eJournals unsere jugend 69/2

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2017.art09d
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2017
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Lernwelten - Lebenswelten: Widersprüche oder Gemeinsamkeiten?

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2017
Erich Hollenstein
Frank Nieslony
Wird von der Schule gesprochen, haben sich die Begriffe „Lernwelt“ und „Lebenswelt“ fest etabliert. Häufig stellt die Lebenswelt dann einen Kontrapunkt dar, der die Schule mit ihrem Lernpensum für Kinder und Jugendliche erst erträglich macht. Aber so einfach ist das nicht. Denn Lernen findet im erstaunlichen Umfang auch in der Lebenswelt statt.
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50 unsere jugend, 69. Jg., S. 50 - 56 (2017) DOI 10.2378/ uj2017.art09d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Lernwelten - Lebenswelten: Widersprüche oder Gemeinsamkeiten? Wird von der Schule gesprochen, haben sich die Begriffe „Lernwelt“ und „Lebenswelt“ fest etabliert. Häufig stellt die Lebenswelt dann einen Kontrapunkt dar, der die Schule mit ihrem Lernpensum für Kinder und Jugendliche erst erträglich macht. Aber so einfach ist das nicht. Denn Lernen findet im erstaunlichen Umfang auch in der Lebenswelt statt. von Prof. Dr. Erich Hollenstein Jg. 1945; Hochschule Hannover, Fakultät Diakonie, Gesundheit, Soziale Arbeit. Arbeitsschwerpunkte: Sozialisation, Erziehung und Bildung, Kinder- und Jugendhilfe, Schulsozialarbeit (seit 2009 im Ruhestand). Lernwelten - Lebenswelten: Widersprüche oder Gemeinsamkeiten? Im institutionalisierten pädagogischen Alltag der Schule wird, vereinfachend gesagt, zum einen die durchorganisierte, kognitiv ausgerichtete und curricular eingebettete formale Lernwelt, zum anderen die von Schülerinnen und Schülerinteressen altersgemäße sozialemotional ausgerichtete Lebenswelt gelebt und erlebt. Jugendhilfe und Schule haben sich nach langen und noch keineswegs erledigten Verständigungsprozessen in ihren Bemühungen um schulformbezogene Zusammenarbeit zumindest auf oft sich ergänzende Arbeitsbereiche eingelassen. Diese Zusammenarbeit besitzt für die Jugendhilfe eine Handlungsgrundlage, die sich an der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler orientiert. Dies betrifft die vielfältigen Anstrengungen der Sozialen Arbeit in der Schule ganz allgemein, insbesondere aber das Handlungsfeld der Schulsozialarbeit. „Lebensweltbeauftragte“ in der Schule sind längst keine Fremdkörper mehr und werden von allen hier Beteiligten akzeptiert. So zeigt eine Forsa-Umfrage zur Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen, dass der Einsatz von Schul- Prof. Dr. Frank Nieslony Jg. 1949; Ev. Hochschule Darmstadt. Arbeitsschwerpunkte: Sozialadministration/ Soziale Dienste, Jugendhilfe und Schule, Schulsozialarbeit, Sozial- und Jugendhilfeplanung, Geschlechteridentität und Soziale Arbeit (seit 2014 im Ruhestand) 51 uj 2 | 2017 Lernwelten - Lebenswelten sozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern sowie Psychologinnen und Psychologen von 89 Prozent der Lehrkräfte für unabdingbar gehalten wird (Westfälische Nachrichten 2016). Die immer noch zur Debatte stehende Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule scheint also auf einem guten Weg zu sein. Diese Bemühungen sind begrüßenswert, die Frage bleibt, ob die Aufteilung in Lernwelt und Lebenswelt nicht zu einfach ist. Denkbar ist, dass Lernen nicht nur eine Unterrichtsqualität besitzt, sondern ebenso in der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler stattfindet. Eine breite Palette von Argumenten und Befunden verweist auf eine erhebliche Durchdringung der Lern- und Lebenskontexte, deren Kenntnisnahme die Kooperationsbereitschaft der genannten Berufsgruppen erhöhen und auch ausbildungsspezifische Konsequenzen nach sich ziehen müsste. Gründe dafür finden sich in den außerunterrichtlichen non-formalen Lern- und Bildungsprozessen, die seitens der Jugendhilfe, anderer Organisationen und Vereine angeboten werden. Hinzu kommt eine verstärkte Aufmerksamkeit gegenüber informellen Lernprozessen, die sowohl in der Unterrichtswelt wie auch in der Lebenswelt stattfinden. Auch die Schule selbst besitzt ein verschränktes Lern- und Bildungssetting im Sinne einer schulinternen Bildungslandschaft, wobei das formale Lernen zweifellos dem Unterricht vorbehalten ist. Dies ist beispielsweise vor dem Hintergrund der Ganztagsschulentwicklung zu sehen, in der der Zielkomplex Ganztagsbildung die Anstrengungen umfasst, Unterrichts- und Lebenswelt nicht auseinanderfallen zu lassen. Darauf verweist auch Coelen (2014, 40), der in einer bildungstheoretischen Terminologie von Bildungsorten (z. B. Schule) und Lernwelten spricht. Bildungsorte und Lernwelten bedürfen hiernach ebenfalls der außer- und innerschulischen Vernetzung. Die folgenden Ausführungen werden jedoch im begrifflichen Kontext der Jugendhilfe diskutiert, nicht zuletzt deshalb, weil dort die Lebenswelt eine nicht hintergehbare Leitkategorie darstellt. Ausgehend von der Beobachtung genereller Vernachlässigungen informeller Lernprozesse sollen Schnittmengen zwischen Lern- und Lebenswelten aus der sozialpädagogischen Perspektive aufgezeigt werden. Die Ausgangslage Gelegentlich wird die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler als eine Gegenwelt zur Unterrichtswelt gesehen (vgl. Krüger/ Hoffmann 2016, 580f ). Angemessener erscheint es aber, schuldistanzierende Einstellungen und/ oder abweichendes Handeln bei einzelnen Schülerinnen und Schülern wie auch bei Schülergruppen zu vermuten. Diese sicherlich vorhandenen Schließungstendenzen zwischen Unterrichts- und Lebenswelt sollen hier nicht weiter thematisiert werden. In die Aufmerksamkeit rücken jetzt die vorhandenen Öffnungen in der schulischen Unterrichts- und Lebenswelt: Pausenzeiten, Freizeit, außerunterrichtliche Angebote und Aktivitäten. Diese Räume werden verstärkt und überlagert durch soziale und mediale Netze der Schülerinnen und Schüler, die sozusagen grenzüberschreitend sind. Weitere Öffnungen zwischen Unterricht und außerunterrichtlichen Angeboten zeigen sich in Ganztagsschulen. Positive Wirkungen auf den Unterricht sind festgestellt oder befinden sich hinsichtlich solcher Wirkungen im Modus der plausiblen Erwartung. Ersichtlich ist, dass Annahmen betreffend einer kognitiven Aktivierung durch entsprechende außerunterrichtliche Angebote mit Bezug auf unterrichtliche Lern- und Bildungsprozesse berechtigt sind (Kielblock et al. 2014, 156 - 161). Auch wenn immer wieder auf Forschungslücken bezüglich der Wirkung außerunterrichtlicher Angebote auf den Unterricht verwiesen wird, sind offene Wirkungskorridore zwischen Freizeit-, Sozial- und Kulturangeboten und der Unterrichtswelt festzustellen. Diese Angebote werden zu einem großen Teil von Kooperationspartnern der Schule, insbesondere aber von der Kinder- und Jugendhilfe getragen. Ihr Auftrag besteht u. a. darin, sich an der schulischen Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler zu orientieren und diese zu bereichern. 52 uj 2 | 2017 Lernwelten - Lebenswelten Öffnungen der Bereiche sind also in den institutionell eingerichteten Korridoren zu sehen wie auch im Aktivierungstransfer seitens außerunterrichtlicher Angebote auf kognitive Lernleistungen im Unterricht. Die informelle Lern- und Bildungskompetenz der Schülerinnen und Schüler im Rahmen der Schulzeit findet aber insgesamt zu wenig Berücksichtigung. Gelegentlich werden die Familien oder Kindertagesstätten als informelle Lernorte thematisiert, und das Erlernen der Sprache im frühen Kindesalter belegt diese Auffassung. Die informellen Lerngegebenheiten in der Schule hingegen werden kaum thematisiert. Es gilt deshalb, die Aufmerksamkeit speziell auf informelle Prozesse in der Schule zu lenken wie sie z. B. innerhalb von schulischen Peergruppen vorfindlich sind (Kanevski/ von Salisch 2011). In diesem Zusammenhang sei auf den 14. Kinder- und Jugendbericht (2013) verwiesen, der das in Peergruppen vorhandene Lern- und Bildungspotenzial begrifflich mit „Sozialem Kapital“ umschreibt und die Schule, aber auch die dortige Jugendhilfe anmahnt, auf die dort liegenden Ressourcen angemessener zu reagieren. Wenn Soziale Arbeit in der Schule die Anschlussfähigkeit zwischen der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler und der zertifizierenden und selektierenden Unterrichtswelt sicherstellen will (Spies/ Pötter 2009, 43), muss die Kooperation der damit verbundenen Berufsgruppen eine außerordentlich hohe Qualität ausbilden. Formale, non-formale und informelle Bildungsprozesse Bereits der 12. Kinder- und Jugendbericht (2005) hat für den Bereich der Jugendhilfe eine entscheidende Bildungsdiskussion angestoßen, die im Ergebnis den formalen Bildungsrahmen erweitert und non-formale und informelle Bildungsprozesse ausdrücklich einbezieht. Danach können Aktivitäten in der Peergruppe informelle Bildungsprozesse fördern. Non-formale Settings, wie beispielsweise die Jugendarbeit in der Schule, generieren nach diesen Vorschlägen auch non-formale Bildungsprozesse. So sieht Werner Thole „die Kinder- und Jugendhilfe als Feld der Ermöglichung von Bildungserfahrungen durch Bereitstellung von non-formal gerahmten Lernmöglichkeiten“ (2016, 443). Die moderne Bildungstheorie hat ihre Stärke darin, den formalen Bildungsbegriff erweitert und „weich“ (Thole 2016, 442) gezeichnet zu haben. Das führt dazu, dass bildende SchülerInnen nicht nur in ihrer Schüler- und Lernrolle gesehen werden, sondern darüber hinaus als aktive TeilnehmerInnen und GestalterInnen ihrer Lebens- und Erfahrungswelt. Die Entwicklung dieser Bildungsauffassung hat aber die Schwäche, dass eine Bindung an ein Setting notwendigerweise vorausgesetzt wird. Dies hängt mit einem auf Institutionen bezogenen Blickwinkel zusammen, der Jugendhilfe (Lebenswelt) und Schule (Unterrichtswelt) getrennt wahrnimmt, dabei aber die ganzheitlich Lernenden aus den Augen verliert. Diese bilden sich jedoch formal, non-formal und sehr selbstbestimmt auch in informellen Situationen. Möglicherweise ist sogar deren informelle Lern- und Bildungskompetenz der „Kompass“ durch die Unterrichts- und Lebenswelt der Schule, die ihnen, den Lernenden, als Einheit ihrer Lebenszusammenhänge vorkommt, trotz räumlicher und sozialer Differenzierung. Der australische Erziehungswissenschaftler John Hattie zeigt im Rahmen seiner umfassenden Studien an Millionen von Schülerinnen und Schülern, dass informelle Lernleistungen in Peergruppen ausgeprägt auf das kognitive Lerngeschehen im Unterricht einwirken: „Peers können dabei helfen, soziale Vergleiche anzustellen, emotionale Unterstützung zu geben, die Lernenden sozial zu fördern, bei der kognitiven Restrukturierung, bei Probevorträgen oder bewussten Übungen“ (Hattie 2014, 126). Die diesbezüglichen Lernleistungseffekte werden in Hatties Studie „Lernen sichtbar machen“ (2014) ausgewiesen und zeigen erhebliche Wirkungen in einer Bandbreite von insgesamt 138 Wirkungsfaktoren. Mit dieser Argumentation treten nunmehr informelle Lernprozesse in den Vordergrund. Um diese Erkenntnis besser zu verstehen, sei auf das„Handbuch informelles 53 uj 2 | 2017 Lernwelten - Lebenswelten Lernen“ (Harrig et al. 2016) verwiesen. Hier wird der informelle Lernmodus einschließlich diesbezüglicher Forschungsergebnisse eingehend und auch in einem internationalen Zusammenhang dargestellt. Es zeichnet sich dort insgesamt ab, dass formales und informelles Lernen in einem sehr engen Zusammenhang zu sehen sind. Teilweise wird ein Kontinuum bzw. es werden fließende Übergänge angenommen, in denen sich die genannten Lernprozesse ergänzen. Axel Grund (2016, 131f ) verweist u. a. auf eine Studie in einem Maschinenbaubetrieb, in dem die dort gemachten Lernerfahrungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu 75 Prozent auf informellen Lernprozessen beruhen. Bezogen auf das formale Lernen in und durch den Unterricht wird in dem Beitrag „Informelles Lernen in Unterricht und Schule“ für Öffnungen plädiert, „die ihre eigene informelle Dynamik entwickeln, in ein anderes Feld transferiert werden und dort zu einem plötzlichen Erkenntnisgewinn führen“ (Rohlfs/ Hertel 2016, 635). Hier zeigt sich, dass informelles Lernen im formalen Setting entstehen kann und in lebensweltlich bedeutsamen Situationen Erkenntnisse zur Verfügung stellt. Thole sieht zwar informelle Lernprozesse „im Schatten von formalen und non-formalen Lerngelegenheiten“ (2016, 443), erreicht aber mit dieser Festlegung eben nicht die Reichweite, die Rohlfs und Hertel informellen Lernprozessen zugestehen - dort verlässt der informelle Lernmodus die Schatten formaler Lernprozesse. Dazu passt die Stellungnahme des Schultheoretikers und Erziehungswissenschaftlers Ewald Terhart (2009), der bereits vor einigen Jahren informellen Lernprozessen eine steile Karriere im Rahmen der Diskussion um die Schule attestierte. Er macht auf eine Sichtweise aufmerksam, die formale Lernprozesse in Informations- und Wissensgesellschaften für nicht mehr hinreichend bewertet und informellen, also spontanen, kreativen, flexiblen und professionell nicht angeleiteten oder vorbereiteten Lernprozessen für die Zukunft den Vorrang gibt (2009, 67). Wahrscheinlicher ist unterdessen, dass beide Lernformen nebeneinander oder besser miteinander bedeutsam sind und es zunächst auch bleiben werden. Nach Experteneinschätzung finden 70 Prozent aller menschlichen Lernprozesse außerhalb von Bildungsinstitutionen statt (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2001, 7). Und der Sozialisationstheoretiker Ullrich Bauer ordnet informellen Lernprozessen eine höhere Priorität zu als formalen Lernprozessen (Bauer 2016, 105). Umfassende empirische Befunde zum informellen Lernen finden sich z. B. in der vor einigen Jahren durchgeführten Studie des kanadischen Forschers David W. Livingstone. Informelles Lernen ist dort in Berufs- und Arbeitsfeldern, während der Freizeitnutzung und in gesellschaftlichen Zusammenhängen umfangreich erforscht worden (Oberwien 2016). Generell ist die Aufmerksamkeit bezüglich informellen Lernens in angelsächsischen Ländern ausgeprägt vorhanden. In Deutschland muss man hingegen fleißig suchen und findet dann doch die respektablen Buddy-Projekte (www.buddy-ev.de/ home/ ). Sebastian Gallander, der Leiter des„Thinktank“ der Vodafone Siftung, schlägt vor, die an tausend Schulen existierenden Buddy-Projekte auf möglichst viele Schulen und Hochschulen auszudehnen. Diese Erweiterung hat das Ziel, Flüchtlingen Integrationshelfer im Bildungssystem zur Seite zu stellen: „Azubis und Schüler helfen Flüchtlingen“ (Gallander 2016, 16). Die Basis derartig geförderter Kumpel-Projekte sind informelle Lern- und Bildungsprozesse. Die bisherigen Ausführungen zeigen ein Ineinandergreifen der schulischen Unterrichts- und Lebenswelt unter besonderer Berücksichtigung des non-formalen und informellen Lernens. Aus diesem Blickwinkel gesehen bildet die Schule eine interne Lern- und Bildungslandschaft aus, mit Räumen, in denen Spiel und Spaß, Auseinandersetzung und Unterstützung, Freundschaft und Geselligkeit, Bewegung und Ruhe stattfinden und ganz selbstverständlich eingebunden sind. Welche Konsequenzen hat das aber für die Soziale Arbeit und den dort praktizierten Kooperationsformen mit dem Lehrpersonal in der Schule? 54 uj 2 | 2017 Lernwelten - Lebenswelten Herausforderungen für die Soziale Arbeit in der Schule Für die Soziale Arbeit in der Schule, so wurde argumentiert, ist die Aufteilung in Lernwelt und Lebenswelt wenig ergiebig. Es zeigt sich vielmehr: Lernen ist nicht das Trennende, sondern das Verbindende. Trennungen bzw. Unterschiede ergeben sich aus den jeweiligen Berufskulturen, den tradierten Institutionen, festgelegten Arbeitsbereichen und den Strukturen der Handlungsfelder. Eine gemeinsame Basis für Handlungsverknüpfungen ist deshalb außerordentlich konstruktiv. Soziale Arbeit ist dann Mitakteur in einer schulinternen Bildungslandschaft, in der der dominante formale Unterricht „nur“ noch ein Lern- und Bildungsort in einem Lernspektrum ist. Darüber hinaus besteht bei einem solchen Verständnis der beteiligten Berufsgruppen eine reale Chance auf eine multiprofessionelle Partnerschaft. Bedacht werden muss allerdings, dass die Soziale Arbeit in der Schule bzw. die dortige Schulsozialarbeit nicht von ihrem Unterstützungs- und Hilfeauftrag entbunden sind. Vielmehr ist zu sehen, dass z. B. die Schulsozialarbeit eine Doppelrolle innehat: einmal als Bildungsakteur und zum Zweiten als helfende Instanz. Dies entspricht auch dem sogenannten integrierten Handlungsansatz und ist durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz legitimiert (§§ 11, 13 SGB VIII). Angebote der Kinder- und Jugendarbeit, Arbeitsgemeinschaften und Projekte enthalten non-formale Bildungsgelegenheiten, die jeweils von den Bildungsakteuren angeboten werden. Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter werden in diesem Arbeitsfeld aber nur in geringem Maße selbst tätig sein. Das ändert sich, wenn sie eine Mitgestaltung z. B. im Ganztagsbereich wahrnehmen und ihre aktive Teilnahme an der Schulentwicklung mit zum definierten Aufgabenbereich gehört. Als nicht einfach ist die Vernetzung, also die Realisierung der multiprofessionellen Kollegialität, unterschiedlicher Lernorte anzusehen, da hierfür bei den beteiligten Berufsgruppen Motivation, Innovationskraft und die Bereitschaft zur kritischen Reflexion vorausgesetzt werden muss. Auch fehlen belastbare Erfahrungen, wie die Vernetzungen erfolgen und wirkungsvoll auf Dauer gestellt werden können. Einen ersten Schritt stellt sicherlich eine gelungene Rhythmisierung des Unterrichtsablaufs bzw. des Ganztagsablaufs dar, wie auch das Lernen in Arbeitsgemeinschaften und Projekten. Die Förderung einer peer-gerechten Schule ist notwendig, um das bereits genannte „Lernkapital“ z. B. im Rahmen der genannten Buddy-Projekte und weiterer Peergruppen einzubinden (Schmalfeld 2013; Lange 2014). Gerade hier hat die Soziale Arbeit durch ihren lebensweltlich orientierten Zugang zu Schülergruppen ein bisher unzureichend wahrgenommenes Aufgabenfeld (Hollenstein/ Nieslony 2015). In diesem Aufgabenfeld ist die Berücksichtigung der „Sozialisation in eigener Regie“ durch Peergruppen notwendigerweise zwingend. Informelles Lernen im Bereich sozialer Medien lässt sich auch durch entsprechende Medienprojekte durch die Jugendarbeit/ Schulsozialarbeit fördern. Kooperation mit außerschulischen Einrichtungen und eine Bildungspartnerschaft mit der Elternschaft sind ebenso Elemente für eine interne Bildungslandschaft. Ein solcher Entwicklungspfad muss aber von der Schule gewünscht und gefördert werden. Ein weiteres Merkmal eines solchen Pfades ist eine in der Schule notwendige, auf Kooperation ausgerichtete Multiprofessionalität. Eine dafür vorauszusetzende Kompetenz lässt sich nicht per Knopfdruck erzeugen und bedarf einer Vorbereitung, die nur unzureichend in unter Handlungsdruck stehenden Schulsituationen entfaltet werden kann. Aber wie und wo kann diese Vorbereitung geleistet werden? In Bremen wurde 2011 ein gemeinsames Ausbildungsprojekt unter dem Titel „Multiprofessionalität in der Ganztagsschule. Von Anfang an gemeinsam“ erprobt. Beteiligt waren zwei staatliche Erzieherfachschulen, die Hochschule Bremen, zuständig für das Studium der Sozial- 55 uj 2 | 2017 Lernwelten - Lebenswelten arbeit, und die Universität Bremen, die Studierende für das Lehramt an unterschiedlichen Schulformen ausbildet (Breuer/ Idel 2014). Ziel dieses Ausbildungsverbundes war es, vorwegnehmend für die Studierenden und späteren Professionellen multiprofessionelle Kooperationspraxis und professionelle Kollegialität kennenzulernen und zu üben. Multiprofessionelle „Kooperation ist vor allem auf der Ebene der Organisation und Koordination von Schule und Unterricht und der gemeinsamen Prozessreflexion zu verankern“ (ebd., 85), so das Schlusswort der genannten Berichterstatter. Die Professionsentwicklung und damit die Ausbildung notwendiger Kompetenzen bei den beteiligten Akteuren bedürfen also ganz erheblicher Vorbereitung im Studium. Um die Qualität der unterschiedlichen Handlungsfelder in der (Ganztags-)Schule weiter zu entwickeln, ist das „Bremer Modell“ bestimmt ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Ein solcher Anfang bedarf der Erweiterung und muss auf eine schulbezogene Weiterbildung ausgedehnt werden. Prof. Dr. Erich Hollenstein Mehringweg 12 48159 Münster E-Mail: erich.hollenstein@hs-hannover.de Prof. Dr. Frank Nieslony Raabestr. 3 45525 Hattingen E-Mail: frank.nieslony@web.de Literatur Bauer, U. (2016): Sozialisationstheorie und informelles Lernen. In: Harring, M., Witte, M. D., Burger, T., (Hrsg.): Handbuch für informelles Lernen. Interdisziplinäre und internationale Perspektiven. Beltz Juventa, Weinheim und Basel, 105 - 120 Breuer, A., Idel, S. (2014): Interprofessionelle Kollegialität. Entwicklungsaufgabe an Ganztagsschulen und Thema der Lehrerbildung. In: Ganztags Schule machen. Kooperation und multiprofessionelle Teams, Bundesarbeitskreis der Seminar- und Fachleiter e.V., Hrsg. (47. 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