eJournals unsere jugend 71/6

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2019.art43d
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2019
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Geschlechtergerechte Kinder- und Jugendhilfe und die Geschlechtervielfaltsperspektive

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2019
Kerstin Schumann
Was verbirgt sich hinter einer geschlechtergerechten Kinder- und Jugendhilfe? Wen nimmt sie aktuell in den Blick? Mädchen und Jungen als Zielgruppe sowie Frauen und Männer als Mitarbeitende? Oder geht es um Mädchen* und Jungen* und Mitarbeiter*innen? Der binäre Blick auf Geschlecht scheint theoretisch überholt. Doch ist die Kinder- und Jugendhilfepraxis schon so weit?
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258 unsere jugend, 71. Jg., S. 258 - 263 (2019) DOI 10.2378/ uj2019.art43d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Geschlechtergerechte Kinder- und Jugendhilfe und die Geschlechtervielfaltsperspektive Was verbirgt sich hinter einer geschlechtergerechten Kinder- und Jugendhilfe? Wen nimmt sie aktuell in den Blick? Mädchen und Jungen als Zielgruppe sowie Frauen und Männer als Mitarbeitende? Oder geht es um Mädchen* und Jungen* und Mitarbeiter*innen? Der binäre Blick auf Geschlecht scheint theoretisch überholt. Doch ist die Kinder- und Jugendhilfepraxis schon so weit? von Dr. Kerstin Schumann Jg. 1968; Geschäftsführerin des Kompetenzzentrums geschlechtergerechte Kinder- und Jugendhilfe Sachsen-Anhalt e.V. Verständnis und Bedeutung einer geschlechtergerechten Kinder- und Jugendhilfe im Rahmen der Geschlechtervielfaltsperspektive Ein geschlechtergerechtes Zusammenleben setzt voraus, dass alle Menschen gleichwertig und gleichberechtigt in ihren geschlechtlichen Verschiedenheiten akzeptiert und anerkannt werden. Betrachtet werden müssen dabei aus Geschlechtervielfaltsperspektive vier Ebenen: die des biologischen sowie des sozialen Geschlechts, des Identitätsgeschlechts und der sexuellen Orientierung. Die geschlechterbewusste Pädagogik stellte bisher die biologische und die soziale Ebene in den Mittelpunkt. Durch die Ansätze Mädchenarbeit, Jungenarbeit, Cross Work und geschlechtergerechte Koedukation (vgl. Wallner 2010, 5) sollen Mädchen und Jungen in einem Aufwachsen fernab von Geschlechterzuschreibungen unterstützt werden. Spätestens mit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Einführung eines positiven dritten Geschlechtseintrages im Oktober 2017 wurde in Bezug auf das biologische Geschlecht die binäre Geschlechterordnung öffentlich infrage gestellt. Die geschlechterbewusste Pädagogik müsste sich somit, ausgehend vom biologischen Ansatz, um die Belange von Mädchen und Jungen sowie von intergeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen kümmern. Im Gesetz zur Änderung des Personenstandsgesetzes (PStG), das am 13. Dezember 2018 durch den Bundestag beschlossen wurde, wird in § 22 Absatz 3 PStG die Bezeichnung „divers“ für Menschen, deren biologische Zuordnung zu den beiden binären Geschlechtern nicht möglich ist, zugelassen (Deutscher Bundestag 2018). In jugendpolitischer Konsequenz muss dies nun bedeuten, dass in der anstehenden Novellierung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB III) der § 9 Absatz 3, der darauf abzielt, dass unterschiedliche Lebenslagen von Mädchen und Jungen berücksichtigt, Benachteiligungen abgebaut und die Gleichberechtigung von Mädchen und 259 uj 6 | 2019 Geschlechtergerechte Kinder-und Jugendhilfe Jungen gefördert werden (vgl. SGB VIII 2012), um die Dimension einer weiteren biologischen Geschlechtlichkeit erweitert wird. Mittlerweile ist darüber hinaus unbestritten, dass die geschlechtlichen Dimensionen eines Individuums das biologische und soziale Geschlecht überschreiten. Junge*- und Mädchen*- Sein wurde um die Ebene des Identitätsgeschlechts (Trans oder Cis) erweitert. Die Berliner Senatsverwaltung hielt bereits im Jahr 2006 fest, dass transidente Jugendliche „teilweise enorme Energien zur Selbststabilisierung aufwenden“ müssen (vgl. Senatsverwaltung 2006, 62). Als wesentliche Lösung wird gesehen, dass transidenten Kindern und Jugendlichen Erfahrungsräume geboten werden, in denen sie akzeptiert sind, sich ausprobieren und orientieren können (vgl. ebd.). Eine geschlechterbewusste oder gar geschlechtergerechte Kinder- und Jugendhilfe ist hier gefordert. Die Herausforderung liegt nun darin, die gerade erst gendersensibilisierte Kinder- und Jugendhilfepraxis, die zumeist binär verortet ist, nicht mit einer zu großen Komplexität und Differenziertheit zu überfordern. Eine zu erwartende mögliche Folge könnte sonst ein Rückzug in eine geschlechtsneutrale Kinder- und Jugendhilfe sein. Unbestritten scheint zu sein, dass es im heutigen Aufwachsen keine Identitätsentwicklung außerhalb von geschlechtlich bedingten Zuschreibungen und Zuordnungen gibt. Geschlecht als eine mächtige Ordnungskategorie ist noch nicht überholt und darf nicht unterschätzt werden. Somit wäre ein Rückzug auf Geschlechterneutralität für die Stärkung von Mädchen* und Jungen* kontraproduktiv. Im Diskurs um Geschlechtlichkeit wird von Interessenvertreter*innen der queeren Community verstärkt die Auflösung der Geschlechter als Lösung propagiert, da das „labeln“ als Mädchen oder Junge die Gefahr bergen würde, Rollenzuschreibungen zu zementieren. Dies ist aus der Geschlechtervielfaltsperspektive gesehen ein berechtigter Ansatz, der gesellschaftlich aber (noch) nicht funktionieren kann. Die vorhandene strukturelle Diskriminierung aufgrund einer Geschlechtszugehörigkeit (z. B. Gender Pay Gap und geschlechtersegregierte Berufswahl, Gewalt gegen Mädchen und Frauen sowie Sexismus, Gender Pension Gap) erfordert die Notwendigkeit eines klaren Blickes auf die Lebenslagen von Mädchen und Jungen sowie Frauen und Männern und somit eine differenzfeministische Perspektive. Konzepte und Ansätze einer geschlechtergerechten Kinder- und Jugendhilfe Wichtig ist nun, dass der Umgang mit der Geschlechtlichkeit von Kindern und Jugendlichen in der Kinder- und Jugendhilfepraxis weiter diskutiert wird, ohne diese Kategorie zu dramatisieren. Ein geschlechterbewusster oder gar ein geschlechtergerechter Ansatz ist in der Kinder- und Jugendpolitik, in Träger- und Einrichtungskonzeptionen und in der konkreten Praxis vor Ort notwendig, um Chancengleichheit zu schaffen. Intersektionale Ansätze dürfen dabei nicht außer Acht gelassen werden. Kinder und Jugendliche, Mädchen* wie Jungen*, müssen emanzipatorisch dabei begleitet werden, ihren jeweils persönlichen Weg zu finden und zu gestalten. Fachkräfte brauchen dafür Fachwissen, Gendersensibilität und Genderkompetenz. Hilfestellung können Leitsätze oder Antidiskriminierungsrichtlinien bieten, die trägerübergreifend entwickelt und zum Beispiel durch Landesjugendhilfeausschüsse (LJHA) beschlossen werden. Im Bundesland Sachsen-Anhalt existieren seit dem Februar 2016 Leitsätze für Diversität in der Kinder- und Jugendhilfe. Diese orientieren sich an sich am Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und wurden per Beschluss des LJHA als Empfehlung an die örtlichen und freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe weitergeleitet. Der zweite der fünf in den Leitlinien 260 uj 6 | 2019 Geschlechtergerechte Kinder-und Jugendhilfe formulierten Leitsätze trägt die Überschrift: Gender, geschlechtliche Identitäten und sexuelle Orientierung. Ausgehend von der Feststellung, dass die Kinder- und Jugendhilfe „einen wesentlichen Beitrag zur Aufhebung von Geschlechterstereotypen, zur Vorbeugung und Abbau von Diskriminierung in Bezug auf die Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung und zur Geschlechtergerechtigkeit in allen Feldern des SGB VIII leisten“ kann (vgl. Landesjugendhilfeausschuss LSA 2016, 6), werden Grundsätze für die Kinder- und Jugendhilfepraxis benannt, die ein geschlechtergerechtes Agieren einfordern und in konkreten Empfehlungen gipfeln. Im Mittelpunkt stehen Merkpunkte, die sich wie ein roter Faden durch die (geschlechtergerechte) Kinder- und Jugendhilfe ziehen sollen: das Recht auf Selbstbestimmung, die Chance auf Selbstverwirklichung durch zuschreibungsfreie Räume, die Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt und der Schutz vor Diskriminierung. Die formulierten Empfehlungen richten sich an örtliche und freie Träger und beziehen sich auf die Darstellung in Statistiken, die örtliche und überörtliche Jugendhilfeplanung, auf Einrichtungskonzepte, den Kompetenzerwerb von Fachkräften durch Genderqualifizierung und einen selbstverständlichen geschlechtersensiblen Sprachgebrauch (vgl. ebd., 8). Diese Leitlinien und der Beschluss des LJHA bieten Ansatzpunkte und Argumentationshilfen für Träger, Fachkräfte und Interessierte, die eine vielfaltsorientierte und somit auch die geschlechtergerechte Kinder- und Jugendhilfe voranbringen wollen. Sie verdeutlichen die Notwendigkeit eines geschlechtersensiblen Wirkens für Mädchen* und Jungen* und zeigen das Verständnis des LJHA über eine geschlechtergerechte Kinder- und Jugendhilfe auf, in dem in den Vorbemerkungen u. a. festgeschrieben wurde: „Zum einen ist es notwendig, Zuschreibungen und strukturelle Benachteiligungen aufgrund des Mädchen*- und Junge*seins aufzudecken und abzubauen und zum anderen ist das selbstverständliche Aufzeigen von Vielfalt und ein sensibler Umgang mit den Aspekten Geschlechteridentität und sexuelle Orientierung notwendig“ (ebd. 6). Der LJHA Sachsen-Anhalt hat darüber hinaus in den Schlussbestimmungen seiner Geschäftsordnung eine sprachliche Gleichstellung festgelegt, die die queere Schreibweise des Sternchens * festschreibt. Die Begründung verdeutlicht den geschlechtergerechten Ansatz: „Der Stern hat die Intension, Geschlechtervielfalt zu verdeutlichen und sämtliche Identitätsformen zu berücksichtigen.“ (Landesjugendhilfeausschuss LSA 2017, § 25) Das Verknüpfen beider Diskurse, also das selbstverständliche Aufzeigen von Geschlechtervielfalt und das Schaffen von Angeboten und das Empowerment in der Mädchen*- und Jungen*arbeit kann, entsprechend der Alters- und Bedarfslagen, für Kinder und Jugendliche Ermöglichungsräume schaffen, Ängste nehmen, Vorurteile abbauen, Selbstverwirklichung voranbringen und die Akzeptanz von Geschlechtervielfalt zur Normalität werden lassen. Doch dies sollte frühzeitig, also bereits in der Elementarbildung geschehen. Diverse Initiativen in mehreren Bundesländern haben dies erkannt und entwickelten Medienkoffer, die Fachkräfte und Eltern durch die Bereitstellung von Methoden und kindgerechten Materialien beim geschlechtergerechten Agieren unterstützen sollen. In Berlin, Bremen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt zum Beispiel richten sich diese Angebote bereits an Kindertageseinrichtungen. Bilderbücher, Spiele, Handpuppen und Fachbücher zu den Themenfeldern Rollenbilder, Geschlechtervielfalt und Familienformen werden, meist mit einer einführenden Teamfortbildung, an Einrichtungen gegeben. Die Einrichtungen werden motiviert, mit den Materialien im Kindergartenalltag zu arbeiten und im Nachklang die eigenen Kinderbuchecken durch Bücher zu ergänzen, die Geschlechtervielfalt darstellen. Wichtig ist, dass die Fachkräfte der Einrichtungen und auch Eltern in die Themen eingeführt und Fragen beantwortet werden. So können Unsicherheiten und Berührungsängste genommen und Aspekte von Geschlechtervielfalt im Kindergartenalltag normal werden. Positiv anzumerken ist, dass in den 261 uj 6 | 2019 Geschlechtergerechte Kinder-und Jugendhilfe Medienkoffern zum einen Kinderbücher vorhanden sind, die gesellschaftliche Zuschreibungen an Mädchen und Jungen thematisieren (z. B. David und sein rosa Pony von Blanca Fernandez u. a. oder Prinzessin Pfiffigunde von Babette Cole) und zum anderen auch die binäre Geschlechterordnung infrage gestellt wird (z. B. Jill ist anders von Ursula Rosen). Geschlechtergerechte Kinder- und Jugendhilfe wird hier diskursübergreifend verstanden. Nicht außer Acht gelassen werden dürfen die in der geschlechterbewussten Kinder- und Jugendhilfe verankerten Ansätze feministischer Mädchenarbeit und emanzipatorischer Jungenarbeit. Allerdings sollten diese, aus der Geschlechtervielfaltsperspektive heraus, bewusst um das * (Sternchen) erweitert werden. Nur so können in der Stärkung von Mädchen* und Jungen* die verschiedensten Facetten von Mädchen*sein und Junge*sein Berücksichtigung finden (vgl. Pohlkamp 2018, 59). Diese Diskurse werden in der Mädchen- und Jungenarbeit sehr aktiv geführt. So hat sich die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Jungenarbeit im Januar 2016 auf den Weg gemacht und im Positionspapier als Zielsetzung ihrer Arbeit „Geschlechterdemokratie und die Anerkennung aller Geschlechter“, im Bewusstsein um eine „zweigeschlechtlich konstruierte und heteronormativ geprägte Gesellschaft“ festgeschrieben (vgl. BAG 2016, 2). Die bundesweit erscheinende Fachzeitschrift „Betrifft Mädchen“ widmete im Jahr 2018 ein komplettes Heft der Fragestellung, wie das in der Mädchenarbeit verortete Prinzip der geschlechterhomogenen Angebote unter der Perspektive der Geschlechtervielfalt verstanden werden kann (vgl. Landesarbeitsgemeinschaft Mädchenarbeit in NRW e.V. 2018). Formuliert wurde, dass Mädchen*arbeit sich neu orientieren muss. Pohlkamp schreibt: „Doch wie so oft, kann die Mädchen*arbeit mit einer offenen und entschiedenen Haltung eine wichtige (mit-)denkende und (mit-)gestaltende Kraft sein.“ (Pohlkamp 2018, 63) Eine geschlechtergerechte Kinder- und Jugendhilfe impliziert das selbstverständliche Vorhandensein von Angeboten und Einrichtungen der Mädchen* und Jungen*arbeit und fördert somit den reflektierten Blick auf Mädchen* und Jungen* und ihre spezifischen Lebenslagen. Anforderungen an Jungen* und Mädchen* sind, im binär verorteten Gesellschaftssystem, nicht zuschreibungsfrei. Hier gilt es einen Spagat zu wagen, der, wie die Ansätze der Leitlinien und der Medienkoffer zeigen, praktisch gut möglich ist. Im Wesentlichen geht es in all diesen Ansätzen und Konzepten darum, Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe einzuladen, die geschlechtervielfaltsausgeprägte gesellschaftliche Wirklichkeit wahrzunehmen und Kinder und Jugendliche dabei zu unterstützen, diese emanzipatorisch und selbstbestimmt zu gestalten. Handlungsempfehlungen für Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe Im Mittelpunkt eines geschlechtergerechten Handelns muss eine bewusste Haltung stehen, mit der Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe der Geschlechtervielfalt und den damit verbundenen Unsicherheiten begegnen können. Voraussetzung bildet dafür die eigene thematische Offenheit sowie das Interesse an den Entwicklungen und Veränderungen in der Kinder- und Jugendhilfe. Geschlechtersensibilität und Genderkompetenz können dazu beitragen, dass authentische Orientierungspunkte für Mädchen* und Jungen* geschaffen werden. Dies erfordert eine Qualifikation der Fachkräfte im Themenfeld Geschlechtergerechtigkeit. Ein erster Schritt sollte in der Berücksichtigung der Vielfalt an geschlechtlichen Selbstverständnissen liegen. Dies betrifft die Kinder- und Jugendlichen, mit denen gearbeitet wird, genauso wie die Mitarbeiter*innen der Einrichtungen und die Eltern der Klient*innen. 262 uj 6 | 2019 Geschlechtergerechte Kinder-und Jugendhilfe Die sozialen Zugehörigkeiten von Menschen sind vielfältig, je nach Lebensbereich kann es zum Wechsel der jeweils dominanten wahrzunehmenden Kategorie kommen. Diese Mehrfachbetroffenheit spricht dafür, die Kategorie Geschlecht nicht durch ständige Erwähnung im Jugendhilfekontext zu dramatisieren oder sich überbewertend permanent darauf zu fokussieren. Trotzdem darf sie als wesentliche gesellschaftliche Ordnungskategorie in Konzeptionen von Einrichtungen und Angeboten auch nicht aus dem Blick geraten. Mädchen* und Jungen* ernst zu nehmen, bedeutet ihnen aufzuzeigen, dass sie so, wie sie sind, in der Kinder- und Jugendhilfe willkommen sind. Dazu gehört, dass sie nach Ansprechpronomen und Vornamen gefragt werden und diese dann, unabhängig von rechtlichen Fragestellungen, in der Kommunikation und der Verwaltung verwendet werden. Das Vorhalten von geschlechtshomogenen Angeboten (Mädchen*tag, Jungen*camp etc.) sollte weiterhin zu einem selbstverständlichen (punktuellen) Angebot der Einrichtung gehören, Schutz- und Erfahrungsräume sind wichtig. Allerdings macht es Sinn, das Setting zu erweitern und z. B. zu einem Mädchen*treff alle Mädchen* einzuladen, die sich selber als Mädchen* verstehen. Aktuell drängt im Nachdenken über das geschlechtergerechte Agieren immer mal wieder die Frage in den Mittelpunkt, ob es in Einrichtungen der (geschlechtergerechten) Kinder- und Jugendhilfe zusätzliche genderneutrale Toiletten geben muss. Diese Frage kann im Austausch mit den Mitarbeiter*innen und auch den Besucher*innen der Einrichtungen genutzt werden, um sich über Wünsche in Bezug auf die Privatsphäre jede*r Einzelnen klar zu werden. Eine zusätzliche Toilette ist nicht nötig, sondern das Versehen der bisherigen Toiletten mit neuen Piktogrammen, die nicht mehr anzeigen, für wen der Raum vorgesehen ist, sondern was in den Räumen zu finden ist (z. B. Steh- oder Sitztoilette). Wichtig ist der Versuch, über Trennwände Privatsphäre zuzulassen. Ideen für die weitere qualifizierte Umsetzung einer geschlechtergerechten Kinder- und Jugendhilfe gibt es viele. Empfehlenswerte Netzwerke sind die BAG Mädchenpolitik, die BAG Jungen*arbeit und das Internetportal mein. geschlecht.de. Auch Materialien gibt es mittlerweile in großer Menge, einige sind auf der Webseite www.vielfalt-erfahrenswert.de vorgestellt. Nun gilt es, die neuen Herausforderungen an den notwendigen Ansatz der geschlechtergerechten Kinder- und Jugendhilfe kreativ anzunehmen. Dr. Kerstin Schumann Kompetenzzentrum geschlechtergerechte Kinder- und Jugendhilfe LSA e.V. Schönebecker Str. 82 39104 Magdeburg Tel. (03 91) 6 31 05 56 E-Mail: schumann@ geschlechtergerechteJugendhilfe.de Literatur Bundesarbeitsgemeinschaft Jungenarbeit (2016): Positionspapier. In: http: / / www.bag-jungenarbeit.de/ files/ Dateien/ positionspapier_BAGJ_2016.pdf, 12. 1. 2019 Deutscher Bundestag (2018): Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben, Drucksache 19/ 4669. In: http: / / dip21.bundestag. de/ dip21/ btd/ 19/ 046/ 1904669.pdf, 12. 1. 2019 Landesarbeitsgemeinschaft Mädchenarbeit in NRW e.V. (2018): Betrifft Mädchen. Raumplanung! Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in der Mädchen(*)arbeit., 32 (2). Beltz/ Juventa, Wuppertal 263 uj 6 | 2019 Geschlechtergerechte Kinder-und Jugendhilfe Landesjugendhilfeausschuss LSA (2016): Leitsätze für Diversität in der Kinder- und Jugendhilfe Sachsen-Anhalts. In: https: / / lvwa.sachsen-anhalt.de/ fileadmin/ Bibliothek/ Politik_und_Verwaltung/ LVWA/ LVwA/ Dokumente/ 6_famgesjugvers/ 501/ LJHA/ Leitsaetze_ Diversitaet_15.02.2016.pdf, 12. 1. 2019 Landesjugendhilfeausschuss LSA (2017): Geschäftsordnung für den Landesjugendhilfeausschuss des Landes Sachsen-Anhalt und seine Unterausschüsse (GeschO-LJHA) vom 1. 9. 2017. In: https: / / lvwa.sachsenanhalt.de/ fileadmin/ Bibliothek/ Politik_und_Verwal tung/ LVWA/ LVwA/ Dokumente/ 6_famgesjugvers/ 501/ LJHA/ GO_LJHA_ab_01092017.pdf, 13. 1. 2019 Pohlkamp, I. (2018): Sich neu orientieren. Anmerkungen zur Anerkennung von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt. In: Betrifft Mädchen 32 (2), 59 - 63 Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport (Hrsg.) (2006): Zusammenleben in Berlin. Männlich-weiblich-menschlich? Trans_ und Intergeschlechtlichkeit, Dokumente lesbisch-schwuler Emanzipation, Nr. 22. Eigenverlag, Berlin Wallner, C. (2010): Cross Work: Frauen in der Arbeit mit Jungen. Workshop auf der Tagung „Jungs, wohin? “ am 3.7.2010 in der Evang. Akademie Bad Boll. In: http: / / www.claudia-wallner.de/ wp-content/ uploads/ 2016/ 02/ Cross-Work.pdf, 10. 1. 2019