unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2018.art11d
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Verfahrensbeistandschaft in Fällen der Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB
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Gabriele Bindel-Kögel
In familiengerichtlichen Verfahren, die darauf abzielen, eine Gefährdung des Kindeswohls abzuwenden, sind Minderjährige kaum in der Lage, ihre persönlichen Anliegen einzubringen – auch deshalb, weil ihr Interesse zu dem ihrer gesetzlichen VertreterInnen in erheblichem Gegensatz stehen kann.
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72 unsere jugend, 70. Jg., S. 72 - 81 (2018) DOI 10.2378/ uj2018.art11d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel In familiengerichtlichen Verfahren, die darauf abzielen, eine Gefährdung des Kindeswohls abzuwenden, sind Minderjährige kaum in der Lage, ihre persönlichen Anliegen einzubringen - auch deshalb, weil ihr Interesse zu dem ihrer gesetzlichen VertreterInnen in erheblichem Gegensatz stehen kann. Verfahrensbeistandschaft in Fällen der Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB Ergebnisse einer Rechtstatsachenstudie von Dr. Gabriele Bindel-Kögel Jg. 1954; Diplom-Pädagogin, Sozialforscherin in den Gebieten Kinder- und Jugendhilferecht, Familienrecht, Kriminologie, Viktimologie VerfahrensbeiständInnen, die sogenannten „AnwältInnen der Kinder“, sollen Kindern und Jugendlichen das Gerichtsverfahren verständlich machen und deren Interessen vor Gericht zur Geltung bringen. Wie werden diese gesetzlichen Regelungen des FamFG (Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) umgesetzt und wo entstehen Reibungspunkte zwischen den beteiligten Akteuren? Solche und ähnliche Fragen waren Gegenstand des überregionalen Forschungsprojektes „Kindeswohl zwischen Jugendhilfe und Justiz“. Es wurde in den Jahren 2014 bis 2016 als Kooperationsprojekt der TU Berlin (Prof. Dr. iur J. Münder), der FH Münster (Prof. Dr. R. Schone, M. A. H. Hoffmann, M. A. W. Lampe) und der OTH Regensburg (Prof. Dr. B. Seidenstücker, Dr. G. Bindel-Kögel) durchgeführt und vom BMFSFJ gefördert (vgl. Münder 2017). In ihrem Untersuchungsdesign schließt sich die aktuelle eng an die gleichnamige Studie aus den Jahren 1996 bis 1999 (vgl. Münder/ Mutke/ Schone 2000) an, sodass Entwicklungslinien der letzten rund 20 Jahre herausgearbeitet werden konnten. Damals wie heute wurden an 20 ausgewählten Standorten in Deutschland die kooperativen Verfahren zwischen Jugendhilfe und Justiz im Falle der Kindeswohlgefährdung mit einer Kombination quantitativer und qualitativer Methoden untersucht. Die Aufgabenwahrnehmung der VerfahrensbeiständInnen stellt lediglich einen Ausschnitt aus den umfangreichen Ergebnissen dar, die empirisch wie folgt erhoben wurden: Neben sekundärstatistischen Analysen der Daten des Statistischen Bundesamtes und einer Online-Erhebung von 318 Fallverläufen bei den ausgewählten Jugendämtern, in denen es im Jahr 2014 zur Anrufung des Familiengerichtes kam, wurden dort auch Experteninterviews mit 44 Fachkräften des Allgemeinen Sozialen Dienstes und mit 30 FamilienrichterInnen der Amtsgerichte durchgeführt. Neu hinzugekommen sind Interviews mit 20 VerfahrensbeiständInnen, die 1998, kurz nach Abschluss der letzten Untersuchung im Rahmen des Kindschaftsrechtsreformgesetzes in § 50 FGG (Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) als „Verfahrenspfleger“ 73 uj 2 | 2018 Verfahrensbeistandschaft bei Kindeswohlgefährdung eingeführt wurden und im Rahmen des am 1. September 2009 in Kraft getretenen FamFG nunmehr als „Verfahrensbeistände“ ausschließlich auf die Interessenvertretung von Kindern und Jugendlichen ausgerichtet sind (vgl. Stötzel 2014, 560ff ). Die Forschung wurde abgerundet durch 20 problemzentrierte Interviews mit Eltern und Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen, die familiengerichtliche Verfahren nach § 1666 BGB erlebt haben. Verfahrensbeistandschaft in Fällen der Kindeswohlgefährdung - gesetzliche Rahmenbedingungen In Kindschaftssachen nach § 151 FamFG, die u. a. Kindeswohl-, Sorgerechts-, Trennungs- oder Scheidungsverfahren betreffen, hat das Gericht dem Minderjährigen nach § 158 FamFG „einen geeigneten Verfahrensbeistand zu bestellen, soweit dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist“. Familiengerichtliche Verfahren der Kindeswohlgefährdung nach §§ 1666/ 1666 a BGB heben sich von anderen Kindschaftssachen insofern ab, als sie in der Regel vom Jugendamt durch eine Meldung an das Gericht initiiert und unter Beteiligung des Jugendamtes verhandelt werden. Der häufig mitzitierte § 1666 a BGB verweist auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und darauf, dass eine Trennung von den Eltern nur letztes Mittel sein kann, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise begegnet werden kann. Der idealtypische Verlauf, der einer Meldung des Allgemeinen Sozialen Dienstes des Jugendamtes (ASD) ans Gericht vorausgeht, soll kurz skizziert werden. Er folgt den Vorgaben des § 8 a SGB VIII, dem Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung, der im Jahr 2005 eingeführt wurde: Werden dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Kindeswohls bekannt, hat es nach § 8 a Abs. 1 SGB VIII das Gefährdungsrisiko zusammen mit den Erziehungsberechtigten und ggf. dem Kind bzw. Jugendlichen einzuschätzen und entsprechend geeignete Hilfen anzubieten. Sowohl die Feststellung einer Gefährdung des Kindeswohls als auch deren Abwendung können als äußerst komplizierter Prozess gelten. Häufig bestehen unterschiedliche normative Einschätzungen von Eltern und Fachkräften der Jugendhilfe und letztendlich auch der FamilienrichterInnen und VerfahrensbeiständInnen (vgl. Schone 2017, 16f ). Das weitere Verfahren wird in § 8 a SGB VIII umrissen: „Hält das Jugendamt das Tätigwerden des Familiengerichts für erforderlich, so hat es das Gericht anzurufen; dies gilt auch, wenn die Erziehungsberechtigten nicht bereit oder in der Lage sind, bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos mitzuwirken.“ Eine entsprechende Formulierung findet sich in § 1666 BGB. Das Familiengericht muss dann ggf. die in Artikel 6 GG (Grundgesetz) garantierten Elternrechte gegen Kinderrechte abwägen, ggf. sogar eine Fremdunterbringung gegen den Willen der Eltern, ja teils sogar gegen den Willen der Kinder anordnen und dabei Sorgerechte teilweise oder gänzlich entziehen. In diesem oftmals langwierigen Prozess, der sich über Monate oder gar Jahre hinziehen kann, entstehen hohe Belastungen für alle Beteiligten. Kinder geraten in Existenzängste vor einer unbekannten Zukunft und es entstehen Loyalitätskonflikte mit den Eltern, die sie weder belasten noch verlieren wollen. In solchen Fällen der Kindeswohlgefährdung können Eltern nicht wie sonst üblich als rechtmäßige VertreterInnen ihrer Kinder im Gerichtsverfahren auftreten. Wenn „das Interesse des Kindes zu dem seiner gesetzlichen Vertreter in erheblichem Gegensatz steht“, wie es in § 158 Abs. 2 FamFG heißt, gilt die Bestellung eines Verfahrensbeistands bzw. einer Verfahrensbeiständin in der Regel als erforderlich. Er/ sie soll die Interessen der Minderjährigen feststellen und im familiengerichtlichen Verfahren zur Geltung bringen. Ziel dieser im Zuge der Kindschaftsrechtsreform Ende der 90er Jahre eingeführten gesetzlichen Regelung war und ist - auch mit Bezug auf die UN-Kinderrechtskonvention - die Stärkung von Kinderrechten. 74 uj 2 | 2018 Verfahrensbeistandschaft bei Kindeswohlgefährdung Die aktuellen gesetzlichen Regelungen zur Verfahrensbeistandschaft in § 158 FamFG, die seit 2009 gelten, sollen - auch im Unterschied zu den Vorgängerregelungen in § 50 FGG - kurz umrissen werden. Dabei wird die persönliche Anhörung der Minderjährigen nach § 159 Fam- FG lediglich gestreift. Höhere Verbindlichkeit bei der Bestellung In der Fachöffentlichkeit wurde die Einführung einer unabhängigen Interessenvertretung junger Menschen in Gerichtsverfahren einerseits begrüßt, andererseits wurde kritisiert, das Jugendamt würde die Rechte des Kindes ausreichend vertreten, die Gerichte sie ausreichend würdigen, eine weitere Person sei überflüssig und geradezu störend (vgl. Münder/ Mutke u. a. 2007, 129f ). Entgegen der Befürchtungen hat sich das Rechtsinstitut in der Praxis bewährt (vgl. Münder/ Bindel-Kögel 2009 a, 177ff und 2009 b, 271ff; Münder/ Hannemann/ Bindel-Kögel 2010, 337). Dieser Trend schlägt sich auch in der neuen Gesetzgebung nieder: Während es 1998 noch in § 50 FGG hieß: „Das Gericht kann dem minderjährigen Kind einen Pfleger für ein seine Person betreffendes Verfahren bestellen, soweit dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist“, wurden die Verpflichtung zur Bestellung mit Einführung des FamFG im Jahre 2009 erhöht (das Gericht „hat“ jetzt zu bestellen) und der Begriff Verfahrenspfleger in § 158 FamFG Abs. 1 in Verfahrensbeistand abgewandelt. Qualifikation bei Übernahme einer Verfahrensbeistandschaft Ebenfalls in § 158 FamFG Abs. 1 wird - im Unterschied zu § 50 FGG - nun zwar keine spezielle Qualifikation der VerfahrensbeiständInnen angeführt, jedoch werden mit dem Begriff der „Geeignetheit“ die hohen fachlichen und persönlichen Anforderungen angesprochen. Die fehlenden Angaben in § 50 FGG eröffneten anfangs die Möglichkeit, dass auch Personen ohne weitere Qualifikation eine Verfahrenspflegschaft übernehmen konnten. Dies wurde bereits in den ersten Jahren nach Einführung des Rechtsinstituts kritisiert und später wurden Ansprüche an die Qualifikation von VerfahrensbeiständInnen in die Standards des BVEB e.V. (Berufsverband für Verfahrensbeistände, Ergänzungspfleger und Berufsvormünder für Kinder und Jugendliche) aufgenommen. Auch in der Kommentierung des FamFG von Meysen (2014) werden (sozial)pädagogische, juristische oder psychosoziale Grundausbildung, eine spezifische Zusatzausbildung sowie persönliche Geeignetheit hervorgehoben (Stötzel 2014, 562f ). Voraussetzungen und Zeitpunkt der Bestellung § 158 Abs. 2 FamFG führt Regelbeispiele für die Bestellung von VerfahrensbeiständInnen an. Als erforderlich gilt sie z. B., „wenn das Interesse des Kindes zu dem seiner gesetzlichen Vertreter in erheblichem Gegensatz steht“. Explizit werden in Abs. 2 Punkt 2 Verfahren nach §§ 1666 und 1666 a BGB benannt. Wird entgegen der Regelbeispiele kein Verfahrensbeistand bzw. keine Verfahrensbeiständin bestellt, ist dies nach § 158 FamFG Abs. 3 Satz 3 vom Familiengericht zu begründen. Diese Bestimmung kann als zusätzliche Hürde einer Nichtbestellung gelten. § 158 Abs. 3 FamFG legt in Satz 1 ausdrücklich fest: „Der Verfahrensbeistand ist so früh wie möglich zu bestellen“. Ziel ist es, das Verfahren im Interesse des Kindes so früh wie möglich zu beeinflussen und damit die Wahrscheinlichkeit kindeswohlfördernder Entscheidungen zu erhöhen (vgl. BVerfG 26. 8. 1999 - 1 BvR 1403/ 99). Status des Rechtsinstituts Mit § 158 Abs. 3 FamFG Satz 2 erhalten VerfahrensbeiständInnen nun explizit eine eigenständige Stellung als „Beteiligte“ mit den dazugehöri- 75 uj 2 | 2018 Verfahrensbeistandschaft bei Kindeswohlgefährdung gen Rechten und Pflichten (vgl. § 7 Abs. 4 FamFG sowie §§ 10, 12, 13, 14, 27, 33, 34, 59 FamFG). Nach Abs. 4 Satz 5 kann er/ sie im Interesse des Kindes Rechtsmittel (Beschwerde beim Oberlandesgericht) einlegen (BT-Drs. 16/ 6308, 239). Kernaufgaben der VerfahrensbeiständInnen Weil in § 50 FGG lediglich die „Wahrnehmung der Interessen des Kindes“ als Aufgabe der VerfahrenspflegerInnen benannt wurde und auch die Begründung der Bundesregierung, in der sie als „Sprachrohr“ des Kindes (vgl. BT-Drs. 13/ 4899, 129) bezeichnet wurden, nicht sehr ausführlich war, wurde dies in der Fachöffentlichkeit lange Jahre kritisiert (vgl. Münder / Hannemann/ Bindel-Kögel 2010, 34). Nunmehr werden in § 158 Abs. 4 FamFG erstmals die Aufgaben der VerfahrensbeiständInnen etwas genauer benannt. Vorausgegangen ist eine intensive Diskussion in der Fachöffentlichkeit darüber, ob das Rechtsinstitut nun eher dem Willen oder stärker dem Wohl des Kindes verpflichtet sei und wie z. B. im Falle einer zu entscheidenden Fremdunterbringung gegen den Willen des Kindes vonseiten der VerfahrensbeiständInnen zu handeln sei. Deshalb stellt der Gesetzgeber in § 158 Abs. 4 Satz 1 nun klar: „Der Verfahrensbeistand hat das Interesse des Kindes festzustellen“ und begründet, dass der „Verfahrensbeistand dem Interesse des Kindes verpflichtet ist und nicht allein dem von diesem geäußerten Willen“ (BT-Drs. 16/ 6308, 239). Zwar haben VerfahrensbeiständInnen den Kindeswillen im Verfahren zu verdeutlichen, sie haben aber darüber hinaus ggf. auch weitere Gesichtspunkte - wie etwaige Bedenken - in das Verfahren einzubringen. Resümierend die Begründung des Gesetzgebers: „Der Verfahrensbeistand hat daher bei seiner Stellungnahme sowohl das subjektive Interesse des Kindes (Wille des Kindes) als auch das objektive Interesse des Kindes (Kindeswohl) einzubeziehen“ (BT-Drs. 16/ 6308, 239). Darüber hinaus haben VerfahrensbeiständInnen nach § 158 Abs. 4 Satz 2 das Kind in geeigneter Weise, also kindgemäß über Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens zu informieren. Dies dient dem Kind zur „Wahrnehmung der eigenen Position“ (BT-DRs. 16/ 6308, 240) - eine Voraussetzung für die Bewältigung des gerichtlichen Verfahrens. Dazu gehört auch, dass die VerfahrensbeiständInnen ihre Rolle dem/ der Minderjährigen erklären, insbesondere, dass sie zur Vertretung sowohl des subjektiven als auch des objektiven Interesses des Kindes verpflichtet sind (vgl. BVEB 2012, 8). Nach § 158 Abs. 4 Satz 3 FamFG kann das Gericht bei der Bestellung „zusätzliche“ Aufgaben des Rechtsinstituts benennen. Es handelt sich dabei z. B. um Gespräche mit den Eltern und weiteren Bezugspersonen, um die Interessen des Kindes zu erkunden. Daneben kann sich der erweiterte Auftrag auch auf die „Mitwirkung an einer einvernehmlichen Regelung über den Verfahrensgegenstand“ beziehen. Nicht zuletzt gehört auch die Vorbereitung auf die Anhörung und Unterstützung der Minderjährigen während ihrer persönlichen Anhörung durch FamilienrichterInnen zum Aufgabenfeld der VerfahrensbeiständInnen, die nach § 159 FamFG anwesend sein sollen, sofern sie bestellt sind. Vergütungsregelungen Die Aufgabenerteilung des Gerichts ist eng mit den neu geschaffenen vergütungsrechtlichen Regelungen verbunden (BT-Drs. 16/ 6308, 240). In § 158 Abs. 7 FamFG werden - im Unterschied zu § 50 FGG - nunmehr Fallpauschalen festgelegt, eine einmalige Vergütung pro Fall in Höhe von € 350,-. Werden „zusätzliche Aufgaben“ nach § 158 Abs. 4 Satz 3 FamFG übertragen, so erhöht sich die Vergütung auf € 550,- (BT-Drs. 16/ 9733, 294). 76 uj 2 | 2018 Verfahrensbeistandschaft bei Kindeswohlgefährdung Praxis der Verfahrensbeistandschaft in Verfahren der Kindeswohlgefährdung nach §§ 1666/ 1666 a BGB Analog zu den bisher beschriebenen gesetzlichen Änderungen sollen im Folgenden ausgewählte Forschungsergebnisse vorgestellt werden. Verfahrensbeistandschaft in 1666-Verfahren ist heute gängige Praxis der meisten Familiengerichte Mit Einführung des § 158 FamFG im Jahr 2009 wurden die in der Fachöffentlichkeit zunehmend akzeptierten VerfahrenspflegerInnen weiter aufgewertet und sind heute als VerfahrensbeiständInnen zu zentralen Akteuren im familiengerichtlichen Verfahren avanciert. In der Einzelfallerhebung mit ihren 318 Fällen wird allerdings deutlich, dass in rund einem Viertel der untersuchten Fälle keine Bestellung erfolgt, obwohl dies nach § 158 Abs. 2 FamFG obligatorisch gewesen wäre. Dabei fällt auf, dass in den bereits abgeschlossenen Verfahren die Zahl der Bestellungen höher ist als in den (zum Zeitpunkt der Untersuchung) noch offenen Verfahren. Die Interviewergebnisse erklären den statistischen Zusammenhang: Ein Teil der RichterInnen bestellt VerfahrensbeiständInnen erst wenn sich abzeichnet, dass es nicht bei einer Erörterung der Gefährdung und Möglichkeiten ihrer Abwendung (nach § 157 FamFG) bleibt, sondern weitere Gerichtstermine anstehen bzw. letztendlich eine richterliche Entscheidung notwendig wird (Bindel-Kögel/ Seidenstücker 2017, 165f ). Wenn eine richterliche Bestellung erfolgt, so geschieht dies in der Praxis entsprechend der gesetzlichen Normierung in der großen Mehrzahl der Fälle „so früh wie möglich“, d. h. in den ersten vier Wochen, nachdem das Jugendamt das Familiengericht informiert hat. Qualifikation, Geschlecht und Status Bei VerfahrensbeiständInnen handelt es sich in der Regel um akademisch qualifizierte und berufserfahrene Personen (zumeist Frauen) mit zu etwa gleichen Teilen (sozial-)pädagogischen oder juristischen Berufen (Bötticher 2008, 60; Münder/ Hannemann/ Bindel-Kögel 2010, 267f ), wobei es lokal aus unterschiedlichen Gründen zu einer Häufung bestimmter Berufszweige kommen kann. Die in den beiden quantitativen Untersuchungen (ebd.) festgestellte Zusammensetzung der Professionen bildet sich auch im Sample der 20 VerfahrensbeiständInnen des vorliegenden Forschungsprojektes ab. Erwähnenswert sind einige professionsspezifische Unterschiede: Was bereits 2010 kritisch bewertet wurde - dass rund 74 % der aus psychosozialen Berufen stammenden, jedoch nur 25 % der aus juristischen Berufen kommenden VerfahrensbeiständInnen eine einschlägige Fort- und Weiterbildung durchlaufen haben (Münder/ Hannemann/ Bindel-Kögel 2010, 184) - zeigt sich als Tendenz auch in dem kleinen Ausschnitt der 20 in 2014 befragten VerfahrensbeiständInnen. Unter den Personen mit juristischer Qualifikation befinden sich im Vergleich mit denen mit (sozial)pädagogischen Berufen weit seltener solche mit einer entsprechenden Fortbildung für diese Aufgabe, obwohl im FamFG nunmehr mit dem neu eingeführten Begriff der „Geeignetheit“ eine Zusatzqualifikation erwartet wird (vgl. BVEB 2012; Stötzel 2014, 562f ). Die JuristInnen unter den VerfahrensbeiständInnen gehen, gefragt nach einer einschlägigen Fortbildung, mehrheitlich davon aus, dass sich nach abgeschlossenem Studium alles andere „aus der Praxis“ ergibt. Sie verstehen sich als „engagierte MacherInnen“, die sich auf der Grundlage ihrer Ausbildung selbst qualifizieren: „Und wusste in dem Moment überhaupt gar nicht, was ich eigentlich da zu tun habe und habe mich dann ganz schnell reingelesen und reingearbeitet und habe da auch meine Leidenschaft ein Stück weit dafür entwickelt“ (2VB_Int1; 4-11). 77 uj 2 | 2018 Verfahrensbeistandschaft bei Kindeswohlgefährdung Eine Besonderheit ist, dass VerfahrensbeiständInnen in aller Regel aufgrund ihres freiberuflichen Status unabhängig von behördlichen Organisationsstrukturen sind und als EinzelkämpferInnen gelten können, die einzig von den Erwartungen und der Beauftragung des Gerichts abhängig sind. Ihre Vernetzung untereinander basiert auf freiwilligem Engagement, genauso wie ihre Ausrichtung an den Standards des BVEB. Die Bestellgepflogenheiten der RichterInnen Die RichterInnen erwarten von VerfahrensbeiständInnen möglichst zügig wesentliche Erkenntnisse über Interessen und Lebenslage des Kindes, weil sie in aller Regel den zusätzlichen Auftrag gem. § 158 Abs. 4 Satz 3 erhalten, nicht nur mit ihm, sondern ggf. auch mit Eltern, ErzieherInnen, LehrerInnen oder anderen dem Kind nahestehenden Personen zu sprechen. Die Berichte der VerfahrensbeiständInnen sollen - neben denen der Jugendämter - Grundlagen für die Verhandlung schaffen: „[…] Und wenn ich die anrufe und ich sage: ‚Ich habe einen besonders schwierigen Fall und es brennt wirklich‘, dann lassen die auch alles stehen und liegen und fahren noch am Abend dahin, damit sie am übernächsten Tag zum Termin kommen können und schon was haben“ (14Ri1: 189 - 194). Solche Erwartungen prägen auch die Auswahlkriterien der RichterInnen, wenn sie einen Beistand bestellen, wobei dessen juristische oder (sozial)pädagogische bzw. psychologische Profession eine wichtige Rolle spielt. Gängige Argumentationen lassen sich aus den Interviews zusammenstellen: RichterInnen verweisen z. B. darauf, dass sie die Überzahl von JuristInnen im Verfahren grundsätzlich kritisch sehen. Daneben werden von den sozialen Berufen bessere Ermittlungsergebnisse erwartet: „Eigentlich nie Juristen. Also ich möchte natürlich jemanden auf diesem sozialpädagogischen psychologischen Bereich, der das mit den Augen beleuchten kann“ (14Ri1: 189 - 194). Dagegen heben RichterInnen mit einer Vorliebe für JuristInnen als VerfahrensbeiständInnen deren klare Sprache und Verfahrensverständnis hervor: „[…] Der schreibt nicht so viel außen rum, was eigentlich gar nicht interessant ist. Der fasst sich relativ kurz und zielgerichtete Berichte“ (18Ri1: 138 - 139). Anzumerken ist, dass es nicht nur einzelne RichterInnen, sondern ganze Familiengerichte gibt, in denen ganz überwiegend eine bestimmte Profession von VerfahrensbeiständInnen bestellt wird. Dabei können sogar fallspezifische Kriterien in den Hintergrund treten. „Wir nehmen fast nur Anwälte, das hat sich irgendwie so eingespielt“ (11Ri2: 108 - 117). Eine Fokussierung auf eine der beiden Professionen kann allerdings auch daran liegen, dass - vor allem im ländlichen Bereich - nur eine vor Ort zur Verfügung steht bzw. gewählt werden kann. Bestellt wird dann nach dem Motto: „Wir nehmen, wen wir kriegen können“ (19VB: 348 - 365). Eine herausragende Rolle spielen bei allen befragten RichterInnen die persönlichen Erfahrungen mit den VerfahrensbeiständInnen sowie Erwartungen, die auf die Verbesserung der Verfahrensabläufe abzielen (vgl. Bindel-Kögel 2017, 286f ): „Wir haben wie gesagt die Liste und die einen arbeiten lieber mit dem zusammen, die anderen lieber mit dem. Und so haben wir dann, sozusagen, so eine bunte Mischung und jeder hat so seine Leute, mit denen er gerne zusammenarbeitet“ (12Ri1: 97 - 104). Das Ausprobieren und Auswählen des/ der „Richtigen“ führt mittelfristig zu eingespielten, 78 uj 2 | 2018 Verfahrensbeistandschaft bei Kindeswohlgefährdung teils sehr engen Partnerschaften zwischen RichterInnen und „ihrem“ Verfahrensbeistand bzw. „ihrer“ Verfahrensbeiständin: „Also mit dem Verfahrensbeistand ist die Kooperation die engste. Weil man sich den selber aussucht. Das Jugendamt kann ich mir ja nicht aussuchen. […] Aber den Verfahrensbeistand suche ich mir selber aus und dann nehme ich natürlich nur einen, wo ich weiß, dass das funktioniert, dass der seine Arbeit gut macht“ (16Ri1: 239 - 243). Für die VerfahrensbeiständInnen, die von einer persönlichen Bestellung durch die RichterInnen abhängig sind, entstehen so auch ökonomische Abhängigkeiten: „[…] Die Gefahr, wenn man also so vom Richter bestellt wird, ist, dass man dann vielleicht versucht es auch dem Richter recht zu machen, weil, man will ja wieder bestellt werden“ (14VB1: 41 - 50). Rechtsmittel einlegen - eine Seltenheit In den Interviews werden nur ganz vereinzelt Beschwerden beim Oberlandesgericht gegen eine richterliche Entscheidung geschildert, auch deshalb, weil Arbeitsaufwand und Stress erheblich ansteigen und die weitere Kooperation mit dem Gericht gefährdet sein kann. Und obwohl die Befragten betonen, dass sie im Zweifelsfall auch Beschwerde einlegen würden, geschieht dies - zumindest nach den Ergebnissen der statistischen Einzelfallerhebung - in keinem der abgeschlossenen Fälle (vgl. Bindel- Kögel/ Seidenstücker 2017, 167f ). Die Wahrnehmung der Kernaufgaben der Verfahrensbeistandschaft Das Aufgabenverständnis der VerfahrensbeiständInnen wird bestimmt durch den von ihnen häufig verwendeten Begriff der Interessenvertretung, mit dem sowohl der „subjektive Wille“ als auch das „objektive Wohl“ des Kindes bezeichnet wird: „Also ich bin auf jeden Fall gehalten, immer den Willen auch des Kindes mitzuteilen. […] wenn ich aber eine abweichende Empfehlung eben zu diesem Kindeswillen mache, es gibt ja auch kindeswohlschädigende Willen, dann muss ich das begründen“ (8VB: 68 - 71). Die Willenserkundung ist bei Säuglingen und kleinen Kindern mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, da sie sich noch nicht so differenziert äußern können wie etwa Schulkinder. In den Interviews wird ein breites Spektrum an individuellen Vorgehensweisen geschildert, die darauf abzielen, die Interessen der Kinder zu ermitteln (vgl. Bindel-Kögel 2017, 299f ). Jedoch gibt es einige wenige VerfahrensbeiständInnen (und im Übrigen auch RichterInnen und Fachkräfte der Jugendämter) unter den Befragten, die kleinen Kindern, wenn sie sich bereits mitteilen können, einen eigenständigen Willen absprechen. Dies widerspricht nicht nur den gängigen fachlichen Standards, sondern auch dem Stand der aktuellen entwicklungspsychologischen Erkenntnisse (vgl. Dettenborn 2010, 66f ). Die Begleitung, Beratung und Information des Kindes während des Verfahrens ist ein weiteres zentrales Anliegen vieler VerfahrensbeiständInnen. Das umfasst sowohl die vertrauensbildende Kontaktaufnahme, die Vorbereitung und Unterstützung in Bezug auf die gerichtliche Anhörung des Kindes nach § 159 FamFG als auch die kindgemäße Information über das Verfahren und die Entscheidungen des Gerichtes. So klären die VerfahrensbeiständInnen im Erstkontakt die Kinder z. B. altersgemäß darüber auf, dass sie jetzt einen Anwalt bzw. eine Anwältin haben und sichern ihnen ihre persönliche Unterstützung während des Verfahrens zu: 79 uj 2 | 2018 Verfahrensbeistandschaft bei Kindeswohlgefährdung „Wenn die größer sind, mit denen kann man ja schon relativ vernünftig auch reden, und dann erkläre ich ihnen, dass ich im Grunde ihr eigener Anwalt bin. Dass ich nur da bin, um zu gucken, dass es ihnen gut geht, hier in dieser Sache […]“ (2VB1: 18 - 19). Weil Loyalitätskonflikte mit den Eltern den emotionalen Hintergrund in Kindeswohlverfahren bilden, gehen einige VerfahrensbeiständInnen ganz bewusst damit um: „[…] In dem Zusammenhang finde ich auch immer ganz wichtig den Kindern zu sagen, dass sie nicht diejenigen sind die das entscheiden müssen, sondern dass das die Erwachsenen machen und dass das auch die Erwachsenen tun müssen“ (8VB: 138 - 139). Wenn es in Verfahren nach § 1666 BGB darum geht, dem Kind zu erklären, warum seinem Willen nicht gefolgt werden kann, stellt dies eine besondere Herausforderung dar. Viele VerfahrensbeiständInnen besprechen dies mit dem Kind und überlegen einen Plan B. Es gibt jedoch Einzelfälle, bei denen es an Aufklärung des Kindes darüber fehlt, warum seine Wünsche nicht erfüllt werden können: „Dann verbleiben wir so, dass ich sage: ‚Gut, dann weiß ich erst mal Bescheid. Vielen Dank erst mal und dann gucken wir mal, wie es weitergeht.‘ Und das sind eigentlich bisher immer ausreichende Aussagen gewesen“ (11VB: 50 - 67). Das „Mitwirken an einvernehmlichen Regelungen“ sieht etwa die Hälfte der Befragten als ihre Aufgabe an, zumal viele der FamilienrichterInnen diesen zusätzlichen Auftrag erteilen. Dabei sollte es nach § 158 Abs. 4 Satz 3 um den Verfahrensgegenstand, d. h. die Kindeswohlgefährdung gehen. Entsprechend wird der Auftrag vonseiten der befragten VerfahrensbeiständInnen häufig als Sensibilisierung der Eltern für die Interessen ihrer Kinder und Motivation der Eltern zur Annahme der Hilfeangebote des Jugendamtes verstanden. Probleme entstehen jedoch, wenn es VerfahrensbeiständInnen vorrangig darum geht, zwischen Eltern und Fachkräften des Jugendamtes zu vermitteln, sodass die Sensibilisierung für die Interessen des Kindes und Abwehr der Gefährdung in den Hintergrund geraten können. Dies ist einigen Befragten, die sich vorrangig als MediatorInnen verstehen, nicht ausreichend bewusst. Kontaktaufnahme und Gespräche mit den Eltern durch VerfahrensbeiständInnen wird sowohl vonseiten der Gerichte als auch vielfach von den Fachkräften des ASD als Möglichkeit gesehen, festgefahrene Verhältnisse aufzubrechen: „Das Jugendamt kennen die allermeisten schon sehr lange, denn bei uns kommen ja nun mal die Hochkonflikt-Familien an. Die kennen meistens das Jugendamt schon sehr lange, haben ihre Vorbehalte. […]. Und so ein Verfahrensbeistand hat also dann noch einmal die Möglichkeit, von vorne anzufangen, noch einmal neu zu gucken. Da haben die Eltern auch nochmal die Chance, neu zu gucken“ (10Ri1: 123 - 124). Hier sehen VerfahrensbeiständInnen ihre Rolle als zusätzliche AushandlungspartnerInnen der Eltern für Gefährdungshypothesen und für gangbare Hilfeperspektiven bis hin zur Aushandlung der Annahme von Hilfeangeboten gem. § 27 i. V. m. § 36 SGB VIII. In Einzelfällen wird die Planung passgenauer Hilfen jedoch nicht mit den Fachkräften des Jugendamtes abgestimmt, sodass Konflikte vorprogrammiert sind. Ein ausuferndes Aufgabenverständnis der VerfahrensbeiständInnen wird dadurch verstärkt, dass Jugendämter wie Gerichte das Engagement in Sachen Motivation zur Annahme von Erziehungshilfen geradezu erwarten. Dies kann aber auch dazu führen, dass genuin zu Jugendhilfe gehörende Arbeitsfelder durch VerfahrensbeiständInnen besetzt werden. Damit stehen Grundlagen der Arbeitsteilung der beiden Akteure infrage. 80 uj 2 | 2018 Verfahrensbeistandschaft bei Kindeswohlgefährdung Neue Vergütungsregelungen werden angenommen - Nachteile für betroffene Minderjährige in ländlichen Regionen Die neuen Fallpauschalen werden von den meisten VerfahrensbeiständInnen begrüßt, da mühselige Einzelabrechnungen wegfallen. In der Regel könne man von einer Art Mischkalkulation leben, bei der Fälle mit hohem Aufwand (d. h. mit zusätzlichem Auftrag und einer höheren Fallpauschale, wie dies bei 1666-Fällen üblich ist) durch Fälle mit geringerem Aufwand ausgeglichen würden. Nachteile einer einmaligen Pauschale pro Verfahren entstehen allerdings, wenn zum Wohnort der Minderjährigen - häufig im ländlichen Raum - weite Fahrtwege zurückzulegen sind, deren Kosten nicht vergütet werden, sodass es schon im Vorfeld zur Ablehnung eines solchen Falles zum Nachteil der betroffenen Kinder kommt. Daneben wächst die Arbeitszeit der VerfahrensbeiständInnen teils erheblich an, wenn Verfahren offen gehalten werden, was in § 1666 BGB-Fällen häufiger der Fall ist, und die nach wie vor bestellten VerfahrensbeiständInnen auf Grundlage der einmaligen Fallpauschale erneut wieder angefordert werden: „So lange das Verfahren offen ist, bin ich immer dabei […]. Und wenn man dann zum Beispiel ein Kind hat über Jahre, dann kann es sein, dass man dann drei bis vier Mal dahin dackelt und stundenlang da mit denen zu tun hat, nicht? “ (14VB1: 143 - 149). Ausblick: Recht auf freie Wahl des Anwaltes - auch für Kinder VerfahrensbeiständInnen bringen heute die Interessen von Kindern im familiengerichtlichen Verfahren zur Geltung und fördern damit den Blick auf Kinder als Rechtssubjekte. Diese sehr positive Rolle ist allerdings im Einzelfall mit Problemen mangelnder Neutralität, der Abhängigkeit der Minderjährigen von einem für sie bestellten Verfahrensbeistand bzw. einer für sie bestellten Verfahrensbeiständin behaftet, von dem/ der sie sich ggf. nur mangelhaft vertreten fühlen. Solche Einschränkungen könnten deutlich entschärft werden, wenn das demokratische Recht auf freie Wahl eines Anwaltes bzw. einer Anwältin auch Minderjährigen zugestanden würde. Bislang werden ihnen „Verfahrens“-BeiständInnen bestellt - und zwar von den FamilienrichterInnen und nach deren jeweiligen Bestellkriterien. Das häufig benutzte Synonym „Anwalt/ Anwältin des Kindes“ wird in der Fachöffentlichkeit deshalb als nicht zutreffend kritisiert, weil keine Unabhängigkeit vom Gericht vorliegt, obwohl dies als zentrales Merkmal einer Anwaltschaft gilt. Ein fiktiver Blick ins Jahr 2030 Stellen wir uns folgendes Zukunftsszenario vor. Im Jahr 2030 sind die Rechte der Kinder derart selbstverständlich, dass sie sich spätestens ab dem Schulalter selbst einen sogenannten „Kinder- und Jugendbeistand“ wählen können, der - analog zu den heutigen Erwartungen der Familiengerichte - „alles stehen und liegen lässt“, um „sofort und zeitlich flexibel“ für die Kinder (und nicht zur Sicherung des Verfahrens) tätig zu werden. Ein Beistand bzw. eine Beiständin, mit dem/ der die Kinder (und nicht die FamilienrichterInnen) ein „gutes Team“ bilden und dem/ der sie zu- und vertrauen, dass ihre Interessen im familiengerichtlichen Verfahren zur Geltung gebracht werden. Wenn sie unzufrieden mit der Arbeit ihres Beistands bzw. ihrer Beiständin sind, können sie sich beschweren und - unter bestimmten Bedingungen - ihre BeiständInnen wechseln. Beschwerderechte im Kindesalter sind 2030 allgemein anerkannt und auch im familiengerichtlichen Verfahren gültig. Um sich bei der freien Wahl ihrer BeiständInnen beraten zu lassen, wenden sich Kinder und Jugendliche an eine der vielen, im Jahr 2030 ausgebauten Kinder- und Jugendberatungsstellen in ihren Schulen und Kitas oder an ihre LehrerInnen und ErzieherInnen, die ihnen eine Kinder- und Jugendberatungsstelle in der Nähe 81 uj 2 | 2018 Verfahrensbeistandschaft bei Kindeswohlgefährdung empfehlen können. Diese Kinder- und Jugendberatungsstellen gehören zu den heute bereits bestehenden Ombudsstellen für junge Menschen und ihre Familien, die bis dahin flächendeckend verfügbar sind und sich konzeptionell nicht nur auf Rechte von Kindern im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe beziehen, sondern auch auf Rechte von Kindern im familiengerichtlichen Verfahren. Bis ins Jahr 2030 wird die „Kinder- und Jugend- Beistandschaft“ konzeptionell ausgeweitet, sodass die Interessen der Kinder, sofern sie es nicht selbst machen, auch im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe vertreten werden. Mit einer entsprechenden Änderung im SGB VIII ist es dann möglich, dass Kinder sich auch im Falle der Planung von erzieherischen Hilfen anwaltliche Kinder- und Jugend-BeiständInnen in den Kinder- und Jugendberatungsstellen wählen. Diese unterstützen sie darin, ihr seit Beginn der 90er Jahre bestehendes Wunsch- und Wahlrecht und ihre Beteiligungsrechte in den Verfahren der Hilfeplanung der Jugendämter zur Geltung zu bringen. Dr. Gabriele Bindel-Kögel Buchenweg 5 13587 Berlin E-Mail: gabibindel@googlemail.com Literatur Berufsverband für Verfahrensbeistände, Ergänzungspfleger und Berufsvormünder für Kinder und Jugendliche - BVEB - e.V. (2012): Standards Verfahrensbeistandschaft der Bundesarbeitsgemeinschaft Verfahrensbeistandschaft/ Interessenvertretung für Kinder und Jugendliche e. V. (BAG). www.verfahrensbeistandbag.de/ infos-fuerverfahrensbeistaende/ standards. htm, 13. 5. 2017 Bindel-Kögel, G., Münder, J. (2009 a): Stärkung von Kinderrechten in familiengerichtlichen Verfahren - Stand und Umsetzung zehn Jahre nach Inkrafttreten des § 50 FGG aus Sicht von VerfahrenspflegerInnen. In: unsere jugend 61, 177 - 187 Bindel-Kögel, G., Münder, J. 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