eJournals unsere jugend 70/2

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2018.art10d
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2018
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Multiprofessionelle Teams in Kindertageseinrichtungen

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2018
Klaus Fröhlich-Gildhoff
Dörte Weltzien
Bedingt durch den gestiegenen Fachkräftebedarf werden mittlerweile sehr unterschiedliche Berufsgruppen in die Teams von Kindertageseinrichtungen integriert. Dabei zeigt sich insbesondere bei nicht-einschlägig Qualifizierten ein deutlicher Unterstützungsbedarf – Leitungen sind bei der Teamentwicklung stark gefordert.
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64 unsere jugend, 70. Jg., S. 64 - 71 (2018) DOI 10.2378/ uj2018.art10d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Prof. Dr. Klaus Fröhlich-Gildhoff Jg. 1956; Diplom-Psychologe, Dozent für Klinische Psychologie und Entwicklungspsychologie an der Evangelischen Hochschule Freiburg Multiprofessionelle Teams in Kindertageseinrichtungen Bedingt durch den gestiegenen Fachkräftebedarf werden mittlerweile sehr unterschiedliche Berufsgruppen in die Teams von Kindertageseinrichtungen integriert. Dabei zeigt sich insbesondere bei nicht-einschlägig Qualifizierten ein deutlicher Unterstützungsbedarf - Leitungen sind bei der Teamentwicklung stark gefordert. Einführung: Multiprofessionelle Teams sind ‚in‘ In den Institutionen der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung (FBBE) zeigt sich eine zunehmende Heterogenität von Berufsgruppen bzw. Arbeitskräften mit unterschiedlichen Ausgangsqualifikationen (Autorengruppe Fachkräftebarometer 2017; Bertelsmann Stiftung 2015). Von der Autorengruppe Fachkräftebarometer wurden 2017 auf Bundesebene Statistiken zu den Teamstrukturen veröffentlicht. Danach gibt es in Deutschland derzeit rd. 50.000 Kita- Teams. Diese lassen sich wie folgt differenzieren (ebd., 73f ): Prof. Dr. Dörte Weltzien Jg. 1965; Sozialwissenschaftlerin, Professorin für Pädagogik der Kindheit Bezeichnung Qualifikationen der Teammitglieder Prozentanteil „reine ErzieherInnen-Teams“ ausschließlich staatlich anerkannte ErzieherInnen 20 „Traditionelle Teams“ Erzieher/ innen sowie Kinderpfleger/ innen bzw. Ausbildungen im Bereich der Sozialassistenz 23 „Akademisch erweiterte sozialpädagogische Teams“ Traditionelle Teams mit zusätzlich mindestens einer/ einem Akademiker/ in 28 „Heilpädagogisch erweiterte sozialpädagogische Teams“ … mit zusätzlich heilpädagogischen oder heilerziehungspflegerischen Fachkräften 13 „Gemischte Teams“ … zusätzlich weitere Berufsgruppen aus dem pädagogischen, sozialen, medizinischen oder pflegerischen Bereich 28 Tab. 1: Teamcluster und Berufsgruppen (selbst erstellt nach den Daten der Autorengruppe Fachkräftebarometer, 2017) 65 uj 2 | 2018 Multiprofessionelle Teams Lag der Anteil der eher traditionell strukturierten, berufshomogeneren Teams im Jahr 2007 noch bei 61 %, gibt es diese Teams immer weniger (2016: 43 %). Der Anteil der „gemischten“ Teams, in denen mehrere Berufsgruppen zusammenarbeiten, ist bundesweit zwischen den Jahren 2007 und 2016 von 17 auf 41 % gestiegen. Deutlich zugenommen haben vor allem die Teams, in denen auch akademische und/ oder heilpädagogische Fachkräfte tätig sind. (29 % in 2016 gegenüber 17 % in 2007). Der Grad der beruflichen Heterogenität in den Teams hat im Beobachtungszeitraum also deutlich zugenommen. Diese Veränderungen sind im Bundesländervergleich unterschiedlich ausgeprägt und zumeist auf veränderte Bestimmungen der Länder zur Personalausstattung in Kindertageseinrichtungen zurückzuführen. Sie haben sich ausdifferenziert und lassen neue bzw. mehrere Berufsgruppen in den Einrichtungen regelhaft zu. Zusätzlich sind über Ausnahmegenehmigungen der Landesjugendämter viele Fachkräfte „neuer“ Berufsgruppen eingestellt worden, z. B. aus künstlerischen oder handwerklichen Bereichen. Im Zusammenhang mit diesen Veränderungen wird von „multiprofessionellen Teams“ gesprochen: Dieser Begriff verweist darauf, dass in einem Kita-Team nicht nur die ‚einschlägig-traditionell‘ für diesen Bereich qualifizierten ErzieherInnen und KinderpflegerInnen zusammenarbeiten, sondern dass in diesem Team weitere Berufsgruppen ihre Kompetenzen einbringen. Dabei kann es sich einerseits um feldspezifisch-einschlägig-hoch qualifizierte Fachkräfte (u. a. KindheitspädagogInnen, DiplompädagogInnen, SonderpädagogInnen) und andererseits um nicht-einschlägig qualifizierte Fachkräfte (u. a. KinderkrankenpflegerInnen, HeilerziehungspflegerInnen, Ergo-/ PhysiotherapeutInnen) handeln. Nach Ansicht des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge (2016, 8) sind dabei „zwei Aspekte in den Blick zu nehmen, 1. das Team, welches sich aus unterschiedlichen Qualifikationen und Berufsabschlüssen zusammensetzt, und 2. das ‚multiprofessionelle Arbeiten‘, welches auch additiv zum Team einer Einrichtung (z. B. im Rahmen zeitlich begrenzter Projekte) oder in ‚interdisziplinären Settings‘ zum Tragen kommen kann“. Hintergrund für diese Entwicklung zu multiprofessionellen Teams sind zum einen gestiegene und veränderte Anforderungen an Kindertageseinrichtungen und die dort tätigen pädagogischen Fachkräfte. Kitas werden als „zentrale Sozialisationsinstanzen“ gesehen, „als Lern- und Lebensorte für Kinder und Eltern“ (z. B. Kasüschke & Fröhlich-Gildhoff 2008). Die Ansprüche an „Bildung“ und „Förderung“ sind gestiegen; am deutlichsten wird dies im Bereich der Sprachförderung, wo eine Vielzahl von Diagnoseinstrumenten und Förderansätzen die Einrichtungen erreicht hat. Die Herausforderungen einer „multioptionalen Welt“ - einer Vielfalt von Kulturen, Wertesystemen, aber auch Familienstrukturen - kommen bei den Fachkräften an und sie müssen hohe Integrationsleistungen für Kinder und Familien vollbringen. Das Primat der Inklusion und der „Pädagogik der Vielfalt“ verstärkt diese Anforderung (vgl. Weltzien/ Albers 2014). So liegt in Einrichtungen, in denen mehr als 20 % der in der Kita zu betreuenden Kinder einen Förderbedarf haben, der Anteil der traditionell strukturierten, homogenen Teams bei nur 6 %. In Einrichtungen, in denen nur wenige Kinder Förderbedarf haben, liegt er dagegen bei 20 %. Gibt es gar keinen Förderbedarf, ist sogar mehr als die Hälfte dieser Einrichtungen (53 %) traditionell mit ErzieherInnen und/ oder KinderpflegerInnen besetzt (vgl. Autorengruppe Fachkräftebarometer 2017). 66 uj 2 | 2018 Multiprofessionelle Teams Diese gestiegenen Anforderungen führen dazu, dass sich die Arbeit in den Kita-Teams zum Teil neu strukturiert und sich ‚Spezialaufgaben‘ - wie z. B. die der ‚Sprachförderkraft‘ - ergeben. Zudem entwickeln sich grundsätzliche neue Formen der Arbeit in den Einrichtungen: Ein Beispiel hierfür ist die Entwicklung zu Familienzentren, womit neue Aufgabenfelder, wie das der systematischen Elternbildung, entstehen, neue Zielgruppen erreicht werden sollen und die Vernetzung mit dem umgebenden Sozialraum und sozialen Diensten eine neue Qualität gewinnt. Auch diese Entwicklung führt dazu, dass entweder neue Arbeitsbereiche für die Fachkräfte entstehen und/ oder neue Fachkräfte mit besonderen Qualifikationen im Rahmen des Teams tätig werden. Zum anderen zeigt sich nach wie vor ein deutlicher, wenngleich regional unterschiedlicher, Mangel an pädagogischen Fachkräften durch den Rechtsanspruch für einen Kita-Platz ab dem ersten Lebensjahr, höhere Geburten- und Zuzugsraten, frühere Kita-Aufnahmen und steigende Anforderungen an die pädagogische Qualität. Im neuesten „Fachkräftebarometer“ geht Schilling (2017, 185) von einem Bedarf an ca. 329.000 zusätzlichen Fachkräften bis zum Jahr 2025 aus - diese sind durch die klassische ErzieherInnenausbildung an Fachschulen und die kindheitspädagogischen Hochschulstudiengänge nicht abzudecken. So werden schon jetzt verschiedene Wege realisiert, um ausreichendes Personal zu sichern - von berufsintegrierenden Ausbildungen (Überblick: Hache et al. 2017) bis zur „Öffnung“ der Fachkräftekataloge; bspw. wurde in Baden- Württemberg das Kita-Gesetz geändert und es werden unter anderem LogopädInnen, Physio- und ErgotherapeutInnen, KinderkrankenpflegerInnen oder AbsolventInnen von Lehramtsstudiengängen mit erstem Staatsexamen als Fachkräfte unter bestimmten Voraussetzungen anerkannt, wenn sie berufsbegleitend eine 25-tägige Fortbildung absolvieren. Herausforderungen und Gelingensfaktoren - Ergebnisse einer systematischen Untersuchung Während „Multiprofessionelle Teams“ in anderen Feldern, z. B. im medizinischen Bereich eine längere Tradition haben, fehlten für eine Bewertung in der FBBE aussagekräftige Daten. Diese Lücke wurde durch die im Auftrag des badenwürttembergischen Kultusministeriums durchgeführte Studie „Team BAWü“ (Weltzien et al. 2016) geschlossen. Sie bestand aus zwei Bausteinen: Zum einen wurden in einer online-Vollerhebung 159 Träger und 768 Kita-Leitungen in Baden-Württemberg zu Einstellungen und Erwartungen an multiprofessionelle Teams befragt. Zum anderen wurden 25 multiprofessionell zusammengesetzte Teams über einen Zeitraum von 18 Monaten in ihrer Entwicklung wissenschaftlich begleitet. Dazu wurden Fachkräfte und Leitungen zu drei Zeitpunkten schriftlich befragt, zudem wurden leitfadengestützte Interviews mit Fachkräften und Leitungen sowie Gruppendiskussionen auf Teamebene gleichfalls zu drei Zeitpunkten durchgeführt. Die Prozessqualität - also die Qualität der unmittelbaren pädagogischen Arbeit, wie z. B. die Fachkraft-Kind- Interaktion - wurde zu Beginn und am Ende der Projektlaufzeit mit standardisierten Verfahren (KES-R; ECERS-E) erhoben. Als ein zentrales Ergebnis der Studie kann herausgestellt werden, dass multiprofessionelle Teams zunehmend die Kita-Landschaft prägen. Nach den Ergebnissen der online-Befragung waren bereits im Herbst 2013 in Baden-Württemberg 54,0 % der Einrichtungen mit mehr als zwei Berufsgruppen besetzt. In 29,4 % der Einrichtungen waren neben den traditionellen Berufen (ErzieherInnen bzw. KinderpflegerInnen) Fachkräfte aus einer anderen Berufsgruppe beschäftigt. In 13,4 % der Einrichtungen waren zwei weitere Berufsgruppen und in 11,2 % sogar mehr als drei weitere Berufsgruppen im Team vertreten (ohne externes Personal). 67 uj 2 | 2018 Multiprofessionelle Teams In der untersuchten Stichprobe der Langzeitstudie mit 25 Einrichtungen (N = 312 Fachkräfte, davon 67,3 % einschlägig-traditionell, 13,8 % einschlägig-hoch und 12,2 % nicht-einschlägig qualifiziert) ergaben sich folgende Ergebnisse (vgl. ausführlich Weltzien et al. 2016): ➤ Der Anteil der neuen, nicht einschlägig qualifizierten Fachkräfte in den Einrichtungen lag im Frühjahr 2015 zwischen 5 % und 65 %. Dabei haben die nicht einschlägig Qualifizierten überwiegend befristete Arbeitsverhältnisse und einen deutlich geringeren Verdienst. ➤ Bei den externen Qualitätsfeststellungen (KES, ECERS-E) zeigte sich, dass die Prozessqualität in den Einrichtungen insgesamt im mittleren Bereich lag (KES-R: M = 4.50, Mai/ Juni 2015; 7 stufige Skala, vgl. Tietze et al. 2007) bei einer erstaunlich geringen Streuung der Werte (SD = .58). Der Mittelwert lag dabei über dem in der bundesweiten NUBBEK-Studie festgestellten Durchschnitt (Tietze et al. 2013; M = 3.90). Korrelationsanalysen zeigten allerdings, dass ein höherer Anteil nicht-einschlägig qualifizierter Fachkräfte tendenziell mit einer geringeren Prozessqualität einhergeht, insbesondere in kleineren Teams zeigte sich dieser ungünstige Zusammenhang. ➤ Die Einflussfaktoren Zufriedenheit, Zielklarheit, Aufgabenverteilung waren die wesentlichen Wirkfaktoren für eine Befürwortung multiprofessioneller Teams, d. h.: Je zufriedener eine Fachkraft mit ihrer Arbeit ist und je klarer die Ziele und Aufgaben im Team sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch neue Teammitglieder mit anderen beruflichen Qualifikationen akzeptiert und unterstützt werden. ➤ Hinsichtlich der Arbeitssituation und -zufriedenheit wurde ein positiver Zusammenhang zwischen Gesprächen zur Zusammenarbeit im Team und Aspekten der Arbeitszufriedenheit deutlich: Die Teamsituation wurde umso wertschätzender und konstruktiver wahrgenommen, je mehr Zeit für Besprechungen zur Zusammenarbeit im Team zur Verfügung stand. ➤ Weitergehende qualitative Analysen zeigten eine höhere Unzufriedenheit bei neuen Fachkräften vor allem in der Einarbeitungsphase: Diese waren häufig durch schlechte Rahmenbedingungen - bedingt durch Personalmangel, hohe Krankenstände, Fluktuation, aber auch Überforderungsgefühlen und fehlende Teamzeiten bzw. Feedbackgespräche mit den Leitungen - gekennzeichnet. ➤ Im Teamvergleich zeigt sich, dass nur wenige Teams Einarbeitungs- und Personalentwicklungskonzepte hatten, die auf die komplexen Teamstrukturen ausgerichtet waren; auch konnten vorhandene Konzepte angesichts von Zeit- und Personalknappheiten kaum umgesetzt werden. ➤ Allerdings konnten in detaillierten Einzelfallstudien Erfolgsfaktoren ausgemacht werden, die insbesondere auf die Bedeutung von Leitungskompetenzen verweisen: Eine klare Befürwortung multiprofessioneller Teams, eine hohe Anerkennung von speziellen theoretischen Wissensbeständen und breitem pädagogischem Erfahrungswissen sowie gleichermaßen eine deutliche Ziel- und Qualitätsorientierung sowie ausgeprägte Teamorientierung. Zusätzlich wurden in der Studie TEAM BaWü die Erfahrungen von „neuen“ Fachkräften im Vergleich untersucht: Dabei wurden in umfangreichen Befragungen die Erfahrungen von neuen Fachkräften ohne einschlägige ErzieherInnenausbildung vor und während der Einstiegsphase rekonstruiert. Hoch qualifizierte BerufsanfängerInnen (u. a. KindheitspädagogInnen, SonderpädagogInnen, HeilpädagogInnen) wurden mit nicht-einschlägig qualifizierten Fachkräften (z. B. ErgotherapeutInnen, HeilerziehungspflegerInnen, KinderkrankenpflegerInnen) verglichen. Es zeigten sich sowohl bei den bisherigen Erfahrungen als auch bei den beruflichen Perspektiven typische Unterschiede (siehe Tabelle): 68 uj 2 | 2018 Multiprofessionelle Teams Die Vergleiche zeigen große Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen „neuer“ Fachkräfte, wobei innerhalb der Gruppen auch eine sehr große Bandbreite an individuellen Erfahrungen und Perspektiven bei den neuen Teammitgliedern bestand. Bei aller Diversität war eine typische Erfahrung, dass die Teams oftmals nicht vorbereitet waren auf die „neuen“ Fachkräfte; es gab keine angepassten Einarbeitungskonzepte, Einstellungspraxis und Einarbeitungsphase waren häufig improvisiert. Dies führte zu unbefriedigenden Einstiegsverläufen und teilweise zu schnellen Kündigungen. Ein besonders bedeutsamer Schlüsselfaktor sind die Kompetenzen der jeweiligen Leitungskräfte. Trotz großer Unterschiede in den strukturellen, personellen und auch leitungsbezogenen Merkmalen der Einrichtungen ließen sich sieben Erfolgsfaktoren finden: 1. Die Leitungen zeigten in Good-Practice- Einrichtungen (hohe Prozessqualität) sowohl nach innen (Team) als auch nach außen (Eltern, Träger, Dritte) eine eindeutige Orientierung in Richtung „Öffnung“ homogener Teams und Anerkennung der Vielfalt im Team. Stärken und Schwächen (Theoriedefizite vs. Praxisferne) wurden differenziert benannt und durch geeignete Maßnahmen in der Einarbeitungsphase sowie individuelle Personalentwicklungsstrategien abgefedert. 2. Vertiefte theoretische Grundlagen von einschlägig-hoch qualifizierten oder spezialisierten Fachkräften wurden als wichtige Ressource anerkannt, ohne jedoch das breite handlungspraktische Wissen berufserfahrener Fachkräfte abzuwerten (Gleichwertigkeit aller Kompetenzen). Nicht-einschlägig qualifizierte Fachkräfte Hoch qualifizierte Fachkräfte Hohe Motivation für die Arbeit im Kita-Bereich; bewusste Entscheidung für die Einrichtung bzw. gegen andere Handlungsfelder (z. B. stationäre Einrichtungen) Hohe Motivation für die Arbeit im Kita-Bereich „auf Zeit“; Aufstiegswünsche und Mobilitätsbereitschaft (Übernahme von Spezialfunktionen; Funktionen/ Zuständigkeiten) Wenig handlungsfeldspezifisches und frühpädagogisches Theorie- und Praxiswissen Aktuelles einschlägiges Theoriewissen, geringe Praxiserfahrung (Berufseinstieg); Weitgehend unbekannte Alltagspraxis, z. B. gruppenbezogene, stärkenorientierte Arbeit, breite Entwicklungsbegleitung in verschiedenen Kompetenzbereichen; teilweise Unterschätzung der Komplexität pädagogischer Praxis Handlungspraxis durch studienbegleitende Praktika bekannt; begrenzte eigene Handlungskompetenzen; kritischer Blick auf vorgefundene pädagogische Qualität und strukturelle Rahmenbedingungen Überforderung im Umgang mit Konflikten und herausforderndem Verhalten sowie in der Zusammenarbeit mit Eltern, sofern keine intensive Begleitung durch Leitung/ Team Überforderung im Umgang mit Konflikten und herausforderndem Verhalten sowie in der Zusammenarbeit mit Eltern, sofern keine intensive Begleitung durch Leitung/ Team Wenige Möglichkeiten (in der Anfangsphase), eigenes, spezifisches Fachwissen in alltagsintegrierten Angeboten umzusetzen („Realisierungsdilemma“) Anerkennung der Spezialkompetenzen auf Team-/ Leitungsebene (z. B. Sprachförderung; Beobachtung/ Dokumentation, Inklusion, Kooperation mit Grundschulen) Tab. 2: Kennzeichen unterschiedlicher Gruppen ,neuer‘ Fachkräfte in den Kitas (selbst erstellt nach den Daten von Weltzien et al. 2016) 69 uj 2 | 2018 Multiprofessionelle Teams 3. Die Leitungen verkörperten zudem eine deutliche Ziel- und Qualitätsorientierung, die sich als konkrete Vision einer qualitätsvollen Einrichtung ausdrückte und dem Team vermittelt wurde. 4. Eine ausgeprägte Teamorientierung äußerte sich darin, dass Ziele und Maßnahmen zu Veränderungen von Strukturen und Prozessen nicht „an dem Team vorbei“ entwickelt, sondern in einem intensiven kollegialen Austausch vereinbart wurden. Jedes Teammitglied wurde zugleich in dem individuellen Lernprozess unterstützt, und die jeweiligen Ressourcen in zeitlicher, persönlicher oder fachlicher Hinsicht berücksichtigt. 5. Hohe Innovations- und Veränderungsbereitschaft - sowohl auf Leitungsals auch auf Teamebene drückte sich aus in einer systematischen Neugestaltung der Einarbeitungsphase, in innovativen Maßnahmen zur Personal- und Teamentwicklung, aber auch in strukturellen Veränderungen (Dienstpläne, Tages-/ Wochenstrukturen, Gruppen-/ Alterskonzepte, Raumgestaltung/ Funktionsbereiche u. Ä.) aus, um den veränderten personellen Bedingungen gerecht zu werden bzw. die erweiterten Potenziale im Team zur Entfaltung zu bringen. 6. Dem kompetenten Umgang mit Schwierigkeiten und Konflikten wurde hohe Priorität eingeräumt; Konflikte wurden als notwendige Auseinandersetzung einer lebendigen und lernenden Organisation begriffen und nicht tabuisiert („Streitkultur“) und es wurden flankierende Angebote zur Konfliktlösung gemacht. 7. Die persönliche Involviertheit der Leitungen in den Team- und Qualitätsentwicklungsprozessen zeigte sich in Form einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit relevanten Themen und Methoden. Sie verstanden sich nicht als PersonalentwicklerInnen, die dafür sorgen, dass sich die Mitglieder ihres Teams weiter entwickeln, sondern begriffen sich selbst als Lernende und Forschende in gemeinsamen Entwicklungsprozessen. Sie nahmen an Inhouse- Fortbildungen und themenbezogenen Teamsitzungen aktiv teil und drückten ihre eigene Motivation aus, sich in ihren eigenen Fach- und Methodenkompetenzen weiter zu entwickeln. Diese Ergebnisse der TEAM-BaWü-Studie decken sich - abgesehen von z. T. unterschiedlichen Begrifflichkeiten - mit denen der Leitungsstudie von Nentwig-Gesemann, Nicolai & Köhler (2015). Empfehlungen Als wesentliche Schlussfolgerung aus den empirischen Ergebnissen, aber auch Forderungen der Fachverbände (z. B. Deutscher Verein 2016) lässt sich ableiten, dass die neuen Berufsgruppen zwar eine Bereicherung für Teams darstellen können und mit ihren spezifischen Kompetenzen die pädagogische Arbeit, die Zusammenarbeit mit Eltern, Grundschulen und anderen Institutionen qualitativ voranbringen können. Dies gelingt allerdings nur unter spezifischen Voraussetzungen. So reicht es bei Weitem nicht aus, neuen Teammitgliedern unabhängig von ihrer Qualifikation „nur“ offen und wertschätzend zu begegnen. Die gegenwärtige pädagogische Handlungspraxis in Kindertageseinrichtungen stellt sich als zu anspruchsvoll dar, als dass dies „irgendwie nebenbei“ durch die Teams geleistet werden könnte. Vielmehr braucht es spezifische Einarbeitungs- und Personalentwicklungskonzepte in den Einrichtungen, die zu einer schnellen Anschlussfähigkeit ohne Aufgabe der spezifischen Wissens- und Könnensbestände führen. Kommen „neue“ Fachkräfte mit anderen Qualifikationen als bislang bekannt/ gewohnt in ein Team und arbeiten auf Personalstellen, werden sie also als pädagogische Fachkräfte angestellt, tauchen entsprechend neue Fragen auf, die als 70 uj 2 | 2018 Multiprofessionelle Teams Orientierung für einen Teamentwicklungsprozess unter der Prämisse der Multiprofessionalität dienen können: ➤ Wie ist die Einarbeitung zu gestalten, wenn die alltägliche Praxis (noch) weitgehend unbekannt ist? Wer im Team kann die Begleitung dieser Einarbeitung leisten? ➤ Welche Aufgaben-/ Tätigkeitsbereiche können von der neuen Fachkraft ab welchem Zeitpunkt erwartet werden; ab wann ist sie „voll“ einsetzbar? ➤ Wie können Lücken im Wissen und Können der neuen Fachkräfte geschlossen werden; welche begleitenden Weiterbildungsangebote sind erforderlich (zu welchem Zeitpunkt), wie kann im Team mit den Kompetenzunterschieden konstruktiv umgegangen werden? ➤ Wie können die neuen Fachkräfte aber auch ihr fachspezifisches Können, z. B. im heilpädagogischen, medizinischen oder pflegerischen Bereich, möglichst gut einbringen? ➤ Welche Strukturen erleichtern das Zusammenwirken multiprofessioneller Teams und die Integration neuer Fachkräfte? Wie können Frustration und Konkurrenz verringert werden? ➤ Wie kann den persönlichen Zielen, Erwartungen und Perspektiven aller Fachkräfte auf Team-/ Leitungsebene bestmöglich entsprochen werden, sodass die Stabilität des Teams befördert wird, aber zugleich Möglichkeiten der persönlichen und fachlichen Weiterentwicklung eröffnet werden? Zentral erscheint zudem eine fundierte, berufsintegrierte Fort- und Weiterbildung der neuen Fachkräfte, um die notwendigen Handlungskompetenzen erwerben zu können. Es sind prozessbegleitende Konzepte (Coaching, Supervision) für BerufseinsteigerInnen bzw. -wechslerInnen zu verankern, um die ersten Monate der Tätigkeit in teilweise vollständig unbekannten Handlungsfeldern und Situationen besser bearbeiten zu können. Wichtig wäre auch, die bisherigen, ausbildungs- und berufsspezifischen Kompetenzen (vgl. hierzu Fröhlich-Gildhoff; Weltzien et al. 2014) systematisch mit den neuen Anforderungen zu verknüpfen und diese in die Team- und Qualitätsentwicklung einzubinden. Wichtig erscheint auch ein Teamentwicklungskonzept (Inhouse-Fortbildungen, Prozessbegleitung), das speziell auf die Zusammenarbeit in einer multiprofessionell besetzten Einrichtung ausgerichtet ist. Dabei geht es zum einen um ein besseres Verstehen der unterschiedlichen Perspektiven, um die Entwicklung einer gemeinsamen forschenden und reflexiven Haltung und um eine Stärkung von Anerkennung und professionellem Selbstverständnis. Eine bedeutende Verantwortung bei der Realisierung dieser Qualifizierungs- und Teamentwicklungsmaßnahmen haben dabei die Träger und Fachberatungen (s. a. Deutscher Verein 2016), die neben der Bereitstellung von Ressourcen die jeweiligen Leitungen stützen und begleiten müssen. Prof. Dr. Klaus Fröhlich-Gildhoff Evangelische Hochschule Freiburg Bugginger Str. 38 D-79114 Freiburg Tel. +49-(0) 761-47812-40 E-Mail: Klaus.Froehlich-Gildhoff@eh-freiburg. ekiba.de Prof. Dr. Dörte Weltzien Evangelische Hochschule Freiburg Bugginger Str. 38 D-79114 Freiburg Telefon: +49-(0) 761-47812-635 E-Mail: Weltzien@eh-freiburg.de 71 uj 2 | 2018 Multiprofessionelle Teams Literatur Autorengruppe Fachkräftebarometer (2017): Fachkräftebarometer Frühe Bildung 2017. München: Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte. https: / / www.weiterbildungsinitiative.de/ publikatio nen/ details/ data/ fachkraeftebarometer-fruehe-bil dung-2017/ [Zugriff 15. 11. 2017] Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) 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Online: https: / / www.bmfsfj.de/ blob/ 86378/ 67fa30384a1ee8ad097938cbb6c66363/ 14-exper tise-kindheitspaedagogische-fachkraefte-data.pdf [Zugriff 15. 11. 2017] Hache, E., Limberger, J., Schwörer, L. & Fröhlich-Gildhoff, K. (2017): Untersuchung des Standes der berufsintegrierenden Ausbildungen im Feld der Frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung (FBBE) in Deutschland. Perspektiven der empirischen Kinder- und Jugendforschung, 2017 (2), 5 - 29. Online Zeitschrift: https: / / www.fel-verlag.de/ files/ u757/ Perspektiven %206_2017%20Jahrgang%203%20%282%29.pdf [Zugriff 15. 11. 2017] Kasüschke, D., Fröhlich-Gildhoff, K. (2008): Frühpädagogik heute. Herausforderungen an Disziplin und Profession. Wolters-Kluwer, Carl Link Verlag, Köln Nentwig-Gesemann, I., Nicolai, K., Köhler, L. (2015): KiTa- Leitung als Schlüsselposition - Erfahrungen und Orientierungen von Leitungskräften in Kindertageseinrichtungen. Bertelsmann, Gütersloh Schilling, M. (2017): Künftiger Personalbedarf - eine Projektion bis 2025. In: Autorengruppe Fachkräftebarometer (Hrsg.): Fachkräftebarometer Frühe Bildung 2017. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte, München, 175 - 186 Tietze, W., Becker-Stoll, F., Bensel, J., Eckhardt, A. G., Haug-Schnabel, G., Kalicki, B., Keller, H., Leyendecker, B. (Hrsg) (2013): Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit (NUBBEK). Das Netz, Berlin Tietze, W., Schuster, K.-M. Grenner, K., Roßbach, H.-G. (2007): Kindergarten-Skala (KES-R). Feststellung und Unterstützung pädagogischer Qualität in Kindergärten. 3. Aufl. Cornelsen Scriptor, Berlin Weltzien, D., Fröhlich-Gildhoff, K., Strohmer, J., Reutter, A., Tinius, C. (2016): Multiprofessionelle Teams in Kindertageseinrichtungen. Evaluation der Arbeitsprozesse und Arbeitszufriedenheit von multiprofessionell besetzten Teams in Baden-Württemberg. Beltz/ Juventa, Weinheim/ Basel Weltzien, D., Albers, T. (Hrsg.) (2014): Vielfalt und Inklusion. kindergarten heute wissen kompakt. Herder, Freiburg