eJournals unsere jugend 70/5

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2018
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Qualitätsentwicklung in der Amtsvormundschaft

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2018
Jutta Opitz-Röher
Jugendliche zu einem „guten Leben zu befähigen“ ist eine Aufgabe der Amtsvormundschaft. Der Gesetzgeber hat die Träger der öffentlichen Jugendhilfe verpflichtet, in allen Handlungsfeldern Qualitätsmaßstäbe einzusetzen und ihre Einhaltung zu überprüfen. Der Beitrag erläutert den Prozess der Qualitätsentwicklung am Beispiel der Amtsvormundschaft.
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212 unsere jugend, 70. Jg., S. 212 - 219 (2018) DOI 10.2378/ uj2018.art34d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Qualitätsentwicklung in der Amtsvormundschaft Jugendliche zu einem „guten Leben zu befähigen“ ist eine Aufgabe der Amtsvormundschaft. Der Gesetzgeber hat dieTräger der öffentlichen Jugendhilfe verpflichtet, in allen Handlungsfeldern Qualitätsmaßstäbe einzusetzen und ihre Einhaltung zu überprüfen. Der Beitrag erläutert den Prozess der Qualitätsentwicklung am Beispiel der Amtsvormundschaft. von Jutta Opitz-Röher Jg.1949; Dipl.-Pädagogin, Abteilungsleiterin a. D., Jugendamt Dresden Ausgangslage und Begriffserklärung im Arbeitsfeld Bundesweit stehen über 100.000 Kinder oder Jugendliche unter Amtsvormundschaft/ -pflegschaft eines Jugendamtes. Das sind 100.000 Schicksale und Lebenswege. Die Frage ist, was kann/ muss die Gesellschaft für diese Kinder oder Jugendlichen leisten? Sie leben bei Pflegefamilien und in Einrichtungen der Jugendhilfe. „Die Kinder und Jugendlichen haben oft furchtbare und traumatisierende Erfahrungen gemacht, die durch Verluste ihrer Eltern, Gewalt oder Vernachlässigung geprägt sind und hohe seelische Belastungen mit sich bringen. Zeitgleich warten neue Herausforderungen auf sie; sie sind in einer Lebensphase, in der sie durch die vorhergehenden Erfahrungen zum Teil hochgradig traumatisiert sind, gefordert, sich auf neue Beziehungen […] einzulassen. Dies verlangt von den Kindern und Jugendlichen eine hohe psychische Anpassungsleistung“ (BMFSFJ 2015, 111). Minderjährige erhalten durch das Familiengericht einen Vormund, ➤ sofern sie nicht unter elterlicher Sorge stehen, ➤ wenn die Eltern nicht berechtigt sind, die Minderjährigen zu vertreten, ➤ wenn der Familienstand nicht zu ermitteln ist. Das Gesetz kennt drei Formen der Vormundschaft: den Einzelvormund, den Vereinsvormund und den Amtsvormund. Im letzteren Fall wird das Jugendamt, die Behörde, zum Amtsvormund bestellt. Weil dieser immer eine natürliche Person sein muss, wird ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin mit der persönlichen Führung der Vormundschaft betraut. Die Auswahl des Gerichtes für das Amt vollzieht sich, wenn keine geeignete Person bereit ist, für ein Kind die Einzelvormundschaft zu übernehmen. Nach dem Willen des Gesetzgebers ist der ehrenamtliche Einzelvormund für dieses am besten geeignet, weil es bei ihm lebt und in der Regel beide enge persönliche Bindungen haben. Alle anderen Formen von Vormundschaft sind 213 uj 5 | 2018 Qualitätsentwicklung in der Amtsvormundschaft nachrangig. Aber die Realität sieht so aus, dass etwa achtzig Prozent der Minderjährigen unter einer Amtsvormundschaft eines Jugendamtes stehen. Laut Gesetz hat der Vormund die Pflege und Erziehung des Kindes persönlich zu fördern und zu gewährleisten (§ 1800 BGB), er hat sich zu „kümmern“ und es einmal im Monat in seiner Umgebung aufzusuchen (§ 1793 Abs. 1 a BGB). Er ist zur rechtlichen Vertretung verpflichtet. Voraussetzung für die Umsetzung der Aufgaben ist eine tragfähige Beziehung zwischen beiden, die auf gegenseitigem Vertrauen und Respekt aufbaut. Der Vormund ist parteilicher Vertreter des Kindes und dessen Wohl ist seine alleinige Handelsmaxime. „[…] es sollte nicht vom Glück abhängig sein, wer welche Hilfen bekommt. Ein jedes Kind hat ein Recht auf beste fachliche Betreuung durch das Jugendamt. Hier muss unser Staat in die Pflicht genommen werden“ (Claudia L. ehemaliges Mündel des Jugendamtes D.). Der Vormund greift mit seinen Maßnahmen tief in die Biografie der ihm anvertrauten Schützlinge ein. Alle Heranwachsenden haben das Recht auf einen geeigneten Elternersatz. Es ist nicht zu vertreten, dass einzelne Vormünder sich hinter ihrer Weisungsunabhängigkeit verstecken und ihre Vormundschaft führen, wie sie es für richtig halten. Konzepte sind erforderlich, die allen im Team Richtschnur sind, damit die Kinder zum Ende der Vormundschaft urteilen: „Ich hatte einen guten Vormund.“ Das Ergebnis in der sozialen Arbeit ist ein Gemeinschaftsprodukt von mindestens zwei Personen. Insofern entwickelt sich die Qualität in der Vormundschaft aus dem Agieren des Erwachsenen und dem Kind oder Jugendlichen. Der Zweck des Handelns ist auf eine Verhaltensänderung beim Adressaten gerichtet. Aber es gibt keinen Automatismus, dass mit dem Einsatz von bestimmten Maßnahmen und Mitteln das erwünschte Resultat herauskommt. Die Qualität in der Amtsvormundschaft richtet sich nach dem Nutzen, den das Kind oder der Jugendliche hat. Dieser drückt sich aus in einem Mehr an„Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ (§ 1 SGB VIII) und an einem Mehr an Handlungsfähigkeit zur Bewältigung des Lebens. Der Erfolg in der Amtsvormundschaft basiert insbesondere auf der Beteiligung des Kindes oder Jugendlichen. Die jungen Menschen sind Experten in eigener Sache. Sie sehnen sich danach, ihre Wünsche, ihre Bedarfe, ihre Vorstellungen und ihre Bedürfnisse durch den Amtsvormund verwirklicht zu wissen. Bedeutung, Notwendigkeit und Regelungen der Qualitätsentwicklung im Arbeitsfeld Die Amtsvormundschaft in den Jugendämtern erfuhr in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren eine rasante Entwicklung. Diese vollzog sich vornehmlich im Verhältnis von Vormund zum Kind oder Jugendlichen. Auch ihr Selbstverständnis wandelte sich. Dafür gab es mehrere Ursachen: ➤ Die Ausübung der Vormundschaft wurde in den neunziger Jahren geteilt, der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) realisierte die pädagogischen und der Vormund die rechtlichen Belange des Kindes oder Jugendlichen. Der gesetzliche Vertreter hatte in der Regel keinen Kontakt mit dem betroffenen Kind, das er vertrat. Er verließ sich auf die Aussagen des ASD. Die Heranwachsenden hatten eine Objektstellung inne, ohne Mitspracherechte. Besagte Art der Vormundschaft nannte sich „verwaltender“ oder „Schreibtischvormund“. Diese vollzog sich in einigen Jugendämtern bis zur Reform des Vormundschaftsrechts im Jahr 2011. 214 uj 5 | 2018 Qualitätsentwicklung in der Amtsvormundschaft ➤ Die Mischarbeitsplätze, die es in vielen Ämtern gab und teilweise noch gibt, sind seit Anfang der neunziger Jahre vakant. Auf diesen arbeiten Stelleninhaber, die zwei Fachgebiete vertreten. Die Tätigkeiten des Vormundes wurden vielfach mit der Beistandschaft oder mit den Aufgaben des ASD gekoppelt. Die zuletzt genannte Variante ist rechtlich sehr bedenklich, weil Antragsteller einer Leistung (Hilfe zur Erziehung) mit der Person identisch ist, die die Leistung gewährt. Damit tritt eine Interessenkollision ein, niemand vertritt die Rechte und Bedürfnisse der betroffenen Kinder oder Jugendlichen. Mit dem Inkrafttreten der Kindschaftsrechtsreform im Jahr 2011 setzte eine Aufgabenentmischung ein und es entstanden eigenständige Sachgebiete Vormundschaft. Damit bekam die gesetzliche Vertretung von Kindern und Jugendlichen einen hohen Stellenwert im Amt und die betroffenen Minderjährigen die erforderliche Wertschätzung. ➤ Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) trat am 1. 1. 1990 in Kraft. In seinem Leitbild zur Vormundschaft hatte der Gesetzgeber Waisen und außerehelich geborene Kinder im Sinn, die Schutz benötigten. Das Vormundschaftsrecht ist derzeit ein „Flickenteppich“, Juristen und Praktiker erwarten eine große Reform, in der die rechtlichen Grundlagen der heutigen Praxis angeglichen werden. Denn im Verhältnis von Vormund und betroffenem Kind hat sich ein wesentlicher Wandel vollzogen. Dieser betrifft die Schutzbedürftigen selbst, die mit dem Leitbild des BGB gar nicht mehr übereinstimmen. Außerdem erstreckt sich dieser auf die personale Beziehung der beiden, die das zentrale Element in der Vormundschaft ist. ➤ In der Vergangenheit verkörperte der Fall „Kevin“ tragische Misshandlungs- oder Todesfälle von Kindern, die unter Amtsvormundschaft standen. Der zuständige Amtsvormund für das Kind trug Verantwortung für 240 Minderjährige. In Auswertung der Sachverhalte übten Wissenschaftler starke Kritik an den Jugendämtern. Sie belegten, dass hohe Fallzahlen von 60 bis 120 bundesweit üblich waren. Deshalb bestand die Forderung der Herauslösung der Vormundschaften aus dem Jugendamt. Wiederum kam von engagierten Praktikern selbst der Appell von maximal 50 Fällen (Dresdner Erklärung 2000, 437). Der Gesetzgeber reagierte auf die Situation und verabschiedete das „Gesetz zur Änderung des Vormundschafts- und Betreuungsrechts“ vom 29. Juni 2011. Es regelt folgende Kernpunkte: ➤ den personalen Kontakt zwischen dem Vormund und dem jungen Menschen ➤ die persönliche Verantwortung des Amtsvormundes ➤ eine Fallzahl von maximal 50 Das Vormundschaftsrecht, das in großen Teilen aus dem 19. Jahrhundert stammte, reformierte sich. Die neue inhaltliche Ausrichtung bei der Führung der Vormundschaft hatte Konsequenzen, die sich in Veränderungen der Organisationsstruktur sowie in einer Weiterentwicklung und quantitativen Aufstockung des Personals zeigte. Die Amtsvormundschaft interpretierte ihre Rolle, ihre Aufgaben, Zuständigkeiten und Abgrenzungen zu anderen Professionen des Jugendamtes und nach außen neu. Die neue Arbeitsweise gilt es dennoch kritisch zu hinterfragen. Politik und Gesellschaft erwarten von der Amtsvormundschaft Nachweise über Ziele und Ergebnisse ihrer Arbeit. Sie ist gehalten, ihre Kriterien offenzulegen, nach denen sie tätig ist. Die Gemeinschaft verlangt zu Recht von ihr, dass sie definiert, wie sie arbeitet, welche Richtung sie einschlägt und wie sie die Resultate prüft. 215 uj 5 | 2018 Qualitätsentwicklung in der Amtsvormundschaft Zu dem Zweck, dass sich die Praxis zwingend mit „guter fachlicher Arbeit“ in ihrem Handlungsfeld auseinandersetzt, verabschiedete die Legislative das Gesetz „Zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen“ vom 22. Dezember 2011 (Bundeskinderschutzgesetz BkiSchG). Der § 79 a SGB VIII benennt zwei Verpflichtungen des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe: ➤ „Grundsätze und Maßstäbe für die Bewertung der Qualität“, also Qualitätskriterien zu erarbeiten und zu definieren und ➤ „geeignete Maßnahmen zu ihrer Gewährleistung“ anzuwenden, regelmäßig zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Seine Forderung nach Qualitätskriterien in diesem Arbeitsbereich begründet der Gesetzgeber mit den gesetzlichen Neuregelungen der Vormundschaftsreform von 2011/ 12. Die Umsetzung der vorgeschriebenen Fallzahlen sowie der monatliche persönliche Kontakt sollen anhand von Qualitätskriterien genauer untersucht und evaluiert werden. Die Sicherung der Rechte von Kindern in Einrichtungen und ihr Schutz vor Gewalt sind zu berücksichtigen. Dies setzt die Erwartung voraus, dass das vormundschaftliche Handeln auf der Basis vereinbarter und beschlossener Fachstandards erfolgt. Durch die Formulierung von Qualitätskriterien im Handlungsfeld schaffen die Fachkräfte Transparenz gegenüber der Politik, der Wissenschaft und den Adressaten. Sie geben Auskunft darüber, was von ihnen zu erwarten ist. Das erzeugt Vertrauen und erweckt Sicherheit und Stabilität bei den Kindern und den Jugendlichen. Die regelmäßige Überprüfung dieser Qualitätskriterien dient der Amtsvormundschaft u. a. zur Legitimation ihrer Tätigkeit und dokumentiert ihre Ergebnisse. Qualitätsentwicklung in der Amtsvormundschaft Für das Handlungsfeld der Amtsvormundschaft ist „eine breite konzeptionelle Debatte […] entstanden, mit dem Ziel, dieses klassische Rechtsinstitut zu qualifizieren und zu einer persönlich vom Mündel erlebbaren, kontinuierlichen und dem Kind und seinen Bedürfnissen zugewandten Interessenvertretung weiterzuentwickeln“ (BMFSFJ 2013, 356). Für die Qualitätsentwicklung ist in dieser Debatte die Ableitung eines Handlungsleitfadens wichtig, der allen Beteiligten Sicherheit gibt, worauf sie sich einlassen und was sie erwartet. Solche Grundvorstellungen ermöglichen den Fachkräften, strukturiert zu agieren und nicht intuitiv zu reagieren. Dadurch entstehen verbindliche Regelungen und Kriterien für alle Akteure im Handlungsfeld eines Jugendamtes. Jede Organisation leitet her, was sie beabsichtigt, um ihre Tätigkeit gegenüber ihren Adressaten zu verbessern. Für die Qualitätsentwicklung in der Amtsvormundschaft sind Diskussionen zu folgenden Fragen notwendig: ➤ Standort/ Begründung: An welche Erfahrungen knüpft sie an? ➤ Inhalt und Umfang der Arbeitsaufgabe: Was macht die Amtsvormundschaft? ➤ Zielgruppe: Für wen ist sie da? ➤ Ziele: Was will sie mit dem Angebot erreichen? ➤ Methoden und Instrumente: Wie realisiert sie es? ➤ Fachlicher Ansatz: Welche theoretischen Verfahrensweisen übernimmt sie? ➤ Evaluation: Wie reflektiert sie die Wirksamkeit? ➤ Sicherung des Kreislaufes: In welchen Zeiträumen überprüft und schreibt sie das Konzept weiter? 216 uj 5 | 2018 Qualitätsentwicklung in der Amtsvormundschaft Die oben aufgeführten Fragen zur Qualitätsentwicklung sollten in einem gemeinsamen Prozess unter Einbezug des gesetzlichen Auftrages, des Jugendhilfeausschusses und der Jugendhilfeplanung vorgenommen werden. Ziel ist dabei die Formulierung eines Konzeptes der Amtsvormundschaft, aus dem konkrete Qualitätsindikatoren zur Evaluation abgeleitet werden können. Basis eines solchen Konzeptes ist eine Standortbestimmung im Sinne eines Leitprogramms. In einer Selbstanalyse reflektieren die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ihre bisherige Arbeit. Die Intention ist, Gutes und Bewährtes zu erhalten, Kritisches zu verändern und weiße Flecken zum Leben zu erwecken. Die Akteure tauschen sich aus und legen fest, nach welchen Grundsätzen, Kriterien und Maßstäben sie bei der „persönlichen Führung der Amtsvormundschaft“ gewillt sind zu handeln. Das Ziel dieser ist die „gelingende Vormundschaft“. Das Verständnis von einer geglückten gesetzlichen Vertretung bildet die Basis, an der sich das Agieren der Professionellen, ihr Selbstverständnis und ihre wertschätzende Haltung gegenüber den Adressaten ableitet. Wie interpretieren Fachkräfte eine funktionierende Vormundschaft (Idealbild)? Was ist für das Kind und den Jugendlichen anders, wenn sie endet (Idealtyp)? Das Resümee des Einzelfalles misst sich an der am Anfang der Amtsvormundschaft formulierten Zielvorgabe. Die ist so zu formulieren, dass sie „smart“ ist (spezifisch, messbar, akzeptiert, realistisch, terminiert). Struktur-, Prozess-, Ergebnisqualität und Unterstützungsprozesse in der Amtsvormundschaft In dem Qualitätsmodell nach Avedis Donabedian, dem sich die Autorin anschließt, erfolgt eine Unterteilung des Qualitätsbegriffes in drei Qualitätsdimensionen, der Ergebnis-, Struktur- und Prozessqualität. Diese stehen in einem engen Zusammenhang und beeinflussen sich gegenseitig. Dennoch gibt es keinen linearen Mechanismus, der besagt, wenn ich das tue, dann passiert das, sondern er ist komplex und dynamisch. Allgemein lässt sich sagen, die Strukturen wirken auf die Prozesse und diese beeinflussen die Ergebnisse. Die Strukturqualität definiert die personellen, sachlichen, organisatorischen Rahmenbedingungen und fachliche Ausstattung der Organisation. Was brauchen die Akteure, um in der Vormundschaft die besten Wirkungen zu erzielen? Aussagen zur Gesamtverantwortung und Grundausstattung stehen im 4. Abschnitt des Kinder- und Jugendhilferechts, § 79 SGB VIII: „Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen gewährleisten, dass zur Erfüllung der Aufgaben nach diesem Buch die erforderlichen und geeigneten Einrichtungen, Dienste […] rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen; hierzu zählen insbesondere auch Pfleger, Vormünder und Pflegepersonen.“ Zur Aufgabenerfüllung sind Fachkräfte und persönlich geeignete Personen einzustellen (siehe § 72 SGB VIII). In der Praxis vollzog sich mit dem Inkrafttreten der Vormundschaftsreform 2012 und mit dem Eintreffen vieler minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge 2015 ein Personalschub. Von der Ausbildung her dominieren die Sozialpädagogen gegenüber den Verwaltungswirten, das war vor dreißig Jahren umgekehrt. Positiv ist, dass die Fachkräfte in der Regel ausschließlich die Aufgaben als Vormund wahrnehmen. Zu den Arbeitsbedingungen der Amtsvormundschaft ist dagegen bisher wenig bekannt. So sind insbesondere folgen Fragen noch offen, die für die Strukturqualität eine Rolle spielen können: ➤ Wie oft ermöglicht der Arbeitgeber die Teilnahme an einer Supervision oder Fortbildung? ➤ Wie sind die Arbeitsplätze ausgestattet hinsichtlich Technik und Räumen (Diensthandy, -laptop, Fahrtmöglichkeiten, Besprechungszimmer etc.)? 217 uj 5 | 2018 Qualitätsentwicklung in der Amtsvormundschaft ➤ Wie viele materiellen Reserven hat der Vormund zur Kontaktpflege mit den jungen Menschen zur Verfügung (Geschenke für persönliche Höhepunkte des Kindes, Eintrittsgelder, Eisbecher etc.)? ➤ Nutzt der Vormund die anderen Beteiligten um das Kind, vernetzt sich und schließt Kooperationen ab (ASD, Pflegeeltern, Heimerzieher), um dem Gefühl der Allzuständigkeit entgegenzuwirken? Unter Prozessqualität versteht man das Vorhandensein und die Beschaffenheit von Aktivitäten, die geeignet und notwendig sind, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Sie ist die Übereinstimmung der tatsächlichen Prozesse der Vormundschaft mit dem vereinbarten Ziel, das auf das Erreichen der Ergebnisqualität gerichtet ist. Sie beinhaltet die gesamten Interaktionen des Vormundes mit dem Kind oder Jugendlichen. Zur Bewertung der Qualität sind Indikatoren heranzuziehen, beispielsweise: ➤ Partizipation: Der Adressat und die Adressatin sind der Meinung, dass sie in allen sie betreffenden Angelegenheiten einbezogen wurden und ihre Vorstellungen beachtet fanden. ➤ Transparenz: Der Adressat und die Adressatin waren immer informiert und auf das Hilfeplanverfahren vorbereitet. Die Prozessqualität stellt sich als bedeutsamer heraus als die Strukturqualität. Die wesentlichen Arbeitsaufgaben heißen Kern- oder Schlüsselprozesse. Hiervon zu unterscheiden sind Unterstützungs- oder Supportprozesse. Diese bezeichnen betriebliche Abläufe, die die Schlüsselprozesse befördern, aber selbst keinen direkten Nutzen für die jungen Menschen haben. Weil der Vormund elterliche Funktionen hat und die Führung der Vormundschaft sehr komplex ist, braucht es im Team eine Diskussion, welche Prozesse es als Schlüsselprozesse wertet. Das sind die Prozesse, die wegweisend und nachhaltig für die Entwicklung der jungen Menschen sind. Beispielhaft sind die Beteiligung, weil sie grundsätzlicher Natur ist und ohne diese gar nichts funktioniert, und die Bildung zu nennen. Um den jungen Menschen ein selbstbestimmtes und eigenständiges Leben zu ermöglichen, gehört beizeiten eine gemeinsame Absprache dazu, welchen Bildungsabschluss er oder sie anvisiert. Um seiner Garantenstellung, dem Schutz der jungen Menschen, nachzukommen, ist es unabdingbar, dass das Team Grundsätze und Maßnahmen entwickelt, wie es diesem wichtigen gesetzlichen Auftrag nachkommt. Damit korrelieren Fragen der Erreichbarkeit des Vormundes, des Austausches und der Ergebniskontrolle zum Hilfeplan und das Verhalten in Krisensituationen. In der folgenden Darstellung (Opitz-Röher/ Wolf 2015, 9) sind alle Prozesse benannt, für die der Vormund einen gesetzlichen Auftrag hat und somit verantwortlich ist. Sie ist der Versuch, diese Aufgaben zu strukturieren und unter zwei Schlüsselprozessen zusammenzufassen, Erziehung und Förderung sowie Schutz. Qualitätskriterien Beteiligung Anhörung, Erstgespräch, monatlicher Kontakt, Beschwerde Persönlichkeitsentwicklung Bindung/ Herkunftsfamilie, Fremdunterbringung, Religion/ Weltanschauung Bildung Kindergarten, Schule, Ausbildung Tab. 1: Schlüsselprozess: Erziehung und Förderung 218 uj 5 | 2018 Qualitätsentwicklung in der Amtsvormundschaft Eine Organisation entscheidet selbstständig, welche Abläufe sie als Schlüsselprozesse definiert. Das ist abhängig von ihrer Analyse und ihren Zielen. Es ist wichtig, die Komplexität zu reduzieren und mit einzelnen Bereichen zu beginnen. Unterstützungsprozesse „dienen in der Vormundschaft der Erfüllung des gesetzlichen Auftrages. Die Unterstützungsprozesse sind unverzichtbar für die gelingende Aufgabenerfüllung. ➤ Berichtspflicht gegenüber dem Gericht ➤ Zuständigkeiten ➤ Dokumentation“ (Opitz-Röher/ Wolf 2015, 41) Die Berichtspflicht gegenüber dem Gericht dient der Rechenschaftslegung und der Aufsichtspflicht. Die Dokumentation nützt der Qualitätssicherung, Entscheidungen werden aktenkundig aufgeschrieben, Vertreter, Rechtspfleger erlangen eine Vorstellung. Die Ergebnisqualität ist die zum Ende der Vormundschaft erreichte Qualität für die Adressaten, zum Beispiel neu erworbene Kompetenzen und Fähigkeiten, so, wie sie zu Beginn der Vormundschaft als Ziel vereinbart wurden. Zur Bewertung der Qualität sind Indikatoren heranzuziehen: ➤ Die Zufriedenheit des Adressaten: Die Beobachtungen oder Sachverhalte sind im Dialog zwischen Vormund und Jugendlichem zu reflektieren. Woran erkennt er, dass die Vormundschaft für ihn gut war und er einen Nutzen verspürt in Bezug auf Verselbstständigung. ➤ Kompetenzzuwächse: Ob die Vormundschaft Ergebnisse erzielt, lässt sich daran ablesen, ob sich bei den Adressaten Wirkungen im Sinne von Kompetenzzuwächsen, zum Beispiel in der Konfliktfähigkeit oder sozialen Beziehungen, abzeichnen. Die Zufriedenheit der Adressaten ist das entscheidende Kriterium für die Qualität der Vormundschaft. Chancen und Herausforderungen der Qualitätsentwicklung im Arbeitsfeld Qualität ist kein Selbstzweck, es betrifft Kinder und Jugendliche, deren Eltern das Sorgerecht nicht mehr haben. Diese jungen Menschen stehen unter dem Schutz des Jugendamtes. Der öffentliche Träger ist beauftragt, förderliche Bedingungen für die Entwicklung der Kinder zu schaffen. Die Auseinandersetzung mit der Qualitätsentwicklung führt zur höheren Professionalisierung der Fachkräfte. Das wiederum bietet den Vorteil, durch zielgerichtete Arbeit die Adressaten besser zu fördern und Ungleichheiten abzubauen, es entsteht Nachhaltigkeit. Die Lebenswelt, die Kinder und die Jugendlichen, die Rahmenbedingungen verändern sich ständig, die Akteure haben sich auf veränderte Anforderungen einzustellen. Qualitätsentwicklung vollzieht sich nicht in einer Einbahnstraße, sondern absolviert Wendungen. Die Legitimation Qualitätskriterien Hilfe zur Erziehung HzE Verfahren, Hilfeplan, Feststellung der Dauerhaftigkeit Gesundheit Vorsorge, medizinische Heilbehandlung, Therapien Krisenmanagement Herausnahme, Inobhutnahme, geschlossene Unterbringung Tab. 2: Schlüsselprozess: Schutz 219 uj 5 | 2018 Qualitätsentwicklung in der Amtsvormundschaft der Profession hängt davon ab, welchen Nutzen sie für die Kinder oder die Jugendlichen und damit auch für die Gesellschaft darstellt. Vor einer Überregulierung der Arbeit ist zu warnen. Der Vormund und das Kind oder der Jugendliche benötigen Gestaltungsräume für ihr Miteinander. Qualitätsentwicklung hat gute Arbeit zu ermöglichen, nicht zu beschränken. Empfehlungen für die Qualitätsentwicklung im Arbeitsfeld Vormundschaft braucht Rückkoppelung durch Forschung, aber es fehlen Erkenntnisse ➤ über die Nachhaltigkeit des Aufwachsens von Kindern unter Amtsvormundschaft und wie die jungen Erwachsenen ihr weiteres Leben gestaltet haben, welche beruflichen, sozialen Chancen sie haben (BMFSFJ 2017, 484), ➤ über einen Zusammenhang von Dauer der Vormundschaft, Alter des Kindes oder des Jugendlichen und Veränderungen bei diesen und ➤ über die Beziehungsqualität zwischen Amtsvormund und Kind oder Jugendlichen. Den Jugendämtern ist zu empfehlen, in ihrer Region engagierte Ehrenamtliche zu suchen, die zu einer Übernahme der Vormundschaft bereit sind. Folglich ist die Auswahl größer bei der Entscheidung, den jungen Menschen einen am besten geeigneten „Elternersatz“ an die Seite zu stellen. Es ist des Weiteren eine regelmäßige Teilnahme des Amtsvormundes an einer Fortbildung (alle zwei Jahre) in das SGB VIII festzuschreiben, mit dem Ziel, seine Fachlichkeit zu stärken. Jutta Opitz-Röher E-Mail: jugaw@web.de Literatur BMFSFJ (2017): 15. Kinder- und Jugendbericht. In: https: / / www.bmfsfj.de/ blob/ 115438/ d7ed644e1b7fac 4f9266191459903c62/ 15-kinder-und-jugendberichtbundestagsdrucksache-data.pdf, 27. 12. 2017 BMFSFJ (2015): Bericht der Bundesregierung „Evaluation des Bundeskinderschutzgesetzes“. In: https: / / www.bmfsfj.de/ blob/ 90038/ 41dc98503cef74cdb5ac 8aea055f3119/ b, 30. 1. 2018 BMFSFJ (2013): 14. Kinder- und Jugendbericht, In: https: / / www.bmfsfj.de/ blob/ 93146/ 6358c96a697b0c3 527195677c61976cd/ 14-kinder-und-jugendberichtdata.pdf, 30. 1. 2018 Dresdner Erklärung (2000): Verabschiedet auf der Fachtagung „Die Zukunft der Amtsvormundschaften“ vom 22. bis 24. März 2000 in Dresden. In: Das Jugendamt 73 (5). Hrsg. v. Deutschen Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. Heidelberg, 437 - 440 Opitz-Röher, J., Wolf C. (2015): Diskussionspapier zur Qualitätsentwicklung nach § 79 a SGB VIII im Bereich Amtsvormundschaft/ -pflegschaft. In: https: / / www. dijuf.de/ tl_files/ downloads/ 2013/ Bundesforum/ Qualitaets, 30. 1. 2018