eJournals unsere jugend 71/11+12

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2019.art81d
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2019
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Rezension

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2019
Dieter Kreft
Kay Biesel/Ulrike Urban-Stahl (2018): Lehrbuch Kinderschutz Belz Juventa, Weinheim/Basel, 371 Seiten, € 19,95,-
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508 uj 11+12 | 2019 Rezension Kay Biesel lehrt Kinder- und Jugendhilfe an der HS für Soziale Arbeit FHNW (FH Nordwestschweiz), Ulrike Urban-Stahl ist seit 2011 Professorin für Sozialpädagogik an der FU Berlin. Beide sind durch besondere Publikationen rund um die Kinder- und Jugendhilfe ausgewiesen. Und nun haben sie ein gemeinsam verantwortetes Lehrbuch Kinderschutz vorgelegt. Für mich sollte ein ‚Lehrbuch‘ (zumal in der Reihe Studienmodule Soziale Arbeit) zunächst einmal Studierende in ein gewähltes Thema grundsätzlich einführen, also umfassend dazu informieren und den NutzerInnen hilfreich für ihre aktuelle oder zukünftige Arbeit sein. Mit diesem grundsätzlichen Blick habe ich auch diesen Titel gelesen. Er deckt sich im Übrigen auch mit der Aussage der beiden Autoren: „… hatten wir das Ziel, Studierende sowie Einsteiger(innen) für diese Arbeit zu interessieren und zu motivieren. Hierfür wollten wir einen systematischen Überblick über das interdisziplinäre und multiprofessionelle Feld des Kinderschutzes geben und die sozialpädagogischen ‚basics‘ des Kinderschutzes vermitteln“ (345). K. Biesel und U. Urban-Stahl haben das Buch geradezu klassisch gegliedert: drei große Abteilungen (I: Grundlagen, II: Vertiefungen, III: Erweiterungen) behandeln in vierzehn Kapiteln umfassend und überaus sorgfältig alles (jedenfalls sehr vieles) rund um den Kinderschutz, das Kindeswohl und die Kindeswohlgefährdung. Beide Autoren sind dem Denken und Handeln des Nestors der modernen deutschen Kinderschutzbewegung, Reinhart Wolff, und dem Berliner Kinderschutzzentrum eng verbunden: Der Ansatz ‚Helfen statt Strafe‘ führte zu einer neuen Praxis des Kinderschutzes (vgl. hierzu Kinderschutz-Zentrum Berlin (2009): Kindeswohlgefährdung - Erkennen und Helfen). K. Biesel wurde 2011 an der FU Berlin promoviert (Erstgutachter: Reinhart Wolff ), so hat er 2014 zusammen mit R. Wolff den Titel ‚Aus Kinderschutzfehlern lernen’ herausgegeben. U. Urban-Stahl ist inzwischen die Spezialistin für ‚Hausbesuche im Kinderschutz‘ und das ‚Beschwerdeverfahren in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe‘, das sowohl dem Lernen aus Fehlern als auch der Qualitätsentwicklung im Kinderschutz dient. Kinderschutz ist (vermeintlich) ein auf den ersten Blick eindeutiger Begriff: „Hierunter wird der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gefährdungen ihres Wohls verstanden“ (18). Aber schon im Recht wird der Begriff nicht definiert (genauer in Kap 9) und er bleibt vieldeutig in Theorie und Praxis. Um wenigstens eine gewisse Struktur beim Blick auf den Kinderschutz als Begriff zu erhalten, wird auch in diesem Buch zwischen Kinderschutz in engerer und breiterer Auslegung unterschieden (genauer unter 1.1 ab S. 18: „Enge Auslegungsweisen verstehen unter Kinderschutz den Eingriff im Fall einer bereits bestehenden Kindeswohlgefährdung. …ist (also) insofern ein ‚Spezialbegriff für die Aufgabe der Abwendung unmittelbarer Gefahr für Kinder und Jugendliche“). Wer Lust auf eine Blicköffnung hat, lese das gesamte Kap 1, insbesondere 1.3 (Konzeptionen und Orientierungen im K.), auch die Tabelle 1 auf S. 25 (International diskutierte Kinderschutzorientierungen im Vergleich) - und ist danach sofort dankbar für die Reduktion der Komplexität in diesem Lehrbuch. Kay Biesel/ Ulrike Urban-Stahl (2018): Lehrbuch Kinderschutz Belz Juventa, Weinheim/ Basel, 371 Seiten, € 19,95,- uj 11+12 | 2019 509 Rezension Überhaupt sind für mich die Kap. 1 + 2 zentral für das Verständnis dieses Titels. Wer beide sorgfältig durchgelesen (also sich erschlossen hat), kann danach entscheiden, welche möglichen weiteren Erkenntnisgewinne ihm wichtig sind und anschließend auswählen, ob er etwa Genaueres über Formen, Folgen und Ursachen von Kindeswohlgefährdungen (Kap. 5 + 7) wissen will, über die Rechtsgrundlagen im Kinderschutz (Kap. 9) oder über eines der weiteren (vielfältigen) Themen. Die beiden ersten Kapitel sind das Kinderschutz-Grundwissen, alle anderen dienen der Blickerweiterung und -vertiefung. Fazit: Ist denn nun eingelöst, was (am Schluss ab S. 345) versprochen wird? 1. … mit dem Ziel, Studierende und Einsteiger (innen) für diese Arbeit zu interessieren und zu motivieren“ (345): Ja, umfassend, fast überwältigend (ist hier als Anerkennung zu lesen). 2. Die zentrale Eingrenzung, den Kinderschutz ausgehend von einem engeren Begriffsverständnis zu entfalten, war für das Lehrbuch höchst angemessen. Die gleichermaßen sorgfältige Behandlung der breiteren Auslegungsweise des Kinderschutzes (… alle Aktivitäten der Gesellschaft, die darauf ausgerichtet sind, Kindern und Jugendlichen ein geschütztes Aufwachsen zu ermöglichen: 19) hätte den Rahmen dieses Lehrbuches gesprengt. 3. Die These am Ende (347) „Kinderschutz kann nicht nur aus Lehrbüchern erlernt werden. Kinderschutz muss auch erfahren und reflektiert werden“ kann hier nur doppelt unterstrichen werden. Das führt mich auch zu meiner abschließenden Beurteilung dieses Lehrbuches: Es ist - im Rahmen der genannten Begrenzung - eindrucksvoll, umfassend, überaus sorgfältig, keine Leerstellen hinterlassend. Die behandelten Hauptthemen (Kinderschutz/ Kindeswohl/ Kindeswohlgefährdung) sowie die vielen Teilthemen (praktisch alle ab Kap 3), sind allerdings so beeindruckend vielfältig, dass ich mir für Studierende das Erschließen dieses so komplexen Textes fast nur mit der Begleitung durch eine erfahrene Person (HochschullehrerIn/ PraktikerIn) in Seminaren oder intensiven Fort- und Weiterbildungen vorstellen kann. Für alle anderen, die also das Buch (allein) lesen, um sich dem Thema Kinderschutz anzunähern, empfehle ich, bei den vierzehn Kapiteln zuerst die Resümees am Ende zu lesen (gewissermaßen als Crash-Kurs-Einführung) und dann anschließend zu entscheiden, wo eine Vertiefung geboten ist. Ich denke, diese Vorgehensweise vermeidet, durch die Fülle der Informationen und Materialien überwältigt zu werden oder gar zu resignieren. Was bleibt? Ein eindrucksvolles Buch. Wer sich mit großem fachlichem Engagement darin vertieft und es mit Sorgfalt liest, wird aus ihm den größtmöglichen Gewinn für sich (als Studierende/ r oder PraktikerIn) ‚rund um den Kinderschutz‘ ziehen. Prof. Dieter Kreft E-Mail: Kremie.nuernberg@t-online.de DOI 10.2378/ uj2019.art81d