unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2019.art72d
101
2019
7110
Rezension
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2019
Roland Merten
Böllert, Karin (Hrsg.) (2018): Kompendium Kinder- und Jugendhilfe 2 Bände. Wiesbaden: Springer VS, 1725 Seiten, € 149,99
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444 uj 10 | 2019 Rezension Die Kinder- und Jugendhilfe gehört quantitativ zu den eher kleinen Bereichen sozialpolitischer Aktivitäten in Deutschland, aber aufgrund ihrer Bildungs- und Sozialisationsfunktionen ebenso sicher zu den qualitativ bedeutsamsten. Insofern lohnt es sich, dieses gesamte Feld einmal in einem großen Wurf zu bestimmen. Das hat Karin Böllert mit ihrem Kompendium Kinder- und Jugendhilfe unternommen. Ein fulminantes Werk, ganz ohne Zweifel; ein anspruchsvolles Unterfangen. Allein dieser Aufgabe gebührt Respekt, allerdings bleibt auch nach den Ergebnissen zu fragen. Und damit treten die Aspekte der Systematik ebenso in den Vordergrund wie solche der Aktualität. Und damit beginnen sogleich auch schon die Probleme. Aktualität: Offensichtlich hat die Erstellung eines derart umfangreichen Werkes viel Zeit in Anspruch genommen - dies dürfte kaum überraschen. Überraschend deutlich ist hingegen die Distanzierung, die mehrere AutorInnen vornehmen: die Beschreibung der Personalentwicklung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe endet im Jahr 2010/ 2011 (579), der Beitrag „Familien“ ist datenmäßig kaum aktuell zu nennen. Andere Autoren führen aus, aktuelle Entwicklungen und Forschungsergebnisse „konnten in der vorliegenden Fassung (die drei Jahre auf Halde lag) nicht (mehr) berücksichtigt werden“ (1533). An anderer Stelle liest man: „Der Text wurde im Jahr 2013 erstellt und für die Drucklegung im Jahr 2017 nur an wenigen Stellen aktualisiert“ (337). Und nicht zuletzt erkennt man, dass „der aktuelle Koalitionsvertrag…(Bundesregierung 2013)“ (1563f.) dann doch nicht mehr ganz so aktuell ist. Fünf Jahre alte Daten (mit Erscheinen dieser Besprechung sind es sechs Jahre) wird man nicht eben aktuell nennen können. Manche dieser ‚Schönheitsfehler‘ hätten sich problemlos durch eine zeitnahe Aktualisierung vermeiden lassen. Inhaltlich schwierig wird es spätestens dann, wenn - wie vorliegend - völlig veraltete Kommentare zum SGB VIII (2006) zitiert werden. Systematik: Nach welchen Grundsätzen die Systematik des vorliegenden Werkes erfolgt ist, bleibt leider im Dunklen; sie sind nicht (immer) nachvollziehbar. Zweimal wird das Verhältnis von Jugendhilfe und Politik aufgerufen (315; 1583). Warum zu „Lebenslagen und Lebensorten“ Körperlichkeit und Leiblichkeit gehören (553), nicht aber Soziale Ungleichheiten (867), das bleibt offen. Dass bei „Theoretischen Positionen“ (1249) Profession und Organisation zu finden sind, nicht aber systemische und systemtheoretische Ansätze oder machttheoretische Positionen, das verwundert dann doch schon sehr. Systematik sieht anders aus. Bei einigen Beiträgen darf man Zweifel haben, ob sie denn einem redaktionellen Blick zugeführt worden sind: Schreibfehler, grammatikalische Unstimmigkeiten, nicht-alphabetische Ordnung im Literaturverzeichnis, das sind vielleicht nur Schönheitsfehler, aber sie trüben das gesamte Erscheinungsbild. Ein derart voluminöses Werk erschließt sich nicht von selbst, gerade dann nicht, wenn es im Hinblick auf Systematisierungsanforderungen Schwächen aufweist. Das insofern kompensatorisch wirkende Namens- und Stichwortverzeichnis, das hier eine gewisse Abhilfe hätte schaffen können, vermisst man folglich schmerzlich. Insgesamt ist mit dem vorliegenden Kompendium leider nicht der große Wurf gelungen, den man sich bei einem solch fulminanten Werk hätte erwarten dürfen. Ein Kompendium ist - begrifflich gesehen - entweder ein kurzer Böllert, Karin (Hrsg.) (2018): Kompendium Kinder- und Jugendhilfe 2 Bände. Wiesbaden: Springer VS, 1725 Seiten, € 149,99 uj 10 | 2019 445 Rezension Überblick oder ein ausführliches Lehrbuch zu einem bestimmten Bereich. Das vorliegende ‚Kompendium‘ ist leider beides nicht. Für einen kurzen Überblick ist es zu umfangreich, für ein Lehrbuch zu unsystematisch. Es ist ein wichtiger Versuch, der jedoch an vielen Stellen leider nicht geglückt ist. Für Verbesserungen bietet die zweite Auflage insofern noch hinreichend Gelegenheit - aber eben auch Anlass. Prof. Dr. Roland Merten DOI 10.2378/ uj2019.art72d
