unsere jugend
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe nach § 79 a SGB VIII
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Lisa Schwarzer
Mit dem Bundeskinderschutzgesetz wurde im Jahr 2012 Qualitätsentwicklung als rechtlich bindende Aufgabe in der Kinder- und Jugendhilfe verankert. Zur Umsetzung dieser rechtlichen Verpflichtung werden in ausgewählten Modelljugendämtern Niedersachsens neue Impulse der Qualitätsentwicklung erprobt und Empfehlungen zur Umsetzung erarbeitet.
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220 unsere jugend, 70. Jg., S. 220 - 227 (2018) DOI 10.2378/ uj2018.art35d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe nach § 79 a SGB VIII Modellprojekt des Landes Niedersachsen erprobt Ansätze der Qualitätsentwicklung in Jugendämtern Mit dem Bundeskinderschutzgesetz wurde im Jahr 2012 Qualitätsentwicklung als rechtlich bindende Aufgabe in der Kinder- und Jugendhilfe verankert. Zur Umsetzung dieser rechtlichen Verpflichtung werden in ausgewählten Modelljugendämtern Niedersachsens neue Impulse der Qualitätsentwicklung erprobt und Empfehlungen zur Umsetzung erarbeitet. von Lisa Schwarzer Jg. 1987; Sozialmanagerin (M. A.), Projektverantwortliche des hier vorgestellten Modellprojekts Bedeutung, Notwendigkeit und Regelungen der Qualitätsentwicklung Infolge mehrerer Fälle von schwerer Kindeswohlgefährdung und einer zunehmenden gesellschaftlichen Debatte über Verbesserungen im Kinderschutz brachte die Einführung des Bundeskinderschutzgesetzes wesentliche Änderungen in der Kinder- und Jugendhilfe mit sich. Das Gesetz schaffte insbesondere die Grundlage für die rechtliche Verpflichtung von vorbeugendem und intervenierendem Kinderschutz. Dies umfasst u. a. die Einrichtung von Netzwerken Früher Hilfen und den Einsatz von Familienhebammen, den Ausschluss einschlägig Vorbestrafter von Tätigkeiten in der Kinder- und Jugendhilfe und nicht zuletzt die Einführung einer kontinuierlichen Qualitätsentwicklung. Mit der Regelung zur Qualitätsentwicklung sollte vorzugsweise der politischen Forderung nach qualitativen Standards im Kinderschutz Rechnung getragen werden. Kontinuierliche Qualitätsentwicklung im SGB VIII In § 79 SGB VIII wurde mit der Gesetzesänderung die Festschreibung einer „kontinuierlichen Qualitätsentwicklung“ aufgenommen. Im Rahmen dieser Norm wird die Qualitätsentwicklung als zentrales Element der Gesamtverantwortung der Jugendämter herausgehoben. Damit wird die Aufgabe der Qualitätsentwicklung primär den öffentlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe zugeschrieben. Jedoch besteht gleichzeitig eine Steuerungsverantwortung für das Verhältnis von öffentlichen und freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe, die eine partnerschaftliche Zusammenarbeit im Sinne des § 4 SGB VIII fördern soll (Wiesner 2015, 1403ff ). Die Anforderungen der Qualitätsentwicklung beziehen sich auf einen Gesamtprozess der Qualitätsentwicklung und umfassen somit auch Einrichtungen und Dienste in freier Trägerschaft, die in ein „kooperatives Steuerungsgeschehen mit Letztverantwortlichkeit des öffentlichen Trägers“ in Qualitätsprozesse einbezogen werden sollen (Merchel 2013, 7). 221 uj 5 | 2018 Modellprojekt zur Qualitätsentwicklung Qualitätsentwicklung wird in der Rechtsvorschrift außerdem als „infrastrukturelle Gewährleistungsverpflichtung“ eingeordnet (Merchel 2013, 7). Die Verpflichtung des öffentlichen Trägers gemäß § 79 (2) Nr. 1 SGB VIII, die „erforderlichen und geeigneten Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen […] rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung“ zu stellen, lässt einen direkten Zusammenhang zwischen Jugendhilfeplanung und Qualitätsentwicklung herstellen. Die Prüfung, ob Einrichtungen und Dienste „geeignet“ sind, basiert auf qualitativen Maßstäben, die im Rahmen der Jugendhilfeplanung festgelegt werden (Deutscher Verein 2012, 4). In § 79 a SGB VIII werden die Anforderungen an eine Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe formuliert. Vorstellung des Modellprojektes Mit dem Modellprojekt „Partizipative Entwicklung von fachlichen Empfehlungen zur Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe nach § 79 a SGB VIII“ kommt das Landesjugendamt Niedersachsen der Aufgabe gem. § 85 (2) Nr. 1 SGB VIII nach, fachliche Empfehlungen für die örtlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe zu entwickeln. Die örtlichen Träger - die Jugendämter - sollen dadurch bei der Aufgabenerfüllung nach dem SGB VIII unterstützt werden. Vorausgegangen war ein Diskussionsprozess, der durch die Kommunen angeschoben wurde. Qualitätsentwicklung wurde von den örtlichen Trägern eher als zusätzliche Belastung und nicht greifbares rechtliches Konstrukt empfunden. Der Wunsch bestand, handlungsleitende Empfehlungen und Vorschläge für die Umsetzung von Qualitätsentwicklung für die örtliche Kinder- und Jugendhilfe zu erarbeiten. Der Fokus des Modellprojekts liegt auf einer Prozess- und Strukturanalyse der Organisation sowie auf der Beteiligung der Mitarbeitenden. Das Projekt basiert auf der Annahme, dass strukturelle Komponenten Auswirkungen auf die fachliche Dimension einer Organisation haben. Mit den örtlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe werden im Rahmen des Projekts neue Ansätze der Qualitätsentwicklung erarbeitet und bereits bestehende sowie erfolgreich angewandte Maßnahmen aufgriffen. Projektstruktur Im Rahmen des Modellprojekts erproben vier niedersächsische Kommunen, wie Qualitätsentwicklung nach § 79 a SGB VIII umgesetzt werden kann. Ziel des Vorhabens ist es, ➤ die örtlichen Träger der Jugendhilfe bei ihrem rechtlichen Auftrag zur Qualitätsentwicklung gemäß § 79 a i. V. m. §85 SGB VIII zu unterstützen, ➤ die Qualitätsentwicklungsprozesse der beteiligten Modelljugendämter zu strukturieren und die Jugendämter dazu zu befähigen, ihre weitere Qualitätsentwicklung eigenständig durch- und fortführen zu können, ➤ Instrumente und Verfahren der Qualitätsentwicklung zu entwickeln, die auf andere Jugendämter in Niedersachsen übertragen werden können, ➤ die Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe in Niedersachsen als integralen Bestandteil zu verstehen und in die alltägliche Arbeit einzubeziehen - und nicht als zusätzliche Belastung zu sehen. Den beteiligten Jugendämtern wird vonseiten des Landes Niedersachsen eine Qualitätsentwicklungsberatung angeboten: Die Modelljugendämter werden durch das Institut „ArtSet Forschung Bildung Beratung GmbH“ in ihrem Qualitätsentwicklungsprozess im Sinne einer Organisationsberatung begleitet und gecoacht, das Niedersächsische Landesjugendamt begleitet diesen Prozess fachlich. Das Projekt ist auf einen Gesamtzeitraum von rund zwei Jahren angelegt. Auf einem Fachtag am 20. November 222 uj 5 | 2018 Modellprojekt zur Qualitätsentwicklung 2018 werden die Ergebnisse des Projekts sowie eine Handreichung mit fachlichen Empfehlungen präsentiert. Die Modelljugendämter konzentrieren sich jeweils auf zwei Handlungsfelder in ihrer Organisation. Dies beinhaltet aufgrund einer Vergleichbarkeit sowie des rechtlichen Fokus gem. §79 a SGB VIII die Hilfen zur Erziehung inklusive den Prozess der Gefährdungseinschätzung. Darüber hinaus ist jeweils ein weiteres Handlungsfeld der Kinder- und Jugendhilfe inbegriffen, welches die Jugendämter selbst wählen konnten. Das Landesjugendamt achtete bei der Auswahl darauf, dass möglichst viele verschiedene Bereiche der Kinder- und Jugendhilfe im Rahmen des Modellprojekts untersucht werden. Im Ergebnis soll deutlich gemacht werden, dass Qualitätsentwicklung in allen Handlungsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe umsetzbar ist. In jedem Modelljugendamt werden darüber hinaus zwei bis drei Qualitätsbereiche nach der Kundenorientierten Qualitätsentwicklung für Soziale Dienstleistungsorganisationen (KQS) bearbeitet. Ablauf Gestartet ist das Projekt im Oktober 2016 mit der Entwicklung einer Definition von gelungener Kinder- und Jugendhilfe. Alle Projektbeteiligten setzten sich institutionsübergreifend damit auseinander, was Qualität in der Kinder- und Jugendhilfe heißt und welche inhaltlichen Aussagen für ein gemeinsames Verständnis gelungener Kinder- und Jugendhilfe getroffen werden können. Im Laufe der Modellphase finden pro Modelljugendamt mindestens fünf Workshops statt. Zu Beginn wurden Bestandsaufnahmen über die bisherige Qualitätsentwicklung in den Jugendämtern durchgeführt (Workshop 1) und in darauffolgenden Workshops Verfahren und Instrumente von Qualitätsentwicklung in den Jugendämtern weiterentwickelt bzw. neu konzipiert (Workshops 2 - 4). In der letzten Projektphase wird der Stand der Erprobung bewertet und ggf. angepasst und strategische Qualitätsentwicklungsziele für die eigenständige Weiterführung der Qualitätsentwicklung nach Projektlaufzeit erarbeitet (Workshop 5). Abschließend Jugendamt Stadt Celle Jugendamt Landkreis Gifhorn Jugendamt Landkreis Nienburg (Weser) Jugendamt Landkreis Rotenburg (Wümme) Allgemeiner Sozialdienst (ASD) Schulsozialarbeit Bezirkssozialdienst (BSD) Vormundschaften Frühe Hilfen Allgemeiner Sozialdienst (ASD) Pflegekinderdienst Allgemeiner Sozialdienst (ASD) Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche Je zwei bis drei Qualitätsbereiche nach KQS Abb. 1: Projektstruktur des Modellprojekts 223 uj 5 | 2018 Modellprojekt zur Qualitätsentwicklung bestimmen die Modelljugendämter jugendamtsübergreifend die für sie unverzichtbaren Qualitätsmerkmale im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe und entwickeln einen gemeinsamen Qualitätskatalog mit handlungsleitenden Aussagen zu Qualität und deren Indikatoren. Zwischen den Workshops arbeiten die Modelljugendämter in Eigenregie Arbeitsaufträge und Vorhaben innerhalb des strukturgebenden Rahmens des Projekts ab. Für die nicht am Projekt beteiligten Jugendämter werden die Ergebnisse des Modellprojekts zuletzt in einem wissenschaftlich aufbereiteten Transferkonzept aufbereitet, um die Ergebnisse für die individuelle Praxis nutzbar zu machen und einen strukturierten Rahmen für Qualitätsentwicklung zur Verfügung zu stellen. Definition gelungener Kinder- und Jugendhilfe Die Modelljugendämter haben sich im ersten Schritt auf ein gemeinsames Qualitätsverständnis gelungener Kinder- und Jugendhilfe verständigt. Die Definition gelungener Kinder- und Jugendhilfe unterstützt eine fundierte, fachliche Entscheidung darüber, unter welchen Bedingungen eine Dienstleistung als gelungen betrachtet wird. Berücksichtigt werden darin die Interessen und Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden sowie die eigenen Bedürfnisse, Ziele und das Selbstverständnis der Organisation (Zech 2014, 17f ). Das Qualitätsmodell KQS im Modellprojekt Das Modellprojekt basiert auf dem Qualitätsentwicklungssystem der Kundenorientierten Qualitätstestierung (KQS) für Organisationen der personenbezogenen Dienstleistung. Die KQS wird als Beitrag zu einer Organisations- und Professionsentwicklung der Jugendämter verstanden. Dem System liegt ein Qualitätsverständnis zugrunde, welches Qualität als Gelingen bezeichnet. Qualität drückt aus, „dass soziale Dienstleistungsorganisationen be gründet und reflektiert tun, was sie tun“ (Zech 2014, 4). Kinder und Jugendhilfe ist gelungen, wenn … … die Kunden als Kundige in eigener Sache akzeptiert wurden und ihnen mit Achtung und Respekt begegnet wurde; … die Lebenswelt der Kunden verstanden und das gesamte System in den Blick genommen wurde sowie alle relevanten Akteure beteiligt waren; … Vertrauen aufgebaut wurde und die Mitwirkungs- und Veränderungsbereitschaft der Kunden aktiviert wurden; … sie als Prozess erlebt wurde, in dem angemessen klar, transparent und professionell kompetent mit der Problemstellung der Kunden umgegangen wurde; … durch die Klärung der Rahmenbedingungen und Ressourcen ein individuell passendes Unterstützungsangebot zur selbstständigen Bewältigung des Alltags der Kunden geführt hat; … Kinder und Jugendliche unter förderlichen Lebensbedingungen aufwachsen können; … ein Ergebnis erzielt wurde, das den Kunden ein Leben in eigenständiger Verantwortung sich und anderen gegenüber möglich macht. Abb. 2: Die Definition gelungener Kinder- und Jugendhilfe im Modellprojekt für Niedersachsen 224 uj 5 | 2018 Modellprojekt zur Qualitätsentwicklung Die Qualitätsentwicklung nach KQS verfolgt folgenden inhaltlichen Ansatz: ➤ Der Fokus der KQS liegt auf dem Verständnis von Qualität als Gelingen. ➤ Qualitätsentwicklung wird als Organisationsentwicklung verstanden. ➤ Es erfolgt eine konsequente Ausrichtung der Qualitätsentwicklung auf die Kunden. ➤ Erzielt werden soll die Entwicklung hin zu lernenden Organisationen mithilfe von strategischen Entwicklungszielen. ➤ Es wird ein kontinuierlicher und systematischer Qualitätskreislauf eingeführt. ➤ Qualitätsentwicklung erhält eine trägerübergreifende Anwendbarkeit und wird gleichzeitig individuell auf die Einrichtungen zugeschnitten. ➤ Die Organisationen sind in der inhaltlichen Ausgestaltung der Qualitätsanforderungen frei. Nach KQS wird der Prozess der Qualitätsentwicklung in zwölf Qualitätsbereiche untergliedert. Die Qualitätsbereiche wurden im Rahmen des Projekts auf die Modelljugendämter aufgeteilt, sodass nach einer Einschätzung der inhaltlichen Sinnhaftigkeit durch die Jugendämter, das beratende Institut und das Landesjugendamt eine Streuung über alle Qualitätsbereiche erfolgte und jeder Qualitätsbereich nach KQS zum Ende der Projektlaufzeit erprobt wurde. Jedes Modelljugendamt bearbeitet mindestens zwei, nach Möglichkeit drei Qualitätsbereiche. Ausgeschlossen davon ist der Qualitätsbereich 7, da die Modelljugendämter i. d. R. auf die Infrastruktur einer Kommune keinen direkten Einfluss haben. Da im Rahmen des Modellprojekts keine abschließende Testierung angestrebt wird, kann der Prozess der Visitation ebenfalls ausgeblendet werden. Erste Ergebnisse: Chancen und Erfolge vs. Herausforderungen und Grenzen der Qualitätsentwicklung Zum jetzigen Zeitpunkt können noch keine konkreten Maßnahmen vorgestellt werden, da die Jugendämter derzeit noch ihre selbst entwickel- 2. Bedarfserschließung, Informationsbeschaffung 3. Schlüsselprozesse 4. Sozialer Dienstleistungsprozess 5. Externe Dienstleister und Kooperation 6. Evaluation der soz. Dienstleistungsprozesse 7. Infrastruktur 8. Führung 9. Personal 10. Controlling 11. Kundenkommunikation Ggf. optionaler Qualitätsbereich 1. Leitbild und Definition gelungener sozialer Dienstleistung 12. Strategische Entwicklungsziele Selbstreport Visitation Abschlussworkshop Abb. 3: Qualitätsbereiche nach KQS: Das Qualitätsentwicklungsmodell (Zech 2014, 17) 225 uj 5 | 2018 Modellprojekt zur Qualitätsentwicklung ten Qualitätsentwicklungsprozesse erproben und sie auf ihre Handhabung und Umsetzbarkeit überprüfen. Es können aber bereits erste abstrahierte Einschätzungen vorgenommen werden, welche Rahmenbedingungen für einen Prozess der Qualitätsentwicklung förderlich sind. Zu allererst kann festgehalten werden, dass die Modelljugendämter insgesamt gut aufgestellt sind und eine gewisse Vorsensibilisierung für konzeptionelle und datengestützte Prozesse besteht. Dies kann in erster Linie auf das niedersachsenweite Kennzahlensystem der „Integrierten Berichterstattung Niedersachsen (IBN)“ zurückgeführt werden. Das Projekt der Landesjugendhilfeplanung ermöglicht Jugendämtern in sozialstrukturell vergleichbaren Gruppen, gemeinsam entwickelte Kennzahlen zu analysieren und daraus konzeptionelle Zusammenhänge herzuleiten. Nichtsdestotrotz bestand unter den Mitarbeitenden zu Beginn des Projekts in allen Jugendämtern Skepsis über die Handhabbarkeit in der täglichen Arbeit, einen praktischen Bezug zu den Fachaufgaben und die langfristige Wirkung des Projekts. Dies konnte auch auf bereits abgeschlossene, aber teils nicht umgesetzte Organisationsuntersuchungen und -entwicklungsprozesse zurückgeführt werden. Eine erste Hürde musste darum mit Überzeugungskraft und Motivation für das Vorhaben genommen werden. Außerdem verhalfen die verlässlichen Strukturen und die enge Betreuung durch das Institut zu ersten Gelingenserfahrungen und machten erste Erfolge sichtbar. Dies bewirkte auch, dass die Jugendämter mehr und mehr die Steuerung der Qualitätsentwicklungsprozesse selber übernahmen und eigene Impulse setzten. Sie empfanden Qualitätsentwicklung zunehmend als nutzbringend. Mitarbeitende Ein großes Potenzial für den Erfolg der Qualitätsentwicklung sind die Mitarbeitenden der Organisation selber. Je motivierter die Mitarbeitenden in das Vorhaben gehen und je partizipativer der Prozess angelegt ist, desto offener stehen sie Veränderungsprozessen gegenüber und desto kreativer werden auch ihre Lösungsvorschläge. In den Modelljugendämtern ist eine große Motivation erkennbar, an teils unzufrieden stimmenden Arbeitssituationen innerhalb der Organisation etwas zu verändern und selber aktiv an diesem Prozess mitzuwirken. Dieses Potenzial wird noch verstärkt, wenn Lösungsvorschläge ernst genommen und ein offener und konstruktiver Diskurs von der Leitungsebene ermöglicht werden. Leitung Deutlich wird auch, dass eine fachlich-inhaltliche Unterstützung sowie Begleitung des Prozesses durch die Leitungsebene sinnvoll, mehr noch notwendig ist, um Veränderungsprozesse im Organisationsgefüge anzuschieben und damit auch langfristige Weichenstellungen für eine Organisationsentwicklung zu stellen. Es ist ein schmaler Grat für die strategische Leitungsebene, das Vorhaben zu unterstützen, aber gleichzeitig einen offenen Beteiligungsprozess der Mitarbeitenden zu ermöglichen. Hier muss gut abgewägt werden, welche Leitungsebene an den Workshops aktiv teilnimmt und vereinbarte Arbeitsschritte begleitet. Eine Teilnahme der fachlichen Leitung (Jugendamtsleitung) ist jedoch für den Prozess unverkennbar wichtig. Qualitätsentwicklung ist Veränderungsmanagement. Veränderungsmanagement erfordert Strategie und Steuerung. Strategische Entwicklungsprozesse und Steuerung sind wiederum Aufgabe von Leitung. Ein Prozess der Organisationsentwicklung sollte darum selbstverständlich begleitet und aktiv unterstützt werden. Eine Teilnahme der Leitungsebene unterstreicht an dieser Stelle nicht nur die Bedeutung von Qualitätsentwicklung, sondern ermöglicht auch den Transfer hausintern hin zur strategischen und politischen Ebe- 226 uj 5 | 2018 Modellprojekt zur Qualitätsentwicklung ne. Erfolgt keine aktive Teilnahme, setzt dies voraus, dass die Entscheidungen und Weichenstellungen, die im Rahmen des Prozesses getroffen werden, nicht infrage gestellt werden und grundsätzlich mitgetragen werden. Jugendhilfeausschuss Im Zuge des Modellprojekts zeigt sich zunehmend, dass es für den Prozess einer Qualitätsentwicklung dienlich ist, wenn das Vorhaben auf strategischer Ebene angeschoben sowie aktiv unterstützt wird. Da es sich bei dem Modellprojekt um eine Qualitätsentwicklung im Sinne einer Organisationsentwicklung handelt, ist es erforderlich, das Projekt auf der strategisch-politischen Ebene durchzusetzen und in der Verwaltung sowie im Jugendhilfeausschuss zu platzieren. Aus gutem Grund war eine Voraussetzung, dass die Teilnahme an dem Modellprojekt durch den Jugendhilfeausschuss befürwortet und durch die Leitungskraft die offizielle Bewerbung beim Landesjugendamt erfolgte. Durch den Beschluss des Jugendhilfeausschusses bekam das Projekt nicht nur die nötige Einordnung als einen grundlegenden Prozess zur „Weiterentwicklung der Jugendhilfe“ nach § 71 (2) SGB VIII, sondern auch die nötige Bereitschaft, das dem Projekt zugrunde liegende Qualitätsverständnis nach KQS anzuerkennen und Organisationsveränderungen grundlegend mitzutragen. Organisationsstrukturen In den Jugendämtern bestehen sehr unterschiedliche Ausgangsbedingungen in Bezug auf die Organisationsstrukturen, die Personalsituation, die Art der Gebietskörperschaft sowie die Größe der Kommune. Jugendämter können in diesem Zusammenhang per se nicht miteinander verglichen werden. Deutlich wird im Rahmen des Modellprojekts jedoch, dass klare und fachlich sinnvolle Organisationsstrukturen förderlich für einen Prozess der Organisationsentwicklung sind. Ein Jugendamt als eigenständiges Amt mit einer klar erkennbaren Leitung, in dem alle Bereiche der Kinder- und Jugendhilfe verankert sind, fördert ein handlungsfeldübergreifendes Verständnis der Aufgaben nach dem SGB VIII, eine teamübergreifende Zusammenarbeit und damit auch eine Verzahnung von Hilfsprozessen. Dies wiederum hat ebenfalls positive Auswirkungen auf eine gemeinsame Kultur und Haltung innerhalb und außerhalb der Organisationseinheit. Externe Begleitung Veränderungsprozesse setzen voraus, dass die eigenen „blinden Flecke“ erkannt werden. Dies erfordert eine hohe Reflexivität und Objektivität, die gerade in einem Arbeitsfeld, welches eine große emotionale Bindung zu der Aufgabe erfordert, nicht immer gewährleistet werden kann. Eine externe Begleitung ist darum förderlich und kann auch bei Konflikten moderieren und die Organisation fachlich beraten. Eine externe Moderation bietet dem Qualitätsentwicklungsprozess einen strukturgebenden Rahmen. Die Modelljugendämter erkannten dies schnell und nahmen zunehmend auch zwischen den Workshops diese externe Unterstützung an, forderten sie vielmehr auch bewusst ein. Zwischenbilanz: Empfehlungen für die Qualitätsentwicklung Die Modelljugendämter betreiben bereits in unterschiedlichsten Ausführungen Qualitätsentwicklung, in dem sie ihre eigene Arbeit regelmäßig hinterfragen und Prozesse an neue Bedingungen anpassen. Dies bewusst und regelmäßig zu tun, hierbei die Mitarbeitenden und Kooperationspartner einzubeziehen und ein gemeinsames, fachübergreifendes Verständnis von gelungener Arbeit im Kontext der Kinder- und Jugendhilfe zu entwickeln, kann die Abwehr der rechtlichen Verpflichtung reduzieren und führt zu einem Verständnis von Qualitätsentwicklung als integralem Bestandteil der alltäglichen Arbeit. Qualitätsentwicklung ist keine zusätzliche Aufga- 227 uj 5 | 2018 Modellprojekt zur Qualitätsentwicklung be, sondern ist als ein kontinuierlicher und strukturierter Prozess zu verstehen, der Reflexionsprozesse ermöglicht und die eigene Rollenklarheit fördert. Qualitätsentwicklung bildet die Klammer um die unterschiedlichen Fachdienst-/ Teamlogiken innerhalb einer Organisationseinheit. Zeit für Reflexionsphasen muss bewusst eingeräumt werden, um ein gemeinsames und gegenseitiges Verstehen und Vertrauen zu entwickeln. Hinderlich können personelle und strukturelle Probleme sein, die ein Sich-einlassen-Können der Mitarbeitenden auf Veränderungen erschweren. Unterschiedliche Vorstellungen zur fachlichen Qualität, auch Kompetenzgerangel und unterschiedliche Auffassungen von Leitungs- und Mitarbeitendenebene, Personallücken, ausweichende Haltungen der strategischen Leitungsebene sowie politische Entscheidungen, die Auswirkungen auf Organisationssysteme haben, beeinflussen Qualitätsentwicklungsprozesse. Es muss anerkannt werden, dass öffentliche Verwaltungen komplexe Systeme sind, dessen Verhalten nur durch bewusste Beeinflussung, manchmal aber auch gar nicht gesteuert werden kann. Die oben beschriebenen Ausführungen verdeutlichen, dass Qualitätsentwicklung Aufgabe von Leitung ist. Gute Führung ist nicht nur Beziehungsarbeit und die Orientierung von Mitarbeitenden an den Zielen der Organisation. Gute Führung gibt auch einen Rahmen für Gestaltungs- und Partizipationsprozesse der Mitarbeitenden. Führung ist als Funktion zu verstehen, die Entscheidungsunterstützung bietet und für eine gelingende interne Kommunikation sorgt. Es ist darum wichtig, dass sich die Leitung die Qualitätsentwicklung als Aufgabe zuschreibt und die Steuerung übernimmt. Dazu gehört ebenfalls, dass Jugendhilfeplanung als Steuerungsunterstützung erkannt und genutzt wird. Die wesentlichste Erkenntnis ist jedoch, dass eine externe Begleitung den Prozess der Qualitätsentwicklung befördert. Sie entlastet insbesondere in den Projektanfängen Führungskräfte von der Rolle, den Prozess steuern zu müssen und gleichzeitig Funktion und Moderation auszufüllen. Ist der Prozess erst einmal angestoßen, wird Qualitätsentwicklung zunehmend als alltägliches und selbstverständliches Geschäft von allen Beteiligten verinnerlicht. Dieser Lernprozess befähigt die Jugendämter, die angestoßenen Themen weiterhin auch alleine bearbeiten zu können. Letztendlich sind die abstrahierten Erkenntnisse aus dem bisherigen Prozess nicht neu. Sie machen jedoch in der Intensität deutlich, dass Qualitätsentwicklung bewusst und strukturiert geplant und begleitet werden muss. Qualitätsentwicklung ist ein Lernprozess, der den Weg von einer Personalisierung hin zu organisationsspezifischen Verfahrensschritten und Schlüsselprozessen ebnet. Lisa Schwarzer Landesjugendamt Niedersachsen Schiffgraben 30 - 32 30175 Hannover Tel. (05 11) 8 97 01-3 04 E-Mail: lisa.schwarzer@ls.niedersachsen.de Literatur Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. (Hrsg.) (2012): Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe - Diskussionspapier des Deutschen Vereins zum Umgang mit §§ 79, 79 a SGB VIII. In: https: / / www.deutscher-verein.de/ de/ empfehlungenstellungnahmen-2012-qualitaetsentwicklung-inder-kinder-und-jugendhilfe-diskussionspapier-desdeutschen-vereins-zum-umgang-mit-79-79-a-sgbviii-1-1528,313,1000.html, 29. 1. 2018 Merchel, J. (2013): Qualitätsentwicklung in der örtlichen Kinder- und Jugendhilfe: Orientierungshilfe zur Umsetzung der Regelungen in §§ 79, 79 a SGB VIII. Hrsg. v. LVR-Landesjugendamt und LWL-Landesjugendamt. Münster/ Köln Wiesner, R. (Hrsg.) (2015): SGB VIII. Kinder- und Jugendhilfe. Kommentar. 5. Aufl. Beck, München Zech, R. (2014): Kundenorientierte Qualitätstestierung für Soziale Dienstleistungsorganisationen. Leitfaden für die Praxis. Modellversion 2. November 2014. ArtSet Forschung Bildung Beratung GmbH, Hannover
