unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2018.art70d
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Bedeutung der Verfahrensbeistände in familiengerichtlichen Verfahren
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Reinhard Prenzlow
Der Verfahrensbeistand hat den Verfahrenspfleger in familiengerichtlichen Verfahren im Jahr 2009 ersetzt. Damit ergaben sich Konkretisierungen des gesetzlichen Aufgabenbereichs und Umstellungen für die MitarbeiterInnen im Jugendamt. Im Beitrag werden die Aufgaben des Verfahrensbeistands in unterschiedlichen Fallkonstellationen und die Kooperation mit dem Jugendamt beschrieben.
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458 unsere jugend, 70. Jg., S. 458 - 465 (2018) DOI 10.2378/ uj2018.art70d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Bedeutung der Verfahrensbeistände in familiengerichtlichen Verfahren Interessenvertretung der Kinder durch Verfahrensbeistände und Mitarbeiter des Jugendamtes Der Verfahrensbeistand hat den Verfahrenspfleger in familiengerichtlichen Verfahren im Jahr 2009 ersetzt. Damit ergaben sich Konkretisierungen des gesetzlichen Aufgabenbereichs und Umstellungen für die MitarbeiterInnen im Jugendamt. Im Beitrag werden die Aufgaben des Verfahrensbeistands in unterschiedlichen Fallkonstellationen und die Kooperation mit dem Jugendamt beschrieben. von Reinhard Prenzlow Jg. 1951; Verfahrensbeistand und Berufsvormund, Vorsitzender des BVEB Im Jahr 1998 wurde der Verfahrenspfleger als Interessenvertreter für die betroffenen Kinder Teil des familiengerichtlichen Verfahrens. 2009 wurden im Rahmen der FamFG-Reform seine Aufgaben präzisiert und aus dem Verfahrenspfleger für Kinder und Jugendliche wurde der Verfahrensbeistand. Den Verfahrenspfleger gibt es seitdem nur noch als Interessenvertreter für Erwachsene in Betreuungsverfahren. Diese neue Rolle bedeutete für die Mitarbeiter im Jugendamt eine wesentliche Veränderung in ihrer Arbeit, da sie sich bisher meist auch als Vertreter der Kindesinteressen verstanden haben. Rechte und Aufgaben des Verfahrensbeistands Der Verfahrensbeistand wird durch die Bestellung zum Beteiligten im Verfahren (§ 158 Abs. 3 Satz 2 FamFG). Er hat die Rechte des Kindes wahrzunehmen, ohne an dessen Weisungen gebunden zu sein. Insofern unterscheidet sich seine Aufgabe von der eines Anwalts. Denn dieser ist verpflichtet, den Aufträgen seines Mandanten zu folgen oder sein Mandat zurückzugeben. Der Verfahrensbeistand kann im Interesse des Kindes auch Rechtsmittel - in diesem Fall Beschwerde - gegen einen Beschluss des Amtsgerichts einlegen. Als Beteiligter muss er auch elterlichen Vergleichen, die vom Familiengericht gebilligt werden sollen, zustimmen oder ihnen seine Zustimmung verweigern, wenn dies im Interesse des Kindes geboten ist. (Ein gerichtlich gebilligter Vergleich ist vollstreckungsfähig.) Der Verfahrensbeistand ist aber nicht Rechtsvertreter im eigentlichen Sinne. Gerade bei der Vertretung materieller Rechte ist weiterhin entweder die Bestellung eines Ergänzungspflegers oder bei über 14-jährigen Jugendlichen auch eines Anwalts erforderlich. 459 uj 11+12 | 2018 Verfahrensbeistände als Interessenvertretung der Kinder Aufgabe des Verfahrensbeistands ist es, das Interesse des Kindes festzustellen und im gerichtlichen Verfahren zur Geltung zu bringen (§ 158 Abs.4 Satz 1 FamFG). Als „Interessen des Kindes“ sind seine subjektiven Interessen, d. h. der Wille des Kindes, und seine objektiven Interessen, d. h. das Kindeswohl, einzubeziehen. Was bedeutet dies für die praktische Arbeit des Verfahrensbeistands? Gegenüber dem Kind: Der Verfahrensbeistand spricht immer persönlich mit dem Kind, erkundet dabei seinen Willen zum Verfahrensgegenstand und informiert sich über die Lebenssituation des Kindes an seinem gewöhnlichen Lebensmittelpunkt. Dabei informiert er das Kind altersangemessen über das Gerichtsverfahren und die Möglichkeiten des Kindes, Einfluss auf das Ergebnis des Verfahrens zu nehmen. Er erörtert dabei auch, welche Wünsche und Vorstellungen das Kind zur Lösung des Konflikts hat. Sind die Kinder alters- oder entwicklungsbedingt noch nicht sprachfähig, erkundet er mithilfe einer Interaktionsbeobachtung die Beziehung und Bindung des Kindes an seine Eltern und Bezugspersonen. Diese Interaktionsbeobachtungen und deren Interpretation erfordern Fertigkeiten, die ein Verfahrensbeistand sich erst erarbeiten oder erwerben muss. Dazu gehören vordringlich ein gutes Einfühlungsvermögen und auch praktische Erfahrungen im Umgang mit Kindern. Auch Kenntnisse und Erfahrungen aus dem pädagogischen Bereich sowie Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie und der Bindungsforschung sind unverzichtbar. Als Beispiel können hier Verfahren dienen, in denen es um Babys und Kleinkinder geht, die noch nicht sprachfähig sind. Ohne ein fundiertes Wissen um altersbedingtes Entwicklungsverhalten bzw. um das Erkennen von möglichen Beziehungs- und Bindungsstörungen kann eine solche Interaktionsbeobachtung kaum fundiert durchgeführt werden. Aber auch bei Kindern mit psychischen Störungen und sozialen Verhaltensauffälligkeiten sind Kenntnisse aus dem sozialpädagogischen und schulischen Bereich unverzichtbar. Ein ausschließlich juristisches Wissen dürfte hier nicht ausreichen. Gegenüber den Eltern: Je nach Einzelfall führt er Gespräche mit den Eltern oder anderen Bezugspersonen des Kindes (Geschwistern, Großeltern, Erzieherinnen oder Lehrern, Pflegepersonen, der Mitarbeiterin des Jugendamtes, der Sachverständigen usw.). Dabei kann er am Zustandekommen einer einvernehmlichen Lösung mitwirken, indem er z. B. den Eltern die konkreten Wünsche der Kinder übermittelt und sie über die je nach Entwicklungsstand unterschiedlichen Bedürfnisse des Kindes und den konkreten Förderungs- und Erziehungsbedarf informiert. Als neutrale, unabhängige und nur den Interessen des Kindes verpflichtete Person ist seine Aufgabe, die Lösungsvorstellungen der Kinder den Eltern nahezubringen, und darauf zu achten, dass diese angemessen berücksichtigt werden. Dies ist insbesondere immer dann sinnvoll, wenn die Eltern in ihrem Streit untereinander die Interessen des Kindes aus dem Blick verloren haben oder die Kinder instrumentalisieren. So können die Eltern auch wieder in die Lage versetzt werden, eine kindgerechte Lösung zu finden. Gegenüber dem Familiengericht: Die Ergebnisse seiner Arbeit, d. h. der ermittelte subjektive Kindeswille (damit ist die vom Kind geäußerte Willensbekundung gemeint, die sich situativ, altersabhängig und auch von der Gefühlslage bestimmt verändern kann), Lösungsvorstellungen des Kindes, die Beobachtungen des Kindes während der Gespräche und Interaktionsbeobachtungen sowie die Aussagen der anderen Beteiligten werden in einer schriftlichen Stellungnahme demGerichtübersandt.Mitdieser Stellungnahme gibt derVerfahrensbeistand in der Regel auch eine Empfehlung ab, wie eine kindgerechte Lösung aussehen könnte. In seiner Begründung muss er auch angeben, warum er eventuell nicht vollständig dem geäußerten Willen des Kindes in seiner Empfehlung gefolgt ist. Dies könnte der Fall sein, wenn seiner Meinung nach die objektiven Interessen des Kindes, also das Kindeswohl, von dem geäußerten Willen stark abweichen. 460 uj 11+12 | 2018 Verfahrensbeistände als Interessenvertretung der Kinder Im Verfahren: Er nimmt an allen gerichtlichen Terminen teil, bringt stellvertretend für das Kind dessen Interessen ein und achtet auf deren Berücksichtigung beim Abschluss eines Vergleiches oder einer gerichtlichen Entscheidung. Damit entlastet er das Kind schon allein dadurch, dass das Kind nicht persönlich an den oft langwierigen Anhörungen der Eltern, die oft mit den Streitigkeiten befrachtet sind, teilnehmen muss. Jedes familiengerichtliche Verfahren trägt für ein Kind in der Regel zu einer Vielzahl zusätzlicher Verunsicherungen und Belastungen bei, da je nach Fall eine große Anzahl dem Kind unbekannte Personen mit dem Kind sprechen wollen. Daher ist es auch eine Aufgabe des Verfahrensbeistands, Mehrfachbefragungen zu vermindern und immer wieder auf die Folgen für das Kind hinzuweisen. Das heißt praktisch: Der Verfahrensbeistand soll vor der Anhörung: ➤ das Kind über das Verfahren und die Funktion des Verfahrensbeistands als parteilicher Vertreter des Kindes informieren ➤ die Situation aus der Sicht des Kindes erkunden ➤ die Wünsche und Vorstellungen des Kindes zur Lösung des Konflikts aufnehmen ➤ das Kind über seine Einflussmöglichkeiten und mögliche Verfahrensergebnisse informieren Der Verfahrensbeistand soll in der Anhörung: ➤ Bericht erstatten über die Gespräche mit dem Kind ➤ die Interessen des Kindes aktiv vertreten ➤ an einer einvernehmlichen Lösung mitwirken und ggf. einen Antrag stellen Der Verfahrensbeistand soll nach der Anhörung: ➤ das Kind über das Ergebnis informieren ➤ mit dem Kind die möglichen Folgen besprechen ➤ ggf. Rechtsmittel einlegen Unterschiedliche Aufgaben in verschiedenen Fallkonstellationen Der Gesetzgeber hat kurz vor Verabschiedung des FamFG noch eine Änderung eingefügt, die auf die Arbeit des Verfahrensbeistands große Auswirkungen hat. So hat er die Vergütung auf eine Pauschalierung umgestellt, die zwei Staffeln enthält. Die einfache Pauschale erlaubt dem Verfahrensbeistand im Wesentlichen nur die Ermittlung der kindlichen Interessen und deren Vertretung im Verfahren. Erst die Erweiterung seiner Aufgaben ermöglicht ihm in der Regel eine umfassende und kindgerechte Ermittlung aller relevanten Kindesinteressen. Im § 158 Abs. 4 Satz 3 FamFG heißt es dazu: „Soweit nach den Umständen des Einzelfalls ein Erfordernis besteht, kann das Gericht dem Verfahrensbeistand die zusätzliche Aufgabe übertragen, Gespräche mit den Eltern und weiteren Bezugspersonen des Kindes zu führen sowie am Zustandekommen einer einvernehmlichen Regelung über den Verfahrensgegenstand mitzuwirken. Das Gericht hat Art und Umfang der Beauftragung konkret festzulegen und die Beauftragung zu begründen.“ Grundsätzlich müssen sich die Arbeit und die Vorgehensweise am Einzelfall orientieren. Insbesondere sind das Alter des Kindes, sein Geschlecht, sein Entwicklungsstand, seine Sprach- und Ausdrucksfähigkeit und die unterschiedlichen Interessen von Geschwisterkindern zu beachten. Verfahren bei Trennung und Scheidung - Antragsverfahren In allen Verfahren, in denen es um einen Streit der Eltern über den ständigen Aufenthalt der Kinder geht, ist es notwendig, dass die Wünsche und der Wille der Kinder erforscht werden. Dabei ist es notwendig, dass der Verfahrensbeistand die Kinder bei jedem Elternteil besucht, um die Beziehung und die Bindung im Rahmen 461 uj 11+12 | 2018 Verfahrensbeistände als Interessenvertretung der Kinder einer Interaktionsbeobachtung zu ergründen. Zusätzlich hilft es, nach sozialen und persönlichen Beziehungen im Umfeld und dem Entwicklungsstand des Kindes zu fragen und dazu mit weiteren Bezugspersonen zu sprechen. Diese Kontakte zu Geschwisterkindern und Verwandten bzw. Betreuungspersonen wie Erzieherinnen, Lehrern, aber auch ggf. zu Ärzten und Therapeuten erlauben eine objektivere Betrachtung der Situation des Kindes, als es nur durch die Gespräche mit den Kindern bzw. deren Eltern als direkt Beteiligte möglich wäre. Dabei muss im Einzelfall immer auch geklärt werden, ob die anzusprechenden Personen einer Pflicht zur Verschwiegenheit z. B. aus § 203 StGB unterliegen. Die Eltern müssen dann um eine entsprechende Entbindung der zu befragenden Personen von ihrer Schweigepflicht gebeten werden. In diesen Verfahren ist das Jugendamt nur „Kann-Beteiligter“; es ist aber nach § 162 Abs. 1 FamFG vom Gericht anzuhören. In der Praxis bedeutet dies, dass das Jugendamt in diesen Gerichtsverfahren kein formales Recht auf Akteneinsicht, z. B. ein Gutachten, hat. Außerdem ist seine Zustimmung zu einem gerichtlich gebilligten Vergleich nicht erforderlich. Somit kann es diesen - im Gegensatz zum Verfahrensbeistand - auch nicht verhindern. Um die vollen Rechte zu erhalten, muss sich das Jugendamt zu Beginn des Verfahrens zum „Beteiligten“ erklären. Dies gilt ebenso in den Umgangsverfahren - s. u. Umgangsverfahren - Amtsverfahren Die Regelbestellung bezieht sich nach § 158 Abs. 2 Nr. 5 FamFG auch auf die Verfahren bei Umgangsausschluss oder wesentlichen Beschränkungen des Umgangs. Gerade in diesen Verfahren ist der Kampf der Eltern gegeneinander besonders groß. Das Kind wird sehr oft instrumentalisiert und die wirklichen Interessen des Kindes werden nicht mehr ausreichend wahrgenommen. Oft kommt es auch zu Umgangsverweigerung eines Elternteils und/ oder des Kindes. Die Erforschung des unbeeinflussten Willens des Kindes, die Suche nach den Ursachen seiner Verweigerung und seiner Ängste und die Herausarbeitung der wirklichen Interessen erfordern einen oftmaligen Kontakt zu den Kindern und ihrem Umfeld. Dabei ist davon auszugehen, dass der geäußerte Wille eines Kindes immer in irgendeiner Weise beeinflusst ist. Die Erforschung der Ursachen ist hierbei schwierig, da die Spannweite von Beeinflussungsfaktoren groß ist. Im Fokus stehen gerade für die kleineren Kinder ihre Gefühle: Die Liebe zur Betreuungsperson, die Sehnsucht nach dem getrennt lebenden Elternteil, Verlustängste, positive und auch negative Erfahrungen aus der Vergangenheit, Solidarisierungsverhalten, Geschwisterproblematiken bis hin zu stark belastenden und traumatischen Erfahrungen nach erlebter Gewalt gegen das Kind oder zwischen den Eltern. Bei älteren Kindern und Jugendlichen ist zusätzlich der Wunsch nach Autonomie und Ablösung zu berücksichtigen. Bei extremen Verweigerungshaltungen, die sich oft nicht über Gespräche oder Beobachtungen ergründen lassen, ist auch die Beantragung eines Sachverständigengutachtens zu erwägen. Auch die Umgangsbegehren von leiblichen Eltern, deren Kinder in Pflegeverhältnissen leben, erfordern intensive Kenntnisse der Bindungsforschung. Die Ängste von Pflegeeltern auf der einen Seite, dass „ihr“ Kind durch den Kontakt eventuell geschädigt oder ihnen entfremdet wird, und die Angst der leiblichen Eltern auf der anderen Seite, ihre Kinder für immer zu verlieren, macht es schwer, die Kindesinteressen im Blick zu behalten. Eine gelingende Kooperation zwischen Verfahrensbeistand und Jugendamt ist meist eine gute Voraussetzung für eine Lösung ohne Gerichtsentscheidung - eine Elternvereinbarung. Im Idealfall hat das Jugendamt seinen Beratungsauftrag nach § 17 SGB VIII mit den Eltern schon im Vorfeld des Verfahrens erfüllt. Konnte hier keine Einigung erzielt werden, hat das Ju- 462 uj 11+12 | 2018 Verfahrensbeistände als Interessenvertretung der Kinder gendamt im Verfahren nach § 156 FamFG auf Einvernehmen zwischen den Eltern hinzuwirken. Diese Vermittlungsaufgabe kann es selbst wahrnehmen oder sich der Hilfe von Beratungsstellen bedienen. Der erweiterte Auftrag bei der Bestellung des Verfahrensbeistands ist die Mitwirkung am Zustandekommen einer einvernehmlichen Regelung. Auch wenn sich beide Aufträge ähnlich anhören, so gibt es doch wesentliche Unterschiede in der konkreten Aufgabenstellung: Der Verfahrensbeistand informiert die Eltern - einzeln - über die Wünsche des Kindes, seine altersgemäßen Bedürfnisse, das kindliche Erleben des Elternkonflikts und mögliche Folgen für die Entwicklung. Dabei unterbreitet er den Eltern - auch auf der Basis der Kindesäußerungen - mögliche Lösungsvorschläge. Im Idealfall erreicht er eine Re-Sensibilisierung der Eltern für die Bedürfnisse ihrer Kinder, die die Suche nach einer kindgerechten Lösung erleichtert. Er führt keine Vermittlungsgespräche mit den Eltern! Verfahren bei Kindeswohlgefährdung - Amtsverfahren In diesen Verfahren kommt es oft zu einer Inobhutnahme mit Unterbringung in einer Bereitschaftspflegefamilie, einer Notunterkunft, einem Kinderheim oder Ähnlichem. Dann ist es notwendig, die Kinder in der entsprechenden Einrichtung zu besuchen. Aber auch die Herkunftssituation des Kindes muss beachtet und Gespräche mit Eltern müssen geführt werden. Da in der Regel von einem Spannungsbis hin zu einem Ablehnungsverhältnis zwischen Eltern und Jugendamt auszugehen ist, kann der Verfahrensbeistand in die Situation kommen, im Interesse des Kindes eine andere Meinung als das Jugendamt zu vertreten. Hier gilt es besonders, sehr sorgfältig neben der Ermittlung des Kindeswillens, dessen Erforschung wegen möglicher Schädigungen und Traumatisierungen des Kindes nicht leicht ist, auch die weitergehenden Interessen des Kindes unter Abwägung des Kindeswohls zu ermitteln, um eine sachlich begründete Stellungnahme abgeben zu können, die den Gesamtinteressen des Kindes gerecht wird. Die Akzeptanz der Rollen aller Beteiligten ist Grundvoraussetzung für das Gelingen einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung, weil die Gefahr einer Instrumentalisierung und das Abrutschen auf eine persönliche Konfrontationsebene schon wegen der starken emotionalen Belastung bei einer möglichen Kindesherausnahme sehr groß sind. Im Endergebnis hat der Verfahrensbeistand unter Abwägung der Elternrechte gegenüber der Sicherstellung des Kindeswohls eine Empfehlung abzugeben. In diesen Verfahren hat das Jugendamt automatisch eine Beteiligtenstellung nach §162 Abs. 2 FamFG. Praxisbeispiel I Ausgangslage: Ein 13-jähriges Mädchen A. wendet sich an das Jugendamt, da es und seine drei jüngeren Geschwister vom alleinerziehenden Vater geschlagen und eingesperrt würden. Sie wolle jetzt nicht mehr bei ihm wohnen, sondern zu ihrer Mutter ziehen. Die Familie ist dem Jugendamt seit vielen Jahren bekannt, da A. schon im Alter von drei Jahren von ihrer psychisch kranken Mutter auf Anordnung des Gerichts zum Vater wechselte. Dieser besitzt faktisch das alleinige Sorgerecht für alle vier Kinder, da bei der Mutter das Ruhen der elterlichen Sorge angeordnet wurde. Trotz erheblichen Streits der Eltern wurden die weiteren Kinder - aktuell 11 Jahre, neun Jahre und fünf Jahre - geboren und leben seitdem immer beim Vater. Es besteht ein unregelmäßiger Umgang. Das Jugendamt hat A. in Obhut genommen und sie bei der Mutter untergebracht. Da der Vater der Inobhutnahme widersprochen hat, hat das JA einen Antrag nach § 8 a für alle Kinder beim Gericht gestellt. Das Gericht hat daraufhin einen Verfahrensbeistand für alle Kinder eingesetzt. 463 uj 11+12 | 2018 Verfahrensbeistände als Interessenvertretung der Kinder Praktische Tätigkeiten: Der Verfahrensbeistand hat danach folgende Gespräche geführt: ➤ Mit allen Kindern - mit A. einmal im Haushalt der Mutter, einmal an einem neutralen Ort, um deren Sichtweise zu den Vorwürfen und um ihre Meinung zu möglichen Folgen (Verbleib im Haushalt des Vaters bzw. der Mutter oder Fremdunterbringung) zu erfahren. ➤ Mit beiden Eltern einzeln. ➤ Mit dem Mitarbeiter des Jugendamts, um mehr über die bisher durchgeführten Maßnahmen, weitere Gründe für das aktuelle Handeln und mögliche Ziele zu erfragen. ➤ Mit der Bezugserzieherin im Kindergarten für das jüngste Kind und den Lehrerinnen bzw. Lehrern der anderen Kinder. Nach Auswertung aller Gespräche hat der Verfahrensbeistand eine Stellungnahme an das Gericht geschrieben, in dem er die wörtlichen Aussagen der Kinder und die persönlichen Aussagen der anderen Befragten wiedergegeben, seine konkrete Empfehlung zum Verfahrensgegenstand und die entsprechende Begründung verfasst hat. Die Empfehlung: Das Mädchen sollte einen Erziehungsbeistand erhalten. Ob sie bei der Mutter bleiben kann, muss durch ein ärztliches Gutachten geklärt werden. Sollte dieser Aufenthalt bei der Mutter möglich sein, müsste diese ihr Sorgerecht zurückerhalten. Die anderen Kinder bleiben unter der Bedingung beim Vater, dass dieser der Einrichtung einer Hilfe zur Erziehung in seinem Haushalt zustimmt. Es soll eine verbindliche Umgangsregelung für die Kinder erarbeitet werden! Praxisbeispiel II Ausgangslage: Ein 9-jähriges Mädchen wird durch das Jugendamt wegen einer vermuteten Kindeswohlgefährdung im Rahmen von § 1666 BGB in Obhut genommen und in ein Mädchenschutzhaus gebracht. Die Mutter hatte einen sexuellen Übergriff ihres 16 Jahre alten Sohnes an dem Mädchen zur Anzeige gebracht. Die Familie mit Migrationshintergrund war dem Jugendamt schon aus anderen Verfahren bekannt. Es war in der Vergangenheit immer wieder zu Problemen zwischen der Mutter, die Analphabetin ist, und dem Jugendamt gekommen, weil die Mutter „nicht mitgewirkt“ habe und auf Anschreiben nicht reagiert habe. Das Jugendamt beantragte den Entzug der elterlichen Sorge und eine dauerhafte Unterbringung des Mädchens, da eine Gefahr durch den Bruder weiterbestehe, die Mutter ihr Kind nicht schützen könne und sie der Unterbringung nicht zustimmte. Das Gericht entzog im Rahmen einer einstweiligen Anordnung der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Der Verfahrensbeistand kam nach Gesprächen mit dem Mädchen, der Mutter und weiteren Familienangehörigen und dem Jugendamt zu der Empfehlung, das Kind unter Auflagen wieder in den elterlichen Haushalt zurückzuführen. Die Auflagen bestanden in der Zustimmung der Mutter zu einer Familienhilfe und Anbindung des Mädchens an eine therapeutische Einrichtung, was diese auch zusagte. Der Wunsch und der Wille des Kindes nach einer baldigen Rückkehr zu ihrer Mutter waren eindeutig. Das Gericht erließ nach drei Monaten im Hauptsacheverfahren einen Beschluss, in dem der Teilentzug der Sorge aufgehoben wurde und dem Jugendamt aufgegeben wurde, nach Rechtskraft der Entscheidung das Kind zurückzuführen. Gegen diesen Beschluss legte das Jugendamt Beschwerde beim OLG ein, da nach einer Rückführung die Kindeswohlgefährdung weiterhin wegen früherer häuslicher Gewalt, dem erfolgten sexuellen Missbrauch und einer möglichen Wiederholungsgefahr sowie einem Autonomiekonflikt zwischen Mutter und Kind vorläge. 464 uj 11+12 | 2018 Verfahrensbeistände als Interessenvertretung der Kinder Der Verfahrensbeistand empfahl die Zurückweisung der Beschwerde, da der anhaltende, begründete und gefestigte Kindeswille des inzwischen 10-jährigen Mädchens nicht ausreichend berücksichtigt werde und die strengen Vorgaben des BVerfG für eine Fremdunterbringung gegen den Willen der Eltern gemäß dem Art. 6 GG nicht erfüllt seien. Im Einzelnen: ➤ Die Mutter lebt inzwischen allein in einer 2-Zimmer-Wohnung. Sie lässt nur die Personen in die Wohnung, denen sie vertraut. ➤ Der mögliche Täter hat seit über sechs Monate keinen Kontakt mehr zu seiner Mutter. Diese würde ihn auch nicht hereinlassen. ➤ Die Mutter stimmt den Auflagen für die Rückführung zu. ➤ Der Nachweis einer akuten, nicht behebbaren und mit großer Wahrscheinlichkeit wieder auftretenden Kindeswohlgefährdung kann vom Jugendamt nicht erbracht werden. Ein „Bauchgefühl“ reicht für einen solchen schwerwiegenden Eingriff ins Elternrecht nicht aus. Die Beschwerde des Jugendamtes wurde vom OLG zurückgewiesen und das Mädchen durfte nach Hause zurückkehren. Verfahren um die Rückführung eines Kindes aus einer Pflegestelle Die besondere Problematik in diesen Fällen folgt aus der speziellen Situation. Die Übersiedlung in eine Pflegestelle, und damit Trennung des Kindes von seinen leiblichen Eltern, erfolgt in der Regel mit Zustimmung dieser leiblichen Eltern oder durch Entzug der elterlichen Sorge. Je nach Länge und Art der Unterbringung entstehen so durch Zeitablauf neue und für die Entwicklung des Kindes überlebensnotwendige Bindungen. Diese können nur positiv sein, wenn sie von beiden Teilen, Kind und Pflegeeltern gleichermaßen, eingegangen werden. Wenn nun die leiblichen Eltern eine Rückführung begehren, so stellt dieser Wunsch für das Kind, aber auch für die Pflegeeltern eine erhebliche Verunsicherung dar. Die Beratung des Kindes über die möglichen Folgen, die Erörterung von eventuellen Konsequenzen und mögliche Hilfen stellen einen Hauptteil der Arbeit des Verfahrensbeistands dar. Der subjektive Kindeswille ist in diesen Verfahren stark zu berücksichtigen. Zusätzliche Gespräche mit leiblichen und pflegenden Eltern, die diese für die Situation und die Gefühlslage des Kindes sensibilisieren sollen, sind für die Erarbeitung einer abgewogenen Empfehlung wichtig. Verfahren nach § 1632 b BGB oder PsychKG - geschlossene Unterbringung Es geht in diesen Verfahren um die freiheitsentziehende Maßnahme einer Unterbringung in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) oder pädagogischen geschlossenen Einrichtung. Bei der Unterbringung in der Psychiatrie - einstweilige Anordnung nach § 151 Abs. 6 bzw. § 167 Abs. 1 FamFG - ist es die Aufgabe des Verfahrensbeistands, mit dem Kind zu erörtern, ➤ wie es dem Kind in der KJP geht (Medikamentierung/ Fixierung/ usw.), ➤ welchen Hilfebedarf das Kind selbst sieht, ➤ ob es ggf. auch zu einer Unterbringung in einer offenen Station bereit ist, und ➤ ob der Verfahrensbeistand vom Kind den Auftrag erhält, gegen den Beschluss des Gerichts Beschwerde einzulegen. Dabei muss der Verfahrensbeistand abwägen, ob der Kindeswille oder das Kindeswohl höher einzuschätzen sind. (Rechtlich umstritten ist, ob dieses Beschwerderecht auch schon für Kinder unter 14 Jahren gilt! ). In diesen Fällen ist das Jugendamt nur beteiligt, wenn die Sorgeberechtigten schon im Vorfeld den Kontakt gesucht haben. Je nach Bedarf weiterer Hilfen kann eine Überleitung vom Sozialdienst der KJP zum Jugendamt notwendig sein. 465 uj 11+12 | 2018 Verfahrensbeistände als Interessenvertretung der Kinder Verfahren mit Auslandsbezug An dieser Stelle verzichte ich auf eine ausführliche Darstellung, da diese Verfahren nur an den Amtsgerichten der OLG-Standorte geführt werden. Meist ist dann auch der Internationale Sozialdienst beteiligt. Grundsätzlich handelt es sich hierbei um die internationalen Verfahren bei Kindesentführung (Verfahren nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen (HKÜ)) sowie die internationalen Umgangsverfahren (nach der EU-Verordnung über die Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung (Brüssel IIA). Empfehlungen für eine gelingende und an den Kindesinteressen ausgerichtete Arbeit zwischen Verfahrensbeistand und Jugendamt ➤ In den Sorge- und Umgangsverfahren arbeiten beide an der Erarbeitung einer einvernehmlichen Lösung der Eltern mit. Dabei berücksichtigt der Verfahrensbeistand die eigenständigen Kindesinteressen und klärt mit den Kindern, ob diese mit der gefundenen Einigung einverstanden sind. ➤ Beide sorgen unter Beachtung des kindlichen Zeitempfindens für einen zügigen Ablauf des Verfahrens. ➤ Beide beachten die jeweiligen Grenzen ihres Aufgabenbereiches und sind grundsätzlich zum Austausch bereit. ➤ Sollte keine Lösung gefunden werden, beantragt der Verfahrensbeistand zeitnah den Erlass eines gerichtlichen Beschlusses. ➤ In Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung respektieren die Mitarbeiter des Jugendamtes die eigenständige Rolle des Verfahrensbeistands. Sich daraus ergebende unterschiedliche Meinungen werden auf der Sachebene diskutiert. ➤ Dies gilt ebenfalls in den Verfahren wegen möglicher Rückführung der Kinder aus einer Fremdunterbringung. Reinhard Prenzlow Hannoversche Str. 140 g 30823 Garbsen E-Mail: verfahrensbeistand@t-online.de
