unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2019.art68d
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Ohne Kooperation ist alles nichts!?
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Ingo S. Hettler
Das Kooperationsverhältnis von Schulsozialarbeit und Jugendhilfe ist ein Besonderes und SchulsozialarbeiterInnen stehen bei ihrer Tätigkeit spezifischen Herausforderungen mit eigenen Handlungslogiken gegenüber, die in anderen Arbeitskontexten der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit außerhalb von Schule so nicht vorzufinden sind.
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411 unsere jugend, 71. Jg., S. 411 - 417 (2019) DOI 10.2378/ uj2019.art68d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Ingo S. Hettler Jg. 1986; Master of Social Work in Psychosozialer Beratung; Systemischer Berater (DGSF); Systemischer Supervisor (SG); Fachdienst Schulsozialarbeit bei der Stadt Mannheim Ohne Kooperation ist alles nichts! ? Zum besonderen Kooperationsverhältnis von Schulsozialarbeit und Schule Das Kooperationsverhältnis von Schulsozialarbeit und Jugendhilfe ist ein Besonderes und SchulsozialarbeiterInnen stehen bei ihrer Tätigkeit spezifischen Herausforderungen mit eigenen Handlungslogiken gegenüber, die in anderen Arbeitskontexten der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit außerhalb von Schule so nicht vorzufinden sind. Zum Kooperationsverhältnis von Jugendhilfe und Schule Aus einer institutionellen Perspektive auf die Kooperation von Jugendhilfe und Schule kann Kooperation als ein Prozess verstanden werden, bei dem zwei grundsätzlich eigenständige Institutionen bezogen auf gemeinsam geteilte oder überschneidende Ziele und Zielgruppen zusammenarbeiten. Damit verbunden ist die Idee, die Handlungsfähigkeit bzw. Problemlösekompetenz der jeweiligen Beteiligten zu steigern (Santen/ Seckinger 2003, 29). Neben den jungen Menschen als Zielgruppe sind Jugendhilfe und Schule über einen gemeinsamen, gesetzlich normierten Erziehungs- und Bildungsauftrag miteinander verbunden, wobei dieser, begründet durch unsere föderalen Strukturen (Bildungshoheit der Länder) mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen einhergeht (Hoffmann 2009, 41). So handelt es sich z. B. bei dem Erziehungsauftrag der Jugendhilfe um einen von den Eltern abgeleiteten (derivativen), nicht aber um einen originären Erziehungsauftrag (Kunkel 2016, 13). Schule hingegen hat einen über die Schulgesetze der Länder normierten originären Erziehungs- und Bildungsauftrag. Auch hinsichtlich des Bildungsauftrages sind unterschiedliche Schwerpunkte von Jugendhilfe und Schule zu konstatieren. Nach wie vor liegt der Fokus der Schule auf der Vermittlung curricular organisierten formalen Wissens (formale Bildung), in der Bildung vor allem als „Bildung zur Leistungsfähigkeit in den Gesetzen der modernen Produktions- und Konsumgesellschaft“ (Thiersch 2009, 26) praktiziert wird und auf die Bildung von Humankapital abzielt (ebd.). Der sozialpädagogische Bildungsauftrag der Jugendhilfe beansprucht für sich hingegen ein ganzheitlicheres Bildungsverständnis. So wird Bildung als „Bildung zur Selbstbildung in der Auseinandersetzung mit Welt“ (Thiersch 2009, 29) und „als ein umfassender Prozess mit dem Ziel begriffen, Jugendliche bei der Entfaltung ihrer Leistungspotenziale sowie bei deren Problemlösung und 412 uj 10 | 2019 Ohne Kooperation ist alles nichts! ? der Beziehungsgestaltung zu unterstützen“ (BMFSFJ 2005, 262). Während sich die Jugendhilfe häufig auf ihren komplementären Bildungsauftrag durch informelle und non-formale Bildungsangebote begrenzt, scheut sich die Schulsozialarbeit nicht, eigene formale Lernsettings, die ihr der schulische Kontext ermöglicht, mit dem lebensweltorientierten Ansatz zur Förderung von personalen und kommunikativen Kompetenzen zu verknüpfen (ebd.). Schulsozialarbeit kann durch ihre Tätigkeit am Lebensort Schule eine wichtige kooperationsförderliche Scharnierfunktion (Kersten 1994; Olk et al. 2000, 11) übernehmen, die zwischen den Handlungslogiken von Jugendhilfe und Schule und zwischen den Professionen vermittelt, zum Aufbau einer intersystemischen Kommunikationsstruktur und -kultur beiträgt (Speck 2006, 267 - 271) und die wechselseitige Anschlussfähigkeit dadurch erhöht (Spies 2006, 159). Die konkrete Kooperationspraxis zwischen diesen Berufsgruppen verläuft dabei nicht immer reibungsfrei und ohne Kooperationsprobleme. Kooperation als konstituierendes Merkmal der Schulsozialarbeit Als Tätige in einem „Dazwischen-System“, in dem zugleich personale, professionelle, institutionelle und konzeptionelle Bedingungen und Erwartungen aus beiden Systemen repräsentiert werden (Spies 2006, 159), stehen SchulsozialarbeiterInnen vor besonderen Kooperationsherausforderungen, die je nach Gestalt einen kleineren oder größeren Aktionsradius für diese mit sich bringen. Im Unterschied zu anderen Arbeitsfeldern der Jugendhilfe sind SchulsozialarbeiterInnen bei der Erbringung ihrer Leistungen in besonderem Maße auf Kooperation und Lehrkräfte angewiesen (Speck 2014, 114) und abhängig von deren Wohlwollen, deren Kooperationsbereitschaft, deren Verständnis, deren Erwartungen sowie deren Haltungen und Einstellungen gegenüber Schulsozialarbeit. Dies wird zugleich in mehreren Arbeitsbereichen der Schulsozialarbeit deutlich. Die Durchführung von präventiven Projekten oder Trainings mit Schulklassen z. B. zur Förderung sozialer Kompetenzen hängt maßgeblich von den Haltungen der Lehrkräfte ab, sowohl was den Zugang der SchulsozialarbeiterInnen zur Klasse anbelangt, aber auch was die mit dem Projekt verbundenen Wirkungsabsichten betrifft. Lehrkräfte, die in der Auseinandersetzung mit einem Projekt der Schulsozialarbeit die Bedeutung einer partizipativ gestalteten Lernumgebung kennen- und schätzen gelernt haben, werden diesem Geist in einem anderen Maße versuchen weiter zu folgen als Lehrkräfte, die dies aufgrund eines enggefassten Bildungs- und Erziehungsverständnisses nicht als ihren Auftrag verstehen. Die Einführung eines Verhaltenskodexes für einen gewaltfreien und respektvollen Umgang der SchülerInnen miteinander kann spielerisch und mit informellen Bildungsangeboten durch SchulsozialarbeiterInnen unterstützt werden. Am Ende ist es für einen gelingenden Transfer in den schulischen Alltag jedoch vermutlich entscheidender, ob die Anschlussfähigkeit durch die Lehrkräfte an die sozialpädagogischen Intentionen hergestellt werden kann oder nicht, ob neu erlernte Verhaltensweisen bei den SchülerInnen durch stetiges Aufgreifen und Wiederholen stabilisiert werden oder nicht. In der Einzelfallhilfe und Beratung spielen die Lehrkräfte ebenfalls eine bedeutende Rolle für die Schulsozialarbeit. Sie gestalten die Zugänge ihrer SchülerInnen zur Schulsozialarbeit aktiv mit, indem sie es diesen erlauben sich während des Unterrichts vertrauensvoll und ratsuchend an die Schulsozialarbeitsfachkraft zu wenden. Sie können diese Möglichkeit des Zugangs jedoch auch verhindern und der formalen Vermittlung curricularer Wissensbestände damit mehr Gewicht einräumen als den psychosozialen Themen, die die jungen Menschen in ihrer aktuellen Lebenssituation gerade vor unbewältigbar scheinende Herausforderungen stellen. 413 uj 10 | 2019 Ohne Kooperation ist alles nichts! ? Mit Blick auf die Eltern können Lehrkräfte aktiv und engagiert für die Inanspruchnahme von Beratungsangeboten und Angeboten der Elternbildung der Schulsozialarbeit werben oder darüber schweigen. Bei eigenen Beratungsanliegen steht es den Lehrkräften ebenso frei, ob sie auf die interdisziplinäre Möglichkeit einer sozialpädagogischen Beratung durch SchulsozialarbeiterInnen zurückgreifen wollen oder nicht. Der Erfolg sozialraumorientierter Ansätze in der Schulsozialarbeit hängt nicht zuletzt auch von der Bereitschaft der Schule ab, sich gegenüber dem Gemeinwesen zu öffnen. Dies bedarf Lehrkräfte, die diese Öffnung mittragen und aktiv in Kontakt mit regionalen Partnern wie Vereinen und Institutionen der Jugendarbeit treten und mit diesen kooperieren. Schulsozialarbeit kann hierfür allenfalls einTüröffner sein, Brücken bauen und z. B. durch Wissenstransfer empowern. Nicht zuletzt auch, weil SchulsozialarbeiterInnen an vielen Standorten noch immer EinzelkämpferInnen sind. Die Schaffung nachhaltiger Netzwerk- und Kooperationsstrukturen wird sich ohne engagierte Lehrkräfte und eine unterstützende Schulleitung nur schwer realisieren lassen. Über Bedeutung und Notwendigkeit von Schulsozialarbeit für die Erbringung der originären schulischen Aufgaben (Fendt 2008) kann durchaus kontrovers diskutiert werden. Ob Schule „ihre ureigenen Aufgaben nur dann erfüllen [kann], wenn sie auch sozialpädagogische Elemente einbezieht“ (Palatzky 2008, 24) hängt sicherlich auch davon ab, welches Verständnis von Bildung und Erziehung ihrem Auftrag zugrunde liegt. Bei der Gestaltung und Durchführung des Unterrichts, der - vorgegeben durch die Bildungspläne der Länder - nach wie vor schwerpunktmäßig die Vermittlung von Wissen zum Inhalt hat (Qualifikationsfunktion), sind die Lehrkräfte ebenso wenig auf die Kooperation mit SchulsozialarbeiterInnen angewiesen wie bei der Bewertung und Zuordnung von Leistungen (Selektionsfunktion). Für SchulsozialarbeiterInnen ist die Bereitschaft zur Kooperation, wie in den vorangegangenen Ausführungen deutlich wurde, hingegen obligatorisch. Der Großteil der Kernleistungen der Schulsozialarbeit (Speck 2014, 83f ) beruht auf der Prämisse der Kooperation von SchulsozialarbeiterInnen und Lehrkräften bzw. Schulleitung. Kooperation ist ein konstituierendes Merkmal, das die Schulsozialarbeit maßgeblich in ihrem Kern bestimmt und ohne die Schulsozialarbeit ihre Leistungen kaum zu erbringen vermag. Schulsozialarbeit als Projektionsfläche vielschichtiger Prozess- und Wirkungserwartungen SchulsozialarbeiterInnen sehen sich in ihrem Alltag mit vielschichtigen, mitunter undurchsichtigen Erwartungen konfrontiert. Im Wesentlichen können diese unterschieden werden in Wirkungserwartungen (Erwartungen an das, was SchulsozialarbeiterInnen z. B. für junge Menschen und deren Familien, im Sozialraum oder für Lehrkräfte bewirken sollen) und in prozessuale Erwartungen (z. B. wie und bis wann SchulsozialarbeiterInnen pädagogische Ziele verfolgen und erreichen sollen). Wichtige Handlungsprinzipien wie Vertraulichkeit, Freiwilligkeit, Niedrigschwelligkeit und Prävention kommen an dieser Stelle, an der es um die konkrete Planung und Durchführung pädagogischer Angebote und Interventionen geht, zum Tragen. Beide Erwartungsebenen sind für die Kooperationspraxis von hoher Relevanz, wie anhand des folgenden Fallbeispiels gezeigt werden soll. Ein Grundschüler fällt mehrmals durch sein aggressives Verhalten im Unterricht auf. Er schlägt und beleidigt in regelmäßigen Abständen andere MitschülerInnen. Die zuständige Klassenlehrerin ist bemüht, durch Grenzsetzung und disziplinarische Maßnahmen auf eine Verhaltensänderung des Schülers hinzuwirken. Diese bleibt jedoch aus und die Situation spitzt sich im Verlauf der nächsten Monate zu. Die Schulleitung führt gemeinsam mit der Klassenlehrerin Elterngespräche, die je- 414 uj 10 | 2019 Ohne Kooperation ist alles nichts! ? doch nicht den gewünschten Effekt erzielen. Nachdem der Schüler zwischenzeitlich schon die ersten Tage Unterrichtsausschluss von der Schulleitung ausgesprochen bekommen hat, wendet sich die Klassenlehrerin an die Schulsozialarbeiterin, um diese zu bitten, mit dem Schüler zu arbeiten, damit dieser sich nicht mehr so aggressiv verhalte. Außerdem äußert sie den Wunsch, den Schüler, wenn es zu heftig im Unterricht werde, zur Schulsozialarbeiterin schicken zu wollen. Sie habe auch mit der Schulleitung gesprochen und man sei sich einig, einen Schulausschluss zu vollziehen, sollte sich das Verhalten des Jungen nicht spürbar innerhalb der nächsten acht bis zehn Wochen ändern. Solche und ähnliche Situationen dürften KollegInnen aus der Schulsozialarbeit zur Genüge kennen. Die Wirkungserwartung, die mit der Anfrage verbunden ist, scheint in diesem Fall deutlich formuliert zu sein. Der Schüler soll sich nicht mehr so verhalten, dass andere gestört und aggressiv angegangen werden. Warum diese Einladung zur Unterstützung Fallstricke mit sich bringt, zeigt ein reflektierter zweiter Blick auf die Anfrage. Auf der Ebene der Wirkungserwartungen werden negierte Zielabsichten (der Schüler soll nicht mehr…) formuliert. Die Veränderung des Verhaltens des Schülers sollte jedoch in eine Richtung erfolgen, die gewünscht ist. Die Art und Weise, wie sich der Schüler stattdessen verhalten soll, wenn er das andere (z. B. körperliche Gewalthandlungen) nicht mehr tut, sollte möglichst konkret geklärt werden, da sonst die Gefahr besteht, dass das unerwünschte Verhalten einem anderen ähnlich unerwünschten Verhalten weicht. (Sozial-)Pädagogische Ziele, insbesondere die, die eine Verhaltensänderung junger Menschen implizieren, sollten möglichst als positive Vorstellungen über eine zukünftig erwünschte Situation formuliert werden. Nicht weniger klärungsbedürftig sind die prozessualen Erwartungen, die mit der Anfrage verbunden sind. Der Wunsch der Klassenlehrerin, den Schüler immer dann zur Schulsozialarbeit zu „schicken“, wenn sein Verhalten im Klassenkontext nicht mehr handhabbar ist, ist auf der Bedürfnisebene nachvollziehbar. Junge Menschen bei der Veränderung ihres Verhaltens zu unterstützen heißt jedoch, stabile Rahmenbedingungen für Veränderungen zu schaffen und für strukturelle und emotionale Sicherheit bei den Betroffenen zu sorgen (Schiersmann/ Thiel 2012, 44f ). Die Freiwilligkeit des Schülers - zumindest in Form der Bereitschaft zur Reflexion - wird damit zur Voraussetzung für ein vertrauensvolles Arbeitsbündnis mit der Schulsozialarbeiterin. Würden SchulsozialarbeiterInnen den Auftrag wie im o. g. Beispiel annehmen, würden sie die an sie gerichteten Wirkungs- und Prozesserwartungen entgegen ihrer eigentlichen fachlichen Überzeugungen als darstellbare und realistische Arbeitsprämissen akzeptieren und bestätigen. Trotz guter fachlicher Gründe kann es SchulsozialarbeiterInnen schwerfallen, einen derartigen Auftrag abzulehnen, da sie aufseiten der Lehrkräfte negative NutzerInnen-Erfahrung befürchten, die als „Narrativ der Erwartungsenttäuschung“ im Kollegium Einzug halten könnte und Lehrkräfte, die der Schulsozialarbeit ohnehin schon mit Vorbehalten entgegentreten, in deren kooperationshemmender Haltung noch bestärken könnte. Dieser Aspekt ist insofern bedeutsam, als dass Kooperationen häufig nicht an der Bereitschaft zur Kooperation scheitern, sondern weil die Partner unterschiedliche Erfahrungen und Erwartungen an diese haben (Spies/ Pötter 2011, 31). Kooperation als Raum für soziale Beziehungen und Bedürfnisse Der Kooperationsalltag von SchulsozialarbeiterInnen wird nicht allein durch den Zweck bestimmt, (sozial-)pädagogische Ziele zu verwirklichen. In einer verbindlichen und auf Dauer angelegten Zusammenarbeit werden auch die 415 uj 10 | 2019 Ohne Kooperation ist alles nichts! ? psychosozialen Funktionen von Erwerbsarbeit (Semmer/ Udris 2004) zunehmend erfüllt. Das LehrerInnen-Kollegium stellt ein wesentliches Feld für soziale Kontakte dar und durch die Arbeitserbringung am Standort Schule wird Schule mit all ihren AkteurInnen auch zu einem Ort, an dem SchulsozialarbeiterInnen Anerkennung erfahren, das Gefühl bekommen, etwas Nützliches für die Gesellschaft zu tun, und darüber auch einen Teil ihres Selbstwertes definieren dürften. Welche Rolle spielt Schule als Ort für die psychosoziale Bedürfnisbefriedigung im Hinblick auf die Art und Weise, wie SchulsozialarbeiterInnen ihren Auftrag definieren und erfüllen? Dies wäre eine spannende Fragestellung für eine empirische Forschungsarbeit. Eine Verbindung dieser beiden Dimensionen scheint jedoch plausibel und logisch begründbar zu sein. Je stärker SchulsozialarbeiterInnen von einer psychosozialen Bedürfnisbefriedigung in Form von Anerkennung, von Sinn und Selbstwertbestärkung durch Schule abhängig sind, umso stärker werden sie ihre Funktion so ausüben, dass sich dieser Prozess fortsetzt. Sind SchulsozialarbeiterInnen hiervon indes weniger abhängig, so werden fachliche Entscheidungen vermutlich nur geringfügig von eigenen Kontakt- und Beziehungsbedürfnissen mitbestimmt werden. Eine psychosoziale Vereinnahmung der Schulsozialarbeit auf der Ebene der sozialen Bedürfnisse erleichtert auch eine funktionale Vereinnahmung der Schulsozialarbeit durch Schule. Den Trägern von Schulsozialarbeit kommt neben einer leistungsbezogenen daher auch eine zentrale psychosoziale Funktion zu. Fühlen sich SchulsozialarbeiterInnen sozial und emotional gut bei ihrem Träger „beheimatet“, so fällt es ihnen auch leichter, sich trotz der räumlichen Distanz mit dessen Zielen zu identifizieren. Es geht hierbei um nicht weniger als eine Form der „inneren Repräsentanz“ des Trägers, also neben der Trägerkompetenz (Speck 2014, 102) auch um eine Trägerpräsenz, die die psychosozialen (Grund-)Bedürfnisse der Beschäftigten explizit mitdenkt. Wie kann Kooperation zwischen den Fachkräften gelingen? Gelingensfaktoren und -bedingungen für die Kooperation von Schulsozialarbeit und Jugendhilfe wurden bereits in einigen einschlägigen Fachpublikationen beschrieben (u. a. Speck 2006; Maykus 2011; Henschel et al. 2009). Grundsätzlich lassen sich hierbei zwei Kooperationsebenen voneinander unterscheiden: die institutionelle Kooperationsebene und personenbezogene Kooperationsebene. Da der bisherige Schwerpunkt des Beitrages auf der personenbezogenen Ebene der Kooperation liegt, sollen an dieser Stelle auch vorwiegend Aspekte benannt werden, die auf dieser Ebene anzusiedeln sind oder unmittelbar auf diese Ebene wirken. Vorneweg sollte aufgrund der aktuellen bundesweiten politischen Entwicklungen in der Jugendhilfe, insbesondere was den Reformierungsprozess des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB VIII) anbelangt, jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass die rechtlichen Pflichten und Hinweise zur Kooperation von Jugendhilfe und Schule nach wie vor sowohl im SGB VIII wie in den Schulgesetzen der Länder sehr vage gehalten und zum Teil wenig konkret sind. Die Schulsozialarbeit verfügt weiterhin über keinen eigenen Leistungsparagrafen, der die Arbeitsrealität einer immer größer werdenden Anzahl an Fachkräften rechtlich normiert und die Praxis in ausreichendem Maße absichert (Kunkel 2016). Es bleibt zu hoffen, dass der Bundesgesetzgeber die Chance bei der Überarbeitung des SGB VIII nutzt, um sowohl die Kooperationsbezüge von Jugendhilfe in Richtung Schule, aber auch die Schulsozialarbeit als Arbeitsfeld auf rechtlich sichere Füße zu stellen. Das Vorhandensein einer grundlegenden Bereitschaft zur Kooperation ist sowohl aus der Perspektive von Lehrkräften, wie aus der von SchulsozialarbeiterInnen die zentralste Vorbedingung. Dies impliziert auch, dass zwischen Schulen und Schulsozialarbeit grundsätzlich keine „politischen Zwangsehen“ geschlossen werden sollten. Wenn ein Kooperationsarrange- 416 uj 10 | 2019 Ohne Kooperation ist alles nichts! ? ment auch aus sozialisations- und bildungstheoretischer Sicht angezeigt zu sein scheint, so müssen am Ende Menschen in unterschiedlichen beruflichen Rollen für eine gemeinsame Sache gewonnen werden. Erwartungen sollten deshalb frühzeitig und möglichst schon vor Beginn der Schulsozialarbeitstätigkeit geklärt werden, sowohl auf der Ebene des Was (Wirkungserwartungen) wie auf der des Wie (prozessuale Erwartungen). Gerade weil am Lebensort Schule die Schule erheblich den Alltag und dessen Spielregeln bestimmt, brauchen SchulsozialarbeiterInnen neben einem kompetenten Träger (Speck 2006, 259) zur Förderung ihrer eigenen Fachlichkeit und beruflichen Autonomie in der Schule auch einen präsenten Träger. Auf der Hinterbühne der Kooperation von Lehrkräften und SchulsozialarbeiterInnen werden immer auch die organisationalen Entscheidungen, Handlungslogiken und -zwänge der Institutionen Schule und Schulsozialarbeit repräsentiert. Diese bestimmen das Verhalten der Fachkräfte und die Art und Weise, wie diese Kooperation gestalten, mit. Eine für die Lehrkräfte spürbare Trägerpräsenz, fördert die Wahrnehmung der Organisation dahinter, womit kommunizierte Entscheidungen stärker institutionalisiert und zugleich de-personalisiert werden. Dies schützt SchulsozialarbeiterInnen auch vor Abgrenzungshandlungen, die seitens der Lehrkräfte als Willkür oder mangelnde Kooperationsbereitschaft verstanden werden könnten. Zielvereinbarungen können einen gemeinsamen Sinnbezug in der Kooperation herstellen, jedoch nur wenn diese bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Der Lehrkörper sollte sowohl bei der Festlegung der Ziele beteiligt werden, aber auch bei der methodischen Umsetzung einen aktiven Part übernehmen. Die Ziele und Methoden, mit denen diese erreicht werden sollen, sollten dabei so formuliert werden, dass ihr Jugendhilfecharakter (z. B. durch Einhaltung bestimmter Handlungsmaxime, Arbeitsprinzipien etc.) deutlich erkennbar ist, sie aber auch zur Organisation Schule passen. Nur die pädagogischen Ziele, mit denen sich sowohl Lehrer und Lehrerinnen als auch Schulsozialarbeiter und Schulsozialarbeiterinnen identifizieren, haben eine Chance, im Alltag zu bestehen und handlungsleitend zu wirken. Gelingende Kooperation braucht Räume, in denen neben konkreten alltäglichen Ab- und Rücksprachen auch gemeinsame und trennende Perspektiven und Haltungen in gegenseitiger Wertschätzung diskutiert und im Sinne eines interdisziplinären Erfahrungs- und Wissenstransfers voneinander gelernt werden kann. Erfolgreiche Kooperation lässt sich nicht erzwingen, ein Mindestmaß an Steuerung kann diese jedoch unterstützen. Ausgehend von den gemeinsam verabschiedeten Zielen kann eine Steuerungsgruppe etabliert werden, in der neben Schulleitung, SchulsozialarbeiterInnen und Lehrkräften auch die Hierarchie des Trägers vertreten ist und in der in regelmäßigen Abständen Kooperationserfolge und -probleme thematisiert werden können. Gemachte Erfahrungen können so aus verschiedenen beruflichen Perspektiven gemeinsam reflektiert und Vereinbarungen für die zukünftige Zusammenarbeit getroffen werden. Fazit Die Kooperation von Schule und Schulsozialarbeit unterscheidet sich auf der Ebene der Fachkräfte maßgeblich von anderen Kooperationsverhältnissen, die Jugendhilfe und Schule miteinander eingehen. Kooperation stellt für Schulsozialarbeit dabei nicht nur eine Aufgabe dar, die es zu erbringen gilt, sie ist ein konstituierendes Element der Schulsozialarbeit. Die Kooperation von SchulsozialarbeiterInnen und LehrerInnen gilt es nicht nur durch die professionelle Brille zu reflektieren, da Schule für SchulsozialarbeiterInnen häufig auch ein Ort darstellt, an dem für sie wichtige psychosoziale Funktionen erfüllt und Bedürfnisse nach Kontakt, nach Anerkennung und nach Selbstwertstärkung Be- 417 uj 10 | 2019 Ohne Kooperation ist alles nichts! ? friedigung erfahren können. Für die Träger gilt es, diesen Bedürfnissen ebenso Raum zu schenken, um die Identifikation der SchulsozialarbeiterInnen mit dem Träger zu erleichtern. Inzwischen liegen aussagekräftige empirische Befunde über die professionelle Dimension der berufsgruppenübergreifenden Kooperation von SchulsozialarbeiterInnen und Lehrkräften vor (einen guten Überblick hierzu gibt Speck 2006, 267 - 271). Eine arbeitspsychologisch orientierte Studie könnte diese Befunde noch ergänzen, indem die o. g. psychosozialen Aspekte und deren Einfluss auf professionelle Entscheidungen und Kooperationshandlungen im besonderen Kontext der Schulsozialarbeit beleuchtet werden. Ingo S. Hettler Obere Riedstraße 12 68309 Mannheim Tel.: (01 76) 61 23 88 47 www.systemische-perspektiven.net E-Mail: info@systemische-perspektiven.net Literatur BMFSFJ/ Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) (2005): Zwölfter Kinder- und Jugendbericht, https: / / doi.org/ 10.5771/ 2196-3886-20 13-1-17 Fend, H. (2009): Neue Theorie der Schule. Springer, Wiesbaden, https: / / doi.org/ 10.1007/ 978-3-531-9178 8-7 Henschel, A., Krüger, R., Schmitt, C., Stange, W. 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