eJournals unsere jugend 71/5

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2019.art33d
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2019
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Perspektiven der Berufsgruppen Polizei und Soziale Arbeit

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2019
Jürgen E. Schwab
Werner Nickolai
Die empirische Feldstudie bietet Einblick in Selbst- und Fremdbilder, Handlungsmuster und Sichtweisen der Berufsgruppen Polizei und Soziale Arbeit. Ihr Verhältnis und ihre Vernetzung sind im Gegensatz zu früher konstruktiv gepolt. Eine fachlich-professionelle Debatte über Selbst- und Fremdbilder kann dazu beitragen, professionelle Haltungen und Profile zu klären.
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201 unsere jugend, 71. Jg., S. 201 - 206 (2019) DOI 10.2378/ uj2019.art33d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Prof. Dr. Jürgen E. Schwab Jg. 1961; Diplom-Sozialpädagoge, Erziehungs- und Sozialwissenschaftler, Professor für Sozialisation und Bildung an der Katholischen Hochschule Freiburg Perspektiven der Berufsgruppen Polizei und Soziale Arbeit Eine Feldstudie zu Fremd- und Selbstbildern Die empirische Feldstudie bietet Einblick in Selbst- und Fremdbilder, Handlungsmuster und Sichtweisen der Berufsgruppen Polizei und Soziale Arbeit. Ihr Verhältnis und ihre Vernetzung sind im Gegensatz zu früher konstruktiv gepolt. Eine fachlich-professionelle Debatte über Selbst- und Fremdbilder kann dazu beitragen, professionelle Haltungen und Profile zu klären. Einleitung Soziale Arbeit und Polizei, das sind zwei organisatorische Bereiche mit unterschiedlichen Berufsgruppen und Kulturen. Beide bearbeiten im gesellschaftlichen Auftrag soziale Probleme. Die Akteure arbeiten im Alltag nebeneinander und kooperieren mitunter als Partner, u. a. bezogen auf Jugendliche als Adressaten. Sie arbeiten häufig mit dem gleichen, manchmal selben Klientel. SozialpädagogInnen in der Jugendhilfe haben den Auftrag, Jugendliche in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu fördern (SGB VIII § 1). PolizistInnen sind gefragt, wenn es darum geht, abweichendes Verhalten und Regelverstöße zu ahnden. Beide sind damit befasst, jugendliche Entwicklung zu Mitgliedern der Gesellschaft zu unterstützen. Die jeweilige Auftragslage bedeutet, je eigene Rollen, Konzepte und Handlungsmethoden zu haben. Berührungen oder gar Schnittmengen lassen sich erkennen, wo Jugendliche von der Norm abweichendes Verhalten zeigen und mit gesellschaftlichen bzw. gesetzlichen Regeln in Konflikt geraten. Deviantes Verhalten, was zu erwarten ist oder schon vorliegt, steht im (präventiven) Fokus beider Berufsgruppen. In ihrer Sozialisation kommen Jugendliche gelegentlich mit Angeboten beider in Berührung, etwa der Prävention von riskantem Verhalten wie bei Gewalt, Mobbing oder Drogengebrauch. Wenn bis in die 1970er Jahre Soziale Arbeit mit der Polizei - und wohl auch umgekehrt - nichts zu tun haben wollte, hat sich dies verändert. Dies hat uns als Wissenschaftler veranlasst, lokale Vertreter aus dem Feld zu Wort kommen zu lassen. Im Zentrum des Artikels stehen Fragen, wie sich VertreterInnen der Berufsgruppen, JugendsachbearbeiterInnen der Prof. Werner Nickolai Jg. 1950; Diplom-Sozialarbeiter, Professor für Soziale Arbeit und Straffälligenhilfe an der Katholischen Hochschule Freiburg 202 uj 5 | 2019 Fremd- und Selbstbilder Polizei und Soziale Arbeit Polizei und die SozialarbeiterInnen, selbst sehen und welche Wahrnehmungen sie von der jeweils anderen Gruppe haben. Fragestellung und berufliche Rollen Sollte ein Sozialarbeiter, dem das Vertrauen von Jugendlichen geschenkt wird, mit der Polizei in Kontakt stehen oder sich gar regelmäßig mit ihr austauschen? Gefährdet er allein dadurch nicht schon seine besondere Rolle und das ihm vom Jugendlichen geschenkte Vertrauen? Ist Kooperation angesichts unterschiedlicher Rollen und Aufgaben der beiden Berufsgruppen vernünftig? Diese Fragen stehen im engen Verhältnis zum beruflichen Selbst- und Rollenverständnis sowie der Wahrnehmung des Gegenübers. Über individuelle Unterschiede hinaus gehen wir allerdings davon aus, dass eine berufliche Rolle von typischen Momenten, wie Auftrag, Repertoire an Arbeits- und Handlungsweisen und fachlichem Selbstverständnis, strukturiert wird (Becker-Lenz u. a. 2013). Dem sind wir mit einer qualitativen Befragung von VertreterInnen beider Gruppen nachgegangen. JugendsachbearbeiterInnen der Polizei und die SozialarbeiterInnen haben mit der gleichen Klientel zu tun. Soziale Arbeit setzt auf Bildung und Erziehungsmaßnahmen, die Polizei auf Kriminalprävention und Repression. Die Polizei unterliegt dem Legalitätsprinzip, d. h., dass sie die Aufgabe hat, Straftaten zu verfolgen. Die Polizei ist neben Strafverfolgung auch präventiv tätig. Ihr Ziel ist es, Kriminalität vorzubeugen. Der Präventionsgedanke, dem sich die Soziale Arbeit verpflichtet fühlt, ist demgegenüber vom Bildungs- und Erziehungsverständnis her geprägt und geht deutlich weiter. In § 1 SGB VIII wird das Recht des jungen Menschen auf„Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ normiert. Kinder- und Jugendhilfe setzt auf Persönlichkeitsentwicklung, Bildung, Beziehungsangebot und Erziehungsmaßnahmen (vgl. dazu §§ 1, 11, 13, 14 erzieherischer Kinder- und Jugendschutz). Design der Feldstudie Die regionale Feldstudie wurde im Rahmen eines Empirieseminars unter Beteiligung von Studierenden des B. A. Soziale Arbeit und des B. A. Pädagogik an der Kath. Hochschule Freiburg konzipiert. Grundlegend war hier eine inhaltliche Auseinandersetzung und Klärung wesentlicher Dimensionen der Untersuchung, insbesondere zu Beruf, beruflicher Rolle, Handlungsfeld und Kriterien von Professionalität (vgl. Becker-Lenz u. a. 2013; Dietsch, Gloss 2005; Schwab 2012 b; Thole 2002). Die Studie untersucht die Berufsgruppen der PolizeibeamtInnen und SozialarbeiterInnen mit ihrem Selbstbild der eigenen sowie dem Fremdbild der je anderen Berufsgruppe. Ausgehend von der zentralen Fragestellung der gegenseitigen Sichtweisen beider Berufsgruppen in Kooperationen wurde die empirische Umsetzung entwickelt. Der Forschungsprozess wurde nach dem idealtypischen sequenziellen Phasenmodell in fünf Phasen organisiert (Schwab 2012 a: 39f ). In Phase 1 wurde zunächst in Forschungsinteresse und Feld eingeführt. Der Feldzugang wurde über Kontakte mit drei Polizeibeamten und einem Sozialarbeiter im Raum Freiburg hergestellt. Das Interesse folgt den Kooperationen in drei Feldern. In Phase 2 wurden der Forschungsprozess organisiert und das vorgesehene Design mit der Methodenwahl kommuniziert. Der Erhebung der Daten 2015 in Phase 3 schloss sich 2016/ 17 die diskursive Auswertung an (Phase 4). Die Themen wurden in fünf Codes gegliedert (vgl. Nickolai/ Schwab 2017). In diesem Artikel werden zwei daraus vorgestellt: ➤ die Sicht auf die eigene Berufsgruppe, u. a. „Warum haben Sie den Beruf des (x) ergriffen? “ (Selbstbild); ➤ und die Sicht auf die jeweils andere Berufsgruppe, u. a. „Wie würden Sie die andere Berufsgruppe beschreiben? “ (Fremdbild) Weiteres, wie der entwickelte Interviewleitfaden und alle ausgewerteten Themen, ist in der Studie veröffentlicht (Nickolai/ Schwab 2017). 203 uj 5 | 2019 Fremd- und Selbstbilder Polizei und Soziale Arbeit Wer wurde befragt? Es kamen nur VertreterInnen aus solchen Feldern in Frage, in denen ein direkter beruflicher Kontakt mit Jugendlichen und mit der anderen Berufsgruppe existierte. Die drei sozialpädagogischen Handlungsfelder, die dies erfüllen, sind die „Offene Kinder- und Jugendarbeit“ in Freiburg bzw. im Landkreis Breisgau Hochschwarzwald, die „Jugendhilfe im Strafverfahren“ (JuHiS) der Stadt Freiburg bzw. der Jugendgerichtshilfe des Landkreises Breisgau Hochschwarzwald und das Fußballfanprojekt Freiburg in Trägerschaft des Jugendhilfswerks Freiburg. Die interviewten SozialarbeiterInnen kamen zu gleichen Teilen aus den drei Feldern. Seitens der Polizei sind es vor allem sogenannte JugendsachbearbeiterInnen sowie BeamtInnen in der Fanarbeit. Die Auswahl der Befragten geschah nach Anzahl aus beiden Berufsgruppen gleich. Die Befragten wurden nach Zufallsprinzip ausgewählt (Schwab 2012 a). Es wurden aus beiden Berufsgruppen jeweils elf Personen befragt (n = 22). Jede/ r hat einen Kurzfragebogen ausgefüllt mit Angaben zur Person, u. a. Geschlecht, Bildungsabschluss, Dauer der Berufstätigkeit und Lebensalter. Es fällt im Vergleich der Zusammensetzung beider Gruppen zweierlei auf: ➤ Einmal ist der Anteil der befragten männlichen Mitarbeiter bei der Polizei mit zehn von elf Befragten erheblich höher als bei den SozialarbeiterInnen (sieben Männer und vier Frauen). ➤ Der zweite markante Unterschied ist die Berufserfahrung: Die allgemeine Berufserfahrung der befragten PolizistInnen, also nicht nur die Zeit in der Rolle als JugendsachbearbeiterInnen, beträgt zwischen 25 und 41 Jahren. Sie sind mit durchschnittlich 33,5 Berufsjahren deutlich berufserfahrener im Vergleich zum entsprechenden Wert der SozialarbeiterInnen mit nur 13,2 Jahren. Der höhere Anteil der Frauen auf Seiten der Sozialen Arbeit erscheint plausibel, da dies etwa dem Verhältnis im Studium mit einem Frauenanteil um 65 % entspricht. Natürlich handelt es sich hier um eine qualitative Studie, die nicht repräsentativ ist. Von den elf befragten PolizeibeamtInnen - zehn Männer und eine Frau - waren neun aktuell als JugendsachbearbeiterInnen tätig und zwei Ehemalige, die früher diese Rolle ausgeübt haben. In der Rolle als JugendsachbearbeiterInnen sind sie zum Zeitpunkt der Befragung zwischen 5 und 34 Jahren beruflich tätig gewesen (Nickolai/ Schwab 2017). Der qualitative Ansatz der Feldstudie ermöglicht es, persönliche Sichtweisen und Erfahrungen alltagsnah zu explorieren. Als Instrument wurden teilstrukturierte Interviews eingesetzt (Schwab 2012 a). In der Auswertung wurden die Rohdaten nach Themen mit MAXQDA codiert und zu fünf Codes jeweils Ergebnisthesen gebildet (Schwab 2012 a, 212ff; Nickolai/ Schwab 2014). Berufliche Selbstbilder PolizistInnen sehen sich selbst als „ganz normale Berufsgruppe“, die einen Querschnitt der Bevölkerung repräsentiere mit sehr unterschiedlichen Charakteren. Je nachdem was politisch gewollt ist, sei die Polizei eher „Freund und Helfer“ oder repressiv. Jedem Menschen in jeder Lebenslage zu helfen und das Beste daraus zu machen, ist das, was den Polizeiberuf ausmache. Für den Beruf der Polizei brauche es eine sehr hohe soziale Kompetenz und ein „Faible“ dafür, mit Menschen umzugehen. Geduld, verbale Stärken und Überzeugungskraft seien existenziell. JugendsachbearbeiterInnen würden innerhalb der Polizei jedoch nicht ernst genommen. Manchmal fehle es ihnen an Rückendeckung durch Vorgesetzte. Entsprechend sei es nicht immer leicht, die Rolle überzeugt auszuüben. Das Selbstverständnis von PolizistInnen sei stark generationsabhängig. Hatte die ältere Generation noch das hehre Ziel, etwas zu verändern, sehe die junge Generation den Beruf eher als Job. War die Polizei, insbesondere auf dem Land, vor 30 und mehr Jahren noch mit dem Beruf des Pfarrers/ der 204 uj 5 | 2019 Fremd- und Selbstbilder Polizei und Soziale Arbeit Pfarrerin und des Arztes/ der Ärztin auf einer Stufe, so habe sie heute an Ansehen verloren. Die Polizei habe weniger Handlungsspielräume, was ihr Berufsbild mitpräge. Das Durchsetzen von Gesetzen, auch wenn sie persönlichen Einstellungen entgegenstehen, sei eine wichtige Aufgabe. JugendsachbearbeiterInnen äußern, innerhalb der Polizei nicht ausreichend ernst genommen zu werden. Manchmal fehle es an Rückendeckung. PolizistInnen beklagen einen gefühlten gesellschaftlichen Imageverlust, mit dem sie, neben Gruppen wie ÄrztInnen und PfarrerInnen auf dem Land, wohl nicht alleine dastehen. Andererseits zeigte eine Berufs- Image-Studie, dass es um das Image der Polizei in der deutschen Bevölkerung gut bestellt ist. Im Vertrauen teilen sich PolizistInnen mit LehrerInnen den neunten Rang von 16 in der Skala der vertrauenswürdigen Berufe (vgl. GfK Verein 2016). SozialarbeiterInnen sehen sich mit ihrer gesellschaftlichen Aufgabe als bedeutsame Akteure, die eine hohe Sozialkompetenz benötigen. Zur bunten Berufsgruppe gehören sehr unterschiedliche Typen. Im gesellschaftlichen Status fühlen sich SozialarbeiterInnen als Berufsgruppe unterbewertet. Die hohe Verantwortlichkeit würde in der Bezahlung nicht adäquat zum Ausdruck gebracht und so nicht ausreichend anerkannt. Sie sehen mit ihrer Rolle verbunden die hohe Bedeutung einer natürlichen Autorität und die Bedeutung von Persönlichkeit, Engagement und der inneren Überzeugung für die Arbeit. Die Messbarkeit von Erfolgen gestalte sich schwierig, was ein weiterer Grund für fehlende Anerkennung sein könne. Der gesellschaftliche Status von SozialarbeiterInnen hänge auch davon ab, mit welcher Klientel und in welcher Position sie tätig seien. SozialarbeiterInnen besetzten kaum Führungspositionen. Innere Überzeugung und eine grundlegende Hoffnung auf das Gute in der Welt und im Menschen sollten SozialarbeiterInnen mitbringen. Ihre Aufgabe sei es, mit Menschen gemeinsam individuelle Lösungswege zu suchen. Transparenz und Offenheit in der Arbeit mit den KlientInnen erscheinen wesentlich. SozialarbeiterInnen sollten auch an sich selbst denken und sich abgrenzen können (vgl. Nickolai/ Schwab 2017; Schwab 2018). Die beruflichen Selbstbilder der Gruppen weisen manche Gemeinsamkeit auf. SozialarbeiterInnen wie PolizistInnen sehen sich selbst als wertvolle gesellschaftliche Akteure für die Sozialisation von Jugendlichen. Beide nehmen die eigene Berufsgruppe als sehr heterogen wahr, die unterschiedliche Charaktere und Beweggründe umfasse. Beide bewerten soziale Kompetenz als äußerst bedeutsam für ihre Rolle. Eine Autorität ist für beide auf unterschiedliche Art wesentlich. Die Polizei beschreibt sich selbst als zielorientierter und besser in der Lage dazu, Gefahren einschätzen zu können. Beide fühlen sich in ihrem gesellschaftlichen Status und in ihrer Bezahlung unterbewertet. Berufliche Fremdbilder Die Sicht der Polizei auf Soziale Arbeit ist nicht einheitlich. Betont wird, dass Soziale Arbeit sehr wichtig sei. Die Zusammenarbeit funktioniere - „alle blasen in ein Horn“ - mit der Sozialarbeit, die ihren Job sehr gut mache (Nickolai/ Schwab 2017). SozialarbeiterInnen werden als umgänglich, offen und bedarfsorientiert erlebt. Sie versuchen, die Position der Jugendlichen zu verbessern. Während die Polizei sich um die Straftat kümmert, wäre alles andere ihre Aufgabe. SozialarbeiterInnen hätten den „Rundumblick“, werden andererseits auch als blauäugig und naiv bezeichnet und würden zu oft an das Gute im Menschen glauben. Ein Polizist sieht bei der Strafverfolgung Grenzen, wenn die Polizei gegen den Willen des Kindes entscheiden müsse. SozialarbeiterInnen hätten hier zum Teil Defizite in der Gefahreneinschätzung (Nickolai/ Schwab 2017; Schwab 2018). Unterschiedliche Betrachtungsweisen des Kindeswohls führen zu Unverständnis. 205 uj 5 | 2019 Fremd- und Selbstbilder Polizei und Soziale Arbeit Es schmälert allerdings nicht die positive Wahrnehmung und hohe Bedeutung der Sozialen Arbeit in den Augen der PolizistInnen. Die Anerkennung wird deutlich, wenn eine politische Initiative für eine bessere Stellenausstattung der Sozialen Arbeit mit unterstützt wird. SozialarbeiterInnen sehen die Hauptaufgabe der Polizei in Strafverfolgung und Ermittlungsarbeit. Die Verhinderung von Straftaten durch Prävention gehöre ebenso dazu wie die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung mit der Einhaltung der Gesetze. Für PolizistInnen gehen sie von einer institutionellen Autorität aus, die ihnen qua Rolle zugesprochen wird. Die Tätigkeit der Polizei sei so unterschiedlich, dass, ähnlich wie bei der Sozialen Arbeit, von „der Polizei“ kaum gesprochen werden könne. In der beruflichen Tätigkeit werden PolizistInnen zum Teil als übergriffig erlebt, wenn sie unvermittelt in der Offenen Jugendarbeit auftauchen. Es fehle manchmal an der notwendigen Abgrenzung zur Sozialen Arbeit. Eine Voraussetzung, die nicht immer gegeben sei, wäre die Begegnung auf Augenhöhe (vgl. Nickolai/ Schwab 2017). Unterschiedliche Betrachtungsweisen des Kindeswohls führten zu Konflikten. SozialarbeiterInnen wünschen sich mehr Kontinuität auf der Seite der Polizei, die strukturell durch feste Planstellen für JugendsachbearbeiterInnen möglich wäre. Deutlich wird, dass unklare Zuständigkeiten und Erwartungen an die jeweils andere Berufsgruppe zu Reibungen führen. Beide Berufsgruppen äußern Unzufriedenheit über mangelnde gesellschaftliche Anerkennung. SozialarbeiterInnen sehen für sich die Problematik u. a. darin, dass Anerkennung auch abhängig sei vom sozialen Status der Gruppen und KlientInnen, mit denen sie sich beschäftigen. Das Problem der Messbarkeit von Erfolg in der Sozialen Arbeit wird als weiterer Grund gesehen. Zudem wird auf ein starkes Gefälle hingewiesen zwischen dem hohen Anspruch und der großen gesellschaftlichen Bedeutung ihrer sozialpädagogischen Tätigkeit einerseits und dem dazu nicht passenden finanziellen Verdienst andererseits, der als Bestandteil gesellschaftlicher Anerkennung verstanden wird. Empfehlungen Bei beiden Gruppen hat die Erkenntnis Raum gegriffen, den Kontakt zueinander zu pflegen. Die Einblicke in Denken und Einstellungen zeigen: In den letzten Jahrzehnten hat sich das Verhältnis positiv verändert. Das Bild von SozialarbeiterInnen hat sich bei PolizistInnen deutlich verbessert. Der regelmäßige Austausch über Sicht- und Arbeitsweisen bis zu Konsultationen über Situationen und angemessenes Vorgehen der Polizei etwa im Umgang mit Fußballfans belegen dies. Da SozialpädagogInnen häufig mit denselben Personen arbeiten wie PolizistInnen, wird Austausch von beiden als wichtig erachtet. SozialarbeiterInnen, die sozialraumorientiert arbeiten, sollten mit JugendsachbearbeiterInnen der Polizei im Netzwerk kooperieren. Dies ermöglicht, ein umfassenderes Bild von Jugendlichen zu gewinnen. Soziale Arbeit ist auf ein besonderes Vertrauensverhältnis zu Jugendlichen angewiesen. Wenn sie auch kein Zeugnisverweigerungsrecht hat, so unterliegt sie dennoch der Schweigepflicht, die das Vertrauensverhältnis schützt. Damit sind Grenzen gesetzt, die es seitens der Polizei zu respektieren gilt. In der Praxis hat sich die „Ein-Weg-Kommunikation“ bewährt: Die Polizei gibt ihr Wissen an SozialarbeiterInnen weiter, verzichtet aber auf Auskünfte der Sozialarbeit, um die Arbeit mit den Jugendlichen nicht zu gefährden. Zwischen JugendsachbearbeiterInnen der Polizei und SozialarbeiterInnen findet neben formellem auch informeller Austausch außerhalb von Netzwerktreffen statt. Unabdingbar dafür ist ein Vertrauensverhältnis. Um Datenschutz zu gewährleisten, werden Fälle nur anonymisiert besprochen. Das gemeinsame Ziel ist es, 206 uj 5 | 2019 Fremd- und Selbstbilder Polizei und Soziale Arbeit Kindern, Jugendlichen und deren Familien Hilfe zukommen zu lassen. Den Datenschutz nicht einzuhalten, was in Fällen des Kinderschutzes offenbar vorkommt, setzt voraus, dass man sich kennt und vertraut (Nickolai/ Schwab 2017; Schwab 2018). Es ist davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt zwischen SozialarbeiterInnen und JugendsachbearbeiterInnen kein Hindernis für die Arbeit mit Jugendlichen darstellen muss. Eine zu enge Zusammenarbeit gilt aus Sicht der SozialarbeiterInnen mit Verweis auf den Datenschutz als problematisch. Zusammenarbeit darf die Profile und Rollen, so die Aussagen, nicht verwischen. Prof. Dr. Jürgen E. Schwab Katholische Hochschule Freiburg Karlstr. 63 79104 Freiburg Literatur Becker-Lenz, R., Busse, S., Ehlert, G., Müller-Hofmann, S. (2013): Professionalität in der Sozialen Arbeit. Standpunkte - Kontroversen - Perspektiven. VS, Wiesbaden Dietsch, W., Gloss, W. (2005): Handbuch der polizeilichen Jugendarbeit. Richard Boorberg, Stuttgart u. a. GfK Verein (2016): Trust in Professions. In: http: / / www. gfk-verein.org/ compact/ fokusthemen/ weltweitesranking-vertrauenswuerdige-berufe, 28. 9. 2017 Nickolai, W., Schwab, J. E. (2014): Anders als erwartet. Was bleibt von einer deutsch-polnischen Jugendbegegnung zwischen Geschichte und Gegenwart. Reihe MenschenArbeit. Freiburger Studien Bd. 32. Hartung- Gorre, Konstanz Nickolai, W., Schwab, J. E. (2017): Partner in ähnlicher Mission? Polizei und Soziale Arbeit. Reihe Menschen- Arbeit. Freiburger Studien Bd. 35. Hartung-Gorre, Konstanz Schwab, J. E. (2012 a): Ansätze qualitativer Sozialforschung. Methoden - halbstrukturierte Form. In: Stegmann, M., Schwab, J. E. (Hrsg.): Evaluieren und Forschen für die Soziale Arbeit. Ein Arbeits- und Studienbuch. Eigenverlag des Deutschen Vereins f. öffentliche und private Fürsorge e.V., Berlin, 173 - 226 Schwab, J. E. (2012 b): Handlungsfeld Soziale Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen. In: Kricheldorff, C., Becker, M., Schwab, J. E. (Hrsg.): Handlungsfeldorientierung in der Sozialen Arbeit. Kohlhammer, Stuttgart, 36 - 59 Schwab, J. E. (2018): Polizei und Soziale Arbeit - eine unmögliche Kooperation ungleicher Partner? In: Kricheldorff, C., Himmelsbach, I., Epe, H. (Hrsg.): Analyse - Prognose - Innovation. Band 2. Forschung und Entwicklung im Theorie-Praxis-Dialog. Hartung-Gorre, Konstanz, 145 - 175 Sozialgesetzbuch (SGB) - Achtes Buch (VIII) - Kinder- und Jugendhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes v. 26. Juni 1990, BGBl. I S. 1163) Stegmann, M., Schwab, J. E. (Hrsg.) (2012): Evaluieren und Forschen für die Soziale Arbeit. Ein Arbeits- und Studienbuch. Eigenverlag des Deutschen Vereins f. öffentliche und private Fürsorge e.V., Berlin Thole, W. (Hrsg.) (2002): Grundriss Sozialer Arbeit. Ein einführendes Handbuch. Leske + Budrich, Opladen