eJournals unsere jugend 70/11+12

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2018.art71d
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Der Verfahrensbeistand - Anwalt des Kindes im familiengerichtlichen Verfahren

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Wolfgang Braun
Für Kinder muss nach § 158 FamFG in familiengerichtlichen Verfahren ein Verfahrensbeistand eingesetzt werden. Der folgende Beitrag widmet sich den spezifischen Aufgaben und Herausforderungen des Verfahrensbeistands. Dabei stehen praktische Hinweise zur Kooperation mit den Eltern, dem Kontaktaufbau zum Kind sowie Möglichkeiten der Gesprächsführung im Mittelpunkt.
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466 unsere jugend, 70. Jg., S. 466 - 472 (2018) DOI 10.2378/ uj2018.art71d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Der Verfahrensbeistand - Anwalt des Kindes im familiengerichtlichen Verfahren Für Kinder muss nach § 158 FamFG in familiengerichtlichen Verfahren ein Verfahrensbeistand eingesetzt werden. Der folgende Beitrag widmet sich den spezifischen Aufgaben und Herausforderungen des Verfahrensbeistands. Dabei stehen praktische Hinweise zur Kooperation mit den Eltern, dem Kontaktaufbau zum Kind sowie Möglichkeiten der Gesprächsführung im Mittelpunkt. von Wolfgang Braun Jg. 1966; Dipl.-Sozialpädagoge, zertifizierter Verfahrensbeistand (BVEB) und systemischer Therapeut/ Familientherapeut (DGSF) Gesetzlicher Rahmen Das Familiengericht muss dem Kind nach § 158 Abs. 1 FamFG einen Verfahrensbeistand bestellen, wenn dies in einer seiner Person betreffenden Kindschaftssache zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich ist. Die Erforderlichkeit liegt vor, wenn ➤ eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung ist ➤ die konkrete Gefahr besteht, dass die gesetzlichen Vertreter die Interessen des Kindes nur unzureichend wahrnehmen, und ➤ die gesetzlichen Verfahrensgarantien für das Kind (u. a. persönliche Anhörung) nicht zur Sicherung der Kindesinteressen ausreichen In § 158, Abs. 3 FamFG wird die Bedeutsamkeit der rechtzeitigen Bestellung hervorgehoben: Der Verfahrensbeistand ist so früh wie möglich zu bestellen, damit das Verfahren durch ihn noch beeinflusst werden kann. Dies entspricht in Grundzügen auch dem in § 155 FamFG enthaltenen Gebot, dass Kindschaftssachen vorrangig und beschleunigt durchzuführen sind. Endet das Verfahren mit einem Beschluss, ist der Inhalt des gerichtlichen Ergebnisses mit dem Kind zu besprechen. Gegebenenfalls ist zu prüfen, ob der Beschluss mit den wohlverstandenen Kindesinteressen vereinbar ist. Laut § 158 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht einen geeigneten Verfahrensbeistand zu bestellen. Damit betont der Gesetzgeber die hohen Anforderungen an die fachliche und persönliche Geeignetheit des Verfahrensbeistandes. Zu erwarten sind für diese höchst anspruchsvolle Tätigkeit eine juristische, pädagogische oder psychosoziale Grundausbildung, eine für diese Aufgabe geeignete Zusatzqualifikation sowie die persönliche Eignung für die Arbeit mit Kindern (Meysen 2009). In der Fachöffentlichkeit besteht Konsens darüber, dass die Vertretung des Kindes im familiengerichtlichen Verfahren ein hohes Maß an sozialwissenschaftlichem und juristischem Fachwissen im o. g. Sinne erfordert (z. B. Dettenborn/ Walter 2015). 467 uj 11+12 | 2018 Verfahrensbeistand als Anwalt des Kindes Aufgaben des Verfahrensbeistandes Der Verfahrensbeistand ist eine von allen anderen Verfahrensbeteiligten unabhängige Person. Er vertritt die Interessen des Kindes unvoreingenommen und unabhängig von den Eltern oder anderen Verfahrensbeteiligten. Mit der Neuregelung werden erstmals in § 158 Abs. 4, FamFG die Aufgaben und die Rechtsstellung des Verfahrensbeistandes genannt. Er hat das Interesse des Kindes festzustellen und im gerichtlichen Verfahren zur Geltung zu bringen. Im Mittelpunkt der Tätigkeit steht demnach die Ermittlung des subjektiven Interesses des Kindes im Kontext seiner Lebenswelt und darüber hinaus seines authentischen Willens. Der Verfahrensbeistand ist jedoch dem Interesse des Kindes verpflichtet und nicht allein dem vom Kind geäußerten Willen. Das heißt, er hat auch das objektive Interesse (Kindeswohl) einzubeziehen und in das Verfahren einzubringen. Gerade in Kindesschutzverfahren nach §§ 1666, 1666 a i. V. m. § 8 a SGB VIII ist neben dem Kindeswillen insbesondere das Kindeswohl hervorzuheben. In der Regel wird dem Verfahrensbeistand gem. § 158 Abs. 4 Satz 3 FamFG die zusätzliche Aufgabe übertragen, Gespräche mit den Eltern und weiteren Bezugspersonen des Kindes zu führen sowie an einer einvernehmlichen Regelung über den Verfahrensgegenstand mitzuwirken. Er wird somit explizit für eine gemeinsame lösungsorientierte Entscheidungsfindung im Austausch mit allen Beteiligten beauftragt. Laut Wünsche, Vorstellungen und Befindlichkeiten des Kindes Aufgaben des Verfahrensbeistandes Originäre Aufgaben Feststellung des Kindesinteresses Geltendmachung des Kindesinteresses im Verfahren Information und Begleitung im Verfahren Persönliche Kontaktaufnahme Mündlicher oder schriftlicher Bericht Aufklärung über Rolle und Aufgaben Teilnahme an Kindesanhörung u. sonstigen Erörterungsterminen Ergebnisvermittlung Zusätzliche Gespräche mit Bezugspersonen Rechtsmittelprüfung Mitwirkung an einvernehmlicher Lösung Kindeswille Objektives Kindeswohl Erweiterter Aufgabenkreis Abb. 1: Aufgaben des Verfahrensbeistandes (Quelle: Heilmann 2015) 468 uj 11+12 | 2018 Verfahrensbeistand als Anwalt des Kindes § 156 FamFG soll das Gericht in Kindschaftssachen, die die elterliche Sorge bei Trennung und Scheidung, den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen, in jeder Lage des Verfahrens auf ein Einvernehmen der Beteiligten hinwirken, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht (Heilmann 2015). Der Verfahrensbeistand soll die anderen am Verfahren Beteiligten, wie Jugendamt oder Sachverständige, hinsichtlich einer gemeinsamen Lösungsfindung unterstützen. Praxisorientierte Überlegungen zur Kooperation mit den Eltern In der Arbeit mit Familien ist es hilfreich, wenn der Verfahrensbeistand über vertiefte Kenntnisse in der Konfliktmoderation und über systemische Beratungskompetenzen verfügt. So stehen die Kinder schon allein wegen des Verfahrens in einer belastenden Stresssituation. Die oft strittige Ausgangslage kann alle Beteiligten zu Opfern machen. Sind die Eltern erst einmal in einer sogenannten Konfliktfalle, haben sich bereits unabänderliche Positionen gebildet. Sprechen die Eltern in Kategorien von „richtig“ und „falsch“, von „gewinnen“ und „verlieren“, droht der Konflikt zu eskalieren, und die Bedürfnisse und Interessen des Kindes werden nur noch unscharf wahrgenommen. Eine Konfliktspirale beginnt. Eltern, die in solch einer Konfliktfalle stecken, neigen dazu, ihre Haltungen und Sichtweisen zu verteidigen. Es folgen gegenseitige Schuldzuweisungen, und es wird versucht, den Verfahrensbeistand durch Triangulation davon zu überzeugen, dass der andere im Unrecht ist. Es beginnt eine Debatte, wer recht und wer Unrecht hat. Für den Verfahrensbeistand stellt diese Konfliktdynamik eine besondere Herausforderung dar. Er hat dann die Aufgabe, mit den Eltern über die Konfliktdynamik zu sprechen und die daraus resultierenden Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung aufzuzeigen. Mithilfe eines verstehensbasierten systemischen Beratungsansatzes sollen die Eltern ihre eigenen Konfliktanteile erkennen, und im nächsten Schritt erste Erkenntnisse gewinnen, wie sie als Akteure aus der Konfliktfalle heraustreten können. Als „Anwalt des Kindes“ kann der Verfahrensbeistand die Eltern fragen, ob sie sich darauf einlassen können, mit ihm ein sogenanntes „Arbeitsbündnis“ aufzubauen. Beispielsweise könnte eine Formulierung lauten: „Im Interesse Ihres Kindes ist es meine Aufgabe herauszufinden, ob ich Ihnen dabei helfen kann, dass Sie in diesem Verfahren eine gemeinsame Entscheidung über ihr Kind treffen. Wenn es mir gelingt, die Position eines jeden von Ihnen zu verstehen, gelingt es vielleicht auch Ihnen, sich gegenseitig zu verstehen …“. Dann kann der Verfahrensbeistand im Sinne des Kindeswohls darauf hinwirken, für das Kind Verständnisräume zu schaffen, und die Eltern darin unterstützen, zugunsten des jeweiligen Kindes ihre Perspektiven zu wechseln, und die Auswirkungen der Konflikte aus der Perspektive des Kindes zu betrachten (Friedmann u. a. 2013). Nicht selten entstehen Betroffenheit und Empathie für das Kind. Als unabhängige und nur dem Interesse des Kindes verpflichtete Person kann der Verfahrensbeistand dann die Bedürfnisse, die Wünsche und Lösungsvorstellungen des Kindes den betroffenen Eltern gegenüber aufzeigen und darauf hinwirken, dass diese im weiteren Verlauf des Verfahrens angemessen berücksichtigt werden. Mit Fragen das Denken verändern Der Verfahrensbeistand kann durch zirkuläre Fragetechniken von der elternbezogenen Sichtweise weg und hin zu einer kindzentrierten Perspektive lenken. Durch solche Fragen entstehen neue Informationen über das Kind. Systemische zirkuläre Fragen erweitern das Handlungs- und Denkspektrum des Befragten und leiten oftmals Wendepunkte ein (Schwing u. a. 2017). Folgende Fragen können dabei hilfreich sein: 469 uj 11+12 | 2018 Verfahrensbeistand als Anwalt des Kindes ➤ „Was glauben Sie, welche Auswirkungen das Verfahren auf Ihr Kind haben wird“? ➤ „Wie kommt Ihr Kind derzeit mit der Situation zurecht“? ➤ „Wie reagiert Ihr Kind auf Ihre Haltung, auf Ihre Entscheidung“? ➤ „Wie schafft es Ihr Kind, mit Ihrem Verhalten zurechtzukommen“? ➤ „Was gelingt ihm gut, was weniger gut“? ➤ „Wer aus Ihrer Familie hilft dem Kind, mit seinen Problemen zurechtzukommen“? ➤ „Was macht Ihrem Kind Angst, was macht ihm Freude“? ➤ „Woran merken Sie, dass es Ihrem Kind schlecht geht, und was könnten Sie dagegen tun“? ➤ „Welche Fähigkeiten und Stärken stecken in Ihrem Kind? Wie schafft er/ sie es, mit den Belastungen fertig zu werden? Was hilft ihm, was ist eher hinderlich“? ➤ „Was müsste sich in der Situation verändern, dass es Ihrem Kind so richtig gut geht? “ Praxisorientierte Überlegungen für einen gelingenden Kontaktaufbau zum Kind Zu Beginn der Verfahrensbeistandschaft hat es sich in der Praxis bewährt, neben dem formellen Anschreiben an die Eltern auch ein persönliches Anschreiben an das Kind zu erstellen, wobei das Alter und die Entwicklung des Kindes zu berücksichtigen sind. Es ist sinnvoll, Broschüren und Informationsmaterial beizufügen, wie sie von der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG), Verfahrensbeistandschaft/ Interessenvertretung für Kinder und Jugendliche e.V. zur Verfügung gestellt werden. Die darin enthaltenen Informationen richten sich an Eltern und Kinder. Sie stellen die Funktion und die wichtigsten Aufgaben des Verfahrensbeistandes in Kurzform und gut verständlich dar. Im weiteren Vorgehen empfiehlt es sich, einen Hausbesuch zum Kennenlernen des Kindes und dessen sozialer Lebenswelt vorzunehmen. Zunächst sollte dafür gesorgt werden, dass das Gespräch in einer angenehmen Atmosphäre stattfindet. So kann z. B. nach dem „Lieblingsplatz“ des Kindes gefragt werden. Da sich Kinder in der Regel schon allein wegen des anstehenden Verfahrens in einer stressbelasteten Situation befinden, gilt es beim ersten Kennenlernen, so viel Sicherheit und Vertrauen wie möglich aufzubauen. Zunächst stellt sich der Verfahrensbeistand dem Kind persönlich vor und erzählt von seiner Profession und seinem beruflichen Erfahrungshintergrund. Dann stellt er dem Kind Fragen zu seiner Person, seinen Erfahrungen in der Schule, seinen Stärken, Hobbys, Interessen usw., um es auf diese Weise besser kennenzulernen und um eine Beziehung zu ihm aufzubauen. Wie in § 158 Abs. 4, Satz 2 FamFG gefordert, hat der Verfahrensbeistand das Kind über Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in geeigneter Weise zu informieren. Dabei erfragt er auch den Wissensstand des Kindes, wobei nachstehende Gesprächsleitlinien als Orientierungshilfe dienen können: ➤ Wer hat das Kind informiert? ➤ Welche Informationen hat es bekommen? ➤ Was weiß das Kind bereits? ➤ Wie wurden die Informationen verarbeitet, was hat es wirklich verstanden? ➤ Sind die Informationen stimmig und altersgerecht vermittelt worden? ➤ Was hat sich seitdem verändert, wie soll es weitergehen? In der Regel sind die Abläufe des Verfahrens detaillierter darzustellen. Dazu gehören die Abfolge von Ereignissen (Gespräche, Gerichtsanhörung usw.), die wahrscheinliche Verfahrensdauer und die Vorstellung der Beteiligten (Funktionen, Befugnisse etc.). Diese Struktur- 470 uj 11+12 | 2018 Verfahrensbeistand als Anwalt des Kindes und Verstehenshilfen können dem Kind dabei helfen, nicht nur einen sachlichen Überblick über das familiengerichtliche Verfahren zu bekommen, sondern auch ein Gefühl von Sicherheit aufzubauen. Ängste, die auf Verunsicherung und Desorientierung beruhen, werden vermindert. Es geht in der ersten Begegnung mit dem Kind darum, neben der Vermittlung von Sachwissen auch Bedeutungen zu erschließen, und Zusammenhänge zwischen den einzelnen Schritten des Gerichtsverfahrens zu erklären. So muss z. B. verdeutlicht werden, welche Auswirkungen ein gerichtlicher Beschluss hat. Auf diese Weise soll das Kind ein realistisches Bild von dem Verfahren erhalten, das zu mehr Klarheit, Verständnis und damit auch Sicherheit aufseiten des Kindes führt. Abschließend erhält das Kind eine schriftliche Information, wie es seinen Verfahrensbeistand erreichen kann. Es wird ermutigt, von der Möglichkeit, bei Bedarf mit ihm in Kontakt zu treten, auch Gebrauch zu machen. Voraussetzungen für ein erfolgreiches Erstgespräch mit dem Kind sind neben der erforderlichen Zeitressource auch die professionellen Fähigkeiten des Verfahrensbeistandes (z. B. hinsichtlich einer kindzentrierten und altersgemäßen Gesprächsführung) und sein Fachwissen (z. B. in Bereichen wie Pädagogik, Psychologie und Kommunikationswissenschaft). Die Beziehung zum Kind Der Verfahrensbeistand wird Kinder besser verstehen, wenn er ihre Emotionen, ihre Ambivalenz und ihre Loyalitäten vor dem Hintergrund ihrer Lebenswelt kennt. Er muss ihnen Zeit lassen, Vertrauen zu ihm aufzubauen. Generell sollte er einen ganzheitlichen Blick für Kinder haben, also ihre Bedürfnisse, Bindungen, Erwartungen, Ängste und anderen Gefühle wahrnehmen. Dabei helfen dem Verfahrensbeistand Erkenntnisse der Kommunikationstheorie: Bei der Analyse der sich entwickelnden Beziehung spielen die Körpersprache mit ca. 55 % sowie Stimme und Betonung mit ca. 38 % eine viel größere Rolle als der Inhalt von Botschaften mit lediglich 7 % (Hargie 2013). Wenn der Verfahrensbeistand das Kind ganzheitlich in den Blick nehmen will, empfiehlt sich somit, auf nachstehende Merkmale zu achten: ➤ Körpersprache und Mimik des Kindes: Haltungen, Denkprozesse und Emotionen sind im Körper verankert und werden durch körpersprachliche Signale wie Mimik, Kopf- und Körperhaltung, Bewegungsabfolge, Gestik usw. zum Ausdruck gebracht. Je intensiver eine Emotion ist, umso stärker werden die körpersprachlichen Reaktionsmuster sichtbar. ➤ Deshalb sollte der Verfahrensbeistand in Gesprächen mit Kindern besonders auf deren Gefühle achten. Von den sieben von Paul Ekman 1969 beschriebenen Basisemotionen (Angst, Ärger, Freude, Ekel, Überraschung, Trauer und Verachtung) dürften vor allem die eher in stressbelasteten Situationen zum Ausdruck gebrachten Emotionen wie Angst, Ärger und Trauer von Bedeutung sein (Eilert 2013). ➤ Neben der Körperhaltung ist die Mimik dafür prädestiniert, Gefühle des Kindes auszudrücken. Die Gesichtsmuskulatur ist mit dem Gefühlssystem (dem limbischen System) verbunden. Dadurch werden die Emotionen im Gesicht besonders deutlich. Je intensiver die Emotionen sind, umso stärker wird die Mimik aktiviert. Wichtig für Emotionserkennung ist, vor allem auf die drei Bereiche Augenbrauen mit Stirn, Augen und Nasenbrücke sowie Wange und Mund zu achten, da sie den Gesichtsausdruck maßgeblich bestimmen. ➤ Mithilfe der „Mimikresonanz“ lassen sich mimische Signale gerade bei Kindern leichter erkennen. Die Kunst besteht darin, 471 uj 11+12 | 2018 Verfahrensbeistand als Anwalt des Kindes diese richtig zu interpretieren, um sodann darauf entsprechend zu reagieren. Dann gelingt es dem Verfahrensbeistand, ein empathisches Grundverständnis für das Kind zu entwickeln. Wenn der Verfahrensbeistand auf Gefühle wie Angst, Trauer Ärger und Schuld - die am ehesten zu erwarten sind - angemessen reagiert, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Rapportaufbau zum Kind gelingen. ➤ Wenn der Verfahrensbeistand über das Gerichtsverfahren und ähnliche Themen spricht, sollte er auch darauf achten, ob das Kind seinen Blick meidet. Dies geschieht oft, wenn Kinder schwierige Informationen verarbeiten müssen (Hargie 2013). ➤ Beruhigungsgesten wie eine freundschaftliche, herzliche Berührung können den Kontaktaufbau mit dem Kind fördern. Wichtig ist auch die Interaktionsbeobachtung zwischen dem Kind und seinen primären Bezugspersonen: Wie sprechen die Eltern mit dem Kind? Wie wirken sie auf es ein? Werden körperliche Gesten eingesetzt? Wird das Kind in den Arm genommen? Ist bei den Eltern ein wertschätzender und beziehungsfördernder Umgang zu sehen oder Gegenteiliges zu beobachten? Sind Suggestionen und einseitige Einflussnahmen seitens der Eltern erkennbar? Welche Effekte sind erkennbar? Wie ist das Nähe- und Distanzverhalten des Kindes? Eine auf Vertrauen basierende Beziehung kann am ehesten durch aktives Zuhören, Reflektieren und Paraphrasieren hergestellt werden: ➤ Aktives Zuhören ist ein fundamentaler Bestandteil im Gespräch mit einem Kind. Der aktive Vorgang beim Zuhören beinhaltet, dass der Verfahrensbeistand seine volle Aufmerksamkeit den kindlichen Botschaften widmet. Dazu gehört auch, nicht nur auf das Sprachliche zu achten, sondern auch die nonverbalen Botschaften einzubeziehen. Das Gesagte will verstanden werden. ➤ Durch Reflektieren und Paraphrasieren kann der Verfahrensbeistand im Gespräch mit dem Kind überprüfen, ob er es korrekt verstanden und seine Gefühle richtig wahrgenommen hat. Egal, ob es um eher sachliche oder eher gefühlsbasierte Botschaften geht, lohnt es sich, das Gehörte mit eigenen Worten wiederzugeben. Beispiele: „Für mich hört sich das an, wie …“, „Wenn ich Dir so zuhöre, dann klingt es für mich so, als ob …“, „Habe ich Dich richtig verstanden, Du denkst, dass …“. Der Verfahrensbeistand hat im Gespräch die Möglichkeit, dem Kind zu verdeutlichen, dass es sich immer mehr einbringen darf und kann. Die Aktivierung des Kindes zur Gesprächsbereitschaft ist von besonderer Bedeutung und stellt eine große Herausforderung für den Verfahrensbeistand dar. Wenn es dem Kind gelingt, ihm seine wichtigsten Gedanken, Gefühle und Erfahrungen zu verdeutlichen, kann dieser sie in das gerichtliche Verfahren einbringen, sodass sie dort berücksichtigt werden können. Die Selbsteinbringung des Kindes ist somit mehr als der bloße Kindeswille. Ausblick Der feinfühlige Umgang mit den betroffenen Kindern, das Aufzeigen von neuen Perspektiven und Lösungsoptionen in ihrer belasteten Situation sowie das Vermitteln von Transparenz, Klarheit und Sicherheit hinsichtlich des Gerichtsverfahrens macht die Arbeit eines Verfahrensbeistandes zu einer verantwortungsvollen und in seiner Wirkung sehr lohnenswerten Zukunftsinvestition. Deshalb wäre es sinnvoll, wenn sein Tätigkeitsfeld auch auf einzelne Bereiche der Jugendhilfe wie beispielsweise auf die stationäre Unterbringung gem. §§ 33, 34 SGB VIII erweitert würde. Wolfgang Braun Wiesenring 104 b 86899 Landsberg am Lech E-Mail: Wolfgang.braun4@gmx.de 472 uj 11+12 | 2018 Verfahrensbeistand als Anwalt des Kindes Literatur Dettenborn, H., Walter, E. (2015): Familienrechtspsychologie. Ernst Reinhardt Verlag, München/ Basel Eilert, D. W. (2013): Mimikresonanz: Gefühle sehen. Menschen verstehen. Junfermann Verlag, Paderborn Friedmann, G., Himmelstein, J. (2013): Konflikte fordern uns heraus: Mediation als Brücke der Verständigung. Wolfgang Metzner Verlag, Frankfurt a. M. Hargie, O. (2013): Die Kunst der Kommunikation: Forschung - Theorie - Praxis. Verlag Hans Huber, Bern Heilmann, S. (2015): Praxiskommentar Kindschaftsrecht. Bundesanzeiger Verlag, Köln Meysen, T. (Hrsg.) (2009): Das Familienverfahrensrecht - FamFG Praxiskommentar mit Einführung, Erläuterungen, Arbeitshilfen. Bundesanzeiger Verlag, Köln Schwing, R., Fryszer, A. (2017): Systemisches Handwerk. Werkzeug für die Praxis. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, https: / / doi.org/ 10.13109/ 9783 666453724