eJournals unsere jugend 70/7+8

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2018.art51d
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2018
707+8

Personalausfälle in Kindertageseinrichtungen in Schleswig-Holstein

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2018
Petra Strehmel
Henning Kiani
Leitungskräfte von Kindertageseinrichtungen freier Träger in Schleswig-Holstein wurden zu ihrer Personalsituation, Personalausfällen und Strategien zur Lösung der damit verbundenen Personalengpässe befragt. Die Befunde zeigen u. a., dass die Verfügbarkeit von Vertretungskräften unabdingbar ist, um langandauernde Belastungen im pädagogischen Alltag abzufedern.
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336 unsere jugend, 70. Jg., S. 336 - 343 (2018) DOI 10.2378/ uj2018.art51d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Im Auftrag des Kita-Aktionsbündnisses „Unsere Kinder - unsere Zukunft“ in Schleswig-Holstein, das sich aus Trägerverbänden, Gewerkschaften und der Landeselternvertretung zusammensetzt, wurden durch das Deutsche Institut für Sozialwirtschaft (DISW) 722 Leitungskräfte befragt. Die teilstandardisierten Fragebögen erfassten neben strukturellen Daten auch Informationen zu den subjektiv erlebten Folgen von Personalausfällen für die Kinder, das Personal und die Träger. Die trotz des Umfangs - die Befragung umfasste 118 Items - hohe Rücklaufquote von 72 % ist ein Hinweis auf die Relevanz des Themas für die Kitas. So gaben innerhalb der Befragung mehrere Leitungskräfte an, dass sie sich durch das Bekanntwerden der Studie Änderungen an den schon lange als belastend wahrgenommenen Zuständen erhofften. Theoretische Vorüberlegungen und Fragestellung der Untersuchung Viernickel und Fuchs-Rechlin (2016) mahnen - durch Befunde entwicklungspsychologischer Längsschnittuntersuchungen begründet - eine Verbesserung des Fachkraft-Kind-Schlüssels in Kindertageseinrichtungen an. Der empfohlene Personalschlüssel entspricht ihren Ausführungen nach in keinem Bundesland den Anforderungen, die sich aus den Forschungsergebnissen zu den Entwicklungsverläufen von Kindern und erforderlichen Betreuungsschlüsseln im Kontext von Tagesbetreuungseinrichtungen ergeben haben (Viernickel/ Fuchs-Rechlin 2015). In den meisten Bundesländern werden weder für die Fachnoch für die Führungskräfte Fehlzeiten durch Krankheit, Urlaub und Fortbildung in der öffentlichen Bezuschussung in die Personalbemessung durch den öffentlichen Kinder- und Jugendhilfeträger eingerechnet. Auch Zeiten für die mittelbare von Prof. Dr. Petra Strehmel Jg. 1957; Dipl.-Psychologin, M. A. Pädagogin, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg Personalausfälle in Kindertageseinrichtungen in Schleswig-Holstein Leitungskräfte von Kindertageseinrichtungen freier Träger in Schleswig- Holstein wurden zu ihrer Personalsituation, Personalausfällen und Strategien zur Lösung der damit verbundenen Personalengpässe befragt. Die Befunde zeigen u. a., dass die Verfügbarkeit von Vertretungskräften unabdingbar ist, um langandauernde Belastungen im pädagogischen Alltag abzufedern. Henning Kiani Jg. 1983; B. A. Soziale Arbeit, Ergotherapeut, Deutsches Institut für Sozialwirtschaft e.V. 337 uj 7+8 | 2018 Personalausfälle in Kitas pädagogische Arbeit wie z. B. Vorbereitungen und Elterngespräche werden nicht regelmäßig im Zeitbudget der pädagogischen Fachkräfte berücksichtigt. Die Fehlzeiten würden - errechnet aus den Mittelwerten in der Gesamtbevölkerung - eine um mindestens 15 Prozent höhere Bemessung erfordern (ebenda). Gerade in der Kindertagesbetreuung sind jedoch die Fehlzeiten des Personals durch Krankheit in der Regel höher. Die unzureichende Berücksichtigung der Fehlzeiten bei der Bemessung der Zuschüsse dürfte also - allein strukturell bedingt - regelmäßig zu einer Unterbesetzung der Gruppen in den Kindertageseinrichtungen führen. Andere Studien weisen auf strukturell bedingte Belastungssituationen der ErzieherInnen wie auch der Leitungskräfte in Kindertageseinrichtungen hin, die mit Fehlzeiten, z. B. durch Krankheit, einhergehen (Viernickel/ Voss 2013, Schreyer et al. 2015). Nentwig-Gesemann, Nicolai und Köhler (2016) führten Gruppendiskussionen durch, in denen sie Kita-Leitungskräfte nach konkreten Erfahrungen in ihrer alltäglichen Leitungspraxis sowie nach den konkreten Sorgen, Nöten, Bedarfen, Stärken und Ressourcen fragten. Die Autorinnen beschreiben u. a. die Aufgabenfülle und Umsetzungsdilemmata durch zu enge Rahmenbedingungen und mangelnde Anerkennung. Der Zeitmangel wird verschärft durch Verwaltungsarbeiten sowie betriebs- und hauswirtschaftliche Tätigkeiten, wenn hierfür keine eigenen Kräfte zur Verfügung stehen (Nentwig-Gesemann et al. 2016, 30). Münchow und Strehmel (2016) zeigen in einer neuen Studie mit Berliner Kita-Leitungen, dass sich die Führungskräfte für ihre Pflichtaufgaben im Verwaltungsbereich die notwendige Zeit nehmen (müssen), ihnen aber tendenziell zu wenig Zeit übrig bleibt für Qualitäts- und Organisationsentwicklungsprozesse sowie für das Selbstmanagement. Auch die Daten dieser Studie zeigen enorme zeitliche Engpässe, die zulasten der Fach- und Führungskräfte in den Einrichtungen und damit letztlich zulasten der Kinder gehen. Ein weiterer wichtiger Faktor für die Personalsituation in den Kindertageseinrichtungen ist die Verfügbarkeit von Fachkräften auf dem Arbeitsmarkt - sowohl für die regulären Stellen als auch für Vertretungen bei krankheitsbedingten Ausfällen. Durch die inzwischen bundesweite Fachkräfteknappheit (Autorengruppe Fachkräftebarometer 2017) ist damit zu rechnen, dass Stellen unbesetzt bleiben und es nicht leicht ist, Personen mit passender Qualifikation unter unattraktiven Bedingungen als Vertretungskraft zu gewinnen. Für den Umgang insbesondere mit ungeplanten Personalausfällen braucht die Leitungskraft Ressourcen, die ihr von Politik und Träger zur Verfügung gestellt werden müssten. Pädagogische Arbeit besteht im Kern aus sozialen Interaktionen, der Einsatz qualifizierten Personals ist daher unverzichtbar. Stehen die notwendigen Ressourcen nicht zur Verfügung, so müssen Leitungen Notlösungen finden oder - je nach den jeweiligen Richtlinien - Gruppen oder ihre gesamte Einrichtung schließen. Dabei stellt sich die Frage, welche Konsequenzen und belastenden Folgen dies für alle beteiligten AkteurInnen nach sich zieht - allen voran für die Kinder, für die Eltern sowie für MitarbeiterInnen und Leitungskräfte selbst. In der vorliegenden Studie wurde für die freien Träger im Land Schleswig-Holstein erstmals erhoben, wie sich die Personalsituation in den Kindertageseinrichtungen darstellt, wie die Leitungskräfte mit Personalausfällen umgehen, welche Unterstützung sie erhalten und welche sie benötigen. Ein besonderes Augenmerk war darauf gerichtet, ob es zu Gruppenschließungen kommt bzw. wie die Verantwortlichen mit Situationen umgehen, in denen eigentlich geschlossen werden müsste. Die Regelungen haben den Hintergrund, die Bildung, Betreuung und Erziehung der Kinder sicherzustellen und die Kinder entsprechend ihres Alters zu fördern. Auch sollten - angesichts der Studien, die hohe Belastungen der Fach- und Leitungskräfte in Kindertageseinrichtungen belegen - die Folgen für Kinder, Eltern, MitarbeiterInnen und Leitungskräfte unter die Lupe genommen werden. 338 uj 7+8 | 2018 Personalausfälle in Kitas Empirische Methoden Um eine möglichst große Zahl von Kindertageseinrichtungen mit minimalem Aufwand zu erreichen, wurde die Befragung über ein Onlineverfahren in einem teilstandardisierten Format realisiert. Erhebungseinheit waren Kindertageseinrichtungen freier Träger in Schleswig-Holstein, der Fragebogen richtete sich an Kita-Leitungen bzw. TrägervertreterInnen. 1.007 Einrichtungen bzw. deren Träger wurden über das Kita-Aktionsbündnis angeschrieben. Für 682 Einrichtungen wurde der Fragebogen von Leitungskräften, für 29 Einrichtungen von TrägervertreterInnen ausgefüllt. 11 Befragte machten zu ihrer Funktion keine Angaben. Die Querschnittstudie wurde im Zeitraum zwischen Mai und Juni 2016 durchgeführt. Die abgefragten Daten bezogen sich auf das Kalenderjahr 2015. Der Online- Fragebogen umfasste folgende Aspekte: ➤ Strukturdaten: die Zahl der Kinder U3 und Ü3, ihre Gruppenkonstellationen und Öffnungszeiten, die Personalstruktur mit Anzahl, Qualifikationen und Arbeitsumfang der pädagogisch tätigen Fachkräfte sowie Regeln bei krankheitsbedingten Ausfällen ➤ Ausfalltage durch Krankheit, Fortbildung, Urlaub und Arbeitsverbote wegen Schwangerschaft sowie Umgang mit den Personalausfällen ➤ Erwartungen und Wünsche zur Entwicklung der Kita sowie Unterstützung aus dem System Die standardisiert erhobenen Daten wurden deskriptivstatistisch ausgewertet, die Antworten aus den Freitextantworten wurden kategorisiert, indem zunächst sinnhaft abgegrenzte Inhalte extrahiert, in Kategorien zusammengefasst, verdichtet und strukturiert wurden. Zentrale Ergebnisse der Studie Personalsituation Die teilnehmenden Kitas betreuten im Durchschnitt 75 Kinder - die kleinste Einrichtung 9 Kinder, die größte 238 Kinder. Im Durchschnitt der teilnehmenden Einrichtungen arbeiteten 8,8 pädagogische Fachkräfte und 3,9 andere pädagogisch Tätige in den Einrichtungen, die Anzahl der MitarbeiterInnen in den Einrichtungen lag zwischen 2 und 39. Nach den Angaben der befragten Kita-Leitungen waren die meisten Ausfalltage durch Urlaub und Krankheit begründet, in geringem Maße durch Beschäftigungsverbote wegen Schwangerschaft, Fortbildungen oder andere Gründe. Planbare Ausfalltage durch Urlaub wurden nicht immer, die für Fortbildungen nur selten ausgeschöpft. Die Ergebnisse zeigen, dass die Personalsituation in vielen Einrichtungen erschwert war. In jeder fünften der befragten Kindertageseinrichtungen waren Fachkraftstellen unbesetzt. Die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage in den befragten Einrichtungen lag mit durchschnittlich 17,2 Tagen deutlich über den aus offiziellen Statistiken kalkulierten 13 Tagen (Viernickel/ Fuchs-Rechlin, 2016). Somit fehlte vielen Kitas durch Nichtbesetzung geplanter Personalstellen und zusätzliche überdurchschnittliche krankheitsbedingte Ausfälle notwendiges Personal. Gleichzeitig wurden Ausfallzeiten nur bei 51 % der Kitas bei der Ermittlung des Personalbedarfs berücksichtigt. Auf Vertretungskräfte konnte nur in 56 % der Kitas zurückgegriffen werden, meistens wurden auch in diesen Fällen mehr Vertretungskräfte benötigt, als zur Verfügung standen. In fast jeder vierten Kita (23 %) kam es bereits zu Gruppenschließungen aufgrund von Personalengpässen. Bei 73 % der Einrichtungen wäre eine Schließung schon einmal geboten gewesen. 339 uj 7+8 | 2018 Personalausfälle in Kitas Konsequenzen der Personalausfälle Herausforderungen und Belastungen der MitarbeiterInnen Die meisten Leitungskräfte berichteten von negativen Konsequenzen aus Personalausfällen für die MitarbeiterInnen in den Kitas. Insbesondere nannten sie Irritationen und Verunsicherung bei den Kindern, die mangelnde Planbarkeit der pädagogischen Arbeit, Stress, Überlastung und Unzufriedenheit beim pädagogischen Personal sowie Beeinträchtigungen in der Teamarbeit. Krankheitsbedingte Personalausfälle traten i. d. R. unerwartet auf. Arbeitszeiten veränderten sich damit kurzfristig, in der Arbeitszeit selbst standen die Fachkräfte vor zusätzlichen Herausforderungen. Auch war Projektarbeit kaum möglich, laufende Projekte kamen ins Stocken oder mussten aufgegeben werden. Mangel an Planbarkeit und Überstunden führten bei einigen MitarbeiterInnen dazu, dass Privates litt. Bei häufigen Personalausfällen wurden laut der befragten Leitungskräfte die pädagogischen MitarbeiterInnen oft zunehmend unzufrieden mit der pädagogischen Arbeit. Die Verunsicherung der Kinder durch das Fehlen von vertrauten Bezugspersonen müsse aufgefangen werden. Die Leitungen beschrieben oft das Gefühl der MitarbeiterInnen, eigenen Ansprüchen an pädagogische Arbeit und dem vorhandenen Fachwissen nicht gerecht werden zu können. Der Bildungsauftrag war nach Einschätzung der Leitungskräfte nur bedingt erfüllbar, Bildungsbereiche konnten nicht abgedeckt werden. Auch das Gefühl, nicht alles oder genug zu schaffen, nehme den Spaß an der Arbeit mit Kindern. Das schlechte Gewissen mancher pädagogischer Fachkräfte, sich arbeitsunfähig zu melden, habe dazu geführt, dass Krankheiten nicht auskuriert wurden. Durch Gruppenzusammenlegungen wurde den pädagogischen Fachkräften nach Einschätzung der Kita-Leitungen eine höhere Flexibilität abverlangt, da bei einem Einsatz in anderen Gruppen die MitarbeiterInnen mit unbekannten Kindern und KollegInnen arbeiten müssen. Die MitarbeiterInnen seien häufig alleine in der Gruppe und - wenn Vertretungskräfte vorhanden waren - deren alleinige AnsprechpartnerInnen. Oft müssten hausfremde Kräfte eingewiesen werden, was eine zusätzliche Belastung darstellen konnte. Zudem berichteten die Leitungskräfte, dass bei Personalausfällen häufig die Möglichkeiten zum kollegialen Austausch reduziert waren und die Teams neu strukturiert werden mussten, wodurch die Zusammenarbeit erschwert wird. Viele der Befragten berichteten, dass sich in solchen Situationen die Stimmung im Team verschlechterte. Auch fielen Verfügungszeiten weg oder waren reduziert. Die häufigen Vertretungssituationen konnten - insbesondere wenn die eigene Kindergruppe verlassen werden sollte, um in einer anderen Gruppe zu vertreten - Frust, Erschöpfung und Gereiztheit bei den Betroffenen nach sich ziehen. Erhöhte Arbeitsbelastung und Überstunden gingen laut der Leitungskräfte in vielen Fällen mit Stress und Überlastung einher. So wurde beispielsweise berichtet, dass MitarbeiterInnen sich in der Flut der Aufgaben zerrissen fühlten. Durch häufige Unterbrechungen und immer neue Anforderungen würden die Aufgaben weniger überschaubar. Manche Leitungskräfte beschrieben die Sorge, ob sie ihrer Aufsichtspflicht noch nachkommen könnten, weil nicht alles gesehen werden könne. Die längeren sowie spontanen Arbeitszeiten und die mangelnden Erholungsphasen würden bei den MitarbeiterInnen die Wahrnehmung befördern, unbegrenzt arbeiten zu müssen. Bei den MitarbeiterInnen wurden durch die Kita-Leitungen Gefühle von Machtlosigkeit und Minderwertigkeit beobachtet, welche aus der Unzufriedenheit mit der eigenen pädagogischen Arbeit entstanden seien. MitarbeiterInnen fühlten sich nicht ernst genommen seitens politischer Akteure und teilweise auch seitens der Kita-Träger. 340 uj 7+8 | 2018 Personalausfälle in Kitas Herausforderungen und Belastungen für die Leitungskräfte Auf die Frage, was für sie selbst im Kontext der Personalausfälle als „am schlimmsten“ erlebt wurde, beschrieben Kita-Leitungen folgende Aspekte: Durch Personalausfälle fiel laut den Leitungskräften erheblich mehr Arbeit für sie an, welche oftmals als Druck und Stress erlebt wurde. Zusätzliche Einsatzplanung, eigener Gruppendienst oder Vertretungen wurden notwendig, notfalls auch abends oder am Wochenende. Alltägliche Abläufe waren unter hohem Entscheidungsdruck zu regeln und führten oft am Beginn des Tages zu unguten Diskussionen mit dem Personal. Manche Kita-Leitungen beschrieben das Gefühl, für alles verantwortlich gemacht zu werden. Durch die Mehrarbeit blieb in der Regel weniger Zeit für andere Aufgaben wie Verwaltungsarbeit. Die Zeit für Gespräche mit MitarbeiterInnen und Eltern sowie Team-, Einrichtungs- oder Konzeptentwicklung wurde knapper. Neben der Einhaltung der Dienstvorschriften musste auf Haftungsfragen geachtet werden. Dies führte bei den Leitungskräften zu Unsicherheit bzgl. Rechtsfragen. Der pädagogische Auftrag - wie z. B. die Aufrechterhaltung des Fachkraft-Kind-Schlüssels oder der Bildungsauftrag - konnte nicht immer erfüllt werden. Einige Leitungskräfte berichteten, dass es für sie sehr belastend gewesen sei, wenn Eltern wegen einer Gruppenschließung abgesagt werden musste. Viele betonten, dass sie die Eltern unterstützen wollen bzw. Kritik ernten, wenn die Betreuung nicht stattfinden konnte oder Gruppen zusammengelegt werden mussten. Manche berichteten über Unsicherheit gegenüber den Eltern, sie hatten das Gefühl, diese beschwichtigen und den Schein einer funktionierenden Kita wahren zu müssen. Von ihren MitarbeiterInnen fühlten sich die meisten der befragten Leitungen am deutlichsten unterstützt - mehr als von allen anderen Gruppen. Viele der befragten Leitungskräfte brachten das Gefühl zum Ausdruck, dass sie ihrem Personal bei ungeplanten Ausfällen nicht gerecht werden könnten. Der Kontakt zu den MitarbeiterInnen würde durch die Mehrarbeit der Leitungskräfte leiden, daraus entstehe manchmal Unmut und sinkende Motivation bei den MitarbeiterInnen. Die Leitungskräfte befürchteten, die MitarbeiterInnen zu überlasten, fühlten sich manchmal aber durch die Umstände genötigt, Mehrarbeit einzufordern, manchmal sogar Urlaubstage zu streichen, ihnen weniger Erholungspausen zu geben und damit das Privatleben in Mitleidenschaft zu ziehen. Manche Leitungskräfte äußerten ungute Gefühle, wenn sie von MitarbeiterInnen zu viel verlangten. Sie beschrieben ihre Wahrnehmung, dass die MitarbeiterInnen sich aufrieben und ihre Motivation sank. Viele Kita-Leitungen gaben an, keine Lösung für den Stress der MitarbeiterInnen zu haben. Manche äußerten die Sorge, künftig überhaupt noch genügend Personal zu finden. Einige der befragten Kita-Leitungen gaben an, dass sie sich bemühten, gegenüber Eltern und Trägern den Schein zu wahren: Die Weitergabe von Zahlen könnte Versäumnisse belegen oder für Konflikte mit dem Träger sorgen, Gruppenschließungen würden zu einer schlechten Außenwerbung sowie unzufriedenen Eltern führen. Sie wollten dem Eindruck entgegenwirken, sie könnten die Arbeit nicht schaffen, aber auch den Träger nicht aus seiner Fürsorgepflicht entlassen. Die Leitungen, die sich überhaupt bzgl. der Konsequenzen für die Träger äußerten, wollten die Schwierigkeiten nicht verheimlichen, die Situation nicht verschleiern und immer wieder über die Lage informieren. Viele Kita-Leitungen brachten ihre eigene erlebte Belastung bzw. Hilflosigkeit zum Ausdruck. Sie bewerteten ihre eigene Leitungsqualität bei Personalausfällen manchmal kritisch und schilderten den Eindruck, lediglich den Mangel zu verwalten und Lücken zu füllen, ohne Lösungen anbieten zu können. Viele vermissten dabei die Unterstützung des Trägers. 341 uj 7+8 | 2018 Personalausfälle in Kitas Einige Kita-Leitungen beschrieben Gefühle der Machtlosigkeit und Ausweglosigkeit. Einige berichteten über gesundheitliche Auswirkungen wie Schwierigkeiten abzuschalten oder massive Schlafstörungen. Umgang mit Personalausfällen Auf die Frage, wie Vertretungen organisiert werden, nannten die Befragten eine Reihe von Kriterien, die sich auf die Kinder, das Personal, die Organisation des pädagogischen Betriebes und/ oder interne Regeln und Verfahren beziehen. Bei der Suche nach Lösungen wurde die Zahl der betroffenen Kinder bedacht. Integrationskinder mussten versorgt und der U3-Bereich ausreichend besetzt sein. Die Kinder sollten nach Möglichkeit bei ihren Bezugspersonen verbleiben. Bezüglich des Personals beachteten die Leitungskräfte vor allem folgende Fragen: Wer hat Zeit? Wer ist wichtig für die Kinder? Wer kann vertreten? Wie kann Mehrarbeit verteilt werden? Wer hat die wenigsten Überstunden? Sind Vertretungskräfte verfügbar? In welchem Umfang sind Vertretungskräfte verfügbar? Kann die Leitung selbst einspringen? Bezogen auf die Einrichtung als Ganzes wurden gesetzliche Regelungen, die Dauer des Ausfalls, die Dringlichkeit einer Lösung sowie Möglichkeiten des Zusammenlegens von Gruppen und Freizeitausgleich Überstunden Personalausfälle Vertretungen durch MitarbeiterInnen erhöhte Krankheitsanfälligkeit Krankheit Personalausfälle Überstunden/ Überlastung der MitarbeiterInnen keine Vertretung Überlastung des Personals Krankheit Personalausfälle Irritation der Kinder Einarbeitung erforderlich unbekannte Vertretungen Unzufriedenheit des Personals Krankheit Personalausfälle Leitungsaufgaben bleiben liegen Leitung springt ein (1) (2) (3) (4) Abb. 1: Teufelskreise nach Freizeitausgleich bei interner Vertretung, nach Überlastung ohne Vertretung, bei unbekannten Vertretungskräften und nach Einspringen der Leitung 342 uj 7+8 | 2018 Personalausfälle in Kitas die Pausenabdeckung in die Überlegungen mit einbezogen. Weitere Kriterien waren: die Zumutbarkeit von Alleinarbeit, zusätzliche Aufgaben der anwesenden Fachkräfte, Möglichkeiten zur Abdeckung von Kern- und Randzeiten sowie finanzielle Ressourcen. Entscheidungen über Bewältigungsstrategien wurden außerdem vor dem Hintergrund von - meist einrichtungsinternen - Regeln zu Mehrarbeit und Überstunden, Mindeststandards für Gruppenbesetzungen sowie der Verfügbarkeit von Springerkräften bzw. flexibler Arbeitsformen getroffen. Einzelne Befragte gaben an, dass sie sich „durchhangeln“ würden. Mehrere Leitungskräfte beschrieben Teufelskreise, die sich aus ihren Lösungsstrategien ergaben (vgl. Abbildung 1): Interne Vertretungen bei Personalausfällen zogen wiederum neue Fehlzeiten durch Freizeitausgleich nach sich (1). Auch ergaben sich dadurch häufig Überlastungssituationen für die Vertretenden, sodass sie ebenfalls eine erhöhte Krankheitsanfälligkeit zeigten und damit neue Fehlzeiten entstanden (2). Kamen Vertretungskräfte, zum Beispiel von Zeitarbeitsfirmen, die die Einrichtungen nicht kannten, waren die übrigen pädagogischen Fachkräfte der Einrichtung gefordert, diese kurzfristig einzuarbeiten (3). Wenn die Leitungskräfte selbst einsprangen, so blieb ihre Leitungsarbeit liegen, was in der Folge häufig zur Überlastung führte (4). Fazit Die Studie zeigt deutlich, dass die Ressourcen zur Bewältigung von Personalausfällen in den schleswig-holsteinischen Kitas nicht ausreichen. Um den Kindern eine entwicklungsförderliche Umgebung in den Kitas zu bieten und dem Bildungsauftrag gerecht zu werden sowie um das Arbeitskräftepotenzial für diesen Bereich zu sichern, sind verbesserte Rahmenbedingungen und zusätzliche Ressourcen zur Bewältigung insbesondere krankheitsbedingter Personalausfälle dringend erforderlich. Dazu können folgende Maßnahmen empfohlen werden: ➤ Verbesserung des Stellenschlüssels in den Einrichtungen unter Berücksichtigung regelhafter Fehlzeiten durch Urlaub, Fortbildung und durchschnittliche Krankheitstage ➤ rechtliche Verankerung und finanzielle Absicherung von (trägerinternen) Vertretungsregelungen ➤ Maßnahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements zur Vermeidung von Fehlzeiten ➤ Maßnahmen zur Gewinnung von Fachkräften durch die Erhöhung der Attraktivität des Arbeitsfeldes der Kindertagesbetreuung Prof. Dr. Petra Strehmel Hochschule für Angewandte Wissenschaften Alexanderstraße 1 20099 Hamburg E-Mail: petra.strehmel@haw-hamburg.de Henning Kiani Deutsches Institut für Sozialwirtschaft Ringstraße 35 24114 Kiel E-Mail: kiani@disw.eu 343 uj 7+8 | 2018 Personalausfälle in Kitas Literatur Autorengruppe Fachkräftebarometer (2017): Fachkräftebarometer Frühe Bildung 2017, Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte, München, DJI Münchow, A., Strehmel, P. (2016): Leitung in der Frühpädagogik - Eine empirische Studie über die Tätigkeiten und Zeitkontingente Berliner Kita-Leitungen. In: Fröhlich-Gildhoff, K., Nentwig-Gesemann, I., Betz, T., Viernickel, S. (Hrsg.): Forschung in der Frühpädagogik, FEL-Verlag, Freiburg, 259 - 283 Nentwig-Gesemann, I., Nicolai, K., Köhler, L. (2016): KiTa-Leitung als Schlüsselposition. Erfahrungen und Orientierungen von Leitungskräften in Kindertageseinrichtungen, Bertelsmann Stiftung, Gütersloh Strehmel, P., Kiani, H. (2016): Personalausfälle in Kindertageseinrichtungen in Schleswig-Holstein. In: www. kitash.disw.eu, 14. 10. 2017 Schreyer, I., Brandl, M., Nicko, O., Krause, M. (2015): Arbeitsplatz Kita: Zwischen Engagement und Verausgabung. Ausgewählte Ergebnisse der bundesweiten Studie „Arbeitsplatz und Qualität in Kitas“ (Aqua). In: König, A., Leu, H.-R., Viernickel, S. (Hrsg.): Forschungsperspektiven auf Professionalisierung in der Frühpädagogik. Empirische Befunde der AWIFF Förderlinie. Beltz Juventa, Weinheim, 197 - 214 Schreyer, I., Krause, M., Brandl, M., Nicko, O. (2014): AQUA - Arbeitsplatz und Qualität in Kitas. Ergebnisse einer bundesweiten Befragung. Staatsinstitut für Frühpädagogik, München. In: www.aqua-studie.de/ Dokumente/ AQUA_Endbericht.pdf, 9. 2. 2017 Viernickel, S., Fuchs-Rechlin, K. (2016): Fachkraft-Kind- Relationen und Gruppengrößen in Kindertageseinrichtungen. Grundlagen, Analysen, Berechnungsmodell. In: Viernickel, S., Fuchs-Rechlin, K., Strehmel, P., Preissing, C., Bensel, J., Haug-Schnabel, G. (Hrsg.): Qualität für alle. Wissenschaftlich begründete Standards für die Kindertagesbetreuung. Herder, Freiburg, 11 - 130 Viernickel, S., Voss, A. (2013): STEGE. Strukturqualität und Erzieher_innengesundheit in Kindertageseinrichtungen. Wissenschaftlicher Abschlussbericht. In: www.ash-berlin.eu/ fileadmin/ Daten/ Forschung/ STEGE/ Strukturqualita%CC%88t_und_Erzieherin nengesundheit_in_KIndertageseinrichtungen.pdf, 10. 7. 2017