eJournals unsere jugend 70/10

unsere jugend
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2018
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Der ASD - Herausforderungen und Lösungen

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Sigrun Zielke
Der ASD steht unter erheblichem Druck. Immer wieder gibt es Ideen, den Kinderschutz zu verbessern. Vielerorts wurden verbindliche Standards für die Bearbeitung von Fällen eingeführt. In diesem Artikel geht es um Herausforderungen und die kritische Auseinandersetzung mit den eingeführten Maßnahmen zur Verbesserung der ASD-Arbeit am Beispiel der Entwicklungen in Hamburg.
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425 unsere jugend, 70. Jg., S. 425 - 431 (2018) DOI 10.2378/ uj2018.art65d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Der ASD - Herausforderungen und Lösungen Der ASD steht unter erheblichem Druck. Immer wieder gibt es Ideen, den Kinderschutz zu verbessern. Vielerorts wurden verbindliche Standards für die Bearbeitung von Fällen eingeführt. In diesem Artikel geht es um Herausforderungen und die kritische Auseinandersetzung mit den eingeführten Maßnahmen zur Verbesserung der ASD-Arbeit am Beispiel der Entwicklungen in Hamburg. Die Arbeit der Hamburger Jugendämter hat sich innerhalb weniger Jahre erheblich verändert. Tragische Fälle, in denen Kinder trotz jugendamtlichem Handeln zu Tode gekommen sind, haben in der Stadt für erheblichen Druck in Bezug auf die Ausgestaltung und Kontrolle der ASD-Arbeit gesorgt. Unter anderem ist es vermutlich auch die Stadtstaatensituation, welche eine erhebliche Dynamik mit sich bringt und die dafür sorgt, dass Entwicklungen in Hamburg schneller gehen als in anderen Städten und Kommunen. Bedingt durch die im Vergleich zu Flächenländern große Nähe zwischen den unterschiedlichen Akteuren nehmen brisante Themen in Hamburg schnell an Fahrt auf. Es gibt eine hohe Aufmerksamkeit für Kinderschutzthemen, insbesondere durch Politik und Medien, die dafür sorgt, dass eine öffentliche Debatte um die Suche nach Fehlern und Schuld angeheizt wird. Hamburg als Stadtstaat ist aufgeteilt in sieben Bezirke, die ihre jeweiligen Jugendämter eigenständig organisieren. Die inhaltliche und fachliche Definitionsmacht hat in Hamburg die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration, kurz „BASFI“ genannt. Die BASFI als Fachaufsichtsbehörde steht unter einem hohen Steuerungs- und Handlungsdruck. Mit dem Ziel, den Kinderschutz in der Stadt sicher zu machen, wurden umfangreiche Maßnahmen und Projekte ins Leben gerufen: ➤ Alle Fachkräfte der Hamburger ASDs sind geschult in der Anwendung umfangreicher Instrumente der Diagnostik zum Fallverstehen sowie in der Kinderschutzdiagnostik. ➤ Fachkräfte, die neu im ASD sind, werden im Rahmen eines 18-monatigen Einarbeitungskonzeptes in ihrem Einstieg in die ASD-Tätigkeit eingeführt. ➤ Die Hamburger Jugendämter sind deutschlandweit die ersten, die nach der DIN EN ISO 9001 zertifiziert wurden. Die Grundlage für die Zertifizierung ist das Qualitätsmanagementsystem (QMS). In umfangreichen Prozesslandschaften werden alle im ASD relevanten Abläufe abgebildet. Diese beschreiben sowohl die Handlungsvon Sigrun Zielke Jg. 1972; Dipl.-Sozialpädagogin, Berufsverband für Soziale Arbeit (DBSH), tätig im ASD der Freien Hansestadt Hamburg Foto: Tobias Lang 426 uj 10 | 2018 Herausforderungen und Lösungen im ASD schritte als auch die Art der Dokumentation und legen fest, wer genau zu welcher Zeit an welchem Schritt in welcher Rolle beteiligt ist, und welche Richtlinien für die einzelnen Handlungsschritte zu beachten sind. Durch interne und externe Audits wird kontrolliert, dass die im Rahmen vom Qualitätsmanagement festgeschriebenen Prozesse eingehalten werden. ➤ Alle geltenden Dienstanweisungen, Arbeits- und Globalrichtlinien sind auf dem internen SharePoint „Arbeitsbereich Jugendhilfe“ zusammengeführt. ➤ Anhand der Prozessbeschreibungen im Rahmen des QMS hat eine Personalbemessung stattgefunden, was in den meisten Bezirken zu einer teils signifikanten Aufstockung des Personalkörpers geführt hat. ➤ Darüber hinaus wurde die Jugendhilfeinspektion als eigenständige Organisationseinheit der BASFI ins Leben gerufen. Die Jugendhilfeinspektion untersucht als Instrument der Fachaufsicht die Arbeit einzelner ASD-Abteilungen auf förderliche und hinderliche Bedingungen der dort stattfindenden Arbeit. Sie stellt fest, ob die vorgegebenen Standards der Fallbearbeitung und Dokumentation eingehalten wurden, und fasst Ergebnisse in einem Bericht zusammen. Die Jugendhilfeinspektion kann (und wird) anlassbezogen beauftragt, „Einzelfälle“ zu untersuchen. Diese Form der anlassbezogenen Jugendhilfeinspektion wurde in den vergangenen Jahren immer dann eingesetzt, wenn Kinder, die dem ASD bekannt waren, zu Schaden gekommen sind. ➤ Hamburg hat die Software JusIt eingekauft. Fallarbeit wird in JusIt dokumentiert. Darüber hinaus erfolgt über das System die automatisierte Form von Leistungsgewährung und -abrechnung. Über eine Schnittstelle werden polizeiliche Meldungen direkt an den ASD weitergeleitet. Alle diese zum Teil personal- und kostenintensiven Maßnahmen sollen dafür sorgen, dass die Bearbeitung der eingehenden Anliegen verlässlich und fehlerfrei erfolgt. Trotz aller Bemühungen ist es bislang nicht gelungen, das Image des ASD in der öffentlichen Wahrnehmung zu verbessern. Der Ruf als „Kinderklaubehörde“, die zu früh oder zu spät oder an der falschen Stelle handelt, ist nachhaltig wirksam. Die Ganzheitlichkeit und der positive Auftrag des ASD als Garant für die Rechte von Kindern auf förderliche Bedingungen für ihr Aufwachsen sind offenbar schwer vermittelbar. Eine Fachkraft im ASD wird gemäß dem im SGB VIII festgeschriebenen Auftrag tätig, wenn sich Eltern, Kinder, Jugendliche und Jungerwachsene an den ASD wenden. Eltern haben den Anspruch auf Beratung und Unterstützung in Erziehungsfragen. Junge Menschen haben ebenfalls einen von ihren Eltern unabhängigen Beratungsanspruch. Sie haben auch das Recht, sich durch den ASD in Obhut nehmen zu lassen. Weiterhin ist der ASD als Inhaber des staatlichen Wächteramtes Anlaufstelle, wenn sich Dritte Sorgen um das Wohlergehen von jungen Menschen machen. ASD-Fachkräfte bewerten unter Einbeziehung der Beteiligten die Lebenssituationen von jungen Menschen und das elterliche Erziehungsverhalten. Sie entscheiden anhand ihrer fachlichen Einschätzung in jedem Einzelfall, ob sie im Beratungs-, Unterstützungs- oder Schutzauftrag handeln. Diese Deutungshoheit des ASD ist vermutlich, zumindest für Eltern als Zielgruppe des jugendamtlichen Auftrags, ein wesentlicher Faktor für das negativ geprägte Image. Eltern, die sich hilfesuchend an den ASD wenden, haben Angst, dass sie als Versager in Bezug auf ihre erzieherischen Aufgaben eingeschätzt werden und der ASD im Rahmen des staatlichen Wächteramtes das Kind oder die Kinder aus der Familie herausnimmt. 427 uj 10 | 2018 Herausforderungen und Lösungen im ASD In anderen Fällen erleben Eltern, dass sie nicht die Unterstützung bekommen, die sie sich vorstellen. Das passiert, wenn im gemeinsamen Aushandlungsprozess darüber, welche Unterstützung die geeignete ist, keine Deckungsgleichheit zwischen dem Anliegen der Familien und der Einschätzung der Fachkraft hergestellt werden kann. In einer Beteiligungswerkstatt im Rahmen der in Hamburg eingesetzten Enquetekommission „Kinderschutz und Kinderrechte weiter stärken“ haben betroffene Eltern ihre Wahrnehmung des ASD geschildert. Die Familien erleben den ASD „als aufgeschrecktes ,Vogelhaus‘, in dem überfordertes Personal das Nötigste tut, um Schaden von sich selber abzuhalten. Statt ernsthafte Auseinandersetzung mit der familiären Lebenswelt erleben Familien, dass sie nicht in ihrer individuellen Situation, sondern als Fall mit Akte und Nummer behandelt werden“ (Ackermann/ Robin 2018). Andere Institutionen wie Schulen und Kitas oder Bürger, die sich Sorgen um das Wohlergehen von Kindern machen, bewerten die Arbeit des ASD oftmals negativ, weil nicht die Veränderung eintritt, die sie sich vorstellen oder wünschen. Sie bekommen zum Ergebnis ihrer Meldung keine für sie befriedigenden Informationen, weil die Zusammenarbeit mit den Familien in Folge einer Meldung der Vertraulichkeit zwischen den unmittelbar Beteiligten unterliegt. Es gibt viele weitere kritische Beobachter, die eine Meinung dazu haben, was der ASD leisten sollte, und die erleben, dass ihre Vorstellungen nicht oder zumindest nicht vollständig erfüllt werden. Dieses sind nicht zuletzt die Fachkräfte selber, die ihre Arbeitsbedingungen als hoch belastend und zu wenig wertgeschätzt erleben. Bei all der Kritik, die andere Personen oder Institutionen an der Arbeit des ASD haben, ist es nachvollziehbar, dass das Image des ASD angekratzt ist. Dem ASD ist es bislang nicht gelun- Ärzte Polizei Familiengericht Freie Träger Schulen Kitas Kooperationspartner Kinder Eltern BASFI Politik Presse ASD- Fachkraft Bezirksamt Vormund Beobachter des ASD Abb. 1: Kritische Betrachter des ASD 428 uj 10 | 2018 Herausforderungen und Lösungen im ASD gen, sich mit seinem gesetzlich definierten positiven Auftrag als Garant für die Sicherstellung von Kinderrechten und Unterstützer für die Verbesserung von Lebensbedingungen junger Menschen zu präsentieren. Kai Biesel (2013) kommt zu dem Schluss, dass ein „gutes Arbeiten“ im ASD eigentlich nicht möglich ist. Zumindest nicht, solange der ASD seinen Auftrag dahingehend verfehlt, dass er sich aufgrund öffentlichen Drucks zu einer Institution entwickelt, die mehr sich selber schützt, als dass sie ihren Auftrag wahrnimmt. Was ist gute Arbeit im ASD? Gute Arbeit findet statt, wenn es gelingt, Zugang zu Familien in schwierigen Lebenssituationen zu bekommen. Qualität von ASD-Arbeit lässt sich nicht alleine daran messen, dass alle vorgegebenen Schritte eingehalten wurden. Der Auftrag des ASD ist es, jungen Menschen und Eltern bei Bedarf Zugang zu passenden Unterstützungsangeboten zu ermöglichen. Im Rahmen des Kinderschutzauftrages ist es zum Teil erforderlich, im Interesse der Sicherstellung von Kinderrechten gegen den Willen von Eltern zu handeln. Die höchste Chance, dass Familien die für sie richtigen Hilfen bekommen, bietet die Ausgestaltung von Hilfeplanung als partizipativen Prozess. Das Gestalten der hierfür notwendigen Beziehung ist Kernstück von ASD-Arbeit. Hierbei ist sozialpädagogische Kompetenz gefragt. Diese setzt sich zusammen aus Methoden- und Fachkompetenz sowie einer ethischen Haltung. Insbesondere ist diese gefragt, wenn es in Kinderschutzfällen darum geht, Einschätzungen mit den Beteiligten zu treffen und die sich daraus ableitenden Veränderungsnotwendigkeiten zu formulieren, umzusetzen und zu kontrollieren. Dieser Teil der Arbeit erfordert ein hohes Maß an konstruktiver Fehlerkultur. Denn da, wo Kinder in ihrem Recht auf förderliche Rahmenbedingungen für gesundes Aufwachsen zu selbstständigen Persönlichkeiten beschnitten werden, haben die Verantwortlichen Fehler gemacht. Veränderung gelingt einfacher und in der Regel besser, wenn das Aufdecken von Fehlern nicht in Scham und Rückzug endet. Diagnostikbögen sind in dieser intensiven Arbeit mit Familien nützlich, wenn sie das gemeinsame Verstehen fördern. Sie sind auch hilfreich als Erinnerungsleitfaden, damit blinde Flecke möglichst geringgehalten werden. Aber alleine die Tatsache, dass eine Fachkraft alle vorgegebenen Standards eingehalten hat, stellt nicht das Verstehen der oft hochkomplexen Problemlagen der Familien sicher. Fragt man die ASD-Fachkräfte, erleben die meisten mehr Überregulierung als Sicherheit durch die Menge an einzuhaltenden Vorgaben. Mögliche positive Effekte durch klare Handlungsvorgaben gehen unter im Gefühl, mehr Energie und Ressourcen für die Einhaltung von Vorgaben und vor allem für die Dokumentation zu benötigen als für die Arbeit mit den Familien. Die hochgradige Regulierung fachlicher Arbeit durch verbindlich anzuwendende Standards und die Überprüfung der konsequenten Einhaltung erzeugen Druck. Dieser ist - zumindest in Hamburg - die Folge des überwiegend politisch motivierten Bestrebens, dass der ASD fehlerfrei arbeiten soll. In der Bewertung der Politik bedeutet „richtiges Arbeiten“ die Einhaltung aller für sinnvoll erachteten und festgelegten Handlungsschritte. Der Druck, den Leitungskräfte an ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weitergeben, führt mancherorts am Ende dazu, dass die Diagnostikinstrumente zu leeren Hülsen verkommen. Sie werden vielmehr angewandt, um den Vorgaben zu entsprechen, als dass der Erkenntnisgewinn gesehen wird. In der Konsequenz erleben die Fachkräfte, dass nicht nur die Klientinnen und Klienten ihnen misstrauisch begegnen. Sie fühlen sich auch in den„eigenen Reihen“ misstrauisch beäugt und übermäßig „fremdbestimmt“. 429 uj 10 | 2018 Herausforderungen und Lösungen im ASD Gute Arbeit im ASD - wie kann das gelingen? Erfolgreiche Arbeit im ASD findet dann statt, wenn Familien es schaffen, eigene Überforderung zu überwinden und verloren gegangene Verantwortung für die förderliche Erziehung ihrer Kinder zu übernehmen. Das kann gelingen, wenn Eltern verstehen, welche Veränderungen erforderlich sind, und sie eine Motivation entwickeln, diese zu bewirken. Dabei ist es hilfreich, wenn sie Zugang zu ihren - oft aus dem Blick geratenen - Ressourcen bekommen. Das Erleben von Selbstwirksamkeit ist in der Regel der beste Motivator für Veränderungen. Diesen Prozess anzuregen und zu begleiten, ist die Aufgabe der Fachkräfte im ASD. Standardisierte Verfahren können hierbei nützlich sein. Sie bergen aber auch das Risiko, dass Familien sich nicht in ihrer individuellen Situation gesehen fühlen, was die Zusammenarbeit erheblich beeinträchtigen kann. Je mehr die Fachkräfte selber unter Druck stehen, Vorgaben vollständig abzuarbeiten, desto größer ist die Gefahr, dass der wertschätzende und auf Verstehen ausgerichtete Kontakt darunter leidet. Wenn das passiert, werden Standards, die Sicherheit bringen sollen, selber zum Risiko. Diagnostikleitfäden für die Bewertung von Kindeswohlgefährdung und Instrumente für Fallverstehen müssen, damit sie im Einsatz mit Familien hilfreich sind, Komplexität soweit reduzieren, dass Kernaussagen und Mindestanforderungen deutlich werden. Sie müssen sprachlich und inhaltlich einfach zu verstehen sein. Eine Abweichung vom vorgegebenen Verfahren muss unkompliziert möglich sein, wenn dieses erfolgversprechender erscheint. Manche Entwicklungen finden dann statt, wenn der standardisierte Weg verlassen wird, weil erst dadurch der Zugang zu Familien gefunden werden kann. Die Entscheidungskompetenz dafür, wie Verstehen gelingt, sollte bei der Fachkraft liegen. Natürlich bedeutet das auch mehr Verantwortung, aber wenn man die diversen Untersuchungen der letzten Jahre ernst nimmt, sind Fachkräfte dazu bereit (LAG ASD 2018). Vorgaben wie Dienstanweisungen, Arbeits- und Globalrichtlinien sind notwendig, da sie gewährleisten, dass rechtliche Vorgaben adäquat umgesetzt werden, Familien Verlässlichkeit in der Bearbeitung ihrer Anliegen und Fachkräfte Sicherheit und Struktur erfahren. Dieses gilt allerdings auch nur solange, wie der Umfang zu bewältigen ist, die einzelnen Richtlinien aufeinander abgestimmt sind und die Übersichtlichkeit in der Struktur der Aufbewahrung gegeben ist. Insofern gilt hier das Gebot der Reduktion. Voraussetzung für eine gute Fallarbeit ist natürlich, dass die zur Verfügung stehenden Ressourcen und insbesondere personelle Kapazitäten ausreichend sind. Angemessene Fallobergrenzen sind notwendig, um die Qualität in der Arbeit zu erhalten oder gar zu steigern (? ). Je nachdem, ob eine Fachkraft vom Erstkontakt bis zur Beendigung eines wie auch immer gearteten Hilfe- und Unterstützungsauftrages alles macht oder nur Teile davon, wird die Definition davon, was ein Fall ist, unterschiedlich ausfallen. Allein die Übersicht über mehr als 35 Familien zu haben, dürfte nach fachlichen Kriterien schwierig sein. Weitere Bedingung dafür, dass gute Arbeit gelingen kann, ist die sinnvolle Gewichtung von Dokumentation. Dokumentation dient der Nachvollziehbarkeit der Fallarbeit. Dieses bedeutet, dass wesentliche Inhalte der Arbeit und insbesondere Entscheidungen dokumentiert werden. Ebenso spielt Dokumentation eine wichtige Rolle beim Fallverstehen. Weiterhin gibt es rechtsverbindliche Vorschriften, insbesondere im Prozess der Hilfegewährung, die erfüllt werden müssen. 430 uj 10 | 2018 Herausforderungen und Lösungen im ASD Eine Software sollte die Fallarbeit sinnvoll strukturiert abbilden. Wenn die Software das Fallgeschehen maßgeblich leitet und verkompliziert, dann wird es riskant. In Hamburg ist dieses Risiko mit der Einführung der Software„JusIt“ produziert worden. Für die komplexe und risikoanfällige Arbeit des ASD ist sie dysfunktional und zu teuer. Im Idealfall erleichtert Software durch eine gute Struktur und anwenderfreundliche Vorlagen die fachliche Arbeit. Eine Software, die fehlerarm funktioniert und Übersicht im Sinne der Abbildung des fachlichen Geschehens gibt, würde auch ermöglichen, dass es keine ressourcenfressende doppelte Aktenführung geben muss, wie es derzeit in Hamburg der Fall ist. Ein wichtiger Schritt ist die konsequente Arbeit an einem positiven Image des ASD. Es würde die Arbeit mit jungen Menschen und ihren Familien vermutlich maßgeblich erleichtern und verbessern, wenn durch kontinuierliche und gezielte Selbstdarstellung und Öffentlichkeitsarbeit das Verständnis für die umfangreichen und weit über den Kinderschutz hinausgehenden Aufgaben des ASD verbessert würde. Diese Aufgabe ist komplex und kann am besten gelingen, wenn Fachkräfte, Leitungen im Bezirk und in der BASFI mit den jeweils eigenen Möglichkeiten das gemeinsame Ziel der positiven Selbstdarstellung verfolgen. Die Politik sollte anfangen umzulernen, indem sie ihre Überzeugung aufgibt, dass Kinderschutz dann sicherer wird, wenn Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sich streng an Vorgaben halten und in ihrem Handeln umfangreich kontrolliert werden. Die Aufgabe von Politikerinnen und Politikern ist es, dafür zu sorgen, dass der ASD angemessen ausgestattet ist, damit er gute Arbeit leisten kann. Hierfür müssen sie akzeptieren, dass Soziale Arbeit eine hochkomplexe Aufgabe ist, deren Steuerung und Kontrolle fachlicher und nicht politischer Logik folgen muss. Auch die Aufarbeitung von krisenhaft verlaufenen Fällen ist in erster Linie eine fachliche Aufgabe. Eine politische Aufarbeitung erfolgt in der Logik der Suche nach Verantwortlichen. Für eine Verbesserung im Kinderschutz ist es aber notwendig, dass im Sinne eines konstruktiven Fehlermanagements Risiken soweit analysiert werden, dass Lernen möglich ist. Hierfür ist die Anerkennung der Tatsache essentiell, dass Kinderschutz im Hochrisikobereich stattfindet, nämlich da, wo Kindeswohlgefährdung besteht. Und der Versuch, Kinder zu schützen, kann tragischerweise schiefgehen, was nicht zwangsläufig bedeutet, dass der ASD oder die dort arbeitende Fachkraft falsch gearbeitet hat (DBSH 2016). Eine wichtige politische Aufgabe ist die Implementierung von Kinderrechten im Grundgesetz. Gutes übernehmen und aus Fehlern lernen Anhand der Situation des ASD in Hamburg lässt sich einiges lernen. Hierfür einige Beispiele: ➤ Die angemessene personelle Ausstattung der Jugendämter muss hohe Priorität haben. Sie ist Bedingung für gutes Arbeiten. Fluktuation wird sich nicht verhindern lassen. Verantwortungsvolle Personalpolitik kann ungünstige Nebenwirkungen von Fluktuation abfedern. Sinnvolle Maßnahmen sind vorausschauende Einstellungen, wenn sich Abgänge abzeichnen. Wichtig ist bei der Bestandsaufnahme des Personalkörpers, dass die gerechnete Personaldecke die Realität abbildet, da durch Krankheit oder andere Gründe abwesendes Personal eine Abteilung dauerhaft destabilisiert. ➤ Das System der umfangreichen Einarbeitung hat sich bewährt und bietet sich als Vorbild für Nachahmung an. ➤ Die Einführung eines Qualitätsmanagements kann gute Arbeit im ASD befördern. Neben einer gründlichen Kosten-Nutzung- Abwägung sollte allerdings überlegt werden, ob das aufwändige Qualitätsmanagement nach DIN EN ISO 9001 das richtige System für eine Organisation wie das Jugendamt ist. Die Festlegung und Sichtbarmachung von Standards ist sinnvoll, wenn 431 uj 10 | 2018 Herausforderungen und Lösungen im ASD dadurch die Handlungssicherheit für alle Beteiligten erhöht wird. Im komplexen Handlungsfeld des ASD ist Reduktion auf das Wesentliche zwingend erforderlich. Bei der Einführung eines Qualitätsmanagementsystems sollte darauf geachtet werden, dass vor allen anderen Prozessen die Leitgedanken und Ziele sowie die übergeordneten Managementprozesse ausreichend implementiert sind. Ein Qualitätsmanagementsystem kann nur funktionieren, wenn alle davon Betroffenen sich mit den Zielen identifizieren können. Wenn dieser erste Schritt - wie in Hamburg - ausgelassen wird, ist es harte Arbeit, dem QMS den Charakter eines einengenden Korsetts zu nehmen, das statt Sicherheit für die Anwender Widerstand und Frustration erzeugt. ➤ Ob ein Instrument wie die Jugendhilfeinspektion ein geeignetes Instrument für Fachaufsicht ist, sollte jede Stadt oder Kommune vor der Einführung kritisch hinterfragen. Wenn so ein Instrument tatsächlich den Auftrag wahrnimmt, als unabhängiges Gremium förderliche und hemmende Bedingungen gewinnbringend zu untersuchen, könnte es einen Beitrag zur Verbesserung der Arbeit einzelner Dienststellen und der gesamten Organisation leisten. Ob sich der Aufwand an Ressourcen, die hierfür erforderlich sind, lohnt, müsste überprüft werden. In keinem Fall darf so ein Gremium der Fachaufsicht dafür eingesetzt werden, kritisch verlaufene Fälle unter politischem Druck zu untersuchen. Mit diesem Schritt wird es in der Wahrnehmung von Fachkräften jegliche Legitimation für den eigentlichen Auftrag verlieren. Diese Aufgabe muss durch unabhängige Experten erfolgen, die Risiken gemeinsam mit den Fachkräften analysieren und so eine adäquate Aufarbeitung gewährleisten. ➤ Sollte eine Kommune über die Anschaffung einer neuen Software für die Jugendhilfe nachdenken, wäre es vermutlich ratsam, darauf zu achten, dass die Komplexität des Programms nicht zu Lasten der Funktionalität und Bedienerfreundlichkeit geht. Bei allen Maßnahmen, die darauf abzielen, die ASD-Arbeit verlässlicher und sicher zu gestalten, darf nicht vergessen werden, dass der Kern guter Arbeit Beziehungsarbeit ist. Für Beziehungsarbeit gibt es leider keine Sicherheitsgarantie. Sicher ist allerdings, dass zeit- und ressourcenaufwändige Standards, Regelungen und Kontrollsysteme keine Wirksamkeit entfalten können, wenn es Fachkräften im ASD nicht gelingt, einen Zugang zu den Menschen zu bekommen, um die es in der Arbeit geht. Sigrun Zielke Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit (DBSH), Landesverband Hamburg Saselbergweg 74 22395 Hamburg www.dbsh-hamburg.de Literatur Ackermann, T., Robin, P. (2018): Die Perspektive von Kindern und Eltern in der Kinder- und Jugendhilfe - zwischen Entmutigung und Wiedererstarken. In: Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg 21/ 9 (Hrsg.): Protokoll der öffentlichen Sitzung der Enquete-Kommission„Kinderschutz und Kinderrechte weiter stärken“ Biesel, K. (2013): Gutes Arbeiten im Allgemeinen Sozialen Dienst - ist das überhaupt möglich? In: Dialog Erziehungshilfe 3, 28 - 31 Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit (DBSH), Landesverband Hamburg (2016): Kinderschutz und seine Risiken. In: Forum für Kinder- und Jugendarbeit 32, 56 - 57 LAG ASD (2018): ASD der Zukunft - Professionelle Anforderungen an die Soziale Arbeit. Vortrag im Rahmen der Öffentlichen Sitzung der Enquete-Kommission „Kinderschutz und Kinderrechte weiter stärken“ am 28. 6. 2018