unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2019.art42d
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Teenagermutterschaften
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2019
Eric Seils
Helge Baumann
Medial sind Teenagermutterschaften von beständigem Interesse. Sex, Drama und süße Kulleraugen interessieren eben jeden. Hier werden Teenagermutterschaften in der Bundesrepublik einmal aus sozialwissenschaftlicher Perspektive unter die Lupe genommen.
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250 unsere jugend, 71. Jg., S. 250 - 257 (2019) DOI 10.2378/ uj2019.art42d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Teenagermutterschaften Verbreitung, Ursachen, Folgen und Empfehlungen Medial sind Teenagermutterschaften von beständigem Interesse. Sex, Drama und süße Kulleraugen interessieren eben jeden. Hier werden Teenagermutterschaften in der Bundesrepublik einmal aus sozialwissenschaftlicher Perspektive unter die Lupe genommen. von Dr. Eric Seils Jg. 1969; Sozialwissenschaftler; Wissenschaftler am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung Einleitung „Wenn Kinder Kinder kriegen“ (RTL II), ist das für die Regenbogenpresse und Doku-Soaps immer ein Thema. In Deutschland sind wissenschaftliche Studien zu den Ursachen und Folgen von Teenagermutterschaften hingegen Mangelware. Vor diesem Hintergrund sollen im vorliegenden Beitrag das international verfügbare Wissen zusammengefasst und mit Blick auf Deutschland die folgenden Fragen beantwortet werden: Wie verbreitet sind Teenagermutterschaften in Deutschland? Welche Einflussfaktoren begünstigen Mutterschaften im jugendlichen Alter? Inwiefern sind Geburten in jungen Jahren mit negativen sozialen Auswirkungen verknüpft? Abschließend werden auf dieser Basis einige Empfehlungen für Politik und Gesellschaft formuliert. Verbreitung von Teenagermutterschaften Legt man Daten von Eurostat zugrunde, dann lag die Geburtenquote der 15bis 19-Jährigen in Deutschland 2016 bei 9,2 Kindern pro 1.000 Mädchen und Frauen dieser Altersgruppe. Gegenüber dem Vorjahr (7,9) stellt dies einen deutlichen Anstieg dar. Analysen auf der Basis von Daten der Regionaldatenbank der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder zeigen, dass dieser Anstieg allein durch die Zunahme der Teenagermutterschaften unter Ausländerinnen zurückzuführen ist, da der Anteil früher Mutterschaften unter deutschen Staatsangehörigen im gleichen Zeitraum zurückgegangen ist. Trotz dieses einwanderungsbedingten Anstiegs sind Teenagermutterschaften in der Bundesrepublik im internationalen Vergleich weiterhin nicht auffällig verbreitet. Euro- Dr. Helge Baumann Jg. 1984; Sozialwissenschaftler; Wissenschaftler am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung 251 uj 6 | 2019 Teenagermutterschaften stat-Daten zufolge weisen Bulgarien (38,0) und Rumänien (36,3) die höchsten Teenagermutterquoten der EU auf. Die wenigsten Geburten in dieser Altersgruppe gibt es in den Niederlanden mit 3,0 und in Dänemark mit 3,5 Kindern pro 1.000 Mädchen und Frauen. In den USA lag die Geburtenquote der 15bis 19-Jährigen 2016 trotz des seit Anfang der 1990er anhaltenden rapiden Sinkfluges noch bei 20,3 Kindern pro 1.000 Frauen (Martin et al. 2018, 4). Beachtlich sind dagegen die in der Abbildung 1 dargestellten regionalen Unterschiede bei der Verbreitung von Teenagermutterschaften. Generell sind die Werte im Osten Deutschlands recht hoch und in Süddeutschland sehr niedrig. Die höchste Geburtenquote unter den 15bis 19-Jährigen weist Frankfurt an der Oder mit 31,4 Geburten von Müttern unter 20 pro 1.000 Frauen zwischen 15 und 19 Jahren auf. Auch der Landkreis Dessau-Roßlau (25,9) und die Uckermark (25,6) haben hohe Werte zu verzeichnen, die in etwa dem Landesdurchschnitt der Slowakei (25,8) entsprechen. Ganz anders sieht es im Landkreis Schweinfurt aus, wo es im Jahr 2016 nur fünf Geburten einer Mutter unter 20 Jahren gab, was einer Quote von 1,6 entspricht. Auch Landsberg am Lech (2,1) und der Landkreis Aichach-Friedberg (2,2) haben sehr niedrige Werte zu verzeichnen. Auffällig ist also weniger die Häufigkeit von Teenagermutterschaften in Deutschland als vielmehr die Unterschiede hinsichtlich der regionalen Verbreitung. Ursachen von Teenagermutterschaften Wie kommt es zu diesen großen regionalen Unterschieden? Um dies verstehen zu können, ist es sinnvoll, Teenagermutterschaften als ein Ergebnis von Entscheidungen aufzufassen, welche den Zeitpunkt des „ersten Mals“, die Empfängnisverhütung und schließlich eine mögliche Abtreibung betreffen. In den USA hat sich aufgrund der großen Verbreitung von Teenagermutterschaften ein Forschungsfeld herausgebildet, das verschiedene Einflussfaktoren an den einzelnen Entscheidungspunkten untersucht hat. Von besonderer Bedeutung sind sozioökonomische Einflussfaktoren (Kearney/ Levine 2012), die Familienkonstellation, die Religion und die Herkunft (Seils 2015). Armut und Chancenlosigkeit Die angelsächsische Literatur liefert zunächst einmal deutliche Hinweise darauf, dass Armut und wirtschaftliche Hoffnungslosigkeit im sozialen Umfeld mit vergleichsweise früher sexueller Aktivität einhergehen (Kearney/ Levine 2012). So konnte die Armutskonzentration in der Abb. 1: Darstellung der regionalen Unterschiede in der Verbreitung von Teenagermutterschaften in Deutschland (2016) bis 5 %0 5 bis 7,5 %0 7,5 bis 10 %0 10 bis 15 %0 15 und mehr %0 Quote Teenager- Mutterschaften: 252 uj 6 | 2019 Teenagermutterschaften Nachbarschaft weitgehend erklären, dass schwarze Jugendliche in Chicago früher Sex haben als weiße Jugendliche (Browning et al. 2004). Bei der Analyse eines kanadischen Datensatzes fanden Dupéré et al. (2008) klare Hinweise darauf, dass Mädchen mit Verhaltensproblemen, die in einer armen Umgebung leben, ein erhöhtes Risiko aufweisen, ihren ersten Geschlechtsverkehr bereits zwischen 12 und 14 Jahren zu haben. In einer weiteren Studie wurde gezeigt, dass eine hohe Jugendarbeitslosigkeit im Umfeld der Jugendlichen die Wahrscheinlichkeit für eine frühe Aufnahme des Geschlechtsverkehrs anhebt (Cubbin et al. 2005). Offenbar veranlasst die mit Armut und Arbeitslosigkeit verbundene Perspektivlosigkeit Jugendliche zu einem riskanteren Sexualverhalten, das sich schließlich in einem erhöhten Schwangerschaftsrisiko von Teenagern niederschlägt (Harding 2003). In der Bundesrepublik ist ebenfalls ein enger Zusammenhang zwischen dem Arbeitslosengeldbezug und einem niedrigen Haushaltseinkommen einerseits und dem Auftreten von Teenagermutterschaften andererseits festzustellen (Cygan-Rehm/ Riphahn 2014). Instabilität von Familien Empirisch ist darüber hinaus klar, dass Töchter von Alleinerziehenden eher zur Mutterschaft im Jugendalter neigen als solche aus vollständigen Familien. Die Literatur beschäftigt sich daher mit der Frage, wie sich die Familienkonstellation auf das Sexualverhalten auswirkt. In einem Theoriestrang werden Teenagerschwangerschaften als Folge der mit Ehescheidungen verbundenen Konflikte, finanziellen Schwierigkeiten und Betreuungsprobleme aufgefasst. Diese zögen bei den Töchtern Stressreaktionen nach sich, die in einem Rückzug aus dem Elternhaus, der Suche nach einer emotionalen Beziehung zu Männern und schließlich in eine Schwangerschaft münden können (Wu/ Martinson 1993). Eine andere Richtung bezieht sich auf die Rolle der Abwesenheit des Vaters. Dieser These zufolge orientieren sich Töchter nach der Trennung ihrer Eltern am Partnerschaftsverhalten der Mutter (Miller/ Brent/ Benson/ Ben 2001, 19; 21). Alternativ wird vermutet, dass Töchter aufgrund der Abwesenheit des Vaters Vorstellungen entwickeln, in denen Vätern bei der Erziehung von Kindern eine geringe Rolle zukommt. Sie weisen daher eine geringere Zurückhaltung bei geschlechtlichen Beziehungen auf und bekommen früher Kinder (Ellis et al. 2003, 801 - 802; 816 - 817). Konfession Landläufig wird immer wieder vermutet, dass religiöse Menschen bzw. solche, die in einem religiösen Umfeld aufwachsen, in sexueller Hinsicht zurückhaltender sind. Entsprechende Studien kommen tatsächlich zu dem Ergebnis, dass religiöse Jugendliche ihr „erstes Mal“ später erleben als Ungläubige oder solche, die in einer säkularen Umgebung aufwachsen. In einer amerikanischen Untersuchung von 15 bis 16 Jahre alten Jungen und Mädchen, die 1996 noch keinen Geschlechtsverkehr hatten, zeigte sich, dass die Jugendlichen, in deren Leben die Religion eine bedeutende Rolle spielte und die häufig zur Kirche gingen, mit höherer Wahrscheinlichkeit 1998 noch nicht mit dem Geschlechtsverkehr begonnen hatten (Hardy/ Raffaelli 2003). Ein anderer Aufsatz kommt für Norwegen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass religiöse Jugendliche später ihren ersten Geschlechtsverkehr haben als gleichaltrige säkulare Jugendliche (Pedersen 2013). Mit Bezug auf Teenagermutterschaften muss jedoch auch beachtet werden, dass Gläubige einerseits beim ersten Mal seltener verhüten und andererseits im Falle einer Schwangerschaft eher dazu neigen, das Kind auszutragen. Eine Studie, die sich allein mit der Wirkung der Religion auf die Empfängnisverhütung beschäftigt, zeigt, dass die Konfession bei Heranwachsenden einen deutlichen Effekt auf die Verhütungspraxis hat. Jugendliche Katholiken in den USA neigen überdurchschnittlich 253 uj 6 | 2019 Teenagermutterschaften häufig zum Sex ohne Verhütung (Kramer et al. 2007). Auf der Ebene von Kreisen in 18 US- Bundesstaaten konnte zudem ein negativer Zusammenhang zwischen dem Anteil der Konfessionsgebundenen und der Zahl der Schwangerschaftsabbrüche im Teenageralter festgestellt werden (Tomal 2001). Herkunft Angesichts des Umstandes, dass sich das Sexualverhalten von Menschen unterschiedlicher Herkunftsgebiete und Kulturen deutlich unterscheidet, wird dies in quantitativen Studien regelmäßig berücksichtigt. In amerikanischen Studien wird etwa die Wirkung unterschiedlicher ethnischer Zusammensetzung der Nachbarschaft auf den Zeitpunkt des „ersten Mals“ bei Jugendlichen analysiert (Cubbin et al. 2005). Fraglich ist jedoch, welchen Wert die Verweise auf unterschiedliche Volksgruppen, Herkunftsgebiete usw. haben, da es sich letztlich nur um Namen handelt, die die zugrunde liegenden Handlungsmotive im Dunkeln lassen. Solange es nicht möglich ist, diese adäquat zu erfassen, dient die Unterscheidung von Menschen unterschiedlicher Herkunftsgebiete in Regressionen dazu, diese unbekannten Einflussfaktoren abzubilden. Im deutschen Kontext ist dies nicht nur wegen der Einwanderung, sondern auch wegen der fortbestehenden Ost-West-Unterschiede erforderlich. Erklärung der regionalen Unterschiede in Deutschland Inwiefern können die Differenzen bei der Verbreitung von Teenagermutterschaften zwischen den deutschen Kreisen durch Unterschiede bei Armut, Herkunft, Religion und die Instabilität von Familien erklärt werden? Die in der Tabelle 1 präsentierten Ergebnisse zweier linearer Regressionen liefern auf diese Frage eine Antwort: Die abhängige Variable, also das, was erklärt werden soll, sind in den beiden Regressionen die unterschiedlichen Teenagermutterquoten in den Kreisen. Die Quote eines jeden Kreises wird als Prozentsatz der Geburten von Müttern unter 20 Jahren an den Mädchen und Frauen in der Altersgruppe zwischen 15 und 19 Jahren ermittelt. Aufgrund der Datenlage ist es unvermeidlich, dass diese Kennziffer auch eine rechnerisch unbedeutende Zahl von Geburten von Mädchen unter 15 Jahren einschließt. Die beiden Modelle berechnen, wie sich der Wert der abhängigen Variable (Anzahl Geburten unter 1.000 Müttern unter 20 im jeweiligen Kreis) verändert, wenn sich die unterschiedlichen erklärenden Variablen (z. B. SGB-II-Quote oder West/ Ost) um eine Einheit verändern. Ein Lesebeispiel: In den neuen Bundesländern sind auf der Kreisebene durchschnittlich 3,08 Geburten unter 1.000 Müttern unter 20 mehr zu erwarten als in den alten Bundesländern. Den Aspekt der Armut und Chancenlosigkeit als eine Ursache von Teenagermutterschaften bilden wir in unseren Regressionen durch den prozentualen Anteil der Personen ab, die im Kreis Leistungen nach dem SGB II („Hartz IV“) erhalten. Diese SGB-II-Quote wird verwendet, weil sie regional tief gegliedert zur Verfügung steht und „Hartz IV“ oft als Inbegriff von Armut angesehen wird. Die Instabilität von Familien wird durch den Prozentsatz der Kinder gemessen, die von Ehescheidungen betroffen sind. Der Grund für diese Operationalisierung besteht darin, dass ein großer Anteil von Kindern, die von Ehescheidungen betroffen sind, auf eine geringe Stabilität von Familien im Kreis hindeutet. Der konfessionelle Einfluss wird wie in der Vorgängerstudie (Seils 2015) durch den Anteil der Katholiken in der Altersgruppe gemessen. Mit Bezug auf Teenagermutterschaften ist es dabei sinnvoll, den Anteil der Katholiken insgesamt im Kreis zu verwenden. Es kommt nämlich nicht nur auf den Glauben der jungen Frau, sondern auch auf die Einstellung ihres Freundes und ihres Umfeldes an. Während die übrigen Daten sich auf das Jahr 2016 beziehen, muss 254 uj 6 | 2019 Teenagermutterschaften hier auf vergleichsweise alte Daten aus dem Zensus 2011 zurückgegriffen werden, da keine neueren Daten vorliegen. Grundsätzlich sollte dies kein großes Problem sein, da sich die Relation der Konfessionsanteile zwischen den Kreisen normalerweise kaum ändern dürfte. Allerdings könnte die jüngste Einwanderungswelle jedoch für gewisse Verschiebungen gesorgt haben, was eine schlechtere Messung zur Folge hätte. Wie oben schon angemerkt, zeigt eine einfache Inspektion der Zeitreihen, dass die jüngste Einwanderungswelle mit einem deutlichen Anstieg der Teenagermutterquote verbunden war. Infolgedessen muss dies in der Regression berücksichtigt werden. Dies geschieht durch den Zuwachs der 15 bis 19 Jahre alten Ausländerinnen zwischen Ende 2014 und Ende 2016 in Prozent der Altersgruppe insgesamt. Die erste Regression (Modell 1) bezieht die Geburtenquoten der Teenagerinnen auf die SGB-II-Quoten. Ziel ist es, zunächst einmal zu schauen, inwiefern die Unterschiede zwischen den Kreisen hinsichtlich der Verbreitung von Teenagermutterschaften allein durch Armut erklärt werden können. Es zeigt sich, dass in dieser einfachen Regression ein Anstieg der SGB-II-Quote um zehn Prozentpunkte mit einem Geburtenanstieg von durchschnittlich 7,7 Kinder auf 1.000 junge Frauen in dem jeweiligen Kreis einhergehen würde. Das R-Quadrat von 0,6 zeigt an, dass 60 Prozent der Unterschiede (Varianz) zwischen den Kreisen rechnerisch allein durch die Armut erklärt werden können. Auch wenn man berücksichtigt, dass es sich um Aggregatdaten handelt, klärt der Indikator für Armut also einen erheblichen Anteil der Varianz auf. In der zweiten Regression (Modell 2), welche alle diskutierten Einflussfaktoren berücksichtigt, schwächt sich der Effekt des SGB-II-Anteils nur geringfügig ab. Ein Anstieg der Hartz-IV-Quote um 10 Prozentpunkte wäre danach im Mittel Abhängige Variable: Teenagermutterquote (Anteil der Geburten von 1000 Müttern zw. 15 - 19 Jahre) Prädiktoren Modell 1 Modell 2 B SE B SE % SGB II % Scheidungskinder % Katholiken % Einwanderung Ost 0.77*** 0.03 0.66*** 0.29 0.01 0.54*** 3.08*** 0.03 0.60 0.01 0.09 0.43 Konstante R 2 korr. Prob. > F 3.47*** .60 .000 0.29 2.74*** .70 .000 0.76 Anzahl Kreise (N) 401 392 Tab. 1: Erklärung der Teenagermutterquote in den deutschen Kreisen durch verschiedene Faktoren (lineare Regression) Anmerkungen: ** p < 0,05; *** p < 0,01. Erläuterungen zu den Prädiktoren im Text. N gibt die Zahl der Kreise an, die in der jeweiligen Regression berücksichtigt wurden. In das erste Regressionsmodell sind alle deutschen Kreise eingegangen, während aus der zweiten Regression einige Kreise herausgefallen sind, weil nicht für alle Einflussfaktoren Daten zur Verfügung standen. 255 uj 6 | 2019 Teenagermutterschaften mit einem Zuwachs von 6,6 Geburten pro 1.000 Frauen in der Altersgruppe verknüpft. Der Anteil der von Ehescheidungen betroffenen Kinder hat in diesem Modell keinen statistisch signifikanten Effekt. Dasselbe gilt für den Katholikenanteil. Es bleibt unklar, ob dies auf die im Vergleich zur Vorgängerstudie schwächere Messung zurückzuführen ist. Wie oben bereits angemerkt, hatte die Einwanderung eine deutliche Auswirkung auf die jüngste Entwicklung der Teenagermutterquote in der Bundesrepublik. Dies zeigt sich auch bei der Analyse der Kreisunterschiede. Ein Anstieg der Einwanderung von Frauen in der Altersgruppe um zwei Prozentpunkte wäre danach mit einer zusätzlichen Geburt auf 1.000 Mädchen und Frauen in der Altersgruppe verbunden. Schließlich zeigt die binäre Variable „Ost“ an, dass auch nach statistischer Kontrolle der übrigen Variablen die Geburtenquote in den ostdeutschen Kreisen noch um durchschnittlich gut drei Geburten höher ausfällt als in den westdeutschen Kreisen. Die zusätzlichen Variablen haben den erklärten Anteil der Varianz von 0,60 in der ersten Regression auf 0,70 in der zweiten Regression angehoben. Welche Konsequenzen haben Mutterschaften im Teenageralter? Unstrittig ist, dass die wirtschaftliche und soziale Situation von Teenagermüttern und deren Kindern schlechter ist als jene von später gebärenden Müttern. Dies bedeutet jedoch nicht zwingend, dass die sozialen Probleme auch auf die frühe Mutterschaft zurückzuführen sind. Möglicherweise haben die Teenagermutterschaft und die sozialen Schwierigkeiten nur dieselbe Ursache. Die Wirkungen der frühen Mutterschaft sind somit von anderen Einflüssen zu trennen, welche in der Persönlichkeit und dem Familienhintergrund der Teenagermutter begründet sind. Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, werden im Rahmen komplexer statistischer Verfahren junge Frauen, die als Teenager eine Fehlgeburt erlitten haben, mit solchen verglichen, die das Kind bekommen haben. Fehlgeburten sind nach statistischer Kontrolle einiger Einflussgrößen wie dem Alkohol- und Zigarettenkonsum zufällig verteilt. Berücksichtigt man zusätzlich den Einfluss von Schwangerschaftsabbrüchen, dann kann dieser Umstand in statistischen Analysen genutzt werden, um den kausalen Effekt der Teenagermutterschaft auf das Einkommen, die Arbeitsmarktpartizipation und andere soziale Konsequenzen im weiteren Lebensverlauf zu isolieren. Die Ergebnisse der Studien aus angelsächsischen Ländern zeigen allenfalls minimale negative Effekte von Teenagermutterschaften auf das Einkommen, den Bildungserfolg, die Arbeitsmarktpartizipation und die Wahrscheinlichkeit einer Eheschließung (Hotz et al. 2005; Ashcraft et al. 2013). Die spärliche Evidenz für Deutschland deutet in die gleiche Richtung (Keller 2011). Nachteile für die Gesundheit der Kinder von Teenagern sind ebenfalls nicht zwingend zu erwarten, zumal Chromosomenanomalien bei Säuglingen junger Mütter seltener vorkommen als beim Nachwuchs älterer Mütter (Sancken 2003). Trotz des risikoreicheren Verhaltens junger Mütter leiden ihre Babys auch nicht häufiger an niedrigem Geburtsgewicht als die Säuglinge älterer Mütter (Harville et al. 2012). Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Teenagermutterschaften weniger als Ursache, denn als Symptom sozialer Schwierigkeiten gesehen werden sollten (Kearney/ Levine 2012). Empfehlungen Wenn Teenagermutterschaften aber weniger als eine Ursache, denn als ein Ergebnis einer schwierigen sozialen Lage verstanden werden müssen, dann sollten politische bzw. administrative Maßnahmen auch hier ansetzen. In einem gesellschaftlichen Umfeld, in dem Geburten ohnehin schon immer weiter hinausgezögert werden, sollten diese Maßnahmen sich nicht darauf konzentrieren, Geburten in jungen 256 uj 6 | 2019 Teenagermutterschaften Literatur Ashcraft, A., Fernández-Val, I., Lang K. (2013): The Consequences of Teenage Childbearing: Consistent Estimates When Abortion Makes Miscarriage Nonrandom. Economic Journal 123, 875 - 905, https: / / doi. org/ 10.1111/ ecoj.12005 Browning, C. R., Leventhal, T., Brooks-Gunn. J. (2004): Neighborhood Context and Racial Differences in Early Adolesencent Sexual Activity. Demography 41, 697 - 720, https: / / doi.org/ 10.1353/ dem.2004.0029 Cubbin, C., Santelli, J., Brindis, C. D., Braveman, P. 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Je mehr es gelingt, die sozialen und wirtschaftlichen Aussichten der Jugendlichen zu verbessern, desto mehr werden Teenagermutterschaften zu „Betriebsunfällen“ oder auch bewussten Entscheidungen, die regional nicht systematisch variieren. Außerdem muss es darum gehen, jungen Eltern die Arbeitsmarktpartizipation zu erleichtern. In den westdeutschen Kreisen geht es dabei insbesondere um den fortgesetzten Ausbau der Kinderbetreuung (Seils 2015). Dr. Eric Seils Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der Hans-Böckler-Stiftung Hans-Böckler-Straße 39 40476 Düsseldorf E-Mail: Eric-Seils@boeckler.de 257 uj 6 | 2019 Teenagermutterschaften Martin, J. A., Hamilton, B. E., Osterman, M. J., Driscoll, A.K., Drake, P. (2018): Births: Final Data for 2016, National Center for Health Statistics 67, https: / / www.cdc. gov/ nchs/ data/ nvsr/ nvsr67/ nvsr67_01.pdf Miller, B. C., Benson, B. (2001): Family Relationships and Adolescent Pregnancy Risk: A Research Synthesis. 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