eJournals unsere jugend 70/11+12

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2018.art72d
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2018
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Erziehungsberatung und familiengerichtliche Verfahren nach Elterntrennung

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2018
Gesine Götting
Wenn Eltern gegeneinander vor Gericht ziehen und Kinder dabei zwischen die Fronten geraten, kann Erziehungsberatung helfen. Wie diese Hilfe aussieht, unter welchen Bedingungen sie wirksam sein kann und mit welcher beraterischen Haltung man hier am ehesten Erfolg hat, darum geht es im folgenden Text.
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473 unsere jugend, 70. Jg., S. 473 - 480 (2018) DOI 10.2378/ uj2018.art72d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Gesine Götting Jg. 1972; Dipl.-Psychologin, Leiterin der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche des Landkreises Peine/ Niedersachsen; Psychologische Sachverständige am Familiengericht Erziehungsberatung und familiengerichtliche Verfahren nach Elterntrennung Wenn Eltern gegeneinander vor Gericht ziehen und Kinder dabei zwischen die Fronten geraten, kann Erziehungsberatung helfen. Wie diese Hilfe aussieht, unter welchen Bedingungen sie wirksam sein kann und mit welcher beraterischen Haltung man hier am ehesten Erfolg hat, darum geht es im folgenden Text. Erziehungsberatung vor, während und nach einer Trennung In ganz Deutschland können Eltern, die vor den Herausforderungen einer Trennung stehen, Erziehungsberatung unkompliziert in Anspruch nehmen. Die Hilfe nach § 28 SGB VIII umfasst explizit auch Beratung „bei Trennung und Scheidung“. Beratung fungiert dabei als Oberbegriff. In den meisten Erziehungsberatungsstellen öffentlicher wie freier Trägerschaft haben sich die Fachkräfte in den letzten Jahren umfassend weiter gebildet und sind auf die besonderen Bedarfe getrennter Familien eingestellt: Mediation, Begleiteter Umgang und die Handhabung eskalierter Elternkonflikte befinden sich dabei genauso im Portfolio der Beratungsstellen wie eine psychotherapeutisch fundierte Diagnostik und Unterstützung für die betroffenen Kinder und Jugendlichen - und zwar sowohl im Einzelals auch im Gruppensetting. Dadurch, dass in einer Erziehungsberatungsstelle in der Regel sowohl Sozialpädagogen als auch Psychologen und Kindertherapeuten im Team zusammenarbeiten, können sie Trennungsfamilien zahlreiche Hilfen „aus einer Hand“ anbieten. Beratung im Vorfeld einer familiengerichtlichen Auseinandersetzung vermag diese manchmal zu vermeiden. Es kann aber auch Ergebnis eines Gerichtsverfahrens sein, dass zunächst mit den Mitteln der Beratung versucht werden soll, die Konflikte der Eltern zu klären und beizulegen. In diesem Fall kann eine Familienrichterin den streitenden Eltern eine Beratung empfehlen und zunächst abwarten, ob es den Eltern gelingt, in diesem Rahmen zu eigenen Lösungen zu kommen. Bei chronisch gewordenen Konflikten wird es unter Umständen notwendig, eine Beratung gerichtlich zu verordnen (§ 156 FamFG). Eine Anordnung der Beratung erleichtert es Eltern, die in gemeinsamen Gesprächen schon lange keine Hoffnung auf Erfolg mehr sehen, sich trotzdem in skeptischer Haltung auf diesen Prozess einzulassen (Conen/ Cecchin 2007). Schließlich steht die Erziehungsberatungsstelle getrennten Eltern auch nach familiengerichtlichen Verfahren immer als Anlaufstelle zur Verfügung. Sie können hier künftige Konflikte im vertraulichen Rahmen 474 uj 11+12 | 2018 Erziehungsberatung nach Elterntrennung angehen oder auch Verhaltensprobleme, die Kinder vielleicht erst lange nach einer Elterntrennung zeigen, mit fachkundiger Unterstützung in den Blick nehmen. Problemstellungen und Lösungsangebote Beratung kann in allen Phasen einer Elterntrennung hilfreich sein; sie hat jedoch auch ihre Grenzen. Wenn eine Trennung im Raum steht, benötigen Väter und Mütter zunächst sehr viele Informationen, die ihnen Halt geben. Nicht selten geraten Menschen in dieser Zeit in eine seelische Krise, die von Verzweiflung und manchmal sogar Selbsttötungsabsichten gekennzeichnet ist. Beratungsstellen informieren, unterstützen in der Krise und vermitteln, wo nötig, auch einen Kontakt zum sozialpsychiatrischen Dienst oder anderen Krisendiensten. Um der Dringlichkeit und dem hohen Informationsbedürfnis von Eltern in Trennung gerecht zu werden, haben Beratungsstellen vielfach telefonische und persönliche Sprechstunden eingerichtet, an die sich die Eltern ohne Voranmeldung oder Wartezeiten wenden können. Einige Beratungsstellen laden in größeren Abständen zu Informationsabenden speziell zum Thema „Trennung - was nun? ! “ ein; manchmal auch in Kooperation mit einem Familienfachanwalt. Sozialpädagogische Kompetenz stellt in der Phase von Krisenintervention und Informationsbedürfnis eine besondere Ressource dar, weil SozialpädagogInnen über entscheidende sozialrechtliche Kenntnisse verfügen und außerdem vernetzt im Sozialraum arbeiten. Wenn Eltern sich getrennt haben und zumindest äußerlich eine neue Stabilität einkehrt, wenden sich Väter oder Mütter, manchmal auch Jugendliche oder ihre Großeltern mit dem Wunsch nach Vermittlung an die Beratungsstelle. Dann geht es darum, sich darauf zu einigen, wo das Kind sein erstes Zuhause hat und wie das Zusammensein mit dem getrennt lebenden Elternteil gestaltet wird. Beraterinnen und Berater benötigen hier eine gute erste Einschätzung des Konfliktniveaus, um das weitere Vorgehen planen zu können. Methodisches Handwerkszeug, wie etwa aus der Mediation, gibt dem Berater Sicherheit und trägt zum Erfolg bei. So hat etwa Fichtner (2018) jüngst herausgefunden, dass sich ein gut strukturierter und verbindlicher Rahmen für die Beratung, eine gemeinsame Sammlung der zu klärenden Einzelthemen und das schriftliche Festhalten vorläufiger Lösungen positiv auf das Ergebnis der Beratung auswirken. Gemeinsam mit den Eltern entscheidet die Beraterin, ob und zu welchem Ziel die Kinder oder Jugendlichen in diesen Prozess einbezogen werden sollen. Innerhalb der Beratungsstelle kann ein Kind einen „eigenen Berater“ bekommen. Dieser arbeitet im Einzelsetting mit dem Kind, unterstützt seine Selbstwirksamkeit und Willensbildung und begleitet das Kind auch dabei, die schmerzhaften Aspekte der Elterntrennung zu akzeptieren. Viele Beratungsstellen bieten spezifische Gruppen an, und zwar sowohl für Eltern als auch für Kinder aus getrennten Familien. Während pädagogische Kindergruppen schon seit vielen Jahren zum Repertoire gehören, sind Elterntrainings wie etwa „Kinder im Blick®“ (Walper/ Krey 2011) oder das Programm „Kinder aus der Klemme®“ (van Lawick/ Visser 2017), welches die gesamte Familie gleichzeitig einbezieht, noch recht neu und werden intensiv nachgefragt. Gelingt es Eltern nicht, ihre Verletzungen aus der gemeinsamen Beziehung und die Konflikte nach ihrer Trennung einigermaßen zu befrieden und sich eine je eigene neue Lebensperspektive aufzubauen, können die Konflikte eskalieren und chronisch werden. Häufig kommt es dann auch zu familiengerichtlichen Verfahren, die sich nicht selten über Jahre hinziehen. Hier gilt es zwei wichtige Aufgaben in der Jugendhilfe zu unterscheiden: Beratungsstellen werden von Vätern und Müttern aufgesucht, um Unterstützung und Vermittlung in diesen Konflikten zu 475 uj 11+12 | 2018 Erziehungsberatung nach Elterntrennung erhalten. SozialpädagogInnen in der Jugendhilfe können außerdem durch das Familiengericht um Mitwirkung im Verfahren (§ 50 SGB VIII) gebeten werden. Üblicherweise ist diese Aufgabe bei den Sozialen Diensten im Jugendamt angesiedelt. Die Aufgabe der „Mitwirkung“ besteht darin, dem Gericht„insbesondere über angebotene und erbrachte Leistungen“ der Jugendhilfe zu berichten und außerdem„erzieherische und soziale Gesichtspunkte zur Entwicklung des Kindes oder des Jugendlichen“ in das Verfahren einzubringen sowie „auf weitere Möglichkeiten der Hilfe“ hinzuweisen (§ 50 SGB VIII, Abs. 2). Es handelt sich also zunächst um eine diagnostische Aufgabe, die dem Gericht bei der Einschätzung der Situation helfen soll. Dieser Zugang zu den Familien kann jedoch auch genutzt werden, um schon vor dem ersten Gerichtstermin die Eltern, vielleicht auch die Kinder, kennenzulernen und auszuloten, inwieweit Beratung hier Erfolg versprechend erscheint. Manchmal lassen sich in diesen Gesprächen bereits Lösungen finden, die das Verfahren erheblich verkürzen oder ganz verzichtbar machen. Nicht hinter jedem familiengerichtlichen Verfahren verbirgt sich eine hochkonflikthafte Elterntrennung. Oft handelt es sich auch nur um „Strohfeuer“, um kurzfristig aufflackernde Konflikte zwischen eigentlich gütlich getrennten Eltern, die sich dann durch Beratung auch gut wieder befrieden lassen. Auf der anderen Seite begegnen wir in der Beratungspraxis solchen Familien, deren Konflikte hochgradig feindselig und in ihren Auswirkungen schädlich für die Kinder erscheinen - die jedoch nie den Weg über das Familiengericht gesucht haben. Die Handhabung solcher sogenannter hochkonflikthafter Elterntrennungen stellt eine große Herausforderung für alle professionell Beteiligten dar (Weber u. a. 2013). Mit Beratung allein lassen sie sich nicht in den Griff bekommen. Das Familiengericht ist hier ein wichtiger Partner. Es stellt Verbindlichkeit her und schafft den Rahmen, in dem hilfreiche Gespräche und Interventionen möglich werden. Fehlt dieser Rahmen, wird Beratung nicht selten zu einem neuen Schauplatz des Konfliktgeschehens und erweitert dieses. Die Kinder geraten so immer weiter aus dem Fokus. Die Feindseligkeit, mit der Eltern sich mitunter begegnen, ist für BeraterInnen oft schwer auszuhalten und führt zu der Frage, ob das betroffene Kind ernsthaften seelischen Schaden erleidet. In einzelnen Fällen kommen Beraterinnen und Berater als Ergebnis einer Risikoeinschätzung dazu, dass das psychische Wohl des betroffenen Kindes gefährdet erscheint. Die Feststellung einer seelischen Gefährdung erfordert das Benennen destruktiver wiederkehrender Verhaltensmuster bei Eltern, welche die Kinder nachweislich in ihrer Entwicklung beeinträchtigen. Es handelt sich um eine schwierige und manchmal unsichere Diagnose. Die seelische Kindeswohlgefährdung ist der körperlichen jedoch im Gesetz gleichgestellt (§ 1666 BGB) und benötigt die gleiche fachliche Aufmerksamkeit. Allgemein lässt sich sagen, dass festgefahrene, gleichsam vergiftete elterliche Streitigkeiten Ohnmacht erzeugen - und zwar bei allen Beteiligten. Es besteht die Gefahr, dass Beraterinnen und Berater nach engagierten, aber vergeblichen Vermittlungsbemühungen „das Handtuch werfen“ und entnervt aufgeben. Für die betroffenen Kinder kann dies verheerend sein, da nun ihr seelisches Wohl noch mehr aus dem Blick gerät. Eltern in hochkonflikthaften Auseinandersetzungen verkennen meist das Ausmaß der Belastungen, welche sie ihren Kindern durch die feindseligen Auseinandersetzungen zumuten (Walper u. a. 2011). Fallstricke und Brücken in der Beratung Auch wenn jede Familie anders ist und jedes Kind unterschiedlich auf eine Elterntrennung reagiert, so lassen sich doch typische Stolpersteine beim Beraten beschreiben - und Ideen formulieren, wie man diese umgehen kann. 476 uj 11+12 | 2018 Erziehungsberatung nach Elterntrennung 1. Nicht für einen tragfähigen Rahmen sorgen Wenn Eltern sich trennen, treten sie in sehr unterschiedliche „Zeitzonen“ ein. Während sich z. B. eine Mutter mit dem Wunsch, die Betreuung der Kinder gemeinsam zu regeln, an die Beratungsstelle wendet, ist der Vater noch vom Trennungsschmerz überwältigt und möchte seine Frau zurückgewinnen. Schon allein wegen solcher typischer „Ungleichzeitigkeiten“ sind Elternberatungen oft von vornherein zum Scheitern verurteilt. Am Beginn des Beratungsprozesses muss daher eine umfassende Einschätzung der Trennungssituation sowie der Motivlagen aller Beteiligten stehen. Manchmal ist es dann notwendig, zunächst Einzelgespräche zu führen, bis der Boden für gemeinsame Verabredungen bereitet ist. Aus der Sicht der betroffenen Eltern werden ohnehin die unterstützenden Einzelgespräche am hilfreichsten beurteilt (Fichtner 2018). Schnell tappt man als Berater in die Falle, dass man von einem Elternteil einen Beratungsauftrag erhält, das andere Elternteil aber nicht „an Land“ kommt. Am liebsten würde man dem oder der Ex gar nicht mehr begegnen, schon gar nicht in einer intimen Beratungssituation! Ohne einen verbindlichen Rahmen, der mit allen Beteiligten verabredet wird, können Hilfeversuche fruchtlos versanden. Sehr wirksam sind in diesem Fall Beratungsverordnungen. Sie können durch ein Familiengericht, aber auch durch das örtliche Jugendamt ausgesprochen werden. Dann würde man die Elternberatung im Hilfeplan verankern und deren Fortgang im Blick behalten. Die Eltern werden so entlastet: Sie folgen der richterlichen Verordnung und müssen die Gespräche nicht auch noch wollen. Stattdessen können sie in skeptischem Selbstschutz abwarten, was daraus wohl werden wird (Conen/ Cecchin 2007). 2. Sich das Setting aus der Hand nehmen lassen Bei der Beschreibung der Aufgaben eines professionellen Beraters betont Kurt Ludewig (2018), dass der Berater zunächst ein „Hilfesystem“ erzeugen und aufrechterhalten müsse, bevor innerhalb dieses Systems ein spezifischer Auftrag bearbeitet werden könne. Für die Arbeit mit getrennten Eltern heißt dies, dass die Beraterin ihr Setting nach fachlichen Gesichtspunkten plant - und dass sie sich die Gestaltung des Settings niemals aus der Hand nehmen lässt. Wer beim Gespräch dabei ist, wo das Gespräch stattfindet und wie lange es dauert, auch wie viele Gespräche es überhaupt gibt und in welchem zeitlichen Abstand diese geführt werden - all das zu bestimmen ist die Aufgabe der professionellen Helferin. Mit ihrer fachlichen Einschätzung plant sie im Prozess und kann manchmal durch die Wahl für oder gegen ein Setting auch eine gezielte Intervention setzen. Um zu verdeutlichen, was damit gemeint ist, hier eine kurze Fallskizze: Herr und Frau Müller sind schon seit einer Weile getrennt und streiten sich heftig zu Fragen der Kindererziehung. Beide stehen kurz davor, sich wieder einmal an das Familiengericht zu wenden. Zum gemeinsamen Gesprächstermin hat Herr Müller seine neue Lebensgefährtin mitgebracht. Als Frau Müller dessen gewahr wird, weigert sie sich, das Beratungszimmer zu betreten: „Auf keinen Fall ist die beim Gespräch dabei! “ Herr Müller hält dagegen: „Meine neue Partnerin verbringt auch Zeit mit unseren Kindern, und es ist mir sehr wichtig, dass sie heute auch mal etwas dazu sagen kann. Andernfalls findet das Gespräch nicht statt! “ Die Situation droht, auf dem Treppenabsatz vor dem Beratungszimmer zu eskalieren. Die Beraterin trifft eine Entscheidung: „Ich werde heute das Gespräch mit der neuen Lebensgefährtin führen. Sie beide warten bitte solange unten.“ Es stellt sich dann heraus, dass die Lebensgefährtin viel Hilfreiches beisteuern kann. Durch ihren Einfluss auf Herrn Müller lässt sich ein neues Verfahren verhindern. Die Eltern haben während des Gesprächs im Wartezimmer allerdings kein einziges Wort miteinander gewechselt. In vielen Fällen empfiehlt das Familiengericht gemeinsame Elterngespräche, um zu Verabredungen zu kommen. Grundsätzlich ist es ein zentrales pädagogisches Ziel, Eltern nach der 477 uj 11+12 | 2018 Erziehungsberatung nach Elterntrennung Trennung dabei zu unterstützen, eine neue Kommunikationsebene aufzubauen, mit Regeln für gegenseitige Höflichkeit. Sind die emotionalen Verletzungen aber noch zu akut oder hat es sogar gewalttätige Übergriffe zwischen Eltern in der Trennungsphase gegeben, erscheinen gemeinsame Gespräche kontraindiziert. Der Stress, der dadurch bei einem oder beiden Elternteilen ausgelöst wird, verhindert ein Erlernen neuer elterlicher Kommunikation und macht Gesprächsabbrüche wahrscheinlicher. Hier ist es fachlich sinnvoller, in getrennten Gesprächen zunächst Vater und Mutter unterschiedlich zu unterstützen und an deren momentane Anliegen anzuknüpfen. Dringende Verabredungen bezüglich der Kinder können dann mithilfe der Vermittlung der Beraterin getroffen werden, die buchstäblich zwischen den Eltern hin und her pendelt, wenn diese gleichzeitig zur Beratung kommen, aber in verschiedenen Räumen sitzen. 3. Sich vom Konflikt faszinieren lassen … Eskalierte Konflikte nach einer Elterntrennung können eine ganze Beratungsstelle „in Atem halten“. Mit den Mitteln der Übertreibung und Überzeichnung schildern Väter und Mütter den jeweils anderen Elternteil in abwertender Weise und weiten dies auf Familienangehörige und Freunde aus. Das Konfliktfeld wird mitunter unübersichtlich für den Berater. Dieser fühlt sich bemüßigt, den Dingen auf den Grund gehen und „die Wahrheit“ herausfinden zu wollen. Schnell verliert sich der engagierte Berater jedoch in den Widersprüchen des Erzählten, versucht nachzuvollziehen und zu sortieren, was er hört und wird dabei immer wieder von scheinbar neuen Entwicklungen „überschwemmt“. Solche Konflikte sind hoch dynamisch. Ein gewisser Unterhaltungswert ist ihnen ebenfalls nicht abzusprechen. Für die Beraterin stellt sich die schwierige Aufgabe, sich nicht in den Strudel aus Wut und Empörung hineinziehen zu lassen. Die Beraterin wird notwendigerweise ein Teil des Konfliktsystems, muss dabei aber immer wieder eine innere Distanz herstellen, ihren Auftrag und ihre Ziele erneut klären und entsprechend agieren. Vor allem muss sie darauf achten, den Konflikt in seiner Ausweitung zu begrenzen. Dies kann auch dadurch passieren, dass Gespräche und Telefonate auf ein Minimum reduziert werden - „weniger ist mehr“. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Beratung selbst einen Beitrag dazu leistet, den Elternkonflikt auszuweiten und zu chronifizieren. Spätestens hier wird deutlich, wie wichtig es gerade in diesem Arbeitsbereich ist, eng mit den eigenen Kolleginnen und Kollegen zusammenzuarbeiten. Manchmal schützt eine Beratung im Zweierteam davor, sich von der Konfliktdynamik „anstecken“ zu lassen. Kollegiale Fallberatung und Supervision sind in diesem Feld unverzichtbar. 4. … und darüber die Kinder vergessen: Im Bereich der Trennungs- und Scheidungsberatung wurde in den vergangenen Jahren sowohl in Jugendämtern als auch in Beratungsstellen überwiegend die fachliche Meinung vertreten, dass es vor allem darauf ankomme, getrennte Eltern „in die Verantwortung“ zu bringen. Wenn die Eltern lernten, ihre Konflikte konstruktiver zu lösen und sich gegenseitig nicht mehr zu bekriegen, werde sich die Situation für die betroffenen Kinder und Jugendlichen schon automatisch verbessern. Diese Lehrmeinung ist seit einer Weile im Wanken begriffen, und zwar hauptsächlich aus zwei Gründen. Zum einen hat der Beteiligungsgedanke in der Kinder- und Jugendhilfe immer mehr konkrete Umsetzung erfahren. Es ist die erklärte Aufgabe der Fachkräfte, den politischen Appell so umzusetzen, dass Kinder und Jugendliche altersentsprechend und in einer für sie förderlichen Weise partizipieren können. Zum anderen zeigt sich nicht zuletzt im spezifischen Feld der Hochkonfliktberatung, dass Kinder und Jugendliche seelischen Schaden nehmen können, wenn sie erleben müssen, wie ihre wichtigsten Bindungspersonen sich gegenseitig bekämpfen (Walper/ Schwarz 1999). Auch 478 uj 11+12 | 2018 Erziehungsberatung nach Elterntrennung für weniger konflikthafte Trennungsprozesse hat Wallerstein (2002) mit ihren klinischen Interviews über eine größere Zeitspanne zeigen können, wie einschneidend jene auf die seelische Entwicklung und Identitätsfindung der betroffenen Kinder und Jugendliche wirken. Nicht immer wird dies unmittelbar deutlich; manche schädlichen Auswirkungen zeigen sich erst nach Jahren. Kinder sollten jedoch nicht erst klinische Symptome aufweisen müssen, um psychologisch fundierte Unterstützung zu erhalten. Stattdessen kann Erziehungsberatung frühzeitig und präventiv die Kinder in den Blick nehmen: Welche zentralen Entwicklungsaufgaben stehen bei diesem Kind gerade an? Wie kann das Kind trotz familiärer Krise befähigt werden, diese Aufgaben zu meistern? Wie erlebt das Kind den elterlichen Konflikt? Und welche Bewältigungsstrategien stehen ihm zur Verfügung, um diesen Stress ausreichend abzufedern? Auf diese Weise kann auch der Blick der Erwachsenen in förderlicher Weise aufs Kind gelenkt werden. Die Untersuchungen zu hochkonflikthaft streitenden Trennungseltern haben in alarmierender Weise gezeigt, dass diese nicht gut in der Lage sind, die tatsächlichen Belastungen einzuschätzen, die ihr Kind aufgrund des Streitens erfährt (Fichtner 2006). Wie diese Kinder durch Erziehungsberatung unterstützt werden können, zeigt beispielhaft die folgende Fallvignette: Leonies Eltern haben sich getrennt, als sie gerade vier Jahre alt geworden war. An die gemeinsame Zeit hat sie kaum bewusste Erinnerungen, wohl aber an die jahrelangen Kämpfe um das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die ihre Eltern nach der Trennung vor Gericht geführt haben. Im Jugendamt und in der Erziehungsberatungsstelle wurden zahlreiche vergebliche Versuche unternommen, die Eltern wieder an einen Tisch zu bringen und eine gute Lösung für Leonie zu finden. Meist endeten diese Versuche darin, dass Vater oder Mutter das Gespräch abbrachen und noch mehr Anträge bei Gericht gestellt wurden. Frau Meier, Leonies Mutter, berichtete immer öfter von Verhaltensauffälligkeiten bei ihrer Tochter, die ihr Sorge bereiteten. Leonie, mittlerweile zehn Jahre alt, entwickelte Ängste und kam in der Schule nicht mit. Sie lebte nun bei ihrer Mutter, mit der sie jedoch beständig in heftige, auch körperliche Auseinandersetzungen geriet. Frau Meier wollte eine Kinderpsychotherapie beantragen, aber Herr Meier weigerte sich, dies zu unterstützen: „Bei mir benimmt sie sich ganz normal - das ist nur die Unfähigkeit der Mutter! “ Schließlich brachte Frau Meier Leonie zur Beratung in die Erziehungsberatungsstelle. Die Gespräche hier waren auch ohne Einwilligung des Vaters möglich. Es gab gemeinsame Mutter-Tochter-Gespräche sowie Stunden nur für Leonie, in denen sie durch therapeutische Spielmaterialien angeregt wurde, über ihre Eltern und ihre besondere Situation zu sprechen. Leonie entschied im Verlauf der Beratung, dass sie beim Vater leben möchte. Frau Meier war dadurch sehr getroffen. Mit der Unterstützung der Beraterin gelang es ihr schließlich, Leonie ziehen zu lassen und auch anzuerkennen, dass diese selbstständig nach einer Lösung für die dauernden Mutter-Tochter-Streits suchte. Das Verhältnis besserte sich durch die räumliche Trennung schrittweise. Nach zwei Jahren im väterlichen Haushalt zog Leonie zurück zur Mutter. Herr Meier hatte mittlerweile eine neue Partnerin, mit der sich Leonie nicht sonderlich gut verstand. Die Eltern Meier reden seit Jahren nicht mehr miteinander, aber mithilfe von Beratungsgesprächen, auf die Leonie auch selbstständig zurückgreifen kann, bewegt sie sich einigermaßen entspannt zwischen ihren Eltern. Heute ist sie vierzehn Jahre alt und lernt in der Erziehungsberatungsstelle gezielt, wie sie mit Stress und Anspannung so umgehen kann, dass ihre Schulnoten nicht mehr leiden. Sie ist gerade zur Klassensprecherin gewählt worden und versteht sich gut mit ihrer Mutter und deren Partner. Dieses - nicht alltägliche - Fallbeispiel zeigt auch, wie hilfreich eine kontinuierliche Begleitung der Trennungsfamilien über Jahre hinweg wirken kann, wenn Kinder aufgrund ihrer eigenen Entwicklung und der ihrer Eltern vor immer neuen Herausforderungen stehen. 479 uj 11+12 | 2018 Erziehungsberatung nach Elterntrennung Und was ist mit den Beraterinnen und Beratern? Auch für Beraterinnen und Berater bietet das Arbeitsfeld „Elterntrennung“ zahlreiche Lerngelegenheiten. Zunächst geht es darum, die Zusammenarbeit mit Jugendamt und Familiengericht verbindlich zu entwickeln. Für viele Beraterinnen stellt dies eine krasse Abkehr von bisher gültigen Annahmen dar, nämlich jenen, dass Beratung nur in einem intimen, vertraulichen Rahmen wirksam wird und dass die mögliche Weitergabe von Beratungsergebnissen per se gute Beratung unmöglich macht. Um schädliche Verfestigungen der Konflikte zu verhindern, ist die Kooperation mit dem Familiengericht jedoch unabdingbar. Bleibt Beratung im „abgeschlossenen Raum“, muss das Familiengericht quasi immer wieder bei Null anfangen, wenn ein neuer Antrag vorliegt. Die wertvollen fachlichen Einschätzungen der beteiligten Personen und ihrer besonderen Konfliktdynamik gehen verloren, wenn sich die Beratungsstelle nicht öffnet. Um diese Aufgaben gut bewältigen zu können, ist aufseiten der Beraterinnen und Berater eine veränderte innere Haltung zu entwickeln. Der Berater steht nicht mehr automatisch als Unterstützer hinter seiner Klientin oder seinem Klienten. Stattdessen kultiviert er eine Haltung der „wohlwollenden Skepsis“: Wenn er einem Elternteil zuhört, weiß er, dass ihm eine emotional gefärbte Darstellung zu Ohren kommt. Der andere Elternteil mag den gleichen Sachverhalt deutlich anders zu berichten, wodurch sich die Bewertung des Beraters wieder ändert. Eine Haltung der wohlwollenden Skepsis ist möglich, weil die Beraterin nur für die dahinterstehenden Kinder Partei ergreift. Zur Sichtbarmachung dieser Haltung können Berater die Eltern bitten, ein Foto ihres Kindes mitzubringen, welches dann einen Platz im Beratungsraum erhält. Auf diese Weise bleibt für alle deutlich, auf wen die Gespräche und Interventionen letztlich zielen. Für die Handhabung chronischer und eskalierter Elternkonflikte benötigen Beraterinnen und Berater weitere Hilfestellungen, damit sie in ihrer Arbeit dauerhaft gesund und erfolgreich bleiben können. Drei Dinge sind hier besonders zu nennen. 1. Schutz und Deckung durch die Institution (Alberstötter 2006): Im hochkonflikthaften Feld geht es (nicht immer offen) konfrontativ, manchmal sogar verbal aggressiv zu. Beraterinnen und Berater sehen sich heftigen Vorwürfen, persönlichen Angriffen und Beschwerden ausgesetzt. Väter und Mütter können dadurch ihrer empfundenen Ohnmacht Ausdruck verleihen. Aber auch Anwälte und andere Beteiligte nutzen diese Formen der Auseinandersetzung, um ihren Zielen zur Durchsetzung zu verhelfen. Das Team einer Beratungsstelle muss sich darauf vorbereiten. Gemeinsam mit Vorgesetzten sollte ein für alle transparentes Beschwerdemanagement entwickelt werden. Auch ist es wichtig, Vorgesetzte über die besonderen Dynamiken („Strudelbildung“) im Hochkonflikt zu informieren, damit überzogene Darstellungen von Beschwerdeführern besonnen aufgegriffen werden können. 2. Unterstützung im Team: Die innere Organisation einer Beratungsstelle und die Arbeit im Team müssen sich wandeln, um den spezifischen Herausforderungen gerecht zu werden. Wie weiter oben schon erwähnt, wird verstärkt im Zweierteam beraten, manchmal auch bewusst in männlich-weiblichen Konstellationen. Beschwerden gehören immer in die Teambesprechung, damit die Beraterin damit nicht alleine bleibt und sich kollegiale Solidarität entfalten kann. Für besonders herausfordernde Fallkonstellationen kann sich eine Kollegin als „Supervisorin“ im Hintergrund zur Verfügung stellen. Aufgrund der zeitlichen Dringlichkeit und der Teilnahme an Gerichtsterminen wird es für die Beraterinnen und Berater auch notwendig, zu verbindlichen Absprachen in Bezug auf die Fallvertretung zu kommen. 480 uj 11+12 | 2018 Erziehungsberatung nach Elterntrennung 3. Demut vor dem Konflikt: Eskalierte und chronische Konflikte nach einer Elterntrennung sind durch Beratung nicht zu lösen. Zielführender ist es, den Konflikt so weit wie möglich zu begrenzen und die betroffenen Kinder intensiv zu unterstützen. Wenn es keine neuen Gerichtsverfahren gibt und die Konfliktdynamik einigermaßen ausgebremst wird, ist schon viel erreicht. Beraterinnen und Berater können hier - zusätzlich zur „wohlwollenden Skepsis“ - eine Haltung der „beharrlichen Zuversicht“ gut gebrauchen. Die Neugestaltung einer Familie nach Trennung benötigt Zeit. Beraterinnen wissen dies und vermitteln den Familien die Zuversicht, die diesen im Moment der krisenhaften Veränderung verloren gegangen ist. Vergangene Verletzungen aus einer Trennung lassen sich oft nicht mehr „aufarbeiten“, zumindest nicht gemeinsam. Aber jeder Elternteil kann dabei unterstützt werden, sich innerlich zu distanzieren, der Trauer über das Geschehene Raum zu geben und sich aktiv der Gestaltung einer besseren Zukunft zu widmen - und davon profitieren die Kinder in jedem Fall. Gesine Götting Jacobstr. 16 30449 Hannover E-Mail: goetting-gutachten@email.de Literatur Alberstötter, U. (2006): Wenn Eltern Krieg gegeneinander führen. Zu einer neuen Praxis der Beratungsarbeit mit hoch strittigen Eltern. In: Weber, M., Schilling, H. (Hrsg.): Eskalierte Elternkonflikte. Juventa, Weinheim/ München Conen, M.-L., Cecchin, G. (2007): Wie kann ich Ihnen helfen, mich wieder loszuwerden? Therapie und Beratung in Zwangskontexten. Carl-Auer Verlag, Heidelberg Fichtner, J. (2006): Kinderschutz bei hochstrittiger Elternschaft. Kinder und Jugendliche stärken und schützen. https: / / www.dji.de/ hochkonflikt; 25. 8. 2018 Ludewig, K. (2018): Einführung in die theoretischen Grundlagen der systemischen Therapie. Carl-Auer- Verlag, Heidelberg Van Lawick, J., Visser, M. (2017): Kinder aus der Klemme: Interventionen für Familien in hochkonflikthaften Trennungen. Carl-Auer-Verlag, Heidelberg Wallerstein, J., Lewis, J., Blakeslee, S. (2002): Scheidungsfolgen - Die Kinder tragen die Last. Eine Langzeitstudie über 25 Jahre. Votum, Münster Walper, S., Schwarz, B. (Hrsg.) (1999): Was wird aus den Kindern? Chancen und Risiken für die Entwicklung von Kindern aus Trennungs- und Stieffamilien. Juventa, Weinheim/ München Walper, S., Krey, M. (2011): Elternkurs zur Förderung der Trennungsbewältigung und Prävention von Hochkonfliktfamilien: Das Beispiel „Kinder im Blick“. In: Walper, S., Fichtner, J., Normann, K. (Hrsg.): Hochkonflikthafte Trennungsfamilien. Forschungsergebnisse, Praxiserfahrungen und Hilfen für Eltern und Kinder. Juventa, Weinheim Weber, M., Schilling, H., Alberstötter, U. (Hrsg.) (2013): Beratung von Hochkonflikt-Familien im Kontext des FamFG. Juventa, Weinheim/ München