eJournals unsere jugend 71/4

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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2019.art26d
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Erlebnispädagogische Ansätze in der Kinder- und Jugendhilfe

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Barbara Bous
Thomas Ziegler
Die Herausforderung für Schule, Familie sowie die Kinder- und Jugendhilfe, als primäre Sozialisationsinstanzen, ist die Erfüllung eines Erziehungs- und Bildungsauftrags im Wandel von Gesellschaft, Digitalisierung, Migration und Modernisierung! Der vorliegende Beitrag betrachtet, wie Erlebnispädagogik das Spannungsfeld zwischen sozialem Lernen und Bildungserfolg unterstützen kann.
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156 unsere jugend, 71. Jg., S. 156 - 162 (2019) DOI 10.2378/ uj2019.art26d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Erlebnispädagogische Ansätze in der Kinder- und Jugendhilfe Ziele, Angebote, Möglichkeiten und Grenzen im schulischen Kontext Die Herausforderung für Schule, Familie sowie die Kinder- und Jugendhilfe, als primäre Sozialisationsinstanzen, ist die Erfüllung eines Erziehungs- und Bildungsauftrags im Wandel von Gesellschaft, Digitalisierung, Migration und Modernisierung! Der vorliegende Beitrag betrachtet, wie Erlebnispädagogik das Spannungsfeld zwischen sozialem Lernen und Bildungserfolg unterstützen kann. von Dr. Barbara Bous Jg. 1975; Dr. phil. Dipl.-Päd., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Augsburg und verantwortlich für die Beratung, Betreuung und Lehre im Bereich Erlebnispädagogik Einführung Die Aufgaben, die in Erziehung und Bildungsarbeit durch Schule und Familie oder Kinder- und Jugendhilfe gemeistert werden sollen, sind neben Bindung auch Qualifizierung, Umgang mit Konsum sowie Partizipation in der Gesellschaft. Dies geschieht in der aktiven Auseinandersetzung mit der Umwelt und fördert peu à peu die Persönlichkeitsentwicklung oder Selbstentwicklung von Kindern und Jugendlichen (Bründel/ Hurrelmann 2017). Die Herausforderungen, die in der heutigen Lebenswelt daraus resultieren, können hier nur angedeutet werden. Die Komplexität und das damit verbundene Spannungsverhältnis, das mit einem zunehmenden Bildungsanspruch und dessen Verknüpfung an Lebenschancen entsteht, lässt erahnen, welche Aufgaben Familie, Schule sowie Kinder- und Jugendhilfe zu bewältigen haben. Neben anderen Angeboten bietet gerade Erlebnispädagogik eine erweiterte Möglichkeit zur Förderung der Persönlichkeit, was im vorliegenden Beitrag in Bezug auf Kinder- und Jugendhilfe im Kontext Schule thematisiert wird. Kinder und Jugendhilfe im schulischen Kontext Im schulischen Kontext ist die Kinder- und Jugendhilfe in Form von Jugendsozialarbeit an Schulen (JaS) zu finden. Diese dient vor allem der Prävention, damit eine Kindeswohlgefähr- Thomas Ziegler Jg. 1978; staatlich anerkannter Erzieher, ist Einrichtungsleiter der Jugendhilfeeinrichtung KEEP GbR in Schwarzach am Main und verantwortlich für die Pädagogische Leitung 157 uj 4 | 2019 Erlebnispädagogische Ansätze im schulischen Kontext dung verhindert bzw. rechtzeitig erkannt wird. Sie ist ein freiwilliges und kostenfreies Angebot der Jugendhilfe direkt an Schulen. Die Aufgaben der Jugendsozialarbeit an Schulen besteht vor allem in der individuellen Beratung von Schülern und Eltern, in der Vermittlung von Kontakten zu verschiedenen Einrichtungen und weiterführenden Hilfen, Krisenintervention, sozialpädagogischer Gruppenarbeit, Projektarbeit sowie Netzwerk, Koordinierung und Kooperation auch mit Schulleitung, Lehrkräften und schulischen Diensten (STMAS 2019). Sie ergänzt und begleitet die schulische Erziehungsarbeit im Sinne einer schnell verfügbaren, unbürokratischen und individuellen Hilfe vor Ort. Sie ist neutral und bildet eine Brücke zwischen Schule, Familie, Jugendhilfe und Gemeinwesen und trägt dazu bei, individuelle Beeinträchtigungen zu überwinden sowie soziale Benachteiligungen abzubauen und auszugleichen (JaS 2018). Durch die Jugendsozialarbeit konnte die Jugendhilfe direkt an der Institution Schule verankert werden. Somit verändern sich einerseits die pädagogischen Schwerpunkte für beide Instanzen. Andererseits entstehen Spannungsfelder zwischen beiden Bereichen. Die Institution Schule ist verpflichtet, ministeriell vorgegebene Curricula zu erfüllen, dabei kann sie im Kontext der Klassengemeinschaft nicht immer den Raum für schwierige Lebenssituationen der Kinder und Jugendlichen bieten. Für diese Probleme soll die Jugendsozialarbeit Lösungen finden, was leider nicht immer mit dem schulischen Alltag konform ist (STMAS 2012). Häufige Themen der Jugendsozialarbeit betreffen Leistungsabfall, Verhaltensauffälligkeiten bis hin zur Schulverweigerung oder Schulausschluss. Die Jugendhilfe steht an dieser Stelle vor großen Herausforderungen, denn ein Schulausschluss hebt die Schulpflicht nicht auf. Durch die im SGB VIII § 35 a eingeführte Eingliederungshilfe wollte die Gesetzgebung sicherstellen, dass jedem Menschen eine angemessene Schulbildung gewährt werden kann. Die rechtlichen Leistungen hierfür sind im SGB VIII, SGB IX (schulische Förderung Kapitel 12 § 75) und SGB XII verankert. Die resultierenden Möglichkeiten sind, dass vielen Kindern und Jugendlichen eine außerschulische Beschulung und somit gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht wurde. Die Schwierigkeiten sind: „Aufgrund der geltenden Rechtslage und der unterschiedlichen Zuständigkeiten entstehen in der Praxis Schnittstellenprobleme zwischen den Hilfesystemen. Diese bringen negative Konsequenzen für junge Menschen und ihre Eltern bei der Leistungsgewährung“ (BAGFW 2014). Zwei Entwicklungen stellen die Institution Schule und Jugendhilfe derzeit vor große Aufgaben. Einmal hat die Anzahl der Kinder und Jugendlichen mit Mehrfach-Belastungen und Traumatisierungen stark zugenommen und die Schulverweigerungszahlen steigen. Zweitens besteht das Bestreben seitens der Politik die Kinder- und Jugendhilfe zu einem inklusiven Hilfesystem weiterzuentwickeln, um die oben genannte Schnittstellenproblematik zu überwinden (BAGFW 2014). Diese Gesetzesinitiative bietet eine Chance für Menschen mit körperlichem, geistigem oder seelischem Förderbedarf, wirklich Teilhabe in der Gesellschaft erleben zu dürfen, und es bietet die Chance für eine Entwicklung hin zu einer inklusiven Gesellschaft. Bedeutung und Verständnis von Erlebnispädagogik Allgemein wird unter Erlebnispädagogik „[…] ein handlungsorientiertes Erziehungs- und Bildungskonzept (verstanden, Anm. BB). Physisch, psychisch und sozial herausfordernde, nicht alltägliche, erlebnisintensive Aktivitäten dienen als Medium zur Förderung ganzheitlicher Lern- und Entwicklungsprozesse. Ziel ist es, Menschen in ihrer Persönlichkeitsentfaltung zu unterstützen und zur verantwortlichen Mitwirkung in der Gesellschaft zu ermutigen“ (Paffrath 2013, 21). 158 uj 4 | 2019 Erlebnispädagogische Ansätze im schulischen Kontext Dies geschieht im Besonderen durch die aktive Auseinandersetzung mit der Situation und deren Bewältigung sowie dem Erfahren der Konsequenz der eigenen Handlung. Das Erfahren von Selbstwirksamkeit und eine Erweiterung des eigenen Handlungsspielraumes werden ermöglicht. Unabdinglich ist dabei eine Reflexion, die in verschiedensten Formen Kinder und Jugendliche in ihren Erfahrungen begleitet und somit einen Transfer in den Alltag garantieren soll (Heckmair/ Michl 2008; Boeger/ Schut 2005). Im schulischen Kontext kann Erlebnispädagogik vor allem als Gegenpol zur leistungsorientierten Wissensvermittlung angesehen werden. Schulen haben nicht nur die Aufgabe, Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln. Sie sollen auch zu verantwortlichem Gebrauch der Werte Freiheit, Toleranz, friedlicher Gesinnung, europäischem Bewusstsein, Demokratie, Gleichberechtigung, Verantwortungsbewusstsein und Achtung vor anderen Menschen erziehen (vgl. BayEUG 2019). Diese Aufgabe kann nicht durch rein kognitive Wissensvermittlung bewältigt werden, was auch die kompetenzorientierte Zielsetzung des Lehrplans plus auf curricularer Ebene beweist (Lehrplan plus 2019). Ein Verständnis und Befähigung dieser Zielsetzung bedarf dem Erleben und der Auseinandersetzung mit anderen Menschen, Situationen, Anforderungen und eigenen Ressourcen. Möglichkeiten, Herausforderungen und Grenzen von Erlebnispädagogik im schulischen Kontext Erlebnispädagogik ist in der schulischen Praxis in unterschiedlichen Ausprägungen und Variationen mehr oder weniger etabliert. Teilweise findet sie „nur“ als reines Zusatzangebot an Wandertagen, Projekttagen oder Schullandheimen statt. Teilweise werden Klassen in Form von Jahresprogrammen erlebnispädagogisch gefördert (Greif 2018; Steffenhagen/ Straube 2018). Teilweise bestehen Programme an Schulen, erlebnispädagogische Angebote zu bestimmten Anlässen durchzuführen (bspw. neue Klassenzusammensetzung, Übertritt). Zu diesen vorhandenen Projekten kommt ein positiver Effekt hinzu. Durch eine zunehmende Popularität erlebnispädagogischer Maßnahmen zeigen Studierende im Lehramt erhöhtes Interesse, sich in diesem Bereich weiterzuqualifizieren (Beispielhaft können hier die Erfahrungen der Universität Augsburg angeführt werden, an der die Nachfrage am Modul Erlebnispädagogik im Lehramt seit Jahren kontinuierlich steigt.). Mit einer vorhandenen Qualifikation kann Erlebnispädagogik „bei Bedarf“, „zur Unterstützung“ oder „als Ergänzung zum Curriculum“ Anwendung finden und nicht nur zu besonderen Anlässen ein gebuchtes Programm bieten. Damit verbunden muss die Herausforderung angesprochen werden, derer sich Lehrkräfte stellen müssen. Curriculare Inhalte sind in der Regel leistungsorientiert und werden durch Noten bewertet. Erlebnispädagogische Angebote sind prozessorientiert und bedürfen einer Begleitung, die auch Scheitern oder andere Wege (sofern kein Sicherheitsrisiko besteht) erlauben. Die damit entstehende Doppelrolle ist nicht immer leicht zu meistern und stellt eine Herausforderung dar. Damit können auch direkt die Grenzen erlebnispädagogischer Maßnahmen im schulischen Kontext angesprochen werden. Diese werden vor allem durch Zeitmangel und Leistungsorientierung bestimmt. Beispielhaft werden drei Möglichkeiten von Erlebnispädagogik im Bereich Schule aufgezeigt (Bous 2018): Aus den Ergebnissen der PISA-Studie resultierte, dass gerade Kinder aus bildungsferneren Elternhäusern oder aus Familien mit Migrationshintergrund vermehrt als Bildungsverlierer aus der Schullaufbahn ausscheiden. Auf der Suche nach den Ursachen wird oftmals die nicht positive Bewältigung von Übergängen (Transitionen) als ein Grund manifestiert. Ergebnisse aus der Transitionsforschung zeigen, dass für eine positive Übergangsbewältigung vor allem Freundschaftsbeziehungen und soziale Kom- 159 uj 4 | 2019 Erlebnispädagogische Ansätze im schulischen Kontext petenzen hilfreich waren (Müller 2014; Denner/ Schumacher 2014). In vielen Schulen sind aufgrund der Erkenntnisse Mentoren-Programme oder Kennenlern-Tage obsolet (Amrehn/ Schmitt 2012). Dennoch können Freundschaftsbeziehungen oder soziale Verhaltensweisen nicht per Knopfdruck entstehen. Die dauerhafte Einführung erlebnispädagogischer Kennenlern-, Vertrauens- oder Kooperationsübungen kann helfen, dass sich alle Kinder einer Klasse kennenlernen und Vertrauen ineinander schöpfen können, um somit Übergänge zu erleichtern. Unter den Schlagwörtern „Lernen außerhalb des Klassenzimmers“, „Erlebnispädagogik im Unterricht“ oder „Draußenunterricht“ finden sich weitere Beispiele, wie handlungsorientierte Möglichkeiten schulisches Lernen ergänzen können. Komplexe Sachverhalte werden greifbar gemacht (vgl. Au/ Gade 2016; Stiftung Silviva 2018). Die Vermittlung des Lerngegenstandes am Lernort kann ein Arrangement bieten, das unterschiedlichste Sinnesebenen anspricht um so einer Überreizung - von vor allem Seh- und Hörsinn - in modernen Lebenswelten vorzubeugen (Gebhard 2009). Am Beispiel Ganztagsschule kann ein weiterer Zugang von Erlebnispädagogik im Schulrahmen manifestiert werden. Erlebnispädagogik als AG (Weber 2017), als erlebnis- und erfahrungsorientierte Angebote wie Schulgarten oder Zirkus können Entwicklungsbereiche fördern, die in der Kindheit und Jugend zu meistern sind, wie bspw. Binden, Qualifizieren, Konsumieren, Partizipieren und resultierend eine Persönlichkeitsentwicklung (Bründel/ Hurrelmann 2017). Empfehlung für die Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe Erlebnispädagogische Maßnahmen werden im schulischen Rahmen in der Regel im Klassenkontext angeboten. Irrtümlicherweise entsteht deshalb der Eindruck, Erlebnispädagogik sei eine reine Gruppenmaßnahme. Dies ist allerdings falsch. Durch die Resonanz aus der Gruppe kann die eigene Handlung, Haltung und Erfahren der Konsequenzen zur Selbstwirksamkeit und sozialem Lernen beim Einzelnen beitragen. Die Einsicht und Veränderung geschieht beim Individuum selbst. Um Selbstwirksamkeit zu erleben, bedarf es aber andere Individuen oder die soziale Gemeinschaft. Deshalb ist eine Reflexion auf Basis demokratischer Wertordnung sehr bedeutend. An dieser Stelle muss die Jugendsozialarbeit im Kontext Schule ansetzen und aus diesem Grund ist eine Inklusion von Kindern und Jugendlichen, die unter den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe fallen, sehr bedeutsam, aber auch herausfordernd. Sie benötigen die soziale Gemeinschaft als Lernrahmen für soziales Handeln. Kinder und Jugendliche, die im Rahmen von Jugendhilfemaßnahmen beschult werden, sehnen sich oftmals nach „Normalität“ und „Halt“. Erlebnispädagogische Kennenlern-, Vertrauens-, Team- oder Kooperationsübungen wirken vor allem auf der Beziehungsebene, wodurch Freundschaftsbeziehungen und eine Klassengemeinschaft gebildet werden können. Wenn ein grundständiges Kennen und Vertrauen in der Klassengemeinschaft vorherrscht, besteht auch eine Möglichkeit, Transparenz in die persönliche seelische Beeinträchtigung zu geben und dadurch Verständnis und Rückhalt von der Klasse oder Einzelnen zu erhalten. Das Erleben von Selbstwirksamkeit in handlungsorientierten Szenarien kann zu einem positiven Selbstwert und Erweiterung des eigenen Handlungsspielraums führen. Erlebnispädagogische Bauprojekte und unterschiedliche Aktivitäten versuchen dem Jugendlichen ein Gefühl der Expertise/ Selbstwirksamkeit zu geben (Lorenz 2008). Am Beispiel des Bogenbaus wird aus einem Stück Holz und Seil ein Bogen und eine Sehne erstellt. Dabei ist nicht nur Achtsamkeit, Kraftaufwand oder Genauigkeit beim Hobeln des Bogens gefordert. Die direkte 160 uj 4 | 2019 Erlebnispädagogische Ansätze im schulischen Kontext Konsequenz des eigenen Handelns zeigt sich spätestens nach der Fertigstellung oder beim Versuch, den Bogen zu spannen und einen Pfeil damit zu schießen. Ist der Bogen zu starr, hat man möglicherweise zu wenig stark gearbeitet. Ist der Bogen zu dünn oder sogar schon gebrochen, hat man zu viel gearbeitet oder zu schnell/ unaufmerksam … Der Vorteil daran ist: Der Prozess des Bauens wird durch den Erbauer selbst gestaltet, das Holz widerspricht nicht und ein Lösungsweg außerhalb des frustrationsgeladenen Schulalltags des Jugendlichen kann erlebt werden. Durch eine pädagogische Begleitung und Reflexion des Bauprozesses können eigene Verhaltensweisen erkannt und neue Verhaltensweisen aufgebaut werden, um somit eine Übertragung des Gelernten in den Alltag zu ermöglichen. Andere Projekte der Kinder- und Jugendhilfe im schulischen Kontext nutzen unter anderem Töpferarbeiten, Kunstprojekte, Klettern etc. Eine Beschulung des Lerngegenstandes am Lernort könnte vor allem bei Schulverweigerung die Möglichkeit geben, Schule besser „auszuhalten“, und somit zu einer „Heilung“ beitragen. Durch eine Zusammenarbeit von Lehre und Jugendsozialarbeit an Schulen können Synergieeffekte auf beiden Seiten entstehen. Auf der individuellen Ebene der „Regelschüler“ bietet Vertrauen eine Basis, Übergänge besser zu meistern. Die Kinder- und Jugendhilfe profitiert durch die Möglichkeit von „Normalität und Halt“. Für Lehrkräfte kann durch die Unterstützung der Jugendsozialarbeit Verhalten von Jugendlichen „verstehbar“ gemacht werden, wodurch eine neue Beziehungs- und Haltungsebene entwickelt werden kann. Fazit: Spannungsgeladene Herausforderungen meistern Die wichtigste Möglichkeit, die erlebnispädagogische Szenarien bieten, ist, die eigene Haltung zu verändern, was gerade in Bildungs- und Erziehungsprozessen vor allem für Lehrer, aber auch Eltern oder Kinder- und Jugendliche von elementarer Bedeutung ist. Dennoch soll die Herausforderung des Spannungsverhältnisses zwischen Schule und Kinder- und Jugendhilfe nicht verharmlost werden: ➤ Die Kinder- und Jugendhilfe soll im System Schule funktionales Verhalten bei Kindern und Jugendlichen aufbauen, um dysfunktionales Verhalten abzubauen oder abzulösen (Baig-Schneider/ Hierl/ Mesic 2017), dabei gilt: Die „Klienten“ der Kinder- und Jugendhilfe im Kontext Schule sind vermehrt mehrfach belastet oder traumatisiert, damit steigt die Herausforderung - teils zur Überforderung - für Protagonisten der Jugendsozialarbeit, aber auch bei Lehrkräften, vor allem im Bereich Bindung. ➤ Das Phänomen der Schulverweigerung beginnt schon lange vor dem physischen Fernbleiben und resultiert oftmals aus sogenannten Multiproblemlagen (Ricking 2003), dennoch werden Hilfesysteme oftmals erst sehr spät involviert. Erlebnispädagogische Maßnahmen werden hier nicht zur Prävention, sondern zur Schadensbegrenzung eingeführt, was eine Wirksamkeit erschwert (Klawe 2008). ➤ Der hohe Grad an Selektion und Exklusion im Bildungssystem erschwert die Inklusion von Kindern und Jugendlichen in schwierigen Lebenssituationen. Dies beleuchtet auch eine „Schnittstellenproblematik“ des Spannungsfeldes Schule vs. Jugendsozialarbeit. Schule legt vorrangig den Fokus auf Bildungsprozesse, die Jugendsozialarbeit fokussiert vor allem Erziehungs- und Entwicklungsprozesse. ➤ Zunehmende Anforderungen durch Folgen von Digitalisierung und gesellschaftlichem Wandel in allen Erziehungs- und Bildungsbereichen erhöhen die Herausforderungen bei Problemlagen. 161 uj 4 | 2019 Erlebnispädagogische Ansätze im schulischen Kontext Der Weg zu einer „inklusiveren“ Kinder- und Jugendhilfe ist ein langer Prozess, der nicht immer leicht zu meistern sein wird. Der erste Meilenstein, die Kinder- und Jugendhilfe direkt vor Ort, ist schon gelegt. Der weitere Part, dass beispielsweise erlebnispädagogische Maßnahmen als Prävention anerkannt und regelmäßig eingeführt werden, wäre ein weiterer, um Synergien zu nutzen, um handlungsfähiger zu werden. Nun bleibt zu hoffen, dass die Gesetzesinitiative für diese Entwicklung einen geeigneten Rahmen schafft. Dr. Barbara Bous Universität Augsburg am Lehrstuhl für Pädagogik Universitätsstr. 10 86159 Augsburg E-Mail: barbara.bous@phil.uni-augsburg.de Thomas Ziegler Keep-Jugendhilfe Bamberger Straße 60 97359 Schwarzach am Main E-Mail: ziegler@keep-jugendhilfe.de Literatur Amrehn, I., Schmitt, R. (Hrsg.) (2012): Übergänge gestalten! Von der Grundschule in die weiterführenden Schulen. Organisationshilfen - Praxismaterialien - Vorlagen für die Elternarbeit. Auer, Donauwörth Au, J. von, Gade, U. (Hrsg.) (2016): „Raus aus dem Klassenzimmer“. Outdoor Education als Unterrichtskonzept. 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