unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Logische Modelle als Chance für Partizipation und Nachhaltigkeit in der Evaluation kriminalitätspräventiver Projekte
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Annalena Yngborn
Wirkungen in kriminalitätspräventiven Projekten darzustellen, gestaltet sich oft schwer. Die pädagogische Praxis dieser Projekte ist meist situations- und kontextbezogen gestaltet, und das implizite, praxisbezogene Wissen der Fachkräfte in Evaluationen bleibt nicht selten im Verborgenen. Das Instrument des Logischen Modells bietet hier einen Ausweg.
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411 unsere jugend, 69. Jg., S. 411 - 420 (2017) DOI 10.2378/ uj2017.art62d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Dr. Annalena Yngborn Jg. 1975; Dipl.-Sozialwissenschaftlerin, Wissenschaftliche Referentin der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention am Deutschen Jugendinstitut in München Logische Modelle als Chance für Partizipation und Nachhaltigkeit in der Evaluation kriminalitätspräventiver Projekte Wirkungen in kriminalitätspräventiven Projekten darzustellen, gestaltet sich oft schwer. Die pädagogische Praxis dieser Projekte ist meist situations- und kontextbezogen gestaltet, und das implizite, praxisbezogene Wissen der Fachkräfte in Evaluationen bleibt nicht selten im Verborgenen. Das Instrument des Logischen Modells bietet hier einen Ausweg. Von 2009 bis 2011 wurde am Deutschen Jugendinstitut (DJI) in München in der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention das Forschungsprojekt „Das Logische Modell als Instrument der Evaluation in der Kriminalitätsprävention im Kindes- und Jugendalter“ durchgeführt, das durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert wurde (vgl. Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention o. J.). Fünf Jahre später ist mit den am Forschungsprojekt beteiligten Fachkräften eine Nachbefragung durchgeführt worden, um zu erfahren, was die Fachkräfte im Rückblick über das Instrument des Logischen Modells und dessen Nutzen für die eigene Arbeit zu berichten haben. Wie das Forschungsprojekt umgesetzt wurde und welche Bedeutung es für die Fachkräfte fünf Jahre später hat, ist Gegenstand dieses Artikels. Die Ausgangssituation und das Ziel des Forschungsprojektes „Logische Modelle“ Ausgangspunkt des Forschungsprojektes am DJI war die Frage danach, wie man kriminalitätspräventive Projekte für Kinder und Jugendliche angemessen evaluieren kann (ausführlicher Yngborn/ Hoops 2018, i. E.). Die Herausforderung bestand darin, dass es sich bei kriminalitätspräventiven Angeboten, die sich an die betreffende Altersgruppe richten, in der Regel um sog. „wenig formalisierte settings“ handelt (Lüders/ Haubrich 2007, 140), wobei Methoden innerhalb dieser Maßnahmen meist situations- und kontextabhängig eingesetzt werden. Häufig fehlt es bei diesen Projekten aber an klar formulierten Vorstellungen, durch welche Aktivitäten welche Wirkungen bei der Zielgruppe ermöglicht werden sollen. Fachkräfte gehen zunächst 412 uj 10 | 2017 Logische Modelle in der Evaluation kriminalpräventiver Projekte vielmehr davon aus, dass alle durchgeführten Aktivitäten in ihrem Zusammenspiel „irgendwie“ zu den intendierten Resultaten führen. Strebt man bei solchen Projekten eine „Ergebnisse bilanzierende Evaluation“ an, kann zwar beobachtet werden, ob bestimmte Resultate nach der Durchführung des Projektes eingetreten sind, aber über das Zustandekommen dieser Resultate weiß man nichts. Wir haben es mit einem Zurechnungsproblem zu tun, da unklar bleibt, inwiefern die jeweils erreichten Resultate auf die durchgeführten Aktivitäten zurückzuführen sind, die dementsprechend in einer „black box“ verbleiben. Im Sinne einer wissensgenerierenden Evaluation, bei der Wissen darüber generiert werden soll, „warum unter gegebenen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen bestimmte Arbeitsformen erfolgreiche Ansätze zur Lösung eines gesellschaftlichen Problems darstellen oder auch nicht“ (Haubrich u. a. 2005, 2), sind aber genau diese Wirkmechanismen von Interesse. Die Idee des Forschungsprojektes war es, das Wissen über die Funktionsweise von Projekten in Bezug auf kriminalitätspräventive Angebote zu rekonstruieren und damit ihre Wirkmechanismen sichtbar zu machen. Und da es die Fachkräfte sind, die das implizite Wissen über die Funktionsweise und Handlungslogik von Projekten besitzen, sollten sie - sofern es um die Beschreibung der pädagogischen Praxis und das „Wirken“ ihrer Praxisprojekte geht - aktiv mit einbezogen werden. Das Instrument des „Logischen Modells“ Um die Funktionsweise eines Projektes realitätsnah und gegenstandsbezogen zu beschreiben, hat sich in den Diskussionen der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention das Konzept des Logischen Modells als vielversprechend - aber im deutschen Sprachraum noch wenig erprobt - herauskristallisiert. Es beruht auf der Annahme, dass Projekte bestimmte Ziele verfolgen und diese auf Basis von Rahmenbedingungen und Ressourcen sowie bestimmten Aktivitäten erreichen, und bildet das Zusammenspiel dieser Projektelemente grafisch ab - im Sinne einer vereinfachenden Darstellung pädagogischer Handlungspraxis. Beim Logischen Modell wird also nicht die gesamte Komplexität pädagogischer Prozesse realitätsgetreu nachgebildet, sondern es bietet einen sortierenden Rahmen, der dabei hilft, die Arbeitsweise eines Projektes zu rekonstruieren.“ Ein Logisches Modell besteht in der Regel mindestens aus folgenden Elementen, von denen angenommen werden darf, dass sie in jedem pädagogischen Projekt enthalten sind (vgl. Beywl/ Niestroj 2009): ➤ Die „Ausgangsbedingungen“ umfassen die Voraussetzungen des Projektes und können noch einmal nach „Kontext“ (Systemumwelt des Projektes wie rechtliche, politische, soziale und kulturelle Aspekte), „Struktur“ (Faktoren, die beim Träger eines Projektes vorliegen, wie Rechtsform, Personalstruktur, Qualitätsmanagement), „Income“ (Ressourcen, mit denen die Jugendlichen in das Projekt hineinkommen) und „Input“ (finanzielle, personale oder andere Ressourcen, die in ein Projekt investiert werden) unterschieden werden. ➤ Die „Aktivitäten“ beziehen sich auf die Handlungen der im Projekt Tätigen, also die praktischen Angebote, wie z. B. soziale Gruppenstunden, Hausaufgabenbetreuung oder Einzelgespräche. Soweit sich die Aktivitäten auf die Ziele des Projektes richten, wird auch von (pädagogischen) Interventionen gesprochen. ➤ Mit „Outputs“ werden parallel dazu die beobachtbaren Leistungen bzw. Produkte bezeichnet, die unmittelbar durch die Aktivitäten in einem Projekt hervorgebracht werden. Das können z. B. die Anzahl der durchgeführten Gruppenstunden, aber auch bestimmte Phasen eines Trainings sein. 413 uj 10 | 2017 Logische Modelle in der Evaluation kriminalpräventiver Projekte ➤ Die „Outcomes“ verweisen demgegenüber auf die intendierten Veränderungen oder Stabilisierungen bei der Zielgruppe eines Projektes und können gegebenenfalls noch einmal in kurz-, mittel- und langfristige Ziele unterteilt werden. Typische „Outcomes“ sind z. B. erweiterte soziale Kompetenzen oder eine verbesserte Selbst- und Fremdwahrnehmung. ➤ Als letztes Glied der Wirkungskette stehen die sog. „Impacts“. Sie bezeichnen die resultierenden (längerfristigen) Veränderungen sozialer Systeme, die durch das Projekt ausgelöst wurden. Dass Impacts durch bestimmte Projektaktivitäten ausgelöst werden, ist empirisch allerdings schwer nachzuweisen. Die Struktur eines einfachen Logischen Modells mit den eben beschriebenen fünf Elementen ist in Abbildung 1 zu sehen. Das Modell stellt die Grundelemente eines pädagogischen Projektes in ihrer typischen Abfolge dar und dient als Strukturierungshilfe und Heuristik, mit deren Hilfe das Zusammenspiel der einzelnen Projektelemente visualisiert und dessen Funktionsweise rekonstruiert werden kann. Mit seinen in Abbildung 1 vorgestellten „aufmerksamkeitsleitenden Kategorien“ soll das Logische Modell so dabei helfen, Antworten auf die folgenden Fragen zu geben (vgl. Lüders 2010): ➤ Wie funktioniert die Maßnahme? Was sind die beabsichtigten kurz-, mittel- und längerfristigen Ziele bzw. Effekte der Maßnahme? ➤ Wie ist die Maßnahme angelegt, um diese jeweils zu erreichen? Aus welchen wesentlichen Elementen besteht die Maßnahme? ➤ Welcher innere Zusammenhang (Aufbau und Abläufe) besteht zwischen diesen Elementen? ➤ Ist die Maßnahme nachvollziehbar bzw. plausibel? Um diese Fragen zu beantworten, gilt es, die Kategorien mit den projektbezogenen Inhalten zu füllen, wobei sich - wie im Folgenden auch zu sehen sein wird - das Logische Modell in seiner Struktur und Abbildung verändern kann. Zu berücksichtigen ist hier auch die Tatsache, dass es sich bei der pädagogischen Praxis in der Regel nicht um einen linearen Prozess handelt - wie in Abbildung 1 suggeriert -, sondern Rückkopplungsschleifen, das heißt das Wiederholen einzelner Aktivitäten, möglich und unter Umständen notwendig sind. Insofern sind den Logischen Modellen, was die Abbildung des Projektes in der Praxis angeht, keine Grenzen gesetzt, um das Ziel zu erreichen, zentrale Elemente des Projektes gegenstandsbezogen zu beschreiben und damit die bisher implizit gebliebene pädagogische Strategie gleichsam zu „entschlüsseln“. Abb. 1: Eigene Darstellung eines einfachen Logischen Modells Aktivität a Aktivität x Aktivität y RESULTATE DES PROGRAMMS Output a Output x Output y Outcome a Outcome x Outcome y Impact a Impact x Impact y Kontext Struktur Income Input Ausgangsbedingungen Aktivitäten Outputs Outcomes Impacts ... ... ... ... 414 uj 10 | 2017 Logische Modelle in der Evaluation kriminalpräventiver Projekte Wie gestaltete sich die Erstellung der Logischen Modelle in dem Forschungsprojekt des DJI genau und welche Rolle spielten die Fachkräfte dabei? Die Vorgehensweise im Forschungsprojekt „Logische Modelle“ Die Möglichkeiten und Grenzen des Logischen Modells kennend, erprobte das Forschungsprojekt, inwieweit sich das Instrument des Logischen Modells auf Praxisansätze der Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention und damit im Kontext von wenig formalisierten Settings anwenden lässt bzw. inwieweit sich dessen Einsatz im Rahmen einer Evaluation bewährt. Aus diesem Grund bestand das Forschungsprojekt aus zwei Phasen: Zunächst wurden Logische Modelle ausgewählter kriminalitätspräventiver Maßnahmen rekonstruiert und „angereichert“ und anschließend eine wirkungsorientierte Evaluation durchgeführt, die sich auf die erstellten Logischen Modelle stützte. Für die Rekonstruktion Logischer Modelle - also die Darstellung der pädagogischen Praxis in dem Modell - kann grundsätzlich auf unterschiedliche Wissensquellen zurückgegriffen werden: Infrage kommen bereits vorhandene empirische Befunde, wissenschaftliche Theorien oder das Erfahrungswissen von ExpertInnen. Im Forschungsprojekt war von Beginn an eine Grundüberlegung, dass für die Modellierung der Projektpraxis vor allem auf das - implizite - Wissen jener Fachkräfte zurückgegriffen werden sollte, die in den vom Forschungsprojekt ausgewählten kriminalpräventiven Projekten tätig waren. Diese Entscheidung fußte auf der Überzeugung, dass die Fachkräfte die ExpertInnen für ihre Praxis sind: Sie wissen am besten, mit welchen Adressatinnen und Adressaten sie jeweils arbeiten, was sie jeden Tag tun und welche Ziele sie mit ihrem pädagogischen Handeln jeweils erreichen wollen und können. Durch den aktiven Einbezug der Fachkräfte - so die Annahme im Forschungsprojekt - würde also eine möglichst realitätsnahe Abbildung der Projektpraxis im Logischen Modell und damit auch eine stark gegenstandsbezogene Evaluation ermöglicht. Um den Einsatz von Logischen Modellen unter verschiedenen Bedingungen zu erproben, sind drei strukturell sehr unterschiedlich gelagerte Praxisansätze ausgewählt worden: ein Anti- Aggressivitätstraining für gewaltauffällige Mädchen, eine soziale Gruppenarbeit für strafunmündige Kinder und ein erzieherischer Jugendarrest für männliche Straftäter. Diese Praxisprojekte unterschieden sich hinsichtlich ihrer Reife (innovative/ reife Projekte), ihrer Zielgruppe (Kinder/ Jugendliche, Jungen/ Mädchen) und hinsichtlich ihres Ansatzes (einzelfall-/ gruppenorientiert). Mit den Fachkräften aus der Praxis wurde das Vorgehen im Forschungsprojekt vorab offengelegt. Dazu gehörte auch, dass die Erwartungen, die beide Seiten an das Forschungsprojekt hatten, ausführlich besprochen wurden: Das DJI erhoffte sich Einblicke in die pädagogische Praxis der Ansätze, die Fachkräfte erhielten im Gegenzug eine wissenschaftliche Begleitung ihrer Praxisprojekte und gegebenenfalls anschließend eine Wirkungsevaluation. Wichtig für beide Seiten war darüber hinaus, dass die Ergebnisse des Forschungsprojektes unabhängig vom Fortbestand der Praxisprojekte standen und die Teilnahme an der Entwicklung der Logischen Modelle für alle Fachkräfte grundsätzlich freiwillig war. Da die Fachkräfte als die ExpertInnen für ihre pädagogische Praxis betrachtet wurden, fand die Erstellung und Weiterentwicklung der Logischen Modelle in enger Zusammenarbeit mit ihnen und in der Regel an den Projektstandorten selbst statt. Während dieser Treffen wurde dann die Logik des eigenen Projektes so rekonstruiert, dass diese pädagogisch nachvollziehbar erschien und sich außerdem den unterschiedlichen Komponenten des Logischen Modells zuordnen ließ. Dieses partizipative Verfahren umfasste mehrere eintägige Sitzun- 415 uj 10 | 2017 Logische Modelle in der Evaluation kriminalpräventiver Projekte gen pro Projektstandort, die von den Beteiligten als „rekonstruktive Werkstätten“ verstanden wurden. Dabei war wichtig, dass die Sichtweisen der Fachkräfte als ExpertInnen ihrer eigenen Praxis zunächst immer im Vordergrund standen und erst in einem zweiten Schritt von den WissenschaftlerInnen des DJI aufgegriffen, d. h. immer wieder reflektiert, kommentiert und gemeinsam diskutiert wurden. Diese sogenannte „Bottom-up“-Strategie erschien auch sinnvoll, weil es im Prozess der Modellierung um mehr als das bloße Ausfüllen der einzelnen Kategorien geht. Das Logische Modell sollte vielmehr das Ergebnis von Aushandlungsprozessen und Überarbeitungsschleifen zwischen Fachkräften undWissenschaftlerInnen darstellen, in denen die das Praxisprojekt bestimmende Logik Schritt für Schritt herausgearbeitet wird. Ein Praxisbeispiel: Das Logische Modell des Kölner Anti-Gewaltprogramms für Mädchen (KAPM) Im Folgenden wird das Kölner Anti-Gewaltprogramm für Mädchen (KAPM) kurz dargestellt, um daran anschließend den Blick auf das fertig entwickelte Logische Modell des Projektes zu richten. Das KAPM wird seit 2004 bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Köln angeboten. Es basiert auf den Grundzügen des klassischen Anti-Aggressions-Trainings und wird dort von den pädagogischen Fachkräften als eine delikt- und defizitspezifische sozialpädagogisch-psychologische Maßnahme für Gewalttäterinnen bezeichnet. In dieser wird das Prinzip verfolgt, die Persönlichkeit der Jugendlichen zu achten und wertzuschätzen, aber gleichzeitig ihre Gewaltbereitschaft und ihr Gewaltverhalten zu verurteilen. Das KAPM ist ein Angebot der Jugendhilfe und wird von der Stadt Köln finanziert. Am KAPM in Köln nehmen Mädchen zwischen 15 und 21 Jahren teil. Der Großteil der Teilnehmerinnen ist auf Grundlage einer richterlichen Weisung dazu verpflichtet, das Training zu absolvieren, nachdem sie wegen Körperverletzungsdelikten verurteilt worden sind. In einigen Fällen erhalten die Mädchen von Heimen oder Schulen die Aufforderung, das Training zu besuchen. Vereinzelt nehmen die Mädchen auch freiwillig am Training teil. Betrachtet man die pädagogische Arbeit, so setzt sich das KAPM inhaltlich aus drei Blöcken zusammen: Vor dem eigentlichen Beginn der Maßnahme nehmen alle Mädchen an einem Aufnahmegespräch teil. Dieses Gespräch dient dem Kennenlernen und der Vorbereitung auf die Teilnahme am KAPM. Bis zum Beginn der Gruppenarbeit werden die Mädchen außerdem zu regelmäßig stattfindenden Einzelgesprächen eingeladen. Auf diese Weise soll der Kontakt bis zum Gruppenbeginn erhalten bleiben, aber auch der Vertrauensaufbau zwischen den Mädchen und den Fachkräften gefördert werden. Die Gruppenarbeit stellt schließlich das Kernstück des KAPM dar. Sie findet über einen Zeitraum von ca. einem halben Jahr an 20 Nachmittagen in den Räumlichkeiten der AWO statt und dauert jeweils vier Stunden. Doch wie gestaltete sich das Logische Modell des KAPM, das heißt wie ist die pädagogische Praxis unter Berücksichtigung der zuvor vorgestellten Kategorien dargestellt worden? Das erste Modell des KAPM bildete einen Gesamtüberblick über das Praxisprojekt ab, auf dem die Ausgangsbedingungen, die zentralen Aktivitätsbereiche des Projektes und die dadurch intendierten Resultate aufgezählt wurden, aber noch wenig Wirkmechanismen zu erkennen waren. Auf Wunsch der Fachkräfte konzentrierte sich die Weiterentwicklung des Logischen Modells im weiteren Verlauf des Forschungsprojektes auf die „Gruppenarbeit“, da hier ihrer Aussage nach die eigentliche pädagogische Arbeit stattfindet. Darüber hinaus hatten die Fachkräfte in Bezug auf diesen Bereich das 416 uj 10 | 2017 Logische Modelle in der Evaluation kriminalpräventiver Projekte Abb. 2: Eigene Darstellung des Logischen Modells KAPM (Januar 2010), Endversion C1 Selbstwirksamkeit/ Erkennen eigener Handlungsmöglichkeiten C2 Erhöhtes Selbstwertgefühl C3 Realistische Selbsteinschätzung A1 Probleme benennen A2 Alternativen zur Gewalt generell erkennen A3 Gewaltfreiheit wird persönliche Möglichkeit A4 Anwendung alternativer Konfliktlösestrategien B1 Wahrnehmen eigener Gefühle/ Bedürfnisse/ Grenzen B2 Ernstnehmen eigener Gefühle/ Bedürfnisse/ Grenzen B3 Gefühle/ Grenzen bei anderen wahrnehmen B4 Fremde Grenzen häufiger akzeptieren G1 Erkennen von Gewalt G2 Rechtfertigungen für Gewalt nehmen ab V Verantwortungsübernahme Z Reduzierung des Gewaltverhaltens K ö r p e r a r b e i t K ö r p e r a r b e i t Förderung positiven Verhaltens Arbeit an der Persönlichkeit 417 uj 10 | 2017 Logische Modelle in der Evaluation kriminalpräventiver Projekte größte Interesse daran zu erfahren, wie und ob ihre Arbeit mit den Mädchen „funktioniert“. Aus diesem Grund sind im Abschlussmodell des KAPM die Outcomes, also die intendierten Resultate der Maßnahme, in einem differenzierten System dargestellt, wie in Abbildung 2 zu sehen. Zu erkennen ist in dem Modell, auf welche Weise die Zielerreichung der Mädchen in der Gruppenarbeit des KAPM erfolgt und vorangetrieben wird. Die drei Ziel-Stränge „Erlernen alternativer Konfliktlösungsstrategien“ (Strang A), die „Entwicklung von Empathiefähigkeit“ (Strang B) und die „Persönlichkeitsentwicklung“ (Strang C) bilden die drei Ebenen ab, auf denen die Mädchen ihre Entwicklungen vollziehen müssen, um die beiden Outcome-Ziele des Projektes, die„Verantwortungsübernahme“ (V) und die „Reduzierung des Gewaltverhaltens“ (Z), zu erreichen. Die einzelnen Ziele auf den drei Strängen (gekennzeichnet durch die Zahlen von 1 bis 3 bzw. 1 bis 4) verdeutlichen, dass die Entwicklung bzw. Veränderung der Mädchen schrittweise erfolgt: So geht es zu Beginn der Maßnahme nach Auskunft der Fachkräfte im Wesentlichen um das „Erkennen von Gewalt“ (G1, vgl. erster grau hinterlegter Bereich). Wenn dieses Teilziel erreicht ist, wird das zweite Teilziel der Maßnahme, „Rechtfertigungen für Gewalt nehmen ab“ (G2), angestrebt, wobei erst in diesem Zusammenhang der Strang C, also die „Persönlichkeitsentwicklung“ (vgl. zweiter grau hinterlegter Bereich), Teil der Arbeit mit den Mädchen ist. Die Kategorie der Aktivitäten ist in dem Logischen Modell insofern berücksichtigt worden, als dass die „Förderung positiven Verhaltens“ und die „Arbeit an der Persönlichkeit“ als die beiden zentralen pädagogischen Interventionen des Projektes rekonstruiert wurden, die von der Körperarbeit, die eine eher rahmende Funktion innerhalb der Gruppenarbeit innehat, begleitet werden. Dass die beiden Aktivitäten den Hintergrund des Outcome-Systems darstellen, bildet zudem ab, dass sie von den Fachkräften in unterschiedlichen Facetten durchgehend zur Zielerreichung eingesetzt werden. Die Spirale in der Mitte des Modells symbolisiert, dass die Gruppendynamik und damit die in der Gruppenarbeit geäußerten Positionen der einzelnen Mädchen, einen besonderen Anteil an den Entwicklungen der Mädchen haben. Dieses Logische Modell bildete im Forschungsprojekt des DJI die Grundlage für eine wirkungsorientierte Evaluation des KAPM, die im Anschluss an die Modellierung der pädagogischen Praxis durchgeführt wurde. Dabei wurde das zuvor erstellte Logische Modell genutzt, um den Evaluationsgegenstand einzugrenzen und aus dem Modell heraus die Fragestellungen der Wirkungsevaluation zu entwickeln. Untersucht werden sollte im Rahmen dieser Evaluation schließlich, inwiefern das KAPM zu den von den Fachkräften im Logischen Modell genannten und im Praxisprojekt verfolgten intendierten Resultaten führt. Fünf Jahre nach Abschluss des Forschungsprojektes: Was sagen die Fachkräfte dazu? Um zu erfahren, was die Fachkräfte im Rückblick über das Logische Modell zu berichten haben und wie sie die Einsatzmöglichkeiten des Instruments einschätzen, wurde vom DJI in der Zeit von Juni bis August 2016, also fünf Jahre nach Beendigung des Forschungsprojektes, eine Nachbefragung mit den Fachkräften durchgeführt, die sich gezielt den Themen „Nutzung des Logischen Modells“, „partizipativer Ansatz“, „fachliches Handeln/ Wirksamkeit“ und „Bewertung des Logischen Modells“ widmete (vgl. Yngborn 2017). Die insgesamt sechs Interviews waren leitfadenorientiert, sie wurden am Telefon geführt, aufgenommen, transkribiert und inhaltsanalytisch ausgewertet. Über die Ergebnisse kann Folgendes berichtet werden. 418 uj 10 | 2017 Logische Modelle in der Evaluation kriminalpräventiver Projekte Nutzung des Logischen Modells Die Frage, ob und inwiefern das Logische Modell in den Praxisprojekten noch genutzt wird, wurde von den Fachkräften überwiegend positiv beantwortet. So dient es z. B. sowohl „als mikroskopischer Blick“ auf die eigene Arbeit als auch als „Überblick über Veränderungsprozesse“ in der Zielgruppe. Auch wird das Logische Modell „bei der Planung der Gruppenstunden“ verwendet. Die im Logischen Modell dargestellte Struktur der pädagogischen Praxis hat sich bei einer Fachkraft in Form einer „Denklogik“ verinnerlicht, die sie „schon ein Stück automatisiert“ auf ihre Gruppenstunden hin anwendet. Erkennbar wird dadurch z. B., ob die einzelnen Übungen die Zielgruppe erreichen (oder auch nicht). Auch jene Fachkräfte, die zwischenzeitlich in anderen Arbeitsbereichen tätig sind und bei denen das vor fünf Jahren entwickelte Logische Modell nicht mehr aktiv in Nutzung ist, geben an, dass sie noch heute von den Erfahrungen, die sie im Forschungsprojekt mit der Entwicklung der Logischen Modelle gemacht haben, profitieren. So berichtete z. B. eine Fachkraft, dass sie durch das Logische Modell einen „realistischen Blick“ auf die eigene Arbeit und deren Ziele bekommen habe und einschätzen könne, wo gegebenenfalls nachgebessert werden müsse. Das Logische Modell bewirke hier, „genauer hinzugucken“, so die Fachkraft. Partizipation Ein weiterer Fragenkomplex bezog sich auf die Art und Weise, wie die Logischen Modelle zusammen mit den WissenschaftlerInnen des DJI entwickelt wurden. Nach Meinung einer Fachkraft war das abgestimmte Vorgehen zwischen Fachkräften und WissenschaftlerInnen sehr positiv, da es „individuell auf uns zugeschnitten war und sehr praktikabel im Alltag“ ist. Dadurch, dass man sich das Logische Modell „selbst erarbeitet“ habe, sei es nun möglich, das Modell auch eigenständig und ohne Anleitung von außen anzuwenden. Darüber hinaus wurde die gegenseitige Unterstützung von Theorie und Praxis, wie sie im partizipativen Ansatz angedacht ist, als „sehr, sehr hilfreich“ empfunden. Durch den „anderen Blick“ vonseiten der WissenschaftlerInnen des DJI sei man als Fachkraft in die Lage hineinversetzt worden, Althergebrachtes im eigenen Projekt, das womöglich in dieser Form nicht mehr verwendet oder eingesetzt wird - die sogenannten „blind spots“ -, neu zu hinterfragen und zu überdenken. Fachliches Handeln/ Wirksamkeit Darüber hinaus bezog sich eine weitere Frage auf den Aspekt, ob und inwiefern die Arbeit mit dem Logischen Modell den Blick der Fachkräfte auf ihr fachliches Handeln bzw. auf die Wirksamkeit ihrer Arbeit verändert habe. Zwei Fachkräfte antworteten, dass sie seit ihrer Mitarbeit am Forschungsprojekt „mehr Sicherheit und Gelassenheit im Umgang mit der Klientel“ verspüren und die Arbeit dadurch „intensiver und beziehungsorientierter“ erleben würden: Durch das Logische Modell und den„mikroskopischen Blick“ auf die Zielgruppe sei man in der Lage, selbst „ganz kleine Veränderungen“ zu erkennen und die eigene Arbeit auf diese Veränderungen hin differenziert zu gestalten und abzustimmen. Eine andere Fachkraft bemerkte, dass die pädagogische Arbeit nun „weniger auf den schnellen Effekt“ angelegt sei; man würde den Prozessen mehr Zeit lassen „um zu wirken“, womit die Arbeit„sehr viel wirksamer, nachhaltiger“ erlebt wird. Eine Erkenntnis aus dem Forschungsprojekt war es, dass die im Logischen Modell dargestellte Praxis nicht als ein linearer Prozess verstanden werden kann, sondern Rückkopplungsschleifen ein sinnvoller und wichtiger Bestandteil der pädagogischen Praxis sind. Dazu berichtete eine Fachkraft, dass ihre Erfahrung mit Logischen Modellen ein „Lernprozess“ gewesen sei, dass sie „Schleifen“ in der eigenen Arbeit nun besser akzeptieren und damit um- 419 uj 10 | 2017 Logische Modelle in der Evaluation kriminalpräventiver Projekte gehen könne und diesen Prozess inzwischen nicht als Problem, sondern als Selbstverständlichkeit pädagogischen Handelns ansehe. Bewertung des Logischen Modells In einem letzten Fragenkomplex wurden die Fachkräfte nach ihrer rückblickenden Bewertung des Logischen Modells befragt. Die Meinungen waren hier zu einem großen Teil sehr positiv: das Logische Modell sei „super-praktikabel“, gerade weil es sich auf unterschiedliche Arten - ob als differenziertes Bild oder in Form einer „Denklogik“ - anwenden ließe; darüber hinaus sei es „sehr hilfreich im Alltag und auch in der Kommunikation, z. B. mit Geldgebern“, weil im Logischen Modell nicht nur die im Projekt angestrebten Ziele angegeben werden, sondern auch verbildlicht wird, wie sie erreicht werden können. Negativ bemerkt wurde, dass die Entwicklung von Logischen Modellen „sehr zeitintensiv und sehr personalintensiv“ sei und es „viel Unterstützung, Einarbeitung, Zeit, Motivation und Reflexionsbereitschaft“ brauche. Ein weiterer Kritikpunkt waren die „sperrigen Begrifflichkeiten“, mit denen die unterschiedlichen Kategorien des Logischen Modells bezeichnet werden. In eine ähnliche Richtung gehen die Antworten in Bezug auf die Frage, ob die Fachkräfte das Logische Modell in ihrem Arbeitsumfeld empfehlen und/ oder für sinnvoll erachten. Grundsätzlich „ja“, so die Fachkräfte, allerdings bestehe die Hürde der „immer mal wieder wechselnden Kollegen“, dass das „klassische Logische Modell“ in der Theorie nicht so einfach zu verstehen sei oder das Problem der fehlenden Unterstützung durch Dritte bei der Entwicklung der Logischen Modelle. Zwei Fachkräfte berichteten demgegenüber, dass sie ihrerseits angeboten haben, Kollegen und Kolleginnen aus ihrem Arbeitsumfeld in der Entwicklung von Logischen Modellen zu unterstützen. Zusammenfassung und Fazit Die Erfahrungen aus dem Forschungsprojekt haben gezeigt, dass es mit dem Instrument des Logischen Modells möglich ist, die pädagogische Praxis in ihren Wirkbeziehungen abzubilden und die Wirkungen damit sichtbar zu machen. Darüber hinaus kann die Anwendung des Logischen Modells einen wesentlichen Beitrag zur Professionalisierung der Fachpraxis leisten. Diese wird maßgeblich durch ein partizipatives Vorgehen in der Modellierung gefördert: Das aktive Mitwirken der Fachkräfte am Entstehungsprozess der Logischen Modelle führte im Forschungsprojekt dazu, dass die Fachkräfte sich das Logische Modell für ihre Arbeit nutzbar gemacht haben, in ihren Arbeitsfeldern eigenständig anwenden und davon profitieren. Dr. Annalena Yngborn Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention Deutsches Jugendinstitut München Nockherstraße 2 81541 München Tel. (089) 6 23 06-3 30 E-Mail: yngborn@dji.de Literatur Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention: weiterführende Informationen zum Projekt „Logische Modelle“ in: http: / / www.dji.de/ ueber-uns/ projekte/ projekte/ das-logische-modell-als-instru ment-der-evaluation-in-der-kriminalitaetspraeven tion-im-kindes-und-jugendalter.html und zur Arbeits stelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention in: http: / / www.dji.de/ index.php? id=405, 26. 7. 2017 420 uj 10 | 2017 Logische Modelle in der Evaluation kriminalpräventiver Projekte Beywl, W., Niestroj, M. (2009): Das A-B-C der wirkungsorientierten Evaluation. Glossar - Deutsch/ Englisch - der wirkungsorientierten Evaluation. Univation, Köln Haubrich, K., Holthusen, B., Struhkamp, G. (2005): Evaluation - einige Sortierungen zu einem schillernden Begriff. In: Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention (Hrsg.): Evaluation in der Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention. Eine Dokumentation 9. DJI, München, 35 - 43 Holthusen, B., Lüders, C. (2003): Evaluation von Kriminalitätsprävention - eine thematische Einführung. In: Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention (Hrsg.): Evaluierte Kriminalitätsprävention in der Kinder- und Jugendhilfe. Erfahrungen und Ergebnisse aus fünf Modellprojekten 7. DJI, München, 9 - 30 Lüders, C., Haubrich, K. (2007): Evaluation in wenig formalisierten pädagogischen Settings. In: Glaser, M., Schuster, S. (Hrsg.): Evaluation präventiver Praxis gegen Rechtsextremismus - Positionen, Konzepte und Erfahrungen. DJI, München, 136 - 149 Lüders, C. (2010): Neue Wege der Evaluation gewalt- und kriminalpräventiver Maßnahmen und Projekte. Das Logische Modell als Instrument der Evaluation in der Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention. Berliner Forum Gewaltprävention 41, 127 - 139 Yngborn, A. (2017): Forschungsprojekt „Logische Modelle“: zentrale Ergebnisse der Nachbefragung „fünf Jahre später“ (2016). In: www.dji.de/ fileadmin/ user_ upload/ jugendkriminalitaet/ AktualisierungLog Mod_Nachbefragung.pdf, 6. 4. 2017 Yngborn, A., Hoops, S. (2018, i. E.): Das Logische Modell als Instrument der Evaluation in der Kriminalitätsprävention im Kindes- und Jugendalter. In: Nationales Zentrum für Kriminalprävention (NZK): Evidenzorientierte Kriminalprävention in Deutschland - Ein Leitfaden für Politik und Praxis. VS, Wiesbaden
