eJournals unsere jugend 70/7+8

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2018.art49d
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2018
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Demokratie lernen und leben

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2018
Christine Lohn
Demokratie leben, demokratisch denken und handeln muss man lernen – von Anfang an. Denn verantwortlich mit sich selbst und miteinander umzugehen setzt voraus, Freiheitsrechte und demokratische Grundwerte zu kennen und den Umgang mit den notwendigen Aushandlungsprozessen frühzeitig einzuüben.
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322 unsere jugend, 70. Jg., S. 322 - 327 (2018) DOI 10.2378/ uj2018.art49d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Demokratie lernen und leben Demokratieerziehung zwischen Kita und Grundschule als systemübergreifender Bildungsauftrag Demokratie leben, demokratisch denken und handeln muss man lernen - von Anfang an. Denn verantwortlich mit sich selbst und miteinander umzugehen setzt voraus, Freiheitsrechte und demokratische Grundwerte zu kennen und den Umgang mit den notwendigen Aushandlungsprozessen frühzeitig einzuüben. von Christine Lohn Jg. 1967; Diplom-Theologin, Master of Social Work, Geschäftsführerin Ausgangslage Kindheit in Deutschland ist hochgradig institutionalisiert - fast alle Kinder zwischen drei und sechs Jahren besuchen eine Kindertageseinrichtung, ein wachsender Teil der unter Dreijährigen macht dort erste Erfahrungen mit frühkindlicher Bildung, Erziehung und Betreuung. Mit der Schulpflicht bestimmt im Anschluss eine weitere Bildungsinstitution das Leben Heranwachsender in wachsender zeitlicher Ausdehnung. Die Verantwortung für den Bildungs- und Erziehungsauftrag im schulischen Ganztag liegt im besten Fall bei Schule und Kinder- und Jugendhilfe gemeinsam. In Kita und Schule treffen sie aufeinander, die verschiedenen Vorstellungen davon, wie Leben in Deutschland als freiheitlich-demokratischem Staat funktioniert: Demokratische Grundwerte wie die Gleichwertigkeit aller Menschen und Lebensformen, die Religionsfreiheit und die Trennung von Staat und Kirche kollidieren mehr oder weniger mit sozial, kulturell und/ oder religiös begründeten Exklusions- und Selektionstendenzen. Der Bildungsauftrag der Kinder- und Jugendhilfe impliziert eine stärkere Rückbindung an die Lebenswelten von Kindern und ihren Familien. Damit können Einrichtungen und Dienste der Kinder- und Jugendhilfe das System Schule dabei unterstützen, sich mit einer lebensweltorientierten Schulentwicklung der Pluralität der Lebenslagen junger Menschen anzunähern. Mit dem Bundesprogramm„Demokratie leben! “ will die Bundesregierung fördern, was lange Zeit als Selbstverständlichkeit wahrgenommen wurde: demokratisches Handeln im Miteinander und ein Grundverständnis für die demokratischen Werte, die im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland festgeschrieben sind. Heute wird immer klarer, dass demokratische Grundwerte nicht automatisch verinnerlicht werden, wenn Menschen in Freiheit leben; unabhängig davon, ob sie hier geboren und aufgewachsen, regulär zugewandert oder aus totalitären Staaten geflüchtet sind. 323 uj 7+8 | 2018 Demokratieerziehung zwischen Kita und Grundschule Demokratie leben, demokratisch denken und handeln muss man lernen - von Anfang an. Denn verantwortlich mit sich selbst und miteinander umzugehen setzt voraus, Freiheitsrechte und demokratische Grundwerte zu kennen und den Umgang mit den notwendigen Aushandlungsprozessen frühzeitig einzuüben. Begriffsklärung: Das Recht auf Erziehung in die demokratische Gesellschaft Im März 2009 hat die Kultusministerkonferenz (KMK) einen Beschluss mit dem Titel „Stärkung der Demokratieerziehung“ gefasst. Mit Verweis auf wichtige Ereignisse der Demokratieentwicklung in Deutschland wie den 90. Jahrestag der Konstituierung der Weimarer Republik, den 60. Geburtstag des Grundgesetzes sowie den 20. Jahrestag der Friedlichen Revolution in der DDR und damit einhergehend den damals anstehenden 20. Jahrestag der deutschen Einheit stellten die Kultusminister der Länder damals fest, dass die „herausragende Bedeutung der Erziehung zur Demokratie als Aufgabe schulischer Arbeit hervorzuheben und demokratisches Engagement im Rahmen schulischer Aktivitäten zu würdigen“ (KMK 2009, 2) sei. Parallel zur deutschen Entwicklung hat der Europarat in seiner Charta für Demokratie- und Menschenrechtsbildung (2010) die Demokratieerziehung mit dem Ziel der nachhaltigen Demokratisierung der Bildungssysteme verbindlich verankert. Im Sinne dieser Charta bezeichnet der dort verwendete Ausdruck Demokratiebildung „Erziehung, Ausbildung, Bewusstseinsförderung, Information, Praktiken und Aktivitäten, deren Absicht es ist, die Lernenden, durch die Vermittlung von Wissen, Kompetenzen und Verständnis und die Entwicklung ihrer Einstellungen und ihres Verhaltens, zu befähigen, ihre demokratischen Rechte und Pflichten in der Gesellschaft wahrzunehmen und zu verteidigen, Verschiedenartigkeit zu achten und im demokratischen Leben eine aktive Rolle zu übernehmen mit dem Ziel, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu fördern und zu verteidigen“ (Europarat 2010, 3). In der Kinder- und Jugendhilfe - und damit auch in Kindertagesbetreuung und Hort bzw. in anderen Angeboten im schulischen Ganztag - sind Förderung der Entwicklung und Erziehung die für den Bildungsauftrag relevanten Begriffe. Sozialarbeitende und ErzieherInnen in der Kinder- und Jugendhilfe haben den gesellschaftspolitischen Auftrag, demokratisches Handeln zu ermöglichen und zu fördern. Demokratieerziehung lässt sich als Teil ihres Bildungsauftrages aus § 1 SGB VIII ableiten: „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.“ Im Kontext der Diskussion um eine Reform des SGB VIII wurde der Erziehungsbegriff von für den Prozess relevanten Akteuren, vor allem aus der Behindertenhilfe, explizit hinterfragt. In ersten Entwürfen für ein inklusives Gesetz wurde der Begriff durch die Begriffe „Teilhabe“ und „Entwicklung“ ersetzt. In den folgenden Diskursen konnte die Kinder- und Jugendhilfe deutlich machen, dass das Recht auf Erziehung im Sinne des SGB VIII keinesfalls ein Relikt paternalistischer Allmachtsphantasien von Sozialarbeitenden und ErzieherInnen ist, sondern ein partizipativer Prozess. Kinder, Eltern und pädagogische Fachkräfte sind in diesem Kontext gleichwertige Akteure mit Rechten und Pflichten, die sich ableiten lassen von ihrer jeweiligen Position im System sowie von sich alters- und entwicklungsbedingt verändernden Teilhabeansprüchen und konkreten Unterstützungsbedarfen. Kinder und Jugendliche haben ein Recht darauf, in die Gesellschaft hinein erzogen zu werden; zuerst von ihren Eltern und - im Kontext zunehmender Institutionalisierung von Kindheit - auch von all jenen, die Eltern und andere primäre Bezugspersonen in ihrer Erziehungsverantwortung unterstützen. 324 uj 7+8 | 2018 Demokratieerziehung zwischen Kita und Grundschule Demokratieerziehung in diesem Sinne schafft über die Vermittlung von Wissen und das konkrete Einüben demokratischer Praktiken ein Bewusstsein für die allgemeingültigen Werte und Normen unserer Gesellschaft. Sie fördert damit die Entwicklung von Handlungskompetenz, um Demokratie leben und sie aktiv mitgestalten zu können. Sie folgt dem Ansatz hierarchiefreien Lernens und wirkt sowohl auf die jungen Menschen als auch auf Lehrende, Sozialarbeitende und ErzieherInnen, die diesen Bildungsauftrag umsetzen. Demokratieerziehung in gemeinsamer Verantwortung von Kita und Schule Kinder lernen bestenfalls bereits in der Familie, in jedem Fall aber in der Kita, dass das Wahrnehmen von Rechten die Pflicht zur Übernahme von Verantwortung impliziert - für das eigene Handeln ebenso wie in der Achtsamkeit gegenüber der/ dem Nächsten und der Gesellschaft. In der täglichen Arbeit werden demokratische Werte und Normen wie zum Beispiel Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Achtung und Respekt, Gewaltfreiheit und Gemeinschaft praktisch erfahrbar gemacht. Akzeptanz gleichberechtigten Seins, unabhängig von Geschlecht, Abstammung, Sprache, Heimat und Herkunft, Glauben, religiösen oder politischen Anschauungen sind damit sowohl Basis als auch Ziel von Demokratieerziehung. Diese großen Begriffe kindgerecht aufzubereiten ist die Herausforderung, vor der ErzieherInnen in der frühkindlichen Bildung und Erziehung ebenso stehen wie Lehrende in der Grundschule und pädagogische Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe im schulischen Ganztag. Ein wichtiger Schwerpunkt ist der verantwortliche Umgang mit menschlicher Vielfalt im Rahmen unserer demokratischen Grundordnung. Die Anerkennung von Diversität darf das Primat der demokratischen Werte nicht schwächen; sowohl das Wissen über Begrifflichkeiten und deren Inhalte als auch das Einüben einer demokratischen Diskurskultur im Rahmen der notwendigen gruppendynamischen Prozesse sind von großer Bedeutung. Toleranz, Identität und das demokratische Wertesystem müssen erfahrbar gemacht werden, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Rassismus, Homophobie, Antisemitismus und Antiziganismus ist nicht (nur) kognitiv zu verstehen. Demokratieerziehung hilft Kindern unterschiedlicher Sozialisation, Herkunft und nicht zuletzt Religion zu lernen, dass es die Grundlage friedlichen Zusammenlebens ist, die Gleichwertigkeit aller Menschen anzuerkennen. Die Fähigkeit zur Differenzierung, zur Anerkennung der Prozesshaftigkeit gesellschaftlicher Entwicklung auf der Basis allgemein gültiger demokratischer Werte und der anwendbaren Normen unseres Grundgesetzes, ist nicht angeboren - sie muss kognitiv erlernt und alltagspraktisch eingeübt werden. Lernen in diesem Zusammenhang meint deshalb sowohl formale Wissensvermittlung über individuelle Rechte und die Möglichkeiten ihrer Inanspruchnahme als auch den Erwerb von Handlungskompetenz im Rahmen der notwendigen Aushandlungsprozesse. Demokratieerziehung basiert somit auf dem Wissen um demokratische Werte und Strukturen, den zur Anwendung des Wissens notwendigen Fertigkeiten und der Förderung des persönlichen Engagements der/ des Einzelnen. Das bewusste Erleben, die Verhandlung der Frage, wie weit die Rechte jeder/ s Einzelnen reichen und was zu tun ist, wenn das Recht des einen Rechte anderer tangiert, sind im Alltag frühkindlicher Bildung ebenso wie in der Schule selbstverständlich integriert. Die Erfahrung, dass es zur Klärung des aus einer solchen Situation entstehenden Konfliktes nicht der Abgrenzung, sondern eines moderierten Prozesses bedarf, braucht einen geschützten Raum, um als Übungsfeld demokratischer Praktiken sowohl von den Kindern als auch von ihren Eltern anerkannt und akzeptiert zu werden. Was in Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe aufgrund von Lebensweltorientierung und Freiwilligkeitsprinzip selbstverständlich erscheint, nämlich das Gestalten und Vorhalten solcher sicheren 325 uj 7+8 | 2018 Demokratieerziehung zwischen Kita und Grundschule Räume im Kontext der (sozial-)pädagogischen (Bildungs-)Arbeit, ist im System Schule mit gesetzlich verankerter Schulpflicht und eindeutigem Auftrag zur Bewertung individueller Leistungen deutlich schwieriger umzusetzen. Die zwangsläufig entstehenden Konflikte zwischen schulischer Hierarchie bzw. den Grenzen des Schulsystems und dem mit zunehmendem Alter wachsenden Mitbestimmungswillen der Kinder sind ein wichtiges Lernfeld für alle Beteiligten. Die Frage, inwieweit sich bestehende Grenzen im Interesse der Schulentwicklung verschieben lassen, muss diskutiert und dieser Diskussionsprozess professionell moderiert werden - ein wichtiges Aufgabenfeld der Kinder- und Jugendhilfe, die dabei ihre Kompetenzen im Konfliktmanagement einbringen kann. Ziel ist es, den Bedarfen aller Kinder im Kontext ihrer Persönlichkeitsentwicklung gerecht zu werden und gleichzeitig den Erfordernissen einer sich verändernden demokratischen Gesellschaft angemessen Rechnung zu tragen. Die Fokussierung auf Kindheit und Jugend im Bildungssystem impliziert dabei, dass junge Menschen in dieser Lebensphase besondere Bedarfe haben - unabhängig davon, wo sie geboren und aufgewachsen sind und welche Sozialisation sie außerhalb der jeweiligen Institution erfahren haben. Fachberatung als Unterstützung und notwendige Ressource ErzieherInnen in der Kita (und pädagogische Fachkräfte im schulischen Ganztag) sind sehr fortbildungsaffin, aber in der Regel auch mit einer Vielfalt von zu bearbeitenden Themen bebis überlastet. Im Unterschied zu Lehrenden, für die Fort- und Weiterbildung Teil ihrer regulären Arbeitszeit ist und die zudem regelmäßig nachweisen müssen, dass sie sich fachlich auf aktuellem Stand halten, sind diesbezügliche finanzielle und zeitliche Ressourcen in allen Feldern der Kinder- und Jugendhilfe Verhandlungssache zwischen Mittelgeber und Leistungserbringenden. Demokratieerziehung ist kein neues, aber ein bisher allzu oft zugunsten anderer drängender Aufgaben vernachlässigtes Thema, das in den Arbeitsalltag integriert und qualifiziert umgesetzt werden muss. Ohne zusätzliche Ressourcen und weitgehend ohne verbindlich gesicherte Zeiten für Vor- und Nachbereitung, notwendige Fort- und Weiterbildungen und Supervision ist es für die Kinder- und Jugendhilfe ungleich schwerer, ihren diesbezüglichen Bildungsauftrag qualifiziert umzusetzen. Das Unterstützungssystem der Fachberatung kann den systemimmanenten Mangel nicht ausgleichen. Gleichwohl ist es eine vorhandene Ressource, die Fach- und Leitungskräfte unterstützt, Inhalte multipliziert und Vernetzungsstrukturen schafft und pflegt - zumindest für den Bereich der frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung. Fachberatung initiiert innovative und effiziente Lernprozesse, in denen ErzieherInnen sich mit den Herausforderungen und Möglichkeiten einer sich verändernden Gesellschaft auseinandersetzen und Handlungsoptionen für ihren pädagogischen Alltag entwickeln können. Sie gestaltet Strukturen des Miteinander- und Voneinanderlernens in Teamfortbildungen als Erfahrungsräume für das Erleben demokratischer Prozesse. Davon ausgehend, dass, wer in eine freiheitlich-demokratische Lebenswelt hinein erzogen wird, in der Regel auch einen demokratischen Habitus einübt und letztlich leben kann und will, fördert Fachberatung eine partizipative Haltung der pädagogischen Fachkräfte und wirkt diesbezüglich ebenso auf Leitung und Einrichtungsträger ein. Am Übergang von der Kita in die Grundschule fördert sie die Kooperation mit den Lehrenden und ggf. den pädagogischen Fachkräften im schulischen Ganztag sowie der Schulsozialarbeit und begleitet bei Bedarf die notwendigen Weiterentwicklungsprozesse im Team der Kita. Ziel ist die gemeinsame Arbeit an der (Weiter-)Entwicklung einer demokratischen Kultur in Kita und Schule, die verantwortliches Handeln aller jungen Menschen bereits in frühester Kindheit ermöglicht, fördert und honoriert - im besten Fall ohne einen Bruch beim Wechsel zwischen den Systemen. 326 uj 7+8 | 2018 Demokratieerziehung zwischen Kita und Grundschule Mit Blick auf das seit Ende 2017 laufende Projekt „Demokratie und Vielfalt in der Kita“ (www.duvk. de), koordiniert durch die Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendhilfe (AGJ) im Rahmen des Programmes „Demokratie leben! “ und umgesetzt durch die Verbände der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, ist zu konstatieren, dass das Unterstützungssystem zumindest in Teilen konzeptionell einbezogen wird. Damit werden eine Vernetzung von Akteuren und Inhalten sowie die Kommunikation von Beispielen guter Praxis im föderalen System auch über die Grenzen der Bundesländer hinaus ermöglicht, die sowohl eine übergreifende thematische Abstimmung impliziert als auch weitere Synergieeffekte. So wird durch die im Rahmen des Projektes zu erstellende Wissensdatenbank und einen bundesweiten ReferentInnenpool ebenso wie durch die Publikationen der Verbände Fach- und Methodenwissen entwickelt und zur Verfügung gestellt, das Fachberatung im Rahmen ihrer unterstützenden Tätigkeit bundesweit nutzen und multiplizieren kann. Partizipation in Kita und Schulalltag als demokratisches Übungsfeld Partizipation ist ein wichtiges Gestaltungselement der Arbeit mit Kindern. Für sie sind das Erleben von Beteiligung, die Anerkennung und Berücksichtigung ihrer Wünsche ebenso wie die Wertschätzung ihrer Fähigkeiten von hoher Relevanz für eine gesunde Entwicklung. Menschenrechtsbasierte Beteiligungsstrukturen gemäß dem Empowerment-Ansatz schaffen zudem Gelegenheiten zum Kompetenzerwerb für demokratisches Handeln. Wenn Kinder bereits frühzeitig Projekte im Rahmen ihrer Möglichkeiten verantwortlich planen, durchführen und evaluieren und dabei auch ihre Eltern und weitere primäre Bezugspersonen einbezogen werden, so hat dies eine wichtige Funktion beim Erwerb demokratischer Handlungsfähigkeit. Ebenso hoch ist die Relevanz partizipativer Methoden im (Einrichtungs-)Alltag und bei der Perspektiventwicklung für den/ die Einzelne/ n. Im Üben autonomen Handelns, beim Ausprobieren von Instrumenten wie Kinderparlament oder SchülerInnenrat sowie bei der Interaktion in heterogenen Gruppen können in übersichtlichem Rahmen zentrale Kompetenzen erworben werden. Als Gelegenheitsstrukturen für demokratische Praxis ermöglichen sie alters- und entwicklungsgerecht gemeinsame Planung, gleichberechtigte Beteiligung, abgestimmte Organisation, kommunikative und diskursiv gerechtfertigte Bewertung. Durch die Öffnung von Kita und Schule in den Sozialraum lässt sich der Übungsraum in andere Handlungsfelder der Zivilgesellschaft ausweiten. Die Rückkopplung der im Projektverlauf gemachten Erfahrungen in den Einrichtungsalltag ebenso wie in den formalen Unterricht in der Schule ermöglicht die kognitive Unterfütterung: Wer Beteiligung erlebt und gemeinsam erfolgreich eine Idee umgesetzt hat, kann sich besser auf Erklärungen einlassen und sie im besten Sinne begreifen. Im Kontext frühkindlicher und elementarer Bildung hat die Begleitung solcher Projekte durch ErzieherInnen, Lehrende und andere pädagogische Fachkräfte, ihre Haltung zu Kompetenzen und Verantwortungsbereichen der Kinder, eine hohe Relevanz für das Resonanzerleben der Kinder. Gleichzeitig erfordert solches Arbeiten eine hohe Reflexionsfähigkeit von den pädagogischen Fachkräften: Welche Unterstützung ist nötig, wieviel Freiraum möglich? Mit der Macht, die sich allein aus Funktion und Alter herleitet, verantwortlich umzugehen, sie bewusst zur Diskussion zu stellen und Kinder verantwortliche Entscheidungen treffen zu lassen, ist eine große Herausforderung. Eine partizipative Haltung zu entwickeln, eigene Überzeugungen infrage zu stellen und Kinder dabei zu unterstützen, sich argumentativ zu artikulieren, um Entscheidungen begründen zu können; dabei aber gerade nicht wichtige Entscheidungen der Beliebigkeit anheimfallen zu lassen - dies alles erfordert ein Maß an Reflexionsfähigkeit, das nur durch professionelle Begleitung im Rahmen von Supervision und Fachberatung erreichbar ist. Und nicht zuletzt braucht es die notwendigen zeitlichen Ressourcen, um solchen Prozessen auch den notwendigen Raum geben zu können. 327 uj 7+8 | 2018 Demokratieerziehung zwischen Kita und Grundschule Im Rahmen von Projekten sind der Fantasie wenig Grenzen gesetzt, solange die Kinder motiviert und ihre Abstimmungsprozesse moderiert werden können: Beginnend bei der Beteiligung an der Planung des Mittagstisches in Kita und Schule über die Gestaltung des Spielplatzes im Außengelände der Kita und gemeinsam organisierte Freizeitaktivitäten, Verantwortungsübernahme für Chillout- und Aktiv-Zonen auf dem Schulgelände bis hin zu Lern- und Freizeitpatenschaften lässt sich vieles umsetzen. Empfehlungen für eine nachhaltige Demokratieerziehung in Kita und Grundschule 1. Partizipation ermöglichen und fördern: ErzieherInnen, Lehrende und pädagogische Fachkräfte im schulischen Ganztag können Wissen vermitteln und zur Beteiligung motivieren. Raum für Beteiligung zu schaffen und Strukturen für aktive Partizipation zu installieren, die auf beteiligungsorientierte Weiterentwicklung angelegt sind, sind Aufgaben sowohl für die Kita als Teil der Kinder- und Jugendhilfe als auch für die Schule. Sie können außerdem zur Ausweitung der Mitwirkungsrechte und zur Installation von Beteiligungsgremien anregen, die die besonderen Bedarfe marginalisierter Gruppen (z. B. Geflüchtete, Menschen mit Behinderungen) zur Partizipation berücksichtigen und/ oder entsprechende Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigen und forcieren. Methodische Ansätze der Sozialpädagogik zur Förderung von Partizipation, Diskriminierungsschutz, Verantwortungsübernahme und Autonomie oder Geschlechtergerechtigkeit beinhalten wichtige Elemente der Demokratieerziehung, die den formalen Bildungsauftrag der Schule sinnvoll ergänzen. 2. Kooperation leben: Ein erfahrungsbasierter Lernprozess betont die Priorität der Kombination von Wissen und Erwerb einer verantwortungsbewussten Haltung im Interesse der Förderung einer demokratischen Kultur im gesamten Bildungssystem. Hier müssen die Bildungspläne und -programme von Schule und frühkindlicher Bildung deutlich besser aufeinander abgestimmt werden. Verbindliche Kooperation von Kinder- und Jugendhilfe und Schule - sowohl am Übergang von der Kita zur Grundschule als auch im schulischen Ganztag - ermöglicht die (Weiter-)Entwicklung eines gemeinsamen Bildungskonzeptes im Interesse der Kinder ebenso wie der gesamtgesellschaftlichen Weiterentwicklung. 3. Fachkräfte unterstützen: Demokratie ist nicht denkbar ohne Menschenrechte, demokratische Gesellschaften können sich nicht entfalten ohne soziale Inklusion und nachhaltige Entwicklung, die die natürlichen Ressourcen für ihr Überleben sichert. Um diese Werte leben zu können, müssen Kinder die notwendigen Kompetenzen entwickeln. Dazu brauchen sie Menschen, die sie professionell in ihrer Entwicklung begleiten. ErzieherInnen in der Kita und pädagogische Fachkräfte im schulischen Ganztag benötigen (ebenso wie Lehrende im Schulsystem) für ihre wichtige Arbeit Unterstützungsstrukturen. Neben einer qualifizierten Fachberatung gehören dazu zeitliche und finanzielle Ressourcen für Fort- und Weiterbildung sowie für Supervision. Christine Lohn Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit e.V. 10117 Berlin Tel. (0 30) 28 39 53 19 E-Mail: lohn@bagejsa.de Literatur Europarat (2010): Charta zur Demokratie- und Menschenrechtsbildung. Empfehlung vom 11. 5. 2010. In: http: / / www.ifa.de/ fileadmin/ pdf/ abk/ inter/ europa rat_charta.pdf, 6. 3. 2018 Kultusministerkonferenz (2009): Stärkung der Demokratieerziehung. Beschluss vom 6. 3. 2009. In: https: / / www.kmk.org/ fileadmin/ Dateien/ veroeffentlichun gen_beschluesse/ 2009/ 2009_03_0Staerkung_Demo kratieerziehung.pdf, 6. 3. 2018