, dessen Evaluation in Systemevaluationen zumindest implizit immer mit einfließt. Entsprechend wird ihre Wirkung hinsichtlich der in Systemevaluationen üblichen Outcomes operationalisiert, so kommen Mitchell/ Wylie/ Carr (2008) in ihrem systematischen Review u. a. zu 246 uj 6 | 2017 Wann ist frühe Bildung „gut“? dem Schluss, dass sich offene, breit angelegte Curricula günstiger auf die kognitive Leistung auswirken als solche, die eng auf akademische Leistungsfähigkeit hin ausgelegt sind; in der britischen EPPE-Studie wurde Kenntnis des Curriculums seitens der Fachkräfte mit besseren Outcomes bzgl. der kognitiven und sozial-emotionalen Entwicklung von Kindern in Zusammenhang gebracht (Sylva/ Melhuish/ Sammons/ Siraj-Blatchford/ Taggart/ Elliot 2004). Wie oben bereits angesprochen (siehe Outcomes in Systemevaluationen), wird eine Einschränkung auf funktionale Outcomes als unstimmig mit den offenen, auf eine breite und kindorientierte Bildungskonzeption hin orientierten, deutschen Curricula kritisiert (Bundesarbeitsgemeinschaft Elterninitiativen et al. 2016; zu Grundpositionen der deutschen Curricula siehe Fthenakis/ Schmitt 2014). Vorschläge zur Operationalisierung angemessener Outcomes stehen jedoch bislang aus. Fazit und Vorschläge zur Bestimmung angemessener Outcomes in der frühpädagogischen Wirkungsforschung Die Analyse von gängigen Outcomes in der frühpädagogischen Wirkungsforschung zeigt, dass für umrissene Förderprogramme und -curricula durchaus Outcomes identifiziert werden können, die den eingangs benannten Anforderungen genügen, insofern sie auf einem Wirkmodell basieren und ihre Ziele mit Bezug auf die Intervention inhärenter und/ oder gesellschaftlich bedeutsamer Ziele expliziert und begründet werden. Bezüglich der Evaluation von Systemen, insbesondere, wenn sie sich an offenen Curricula orientieren, ist die Problematik adäquater Outcomes bislang nicht gelöst. Berechtigterweise wird gegenüber der (verbreiteten) Verwendung von dekontextualisierten und auf einzelne Funktionsbereiche eingeschränkten Outcomes kritisch eingewandt, dass dies weder der breiten Zielsetzung dieser Systeme bzw. Curricula gerecht wird, noch in gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen legitimiert wurde (z. B. Bundesarbeitsgemeinschaft Elterninitiativen et al. 2016; Urban/ Swadener 2016). Es hieße jedoch, das Kind mit dem Bade auszuschütten, würde man aufgrund der bestehenden Schwierigkeiten völlig auf Outcome-orientierte Evaluationen verzichten und sich auf eine Input-Steuerung beschränken (die, wenn auch nicht in Ausschließlichkeit, bspw. von der Bund- Länder-Konferenz hinsichtlich der weiteren Entwicklung und Finanzierung früher Bildung fokussiert wird, BMFSFJ/ Jugend- und Familienministerkonferenz 2016). Schließlich sind die gesellschaftlichen Kosten der Inputs letztendlich durch ihren Nutzen - die Outcomes also - zu legitimieren, und rationale Entscheidungen von Entscheidungsträgern und Praxis für oder gegen eine Intervention sollten sich auch auf empirische Nachweise ihrer Wirksamkeit stützen können. Zielführend erscheint vielmehr eine umfassende, systematische Herangehensweise zur Bestimmung adäquater Outcomes in der frühpädagogischen Wirkungsforschung. Eine unabdingbare Grundlage stellt dabei die Sicherstellung ihrer demokratischen Legitimation dar. Der in der gemeinsamen Stellungnahme zu der geplanten OECD-Studie von Bundesarbeitsgemeinschaft Elterninitiativen, Bundeselternvertretung, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Institut für den Situationsansatz und Pestalozzi-Fröbel-Verband (2016) vorgebrachten Forderung nach einer breiten gesellschaftlichen Diskussion der Ziele früher Bildung ist somit zuzustimmen. Auf der Basis dieser - nicht durch wissenschaftliche Bearbeitung, sondern in gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen zu klärenden - Grundlegitimation sollte die Präzisierung, Operationalisierung und Überprüfung von Outcomes in eine umfassende Strategie einer evidenzbasierten Frühpädagogik eingebettet werden (zu einer solchen Stra- 247 uj 6 | 2017 Wann ist frühe Bildung „gut“? tegie siehe Schmitt/ Morfeld 2017). Denn auch wenn der Begriff „Evidenzbasierung“ häufig andere Assoziationen weckt, so würden im Rahmen einer solchen Strategie gerade nicht fachlich wenig begründete, top-down vorgegebene, über Kontexte hinweg standardisierte Outputs zur Wirksamkeitsprüfung in (vorschnell) durchgeführten kontrollierten Studien herangezogen. Vielmehr umfasst eine evidenzbasierte Strategie auch die systematische Entwicklung adäquater Outcomes, wobei der Entwicklung eines Wirkmodells sowie dem Einbezug der Zielvorstellungen von Stakeholdern eine zentrale Bedeutung zukommt. Bezogen auf die Evaluation der Systeme früher Bildung in Deutschland, deren wesentliches Steuerungsinstrument die Bildungspläne der Länder darstellen, wären im Rahmen einer solchen Strategie folgende Aufgaben zur Entwicklung angemessener Outcome-Kriterien anzugehen. Explikation und fachliche Begründung der Ziele und angenommenen Wirkwege früher Bildung Bislang sind die Ziele früher Bildung in den Bildungsplänen großteils zu vage formuliert, um einer Operationalisierung zugänglich zu sein. So verzichtet ein Teil der Bildungspläne gänzlich auf Zielformulierungen und umreißt lediglich Erfahrungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, die Kindern geboten werden sollten. Der Bestimmung von Outcomes näher steht eine Subgruppe der Bildungspläne, die anzustrebende Kompetenzen in verschiedenen Bildungsbereichen umreißt (ohne jedoch deren angestrebtes Level im Sinne von Bildungsstandards festzulegen) und/ oder sog. Basiskompetenzen wie personale, soziale, emotionale und lernmethodische Kompetenzen benennt. Diese wären jedoch weiter zu explizieren und zu präzisieren, um sie einer empirischen Überprüfung zugänglich zu machen (zu Grundpositionen der Bildungspläne siehe Fthenakis/ Schmitt 2014). Auch hinsichtlich der zugrunde liegenden Wirkmodelle erscheinen die Bildungspläne bislang wenig elaboriert. Zur fachlichen Begründung von Outcomes wären im Weiteren die in den Bildungsplänen impliziten Wirkmodelle zu explizieren und fachlich zu begründen: Welche Wirkungen der frühen Bildung werden durch welche Bedingungen und Interventionen angestrebt? Abstimmung der Outcomes mit Akteursgruppen im Feld In einem weiteren Schritt wäre unter Einbezug verschiedener Akteursgruppen (Kita-Träger, Fachkräfte, Leitungen, Eltern, Kinder) die Akzeptanz der konzeptuellen Vorgaben im Feld zu untersuchen. Zu klären wären die Zielvorstellungen der Akteure, ihre Zielprioritäten, ggf. auch die konzeptuellen Vorgaben ergänzenden bzw. ihnen widersprechende Ziele sowie Vorstellungen zu begünstigenden Ausgangsbedingungen der Zielerreichung. Für diese Fragestellungen eignen sich insbesondere qualitative Methoden, die die jeweiligen Kontexte und Multiperspektivität der Akteure berücksichtigen. Eine Folge derartiger Studien könnte die Vereinbarung von kontextspezifischen Outcomes und von Ressourcen, die zu deren Erreichung zur Verfügung zu stellen sind, sein (bspw. die Priorisierung sprachlicher Kompetenzen in Kitas eines Trägers und die Finanzierung entsprechender Fortbildungen der Fachkräfte). Operationalisierung von Outcomes und deren Verwendung in Wirkungsstudien Auf der Basis der konzeptuellen Präzisierung und Abstimmung mit relevanten Akteursgruppen sollten schließlich die identifizierten Outcomes operationalisiert und entsprechende Erhebungsinstrumente entwickelt und überprüft werden. Die Effektivität der Maßnahme - 248 uj 6 | 2017 Wann ist frühe Bildung „gut“? bspw. der Implementierung eines Bildungsplans - könnte dann unter Heranziehung fachlich fundierter und in der Praxis akzeptierter Outcomes summativ evaluiert werden. Ein solches mehrstufiges Verfahren ist zugegebener Maßen sehr arbeits- und kostenintensiv. Gleichwohl erscheint es ein lohnendes Vorhaben, da es, verglichen mit Wirkungsstudien unter Verwendung dekontextualisierter und konzeptuell unzureichend fundierter Outcomes, für das jeweilige System und seine Zielvorstellungen relevante Erkenntnisse produzieren kann, die vermutlich eine größere Akzeptanz im Feld erfahren würden. Prof. Dr. Annette Schmitt Fachbereich Angewandte Humanwissenschaften Hochschule Magdeburg-Stendal/ Standort Stendal Osterburger Str. 25 39576 Hansestadt Stendal Tel. (0 39 31) 21 87-48 23 E-Mail: annette.schmitt@hs-magdeburg.de Literatur Anders, Y. 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